Lebensdaten
1859 – 1938
Geburtsort
Proßnitz (Mähren)
Sterbeort
Freiburg (Breisgau)
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118555006 | OGND | VIAF: 44300322
Namensvarianten
  • Husserl, Edmund
  • Ai de meng de Hu sai er
  • Aidemengde-Husai'er
  • mehr

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Zitierweise

Husserl, Edmund, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118555006.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Adolf (1826–82), Händler in Tuchen, Kurz- u. Weißwaren in P.;
    M Julie Selinger (1834–1917);
    B Heinrich (1857–1930/33), Emil (1869–1930/33), beide Kleider- u. Wäschefabr. in P. u. Wien;
    - Wien 1887 Malwine (1860–1950), T d. Realschulprof. Sigismund Steinschneider in Klausenburg u. d. Antonie Simon;
    2 S (1 ⚔) Gerhart (1893–1973), Prof. d. Rechte (s. L), 1 T Elisabeth (⚮ Jakob Rosenberg, * 1893, Prof., Kunsthist.).

  • Biographie

    Nach dem Abitur (Deutsches Staatsgymnasium Olmütz 1876) begann H. in Leipzig mit dem Studium der Physik, Mathematik, Astronomie und Philosophie. 1878 wechselte er zur Univ. Berlin über. Sein Hauptinteresse galt nun der Mathematik, die er bei Kronecker und Weierstraß hörte, aber daneben setzte er auch das Philosophiestudium fort. 1881 ging H. nach Wien und promovierte dort 1882 bei L. Königsberger zum Dr. phil. mit der Dissertation „Beiträge zur Theorie der Variationsrechnung“. 1883 arbeitete er ein Semester lang als Assistent bei Weierstraß in Berlin und kehrte im WS 1883/84 nach Wien zurück, um sein Philosophiestudium bei F. Brentano fortzusetzen, zu dem er bald engen persönlichen Kontakt fand. Durch Brentano empfohlen, ging H. 1886 zu C. Stumpf nach Halle, habilitierte sich dort in Philosophie mit dem Thema „Über den Begriff der Zahl, Psychologische Analysen“ und lehrte nach Ernennung zum Privatdozenten (1887; Antrittsvorlesung „Die Ziele und Aufgaben der Metaphysik“) an der Univ. Halle die Philosophie, bis er – 1894 zum Professor ernannt – schließlich 1901, einem von D. Hilbert vermittelten Ruf folgend, als ao. Professor nach Göttingen ging. Nachdem dort 1905 die Philosophische Fakultät seine vom Ministerium vorgeschlagene Ernennung zum Ordinarius „wegen Mangels an wissenschaftlicher Bedeutung“ abgelehnt hatte, erhielt er 1906 ein persönliches Ordinariat. 1916 ging H. als o. Professor und Nachfolger von H. Rickert nach Freiburg/Breisgau. Das Programm seines philosophischen Schaffens stellte er in der Antrittsvorlesung unter dem Thema „Die reine Phänomenologie, ihr Forschungsgebiet und ihre Methode“ vor. Hier gelang es ihm, sich einen bedeutenden Schülerkreis zu schaffen. Einen Ruf|der Univ. Berlin, die Nachfolge von E. Troeltsch zu übernehmen, lehnte er 1923 ab und verblieb im Amt, bis ihm nach seiner Emeritierung (1928) M. Heidegger nachfolgte. Wegen seiner jüd. Abstammung wurde H. 1933 der Professortitel aberkannt, dann wegen seines im 1. Weltkrieg gefallenen Sohnes wiederverliehen und schließlich 1936 endgültig entzogen.

    Der Umfang des philosophischen Lebenswerkes von H., dem Begründer der Phänomenologie, wurde erst durch die 1950 einsetzende Veröffentlichung seines Nachlasses sichtbar. Entscheidende Voraussetzungen für H.s philosophische Entwicklung liegen in seinem Mathematikstudium sowie in der Begegnung mit Brentanos deskriptiver Psychologie und deren Grundidee der Intentionalität. H.s Interesse galt zunächst einer psychologischen Einführung der Grundbegriffe der Arithmetik sowie der Analyse ihrer Methoden, wobei er Ansätze der zeitgenössischen Mathematik aufnahm (s. Habil.schr., 1887, u. Philosophie der Arithmetik, 1891). Dabei erkannte er, daß die Grundlegung der Arithmetik nur ein Spezialproblem der Grundlegung der Logik im weitesten Sinne überhaupt ist, und begann, sich mit der herrschenden Auffassung vom Wesen des Logischen, die er als Psychologismus charakterisiert, auseinanderzusetzen. Er unterzog diesen einer scharfsinnigen und vernichtenden Kritik (Log. Untersuchungen, Prolegomena zur reinen Logik, Bd. 1), schonte dabei die Methode seiner ersten Schriften aber ebensowenig und zeigte mit Hilfe des Begriffes der Intentionalität, daß das Wesen des Logischen ein Reich idealer Gehalte und Strukturen mit einer eigenen strengen Objektivität ist, aber nicht darin besteht, Gesetzlichkeit psychischer Abläufe zu sein. Auch die Grundlegung der Logik (Log. Untersuchungen, Bd. 2) bediente sich der entscheidenden Einsicht von der intentionalen Struktur des Bewußtseins. Sie bleibt jedoch wesentlich Psychologie, da im Begriff der Intentionalität der Bezug aller Gegenständlichkeiten auf das Subjekt, auf Bewußtsein, impliziert ist. Dies hat eine – weitertreibende – Zweideutigkeit der „Logischen Untersuchungen“ zur Folge, die eine Reflexion auf das Subjekt der Intentionalität notwendig macht. H. wurde so zunächst von den dem Bereich des Logischen zugehörenden „höheren“ Akten auf unterliegende, für den Bereich des Logischen schon vorausgesetzte Aktarten zurückgeführt, auf Wahrnehmung, Phantasie, Erinnerung und damit auf das Problem der Zeit. Die Einzeluntersuchungen hierüber blieben unbefriedigend, weil ihnen ein einheitlicher theoretischer Ansatz fehlte, den H. durch Zurückgehen auf Descartes und Kant (und damit auf den Neukantianismus) zu finden suchte. Dabei gewann er die Einsicht, daß der theoretische Ansatz eine Wesensbestimmung des Bewußtseins ermöglichen und zugleich der cartesianischen Forderung nach einem fundamentum inconeussum genügen muß. Im Zusammenhang mit dem erkenntnistheoretischen Problem der Transzendenz entdeckte H. 1907 das Grundprinzip seiner künftigen reinen Phänomenologie, die „phänomenologische Reduktion“, nämlich die Suspendierung aller auf den Gegenstand des Bewußtseins bezogenen Seinssetzung, d. h. dessen Verwandlung ins reine Phänomen. Damit eröffnete sich ihm ein weites Feld der Deskription; die Phänomenologie wird im Zusammenhang mit dem Prinzip der Wesensschau, zu der er das Brentanosche Prinzip der Evidenz umgebildet hat, als deskriptive Wesenslehre des reinen Bewußtseins etabliert. Diese hat H. erstmalig in der Programmschrift „Philosophie als strenge Wissenschaft“ (1910) zu formulieren gesucht, bis er sie 1913, als die Arbeiten an dieser neuen Phänomenologie weiter gediehen waren, in einem ersten Aufriß „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“ der Öffentlichkeit vorstellte. In der philosophischen Entwicklung H.s wurde damit der entscheidende Wendepunkt offenbar. Der Kreis seiner zum Teil bedeutenden Schüler in Göttingen war größtenteils nicht in der Lage, diese Wende nachzuvollziehen. Das weitere Schaffen H.s diente dem Ausbau und der Verbesserung der „Ideen“. Dabei sollte freilich an entscheidenden Punkten der Phänomenologie die im Ansatz bei Intentionalität und Evidenz implizierte Zweideutigkeit virulent werden. H.s Theorie der Subjektivität, die sich nun – im Anschluß an die Tradition – als Transzendental-Philosophie versteht, kennt drei hauptsächliche Problemkomplexe.

    1. Das Problem der Konstitution. Der gesamte, in der phänomenologischen Reduktion thematisierte Bestand des wirklichen oder möglichen Weltbewußtseins soll in einer Intentionalanalyse auf Regelstrukturen der transzendentalen Subjektivität zurückgeführt werden. Diese „konstitutive Phänomenologie“ wird unter Einbeziehung der (zunächst ausgeklammerten) Zeitproblematik zur genetischen Phänomenologie. In seiner „Formalen und transzendentalen Logik“ (1929) wandte sich H. vom nun erworbenen Standpunkt erneut dem Problem einer Grundlegung der Logik zu.

    2. Das Problem der Reduktion. H. entdeckte, daß der in den „Ideen I“ zunächst eingeschlagene Weg in die transzendentale Phänomenologie unzureichend ist. Er versuchte, neue Wege auszuarbeiten und gelangte dabei zu wesentlich präziseren Formulierungen seines Grundprinzips. Während er in „Cartesianische Meditationen“ (1931) noch einmal einen Weg zu bahnen versuchte, der mit einer Zweifelsbetrachtung im Sinne Descartes' seinen Anfang nimmt, bezog er in seinem Spätwerk „Die Krisis der europ. Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ (1936) die Reflexion auf den Gang der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte in seine Bemühungen mit ein. Dabei gelangte er zu einer Theorie der Lebenswelt, die allen aus Idealisierungen entsprungenen objektiven Wissenschaften zugrundeliegt und die nun Ansatz und Absprungbasis für die transzendentale Phänomenologie bilden soll. Daneben suchte H. erneut einen zureichenden Weg im Ausgang von der Psychologie.

    3. Das Problem des transzendentalen Ich. War das Ich in „Ideen I“ zunächst nur der Funktionspol des Bewußtseins und seiner Intentionalität, so versuchte H. nun das Ich in seiner Konkretion, d. h. mit seiner immanenten Geschichte, in Anlehnung an Leibniz, als Monade zu fassen. Damit ist auch dem Problem einer Vielheit der transzendentalen Subjekte, dem Problem der Intersubjektivität, ein Ort angewiesen: Phänomenologie ist transzendental-genetische Monadologie.

    H.s Lebensarbeit ist in ihrer historischen Entwicklung durch eine sich zunehmend profilierende, auf eine Neubegründung der Philosophie ausgerichtete Zielsetzung gekennzeichnet. Durch Beseitigung des psychologistischen Naturalismus in der Theorie des Denkens und der Logik, welche er in den Disziplinen einer „reinen Logik“ und der „Phänomenologie“ neu formte und fundierte, hat H. insgesamt einen außerordentlich starken Einfluß auf das philosophische Denken der Gegenwart ausgeübt. In der von ihm begründeten Neuordnung ist die universale Phänomenologie der Intentionalität das notwendige Fundament für eine wahre Psychologie und Geisteswissenschaft wie für eine universale Philosophie überhaupt.

  • Werke

    Weitere W u. a. Über d. Begriff d. Zahl, 1887 (Teil d. Habil.schr);
    Philos. d. Arithmetik I, 1891 (Neudr. in: Husserliana XII, 1969);
    Log. Unterss. I;
    Prologomena z. reinen Logik, 1900 (russ. 1909), II: Unterss. z. Phänomenol. u. Theorie d. Erkenntnis, 1901, ²1913, ²II, 1. T, 1913, ²II, 2. T., Elemente e. phänomenol. Aufklärung d. Erkenntnis, 1921 (span. 1929, franz. 1959/63, japan. ²I, 1967), ⁵I, II, 1. T., 1968, ⁴II, 2. T., 1968;
    Ding u. Raum, Vorlesungen, 1907 (Neudr. in: Husserliana 16, 1973);
    Philos. als strenge Wiss., in: Logos 1, 1910/11, Buchausg., hrsg. v. W. Szilasi, 1965 (russ. 1911, span. 1951, ²1962, portug. 1952, franz. 1955, ital. 1958, japan. 1969);
    Ideen zu e. reinen Phänomenol. u. phänomenol. Philos., 1913, ³1928 (Neudr. in: Husserliana III, 1950, engl. 1931, ²1952, span. 1949, ²1962, franz. 1950, ³1963, ital. 1950, 1965, poln. 1967);
    Vorlesungen z. Phänomenol. d. inneren Zeitbewußtseins, hrsg. v. M. Heidegger, 1928 (Neudr. in: Husserliana X, 1966;
    span. 1959, engl. 1964, franz. 1964, japan. 1969);
    Formale u. transzendentale Logik, Versuch e. Kritik d. log. Vernunft, 1929 (franz. 1957, ²1965, ital. 1966, engl. 1969);
    Méditations cartésiennes, Introduction à la phénoménol. (a. d. Dt. übers. v. G. Peiffer u. E. Levinas), 1931 (span. 1942, engl. 1960, ³1969, ital. 1960) (dt. Urfassg. in: Husserliana I, 1950;
    Japan. 1956, engl. 1964);
    Die Krisis d. europ. Wiss. u. d. transzendentale Phänomenol., in: Philosophia 1, 1936 (Neudr. in: Husserliana VI, 1954 f. (franz. 1949, ital. 1961);
    Erfahrung u. Urteil, Unterss. z. Geneal. d. Logik, hrsg. v. L. Landgrebe, 1939 (Neudr. 1948), ³1964 (ital. 1960);
    - Hrsg.: Jb. f. Philos. u. phänomenol. Forschung 1-11, 1913-30. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Das Husserl-Archiv Löwen (Belgien, gegr. 1939, Leitung: H. L. Van Breda) besitzt ca. 30 000 in Gabelsberger Stenogr. geschr. Bll., 10 000 S. Transkriptionen, H.s phil. Bibl., ca. 1 400 Briefe v. u. an H. u. Dokumente üb. s. Leben u. s. Laufbahn. Es gibt in Zusammenarbeit mit d. Husserl-Archiv a. d. Univ. Köln d. „Husserliana, E. H.s Gesammelte Werke“ (bisher 16 Bde., 1950-73) heraus. Weitere Husserl-Archive bestehen in Buffalo, N. Y. (gegr. 1947), Freiburg im Breisgau (gegr. 1950), Köln (gegr. 1951), Paris (gegr. 1957) u. in New York (gegr. 1966).

  • Literatur

    W. Illemann, H.s vorphänomenolog. Philos., 1932 (W-Verz.);
    A. D. Osborne, H. and his logical Investigations, ²1949 (W-Verz., P);
    E. H. 1859-1959, hrsg. v. H. L. Van Breda (= Phaenomenol. IV), 1959 (W-Verz., P);
    Omaggio a H., hrsg. v. E. Paci, 1960 (W-Verz.);
    M. Farber, The foundation of phenomenol., E. H. and the quest for rigorous science of philos., ²1962;
    D. Christoff, H., ou le retour aux choses, 1966 (W-Verz.);
    L. Kelkel u. R. Schérer, H., La vita e l'opera, 1966 (W-Verz.). - Phaenomenlogica, 50 Bde., 1958-73. -
    F. J. Brecht, in: Gr. Deutsche V, 1957, S. 436-48 (P). - Zu S Gerhart: A. Hollerbach, in: Freiburger Univ.-Bll. 43, 1974.

  • Porträts

    Bronzebüste v. H. Isenstein, 1929 (Kopie im H.-Archiv Löwen);
    Zeichnung v. R. Stumpf, 1931, Abb. in: Phaenomenol. IV, 1959;
    Gem. v. Hagemann (Freiburg, Phil. Seminar d. Univ.).

  • Autor/in

    Ulrich Claesges
  • Zitierweise

    Claesges, Ulrich, "Husserl, Edmund" in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 87-89 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118555006.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA