Lebensdaten
1892 – 1984
Geburtsort
Lippstadt
Sterbeort
Wiesbaden
Beruf/Funktion
evangelischer Theologe ; Kirchenpräsident in Hessen und Nassau
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118587900 | OGND | VIAF: 94035448
Namensvarianten
  • Niemöller, Emil Gustav Martin
  • Niemöller, Martin
  • Niemöller, Emil Gustav Martin
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Orte

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Zitierweise

Niemöller, Martin, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587900.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1859–1941), Pfarrer in L., seit 1900 in Elberfeld;
    M Paula (1868–1956), aus Westerkappeln, T d. N. N. Müller u. d. N. N. de Graes, aus hugenott. Fam.;
    B Wilhelm (1898–1983), Pfarrer in Bielefeld, Kirchenhist. (s. W, L);
    1) 1919 Else Bremer (1890–1961), aus Elberfeld, 2) Wiesbaden 1971 Sibylle (* 1923, 2] Ross Donaldson, Besetzungschef u. Vizepräs. v. NBC), Schausp. (s. W), T d. Ulrich Frhr. v. Sell (1884–1945), Oberstlt., Flügeladjutant u. Schatullenverw. Kaiser Wilhelms II., u. d. Augusta v. Brauchitsch (1891–1984, 1] Erich Frhr. v. Hornstein-Biethingen, 1882-1914 ⚔);
    3 S, 3 T aus 1), 1 Stief-S aus 2).

  • Biographie

    Nach dem Abitur in Elberfeld 1910 trat N. in die kaiserliche Marine ein. Im Herbst 1915 meldete er sich freiwillig zur U-Boot-Abteilung und nahm an mehreren Einsätzen im Mittelmeer teil, zuletzt als U-Boot-Kommandant. Zur parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik fand er kein inneres Verhältnis. Aus dem Militärdienst entlassen, machte N. zunächst eine landwirtschaftliche Lehre; während dieser Zeit faßte er den Entschluß, Pfarrer zu werden. Dabei ging es ihm um das volksmissionarische Ziel, das Christentum als konservative Ordnungsmacht zur Geltung zubringen. 1919-23 studierte N. in Münster ev. Theologie. 1923 begann er hier seine Vikarstätigkeit. Im selben Jahr wurde er als Vereinsgeistlicher in den Dienst der westfäl. Inneren Mission berufen. Mit dem ihm eigenen Elan engagierte N. sich für den Fortbestand und den Ausbau der Diakonie auf Gemeindeebene und entwickelte weitgefächerte Konzeptionen zur Evangelisation und Rechristianisierung der Gesellschaft. 1931 übernahm er eine Pfarrstelle in Berlin-Dahlem. Weil N. sich vom Nationalsozialismus die Wiederherstellung der kulturellen Identität der deutschen Gesellschaft auf christlicher Grundlage erhoffte, hatte er schon seit 1924 nationalsozialistisch gewählt und begrüßte 1933 die Errichtung des autoritären Führerstaates unter Hitler. Von Anfang an lehnte er jedoch die nationalsozialistische Kirchenpartei der Deutschen Christen wegen ihrer Vermischung von Christentum und Politik ab. Im Mai 1933 versuchte N. als Mitbegründer der Jungreformatorischen Bewegung und Adjutant des designierten Reichsbischofs Friedrich v. Bodelschwingh (1877–1946) dem Aufstieg der Deutschen Christen entgegenzuwirken. Nach deren Sieg bei den von Hitler oktroyierten Kirchenwahlen im Juli 1933 wurde N. einer der Initiatoren der innerkirchlichen Opposition gegen die von den Deutschen Christen ausgeübten Maßnahmen zur organisatorischen und ideologischen Anpassung der Kirche an den Nationalsozialismus. Obwohl selbst nicht frei von antisemitischen und antijudaistischen Vorurteilen, sah N. mit der Übernahme des staatlichen „Arierparagraphen“ durch deutschchristliche Kirchenleitungen den „Status confessionis“ gegeben. Darum rief er im September 1933 zur Gründung eines reichsweiten Pfarrernotbundes auf. Als dessen Leiter wurde N. zu einem der wichtigsten Repräsentanten der kirchlichen Opposition; nichtsdestoweniger stellte er seine politische Loyalität immer wieder unter Beweis. Nach der Formierung der Bekennenden Kirche kämpfte N. mit großer Leidenschaft für einen|konsequenten Kurs der Scheidung von den Deutschen Christen. Die Barmer Theol. Erklärung vom Mai 1934, die unter Berufung auf die Hl. Schrift und die Bekenntnisse der Kirche die Irrlehre der Deutschen Christen ebenso zurückwies wie ihre Herrschaftsausübung in der Kirche und gegenüber dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus die Freiheit der Kirche proklamierte, wurde für ihn zum Inbegriff für die Lehre und Predigt der Kirche; die Durchsetzung des von der Dahlemer Bekenntnissynode im Oktober 1934 proklamierten kirchlichen Notrechts, nach dem die rechtmäßige Kirchenleitung allein bei den von der „Bekennenden Kirche“ herausgestellten notrechtlichen Organen („Bruderräte“) liegen sollte, blieb für ihn ein unverzichtbares Anliegen. Obwohl er weiterhin mit vielen Inhalten und Zielen des Nationalsozialismus übereinstimmte, geriet er objektiv mehr und mehr in die politische Illegalität, zumal er sich mit seinem Kampf gegen die vom staatlichen Kirchenminister Hanns Kerrl berufenen Kirchenausschüsse seit 1935 direkt den Maßnahmen staatlicher Kirchenpolitik widersetzte. Aus christlicher Verantwortung heraus griff er darüber hinaus in Predigten und Vorträgen kirchenfeindliche Äußerungen prominenter Nationalsozialisten und das von ihnen vertretene „Neuheidentum“ an und wurde im In- und Ausland zur Symbolfigur des kirchlichen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. 1937 wurde er verhaftet. Obwohl das Gericht ihn lediglich zu einer Geldstrafe und zu Festungshaft verurteilte, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galt, ließ Hitler N. als seinen persönlichen Gefangenen in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbringen und machte diese Entscheidung trotz anhaltender weltweiter Proteste nicht rückgängig. In Sachsenhausen blieb N. drei Jahre lang in Einzelhaft; seit 1941 war er im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Bei Kriegsende 1945 wurde N. in Begleitung eines Liquidationskommandos nach Südtirol verbracht, wo er zunächst von deutschen und schließlich von amerik. Soldaten befreit wurde.

    Bei der anstehenden Neuordnung des ev. Kirchenwesens konnte N. sich mit seiner Konzeption der Überwindung des Landeskirchentums und des Neuaufbaus der Kirche von bekennenden Gemeinden aus gegen das konfessionelle und landeskirchliche Beharrungsvermögen nicht durchsetzen. Dennoch fielen ihm als Repräsentanten der bruderrätlichen Bekennenden Kirche hohe kirchliche Ämter zu. 1945 wurde er stellvertretender Vorsitzender des Rats der neugebildeten Ev. Kirche in Deutschland (EKD) und gleichzeitig Leiter des Kirchlichen Außenamtes, 1947-64 war er Kirchenpräsident der Ev. Kirche in Hessen und Nassau. Als energischer Förderer des ökumenischen Gedankens nahm er an den Weltkirchenkonferenzen 1948-75 teil. 1961 wurde er zu einem der sechs Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen gewählt.

    Die Sorge um die Einheit Deutschlands veranlaßte N. nach 1945 zu radikalen politischen Stellungnahmen. Er polemisierte ebenso gegen die Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, die für ihn aus einem Pakt zwischen röm. Katholizismus und amerik. Kapitalismus auf Kosten der Deutschen in der sowjet. Besatzungszone resultierte, wie gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands, die Rüstungspolitik der Großmächte und die Anpassung der Kirche an die Ideologie des Kalten Krieges. Um ein Zeichen der Versöhnungsbereitschaft zu setzen, unternahm N. 1952 auf Einladung des Patriarchen der Russ. Orthodoxen Kirche eine spektakuläre Reise nach Moskau. 1954 wurde er zum radikalen Pazifisten. Bis ins hohe Alter arbeitete er in kirchlichen und politischen Friedensorganisationen mit, auch wenn diese sich als kommunistisch gesteuert herausstellten. Wegen seiner politischen Haltung mußte er 1955 die Leitung des Kirchlichen Außenamtes abgeben.

    N. gehört zu den markantesten ev. Kirchenmännern des 20. Jh. Seine unverwechselbare Eigenart spiegelt sich in den Wandlungen vom Nationalprotestanten zum Ökumeniker, vom Militaristen zum Pazifisten. N.s politische Ethik ist gleichermaßen luth. Erbe und reformiertem Einfluß verpflichtet. Obwohl er der Politik eine relative Autonomie zubilligte, wurden für ihn politische Entscheidungen zu Glaubensentscheidungen, wenn sie mit dem Gehorsam gegen Gott im Geiste der Bergpredigt nicht vereinbar schienen.|

  • Auszeichnungen

    Präs. d. Dt. Friedensges. (1957);
    Präsidiumsmitgl. d. Weltkichenrats (1961–67);
    Ehrenbürger v. Wiesbaden (1975).

  • Werke

    u. a. Vom U-Boot zur Kanzel, 1934 (engl. 1936;
    amerik. 1937);
    Alles u. in allen Christus! Fünfzehn Dahlemer Predigten, 1935;
    … daß wir an Ihm bleiben, Sechzehn Dahlemer Predigten, 1935;
    Dennoch getrost! Die letzten 28 Predigten d. Pfarrers M. N. vor seiner Verhaftung, gehalten in den J. 1936 u. 1937 in Berlin Dahlem, 1939 (holl. 1939;
    engl. 1941;
    Neuausg. 1946 u. 1981);
    „… zu verkündigen ein gnädiges Jahr d. Herrn!“ Sechs Dachauer Predigten, 1946 (dän. 1946;
    engl. 1947);
    Herr, wohin sollen wir gehen? Ausgewählte Predigten, 1956;
    Reden 1945-1954, 1958;
    Reden 1958-1961,|1961;
    Eine Welt od. keine Welt, Reden 1961-1963, 1964;
    Briefe aus d. Gefangenschaft, Moabit, hg. v. Wilhelm Niemöller, 1975;
    Briefe aus d. Gefangenschaft, KZ Sachsenhausen (Oranienburg), hg. v. dems., 1979;
    Reden, Predigten, Denkanstöße 1964-1976, hg. v. H. J. Oeffler, 1977 (S. 276-84: Verz. v. 466 Predigten aus d. J. 1945–76);
    M. N., Ein Lesebuch, hg. v. dems. u. a., 1987;
    Was würde Jesus dazu sagen? Reden, Predigten, Aufss. 1937-1980, hg. v. W. Feurich, 1981. – Zu Sibylle Niemoeller-v. Sell: „Furchtbar einfach, wird gemacht!“ Erinnerungen, 1992 (P);
    Zu neuen Ufern lockt d. Tag, Erinnerungen II, 1994 (P).

  • Literatur

    Dietmar Schmidt, M. N., 1959 (erw. Neuausg. 1983);
    G. Gaus, Zur Person, Porträts in Frage u. Antwort, 1965, S. 103-20;
    Jürgen Schmidt, M. N. im Kirchenkampf, 1971;
    K.-A. Odin, in: Protestanten, hg. v. K. Scholder u. D. Kleinmann, 1983, ²1992, S. 367-81;
    J. Bentley, M. N., 1985;
    M. Greschat, in: ders. (Hg.), Gestalten d. KGesch. X/2: Die neueste Zeit IV, 1986, S. 187-204;
    H. Karnick u. W. Richter (Hg.), Protestant, Das Jh. d. Pastors M. N., Ausst.kat. Wiesbaden/Berlin 1992 (mit Btrr. v. M. Benad, K. Herbert, L. Siegele-Wenschkewitz);
    M. Schreiber, M. N., 1997 (P);
    Klimesch;
    Wuppertaler Biogrr. 14, 1984 (W, L, P);
    K. Weißmann, in: Die gr. Deutschen unserer Epoche, hg. v. L. Gall, 1995 (P);
    Nassau. Biogr.;
    Demokratische Wege (P);
    Frankfurter Biogr.;
    BBKL (W, L);
    TRE. – Zu Wilhelm: Gottes Wort ist nicht gebunden, W. N. zu seinem 80. Geb.tag, 1978;
    BBKL.

  • Autor/in

    Carsten Nicolaisen
  • Zitierweise

    Nicolaisen, Carsten, "Niemöller, Martin" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 239-241 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118587900.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA