Dates of Life
1868 – 1958
Place of birth
Erfurt
Place of death
Heidelberg
Occupation
Nationalökonom ; Kultursoziologe
Religious Denomination
keine Angabe
Authority Data
GND: 118765787 | OGND | VIAF: 88054895
Alternate Names
  • Weber, Karl David Alfred
  • Weber, Alfred
  • Weber, Karl David Alfred
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Relations

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Citation

Weber, Alfred, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118765787.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogy

    B Max (s. 2);
    Schwägerin Marianne (s. 3);
    1925 Else Jaffé-v. Richthofen (1874–1973, Edgar Jaffé, 1866–1921, Nat.ök., bayer. Finanzmin., s. NDB X), Dr. phil., Fabrikinsp., Sozialwiss. (s. L), T d. Friedrich Frhr. (Praetorius) v. Richthofen (1845–1915), Ing., Geh. Bau- u. Reg.rat in Metz, u. d. Anna Marquier (1851–1930);
    Verwandter Eduard (s. 1).

  • Biographical Presentation

    W. legte 1888 am Ksn. Augusta Victoria-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg das Abitur ab, studierte anschließend Archäologie und Kunstgeschichte in Bonn und seit 1889 in Tübingen Rechtswissenschaften. Nach dem Militärdienst legte er in Berlin 1892 das 1. und 1897 das 2. jur. Staatsexamen ab und wurde im selben Jahr bei Gustav Schmoller (1838–1917) in Nationalökonomie zum Dr. phil. promoviert, bei dem er sich 1900 auch habilitierte, jeweils mit einem Thema über die Hausindustrie. 1904 wurde er an die Dt. Univ. Prag, 1907 an die Univ. Heidelberg berufen.

    1909 veröffentlichte W. sein ökonomisches Hauptwerk „Über den Standort der Industrien“ (T. 1: Reine Theorie d. Standorts, 1909, ²1922, russ. 1926, engl. 1929, ²1957), in dem er untersuchte, welche Faktoren – Rohstoffe, Marktnähe oder Verfügbarkeit der Arbeitskraft – die Standorte von Industriebetrieben beeinflussen; seine Theorie trifft heute v. a. wegen der veränderten Bedingungen der Energienutzung nur noch teilweise zu.

    Seit 1909 beschäftigte sich W., z. T. inspiriert durch seine Geliebte und spätere Lebensgefährtin Else Jaffé-v. Richthofen (1874–1973), vorwiegend mit Kultursoziologie. Als „Kathedersozialist“ setzte er sich für die Humanisierung der Arbeitswelt ein und organisierte 1909 / 10 mit seinem Bruder Max die Untersuchung des „Vereins für Socialpolitik“ über die Situation der Industriearbeiter. In der zunehmenden Bürokratisierung sah er eine Gefährdung der individuellen Freiheit, sein viel beachteter Artikel „Der Beamte“, erschienen 1910 in der Kulturzeitschrift „Die Neue Rundschau“, beeinflußte auch Franz Kafka (1883–1924), den er 1906, allerdings nur formell, an der Univ. Prag zum Dr. iur. promoviert hatte.

    Im 1. Weltkrieg meldete W. sich freiwillig, war nach kurzem Fronteinsatz im Elsaß in der Kommandantur von Mülhausen tätig, befehligte seit 1915 (Hptm.) eine Kompanie an der elsäss. Front bei Bisel und wurde 1916 Referent im Reichsschatzamt. In „Gedanken zur deutschen Sendung“ (1915) propagierte er die Errichtung eines ostmitteleurop. Wirtschaftsraums, mit dem Dt.-Balten Friedrich v. der Ropp (1879–1964) agierte er für die Errichtung dt. Satellitenstaaten in Polen und Litauen. Kurz nach Kriegsende gründete er mit Theodor Wolff (1868–1943) die linksliberale DDP, übernahm den provisorischen Vorsitz, trat aber wegen einer Entgleisung bereits Anfang Dez. 1918 zurück. Im Jan. 1919 warb er in Berlin studentische Freiwillige zum Kampf gegen den Spartakusaufstand an und nahm kurz darauf seine Lehrveranstaltungen in|Heidelberg wieder auf. Seit 1924 baute er das nationalökonomische Institut zu einem umfassenden „Institut für Sozial- und Staatswissenschaften“ (InSoSta) aus, das auch die soziologische Forschung berücksichtigte, und scharte zahlreiche berühmte Mitarbeiter und Schüler um sich, u. a. Karl Mannheim (1893–1947), Arnold Bergstraesser (1896–1964), Edgar Salin (1892–1974), Carl J. Friedrich (1901–84), Erich Fromm (1900–80) und Norbert Elias (1897–1990).

    W. war einer der führenden Vertreter des „Weimarer Kreises“ republiktreuer Hochschullehrer. Um die Weimarer Republik auch herrschaftstheoretisch zu legitimieren, publizierte er 1925 „Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa“ (1925, span. 1932), worin er den Zielkonflikt zwischen dem „Freiheitsbewußtsein der Massen (…) und der Notwendigkeit der Unterordnung unter eine überragende Führung“ (AWG Bd. 7, S. 319) analysierte und als Lösung die „Führerdemokratie“ propagierte. Sein 1942 von Joseph Schumpeter (1883–1950) neuformuliertes Modell wurde noch 1995 von Theodor Eschenburg (1904–99) aufgegriffen. W. bekämpfte den zunehmenden Antisemitismus, warnte nachdrücklich vor den Gefahren einer NS-Diktatur, ließ nach dem Wahlsieg der NSDAP im März 1933 die Hakenkreuzfahne von seinem Institut entfernen und ging vorzeitig in den Ruhestand. Sein Institut wurde stranguliert: Die meisten Mitarbeiter mußten aus politischen oder rassischen Gründen ausscheiden, seine Schüler durften sich nicht habilitieren. W. ging in die „Innere Emigration“ und schloß sich 1943 einer lokalen Widerstandsbewegung an, die in Verbindung mit dem Kreisauer Kreis stand. 1935 veröffentlichte er sein kultursoziologisches Hauptwerk „Kulturgeschichte als Kultursoziologie“ (²1950 / 51, ³1960, ⁴1963, span.-mex. 1941, ²1948, ital. 1983) in den Niederlanden, worin er die Veränderung des soziokulturellen Habitus und ihre unterschiedliche Ausprägung in den einzelnen Kulturen und Epochen untersuchte. Von der modernen Kultursoziologie desavouiert, wurde das Werk später nur noch von Außenseitern wie Samuel P. Huntington (1993 u. 1996) rezipiert.

    Nach 1945 betrieb W. im „Dreizehnerausschuss“ die „Entnazifizierung“ und demokratische Reorganisation der Univ. Heidelberg, verhinderte die Berufung ehemaliger NSDAP-Parteimitglieder und nahm 1945 / 46 seine Lehrveranstaltungen wieder auf. In seiner mit Alexander Mitscherlich (1908–82) verfaßten Broschüre „Freier Sozialismus“ (1946) forderte er u. a. eine charakterbildende Erziehung freiheitlich orientierter Menschen und propagierte eine „sozialistische Marktwirtschaft“ mit Investitionssteuerung und Kontrolle der Großbetriebe nach dem Vorbild der „Carl Zeiss-Stiftung“. Seit 1945 SPD-Mitglied, suchte er mit der von ihm 1946 gegründeten Bürgerinitiative „Aktionsgruppe Heidelberg zur Demokratie und zum freien Sozialismus“ sowie der Unterstützung zahlreicher Politiker, auch aus der SBZ, die drohende Spaltung Deutschlands zu verhindern und propagierte seit Herbst 1953, unterstützt durch führende SPD-Politiker, die als „militärische Ausklammerung“ bezeichnete Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands.

    Wissenschaftlich erweiterte W. 1953 in seinem Buch „Der dritte oder der vierte Mensch“ (²1963, engl. 1947, russ. 1999) seine kultursoziologischen Studien zu einer geschlossenen „Soziologie der Freiheit“ und gab der Etablierung der Politischen Wissenschaft in Deutschland entscheidende Impulse, konnte sich aber, anders als die ihm thematisch und methodologisch verwandte Frankfurter Schule, weder gegen die Angriffe der empirisch-positivistischen Soziologen unter Führung René Königs (1906–92) behaupten noch seine Kultursoziologie zu einem schulbildenden Forschungsprogramm entwickeln. Nach dem Tod W.s und seines Kollegen Alexander Rüstow (1885–1963) kam es zu einem definitiven „Rückzug der Soziologen auf die Gegenwart“ (Norbert Elias).

  • Awards

    |E. K. 2. Kl. (1914);
    Rr.kreuz 1. Kl. d. Ordens v. Zähringer Löwen (1914);
    GHR (1917);
    Ehrensenator d. Univ. Heidelberg (1948);
    Ehrenpräs. d. Dt. Vereinigung d. Wiss. v. d. Pol. (1951);
    Dr. h. c. (Basel 1953);
    Orden Pour le mérite f. Wiss. u. Künste (1954);
    Mitgl.: Ver. f. Socialpol. (1898);
    Dt.-Litau. Ges. (1917 / 18);
    Weimarer Kreis (1925);
    Europ. Kulturbund (1926–33);
    Heidelberger Ak. d. Wiss. (1926);
    Bund z. Erneuerung d. Reiches (1928–33);
    Dt. Ak. d. Wiss. (1947–50);
    Bayer. Ak. d. Wiss. (korr. 1948);
    – Gedenktafeln am ehem. Geb.haus, Juri-Gagarin-Ring 10, Erfurt u. am ehem. Wohnhaus, Bachstr. 30, Heidelberg;
    A.-W.-Platz, Erfurt.

  • Works

    |Rel. u. Kultur, 1912;
    Ideen z. Staats- u. Kultursoziol., 1927;
    Das Tragische u. d. Gesch., 1943, ²1959;
    Abschied v. d. bisherigen Gesch., Überwindung d. Nihilismus?, 1946, engl. 1947, 1948, russ. 1999;
    Prinzipien d. Gesch.- u. Kultursoziol., 1951;
    Einf. in d. Soziol., 1955 (mit H. v. Borch u. a.);
    Haben wir Deutschen n. 1945 versagt?, Pol. Schrr., hg. v. C. Dericum, 1979, Tb. 1985;
    Gesamtausg. in zehn Bdn. (AWG), 1: Kulturgesch. als Kultursoziol., hg. v. E. Demm, 1997 (P) (chin. 2006);
    2: Das Tragische u. d. Gesch., hg. v. R. Bräu, 1998 (P);
    3: Abschied v. d. bisherigen Gesch., Der Dritte oder d. Vierte Mensch, hg. v. R. Bräu, 1997 (P);
    4: Einf. in d. Soziol., hg. v. H. G. Nutzinger, 1997 (P);
    5: Schrr. z. |Wirtsch.- u. Sozialpol. (1897–1932), hg. v. dems., 2000 (P);
    6: Schrr. z. Ind. Standortlehre (1908–1932), hg. v. dems., 1998 (P);
    7: Pol. Theorie u. Tagespol. (1903–1933), hg. v. E. Demm, 1999 (P);
    8: Schrr. z. Kultur- u. Gesch.soziol. (1909–1958), hg. v. R. Bräu, 2000 (P);
    9: Pol. im Nachkriegsdtld. (1945–1958), hg. v. E. Demm, 2001 (P);
    10, 1–2: Ausgew. Briefwechsel, hg. v. E. Demm u. H. Soell, 2003;
    W-Verz.: J. Kepeszczuk, A. W., Schrr. u. Aufss. 1897–1955, Bibliogr., 1956;
    E. Demm, Erg.-Bibliogr. d. Schrr. A. W.s [1899–1986], in: ders. (Hg.), A. W. als Pol. u. Gel., 1986, S. 206–18;
    QuNachlaß: BA Koblenz;
    Univ.bibl. Heidelberg;
    A.-W.-Inst. Heidelberg: Sondermag. A. W. Archiv;
    Univ.archiv Heidelberg.

  • Literature

    |F. Vasoldt, Die Webersche Standorttheorie d. Industrien im Lichte ihrer Kritiken, 1937;
    R. Eckert, Kultur, Zivilisation u. Ges., Die Gesch.-Theorie A. W.s, 1970;
    A. Lange-Kirchheim, Franz Kafka „In d. Strafkolonie“ u. A. W. „Der Beamte“, in: GRM NF 27, 1977, S. 202–21;
    E. Demm (Hg.), A. W. als Pol. u. Gel., Die Referate d. ersten A. W.-Kongresses in Heidelberg, 1986;
    ders., Ein Liberaler in Ks.reich u. Rep., Der pol. Weg A. W.s bis 1920, 1990 (P);
    ders., Von d. Weimarer Rep. z. Bundesrep., Der pol. Weg A. W.s v. 1920 bis 1958, 1999 (P);
    ders., (Hg.), A. W. z. Gedächtnis, Selbstzeugnisse u. Erinnerungen v. Zeitgenossen, 2000;
    ders., Geist u. Pol. im 20. Jh., Ges. Aufss. zu A. W., 2000;
    ders., Geist u. Pol., Der Heidelberger Gel.pol. A. W. 1868–1958, Kat. z. Ausst. im Univ.mus. Heidelberg, 2003 (P);
    ders., A. W. (1868–1958), Machtkapital, Netzwerke u. Lebensstil, in: Akad. Lebenswelten, Habitus u. Soz.profil v. Gel. im 19. u. 20. Jh., hg. v. dems. u. J. Suchoples, 2011, S. 105–36 (P);
    ders., A. W. u. sein Schülerkreis, in: P. Meusburger u. T. Schuch (Hg.), Wiss.atlas d. Univ. Heidelberg, 2011, S. 114 f. (P);
    ders., Else Jaffé-v. Richthofen, Erfülltes Leben zw. Max u. A. W., 2014 (P);
    ders., „Max and A. W. and their female entourage“, in: Max Weber Studies 17,1, 2017, S. 63–90;
    V. Kruse, Soziol. u. „Gegenwartskrise“, Die Zeitdiagnose Franz Oppenheimers u. A. W.s, 1990;
    H. G. Nutzinger (Hg.), Zw. Nat.ök. u. Universalgesch., A. W.s Entwurf e. umfassenden Soz.wiss. in heutiger Sicht, 1995;
    R. Blomert u. a. (Hg.), Heidelberger Soz.- u. Staatswiss., Das Inst. f. Soz.- u. Staatswiss. zw. 1918 u. 1958, 1997;
    ders., Intellektuelle im Aufbruch, Karl Mannheim, A. W., Norbert Elias u. d. Heidelberger Soz.wiss. d. Zw.kriegszeit, 1999;
    G. Sarti, A. W., Economia politica, sociologia della cultura e filosofia della storia, 1999;
    T. A. Parton u. J. Tchiornij, Tschelowek w potoke istorii, Wedenie w sotsiologiju kultury A. W., 2006;
    C. Loader, A. W. and the Crisis of Culture, 1890–1933, 2012;
    Drüll, Heidelberger Gel.lex. IV.

  • Portraits

    |Photogrr. im Nachlaß (BA Koblenz) u. in Slg. Bettina Henrich (München);
    Büste v. E. Hobbing, 1961 (A. W. Inst., Heidelberg).

  • Author

    Eberhard Demm
  • Citation

    Demm, Eberhard, "Weber, Alfred" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 479-481 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118765787.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA