Lebensdaten
1889 – 1945
Geburtsort
Braunau/Inn
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
NS-Politiker ; Reichskanzler
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118551655 | OGND | VIAF: 38190770
Namensvarianten
  • Hitler, Adolf
  • Chitler, Adolf
  • Chitler, Adolphu
  • mehr

Quellen(nachweise)

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Zitierweise

Hitler, Adolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118551655.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus niederösterr. Bauernfam. (Bez. Zwettl u. Gmünd);
    V Alois (bis 1877 Schicklgruber, dann legitimiert, 1837-1903), Schuhmacher, dann k. u. k. Zollamtsoffizial, unehel. S d. Magd Maria Anna Schicklgruber ( 1842 den Erzeuger d. Alois: Georg Hitler [Hiedler], Müllergeselle in Dürnthal, Bauern-S aus Spital);
    M Clara (1860–1908, N d. Alois Hitler), T d. Bauern Johann Pölzl in Spital u. d. Johanna Hütler (Hittler);
    Berlin 29.4.1945 Eva (1912–45), T d. |Frdr. Braun, Gewerbeoberlehrer in München u. d. Franziska Kronberger (1885-1976); kinderlos.

  • Biographie

    H. und der Nationalsozialismus erscheinen in einem Maße miteinander verknüpft, daß man Aufstieg, Triumph und Untergang des einen geradezu mit dem des anderen gleichgesetzt und beider Identität behauptet hat. In der Tat ist die Idee des Nationalsozialismus, die eine Epochentendenz war und in vielen Gruppen und politischen Vereinen vor allem des süddeutschen und habsburgischen Raumes einen verstreuten Ausdruck gefunden hatte, erst durch sein Dazwischentreten zu einer schlagkräftigen und dynamischen Organisation im politischen Bereich geworden. Nicht ohne Grund kann man den Nationalsozialismus als einen Hitlerismus bezeichnen. Er hat zahlreiche politische und geistige Bestrebungen, Sehnsüchte, fehlgegangene Erwartungen in sich aufgenommen – aber auch dies wiederum nur dank der überragenden Fähigkeit H.s, an sich zu ziehen, einzuschmelzen und zu verwandeln, was immer seinen Machtambitionen entgegenkam: „Die Assimilationskraft des Nationalsozialismus ist eine ungeheure“, hat er gelegentlich erklärt.

    Infolgedessen verfehlt denn auch jede Definition des Nationalsozialismus oder des von ihm begründeten Herrschaftssystems, die H.s Namen nicht enthält, die Sache im Kern. In einem der Geschichte bis dahin unbekannten Grade war H. von den kümmerlichen Anfängen in „Beiseln“ und Hinterstuben bis zur Herrschaft über einen großen Teil der Welt, alles aus sich und alles in einem:|Lehrer seiner selbst, Organisator einer Partei und Schöpfer ihrer Ideologie, Taktiker und demagogische Heilsgestalt, Führer, Staatsmann und während eines Jahrzehnts Bewegungszentrum der Welt. Er hat den Erfahrungssatz widerlegt, daß alle Revolutionen ihre Kinder verschlingen; denn er war, wie H. Trevor-Roper gesagt hat, „der Rousseau, der Mirabeau, der Robespierre und der Napoleon seiner Revolution“. Die Weimarer Republik wäre möglicherweise auch ohne die Dazwischenkunft H.s glücklos gewesen und geblieben; die 30er Jahre hätten wohl auch ohne ihn Gegensätze der Interessen und der Ideologien unter den europäischen Nationen offenbar gemacht; und denkbar ist auch, daß die unausgeräumten Konfliktstoffe Europa und die Welt in den 40er Jahren in einen Krieg verwickelt hätten. Aber die besonderen Umstände, unter denen die Ereignisse sich darstellten, ihre Exzessivität, ihre Barbarei und pathologische Konsequenz, sind unaufhebbar an die Person H.s gebunden.

    Die Bedingungen, die seinen Aufstieg ermöglichten und trugen, haben ihren spezifischen Untergrund, der von den biographischen Daten allein nicht erfaßt wird. Als Junge, so hat H. versichert, habe er sich über seine „zu spät angetretene irdische Wanderschaft oft ärgerliche Gedanken gemacht“ und die ihm „bevorstehende Zeit der, Ruhe und Ordnung' als eine unverdiente Niedertracht des Schicksals angesehen“. Indes taucht seine Erscheinung auf vor dem Hintergrund des zerfallenden Habsburger Reiches, des 1. Weltkrieges und der krisenhaft zerrütteten Nachkriegszeit. Darüber hinaus münden in die Bewegung, die er entfachte, komplexe Motive und Stimmungen, die ihre Ursachen in einem weit zurückreichenden Auflösungsprozeß europäischen Zuschnitts haben. Im Scheitern einer ganzen Ordnung hatte er, der vielfach Gescheiterte, seine Stunde. Unnachahmlich verstand er es, die millionenfach hervorschießenden Gefühle der Lebensangst auszubeuten, dem ziellos wuchernden Haß die Feindbilder zu suggerieren und sich selbst den pseudoreligiösen Sehnsüchten als Objekt und Abgott anzubieten.

    H. wurde als 4. Kind aus der 3. Ehe eines österreichischen Zollbeamten geboren. Die Ironie der Geschichte will es, daß zahlreiche Umstände der Herkunft dessen, der Ahnenkult und Rassengut zu einer Frage des nackten Überlebens machte, in unaufklärbarem Dunkel verbleiben. Schon Ursprung von Name und Familie ist im einzelnen unklar und von den Hintergründen der Familie nicht mehr bekannt, als daß sie aus dem Waldviertel, dem Grenzland nach Böhmen, stammte. Ungesichert ist vor allem jedoch die Identität des Großvaters, die auch jüngsten Bemühungen der Forschung zum Trotz nicht zweifelsfrei aufgehellt werden konnte. Sie hat viele, zum Teil abenteuerliche, immerhin aus der engsten Umgebung H.s (Hans Frank) stammende Vermutungen wachgerufen, die einen jüdischen Einschlag für erwiesen halten und den antisemitischen Irrwahn H.s als Ausdruck krankhaften Hasses auf das eigene Spiegelbild interpretieren. So zutreffend es ist, daß H.s Verfolgungswille sich vornehmlich gegen Erscheinungen richtete, in denen mindestens die Schatten der eigenen Physiognomie zu erkennen waren: den Rückschluß auf die Abstammung, den sie suggerieren oder doch suggestiv stützen wollen, lassen solche Theoreme nicht zu. Die nachprüfbaren Verhältnisse erlauben nicht mehr als die Feststellung, daß der Vater Alois der uneheliche Sohn der Magd Maria Anna Schicklgruber war. Erst im 40. Lebensjahr und rund 10 Jahre, bevor ihm in 3. Ehe ein Sohn geboren wurde, der den Namen Adolf erhielt, tauschte er, dank der Inkorrektheit eines arglosen Dorfgeistlichen, seinen Namen Schicklgruber gegen den seines Erzeugers ein.

    Von früh auf wirkt das Leben des Sohnes unglücklich balanciert und einem merkwürdig unsteten Ablauf unterworfen: streckenweise offenbarem Überdruck und atemloser Anspannung ausgesetzt, fällt es dann wieder unvermittelt in eine bleierne oder bloß träge Untätigkeit zurück. Alle späteren Beobachter registrierten ausgedehnte Phasen der Zeitvergeudung, den auffälligen Hang zu einer lässigen und ungeregelten Lebensweise. Die Neigung beeinträchtigte bereits die Leistungen des Schülers und verweist, wie die Noten bezeugen, selbst die zunächst so glaubwürdig anmutenden Bemerkungen H.s über sein besonderes Verständnis historischer Vorgänge in den Bereich der Eigenlegende. Im Verlauf der fünfjährigen Realschulzeit kann er zweimal die Versetzungsnorm nicht erfüllen und muß sich zwei weitere Male einer Wiederholungsprüfung stellen, ehe er aus Unlust, Faulheit und launischer Verwöhntheit kurzerhand den Schulbesuch hinwirft (1905). Eine Krankheit, so bekennt er in „Mein Kampf“ nicht ohne enthüllenden Effekt, sei ihm plötzlich zu Hilfe gekommen.

    Zu diesem Zeitpunkt war der Vater bereits verstorben (1903) und die scheue, nachgiebige Mutter, die sich dem exaltierten, hysterischen Sohn gegenüber nicht durchzusetzen vermochte, ermöglichte ihm, dank der gesicherten wirtschaftlichen Verhältnisse des Elternhauses, zweieinhalb Jahre des Müßiggangs, in denen er seine Kontaktarmut, seine Ichsucht und Rechthaberei zum Sonderbewußtsein des überlegenen Genies stilisierte: Für sich lehne er die Ausbildung zu einem „Brotberuf“, wie er verächtlich meinte, ab. Bis tief in die Nacht erhitzte der Achtzehnjährige sich über gigantischen Projekten, mit denen er die selbstgeschaffene Phantasiewelt möblierte: dem Neubau der Wiener Hofburg, der städtebaulichen Umgestaltung der Stadt Linz, dem Besuch in selbstentworfenen Musiktheatern oder Schauspielhäusern, wo er unter Glückskrämpfen der Aufführung von selbstverfaßten Opern und dramatischen Werken beiwohnte, die er indes ohne Kenntnis des kompositorischen Handwerks und ohne Sicherheit in der Orthographie zu träumen und zu planen begonnen hatte. Der Erwerb eines Lotterieloses versetzte ihn für einige euphorische Wochen in jene irreale Welt, die sein eigentlicher Existenzgrund war, eine Welt der großzügigen Ungebundenheit, die er sich mit herrschaftlichem Haus, prunkvoller Einrichtung und gebildeter Hausdame errichtete – ehe der Tag der Ziehung ihm den schon sicher geglaubten Traum zerschlug und H. in einem maßlosen Tobsuchtsanfall nicht nur das eigene Pech, sondern in bezeichnender Steigerung die Leichtgläubigkeit der Menschen, das staatliche Lotteriewesen und schließlich den betrügerischen Staat selbst bis auf den Grund verdammte.

    In jener Zeit werden bereits zahlreiche Züge des späteren H. greifbar: die eigentümlich gestörte Realitätsbeziehung, das Unvermögen zu konsequenter Arbeit, das Redebedürfnis, die Projektemacherei sowie die Elemente von Besessenheit, die schon der bewundernde Jugendfreund August Kubizek nicht ohne Beunruhigung vermerkt hatte: die plötzlichen hemmungslosen Wutanfälle des 18jährigen, die Intensität seiner Aggressionen sowie das unbegrenzte Vermögen zu hassen.

    Im Mai 1906 hatte H. zum ersten Mal einige Wochen in Wien verbracht und war, geblendet vom Glanz der Metropole, seinen exzessiv ästhetisierenden Neigungen gefolgt: Im unablässig wiederholten Besuch von Wagner-Opern, von Theatern und Museen errichtete er sich eine Scheinwelt, die er bewohnte und bald mit der Realität merkwürdig vermengte, so daß er das eine kaum noch vom anderen zu trennen vermochte. Im Herbst 1907 rang er der Mutter die Erlaubnis ab, zum Studium nach Wien zu gehen, und als die bekümmerte Frau im Dezember des gleichen Jahres starb, übersiedelte er endgültig in die Hauptstadt, um – fern den kontrollierenden Blicken von Vormund und Verwandten – ein Künstlerleben der ungebundensten Freizügigkeit zu führen. Zwar waren es nicht, wie die Legende glauben machen will, „Not und die harte Wirklichkeit“, die ihn nach Wien trieben; vielmehr konnte er lange Zeit auf ein recht beträchtliches Erbteil zurückgreifen, das er überdies durch eine betrügerisch erworbene Rente zu einem ansehnlichen Monatseinkommen zu erhöhen wußte. Doch zweimal im Zulassungsverfahren zur Akademie gescheitert, begann sich sein noch ziellos vagabundierender Haß zusehends gegen jene bürgerliche Ordnung zu konzentrieren, von der er sich zurückgestoßen sah. Die Ohnmachtserfahrungen des Deklassierten, der Schritt für Schritt auf abschüssige Bahn geriet, verlangten nach Deutungen, die dem verletzten Selbstgefühl Genüge taten. Eine Zeitlang behalf er sich, wie wir wissen, mit dem Überlegenheitsanspruch des verkannten Genies. Dann aber begann das Bedürfnis nach Selbstachtung die ersten noch tastenden Kontakte zu lenken zwischen dem planlos Herumstreunenden und jenen vagen politischen Vorstellungen, die er am Wege, bei den Gefährten im Männerheim, aus Schundheften und Zufallslektüre auflas. Ohne es zu wollen, hat er in „Mein Kampf“ beschrieben, wie seine Affekte sich allmählich zu politisieren und die Umrisse eines immer kompakteren Weltbildes anzunehmen begannen. Die eigentümlich penetrante Ausdünstung, die diesem Weltbild über alle Einflüsse von seiten Dritter eigen blieb, bewahrte unverlierbar dessen Ursprung und Anfangsmotive: ein Amalgam aus dem ordinären Machiavellismus des Männerheims und den Haßkomplexen eines unglücklichen, verschmähten Halbgenies.

    Seine Ideologie war und blieb bar aller Originalität. Darwinistische, rassische und pangermanische Konzepte hatte sie ebenso rezipiert wie gewisse Gefühlselemente antizivilisatorischer Natur. Dazwischen geisterten die Schatten der deutschen Romantiker sowie Wagners, Nietzsches oder Paul de Lagardes; sodann, als Reflex der Zeitstimmung, nationale, restaurative und sozialistische Vorstellungskomplexe. Bis hin zu den krausen Bestrebungen gewisser Lebensreformer und Neuheiden findet sich im Grunde kaum eine der mehr oder minder verbreiteten Strömungen jener Jahre, die nicht mindestens teil- oder zeitweise zur nationalsozialistischen Ideologie einen Akzent beigesteuert hätte. „Wir haben“, so H., „unsere Ideen von allen Sträuchern zu Seiten unseres Lebensweges aufgelesen, und wir wissen nicht mehr, wo sie herstammen“. Tatsächlich|spiegelt sein frühes Weltbild ziemlich getreu das ideologische Repertoire des Wiener Kleinbürgertums der Jahrhundertwende wider. In den Parolen der Alldeutschen Bewegung Schönerers, der bewunderten Demagogie des Wiener Oberbürgermeisters Lueger sowie der abgeschmackten Rassenphilosophie eines entlaufenen Mönches namens Adolf Lanz fand er die Thesen, Schlagworte und Losungen, die er, und darin lag seine ideologische Originalität, zum halbsystematischen Gemenge seiner eigenen Weltanschauung zusammenband. Antisemitismus und Sozialistenfeindschaft waren im übrigen modisches Gedankenklischee in der sogenannten guten Gesellschaft, deren Vorurteile H. mit dem Selbstwertgefühl des proletarisierten Kleinbürgers, der sich Besseres dünkte, übernahm.

    Der Kern der nationalsozialistischen Weltanschauung, der sich ungeachtet einiger späterer Zusätze in diesen Stichworten wiederfindet, ist oft beschrieben worden. Die Geschichte ist danach eine Geschichte von Rassenkämpfen. Die blonde Rasse als „höchstes Ebenbild des Herrn“ sei zwar zur Herrschaft über die Erde berufen, doch sehe sie sich mit wachsendem Nachdruck von den minderwertigen Mischlingsrassen, insbesondere den Juden, bedrängt, die als die große Gegenkraft die Welt mit Unterwerfung und Zerstörung bedrohten. Die Presse, die Prostitution und die Syphilis, der Kapitalismus sowohl wie der Marxismus, der Parlamentarismus, die großen Warenhäuser und das Weltbürgertum sowie jeder Begriff, mit dem sich ein vages öffentliches Unbehagen verband oder verbinden ließ, waren nur Tarnformen einer Weltverschwörung, hinter der sich die böse, hassende, blutschänderische Figur des Ewigen Juden verbarg. Kampf und Liquidation auf der einen, Bewahrung der kostbaren Schale nordischen Blutes durch Zucht und Rassenhygiene auf der anderen Seite seien nicht nur ein historischer Auftrag, sondern hätten als Erfüllung des Schöpfungsplanes Weihe und Legitimation eines göttlichen Gebots: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“

    Diese Basisvorstellung war versetzt mit einigen nationalen, imperialen und pseudosozialistischen Elementen. Ihre stupende Primitivität, die Ungeniertheit, mit der sie Vernunft, Augenschein und Moral beleidigte, haben keineswegs abstoßend gewirkt, obwohl gesagt werden muß, daß H. mit dem überzeugenden ideologischen Argument wohl die wenigsten seiner Anhänger gewonnen hat. Im Grunde und der Sache nach waren Ideen ihm gleichgültig. Weit wichtiger waren ihm ihre instrumentalen Möglichkeiten. „Jede, und auch die beste Idee“, so hat er dieses Zweckdenken mit apodiktischer Ungenauigkeit im Stil verteidigt, „wird zur Gefahr, wenn sie sich einbildet, Selbstzweck zu sein, in Wirklichkeit jedoch nur ein Mittel zu einem solchen darstellt“. Bedenkenlos hat er sogenannte „granitene“ Grundsätze über Bord geworfen, sobald sie sich den taktischen Erwägungen in den Weg stellten. Es gab keine Ideen, keinen Glaubenssatz, keinen Programmpunkt, den er nicht um der Eroberung oder Behauptung der Macht willen jederzeit zu verkünden oder preiszugeben bereit gewesen wäre – entschlossen, wie er im engeren Kreise mit gefallsüchtigem Zynismus versicherte, „jeden Tag sechs falsche Eide zu schwören“. So blieb denn auch bezeichnenderweise sein Ideensystem halbfertig, nicht ohne Ungereimtheiten, wiewohl es im Ganzen mehr Konsequenz und Dichte hat, als vielfach angenommen wird; seine ganze Intensität, sein Genie, wandte er stattdessen auf das psychotechnische Raffinement, mit dem er den von Tag und Stunde diktierten Mißgefühlen die Richtung wies.

    Die Verwendung ideologischer Elemente als Mittel zur Vernebelung oder Drapierung markiert H.s Weg von Beginn an. So hat er auf ideologische Motive gestützt, warum er 1913, nach einer Phase der brütenden Untätigkeit und der schwärmerischen Tagträume, Wien verlassen hat: „Mir erschien die Riesenstadt als Verkörperung der Blutschande.“ Auch beschwor er seine Sehnsucht, „des Glückes teilhaftig (zu) werden, an der Stelle sein und wirken zu dürfen, von der einst ja auch mein brennendster Herzenswunsch in Erfüllung gehen mußte: der Anschluß meiner geliebten Heimat an das gemeinsame Vaterland, das deutsche Reich“. Im Gegensatz dazu schließen freilich die inzwischen wiederaufgefundenen Militärpapiere H.s jeden Zweifel daran aus, daß er sogenannte Stellungsflucht begangen, sich also der militärischen Dienstpflicht entzogen hat. Der weinerliche Brief des schließlich doch Aufgespürten an den „Magistrat Linz Abteilung II“ verrät, daß er auch in München dem müßiggängerischen Stil der Wiener Jahre treu blieb. Durch den gelegentlichen Verkauf von Skizzen oder kleinen Aquarellen nach Münchener Motiven verschaffte er sich einen unsicheren Erwerb, hing apathisch den Träumen einer ruhmreichen Karriere nach, überließ sich seinem Selbstmitleid und hoffte verloren auf eine schlagartige Wende.

    Die Hoffnung trog nicht. Es existiert eine berühmte Zufallsaufnahme vom 1.8.1914; sie zeigt H., anläßlich der Proklamation des Kriegszustandes, unter der begeisterten Menge auf dem Münchener Odeonsplatz. Deutlich vermeint man, in den Zügen die Spuren jener ekstatischen Erregtheit zu entdecken, die er für jene Tage bezeugt hat: „Mir selber kamen die damaligen Stunden wie eine Erlösung aus den ärgerlichen Empfindungen der Jugend vor. Ich schäme mich auch heute nicht, es zu sagen, daß ich, überwältigt von stürmischer Begeisterung, in die Knie gesunken war und dem Himmel aus übervollem Herzen dankte.“ Wider alles Erwarten verschaffte dieser Krieg ihm die Möglichkeit, der Problematik eines unbewältigten Lebens zu entkommen und aus der Einsamkeit der zurückliegenden Jahre in die Geborgenheit einer festgefügten Gemeinschaft zu flüchten. Zum ersten Male hatte er eine Aufgabe, durfte er sich solidarisch fühlen und das Prestige einer gewaltigen und furchteinflößenden Institution auf sich selber beziehen.

    Mit dem Ende des Krieges kam, was der unerschrockene und dekorierte Meldegänger H. offensichtlich vor allem gefürchtet hatte: die drohende Rückkehr in die Schrecken der Normalität. In dem Verzweiflungsausbruch, mit dem er auf die Nachricht von der deutschen Niederlage reagierte, bekundete sich weniger ein nationales, als vielmehr ein panisches privates Verlorenheitsgefühl.

    Der pathetisch memorierte Beschluß, Politiker zu werden, mit dem H. das Kapitel seines Buches „Mein Kampf“ über die Revolution 1918 abschließt, hatte in der Tat alle Merkmale einer Verlegenheitslösung. Der Vorgang bestätigt die Auffassung, wonach alle persönlichen „Entscheidungen“ im Leben H.s lediglich Ausweichbewegungen, Reaktionen mit Fluchtcharakter gewesen seien: vom Schulabgang und dem Weg nach Wien, über den Krieg und die ersten Schritte in die Politik bis hin zu erneutem Krieg und ratlos hinausgezögertem Untergang. Entgegen dem populären Bild vom energischen und entschlußfreudigen Führer betonen alle Zeugnisse, die wir besitzen, übereinstimmend H.s ungewöhnliche Unschlüssigkeit, seine Neigung, eine Entwicklung dem Wirken zufälliger Kräfte anheimzugeben und sich erst, wenn Umstände oder Gegner ihm keine freie Wahl mehr ließen, zum Entschluß zu zwingen. Was er Schicksal oder Vorsehung nannte, war nichts anderes als die Rationalisierung seiner Entscheidungsscheu.

    Der Wunsch, den Pflicht- und Ordnungsansprüchen der verhaßten bürgerlichen Welt zu entgehen, hat denn auch alle Schritte des Kriegsheimkehrers gelenkt und den V-Mann des Reichswehrgruppenkommandos und Aufklärungsredner allmählich in die Kulisse der bayerischen politischen Szene geleitet: Politik verstand und betrieb er als den Beruf dessen, der ohne Beruf ist und bleiben will. Ziellos sich treiben lassend, sammelte er seine ersten psychologischen und rhetorischen Erfahrungen. Von den Gesichtern der heimgekehrten Soldaten, die sich um alles betrogen sahen, was ihrer Jugend Größe und Gewicht gegeben hatte: die Opfer, den Heroismus und die Zuversicht, las er allen ratlosen Groll ab und lernte es, ihren blinden Aggressionen festumrissene Feindvorstellungen zu verschaffen. Novemberverbrecher, die jüdisch-marxistische Weltverschwörung, nationale Schmach, das System, Versailler Schande, Juda, Dolchstoß: das waren die aktuellen Schlagworte, die seine ersten Redeübungen trugen.

    Eine Reihe von Zufällen, die ihn wiederum in passiver und unschlüssiger Haltung sah, hat ihm schließlich, im September 1919, die Mitgliedschaft einer unbedeutenden völkischen Gruppe, der Deutschen Arbeiterpartei, eingetragen. Er selbst hat sein Zögern beschrieben, ehe er sich, teils mißgelaunt, teils belustigt, vor allem aber aus zielloser Verlegenheit dazu entschloß, einige Zusammenkünfte des „Spießervereins“ zu besuchen. Keine Partei im engeren Sinne, sondern eher Typ der für das München jener Jahre kennzeichnenden Mischung von Geheimbund und Dämmerschoppen, verhockte sie sich in den Hinterstuben lokaler Bierwirtschaften, ehe H. sie an die Öffentlichkeit zu drängen begann. Der 16.10.1919 ist für sie nicht anders als für ihr neues Mitglied entscheidend geworden: Auf ihrer ersten öffentlichen Veranstaltung, vor 111 Personen, ergriff H. als zweiter Redner des Abends das Wort. In einem unaufhaltsam sich steigernden Redestrom entluden sich die lange gestauten Affekte, wie in einem Ausbruch aus der Wort- und Kontaktlosigkeit der zurückliegenden Jahre überstürzten sich die Sätze, die Wahnbilder, die Anklagen, „nach dreißig Minuten waren die Menschen in dem kleinen Raum elektrisiert“, während er selbst sich, glücklich, der überwältigenden Erfahrung hingab: „Ich konnte reden!“

    Es war der Durchbruch zu sich selbst, das große Befreiungserlebnis, dessen erlösende Bedeutung noch die Tonlage seiner Erinnerung an diesen Abend geprägt hat. Vor oder doch neben aller politischen Leidenschaft war es dieses Verlangen nach Selbstbestätigung, das ihn nun immer erneut auf die Rednertribüne trieb und suchen ließ, was|er dort einmal mit orgiastischen Erfüllungsgefühlen an sich erfahren hatte. Augenzeugen und frühe Gefährten haben auf die Unscheinbarkeit des H. jener Jahre verwiesen, seine glanzlose, eher triviale Erscheinung; erst wenn er in die alsbald immer dichter gedrängten Spaliere eintrat, durch tobende Menschenmauern schritt, einsam, selbstentrückt, doch medial bereit, sich von der Kraft erfüllen und emportragen zu lassen, die im Erwartungsschrei der Massen laut wurde, schien er eine andere, unwiderstehliche Identität zu gewinnen. Er selbst hat bekannt, vor jubelnden Menschenmassen werde er., ein anderer Mensch“. Es bedarf nur eines Blickes in sein Bekenntnisbuch „Mein Kampf“, um den Ursprung dieser Veränderung greifbar zu machen: nicht nur begrifflich pflegte er die Masse mit „dem Weibe“ gleichzusetzen; vielmehr weckte ihre Vorstellung eine durchaus erotische Inbrunst und bezeichnenderweise verhalf sie auch dem gestockten, wie im Starrkrampf formulierenden Stil des Buches zu den einzigen gelösten Passagen. In den immer gieriger begehrten Vereinigungen fand der Kontaktgestörte seine Ersatzbefriedigungen, nur die rhetorischen Ausbrüche mit ihren ekstatischen Selbslbefreiungen öffneten ihm einen Weg aus der monströsen Enge und Gebundenheit seines Wesens.

    Mit untrüglichem Instinkt hat er es alsbald verstanden, sich den Stimmungen, Wünschen oder Vorurteilen eines anfangs oft genug skeptisch, feindselig oder belustigt gestimmten Publikums anzupassen und jene Kontaktschlüsse herbeizuführen, mit denen er eine wachsende Anhängerschaft gewann. Neben den Angehörigen der traditionell nationalgesinnten, von der um sich greifenden Inflation ökonomisch besonders hart betroffenen und von der Niederlage seelisch desorientierten Mittelschichten, waren es insbesondere die Kriegsheimkehrer, die wie er vom „Fronterlebnis“ geprägt waren und in den eindeutigen Befehls- und Abhängigkeitsverhältnissen militärischer Ordnungen ihre Wertvorstellungen entwickelt hatten, die seinen radikalen Appellen Gehör schenkten. Auch förderte die Reichswehr, insbesondere in der Person des Hauptmanns Röhm vom Münchener Reichswehrgruppenkommando, die nationale Aktivität des neuen, demagogisch so überaus gewandten Mannes. Zusehends sah H. sich auch von einigen Mitgliedern der guten Münchener Gesellschaft akzeptiert und bald umworben, die in dem Kunstschüler, dem Wagner-Schwärmer, ressentimentgeladenen Nationalisten und Saalschlachtheroen tiefere Zugehörigkeiten witterten. Das Parteiprogramm, das unter redaktioneller Assistenz H.s formuliert und von ihm auf einer Versammlung am 24.2.1920 verkündet wurde, trug noch ganz den kleinbürgerlichen Ursprüngen der Partei Rechnung; seit mit dem Beginn des Jahres 1923 das Land durch Ruhrbesetzung, Inflation, linke Unruhen in Hamburg, Sachsen und Thüringen sowie separatistische Bestrebungen im Rheinland in eine tiefe Krise geraten war, gewann H. die Möglichkeit, an breitere Schichten zu appellieren und seine rhetorische Verwirrkunst immer allgemeiner ins Spiel zu bringen. Im Frühjahr 1923 war die Partei, in der er sich inzwischen zum unumstrittenen, auf völliger Unterwerfung bestehenden Führer aufgeschwungen hatte, die stärkste und geschlossenste politische Machtgruppe in Bayern mit annähernd 50 000 Anhängern.

    Dieser beachtliche Aufstieg hat zweifellos H.s Selbstbewußtsein außerordentlich gesteigert und ihn zu dem schließlich unter dilettantischen Begleitumständen gescheiterten Putsch vom November 1923 verleitet. Eine erhebliche Rolle spielte bei dem Entschluß jedoch auch das merkwürdig Undefinierte Verhältnis der NSDAP zur Staatsgewalt. Denn H. beabsichtigte nicht einfach, die Macht gewaltsam an sich zu reißen, sondern sich eher zu ihrem Komplizen zu machen, wie denn überhaupt seine Taktik darauf zielte, revolutionär zu scheinen und sich zugleich als Verteidiger der bestehenden Verhältnisse anzupreisen, die Ordnung zu bedrohen und zugleich als ihr Bewahrer aufzutreten. So stürmte er am Abend des 8. November 1923 in eine Versammlung der konservativen bayerischen Prominenz im Bürgerbräukeller und proklamierte im Anschluß an einen theatralischen Überrumpelungsakt eine nationale Regierung. Doch Planlosigkeit und H.s Nervenschwäche bereiteten dem Unternehmen ein eher blamables Ende. Die Gewehrsalve am folgenden Mittag vor der Feldherrnhalle stoppte nicht nur einen ins Leere laufenden Demonstrationszug, sondern vorerst auch H.s Aufstieg. Im Widerspruch zu seinem Gelöbnis vom Vorabend, das in einer der radikalen Alternativen, die er liebte, den Erfolg des Unternehmens oder das Ende der Putschisten vorausgesagt hatte, floh er vor den Schüssen der Landespolizei und ließ seine Gefolgsleute panisch im Stich. Wenige Tage später wurde er in einem Landhaus in Uffing am Staffelsee verhaftet.

    Die Art freilich, in der H. aus der Niederlage die Lehre für seine weitere Laufbahn und ihre taktischen Erfordernisse zog, bewies Einsichtsvermögen, undoktrinäre Phantasie|und politische Klugheit. Er selber hat denn auch den Fehlschlag vom 8./9. November 1923 als das „vielleicht größte Glück“ seines Lebens bezeichnet.

    In der Tat ist der Prozeß vor dem Münchener Volksgericht zum entscheidenden Wendepunkt seines Selbstverständnisses geworden. In seiner taktisch wie rhetorisch gleichermaßen brillanten Verteidigung zog er alle Schuld für das gescheiterte Unternehmen auf sich, um damit zugleich sein Verhalten im höheren Namen vaterländischer und historischer Pflicht zu rechtfertigen; und über den kläglich wirkenden Versuchen der mitverantwortlichen Honoratioren, Ludendorff und von Kahr an der Spitze, sich von dem doch seit Monaten in verschwörerischem Einverständnis betriebenen Projekt zu distanzieren, entfaltete er herausfordernd das neu gewonnene Sendungsbewußtsein: Von diesem Tage an erkannte er niemanden mehr über sich, von nun an sah er sich nicht mehr als „Trommler“ und Vorläufer, sondern als den Retter selbst, den Führer.

    Diese Erfahrung ist zugleich der Anstoß und Ausgangspunkt seines unter neuen Voraussetzungen begonnenen Kampfes um die Macht geworden. Zwar hatte er auch bei seinem ersten Anlauf die Lehre Luegers bedacht, daß der Politiker sein Hauptaugenmerk einerseits auf die in ihrer Existenz bedrohten Schichten des Volkes und andererseits auf das Wohlwollen einflußreicher Kreise und Institutionen zu richten habe; davon zeugten seine Reden ebenso wie seine vielfältigen Verbindungen zur völkischen Honoratiorenschaft Münchens, zumeist in den Salons mütterlicher Freundinnen hergestellt, die sich mit später Entschiedenheit um ihn drängten. Aber irrig und, wie er jetzt erkannte, zum Scheitern verurteilt war nicht nur der Versuch, den Konflikt mit der Reichsgewalt lediglich auf der bayerischen Ebene vorzubereiten, sondern der Gedanke an eine Lösung durch Konflikt überhaupt. Entscheidend war seine Einsicht, daß die gewaltsamen, putschistischen Konzepte für den Griff nach der Staatsmacht ungeeignet seien und nur eine legalistische Taktik Erfolg verspreche. Gewiß bedeutete das nicht die Bereitschaft H.s, die Verfassung künftig als verbindliche Schranke seines Eroberungsstrebens zu akzeptieren; vielmehr bedeutete es nur, der einmal erfahrenen Bedrohung durch die Gewehrläufe der Macht so lange auszuweichen, bis ihm selbst die Verfügungsgewalt über diese Gewehrläufe gebührte. „Zwar wird es länger dauern“, so erklärte er, „unsere Gegner zu überstimmen als sie zu erschießen, am Ende aber wird uns ihre eigene Verfassung den Erfolg zuschieben“.

    An dieses Rezept hat H. sich in den folgenden Jahren strikt gehalten, obwohl es angesichts der Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse seinen Aufstieg beträchtlich verzögerte. Ein erster Schritt aus dem Getto der Splitterparteien gelang ihm mit Hilfe der gleichen antirepublikanischen Rechten, die wie die bayerische Honoratiorenschaft des Jahres 1923 glaubte, den nationalen Agitator für die eigenen Zwecke einspannen zu können: Das Bündnis mit dem deutschnationalen Parteiführer Hugenberg und die wachsende Unterstützung durch einflußreiche Gruppen vor allem der Schwerindustrie eröffneten ihm neue Chancen und den Zugang zu beträchtlichen finanziellen Mitteln, ohne daß er sich freilich je von seinen Gönnern abhängig machte.

    Der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre hat dann jene Notstandslage erneuert, die H. schon 1923 begünstigt hatte. Nur stand jetzt eine in den zurückliegenden Jahren der äußeren Stagnation aufgebaute, auf Schlagkraft und Expansion halbmilitärisch organisierte Kaderpartei bereit, die elastisch genug war, große Massen aufzunehmen, und alsbald ungeduldig zur Aktion zu drängen begann. H. dagegen hat seine einmal beschlossene Legalitätstaktik gegen alle Revolten der Ungeduld in den eigenen Reihen verteidigt und die Unterhöhlung der Verfassung ihrer Überwältigung vorgezogen. Dabei räumten ihm die demokratische Prinzipientreue der öffentlichen Gewalten sowie die in immer kürzeren Abständen angesetzten Wahlen die Möglichkeit ein, seine demagogische Virtuosität lärmend zu entfalten und die Anwartschaft auf die Macht mit wachsenden Stimmengewinnen zu begründen. Im Frühjahr 1932 fühlte er sich stark genug, selbst gegen die von legendären Lichtern umgebene Idolfigur der Rechten, den Feldmarschall und derzeitigen Reichspräsidenten von Hindenburg, im Kampf um die Präsidentschaft anzutreten, und gewann dabei tatsächlich über ein Drittel der Stimmen. Noch einmal geriet er, Ende 1932, mit seiner Partei in eine gefährliche Krise, als einer seiner engsten Gefolgsleute, Gregor Strasser, für eine bloße Beteiligung der NSDAP an der Regierung plädierte, während H. selber unnachgiebig auf der Auslieferung der ganzen Staatsgewalt beharrte. Unter Weinen und Selbstmorddrohungen erstickte er den Wankelmut seines Anhangs. Er vertraute dem Zufall, der ihm so oft beigestanden hatte, der Schwäche und Ratlosigkeit seiner Gegner sowie der eigenen Kraft.

    Dieses Konzept hat ihn, waghalsig und selbstgewiß wie es war, am 30. Januar 1933 ans Ziel gebracht. Er hat es auch in den ersten Monaten seiner Kanzlerschaft dem innerpolitischen Eroberungsprozeß zugrunde gelegt und schließlich seine außenpolitische Handlungsweise daran orientiert: Durchweg zeigte er sich bemüht, den Schein der Legalität zu wahren, stets verband er die Akte einer revolutionären oder imperialen Überrumpelung mit Beteuerungen seiner Rechtlichkeit sowie dem Bekenntnis zu Frieden und Ordnung. Mal um Mal halfen ihm dabei der Zufall, die echte oder vorgetäuschte Kraft sowie die Unsicherheit der Gegner. Wie er als Kanzler eines mit nur 3 Nationalsozialisten besetzten Koalitionskabinetts alsbald alle Kontrahenten überspielte, setzte er auch in der Außenpolitik seine Absichten lange Zeit unangefochten durch. Zwar haben hier wie dort Lüge, Erpressung und gebrochene Versprechungen seinen Erfolgen vorgearbeitet; hier wie dort aber wurden sie letzten Endes möglich, weil seine Gegner keine Klarheit darüber zu gewinnen vermochten, ob seine Dynamik durch vorsichtiges Entgegenkommen oder energische Zurückweisung aufzufangen sei, ehe sie allemal wählten, was ihrer Illusionsbereitschaft entgegenkam.

    Der reibungslose Ablauf des Machteroberungsprozesses wurde allerdings nicht nur durch die geschickt aufgebaute Legalitätskulisse ermöglicht, die den Blick auf die zahlreichen Unrechtsakte im einzelnen und die Rechtswidrigkeit des Systems im ganzen verstellte; vielmehr hat das Regime sich auch die von der Weimarer Republik eher nachlässig behandelten patriotischen Empfindungen nutzbar machen und als „nationale Revolution“ eine zusätzliche suggestive Formel für seine Machtambitionen vorweisen können. Auf der gleichen Linie lag, daß gewisse Institutionen und Bereiche des Öffentlichen wie beispielsweise die zivile Gerichtsbarkeit vom gleichschaltenden Zugriff zunächst verschont blieben, und alle diese taktischen Elemente und Kunstgriffe zusammen haben dem Machteroberungsprozeß eine beträchtliche Undurchsichtigkeit verliehen. Soweit überhaupt Besorgnisse über die doch nicht ganz zu verheimlichenden Gewaltanwendungen des Regimes verspürt und nicht einfach mit der groben Formel verdrängt wurden, daß immer auch Späne fielen, wo gehobelt werde, hoffte man gerade, durch bereitwillige Mitarbeit die „schlimmsten Auswüchse“, die offene Überschreitung rechtlicher Grenzen zu verhindern und den von H. immer wieder ins Spiel gebrachten, drohend zur Verfügung gehaltenen revolutionären Willen vor allem der SA zu bändigen. Im ganzen haben diese Bemühungen aber, an denen Beamtenschaft, Armee und das große Korps der Fachleute, aber auch die Parteien, die Gewerkschaften, die Kirchen und vor allem der gleichermaßen national wie gesetzespositivistisch befangene Juristenstand jeder auf eigene Art beteiligt waren, gerade die totalitären Ansprüche des Regimes gestützt, die sie, teilweise zumindest, abzuwenden trachteten.

    Indes hat nicht nur diese virtuos angewendete Verschleierungstaktik der neuen Machthaber verwirrend gewirkt, sondern auch die geradezu überfallartige Abfolge des totalitären Gleichschaltungsprozesses, der Schlag auf Schlag immer neue Stellungen des Gegners aufbrach und den ohnehin geringen oder entmutigten Kräften, die sich zu widersetzen versuchten, keine Möglichkeit zur Sammlung und Formierung der eigenen Reihen ließ. Es sei seine Absicht gewesen, „die Macht schnell und in einem Zuge zu erobern“, hat H. bereits im Juli 1933 vor den Gauleitern bekannt. Von der Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes in der ersten Woche seiner Kanzlerschaft, der zwei Tage später schon erfolgenden Exekution gegen das Land Preußen und der sogenannten Reichstagsbrandverordnung vom 28.2.1933, die bereits die Situation des permanenten Ausnahmezustandes etablierte, über das Ermächtigungsgesetz, die Gleichschaltung der Gewerkschaften und der Parteien sowie der Länder bis hin zu dem Dekret von Anfang Juli 1934, das die im Zusammenhang mit der Röhm-Affaire verübten Morde kurzerhand für rechtens erklärte und den Prozeß der Machtergreifung abschloß, erwies jeder Schritt sich als die Konsequenz des voraufgegangenen, während er seinerseits wiederum die sachliche, machttechnische oder gesetzliche Voraussetzung für den nächstfolgenden schuf.

    Die ingeniöse Verzahnung dieses Hergangs darf freilich nicht zu dem Schluß verleiten, alles sei Kalkül und leidenschaftslose Berechnung im Machtplan eines dämonischen Über-Machiavellisten gewesen. Was H. neben den Zufällen seines Spielerglücks als Leistung beisteuerte, waren vor allem sein psychologisches Einfühlungsvermögen, das Bewußtsein des richtigen Augenblicks sowie die betäubende Dynamik und Brutalität der Aktionen. Gerade im Verlauf der Erledigung seines alten Kumpanen und Duzfreundes Ernst Röhm, der für das betrügerische Konzept der pseudolegalen Machteroberung kein Verständnis gezeigt hatte, wurden Leistung und „Geheimnis“ seiner Erfolge wie am Modellfall sichtbar. Gleichzeitig allerdings warf H.s blutiges Vorgehen für einen verräterischen Augenblick den sorgfältig aufgebauten Scheinprospekt um und gab den Ausblick auf den Hintergrund der Bühne frei, wo er und die übrigen führenden Akteure der „legalen Revolution“ ohne jede Verkleidung, in der bedingungslosen Unnachgiebigkeit ihres Machtanspruchs, sichtbar wurden. Anfang August 1934 hatte er alle staatlichen Gewalten in seiner Hand, ehe er – in einem Akt institutioneller Abrundung seiner Macht– auch die faktische Nachfolge Hindenburgs als Reichspräsident antrat. „In den nächsten tausend Jahren“, so proklamierte er auf dem Parteitag in Nürnberg, „findet in Deutschland keine Revolution mehr statt“.

    H. war am Ziel. Und wie er in den zurückliegenden Monaten Regisseur und unbestritten dominierender Bezugspunkt des Geschehens gewesen war, so war es nun auch ihm allein und seinem vor wirkungsvoller Kulisse entfalteten Charisma zuzuschreiben, daß das Regime über die Macht hinaus die bis dahin nie gewonnene Mehrheit des deutschen Volkes eroberte. H.s taktisches Vermögen sah sich jetzt durch sein Repräsentationsgenie ergänzt: ein Theatermensch, der einem unpolitischen Volk Theaterbedürfnisse als Politik ausgeben konnte. Seinen jeweiligen Bedürfnissen und Zielsetzungen entsprechend, konnte er die Macht drohend, düster, pompös zur Geltung bringen oder aber ihre Schrecken jovial bagatellisieren: in aufgeräumter Laune im Kreis von Filmschauspielerinnen, beim Eintopfessen vor der Gulaschkanone, auf Galavorstellungen in Bayreuth oder treuherzig mit Kindern und alten Kämpfern. Das Prinzip der Zweispurigkeit, das stets seine Taktik geleitet und ihr die verwirrenden, nie eindeutig faßbaren Linien aufgeprägt hatte, bestimmte auch weiterhin seine Verhaltensweisen.

    Gerade diese Genrebilder der Selbstdarstellung haben in all ihrer anheimelnden Verlogenheit ihre Wirkung nicht verfehlt und das Urteil der an ihren moralischen Kategorien ohnehin irre gewordenen Zeit über den Charakter des Regimes erheblich beirrt. Auch hat die Entschiedenheit, mit der es das Autoritätsvakuum vergangener Jahre beseitigte, dem nationalen Selbstbewußtsein aufhalf und einem ordnungssüchtigen Volke Ordnung schuf, die aufkommenden Zweifel beschwichtigt, nicht anders übrigens als der wirtschaftliche Aufschwung, der so überzeugend mit dem Machtantritt der neuen Männer zusammenzureimen war. Selten jedenfalls in seiner Geschichte, so wird man im ganzen und allen späteren Legenden zum Trotz sagen müssen, hat das deutsche Volk sich so eins gefühlt mit sich selbst, und zumindest im Überschwang der ersten Phase dem neuen Regime das Erlebnis einer nahezu klassenlosen Gesellschaft gedankt. Die Erscheinung, die eine apologetische oder doch pädagogisch denkende Geschichtsschreibung später „den“ Widerstand gegen Hitler genannt hat, hat strenggenommen nie existiert; und die vereinzelten Akte einer im Grunde immer nur individuellen Gegenwehr, die es tatsächlich gegeben hat, sind in all ihrer Verlorenheit gerade ein Zeugnis für das Ausmaß der Zustimmung.

    Immerhin zeichnete sich das helle Bild auf dunklem Grunde. Nicht nur die nie verstummenden Gerüchte über die Mord- und Willkürpraxis in den Konzentrationslagern schufen Besorgnisse; auch die Diffamierung von Minderheiten, der Rassenkult, die Kirchenpolitik der Staatsführung, der Druck auf Wissenschaft und Lehre, die engherzige Kunstpolitik des Regimes, deren Normen die Rachebedürfnisse des gescheiterten Kunstschülers widerspiegelten, der Übermut der Amtswalter oder die teilweise unerträgliche Überorganisierung des Menschen, der nach den Plänen der Führung im Kindesalter „erfaßt“ und buchstäblich, wie Robert Ley gelegentlich äußerte, bis zum Grabe nicht mehr freigelassen werden sollte – das alles erzeugte Elemente einer Beunruhigung, die freilich von einer wirkungssicheren Propaganda immer wieder unterhöhlt und fortgespült wurden, anderes kam in verschwiegenen Unmutsäußerungen zu konsequenzenlosem Ausdruck. Die vielfach gehegten Erwartungen, die Macht und der ihr innewohnende Zwang zur Verantwortung werde auf H. mäßigend wirken, bewahrheiteten sich nicht, er blieb, allem populären Anschein zum Trotz, der radikalste Nationalsozialist, dessen persönlicher Initiative auch und gerade die gewalttätigen Züge im Bilde des Regimes entsprangen.

    Der Staat, über den er nahezu uneingeschränkt verfügte, wirkte alsbald in zahlreichen Einzelzügen wie ein Abbild seines Wesens: Die nackten Machtabhängigkeiten in den menschlichen und sachlichen Beziehungen bei zunehmender Verwilderung aller machtindifferenten Bereiche; die prahlerische Brutalität der Willensbetätigungen; die Degradierung des Rechts, das H. immer fremdartig oder allenfalls als höchst raffiniertes Betrugssystem erschienen war; die theatralische und großmannssüchtige Kälte der staatlichen Repräsentation in Kundgebungen und Bauten sowie schließlich der gänzliche Mangel an Gelöstheit, an innerer Souveränität –|dies alles war in seiner spezifischen Gestalt nicht so sehr Ausdruck einer dem Regime an sich innewohnenden Eigenart als vielmehr die getreue Spiegelung der Psychopathologie dieses Mannes in den staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen.

    So straff und gegliedert denn auch der Machtapparat des H.reiches der vordergründigen Betrachtung erschien, so chaotisch und ungeordnet erwies es sich bei näherem Zusehen. Zwar kam darin eines der Grundprinzipien konsequent totalitärer Herrschaft zum Ausdruck: die Maxime von der Unverläßlichkeit aller Autorität. Denn die bewußt unklar gehaltenen Kompetenzen vorsetzen nicht nur den einzelnen Bürger in einen Zustand äußerster Unsicherheit, sondern schaffen zugleich auf allen Ebenen Machtkomplexe, die ihre Energie in rivalisierenden Auseinandersetzungen so weit verbrauchen, daß die Herrschaftsspitze ungefährdet bleibt. Darüber hinaus jedoch spiegelte diese Unordnung auch die Herkunft der führenden Männer des Regimes aus der politisierenden Großstadtbohème.

    H. selbst geriet, nach Abschluß des stürmisch vorangetriebenen Machteroberungsprozesses, zusehends in die alten müßiggängerischen Bahnen. Schon nach kurzer Zeit weigerte er sich, den administrativen Verpflichtungen der Kanzlerschaft nachzukommen. Der Äußerung des Achtzehnjährigen entsprechend lehnte er, was „Brotberuf“ daran war, für sich ab. Alsbald trachtete er, dem Druck der Amtsgeschäfte durch ausgedehnte Abwesenheit von Berlin zu entgehen; offenbar ziellos vergeudete er seine Tage, den sprunghaft wechselnden Neigungen folgend. Stumpf, müde vom Leerlauf, saß er fast Abend für Abend bis zu fünf Stunden in seinem Privatkino, er bevorzugte anspruchslose Gesellschaftskomödien mit plattem Witz und sentimentalem Ausgang. Mitunter mochte es ihm vorkommen, als habe sich jener Jugendtraum, den er an den Kauf des Lotterieloses geknüpft hatte, für ihn doch noch erfüllt, nur daß die Ebene edler Herumtreiberei alle einstigen Vorstellungen weit hinter sich ließ. Nur gelegentlich brach er aus seiner bleiernen Untätigkeit unvermittelt in wahnwitzig anmutende Unrast aus. Der Eindruck der Atemlosigkeit, der von ihm ausgeht, hat in diesen abrupten Phasen einer plötzlichen und überfallartigen Aktivität seine Ursache.

    In den Rechtfertigungsbemühungen der führenden Helfershelfer des Regimes taucht immer wieder die Formel von der allmählichen Entwicklung H.s zum Bösen auf. Die populäre Version dieses Arguments rühmt die Autobahnen und die „Kraft-durch-Freude“-Reisen nach Madeira, die Ordnung im Lande und den Respekt vor ihm in der Welt. Erst vom Jahre 1938 an habe H. in einer Schwenkung, die alles Voraufgegangene verleugnete, geradezu „krankhaft“ reagiert und neben der materiellen zugleich auch die moralische Existenz des bis dahin fähigen, wenn auch strengen Regimes aufs Spiel gesetzt. Im Rahmen dieser Argumentation erscheint der Krieg lediglich als vermeidbarer Irrtum und beispielsweise die Ausrottung der Juden als ein Akt beziehungsloser Unvernunft. Aber Krieg, Verfolgung von Minderheiten oder Ausrottungspraktiken waren in Wirklichkeit keine Ungereimtheiten, in denen das Regime sich selbst untreu wurde; sie waren dessen Konsequenz und nicht zu trennen von dem tüchtigen Durchsetzungsstil, mit dem es im Innern Ordnung schuf. Die Umformung der Gesellschaft in eine total dirigierbare Verfügungseinheit erhielt ihren Sinn erst bei expansiven Zielsetzungen; erst in Krieg und Ausrottung verwirklichte das Regime sich selbst. Allerdings wich H. mit dem Krieg, den er in den ersten Septembertagen des Jahres 1939, ungeduldig, verwöhnt von seiner „fortune“, aber auch getrieben von dem Gedanken an einen frühen Tod, provozierte, gleich in zweifacher Weise von dem Rezept ab, dem er soviel verdankte. Denn er wiederholte im Grunde außenpolitisch den Fehler vom November 1923. Einiges spricht immerhin dafür, daß er mit seiner Taktik der vorgetäuschten Friedwilligkeit, die „unverzichtbare Forderungen“ mit Gesten scheinbarer Nachgiebigkeit verband, einen Teil selbst seiner ausgreifenden Ziele erreicht hätte. Doch korrumpiert vom Gefühl der Unbezwinglichkeit, verblendet vom Erfolg, gab er sie auf und griff wieder, alle Erfahrungen und Warnungen in den Wind schlagend, auf die „putschistische“ Lösung zurück, um wiederum, wie schon beim ersten Versuch, doch nun in verheerend vergrößertem Maßstab, zu scheitern.

    Doch auch die Richtung des Konflikts widersprach der ursprünglichen Intention. H. hat gelegentlich behauptet, sein Weltbild habe sich seit seinen Wiener Tagen nicht verändert. Wie sehr diese Behauptung auch von dem Stilisierungswillen eines Mannes geprägt gewesen sein mag, dessen Denkmalsbegriff von staatsmännischer Größe keinen Wandel der Überzeugungen oder Absichten zuließ, so ist doch allen Beobachtern und Zeitgenossen stets die Starrheit des H.schen Denkens und Fühlens, seines Wesens überhaupt, aufgefallen. Zumindest seit Anfang der 20er Jahre haben seine politischen Ziele|sich im Umriß tatsächlich nicht geändert. Aber der Krieg gegen England und wohl auch der gegen Frankreich, die kriegerische Verwicklung nach Westen überhaupt, warf das Konzept von einst an entscheidender Stelle um oder war doch, so mochte er selber es zunächst sehen, ein unnötiger und erschwerender Umweg. Denn streng genommen wollte H. außenpolitisch die Konstellation wiederholen, die ihn 1933 im Innern zur Macht gebracht hatte: mit dem „Mandat“ oder doch der Deckung der konservativen Mächte die kommunistische Drohung beseitigen und dabei zugleich den weit ausgreifenderen Weltmacht-Ambitionen Genüge verschaffen.

    H.s Risikobereitschaft stützte sich auf eine ganze Kette gravierender Fehlbeurteilungen. Dazu rechnete, daß er zu diesem Zeitpunkt die Nation weit genug auf ein einheitliches Denk- und Gefühlsschema ausgerichtet wußte, um einer kriegerischen Auseinandersetzung standzuhalten. „Propaganda, Propaganda, es kommt jetzt nur noch auf Propaganda an!“, hatte er, dem Bericht eines Augenzeugen zufolge, in der hektischen Nacht vor dem 9. November 1923 unentwegt gerufen; doch hatte er damals noch gewußt und geschrieben, daß die Propaganda auch einer zündenden, die Menschen mobilisierenden Idee bedürfe, um wirklich erfolgreich zu sein. Für den Krieg, den er nicht ohne spürbaren Mutwillen entfesselt hatte, verfügte er weder im Innern noch nach außen über ein suggestives Motiv, und tatsächlich hat er das deutsche Volk nie, wie er sich zynisch einredete, durch propagandistische Beeinflussung so weit gebracht, daß es nach der Gewalt zu schreien begann. Die gedrückte Stimmung in den Tagen des Kriegsausbruchs hat seine Erwartungen unverkennbar widerlegt.

    Der auffälligen Fehlberechnung der psychologischen Situation entsprach ein folgenreicher politischer Irrtum. In seiner Nüchternheit und rohen Rationalität, die so lange einen Teil seiner Überraschungserfolge mitgetragen hatte, hielt er es für undenkbar, daß eine Weltmacht wie England einen Garantievertrag ohne Aussicht auf greifbaren Gewinn, nur um ihrer Glaubwürdigkeit, ihrer Ehre und mißbrauchten Geduld willen, einhalten werde. Zum ersten Mal, drei Tage nach dem Beginn des Krieges, rächten sich die Verachtung der Wirklichkeit und das zum Unfehlbarkeitsmythos des begnadeten Führers stilisierte Vertrauen auf die eigene Intuition.

    Auch die wirtschaftlichen und rüstungstechnischen Vorbereitungen waren eher ungenügend, gemessen zumindest an dem Grad der Herausforderung. Gewiß war der Krieg von H. nicht zuletzt gerade ausgelöst worden, um seine eigenen Voraussetzungen im Zuge umfassender Eroberungen erst zu schaffen. Aber zuviel war unter Zeitdruck entstanden, zuviel improvisatorischer Eingebung überlassen und zuwenig unter dem Aspekt eines Weltkrieges betrieben worden: nicht systematisch und zielbewußt, sondern launisch, ungeregelt, mit sprunghaft wechselnden Prioritäten. Seine Schaffensweise, meinte Goebbels, sei auf jedem Gebiet die des „echten Künstlers“. Und was für die technische Vorbereitung des Krieges galt, galt auch für die damit verfolgten Ziele. Aufgebracht meinte der zeitweilige Generalstabschef Halder, H. habe, so unglaublich es klingen möge, nicht einmal einen Generalplan für den Krieg gehabt.

    Die raschen, mühelos wirkenden Erfolge zu Beginn verbargen freilich dies alles. Eine Serie atemberaubender Blitzfeldzüge bestimmte die erste Phase des Krieges. Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland, Kreta sowie die vom italienischen Verbündeten verlorene Cyrenaika wurden jeweils innerhalb von Tagen geschlagen oder erobert. Aber gerade die scheinbare Mühelosigkeit dieser Siege war die Ursache für einen weiteren Irrtum H.s, vermutlich verhängnisvoller als alle anderen, weil er sie alle in sich aufnahm und steigerte. Denn nunmehr schaltete er sich mit dem Eifer, aber auch mit der Unduldsamkeit des Dilettanten immer nachhaltiger in die militärische Führung des Krieges ein, bis er schließlich jeden Erfolg nur noch als Ergebnis persönlicher Inspiration, Einfallsfülle und Feldherrnkunst ansah. „Das bißchen Operationsführung kann jeder machen“, äußerte er mit geringschätzigem Blick auf die Generalität, als er den Oberbefehl über das Heer selbst übernahm, und ließ sich von Goebbels, tief befriedigt, als „größter Feldherr aller Zeiten“ feiern.

    Dabei ist kaum zu bestreiten, daß seine autodidaktische Unbefangenheit zumindest bei Beginn eher anregend auf die militärischen Entscheidungen gewirkt hat. Auch wird man ihm den Sinn für die Möglichkeiten moderner Kriegführung nicht absprechen können, wie er beispielsweise in der von ihm ins Werk gesetzten Aufstellung motorisierter und gepanzerter Verbände zum Ausdruck kam. Daneben besaß er vor allem ein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen in die Psychologie des Gegners, das sich in sicher gesetzten Überrumpelungseffekten, in der zutreffenden Voraussicht taktischer Gegenzüge oder im blitzartigen Erfassen günstiger Gelegenheiten zeigte. Doch standen diesen Eigenschaften H.s mangelnder Sinn für das Mögliche, seine erst hochtrabende und später hysterische Tatsachenverachtung sowie die Unfähigkeit gegenüber, die in plötzlichen Eingebungen entwickelten Entwürfe mit konkreten Lagen und Voraussetzungen in Einklang zu bringen. Disqualifizierend wirkte desgleichen seine zunehmende Launenhaftigkeit und fehlende Selbstkontrolle, die rechthaberische Verhärtung in der Pose des unfehlbaren Führers. „Er wollte Gläubige, die folgen, ohne zu fragen. Selbständige Köpfe waren ihm verhaßt“, urteilte einer seiner militärischen Mitarbeiter. Spätestens mit der Wende des Krieges begann er, in teilweise heftigen Affektentladungen, seine Generäle abzukanzeln, zu verabschieden, wiederzuholen und erneut zu verstoßen.

    Mit H.s zunehmender Starrheit hing auch zusammen, daß er das überaus bewährte Prinzip der Zweispurigkeit, das seine Gegner immer wieder verwirrt und ihm so oft die Wege geebnet hatte, unter dem Eindruck der militärischen Anfangserfolge aufgab. Er wollte den Krieg nur auf dem Schlachtfeld gewinnen und verzichtete damit gänzlich auf die Mittel der Politik. Gegner, Verbündete und vor allem die besetzten Länder behandelte er nahezu unterschiedslos mit auftrumpfender Überheblichkeit. Nicht nur unfähig zu den Übungen der Großmut, sondern auch, im Bewußtsein seiner Unbesiegbarkeit, alle Regeln der Klugheit mißachtend, kannte er nur das ewig gleiche, einfallslose Konzept des Zusammenraffens und verbissenen Festhaltens. Gewiß war er nicht mehr frei in seinen Entschlüssen. In eben dem Maße, in dem seine wirtschaftliche Raubbau-Politik ihn zur Entfesselung des Krieges gezwungen hatte, war er jetzt, angesichts der sich ständig steigernden Kräfteüberspannung, auch zu jener Politik der rücksichtslosen materiellen Auspressung genötigt, die den Raum seiner Entscheidungsfreiheit wiederum laufend verengte. Dennoch hätten Möglichkeiten bestanden zu verhindern, daß jede Vergrößerung seines Machtbereichs zwangsläufig auch den Kreis der Feinde vergrößerte. Einige Zeit tauchte, offenbar absichtlich vage gehalten, die Idee der „Nation Europa“ auf als der einzige Versuch, das plumpe und stupide Unterdrückungsschema im Sinne partnerschaftlicher Vorstellungen zu ideologisieren; doch angesichts der terroristischen, mit provozierendem Vorbedacht auf die Demonstration deutschen Herrenmenschentums gerichteten Praxis war der unter Belgiern, Franzosen, Balten oder Ukrainern ohnehin abenteuerlichen Idee eines Großgermanischen Reiches keine nachhaltige Resonanz beschieden.

    Die Idee der Raumeroberung im Osten, des „großen Germanenzuges in das Herzland der Welt“, war und blieb das imperiale Leitmotiv im Leben von H. Hier suchte er jene Großräume zu gewinnen, die dem Anspruch auf Weltmacht erst Rückhalt und Gewicht verliehen. Mit apokalyptischer Unbewegtheit, im Massenmord an ganzen Völkern und Rassen, ließ er, zunächst im eroberten Polen, ab Juni 1941 aber auch im Gebiet des kurzfristig verbündeten, doch nun überfallenen Rußland jenen biologischen „Ausmistungsprozeß“ von allem fremdvölkischen „Gesochs“, wie er es nannte, in Angriff nehmen, der die erste Stufe zur Germanisierung des europäischen Ostens bildete. Ein System von Rollbahnen, Militäranlagen und Wehrdörfern sollte das Gebiet rassisch erschließen und imperial absichern. Dem neuen Menschentyp, wie er in „Pflanzgärten germanischen Blutes“ herangezüchtet werden sollte, standen die bewußt im Zustand der Unbildung, Armut und Entwürdigung gehaltenen „Arbeitsvölker“ gegenüber.

    Schon im Sommer 1942 erließ H. die Weisung, in den besetzten Ostgebieten die Abtreibung zu fördern, die Gesundheitsfürsorge einzustellen und ein allgemeines Sklavenbewußtsein zu verbreiten. Etwa zur gleichen Zeit setzten Überlegungen zur Geburtenförderung in Deutschland ein, in denen die ordinäre Plattheit von Kleintierzüchtern ihre schauerlichen Parallelen zur Menschenwelt zog: Eine neue Ehegesetzgebung sollte die Bigamie, die Zwangsscheidung kinderloser Ehen sowie die Zwangsverheiratung kinderloser Frauen ermöglichen, ein Zuchtpunktsystem die Kopulierung rassisch hochwertiger Menschen erleichtern und durch „günstige Keimkombinationen“ nichts Geringeres als „Nietzsches Übermenschen auf züchterischem Wege“ hervorbringen. Ohne jedes Gefühl für fremden Lebens- und Glücksanspruch wurden Schicksale zudiktiert, Volksgruppen umgesiedelt, „Bastardvölker“ zertrampelt oder „blutmäßige Fischzüge“ durch Nachbarstaaten vorbereitet, um das blonde und hellhäutige Menschenmaterial der „Verbreiterung der eigenen Blutbasis“ dienstbar zu machen.

    Diese „Blicke durch die Seitentüre ins Paradies“, die einstweilen nur dem engsten Kreis vorbehalten blieben, ließen einen Prospekt von bedrückendem Aussehen gewahr werden: ein Weltbild aus Dreigroschenheften, umhüllt von einem obszönen ideologischen Arme-Leute-Geruch. In seinem Hintergrund,|gar nicht weit und ansatzweise verwirklicht, erhob sich die Vision eines großgermanischen Imperiums mit der Welthauptstadt Germania, deren monströse Kulisse alle humanen Maße überstieg und die Imponiersucht des Regimes überaus treffend wiederspiegelte. Und dieses Riesenreich war in seiner ganzen Ausdehnung, vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer, überzogen mit einem dichten System von Stützpunkten, Garnisonen, Lagern und Wachttürmen, in deren Schutz ein Geschlecht von Herrenmenschen – stolz, wehrhaft und geil – seinem mörderischen Blutkult und der Züchtung des arischen Gottmenschen nachging.

    Einiges spricht dafür, daß gleichwohl diese Vision den innersten Kern von H.s Glaubensbekenntnis gebildet hat. Selbst in seinem politischen Testament, das er unmittelbar vor seinem Tod niederschrieb, fand er noch einmal wortreich zum Thema rassischer Selbstbehauptung zurück und verpflichtete alle Nachfolger „vor allem … zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“

    Erst in diesem Augenblick, als die sowjetrussischen Spitzen sich bis auf wenige hundert Meter dem Bunker unter der Berliner Reichskanzlei genähert hatten, begann er sich zu ergeben. Bis dahin hatte er, so starrsinnig wie sendungsbesessen, keinen Schritt zurückgesteckt und den Verfall seiner Macht, die Rückschläge, Niederlagen und die gegen ihn sich wendende Realität einfach nicht zur Kenntnis genommen. Wie es einst seine Stärke gewesen war, daß er die Wirklichkeit ignorieren und mit einer eigentümlich kühlen Rationalität Luftschlösser konstruieren konnte, so wurde eben dieser Zug jetzt zu seiner Schwäche und zu einer der Bedingungen seines katastrophalen Scheiterns. Der Wirklichkeit der Niederlage, den Toten und den Trümmerfeldern, hat er sich nie gestellt. Seine Weigerung, die zerstörten Städte zu besichtigen, oder die gegen Ende des Krieges entwickelte Gewohnheit, bei Nacht im verhängten Wagen durch das Land zu jagen, die Operationen mit Geisterarmeen oder die absurde, nur durch Befehl der engsten Umgebung abgenötigte Siegesgewißheit sowie schließlich der Rückzug in den Berliner Tiefbunker, wo er, durch 8 Meter Eisenbeton abgesichert, sich noch einmal eine Wahnwelt neben und gegen alle Wirklichkeit zurechtmachte – was anders war dies alles als der Versuch, dem unvergessenen Schock der Erfahrung von einst zu entgehen, den Tag der Ziehung hinauszuzögern? Er hatte noch einmal um das Große Los gespielt, um Weltmacht oder Untergang, und hatte, seiner Sache sicher, schon damit begonnen, Kontinente zu verteilen, Reiche zu gründen – und verloren. Am 30. April 1945, nachmittags gegen 15.30 Uhr, gab er sich den Tod und machte damit buchstäblich wahr, was er 12 Jahre zuvor, beim Einzug in die Reichskanzlei, versichert hatte: lebend werde ihn keine Macht der Welt hier wieder herausbringen. Im Rückblick erscheint H.s Person merkwürdig flach, ausdruckslos, abstrakt. In gewissem Sinne bieten Bismarck oder Napoleon und selbst Cromwell oder Caesar sich persönlicher dar und sind dem Betrachter vertrauter als er. Die Frage, ob er denn wirklich gewesen oder vielleicht doch nur jener „deutsche Zustand“ war, als den eine zeitgenössische Formel ihn definierte, ist nicht nur der Witz, für den sie gilt. Die Berichte und Erinnerungen, die wir aus seiner Umgebung haben, machen die Erscheinung nicht greifbarer, in maskenhafter Unpersönlichkeit bewegt er sich durch eine Szenerie, die er gleichwohl beherrschte; auch weiß die einstige Entourage von keinem Wort, von keiner Geste zu berichten, die ihn gelöst zeigte, natürlich und ohne die gefrorene Verkrampftheit des großen Führers. „Er hatte in seinem ganzen Leben etwas unbeschreiblich Distanzierendes“, vermerkte Ribbentrop später, und vergeblich wird man in seiner Biographie nach einer uneigennützigen Beziehung suchen: Er blieb ohne Freund, aber auch ein Lächeln fehlt darin, eine Regung der Güte, der Großmut, und bezeichnenderweise gibt es keine Anekdote über ihn. Um den monumentalen Dimensionen des Bildes zu genügen, das er sich von seiner Rolle und Bedeutung gemacht hatte, zwang er sich unter Akten psychischer Selbstverstümmelung in die Pose eines Denkmals hinein, besessen von der Furcht, sich ohne die hochgereckte Konzentration des Staatsmannes zu zeigen. Aus seiner engsten Umgebung wird berichtet, er habe es immer peinlich vermieden, beim Spiel mit einem seiner Hunde überrascht zu werden; sobald er sich beobachtet wußte, jagte er das Tier davon.

    Die individuelle Leere und Ausdrucksarmut ist das Problem, mit dem H.s Biographen ringen. Wie es kaum persönlich Gewinnendes über ihn zu bekunden gibt, so wissen die Quellen auch kaum etwas persönlich Abträgliches zu berichten. Seine Erscheinung lehrt, was der Geschichte auf dieser Ebene bis dahin fremd war: daß unsägliche individuelle Nichtigkeit mit außergewöhnlicher politischer Meisterschaft in einem Menschen vereint und gerade in dieser Verbindung den|eigentümlich zeitgemäßen Begriff von Größe oder doch historischem Rang konstituieren können. So betrachtet, scheint es die große und permanente Anstrengung dieses Lebens gewesen zu sein, die Welt durch ein beispielloses Geschehen über die eigene Unpersönlichkeit zu betrügen, Kontur zu gewinnen, und sei es durch eine Katastrophe.

    H.s langanhaltende Anziehungskraft liegt denn wohl auch weniger im Rang seiner Person als vielmehr in deren medialen Fähigkeiten begründet. Mit außerordentlicher Instinktsicherheit verstand er es, die Stimmungen seiner Zeit, ihre Krisenkomplexe und Wunschvorstellungen aufzufangen und seinen Anspruch mit den Bedingungen des historischen Augenblicks zu vereinen. Wo immer und solange ihm dies gelang, war er nahezu unwiderstehlich. An ihm bewahrheitete sich das Wort Jacob Burckhardts, daß die Geschichte es bisweilen liebe, sich in einem Menschen zu verdichten, dem hierauf die Welt gehorche, Zeit und Mensch träten in eine große, geheimnisvolle Verrechnung.

    Doch aller magisch anmutenden Macht zum Trotz repräsentierte H. nicht eine bewegende Idee der Zeit, sondern vielmehr deren Ängste, Panikgefühle und Abwehrkomplexe und in alledem zugleich etwas von dem Schundcharakter der Epoche. Die eigentlich revolutionären Erscheinungen der Geschichte haben ihre Wirkungskraft durchweg aus einer verbindenden Idee, einer neuen, die öffentliche Phantasie erregenden Glücksvorstellung gezogen. Der Nationalsozialismus blieb ohne Utopie, auch wenn er seine Antihaltungen mit Zukunftsvisionen überbaute, die den verängstigten Massen illusionäre Machtgefühle bescherten. Er formulierte keine Verheißung, sondern lediglich Versprechungen, seine Wortführer wollten die Welt nicht revolutionär verändern, sondern sich vielmehr einen vorteilhaften Platz darin sichern. So gingen sie daran, alle alten Bindungen aufzulösen, alle Wertnormen und Traditionen zu zerstören. Sie haben auf diese Weise, wie wenig dies auch in ihren Absichten lag, den gesellschaftlichen Prozeß beträchtlich beschleunigt. Indem sie ihre stürmische Dynamik auf ihn übertrugen, waren sie Revolutionäre, auch wenn sie revisionistisch dachten. Nimmt man alles zusammen, so hatten sie in der ideologischen Begründung wenig mehr vorzuweisen als die Objektivierungen einer gefräßigen, offenbar unersättlichen Machtbesessenheit – denn nichts anderes bleibt am Ende, nach allen Aufschwüngen, Exzessen, Triumphen und kalt verrichteten Greueln, der verblüffend dürftige Ideengrund dessen, was vor sich ging. Selten in der Geschichte ist die Ausübung von Gewalt, die Zumutung großer Leiden so rechtfertigungslos geblieben wie in diesem Fall. Der Mangel ist das nahezu natürliche Merkmal einer Bewegung, die sich in ihren wenigen ernst zu nehmenden Versuchen zur Selbstinterpretation theoretisch gern verleugnet und die „reine Aktion“ der Entwicklung einer reinen Lehre vorgezogen hat. Aber eben dieser Mangel ist es auch, der das Urteil der Geschichte über H. und seine Herrschaft entscheidend geprägt hat.

    Zeittafel

    1889

    20.4.: H. geboren.

    1907

    H. übersiedelt nach Wien und bewirbt sich vergeblich an der Kunstakademie.

    1913

    24.5.: H. übersiedelt, nicht zuletzt um sich dem Wehrdienst in der kaiserlichen und königlichen Armee zu entziehen, nach München.

    1914

    16.8.: H. tritt als Kriegsfreiwilliger in das Bayerische Reserve-Infanterie-Regiment Nummer 16 (List) ein. Er nimmt an den Kämpfen im Westen teil, zuletzt als Gefreiter. Verwundet. EK I und andere Auszeichnungen.

    1918

    Ende November kehrt H. nach Lazarettaufenthalt in Pasewalk nach München zurück. Er meldet sich zunächst zur Gefangenenbewachung|nach Traunstein und dient später der Reichswehr als V-Mann und Aufklärungsredner.

    1919

    12.9.: H. besucht eine Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei (seit 21.4.1920 NSDAP) und tritt ihr wenige Tage später bei – wenn auch nicht als siebtes Mitglied, wie er später erklärte, sondern mit der Mitgliedsnummer 555. Am 31.3.1920 wird er aus der Reichswehr entlassen und widmet sich seither ausschließlich der Parteiarbeit.

    1921

    29.7.: Eine außerordentliche Mitgliederversammlung der NSDAP wählt nach heftigen internen Streitigkeiten H. zu ihrem 1. Vorsitzenden.

    1923

    8. und 9.11.: H.-Putsch in München. H. ruft die nationale Revolution aus. Ein Demonstrationszug unter Führung Ludendorffs wird vor der Feldherrnhalle mit Waffengewalt zerstreut, H. flieht und wird 2 Tage später in Uffing vorhaftet. Verbot der NSDAP.

    1924

    26.2.: Beginn des Prozesses vor dem Münchener Volksgericht. In der Verhandlung gelingt es H., sich zur Mittelpunktfigur des Geschehens zu machen. – 20.12.: Obwohl zu 5 Jahren Festung verurteilt, wird H. noch vor Weihnachten aus Landsberg entlassen.

    1925

    27.2.: Neugründung der NSDAP. H. setzt seinen Führungsanspruch in der Partei durch. Anschließend Redeverbot durch die bayerische Regierung, dem sich zahlreiche andere Länder anschließen. – 30.4.: H. wird auf Antrag aus der österreichischen Staatsbürgerschaft entlassen und ist seither staatenlos.

    1927

    9.3.: H. spricht zum erstenmal wieder öffentlich nach Aufhebung des Redeverbots für Bayern.

    1928

    28.5.: Bei den Reichstagswahlen erhält die NSDAP 2,8% der Stimmen. – 16.11.: H. spricht zum erstenmal öffentlich im Berliner Sportpalast nach Aufhebung des Redeverbots für Preußen.

    1929

    22.12.: Scheitern des Volksentscheids gegen den Young-Plan, für den Hugenberg den Führer der NSDAP gewonnen hatte. Start H.s in die „große“ Politik.

    1930

    14.9.: Bei den Reichstagswahlen wird die NSDAP mit 18,2% der abgegebenen Stimmen die zweitstärkste Fraktion. Hugenbergs DNVP und die übrigen bürgerlichen Parteien werden um die Hälfte reduziert. – 25.9.: H. leistet vor dem Reichsgericht in Leipzig den Eid auf die Legalität seines Machteroberungskurses.

    1931

    10.10.: Reichspräsident von Hindenburg empfängt erstmals H. zur Aussprache. – 11.10.: Bildung der Harzburger Front, in der die gesamte antirepublikanische Rechte vereinigt ist (NSDAP, DNVP, DVP, Stahlhelm, Reichslandbund, Wirtschaftspartei und andere).

    1932

    27.1.: H. spricht vor dem Industrie-Club in Düsseldorf. – 26.2.: H. erhält die deutsche Staatsangehörigkeit. – 13.3.: Im 1. Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl erhält H. rund 30% der Stimmen. – 10.4.: H. erzielt im 2. Wahlgang knapp 37% der Stimmen. Hindenburg wiedergewählt. – 31.7.: In der Reichstagswahl erhält die NSDAP 37,8% der der Stimmen; sie wird stärkste Partei und fordert das Amt des Reichskanzlers. – 6.11.: In der Reichstagswahl bleibt die NSDAP trotz erheblicher Verluste (2 Millionen Stimmen) stärkste Partei. – 8.12.: Gregor Strasser verläßt nach einem Zerwürfnis mit H. über dessen Alles-oder-Nichts-Kurs die NSDAP.

    1933

    4.1.: Zusammenkunft H.s mitPapen im Hause des Kölner Bankiers von Schröder. Die Konstellation vom 30. Januar gewinnt Umrisse. – 30.1.: H. zum Reichskanzler eines Rechtskabinetts ernannt, dem außer ihm nur 2 weitere Nationalsozialisten angehören. – 27.2.: Reichstagsbrand, dem die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat folgt. Einschneidende Beschränkung der Grundrechte. – 5.3.: Reichstagswahlen, in denen die NSDAP 43,9% der Stimmen erhält und erheblich unter der erhofften absoluten Mehrheit bleibt. – 21.3.: Tag von Potsdam. Durch Bekenntnis zur nationalen Tradition sucht H. die bürgerlichen Parteien zur Unterstützung des Ermächtigungsgesetzes zu bringen. – 24.3.: Ermächtigungsgesetz durch alle Parteien mit Ausnahme der SPD sowie der inzwischen ausgeschalteten KPD verabschiedet. – 1.5.: Auflösung der Gewerkschaften sowie – im Verlauf der beiden folgenden Monate – der Parteien. – 20.7.: Abschluß des Reichskonkordats. – 19.10.: Deutschland tritt aus dem Völkerbund aus. Durch ein Plebiszit, das eine angebliche Zustimmung von 95,1% der Stimmen erbringt, läßt H. sich seine Politik bestätigen.

    1934

    30.1.: Gesetz über den Neuaufbau des Reiches, das die Selbständigkeit der Länder beseitigt – 30.6.: Affäre Röhm, durch die H. sich der unruhigen SA entledigt und gleichzeitig zahlreiche politische Gegner beseitigt. – 2.8.: Reichspräsident von Hindenburg stirbt. Nach dem am Tage zuvor verabschiedeten Gesetz vereinigt H. in seiner Person die Ämter von Reichspräsident und Reichskanzler, er führt den Titel „Führer und Reichskanzler“. Die Wehrmacht wird auf ihn vereidigt.

    1935

    16.3.: Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. – 18.6.: Deutsch-englisches Flottenabkommen, bedeutender außenpolitischer Erfolg H.s, da das Abkommen die im Völkerbund postulierte Idee der kollektiven Bündnisse desavouiert. – 15.9.: Von dem zum Reichsparteitag nach Nürnberg einberufenen Reichstag werden die sogenannten Nürnberger Gesetze mit diskriminierenden Bestimmungen gegen die Juden verabschiedet.

    1936

    7.3.: Einmarsch in die entmilitarisierte Rheinlandzone, Bruch des Locarno-Paktes. – 18.10.: Proklamation des Vierjahresplanes. – 25.10: Antikomintern-Pakt mit Japan, dem später Italien beitritt. – 1.11.: Durch Unterstützung des nach dem Überfall auf Abessinien boykottierten Italien gelingt es H., seine außenpolitische Isolierung zu durchbrechen. Mussolini spricht von der „Achse Berlin – Rom“.

    1937

    5.11.: H. trägt der militärischen Führung seine militärischen und außenpolitischen Pläne vor (Hoßbach-Protokoll).

    1938

    4.2.: H. entläßt die militärische Spitze und übernimmt selber den Oberbefehl über die Wehrmacht. Ribbentrop anstelle Neuraths Außenminister. – 13.3.: Anschluß Österreichs. – 30.5.: H. erklärt seinen Entschluß, die Tschechoslowakei durch eine militärische Aktion zu zerschlagen. – 29.9.: Münchener Abkommen. Die von den Sudetendeutschen bewohnten Gebiete fallen an Deutschland. H. erklärt kurz darauf, keine territorialen Forderungen in Europa mehr zu haben. – 21.10.: Weisung H.s, die Erledigung der Resttschechei vorzubereiten.

    1939

    30.1.: H. sagt in einer Reichstagsrede für den Fall eines Krieges die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa voraus. – 15.3.: Staatspräsident Hacha muß unter Druck der Forderung H.s, die Tschechoslowakei in den deutschen Machtbereich einzubeziehen, zustimmen. – 16.3.: H. proklamiert in Prag die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren. Lord Halifax erklärt, Prag sei die letzte Herausforderung gewesen, die sich die Welt bieten lassen werde. – 22.3.: Besetzung des Memelgebietes. – 31.3.: Unbedingte Garantie-Erklärung Großbritaniens an Polen. Als Präsident Roosevelt 14 Tage später von H. und Mussolini eine Erklärung verlangt, in den folgenden Jahren eine Anzahl namentlich genannter Länder nicht anzugreifen, kündigt H. sowohl den Flottenvertrag mit England als auch den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt. – 22.5.: „Stahlpakt“ zwischen Deutschland und Italien. – 23.8.: Moskauer Vertrag mit der Sowjetunion. In einem geheimen Zusatzvertrag werden die Interessensphären in Osteuropa abgegrenzt und damit die Westmächte von jedem Einfluß ausgeschaltet. H. erhält damit freie Hand gegenüber Polen. – 1.9.: Angriff auf Polen. – 3.9.: Kriegserklärung Englands und Frankreichs. – 28.9.: Deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag, der die Teilung Polens und des Baltikums vollzieht. – 6.10.: Friedensangebot an England und Frankreich. – 8.11.: Mißglücktes Attentat auf H. im Bürgerbräukeller in München.

    1940

    9.4.: Beginn der Besetzung Dänemarks und Norwegens. – 10.5.: Beginn des Westfeldzuges gegen Holland, Belgien und Frankreich. – 22.6.: Waffenstillstand mit Frankreich. – 27.7.: H. spricht vor den militärischen Spitzen von der Möglichkeit eines Krieges gegen die Sowjetunion; schon wenige Tage später laufen die Vorbereitungen an. – 28.10.: Mussolini greift ohne vorhergehende Absprache mit H. Griechenland an.

    1941

    6.4.: Feldzug gegen Jugoslawien und Griechenland, der H. zur Verschiebung des für Mai geplanten Angriffs auf die Sowjetunion zwingt. H. wird dieser Terminänderung später kriegsentscheidende Bedeutung beimessen. – 22.6.: Angriff auf die Sowjetunion. Entgegen den Forderungen der militärischen Führung ordnet H. aus wirtschaftlichen und politischen Gründen an, daß Leningrad und das Donezbecken Schwerpunkte der Operationen sind. – 12.7.: England und die Sowjetunion vereinbaren, nur im gegenseitigen Einverständnis Waffenstillstand oder Frieden zu schließen. – 11.12.: Nach dem Japanischen Angriff auf Pearl Harbour und dem Beginn des Krieges zwischen Japan und den USA erklären Deutschland und Italien den Vereinigten Staaten den Krieg. – 19.12.: H. übernimmt auch die Führung des Heeres. Haltebefehl.

    1942

    26.4.: H. läßt sich vom Reichstag eine durch kein Gesetz beschränkte Vollmacht erteilen, auch als Richter über Leben und Tod zu entscheiden. – 28.6.: Beginn der Angriffsoperationen in Richtung Stalingrad und Kaukasus. – 8.11.: Landung der Amerikaner und Engländer in Nordafrika (Marokko). – Ende des Jahres: Beginn der amerikanischen Tagesluftangriffe in Großverbänden. Ausschaltung der deutschen U-Boot-Waffe. Endgültiger Übergang der militärischen Initiative auf die Alliierten.

    1943

    31.1.: Kapitulation der eingeschlossenen 6. Armee bei Stalingrad. – 13.5.: Kapitulation der deutschen und italienischen Nordafrika-Verbände. – 10.7.: Landung amerikanischer und britischer Truppen in Sizilien. – 25.7.: Sturz Mussolinis. Neue Regierung unter Marschall Badoglio. – 8.9.: Waffenstillstand zwischen den Alliierten und der Regierung Badoglio.

    1944

    18.1.: Niederlage vor Leningrad. – 4.6.: Räumung Roms. – 6.6.: Alliierte Invasion in Nordfrankreich. – 22.6.: Beginn der russischen Großoffensive im Mittelabschnitt. – 20.7.: Attentat im Führerhauptquartier. – 25.8.: Räumung von Paris. – 21.10.: Aachen als erste deutsche Großstadt von den Amerikanern erobert. – 16.12.: Beginn der Ardennen-Offensive, die nach wenigen Tagen steckenbleibt.

    1945

    Mitte Januar: Die Rote Armee erreicht die Oder. – 25.4.: Amerikanische und russische Truppen vereinigen sich bei Torgau an der Elbe. – 30.4.: H. begeht im Bunker unter der Reichskanzlei Selbstmord.

  • Werke

    Mein Kampf, 2 Bde., 1925/27, 815-8201943 (P) (insges. 9,84 Mill. Exemplare);
    Hitlers zweites Buch, Ein Dokument a. d. J. 1928, hrsg. v. G. L. Weinberg, 1961;
    pol. Kommentare u. d. T. Pol. d. Woche, in: Ill. Beobachter, 1928-31;
    Leitartikel in: Völk. Beobachter, 1920 ff.;
    Reden d. Führers, hrsg. v. Ph. Bouhler, 1940-42 (P, enthält nur d. Reden v. 1.9.1939-15.3.1942);
    H., Reden u. Proklamationen 1932–45, hrsg. v. M. Domarus, 1965 (P).

  • Literatur

    Th. Heuß, H.s Weg. Eine hist.-pol. Studie üb. d. Nationalsozialismus, 1932;
    K. Heiden, A. H., 2 Bde., 1936 f.;
    H. Rauschning, Gespräche mit H., 1940;
    H. R. Trevor-Roper, H.s letzte Tage, 1948;
    W. Görlitz u. H. A. Quint, A. H., Eine Biogr., 1952;
    A. Kubizek, A. H., mein Jugendfreund, 1953;
    H. Frank, Im Angesicht d. Galgens, 1955;
    F. Jetzinger, H.s Jugend, Phantasien, Lügen u. d. Wahrheit, 1956;
    W. Daim, Der Mann, der H. d. Ideen gab, 1958;
    A. Bullock, H., Eine Studie in Tyrannei, 1959;
    H. Heiber, A. H., Eine Biogr., 1960 (P);
    H. Picker, H.s Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–42, ²1965;
    J. Fest, Das Gesicht d. Dritten Reiches, 1963 (P). - K. F. v. Frank, in: Ahnentafeln berühmter Deutscher, NF 3, 1933, S. 33-35. - Bibliogr.
    in: B. Gebhardt, Hdb. d. dt. Gesch. IV, bearb. v. K.-D. Erdmann, ⁸1959;
    Th. Vogelsang, Bibliogr. z. Zeitgesch. (Beil. z. Vj.-Hh. f. Zeitgesch.), Jg. 1 ff., 1953 ff.

  • Autor/in

    Joachim Fest
  • Zitierweise

    Fest, Joachim, "Hitler, Adolf" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 250-266 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118551655.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA