Himmler, Heinrich
- Lebensdaten
- 1900 – 1945
- Geburtsort
- München
- Sterbeort
- bei Lüneburg
- Beruf/Funktion
- NS-Politiker ; Reichsführer SS ; Politiker ; Diplomlandwirt ; Fahnenjunker ; Nationalsozialist
- Konfession
- mehrkonfessionell
- Normdaten
- GND: 11855123X | OGND | VIAF: 34578034
- Namensvarianten
-
- Himmler, Heinrich
- Gimmler, Genrich
- Himmler
- Himmler, Heinrich Luitpold
- mehr
Biografische Lexika/Biogramme
- Enzyklopädie der Modernen Ukraine [2017-]
- * Antragsstellende der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft/Deutschen Forschungsgemeinschaft (GEPRIS Historisch – Forschungsförderung von 1920 bis 1945) [2021]
- LeMO - Lebendiges Museum Online [1998]
- * Filmportal [2010-]
- * Personen im Bayerischen Verwaltungshandbuch (BLO) [2009-]
- * Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik online [2006-2007]
- * Neue Deutsche Biographie (NDB) [1972] Autor/in: Scheffler, Wolfgang (1972)
- * Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten Basis: Parlamentsalmanache/Reichstagshandbücher 1867 - 1938 [1867-1938]
Quellen(nachweise)
- * Kalliope-Verbund
- Archivportal-D
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Personendaten-Repositorium der BBAW [2007-2014]
- Pressemappe 20. Jahrhundert
- Briefwechsel zwischen Eduard Spranger und Käthe Hadlich
- Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert
- Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte
- Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952)
- EGO European History Online
- Forschungsplattform zu den "Großen Deutschen Kunstausstellungen" 1937-1944
- * Korrespondierende Wissenschaften. Historikerkorrespondenzen aus dem 20. Jahrhundert [2022-]
- Diplomatische Dokumente der Schweiz 1848-1975 (via metagrid.ch) [2019]
- * Filmothek des Bundesarchivs [2015-]
- * Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten Basis: Parlamentsalmanache/Reichstagshandbücher 1867 - 1938 [1867-1938]
- * Historisches Lexikon Bayerns
- * Nachlass Sommerfeld beim Deutschen Museum
- * Nachlassdatenbank beim Bundesarchiv
- * Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954
Literatur(nachweise)
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- * Deutsches Literaturarchiv Marbach - Kallías
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- * Personen in Bavarikon [2013-]
- * Literaturnachweis in der Neuen Deutschen Biographie (NDB)
- Nordrhein-Westfälische Bibliographie (NWBib)
- * Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin
- Personen im Fachinformationsdienst Darstellende Kunst
- Index Theologicus (IxTheo)
- * Jahresberichte für deutsche Geschichte - Online
- * Personen im Bayerischen Verwaltungshandbuch (BLO) [2009-]
Verknüpfungen
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Personen im NDB Artikel
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Aus dem Register von NDB/ADB
- NDB 15 (1987), S. 107 (Löwenstein, Leo)
- NDB 20 (2001), S. 621 (Popitz, Hermann Eduard Johannes)
- NDB 21 (2003), S. 501 (Ribbentrop, Ulrich Friedrich Willy Joachim von)
- NDB 21 (2003), S. 714 (Röhm, Ernst Julius Günther)
- NDB 23 (2007), S. 555 in Artikel Schröder, Kurt Freiherr von (Schröder, Johann Heinrich Kurt Theodor Freiherr von)
- NDB 23 (2007), S. 225 (Schmidt-Rohr, Georg Albert Johannes)
- NDB 23 (2007), S. 449 (Scholtz-Klink, Gertrud, geborene Treusch)
- NDB 25 (2013), S. 479 in Artikel Straßer, Gregor (Straßer, Gregor)
- NDB 25 (2013), S. 615 in Artikel Stuckart, Wilhelm (Stuckart, Wilhelm Georg Joseph)
- NDB 25 (2013), S. 811 in Artikel Tausend, Franz Seraph
- NDB 26 (2016), S. 131 in Artikel Thierack, Otto Georg (Thierack, Otto Georg)
- NDB 26 (2016), S. 72 (Thälmann, Ernst Johannes Fritz)
- NDB 27 (2020), S. 106 in Artikel Vonkennel, Josef (Vonkennel, Christoph Josef)
- NDB 27 (2020), S. 184 in Artikel Wagemann, Ernst (Wagemann, Ernst Friedrich)
- NDB 27 (2020), S. 107 (Vonkennel, Christoph Josef)
- NDB 27 (2020), S. 569 (Weichs an der Glon, Maximilian Maria Joseph Karl Gabriel Lamoral Freiherr von und zu)
- NDB 28 (2024), S. 34 in Artikel Widmann, Albert
Weitere Erwähnungen in der NDB-online/NDB/ADB
- Abetz, Otto (NDB-online)
- Berger, Gottlob (NDB-online)
- Boeselager, Georg (NDB-online)
- Boeselager, Philipp (NDB-online)
- Bose, Herbert von (NDB-online)
- Bouhler, Philipp (NDB-online)
- Brack, Viktor (NDB-online)
- Braun, Wernher von (NDB-online)
- Conti, Leonardo (NDB-online)
- d’Alquen, Gunter (NDB-online)
- Darré, Richard Walther (NDB-online)
- Ehrhardt, Hermann (NDB-online)
- Eicke, Theodor (NDB-online)
- Esser, Hermann (NDB-online)
- Forsthoff, Ernst (NDB-online)
- Frank, Karl Hermann (NDB-online)
- Fromm, Friedrich (NDB-online)
- Giesler, Paul (NDB-online)
- Gisevius, Hans Bernd (NDB-online)
- Globocnik, Odilo (NDB-online)
- Gottberg, Curt von (NDB-online)
- Hausser, Paul (NDB-online)
- Heisenberg, Werner (NDB-online)
- Hildebrandt, Friedrich (NDB-online)
- Hitler, Adolf (NDB-online)
- Höß, Rudolf (NDB-online)
- Hofmann, Otto (NDB-online)
- Jeckeln, Friedrich (NDB-online)
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- Langefeld, Johanna (NDB-online)
- Leers, Johann (NDB-online)
- Leibbrandt, Georg (NDB-online)
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- Muhs, Hermann (NDB-online)
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Genealogie
V Gebhard (1865–1936, kath.), Gymnasiallehrer am Wilhelmsgymnasium 1894-1902 u. Prinzenerzieher in M., Gymnasialkonrektor in Landshut 1913–19, in Ingolstadt bis 1922, dann Oberstudiendir. am Wittelsbachergymnasium in M. bis 1930, Geh. Studienrat, S d. Bezirksamtsdieners Konrad (ev.) in Lindau (Bäckermeisters-S aus Aurbach) u. d. Uhrmachers-T Agathe Kiene aus Bregenz;
M Anna (1866–1941, kath.), T d. Alois Heyder, Kaufm. in Regensburg, seit 1863 Privatier in M., u. d. Anna Hofreiter;
B Gebhard (* 1898), Ministerialdir. im Reichserziehungsmin., Ernst (* 1905), Gen.dir. bei Telefunken;
- ⚭ 1928 Margarete (1893 ?-1967), T d. Gutsbes. Boden in Goncerzew b. Bromberg;
1 T; aus „Nebenehe“ mit s. Sekretärin Hedwig Potthast 2 K. -
Biographie
H. wuchs in einem gutbürgerlichen, katholischen Elternhaus in München und Landshut auf, dessen Milieu durch seinen Vater geprägt wurde, der Gymnasialprofessor war und durch die Erziehung eines Wittelsbacher Prinzen die Gunst des bayerischen Königshauses besaß. Die strenge Religiosität seiner Eltern und die Einflüsse der nationalen Grundstimmung großer Teile des deutschen Bürgertums bestimmten nachhaltig seine Erziehung. Trotz einer schwächlichen Gesundheit strebte er, dem Zug der Zeit folgend, die Offizierslaufbahn an, kam jedoch nach frühzeitiger Einberufung zum Heeresdienst, Ende 1917, über die Grundausbildung nicht hinaus, da der Ausgang des Krieges die Entlassung für ihn bedeutete. Nach Erhalt des Abiturzeugnisses studierte er an der TH München 1919-22 Landwirtschaft, bestand das Diplomexamen und arbeitete kurze Zeit als Laborassistent. Angezogen von den politischen Auseinandersetzungen in der bayerischen Hauptstadt, gab er seine Stellung auf, um am politischen Geschehen teilzunehmen.
Über →Ernst Röhm fand H. Anschluß an den Wehrverband „Reichskriegsflagge“, trat im August 1923 der NSDAP bei und nahm am Novemberputsch →Hitlers teil. Erst in den folgenden Jahren wuchs er als Mitarbeiter Gregor Strassers und Anhänger der Artamanenbewegung nicht nur äußerlich in die Aufbauarbeit der zunächst verbotenen, 1925 wieder zugelassenen NSDAP hinein, deren Mitglied er sofort wieder wurde, sondern nahm auch jene Gedanken auf, die zu den Leitlinien seines späteren Wirkens gehören sollten: Bruch mit der Kirche, sich steigernder Antisemitismus, Blut- und -Boden-Romantik, Germanenkult und Slawenfeindschaft. Äußerlich manifestierte sich sein Werdegang durch die Stellung eines stellvertretenden Gauleiters der noch ziemlich unbedeutenden|NSDAP zunächst in Niederbayern (1925), dann in Oberbayern (1926), eines stellvertretenden Propagandaleiters und stellvertretenden Reichsführers-SS. 1928 heiratete er und versuchte vergeblich, sich mit Hilfe seiner Frau als Hühnerzüchter zu betätigen. Dies war jedoch der letzte Versuch, auch im außerpolitischen Leben Fuß zu fassen, denn mit der Ernennung zum Reichsführer-SS am 6.1.1929 begann jene Karriere, die ihn schließlich zu einem der mächtigsten Männer des nationalsozialistischen Staates werden ließ.
Die Schutzstaffel (SS) war zu jenem Zeitpunkt eine kleine Truppe von 280 Mann im Gesamtverband der SA, hervorgegangen aus der Leibwache →Hitlers, die nach ihrer Neugründung 1925 nicht nur zum Schutze vor äußeren Feinden gedacht war, sondern allmählich auch zum Sicherungsorgan der Parteiführung gegenüber rivalisierenden Gruppen innerhalb der NSDAP wurde. Ihre erste Bewährungsprobe sollte sie 1930/31 bei der Bereinigung des SA-Aufstands unter Stennes bestehen, aus der sie als innerparteiliche Polizei gestärkt hervorging. Damit war der Ausgangspunkt für H.s künftigen Aufgabenkreis im Kern entwickelt: die Herausbildung einer Elitetruppe, die nach seinen rassenpolitischen Vorstellungen erzogen werden und die Grundlage nachrichtendienstlicher und exekutiver Polizeitätigkeit bilden sollte. Einer primitiven Geschichtsromantik folgend, wollte H. die SS als vermeintlich reinrassischen Blutsorden zum Kern eines neu zu gründenden germanischen Reiches heranbilden. „Arischer“ Ahnennachweis, Heiratsgenehmigung, körperliche „germanische“ Merkmale und die eidesmäßige Bindung an →Hitler sollten für die SS dazu die Grundlage bilden.
Gemessen an seiner späteren politischen Bedeutung, gestaltete sich H.s Position nach dem 30.1.1933 anfänglich bescheiden. Vorübergehend zum kommissarischen Polizeipräsidenten von München bestellt, wurde er am 1.4.1933 zum Politischen Polizeikommandeur für ganz Bayern ernannt, während Heydrich, der Schöpfer und eigentliche Gestalter des Sicherheitsdienstes der NSDAP (SD), die Bayerische Politische Polizei (BPP) organisierte. War H.s Einfluß über Bayern hinaus zunächst auf seine Position als Reichsführer einer zahlenmäßig kleinen SS (1933 circa 52 000 Mitglieder) relativ beschränkt, so gelang ihm im staatlichen Bereich der eigentliche Durchbruch erst im Herbst 1933. Unter geschickter Ausnutzung der Rivalitäten zwischen staatlichen Behörden und Parteiführern übernahm er binnen weniger Monate die Leitung aller politischen Polizeiabteilungen im Reich, außer in Preußen. Schließlich zwang jedoch die beginnende Konfrontation zwischen Röhm und der Parteiführung den Leiter der preußischen Geheimen Staatspolizei, Göring, seinen Rivalen auf dem Polizeisektor am 20.4.1934 zum stellvertretenden Chef und Inspekteur der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Preußen und Heydrich zum Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin zu ernennen.
Die Zentralisierung der Politischen Polizei (Gestapo), die Anerkennung des Sicherheitsdienstes (SD) als einzigen Nachrichtendienst der Partei (15.7.1934), die Reorganisierung der Konzentrationslager unter der alleinigen Verantwortung der SS (Juli 1934) sowie die bedeutende Stärkung der Stellung des Reichsführers-SS durch seine unmittelbare Unterstellung unter die Befehlsgewalt →Hitlers (20.7.1934) im Zusammenhang mit der endgültigen Herauslösung der SS aus der Organisationsstruktur der SA als Ergebnis der Beteiligung der SS bei der Bereinigung der Röhm-Affäre kennzeichnen den politischen Aufstieg H.s. Die noch fehlende Ergänzung bei der Zusammenfassung der Polizeiführung in einer Hand brachte die Ernennung H.s zum Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei am 17.6.1936, wobei sich der Zusatz seines Titels „im Reichsministerium des Innern“ mit der formellen Unterstellung unter den Reichsinnenminister Frick zunehmend als inhaltslos im politischen Kräfteverhältnis der nationalsozialistischen Führung erweisen sollte. Als Chef der an Einfluß zunehmenden SS, die durch die allmähliche Aufstellung bewaffneter Einheiten, des Kerns der späteren Waffen-SS, noch an Bedeutung gewinnen sollte, und als Inhaber der Führungsgewalt über die gesamte Polizei hatte H. jene Doppelfunktion erreicht, die ihm in der nationalsozialistischen Hierarchie eine zwar nicht allumfassende, aber doch unübersehbar zentrale Stellung verschaffte. Mit der Zentralisierung der Polizei konnte H. den Entstaatlichungsprozeß der Polizei systematisch vorantreiben und sie insgesamt in den SS-Bereich einbeziehen. Die Gestapo, mit der Kriminalpolizei zur Sicherheitspolizei unter Heydrichs Leitung zusammengefaßt, wurde praktisch aus der übrigen Polizei herausgelöst und 1939 durch die Gründung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) auch mit dem Sicherheitsdienst in einem SS-Hauptamt organisatorisch vereinigt.|Eine entscheidende Erweiterung seines Machteinflusses erreichte H. mit der Ernennung zum Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (7.10.1939). War bereits 1936 mit der Gründung der Volksdeutschen Mittelstelle die Gestaltung der Beziehungen zu den Auslandsdeutschen zunehmend unter seinen Einfluß geraten, so übertrug →Hitler dem neuen Reichskommissar nicht nur die Organisation der Rückführung auslandsdeutscher Volksgruppen, deren Ansiedlung im eroberten Polen die erste große Vertreibung polnischer Staatsbürger auslöste, sondern auch die polizeiliche Überwachung nichtdeutscher Bevölkerungsteile in den nach Ausbruch des 2. Weltkrieges besetzten Ländern. H. erhielt hierdurch die Möglichkeit, seine Pläne für eine „rassische“ Neuordnung Europas vorzubereiten. In Verbindung mit den ihm obliegenden sicherheitspolizeilichen Aufgaben wurde er für die eingesetzte Zivilverwaltung, vor allem im Generalgouvernement, zu einem Machtfaktor ersten Ranges. Schwere Kompetenzkonflikte, so mit dem Generalgouverneur Frank, waren die Folge. Nicht immer ging H. trotz seiner Machtfülle aus diesen als Sieger hervor.
Die folgenschwerste Entwicklung sollte die unter seiner Leitung vorgenommene Bekämpfung „fremdrassischer“ Völker und Minderheiten im deutschen Machtbereich nehmen. Vertreibung, Versklavung und Ausrottung von Millionen Menschen verbinden seinen Namen mit dem abstoßendsten Kapitel nationalsozialistischer Herrschaft. War bereits seit 1938/39 die antijüdische Politik immer mehr in die Zuständigkeit der Gestapo übergegangen, so wurden H. und die ihm unterstellten Organisationen 1941 von →Hitler mit der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung beauftragt. Im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“ fanden durch die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in Sowjetrußland und in den Ghettos und Vernichtungslagern in Polen durch SS- und Polizeieinheiten Millionen unschuldiger Menschen aus ganz Europa den Tod, ein Vorgang, den H. „ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“ nannte.
Die Zuspitzung der militärischen und politischen Lage im 2. Weltkrieg brachte H. weiteren Machtzuwachs, der nicht nur seine Bedeutung steigerte, sondern auch letztlich die Grenzen seiner Fähigkeiten aufzeigte. So wurde er Reichsinnenminister und Generalbeauftragter für die Reichsverwaltung (25.8.1943), Oberbefehlshaber des Ersatzheeres und Chef der Heeresrüstung (21.7.1944) und am Ende des Krieges vorübergehend Oberbefehlshaber zweier Heeresgruppen, eine Funktion, der er nicht gewachsen war. Die Vielfalt seiner Zuständigkeiten, das Ausmaß und die Bedeutung seiner Einflußmöglichkeiten waren für den zeitgenössischen Betrachter unüberschaubar. Von der Ausübung des Terrors gegenüber wirklichen und vermeintlichen Gegnern innerhalb und außerhalb des Konzentrationslagersystems, von der praktizierten Siedlungspolitik chaotischen Ausmaßes gemäß den utopischen Rassevorstellungen H.s in Osteuropa, verbunden mit ökonomischer Ausbeutung bis zum Aufbau eines SS-eigenen Wirtschaftsimperiums, vom Aufbau der Waffen-SS zum unabhängigen Truppenteil neben der Wehrmacht bis zur versuchten politischen Durchdringung der Wehrmacht und des zivilen Behördenapparates, vom Eindringen in wissenschaftliche Bereiche bis zu verbrecherischen Experimenten an Menschen schien sein Machtzuwachs unaufhaltsam zu sein. H. und die Vielzahl der ihm unterstellten Ämter und Organisationen waren zu einem Staat im Staate geworden („SS-Staat“). Seine Bemühungen hatten jedoch dort ihre Grenzen, wo Bindungen und Beziehungen seiner Kontrahenten zu →Hitler oder militärische Notwendigkeiten sich als unübersteigbar erwiesen. Auch führten seine Expansionsbemühungen nicht nur zu Reibungen mit den verschiedensten Behörden, Institutionen und so weiter, deren Widerstände dem allmächtigen Reichsführer mitunter Grenzen setzten, sondern auch dazu, daß sein SS-Imperium für ihn immer schwieriger zu dirigieren war.
Allerdings hinderte seine von ihm viel zitierte bedingungslose Ergebenheit zu seinem „Führer“ (Wahlspruch der SS: „Meine Ehre heißt Treue“) ihn nicht daran, seit 1943 durch Mittelsmänner vorsichtig Fäden zu alliierten Verbindungsleuten zu knüpfen, wie ihn auch lose, jedoch nicht überzubewertende Informationskontakte zu oppositionellen Kreisen in Deutschland zu interessieren schienen. Die eigene Überschätzung seiner politischen Bedeutung und die Blindheit gegenüber den von ihm verübten Verbrechen verführten ihn in den Schlußtagen des Krieges dazu, sich als Verhandlungspartner der westlichen Gegner Deutschlands berufen zu fühlen. Von →Hitler deswegen seiner Ämter enthoben und aus der Partei ausgestoßen, von der Nachfolgeregierung Dönitz als untragbar abgelehnt, floh der einst mächtige Polizeichef während des Unterganges des nationalsozialistischen Staates, um sich der|Verantwortung zu entziehen, und verübte nach seiner Festnahme durch britische Truppen Selbstmord.
Die Vielschichtigkeit der Tätigkeit H.s hat in der Geschichtsschreibung entweder zu einer Überbewertung seines Einflusses oder zur Unterschätzung seiner Persönlichkeit geführt. Da ist das Bild des von einem romantischen Machtbiologismus besessenen Mannes, der Völker regermanisieren, seine SS zum reinrassischen Blutsorden emporzüchten wollte und die nach seinen Vorstellungen minderwertigen Völker wie Ungeziefer sortierte und ausrottete. Seine eigene Erscheinung, die seinen Idealvorstellungen in keiner Weise entsprach, war für seine Umgebung die eines pedantischen Erziehers, dessen pädagogische Penetranz jedoch eine außerordentliche Wirksamkeit besaß. Hinter der äußeren Mittelmäßigkeit seines Auftretens, den vielen Skurrilitäten seiner emsigen Betriebsamkeit, die viele Betrachter irreführten, verbarg sich ein hervorragender Taktiker, der mit Geduld und Geschick seine Position aufzubauen wußte und die Fähigkeit besaß, Menschen verschiedenster Herkunft und Ambitionen an sich zu binden, teilweise zu korrumpieren und seinen Zielen dienstbar zu machen. Die außerordentliche Macht, die er ausübte, die Fürsorge, die er seinen Untergebenen entgegenbrachte, wird seltsam kontrastiert von der Unterwürfigkeit, mit der er seinem „Führer“ gegenübertrat. Daß er bei seinen vielfältigen Unternehmungen Niederlagen einstecken mußte, die Macht bestimmter Personen, wie zum Beispiel die Martin Bormanns, oder bestimmter Institutionen, wie die der Gauleiter, ja selbst der Wehrmacht, respektieren mußte, gehörte zu den Alltäglichkeiten der vielfältig delegierten Machtbefugnisse unter →Hitlers Herrschaft. Andererseits entsprach es seinem politischen Spürsinn, sich bei der Realisierung Hitlerscher Hauptziele an die Schalthebel der Macht zu manövrieren. Daß er gelegentlich selbst bei →Hitler auf spöttische Zurückhaltung angesichts seiner vielfältigen Engagements stieß, darf nicht über seine wahre Bedeutung täuschen. Im ideologischen Bereich entwickelte H. die Ideen →Hitlers konsequent weiter und versuchte, sie mit äußerster Radikalität zu realisieren. Im politischen Alltag gewährleistete er mit der von ihm ausgeübten Macht die innere Sicherheit des Hitlerstaates. In diesem Sinne war er eine der konsequentesten und wirklich entscheidenden Persönlichkeiten des nationalsozialistischen Staates.
-
Literatur
E. Kogon, Der SS-Staat, 1946, ⁵1959;
F. Kersten, Totenkopf u. Treue, 1952;
W. Frischauer, H.: the evil genius of the Third Reich, 1953;
E. Neusüß-Hunkel, Die SS, 1950;
G. Reitlinger, The SS: alibi of a nation, 1957, dt. 1957;
W. Angress u. B. Smith, Diaries of H. H.s early years, in: The Journal of Modern Hist. 31, Nr. 3, 1959;
R. Koehl, The Character of the SS, ebd. 34, Nr. 3, 1962;
J. C. Fest, Das Gesicht d. 3. Reiches, 1960;
H. Buchheim u. a., Anatomie d. SS-Staates I, 1965;
H. Fraenkel u. R. Manvell, H., 1965;
H. Höhne, Der Orden unter d. Totenkopf, 1967;
H. Heiber, Reichsführer! Briefe an u. v. H., 1968;
J. Ackermann, H. H. als Ideologe, 1970 (P). - Eigene Archivstud. -
Autor/in
Wolfgang Scheffler -
Zitierweise
Scheffler, Wolfgang, "Himmler, Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 172-175 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11855123X.html#ndbcontent