Lebensdaten
1882 – 1927
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Göttingen
Beruf/Funktion
Professor der Philosophie in Göttingen ; Gründer des Internationalen Jugendbundes
Konfession
evangelisch?
Normdaten
GND: 118586947 | OGND | VIAF: 49229515
Namensvarianten
  • Nelson, Leonhard
  • Nelson, Leonard
  • Nelson, Leonhard
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Zitierweise

Nelson, Leonard, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586947.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1854–1929), RA in B.;
    M Elisabeth (1860–1920), Malerin, T d. Walter Arnold Abraham Dirichlet (1833-v. 1889) auf Klein-Bretschkehmen, 1877 Mitgl. d. preuß. Abg., 1880 MdR, u. d. Anna Sachs (1835–1889);
    Ur-Gvm Gustav Peter (Lejeune)|Dirichlet (1805–59), Mathematiker (s. NDB III);
    Ur-Gmm Rebecca Mendelssohn Bartholdy (T d. Abraham Mendelssohn Bartholdv. 1776-1835, Bankier, s. NDB I*, III*, VIII*, 17*);
    1907 ( 1912) Elisabeth Schemann (1884–1954);
    1 S.

  • Biographie

    N. wuchs in einem weltbürgerlich-offenen Elternhaus auf, in dem er den Altphilologen U. v. Wilamowitz-Moellendorf, das Malerehepaar Lepsius, den Philosophen Georg Simmel und den Lyriker Stefan George kennenlernte. Am Franz. Gymnasium in Berlin entwickelte er ein Interesse an den Naturwissenschaften und an der Philosophie Kants, Jakob Fries' (1773–1847) und Ernst Friedrich Apelts. Nach dem Abitur 1901 studierte er Mathematik und Philosophie in Heidelberg, 1901/02-1903 in Berlin, seit dem Wintersemester 1903/04 in Göttingen, wo er u. a. die Philosophen Julius Baumann und Edmund Husserl und die Mathematiker David Hilbert (1862–1943), Felix Klein und Carl Runge hörte. Ein erster Promotionsversuch mit der Arbeit „Die kritische Methode und das Verhältnis der Psychologie zur Philosophie“, in der N., orientiert an der Lehre von Fries, die zur Psychologie entwickelte Selbstbeobachtung als letzte Erkenntnisquelle darzustellen suchte, war in Berlin an der Ablehnung Carl Stumpfs gescheitert. Auch in Göttingen hatte er mit einer im Wintersemester 1903/04 eingereichten Arbeit gleichen Titels zunächst keinen Erfolg. 1904 gründete er eine „Jakob Friedrich Fries-Gesellschaft“, an deren Diskussionsabenden Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, zeitweise auch der Physiker Max Born, teilnahmen. 1904 promovierte N. bei Baumann mit der Dissertation „Jakob Friedrich Fries und seine jüngsten Kritiker“. 1906 wurde ein Gesuch um Zulassung zur Habilitation auf Betreiben Husserls, der damit auf die scharfe Rezension einer Schrift Hermann Cohens durch N. reagierte, abgelehnt. Ein zweiter Versuch 1908 mit der Arbeit „Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie“ hatte Erfolg aufgrund der Hochschätzung, die N. bei Göttinger Naturwissenschaftlern und Mathematikern genoß. 1909 begann er mit eigenen Vorlesungen u. a. über Erkenntnistheorie, Ethik, Pädagogik und Religionsphilosophie, über Rechts- und Staatsphilosophie. N., der schon 1914 den Krieg verurteilte, wurde wegen gesundheitlicher Probleme 1917 nur kurzzeitig einberufen. Seine auf wissenschaftliche Strenge bedachten und den Dialog fordernden Lehrveranstaltungen zogen zwar zahlreiche Studenten an, der ihm eigene Rigorismus und seine oft verletzende Schroffheit sowie seine an formaler Logik orientierte Arbeitsweise prädestinierten ihn aber für eine wissenschaftliche Außenseiterrolle. Vor allem die Differenzen mit Edmund Husserl standen N.s Mitgliedschaft im Lehrkörper entgegen. Erst im Juni 1919 wurde er aufgrund der Fürsprache Hilberts zum ao. Professor in Göttingen ernannt.

    N.s Erfahrung mit einer als ungerecht wahrgenommenen Gesellschaft war das Motiv für sein philosophisches Denken. Die Grenzen der sozial notwendigen Freiheitsbeschränkungen durch Recht und Moral sollten nach seiner Auffassung durch den Gerechtigkeitsgrundsatz, daß die Würde jeder Person gleichermaßen geschützt werden müsse, dem Zufall und der Beliebigkeit entzogen werden. Die Umsetzung des Gerechtigkeitsgrundsatzes auf dem Gebiet der Moral ist ein häufig zitiertes Abwägungsgesetz: „Handle nie so, daß du nicht auch in deine Handlungsweise einwilligen könntest, wenn die Interessen der von ihr Betroffenen auch deine eigenen wären.“ Auf dem Gerechtigkeitsgrundsatz ruht das ganze Gebäude seiner Rechtslehre, Politik und Pädagogik. Dieses grundlegende Gesetz hatte er in der ihm eigenen vorbildlich strengen Gedankenführung im 1917 erschienenen Hauptwerk „Kritik der praktischen Vernunft“ gefunden. N. widmete es dem Mathematiker David Hilbert mit der Zuversicht, „dem Herrschaftsbereich der strengen Wissenschaft eine neue Provinz zu erschließen“.

    Stets darauf bedacht, seine wissenschaftlichen Einsichten praktisch umzusetzen, engagierte sich N. politisch. Vor dem Weltkrieg linksliberal eingestellt, gründete er 1918 den nach strengen Prinzipien organisierten, sozialistisch orientierten „Internationalen Jugendbund“, 1922 zu dessen wissenschaftlicher Fundierung die „Philosophisch-politische Akademie“, die 1949 neu gegründet wurde und bis heute in Frankfurt/Main fortbesteht. 1924 eröffnete er das reformpädagogische Landerziehungsheim Walkemühle bei Melsungen. Durch die von ihm 1922 neu belebte und an den genannten Bildungsstätten geübte „Sokratische Methode“ sollte der einzelne im Dialog zu selbständigen Urteilen veranlaßt werden. N. war 1918 kurzzeitig Mitglied der USPD und seit 1923 der SPD. 1925 von dieser ausgeschlossen, gründete er 1926 den „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“. Eingang in das Godesberger Programm fanden N.s Vorstellungen eines ethischen Sozialismus durch Mitglieder dieses Bundes, vor allem Willi Eichler (1896–1971), den Vorsitzenden der Programmkommission.

  • Werke

    Ges. Schrr. in 9 Bdn., 1970-76;
    Ausgew. Schrr. Studienausg., hg. v. H.-J. Heydorn, 1974. – Hg.: Abhh. d. Fries’schen Schule, hg. v. G. Hessenberg, K. Kaiser u. L. N., NF, 1904-18.

  • Literatur

    A. Gysin, Die Lehre v. Naturrecht b. L. N. u. d. Naturrecht d. Aufklärung, 1924;
    W. Eichler u. M. Hart, L. N., 1938;
    L. N. z. Gedächtnis, hg. v. M. Specht, 1953 (P);
    O. W. Tegelen, L. N.s Rechts- u. Staatslehre, 1958;
    E. Hieronimus, Bedeutende Juden in Niedersachsen 1964, S. 89-134;
    F.-R. Stiens, L. N.s Btr. z. Begründung d. Ethik als Wiss. im Licht neuer Ansätze z. Entwicklung u. Rechtfertigung eth. Lehren, 1975;
    P. Schröder (Hg.), Vernunft, Erkenntnis, Sittlichkeit. Internat, phil. Symposion … aus Anlaß d. 50. Todestages v. L. N., 1979;
    U. Kamuf, Zur Begründung d. phil. Pädagogik L. N.s, 1984;
    G. Henry-Hermann, Die Überwindung d. Zufalls, Krit. Betrachtungen zu L. N.s Begründung d. Ethik als Wiss., 1985;
    A. Netzler, Soz. Gerechtigkeit durch Fam. lastenausgleich, e. normative Analyse unter bes. Berücksichtigung d. Rechtsphilos. v. L. N., 1985;
    Wie Vernunft prakt. werden kann. Zur Aktualität d. phil. Werkes v. L. N., 1987 (P, Ausst.kat);
    O. L. Jakowljewitsch, L. N.s Rechtfertigung metaphys. Grundsätze d. theoret. Realwiss., 1988;
    H. Franke, L. N., Ein biograph. Btr. unter bes. Berücksichtigung seiner rechts- u. staatsphilos. Arbb., 1991;
    D. Horster, Das Sokrat. Gespräch in Theorie u. Praxis, 1994, S. 26-32;
    R. Kleinknecht u. B. Neißer (Hg.), L. N. in d. Diskussion, 1994;
    S. Knappe (Bearb.), Vernunftbegriff u. Menschenbild b. L. N., 1996;
    Ziegenfuß;
    Kosch, Lit.-Lex³;
    Killy;
    Demokratische Wege (P). – Teil|

  • Nachlass

    Nachlaß: BA Koblenz.

  • Autor/in

    Detlef Horster
  • Zitierweise

    Horster, Detlef, "Nelson, Leonard" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 60-62 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586947.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA