Lebensdaten
1871 – 1950
Geburtsort
Lübeck
Sterbeort
Santa Monica (Kalifornien, USA)
Beruf/Funktion
Schriftsteller
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118577131 | OGND | VIAF: 36957174
Namensvarianten
  • Mann, Heinrich
  • Man Heng li xi
  • Man Henglixi
  • mehr

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Zitierweise

Mann, Heinrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118577131.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1840–91), Getreide- u. Speditionskaufm., niederländ. Konsul u. (seit 1877) Senator d. Freien Stadt Lübeck, S d. Joh. Siegmund (1797–1863), Kaufm., niederländ. Konsul in L., u. d. Elisabeth Marty;
    M Julia (1851–1923), T d. Joh. Ludwig Hermann Bruhns (1821–93), Kaufm. u. Pflanzer in Brasilien, u. d. Maria da Silva;
    B Thomas (s. 2), Viktor (1890–1949), Schriftsteller, Vf. v. „Wir waren fünf (1949);
    Schw Julia (1877–1927, Löhr), Carla (1881–1910), Schauspielerin (s. L);
    1) 1914 ( 1928) Maria Kanova (eigtl. Kahn, 1886–1947), aus Prag, Schauspielerin, 2) 1939 Nelly Kröger (1898–1944), Fischers-T aus Ahrensböck b. Lübeck;
    1 T aus 1).

  • Biographie

    M.s literarische Begabung zeigte sich auf einer Reise des Dreizehnjährigen nach St. Petersburg 1884, über die er ein Tagebuch führte. 1885 begann er mit erzählerischen, 1887 mit poetischen Versuchen. 1889 verließ er das Lübecker humanistische Gymnasium Katharineum mit dem Zeugnis der Unterprima. Er trat im selben Jahr eine Buchhandelslehre in Dresden an, die er bald abbrach. 1890/91 volontierte er im S. Fischer Verlag, Berlin, und hörte Vorlesungen an der Universität. Prägend wurde für sein Schaffen die Auseinandersetzung mit den literarischen Schulen des Naturalismus und Impressionismus.

    Nach dem Tod des Vaters und der von diesem testamentarisch verfügten Liquidierung der Firma Johann Siegmund Mann 1891 begann M. – finanziell unabhängig – seine Laufbahn als freier Schriftsteller. Er veröffentlichte erste Rezensionen in den Zeitschriften „Die Gesellschaft“ und „Die Gegenwart“. Damit war er zu eine Zeit lebhaftester weltanschaulicher Debatten ins literarische Leben eingetreten. Er öffnete sich Hermann Bahrs Kritik am Naturalismus sowie dem Psychologismus Paul Bourgets. Bestimmend für ihn wurden auch erkenntnistheoretische Erörterungen Emil Du Bois-Reymonds, die sich gegen das kausalmechanische Weltbild des Positivismus richteten. 1893 erfolgte die Übersiedlung mit der Mutter und den Geschwistern nach München; M. hat seither seine Vaterstadt nicht wieder besucht. 1892-98 hielt er sich allerdings meist in Italien (vor allem in Rom) auf – 1896-98 mit seinem Bruder Thomas – und begann seinen ersten, psychologisierenden Roman „In einer Familie“, dessen Druck 1894 die Mutter finanzierte. Die Figurenkonstellation orientiert sich im wesentlichen an der von Goethes „Wahlverwandtschaften“. 1895/96 war M. als Nachfolger Friedrich Lienhards Herausgeber der konservativen Monatsschrift „Das Zwanzigste Jahrhundert, Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt“. Seine eigenen Beiträge darin boten einen Querschnitt offiziöser, ja offizieller Meinungen des kaiserl. Deutschlands. Die Mittelstandspolitik des preuß. Finanzministers Johs. v. Miquel, Nietzsches Antisozialismus, Frdr. Naumanns Rechtfertigung des Krieges durch die christliche Religion, der Antisemitismus des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker, die völkische Überhebung der „Alldeutschen“ waren in ihr ebenso zu finden wie die Vorstellungen Heinrich v. Treitschkes, der mit seinem|Eintreten für Hohenzollernverehrung, Militarismus und Antiparlamentarismus, seinem Rassendünkel und seinem irrationalen Schicksalsglauben eine Summe des Ganzen gab. Alle diese Themen hat M. bald als Material der Satire in seinen gesellschaftskritischen Romanen verwandt.

    M.s erster Roman war – nach der von Bourget aufgestellten Romantypologie – als „roman de caractère“, der Analyse des Innenlebens, der Moral, der „Décadence“ ausgeführt. Diese Analysen führte M. nicht, wie ursprünglich geplant, weiter. Er richtete vielmehr seine Aufmerksamkeit auf die klassischen Traditionen des franz. Romans: die plastischen Darstellungen Daudets und Maupassants erschienen ihm zuerst als Gegenbeispiele einer nicht durch Reflexion und psychologische Analyse aufgelösten Erzählweise. Flaubert trat hinzu, seit 1896 Balzac und gegen 1900 Anatole France: sie alle sind Vertreter des in der Romantypologie von Bourget sogenannten „roman de moeurs“, des Abbilds der „vie extérieure et sociale“. Diesen Vorbildern schloß sich M. nun an. Nahm er im „Zwanzigsten Jahrhundert“ den franz. „Preßroman“ noch als Beleg für die Machtstellung der „jüdischen Zeitungsbesitzer“ mit dem Bedauern, „daß sich in Deutschland die höhere Erzählkunst noch kaum der Judenfrage angenommen“ habe, so wirkte nun seine Lektüre von Maupassants „Bel Ami“ besonders auf den Entwurf seines zweiten Romans „Im Schlaraffenland, Ein Roman unter feinen Leuten“ (1900) und mag dazu beigetragen haben, daß der Entwurf dieses deutschen „Preßromans“ der älteren Konzeption der „Göttinnen“ (1903) vorgezogen wurde. „Im Schlaraffenland“ ist formal ein Gegenstück zu „In einer Familie“. Mit seiner Fülle von Figuren aus unterschiedlichsten sozialen Milieus ist in ihm zum erstenmal im Werk M.s eine mächtige Gesellschaftspyramide aufgeschichtet. Auch andere Mittel, die seither M.s Erzählkunst bestimmen, sind hier ausgebildet: ein unter den Figuren anwesender Erzähler des Romans, dramatische Szenenführung, scharfe Schnitte zwischen den Szenen, weite Dialogpartien. Inhaltlich wird die „Kritik von rechts“, die M. im „Zwanzigsten Jahrhundert“ an der Gesellschaft geübt hatte, mit den ideologischen Mitteln eines romantischen Antikapitalismus, der sich vornehmlich gegen die jüd. Großbourgeoisie richtet, fortgesetzt. Dabei werden sämtliche Konventionen und Einrichtungen der Gesellschaft satirisch entwertet und verneint; Positionen sind im „Schlaraffenland“ nicht erkennbar. Die Satire umgreift auch Kunst und Literatur und unterzieht sie als Objekte der „feinen Leute“ der Abwertung.

    Wesentlich für M.s Entwicklung wurde in diesen Jahren die Lektüre der Schriften von Nietzsche und Georg Brandes. Nietzsches europäisch gesinnte und speziell anti-preußische, anti-reichsdeutsche Kulturkritik, auf deren politische Akzente er durch Brandes' Vorlesungen und den auf sie folgenden Aufsatz über Nietzsche hingewiesen worden war, bestimmte M.s Kritik am deutschen Bürgertum bald nach Abschluß seines ersten Romans. Diese Kritik umschließt Themen, die er bis in sein Spätwerk in vielen Variationen bearbeitete: die Künstler und Komödianten sowie besonders – vermutlich angeregt durch Wilhelm II. – die wesenlosen, leeren Nachahmer in Gesellschaft und Geschichte, die „Bösen“ (als solche figurieren im Spätwerk auch Hitler, Wagner und Sacha Guitry in „Ein Zeitalter wird besichtigt“, ebenso Friedrich II. in „Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen“). Auch Nietzsches aus der Ablehnung des Historismus erwachsener Geschichtsrelativismus hat vorübergehend auf M.s Geschichtsbild eingewirkt. Folgenreicher war allerdings für M. die ihm durch Brandes und die Franzosen Bourget und Taine vermittelte Kenntnis von Hegels Geschichtsphilosophie, die, um ihren Idealismus verkürzt und auf ein Triadenschema historischer Entwicklung beschränkt, von Anfang an Nietzsches Einflüssen relativierend entgegentrat und sich auf die Gliederung der Kaiserreich-Romane ausgewirkt hat. M. hatte sich die Bausteine seines Welt- und Menschenbildes vor der Jahrhundertwende angeeignet. Der Entwurf eines radikal demokratisch-republikanischen Gesellschaftsbildes, Grundlage seines späteren literarischen Schaffens und politischen Engagements, stand noch aus. Zunächst arbeitete er die gewonnenen negativen Einsichten in die Gesellschaft mit äußerster Konsequenz durch.

    „Vorerst habe ich, wie Sie verstehen werden, die landläufigen Bürger satt“, schrieb M. nach Abschluß des „Schlaraffenlandes“ an seinen Münchner Verleger Albert Langen (2.12.1900). In der Romantrilogie „Die Göttinnen“ (1903) flüchtete er sich in den Gestus des enttäuschten Romantikers, der der negativ erlebten Gesellschaft sein Ideal als unerfüllbaren Traum entgegenstellt. Angeregt von Bourget, d'Annunzio und Flaubert („Salammbô“) und durch gewisse damals lebendige Vorstellungen des „Renaissancismus“ – einer fragwürdigen gründerzeitlichen|Renovatio aus Sage, Mythos und dekorierter Antike – steigerte M. seine Gesellschaftsfeindlichkeit und Antibürgerlichkeit zum Affekt, der seine Begründung im Ästhetischen suchte. „Bürger“, so bekennt die Hauptfigur der „Göttinnen“, die Herzogin von Assy, „so nenne ich alle, die häßlich empfinden und ihre häßlichen Empfindungen obendrein lügenhaft ausdrücken“. Der in sechs Monaten niedergeschriebene, im selben Jahr erschienene Roman „Die Jagd nach Liebe“ (1903) transponierte den Ästhetizismus in das München der Jahrhundertwende mit seinen Boden- und Bauspekulationen, mit seinen Malerzirkeln der „Schlawiner“ und „Sezessionisten“, mit seinen höfischen Schaustellungen. Allein, das gesamte zeit- und kulturkritisch verwertete Material vermochte dem kärglichen Gehalt einer folgenlosen Liebesgeschichte, die zudem kolportagehaft Erfahrungen der Schwester Carla benutzte, nicht aufzuhelfen. Sein Bruder Thomas war von „dieser Fratzenwelt der krassen Effekte“ abgestoßen und mutmaßte, „die Begierde nach Wirkung“ habe M. „korrumpiert“ (5.12.1903). Der erste große, zu dieser Zeit noch ästhetisch-literarisch begrenzte Konflikt der Brüder war damit ausgebrochen.

    Das formstrengste Werk dieser Jahre war M.s Novelle „Pippo Spano“, die Geschichte vom Versagen eines „steckengebliebenen Komödianten“: Die Umwertung von Nietzsches Renaissance-Ideal zum Requisit der Maskerade eines Literaten, der sich als Condottiere empfinden möchte, war ein Ausdruck für M.s einsetzenden Anschauungswandel. Er begann, die Ausweglosigkeit affektiver Negationen zu begreifen. Eine autobiographische Notiz spricht von der völligen Isolation, in der er sich befand und in der er dahin gelangte, „sein Wirkungsbedürfnis einzuengen, es an einem Einzigen auszulassen; wodurch es gewinnt an Heftigkeit“ (1904).

    Im Herbst 1904 verfaßte M. den Roman „Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen“ (1905), dessen Filmversion „Der blaue Engel“ ihm 25 Jahre später Weltruhm brachte (Drehbuch Carl Zuckmayer, Regie Josef v. Sternberg, mit Marlene Dietrich, Emil Jannings u. a.). Mit der Schulgeschichte dieses Romans, in der er Schlußpartien der „Buddenbrooks“ über Hanno nutzt, übt M., wie auch Wedekind, Musil, Robert Walser und Hesse, Kritik am bürgerlichen Schuldrill. Wenn Professor Rat schließlich seine Stimme der SPD gibt, um „den Widerstand einiger in allgemeiner Anarchie zu begraben“, so ist dies eine negative politische Motivation. Dieser Aspekt der „Macht“, den M. später in ausgeschiedenen Passagen seiner Memoiren „Ein Zeitalter wird besichtigt“ (1945) dem Werk als wesentlich zuschreibt und der auch den Untertitel des Romans bestimmt, wird im Film allerdings zugunsten der Liebesgeschichte vernachlässigt. Während M. noch an diesem Roman arbeitete, legte er in einer Zuschrift an Maximilian Harden, den Herausgeber der Zeitschrift „Die Zukunft“, sein frühestes Bekenntnis zur parlamentarischen Republik ab; gleichzeitig verurteilte er den deutschen Machtstaat: Dieser werde als „geschickte Tyrannei“ zwar „fette Untertanen“, aber „immer nur Untertanen“ hervorbringen. Zwei Jahre später begann er Materialien zu seinem berühmtesten Roman „Der Untertan“ zu sammeln. Mit diesem Begriff der anarchisch zu stürzenden „Macht“ hatte M. sich die eine, die negative Seite seines gegensätzlichen Begriffspaares „Macht/Geist“ geschaffen. Seinem „Geist“-Begriff versuchte er im folgenden Roman „Zwischen den Rassen“ (1907) Gestalt zu geben: Während die „Macht“ stets „das Bestehende“ vertritt, ist ihr Gegensatz, der „Geist“, stets auf die Revolutionierung der bestehenden Verhältnisse gerichtet. „Zwischen den Rassen“ enthält ein glühendes Bekenntnis zu Rousseau und zur „ungeheuren Güte der Demokratie, ihrer Kraft, Würde zu wecken, Menschlichkeit zu zeigen, Frieden zu verbreiten.“ Aber das blieben Absichtserklärungen; die erzählerische Gestaltung der zugrundeliegenden Fabel, einer italienischen Ehetragödie, die 1906 als „Der Fall Murri“ die europäische Presse beschäftigte, ist nicht gelungen. M.s intellektuelle Entwicklung bewegte sich jedoch immer stärker auf die aus dem Gegensatz „Macht/Geist“ zu entwickelnde Synthese zu, die in dem Grundsatz enthalten ist: „So sei der Politiker Geist und der Geistige handle“ (Geist und Tat, 1910).

    1909 erschien der Roman „Die kleine Stadt“, ein nicht nur seines demokratischen Gehalts, sondern auch seiner Form wegen in der deutschen Literatur einzig darstehendes Werk. Ein Personal von mehr als hundert Figuren, jede psychologisch und gestisch durch charakteristische Details plastisch gezeichnet, wird im Italien nach dem Risorgimento auf dem engen Raum des Marktes, der Cafés, des Domes und eines alten Palastes der „kleinen Stadt“ – zu der Palestrina südlich von Rom, der Aufenthaltsort von Heinrich und Thomas Mann 1896–98, das Modell gab – mit müheloser Sicherheit bewegt. Der|Ablauf der Ereignisse wird nach den klassischen Regeln des Dramas in fünf Kapiteln dem Ausgang zugeführt: Die Stadt erlebt ein Operngastspiel, die Bürger erleben die Kunst. „Die singenden Gestalten waren stärker und reiner als sie, und doch sie selbst. Da waren sie glücklich, Menschen zu sein. Sie liebten einander.“ Die Künstler erfahren die lebendige Wirksamkeit ihres Tuns: „Ich wußte es, wir seien nicht allein; ein Volk höre uns!“ Die Synthese von Kunst und Leben ist hier in der Kunst erreicht. Der folgende Roman „Der Untertan“ (Vorabdruck einzelner Kapitel 1911/12 im „Simplizissimus“, 1914 in „Zeit im Bild“ in Fortsetzungen erschienen, die im August des Jahres abgebrochen wurden, Buchausgabe 1918) stellt ein Gegenbild zum Wilhelminischen Deutschland dar. In einem Brief an seinen franz. Freund, den Literaturprofessor Félix Bertaux, hat M. 1922 seinen „Untertan“ mit Stendhals „Rot und Schwarz“ verglichen – in dem berechtigten Selbstbewußtsein, den bedeutendsten gesellschaftskritischen Bildungsroman seiner Zeit vorgelegt zu haben. Die Geschichte des Diederich Heßling kann auch als Illustration der Deutung seiner Epoche verstanden werden, die M. bei Erscheinen des Romans, in seinem großen Essay „Kaiserreich und Republik“ (1918), gab: als „Nachahmung“, „Wiederholung“, „Nachäffung“ des „Ludwig Philippschen Königtums der bereicherten Bürger“, des „Kaisertums Napoleons des Dritten mit seiner blendenden Fassade, inneren Mürbheit, seiner Theaterregie“. M. vereinigte im „Untertan“ den „roman de moeurs“ mit dem „roman de caractère“, den Psychologismus von Bourget und Nietzsche mit der Gesellschaftsdarstellung Balzacs und Zolas.

    Seit dem Erscheinen dieser Romane und der politisch-kulturpolitischen Essays „Voltaire – Goethe“, „Geist und Tat“ im Jahr 1910 galt M. der jungen expressionistisch-literarischen Generation als Wortführer des „Aktivismus“. Er gehörte bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu den sehr wenigen europäischen Intellektuellen, die sich gegen die chauvinistische Kriegsbegeisterung wandten. Insbesondere gegen die Haltung seines Bruders Thomas protestierte M. mit seinem Essay „Zola“ (1915). Der weltanschauliche Konflikt der Brüder währte als stillschweigende Trennung bis 1922. Der große Verkaufserfolg des „Untertan“ nach Kriegsende wie auch die zahlreichen Aufführungen seiner im Jahrzehnt bis 1920 geschriebenen Schauspiele befestigten M.s Ansehen in Deutschland. In den ersten Jahren der Weimarer Republik versuchte er den Erfolg des „Untertan“ fortzusetzen. Dem negativen Bildungsroman des imperalistischen Bourgeois fügte er die Darstellungen des Proletariats („Die Armen“, 1917) sowie der Großindustrie, der leitenden Bürokratie und der Diplomatie („Der Kopf“, 1925) an; er begriff diese drei Werke als „die Romane der deutschen Gesellschaft im Zeitalter Wilhelms II.“ und faßte sie unter dem Titel „Das Kaiserreich“ zusammen. Die literarische Wirkung der Fortsetzungen blieb allerdings gering. Bedeutsamer als sein belletristisches war sein publizistisches und essayistisches Werk der 20er Jahre. In ihm setzte er sich für die deutsch-französische Verständigung sowie für eine paneuropäische Bewegung ein.

    Nach der Trennung von seiner ersten Frau, mit der er seit 1914 in München gewohnt hatte, übersiedelte M. 1928 nach Berlin. Nach seiner Wahl in das Gründungskapitel der Sektion Dichtkunst der Preuß. Akademie der Künste zu Berlin wurde er 1931 als deren Präsident berufen, doch schon 2 Jahre später unter politischem Druck zum Austritt gezwungen. Unmittelbarer Anlaß war seine mit Käthe Kollwitz unternommene Unterzeichnung eines Aufrufs des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes zur Einigung von SPD und KPD im Februar 1933. Noch im selben Monat emigrierte M. nach Frankreich, wo er zusammen mit Nelly Kröger – die er 1939 heiratete – bis 1940 in Nizza lebte. Er war seit der Pariser Gründung der Deutschen Volksfront 1935 deren Präsident. 1936 wurde ihm, dem 1933 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, die tschechische Staatsbürgerschaft gewährt. – In der franz. Emigration schrieb M. die großangelegten Romane „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ (1935) und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“ (1938). Er stellte mit diesem Volkskönig des Toleranzedikts von Nantes einen vorbildlichen humanistischen Politiker dar, der die von ihm selbst propagierte Synthese von „Macht“ und „Geist“ praktizierte. Dieser historische Roman sollte, M.s pragmatischem Geschichtsdenken gemäß, ein „wahres Gleichnis“ für die Gegenwart sein und wurde als solches von Kollegen und Kritikern wie Thomas Mann, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, Hermann Kesten und Georg Lukács sogleich erkannt und gerühmt.

    1940 floh M. zusammen mit Lion Feuchtwanger, Golo Mann und Franz Werfel über Spanien und Portugal in die USA. Dort lebte er in Hollywood, dann in einem anderen Stadtteil|von Los Angeles und zuletzt in Santa Monica in äußerst eingeschränkten Verhältnissen. Im amerikan. Exil entstand – in Dialogformen und Struktur z. T. angeregt durch M.s Tätigkeit als Scriptwriter für die Filmgesellschaft Warner Brothers – das bisher weitgehend unbeachtet und unverstanden gebliebene Alterswerk. Mit der Antinazi-Satire „Lidice“ (1943) reagierte M. auf die „Ausmerzung“ des böhm. Dorfes Lidice durch die SS am 9.6.1942. Formal teilte er den Roman in 101 z. T. sehr kurze Szenen mit Perspektiven nach Art des klassischen Films wie „Totale“, „Halbnah“, „Nah“ ein und übernahm auch das Doppelgängermotiv, das gerade in zwei großen Hollywoodfilmen verwandt worden war (Chaplins „The Great Dictator“, 1941, und Ernst Lubitschs „To Be or Not To Be“, 1942). Dieser Dialogroman wurde, nachdem M. befürchtet hatte, „Fehler begangen zu haben, in der Sache oder im Ton und Takt“ (6.12.1943 an C. F. Weiskopf), erst 1984 wiederaufgelegt.

    Im Alterswerk M.s verweisen Memoiren sowie Essayistisches und das erzählerische Werk wechselseitig aufeinander: Die Romane „Empfang bei der Welt“ (postum 1956) und „Der Atem“ (1949) sowie das Erinnerungsbuch „Ein Zeitalter wird besichtigt“ (1945) und die Fragment gebliebene „Traurige Geschichte von Friedrich dem Großen“ (postum 1960). Insbesondere die beiden letzten großen Romane reflektieren verschlüsselt autobiographische Erlebnisse: In „Empfang bei der Welt“, einer internationalen Gesellschaftssatire, ersteht das großelterliche Lübecker „Buddenbrook“-Haus noch einmal und beherbergt eine Figur, den Geheimen Rat Balthasar, in dem sich Facetten Goethes, des Senators Mann und M.s selber widerspiegeln; über die Hauptfigur von „Der Atem“, die der österr. Hocharistokratie angehörige Baronin Kovalsky, geborene Gräfin Traun, „de la maison Traun-Montéformoso“, hat M. bekannt, sie sei „eine Übertragung meines eigenen Erlebens“ (14.8.48 an Karl Lemke). Während in den Romanen die Erinnerung an das alte Europa vorherrscht, kommentieren seine programmatische Essayistik und seine Autobiographie den sozialistischen Aufbau im neuen Europa.

    1947 wurde M. der philosophische Ehrendoktorgrad der Humboldt-Universität, Berlin, und 1949 der Nationalpreis 1. Klasse für Kunst und Literatur der DDR verliehen. Im selben Jahr nahm er auch die Berufung als Präsident der neu zu gründenden Deutschen Akademie der Künste zu Berlin (Ost) an.

  • Werke

    Ges. Werke, 4 Bde., 1909;
    Ges. Romane u. Novellen, 10 Bde., 1917;
    Ges. Werke, 13 Bde., 1925-32;
    Ausgew. Werke in Einzelausg., hrsg. i. A. d. Dt. Ak. d. Künste zu Berlin v. A. Kantorowicz, 13 Bde. (Bd. 13, besorgt v. H. Kamnitzer), 3 Erg.bde., 1951-62 (verkürzte Lizenzausg., 15 Bde., 1958-82);
    Ges. Werke, hrsg. v. d. Dt. Ak. d. Künste zu Berlin, 1965 ff. (textkritisch);
    Werkauswahl in zehn Bänden, 10 Bde., Suppl.bd., 1976. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Berlin, Ak. d. Künste d. DDR; Marbach, Dt. Lit.archiv.

  • Literatur

    Forschungsberr., Bibliogrr.: H. Dittberner, H. M., Eine krit. Einführung in d. Forschung, 1974;
    J. Haupt. H. M., 1980;
    Arbeitskreis H. M., Mitt.bl., Nr. 1-17, 1972-82;
    H. M.-Jb., Nr. 1 ff., hrsg. v. H. Koopmann u. P.-P. Schneider, 1983 ff. – E. Zenker, H.-M.-Bibliogr., Werke, hrsg. v. d. Dt. Ak. d. Künste zu Berlin, 1967, VIII;
    R. Eggert, Vorläufiges Findbuch d. Werkmanuskripte v. H. M. (1871-1950), 1963;
    A. Banuls, Bibliogr., in: ders., H. M., 1970, S. 236-60;
    K. Schröter u. H. Riege, Bibliogr. zu H. M., in: H. M., hrsg. v. H. L. Arnold, ³1979, S. 150-61. – Monographien: U. Weisstein, H. M., Eine hist.-krit. Einführung in s. dichter. Werk, 1962;
    A. Banuls, H. M., Le poète et la politique, 1966 (dt., gekürzt, neu bearb.: 1970);
    K. Schröter, Anfänge H. M.s, Zu d. Grundlagen s. Gesamtwerks, 1965;
    ders., H. M. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten, 1967, 67. Tsd. 1986 (P);
    ders., H. M., „Untertan“ – „Zeitalter“ – Wirkung, Drei Aufsätze, 1971;
    H. König, H. M., Dichter u. Moralist, 1972;
    V. Ebersbach, H. M., Leben, Werk, Wirken, 1978 (Lizenzausg. 1978). – Sammelbde.: H. M. 1871-1950, Werk u. Leben in Dokumenten u. Bildern, Mit unveröff. Mss. u. Briefen aus d. Nachlaß, hrsg. v. d. Dt. Ak. d. Künste zu Berlin anläßl. d. Ausstellung zu s. 100. Geb.tag 1971, ²1977 (P);
    H. M., hrsg. v. H. L. Arnold, 1971, ³1979;
    H. M. 1871/1971, Bestandsaufnahme u. Unters., Ergebnisse d. H. M.-Tagung in Lübeck, hrsg. v. K. Matthias, 1973;
    H.-M.-Symposium in Lübeck 1981, hrsg. v. H. Koopmann u. P.-P. Schneider, 1983. – Kunisch-Wiesner;
    Kosch, Lit.-Lex.³. – Zu Schw Carla: M. Goch, in: Schwestern berühmter Männer, hrsg. v. L. F. Pusch, 1985.

  • Porträts

    H. M. 1871-1950, Werk u. Leben in Dokumenten u. Bildern, ²1977, S. 369-440;
    ebd. Reproduktionen d. Porträt-Gem., -Zeichnungen u. -
    lith. v. O. Gulbransson (1904), M. Oppenheimer (1910, 1912, 1913, 1916), E. Stumpp (1915), E. Scharft (1920), W. Geiger (1922), S. Schülein (um 1925), G. Seitz (1951) u. d. Bronzeplastiken v. E. Scharff (1921) u. G. Seitz (um 1951). – Zeichnung v. M. Liebermann (1928);
    Steindruck v. H. Janssen (1967).

  • Autor/in

    Klaus Schröter
  • Zitierweise

    Schröter, Klaus, "Mann, Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 39-43 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118577131.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA