Lebensdaten
1860 – 1911
Geburtsort
Kalischt/Bezirk Humpoletz (Böhmen)
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Komponist ; Dirigent
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118576291 | OGND | VIAF: 61732497
Namensvarianten
  • Mahler, Gustav
  • Mahler
  • Mahler, G.
  • mehr

Verknüpfungen

Verknüpfungen auf die Person andernorts

Aus dem Register von NDB/ADB
Weitere Erwähnungen in der NDB-online/NDB/ADB

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Mahler, Gustav, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118576291.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Bernhard (1827–89), Schankwirt u. Kleinhändler, seit 1860 in Iglau, S d. Schankwirts Simon in K.;
    M Maria (1837–89), T d. Seifensieders Abraham Hermann in Ledetsch; 13 Geschw. (8 früh †);
    - Wien 1902 Alma Schindler (s. 2);
    2 T, u. a. Anna (* 1904), Bildhauerin (s. L).

  • Biographie

    M., dessen musikalische Begabung sich frühzeitig offenbarte und vom Elternhaus nach Kräften gefördert wurde, wuchs auf in Iglau, wo er Volks- und Militärmusik ebenso wie Werke der Kunstmusik kennenlernen konnte. Trotz seiner Intelligenz ein recht mittelmäßiger Schüler, trat M. bereits seit Herbst 1870 gelegentlich als Pianist öffentlich auf und unternahm erste kompositorische Versuche, darunter eine (verlorene) Oper „Herzog Ernst von Schwaben“. 1875-78 war er Schüler am Konservatorium in Wien, wo er bei Julius Epstein Klavier, bei Robert Fuchs Harmonielehre und bei Franz Krenn Komposition studierte. Enge Freundschaft pflegte er u. a. mit Hugo Wolf und Hans Rott. Aus dieser Zeit hat sich eine einzige Komposition erhalten, der erste Satz eines Klavierquartetts in a-Moll (1876), das eine starke Orientierung an Brahms aufweist. Nach bestandener Maturitätsprüfung im Herbst 1877 in Iglau war M. bis 1880 zeitweise an der Univ. Wien eingeschrieben, wo er neben philosophischen und historischen Vorlesungen auch Harmonielehre-Übungen Anton Bruckners besuchte. Von dessen III. Symphonie stellte er einen Klavierauszug zu vier Händen her, der 1878 veröffentlicht wurde. Zwischen 1878 und 1880 – Studentenjahre, in denen M. sich seinen Lebensunterhalt durch Klavierunterricht verdiente – entstand mit dem „Klagenden Lied“, einer Kantate für Soli, Chor und Orchester auf einen eigenen Text, sein erstes Werk mit einer unverkennbar eigenständigen musikalischen Physiognomie, die in einer an|Weber und Wagner geschulten romantischen Musiksprache hervortritt, zumal in den Teilen II (Der Spielmann) und III (Hochzeitsstück), die 1892/93 überarbeitet und von dem ausgeschiedenen Teil I (Waldmärchen) abgesondert wurden. Aus den Jahren um 1880 datiert auch der Plan zu einer Märchenoper „Rübezahl“, deren Libretto sich erhalten hat, sowie die Komposition erster Klavierlieder.

    Im Sommer 1880 wurde M. als Dirigent an einem Kurtheater in Bad Hall engagiert, wo er – mit Operetten – seine ersten Erfahrungen in jener Tätigkeit sammeln konnte, die ihn im Verlauf von gut zehn Jahren internationalen Ruhm brachte: der Orchesterdirektion. Nach weiteren, von anstellungslosen Zeitphasen unterbrochenen Engagements in Laibach (1881) und Olmütz (1883) wurde er im August 1883 als Musik- und Chordirektor ans Königl. Theater in Kassel berufen, an dem er zwei Jahre lang tätig war. Angeregt durch seine Liebe zur Sängerin Johanna Richter, schuf M. dort den Zyklus „Lieder eines fahrenden Gesellen“, der in seiner später ausgeführten Orchesterfassung (1891–93) zu den ersten originären Werken der Gattung des Orchesterliedes gehört, und begann auch mit der Komposition seiner Ersten Symphonie, die 1888 beendet und am 20.11.1889 ohne Erfolg in Budapest uraufgeführt wurde, übrigens noch in einer fünfsätzigen Fassung; ein Mittelsatz, das Andante „Blumine“, wurde später ausgeschieden. Als sich Auseinandersetzungen mit der Kasseler Theater-Intendanz verstärkten, ging M. als Kapellmeister ans Deutsche Landestheater Prag, wo er 1885/86 erstmals mehrere Opern von Mozart, Gluck und Wagner dirigierte. Einen entscheidenden Schritt vorwärts bedeutete danach die zweijährige Tätigkeit am Neuen Theater Leipzig neben Arthur Nikisch unter der Intendanz von Max Staegemann. Hier wurde er von Staegemann und Carl v. Weber, dem Enkel Carl Maria v. Webers, mit der Ergänzung von dessen fragmentarisch hinterlassener Komischer Oper „Die drei Pintos“ betraut, deren erfolgreiche Uraufführung (20.1.1888) und rasche Übernahme an weiteren deutschen Bühnen M.s Namen bekannt machten. Dadurch wurde ihm auch ein beträchtliches Einkommen gesichert, dessen er um so mehr bedurfte, als er nach dem Tode seiner Eltern 1889 für den Unterhalt seiner Geschwister aufkam. In jene Zeit fiel die Vollendung der Ersten Symphonie, die Komposition des ersten Satzes der Zweiten („Todtenfeier“) und der Beginn von Vertonungen aus der von Achim v. Arnim und Clemens Brentano zusammengestellten Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“, die über Jahre den wesentlichsten Textfundus für M.s Liedschaffen darstellen sollte. Die ersten neun „Wunderhorn“-Lieder erschienen im zweiten und dritten Heft der „Lieder und Gesänge“ 1892. Zweifellos kam diese oft erzählerische und balladeske Richtung, die weniger individuelle Züge besitzt, den Bedürfnissen M.s eher entgegen als die subjektive Dichtung der Moderne, und zwar um so mehr, als er die Texte aus der „Wunderhorn“-Sammlung nicht als integrale Kunst-Dichtung zu respektieren brauchte, sondern sie im einzelnen ohne Bedenken entsprechend den Erfordernissen der musikalischen Komposition sprachlich abwandeln konnte. Indem M. beim Liedschaffen die musikalische Struktur, zumal im Sinne des variierten Strophenlieds, über den Textinhalt im einzelnen setzte, unterscheidet er sich stark von jener musikalischen Lyrik, die – etwa bei Hugo Wolf – Dichtung hohen Ranges in einer „Vertonung“ bindet. Die nächste Etappe in M.s Karriere führte ihn nach Budapest, wo dem Achtundzwanzigjährigen die Direktion der Königl. Oper übertragen wurde, ein Amt, das er vom Herbst 1888 bis März 1891 mit äußerstem Energieaufwand in Administration und Dirigaten ausübte, bis durch einen Wechsel in der Intendanz (zum nationalistisch gesinnten Grafen Géza Zichy) seine Kompetenzen in untragbarem Maße beschnitten wurden. Indessen war es M. gelungen, die Budapester Oper aus einem desolaten Zustand zu befreien, indem er ein Ensemble aus einheimischen Kräften aufbaute, das Werke wie z. B. „Rheingold“ und „Walküre“ einheitlich in ungar. Sprache zu realisieren vermochte. Eine von M. geleitete Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“, der Brahms beiwohnte, fand die besondere Anerkennung des Meisters, mit dem M. fortan freundschaftlich-kollegiale Beziehungen pflegte. Im Frühjahr 1891 nahm M., mittlerweile als Dirigent weithin bekannt, eine Stelle als Erster Kapellmeister am Stadttheater Hamburg an und blieb dort bis 1897, wobei er nach Hans v. Bülows Tod 1894 auch die Leitung der Subskriptionskonzerte übernahm.

    Insgesamt war M. als Konzertdirigent (auch später in Wien) aufgrund eigenwilliger Interpretationen (Retuschen, Tempomodifikationen, Streichungen) eher umstritten, während er als Operndirigent fast unangefochten blieb. Damals fand er für sein kompositorisches Schaffen diejenige Arbeitsform, die er bis zu seinem Tode beibehielt: Er komponierte im Sommerurlaub Werke im Entwurf (Skizze, Particell, Partiturentwurf). Zu diesem Zweck ließ er sich an seinen Urlaubsorten kleine „Komponierhäuschen“ errichten, in denen er ungestört arbeiten konnte (seit 1893 in Steinbach am Attersee, seit 1901 in Maiernigg am Wörthersee und seit 1908 in Toblach in Südtirol). In den Wintermonaten, während der Opernspielzeiten, konzentrierte er sich dann darauf, die Werke in Orchesterpartitur auszuschreiben oder zu revidieren. So entstanden außer mehreren weiteren Liedern auf Texte aus „Des Knaben Wunderhorn“, die, obwohl in zwei Fassungen (für Singstimme und Klavier bzw. Orchester) ausgearbeitet, primär als Orchesterlieder anzusprechen sind, die restlichen Teile der II. Symphonie, dann die III. Symphonie (1893–96) und schließlich die IV. Symphonie (1899/1900). Mit diesen Werken offenbarte sich schon voll und ganz die Eigenart des M.schen Komponierens: Zum einen ist – unter den Komponisten der musikalischen Moderne der Jahrhundertwende, zu denen er mit Richard Strauss, Debussy, Reger und Schönberg gehört – seine Beschränkung auf zwei traditionelle Gattungen charakteristisch, Lied und Symphonie; zum anderen sind in seinem Schaffen diese beiden Gattungen aufs engste miteinander verflochten, insofern M. sowohl zu Instrumentalsätzen umgeformte Lieder und Liedelemente als auch eigentliche Orchesterlieder in die ersten vier Symphonien einfügte. Während die I. Symphonie, ein reines Instrumentalwerk, Material der „Lieder eines fahrenden Gesellen“ einbezieht, enthalten die drei nächsten Symphonien – außer Instrumentalbearbeitungen von Liedern – auch tatsächliche Lieder als Sätze, so die II. das „Wunderhorn“-Lied „Urlicht“, die III. „Es sungen drei Engel“ (neben einer Vertonung von Nietzsches „Mitternachtslied“ aus „Also sprach Zarathustra“), die IV. „Das himmlische Leben“. In einer Epoche, in der eher die (von Liszt ausgehende) einsätzige Symphonische Dichtung als die traditionelle Gattung der mehrsätzigen Symphonie gepflegt wurde, deutete M. die Symphonie in ganz persönlicher Weise zu einer hybriden Gattung um. Er mischte Elemente der Volksmusik mit solchen des hohen symphonischen Stils, im Sinne einer tragischen Ironie etwa im dritten Satz der I. Symphonie. Er gestaltete in seiner II. Symphonie die seit Beethovens Neunter Symphonie vorhandene Tradition der Symphonie-Kantate zu einem monumentalen Werk damals aktueller Weltanschauungsmusik, indem er einen Bogen spannte von dem ersten Satz („Todtenfeier“) zu einem Chor-Finale auf Klopstocks Ode „Auferstehung“. Die Uraufführung der II. am 13.12.1895 in Berlin wurde zum ersten großen Erfolg des Komponisten M. Mit der III. Symphonie in sechs Sätzen konzipierte er sein längstes, umfassendstes Werk, dessen inneres Programm eine Stufenfolge von der „unbelebten Natur“ (1. Satz) über die Formen der „organischen Natur“ (Blumen, Tiere, Mensch) bis zu den „Engeln“ (5. Satz) und der „metaphysischen Idee der Liebe“ (6. Satz) enthält, ein in Anlehnung an Gustav Theodor Fechners Allbeseelungslehre erdachtes tönendes Universum, auf welches M.s Ausspruch bezogen ist, eine Symphonie zu komponieren bedeute ihm „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“. Zu seinen ersten vier Symphonien hat M. verschiedene Programme verfaßt, teils im Sinne von poetologisch-konzeptionellen Stützen für die Kompositionsarbeit, teils als vorläufige „Wegweiser“ für ein Werkverständnis des Publikums. Doch als er die Erfahrung machte, daß das Publikum diese „metaphorischen Andeutungen eines unaussprechbaren Gehaltes“ mit Situationsbeschreibungen äußerer Programmmusik verwechselte, zog er alle Programme zu den frühen Symphonien zurück und sah bei den weiteren Werken von der Publikation vergleichbarer Texte ab.

    Nachdem M. am 23.2.1897 zum Katholizismus konvertiert war, konnte sich ein heißersehntes Ziel erfüllen: im April 1897 wurde er als Kapellmeister, am 8. September dann als Direktor der Hofoper nach Wien berufen. Damit hatte er, noch nicht 40 Jahre alt, eines der höchsten Ämter in der Musikwelt inne. Die Zeit seiner Direktion (bis 1907) war einer der aufführungspraktischen Höhepunkte in der Geschichte der Oper. Indem er dieselben hohen Ansprüche, die er an sein eigenes Wirken künstlerisch und organisatorisch stellte, auch an seine Musiker richtete, erreichte er musikalische Interpretationen, die als geschlossene, möglichst deutliche Darstellungen dessen gelten konnten, was seinem reproduktiven Genius als die wahre Idee eines musikalischen Kunstwerks erschien. Sein oft zitierter Ausspruch „Tradition ist Schlamperei“, genauer: „Was ihr Theaterleute eure. ‚Tradition' nennt, ist nichts als Bequemlichkeit und Schlamperei“ zielt auf eine Auffassung von musikalischer Interpretation, der Eigenmächtigkeiten einzelner Solisten nichts, ein gemeinsamer Dienst am Kunstwerk alles bedeutet. An die Stelle eines verselbständigten Starwesens setzte er die kontinuierliche Bildung eines Ensembles, in dem nun allerdings auch erste Kräfte ihren Platz hatten. Durch seine Heirat mit Alma Schindler 1902 kam M. in enge Beziehung zu den bildenden Künstlern im Kreis der Wiener Sezession,|und nicht von ungefähr erreichte sein Wirken an der Hofoper dann seinen Gipfel, als 1903-07 Alfred Roller die Verantwortung für die Bühnenbildgestaltung, zumal in einem Mozart-Zyklus, übernahm. M. ordnete freilich alles, auch seine Privatsphäre, den künstlerischen Zielen in so radikaler Weise unter, daß eine Krise seiner Ehe unausweichlich wurde – sie spitzte sich im Laufe der Jahre zu und führte schließlich dazu, daß M. im Sommer 1910 Siegmund Freud im holländ. Leiden zu einem ausführlichen psychoanalytischen Gespräch konsultierte. Intrigen und perfide Attacken der antisemitischen Presse bewirkten 1907, daß M. von seinem Amt demissionierte, hochgeachtet von der gebildeten Musikwelt, verehrt selbst von dem Komponistenkreis der Wiener Schule Arnold Schönbergs.

    M.s kompositorisches Schaffen nahm in jenen Jahren seinen steten Fortgang. Nach zwei letzten „Wunderhorn“-Liedern, „Revelge“ (1899) und „Der Tamboursg'sell“ (1901), wandte er sich im Bereich der Liedgattung dem Dichter Friedrich Rückert zu, auf dessen Texte er neben mehreren einzelnen Liedern, die eine neuartige kammermusikalische Intimität des Lyrischen innerhalb des Orchesterliedes erreichen, den fünf Gesänge umfassenden Zyklus der „Kindertotenlieder“ zwischen 1901 und 1904 komponierte. Im Bereich der Symphonik verzichtete er, nach der Periode der „Wunderhorn“-Symphonien der 90er Jahre, in der V., VI. und VII. Symphonie (1901–05) auf jegliche Vokalität bzw. außermusikalische Programmatik und dokumentierte seine mittlerweile unanfechtbare kompositionstechnische Meisterschaft in den großen polyphonen Formprozessen dieser drei Werke. Hier ist der Kosmos der M.schen Musik voll ausgeprägt: eine Fülle musikalischer Charaktere wie Märsche, Steigerungsphasen, Durchbrüche, Abgesänge usw., eine Formenwelt, die nach der Einsicht Theodor W. Adornos „material“ in der Bestimmtheit der einzelnen Charaktere begründet ist und die sich stimmig entfaltet, ohne vorgegebenen Formschemata der Tradition zu folgen. Wenn diese Musik eine heterogene Mannigfaltigkeit von Stilmitteln umfaßt, so daß Kritiker schon zu Lebzeiten des Komponisten von „Stillosigkeit“ sprachen, dann wird sie jedoch vor einem potpourrihaften Formzerfall durch die rätselhafte Kraft eines spezifischen Tonfalls bewahrt, der alle Stilschichten durchdringt. In der VIII. Symphonie schuf M. wieder eine monumentale, gleichwohl aber über weite Strecken kammermusikalisch aufgelokkerte Vokalsymphonie mit Chören und Soli, mit dem Pfingsthymnus „Veni, creator Spiritus“ im ersten Teil und der Schlußszene von Goethes „Faust II“ im zweiten Teil als Textgrundlage. Die Uraufführung des 1906 entstandenen Werkes, eines Hauptwerks M.s auch in weltanschaulicher Hinsicht, am 12.9.1910 in München unter Leitung des Komponisten wurde zu einem triumphal gefeierten Ereignis.

    Das Jahr 1907 wurde zum entscheidenden Wendepunkt im späteren Leben M.s aufgrund dreier Umstände: Die im Frühling eingereichte, doch erst im Dezember mit der Übergabe der Amtsgeschäfte abgeschlossene Demission vom Amt des Wiener Hofoperndirektors bedeutete einen schmerzlichen Verzicht, auch wenn sich ihm mit einem Engagement an die Metropolitan Opera New York vom Januar 1908 an ein neues Wirkungsfeld eröffnete. Sodann erkrankte im Sommer 1907 die ältere Tochter Maria an Scharlachdiphterie und verstarb nach qualvollem Leiden. Und schließlich wurde, unmittelbar nach dem Tode des geliebten Kindes, beim Komponisten selbst eine schwere Herzerkrankung diagnostiziert, die eine rigorose Änderung der Lebens- und Arbeitsgewohnheiten des bislang robusten, sportlichen Mannes erzwang. In den vier Saisons, die M. in Amerika zubrachte, ergänzte er seine Operntätigkeit durch ein breites Wirken als Konzertdirigent, zumal mit dem New Yorker Philharmonischen Orchester. Hier lockerte M. seine bislang strikten Interpretationsprinzipien, indem er z. B. Kürzungen bei Wagner-Opern zustimmte, die er in Wien verweigert hatte. Im ganzen war M.s Zeit in den Vereinigten Staaten durchaus erfolgreich und keineswegs so pessimistisch überschattet, wie gelegentlich angenommen wurde. Seine bewährte Aufteilung zwischen reproduktiver und kompositorischer Aktivität behielt er auch in dieser letzten Lebensphase bei, indem er während der Sommermonate nach Europa zurückzukehren pflegte und sich dort, von Gastdirigaten eigener Werke abgesehen, seinem kompositorischen Schaffen widmete. So entstanden noch zwei Meisterwerke, die allerdings erst postum, und zwar durch M.s Freund Bruno Walter, 1911 und 1912 in München uraufgeführt werden sollten: „Das Lied von der Erde“, eine Symphonie für Alt, Tenor und Orchester nach Dichtungen von Hans Bethges „Die chinesische Flöte“, ein sechssätziges Werk, das die spezifisch M.sche Symbiose zwischen den Gattungen Lied und Symphonie im Sinne einer Einheit von Orchesterliederzyklus und Symphonie ganz individuell verwirklicht; und die IX. Symphonie, ein wiederum rein instrumentales viersätziges Werk – mit einem großen Adagio als Finalsatz –, in dem sich das, was man als M.schen Spätstil anzusprechen pflegt, höchst eindrücklich darstellt. Diesen beiden Werken ist historisch ein eigentümlicher Doppelcharakter eigen, indem sie einerseits – am Vorabend des 1. Weltkriegs – das Ende einer Epoche, und zumal ein (allerdings vorläufiges) Ende der großen Tradition der Symphonik des 19. Jh. repräsentieren, andererseits aber in manchen Zügen der Konstruktion, in einem individualisierten Orchestersatz ebenso wie in motivisch-thematischen Prozessen, unmittelbar auf die kommende Neue Musik hinweisen und darum auch von den Komponisten der Schönberg-Schule besonders geschätzt wurden. Eine X. Symphonie, die im Sommer 1910 begonnen wurde, blieb Fragment; der erste Satz, ein Adagio in Fis-Dur, wurde beendet, während Rekonstruktionsversuche der übrigen Sätze (etwa durch Deryck Cooke 1961) auf philologisch zu schwachen Füßen stehen, um überzeugen zu können. Im Februar 1911 erkrankte M. in Amerika an einer Streptokokken-Infektion und starb, nachdem er mit letzter Kraft über Paris nach Wien zurückgekehrt war.

    Die Wirkungsgeschichte von M.s Musik im 20. Jh. ist von starken Schwankungen gekennzeichnet. Nach seinem Tod wurde ihre Aufführungstradition zunächst durch den tatkräftigen Einsatz von Dirigenten wie Willem Mengelberg, Bruno Walter und Oskar Fried fortgesetzt, einen Höhepunkt bildete das Amsterdamer Mahler-Fest von 1920. Ihr Rang wurde durch das Wirken der Wiener Schule hervorgehoben, zumal durch die Rede, die Schönberg in Prag 1912 über M. gehalten hat. Als jedoch das Ideal einer großbesetzten Symphonik als Modell „spätromantischer“ Weltanschauungsmusik um die Mitte der 20er Jahre von den jüngeren Komponisten strikt zurückgewiesen wurde, ging der kompositionsgeschichtliche Einfluß M.s schlagartig zurück, und die Aufführungspraxis seiner Werke war von diesem Wandel der Ästhetik ebenso betroffen. Parallel dazu verstärkte sich in Deutschland die (bereits zu Lebzeiten des Komponisten greifbare) antisemitische Musikkritik, die dann in der Musikpolitik des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 zu einem völligen Aufführungsverbot von M.s Werken führte. Immerhin wurde von Emigranten wie Bruno Walter u. a. in den USA eine Mahler-Tradition fortgesetzt, freilich nicht ohne gewisse Umdeutungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die musikpolitische Diskriminierung aufgehoben war, faßte M.s Musik in Europa, zumal in Deutschland, nur sehr allmählich wieder Fuß. Ein Umschwung setzte erst mit den Zentenar-Feiern im Jahre 1960 ein, zeitigte dann aber eine „Renaissance“ von M.s Musik, die in ihrer Nachhaltigkeit bis heute ungebrochen andauert. M.s Musik wurde zu einem Musterfall unserer heutigen Interpretationskultur, die mit der Ästhetik der Medien, insbesondere der Schallplatte, verknüpft ist. Darüber hinaus aber wurde sie, angeregt durch Theodor W. Adorno (1960), nunmehr – statt als „spätromantische“ – als „moderne“ Musik beschrieben, und ihre Nähe zur Neuen Musik wurde in einer antiorganischen, antiklassizistischen Ästhetik formuliert. In zahlreichen Werken seit den 60er Jahren, etwa in Luciano Berios „Sinfonia“, dokumentiert sich damit eine kompositorische Mahler-Rezeption im Bereich der zeitgenössischen „Neuen Musik“, die dem weltweiten Aufführungserfolg seiner Werke und seiner Rezeption im gegenwärtigen Musikschrifttum zur Seite tritt.

  • Werke

    Werkausgabe: G. M. Sämtl. Werke, 1960 ff.; Briefe:
    Ed. R. Reilly, G. M. u. G. Adler, Zur Gesch. e. Freundschaft, 1978;
    Ed. Reeser (Hrsg.), G. M. u. Holland, Briefe, 1980;
    H. Blaukopf (Hrsg.), G. M. -
    R. Strauss, Briefwechsel 1888-1911, 1980;
    A. M. Mahler, G. M. Briefe, 1879–1911, 1924, erw. u. rev. Neuausg. v. ders., 1982;
    dies. (Hrsg.), G. M., Unbek. Briefe, 1983.

  • Literatur

    P. Bekker, G. M.s Sinfonien, 1921;
    N. Bauer-Lechner, Erinnerungen an G. M., hrsg. v. H. Killian, 1923 (Neuausg. 1984);
    D. Mitchell, G. M., Bd. 1, The Early Years, 1958, ²1980, Bd. 2, The Wunderhorn Years, 1975, Bd. 3, Symphonies of Life and Death, 1985;
    Th. W. Adorno, M., Eine musikal. Physiognomik, 1960;
    K. Blaukopf. M., s. Leben, s. Werk u. s. Welt in zeitgenöss. Bildern u. Texten, 1976;
    C. Floros, G. M., Bd. 1, Die geistige Welt G. M.s in systemat. Darst., 1977, Bd. 2, M. u. d. Symphonik d. 19. Jh. in neuer Deutung, 1977, Bd. 3, Die Symphonien, 1985;
    B. u. E. Vondenhoff, G. M. Dokumentation, Slg. E. Vondenhoff. Materialien zu Leben u. Werk, 1978, Erg. Bd. 1983 (Bibliogr.);
    B. Sponheuer, Logik d. Zerfalls, Unterss. z. Finalproblem in d. Symphonien G. M.s, 1978;
    H.-L. de La Grange, G. M., Chronique d'une vie, Bd. 1, Les chemins de la gloire (1860-1900), 1979, Bd. 2, L'âge d'or de Vienne (1900–07), 1983, Bd. 3, Le génie foudroyé (1907-11), 1984;
    R. Stephan, G. M., Werk u. Interpretation. Autographe, Partituren, Dokumente, 1979;
    H. H. Eggebrecht, Die Musik G. M.s, 1982;
    MGG;
    Riemann;
    The New Grove. - Zu T Anna:
    E. H. Gombrich, A. M., ihr Werk, 1975;
    BHdE;
    Vollmer.

  • Porträts

    Schabblatt v. E. Orlik, 1902;
    Radierung v. F. Erler, 1906;
    Bronzebüste v. A. Rodin, 1909 (Wien, Staatsoper);
    Phot.;
    alle abgebildet b. K. Blaukopf, G. M., 1976.

  • Autor/in

    Hermann Danuser
  • Zitierweise

    Danuser, Hermann, "Mahler, Gustav" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 683-687 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118576291.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA