Lebensdaten
1809 – 1847
Geburtsort
Hamburg
Sterbeort
Leipzig
Beruf/Funktion
Komponist
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118580779 | OGND | VIAF: 2665666
Namensvarianten
  • Mendelssohn-Bartholdy, Felix
  • Mendelssohn-Bartholdy, Jacob Ludwig Felix
  • Mendelssohn Bartholdy, Jacob Ludwig Felix
  • mehr

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Zitierweise

Mendelssohn Bartholdy, Felix, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580779.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Schw Fanny (s. 4);
    Frankfurt/M. 1837 Cécile (1817–53), T d. Franz August Jeanrenaud (1788–1819), franz. ref. Geistlicher in Frankfurt, u. d. Elisabeth Souchay (1796–1871);
    2 S, 2 T, u. a. Karl (1838–97, s. Einl.), Paul (s. 6), Lili (1845–1910, Adolph Wach, 1843–1926, Prof. d. Rechte, s. Gen. 9 u. Stintzing-Landsberg).

  • Biographie

    Nachdem die Familie 1811 wegen der franz. Besatzung aus Hamburg nach Berlin übersiedelt war, wuchs M. dort in der kulturell aufgeschlossenen Atmosphäre des wohlhabenden, assimilierten Judentums auf. Seine musikalische Begabung wurde, wie die der Schwester Fanny, bereits früh nachhaltig gefördert. Ersten Klavierunterricht erhielt er von der Mutter, die aus einer musikbegeisterten Familie stammte, in der besonders die Musik Bachs gepflegt wurde. M., der nie eine Schule besuchte, wurde zunächst von seinen Eltern und später von Hauslehrern unterrichtet. Bei Karl Heyse, dem Vater des Dichters Paul Heyse, lernte er Griechisch und Latein sowie die allgemeinen Fächer; Klavierunterricht erhielt er bei Ludwig Berger. 1816 ließ der Vater, enttäuscht über die nicht wirklich vollzogene Emanzipation der Juden, seine Kinder evangelisch taufen. Seither führte die Familie den Doppelnamen Mendelssohn Bartholdy nach dem Bruder von M.s Mutter, der diesen Schritt entscheidend gefördert hatte. M. selbst war sein Leben lang ein gläubiger Christ, der jedoch seine jüd. Abstammung nie|verleugnete, sich vielmehr mit dem Schicksal der Juden solidarisch fühlte.

    Als die Familie 1816 zu einem mehrmonatigen Aufenthalt nach Paris ging, erhielt M. dort Klavierunterricht bei Marie Bigot. Seit 1819 unterrichtete ihn Carl Friedrich Zelter in Harmonielehre und Kontrapunkt. Dessen Eintreten für Bach und sein Wirken an der Berliner Singakademie, in deren Chor M. seit seinem elften Lebensjahr regelmäßig mitwirkte, haben seine Musikerlaufbahn entscheidend beeinflußt. Bei dem Konzertmeister Carl Wilhelm Henning erhielt M. Unterricht in Violine und Bratsche, später bei Eduard Rietz, seinem Jugendfreund. Bereits 1820 waren die ersten Kompositionen, Symphonien für Streichorchester sowie Kammermusiken, entstanden. Nachhaltigen Eindruck machte auf M. Carl Maria v. Weber während dessen Berliner Aufenthalts 1821, vor allem mit der Musik des „Freischütz“. Im selben Jahr lernte er als Reisebegleiter Zelters in Weimar Goethe kennen, der an der Aufführung eines Klavierquartetts des Zwölfjährigen sowie an dessen Fähigkeiten als virtuoser Improvisator großen Gefallen fand. Zwischen dem alten Dichter und dem jungen Musiker entstand eine enge Vertrautheit, die bis zu Goethes Tod andauerte.

    Nach der Rückkehr von einer Familienreise in die Schweiz, an der auch der Lehrer Heyse teilgenommen hatte, begannen 1822 in M.s Elternhaus die regelmäßigen „Sonntagsmusiken“, für die ein kleines Orchester zusammengestellt wurde. Zu den Zuhörern zählten außer Zelter auch Alexander v. Humboldt, Hegel und der Altphilologe Philipp August Boeckh. Für das Ensemble schrieb M. kleine Stücke, im Oktober 1822 entstand sein Klavierquartett c-Moll, das als op. 1 gedruckt wurde; außerdem verfaßte er einige Operetten, von denen „Die beiden Neffen oder Der Onkel aus Boston“ an seinem 15. Geburtstag bei der „Sonntagsmusik“ uraufgeführt wurde. Außer mehreren Klavierquartetten hatte M. damals bereits neun Symphonien für Streichorchester und zahlreiche andere Stücke verfaßt. Seine erste eigentliche Symphonie (op. 11, c-Moll) vollendete er 1824. Nach Beendigung des Unterrichts bei Zelter reiste der Vater 1825 mit M. nach Paris, um ihn Cherubini vorzustellen und dessen Urteil über seine Befähigung als Musiker einzuholen. Dieser äußerte sich begeistert und empfahl, den Sohn die Musikerlaufbahn einschlagen zu lassen. Während des Aufenthalts in Paris lernte M. auch andere bekannte Musiker kennen, unter ihnen Liszt, Rossini, Kreutzer, Auber und Meyerbeer.

    Im Spätsommer 1825 bezog die Familie ihr neues Haus in Berlin, Leipziger Straße (später Preuß. Herrenhaus), in dessen Garten sich ein mehrere hundert Personen fassender Saal befand, wo seither die „Sonntagsmusiken“ stattfanden. Zu M.s Freundeskreis gehörten nun auch der Historiker Gustav Droysen, der nachmalige Diplomat Karl Klingemann sowie der Musiktheoretiker Adolph Bernhard Marx, der M. bei der Komposition der Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ (op. 21) beraten hatte. Die 1826 vollendete Ouvertüre zu Shakespeares Theaterstück entstand im Zuge der Begeisterung für Schlegels und Thiecks Shakespeareübersetzungen und kam unter M.s Leitung am 29.4.1827 in Stettin zur Uraufführung. Ebenfalls 1826 war das meisterhafte Oktett op. 20 entstanden. Mit der Oper „Die Hochzeit des Camacho“ (Libretto nach Cervantes von Ebert), die 1827 in Berlin unter der Leitung des Generalmusikdirektors Gasparo Spontini aufgeführt wurde, hatte M. allerdings nur geringen Erfolg.

    Um seine Studien fortzusetzen, bewarb sich M. 1827 um die Aufnahme an der Berliner Universität. Da er keine Schule besucht hatte, reichte er auf Anraten Heyses eine in Versform erstellte Übertragung der Komödie „Das Mädchen von Andros“ von Terenz ein, die er im Druck vorlegte. Er hörte Vorlesungen bei Hegel, dem Geographen Carl Ritter und dem Juristen Eduard Gans. Neben dem Studium wurden die regelmäßigen Sonntagsmusiken und der Besuch der Singakademie fortgesetzt. Zu seiner Erholung spielte M. gerne Schach und Billard, er galt als ein hervorragender Reiter, Schwimmer und Tänzer. In seinem Tagesablauf stand er in seiner Jugend unter der strengen Aufsicht seiner Eltern, die große Anforderungen an seine Leistungen stellten. Dieses hohe Arbeitsethos behielt M. sein Leben lang bei.

    In seinem kompositorischen Schaffen wurde M. durch die Schrift „Über Reinheit der Tonkunst“ (1825) von Anton Friedrich Justus Thibaut beeinflußt, den er auf einer sommerlichen Reise an den Rhein 1827 in Heidelberg besuchte. Dessen Programmschrift zur Wiederbelebung der altital. Vokalmusik hatte die Wiederverwendung des a-cappella-Stils zum Ziel, was bei M. zur verstärkten Beschäftigung mit der Vokalmusik führte. Wichtiger noch wurde für ihn die systematische Beschäftigung mit den Werken Bachs. Nachdem er bereits 1823 eine von E. Rietz angefertigte Abschrift der „Matthäus-Passion“ von seiner Großmutter mütterlicherseits zum Geburtstag erhalten hatte, machte er sich nun daran, eine Aufführung dieses Werkes zu realisieren Er versuchte, Zelter für seinen Plan zu gewinnen, und nach anfänglichem Widerstand sicherte dieser die Mitwirkung seiner Singakademie zu. Im Herbst 1827 begann M. zunächst mit privaten Proben, am 11.3.1829 fand schließlich, 100 Jahre nach der Uraufführung, unter M.s Leitung in der Berliner Singakademie die erste von drei Aufführungen statt. Die Partie des Jesus hatte Eduard Devrient übernommen, den Evangelisten sang der Hofopernsänger Stürmer. Damit leitete M. eine Bach-Renaissance ein, die bis heute anhält und in ihren Auswirkungen auf das Musikleben des 19. Jh. kaum zu überschätzen ist.

    Zur Vervollständigung von M.s Ausbildung als Musiker und Komponist gewährte ihm der Vater eine dreijährige Reisezeit, die er im April 1829 zunächst mit einem Aufenthalt in England begann. In der Londoner Philharmonie führte er seine Symphonie in c-Moll und die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ auf und trat auch als Pianist hervor. Bereits damals wurde er zum Ehrenmitglied der Philharmonie Society ernannt. Bei diesem Aufenthalt entstand die enge Bindung an das engl. Musikleben, die im Laufe seines Lebens zu neun weiteren Reisen nach England führen sollte. Die engl. Mendelssohn-Tradition, die unbeeinflußt blieb durch ästhetischen Wertewandel und durch antisemitische Verketzerung, nahm damals ihren Anfang. M. war einer der wenigen deutschen Komponisten, die die engl. Musik des 19. Jh. prägend beeinflußt haben.

    Nach dem Ende der Londoner Konzertsaison, in der er noch in einem Wohltätigkeitskonzert zugunsten notleidender Schlesier aufgetreten war, unternahm M. zusammen mit seinem Freund Klingemann eine längere Wanderung durch das schott. Hochland. Beim Anblick der Kapelle Maria Stuarts entstand das Urmotiv der erst 1842 vollendeten Schottischen Symphonie. Ein Ausflug auf die Hebriden führte zu ersten Skizzen zur „Hebriden-Ouvertüre“. Neben weiteren kompositorischen Entwürfen entstand nach der Rückkehr in London, wo er durch eine Beinverletzung aufgehalten war, das Liederspiel „Die Heimkehr aus der Fremde“, das er seinen Eltern zur Silberhochzeit widmete. Im Spätherbst 1829 kehrte M. nach Berlin zurück, wo er mit der Komposition seiner Reformationssymphonie als Beitrag zur 300-Jahr-Feier der Augsburger Konfession begann. Zu dieser Zeit soll er laut E. Devrient eine Professur für Musik an der Berliner Unversität angeboten erhalten haben, für die er jedoch seinen Freund Marx empfohlen habe.

    Die Fortsetzung von M.s Reise erfolgte schließlich Mitte Mai 1830. Sie begann mit einem Besuch bei Goethe in Weimar und dauerte bis Juli 1832. Zwei Monate hielt M. sich in München auf, wo er das 1. Klavierkonzert g-Moll op. 25 komponierte und zur Uraufführung brachte. In Wien blieb er über einen Monat; er war vom dortigen Musikleben wenig angetan, schloß jedoch lebenslange Freundschaft mit den Musikern Aloys Fuchs und Franz Hauser. Fuchs war als Antiquar M. wiederholt bei der Suche nach Musikautographen behilflich. Über Venedig und Florenz gelangte M. nach Rom, wo er vor allem die altital. Vokalmusik studierte. Hier traf er mit Berlioz zusammen, der damals Stipendiat in der Villa Medici war. Er schätzte Berlioz als Persönlichkeit, hielt jedoch nur wenig von dessen Musik. In Rom arbeitete M. an der Goethe-Kantate „Die erste Walpurgisnacht“ sowie an der „Italienischen Sinfonie“. Über die Schweiz reiste er im Sommer 1831 zurück nach München, wo er im Kreis um Delphine v. Schauroth verkehrte, der er das Klavierkonzert widmete. Kg. Ludwig I. hatte sich sogar darum bemüht, sie mit M. ehelich zu verbinden. Mit einem Opernauftrag des Münchener Hoftheaters reiste M. über Düsseldorf, wo er mit Immermann das Projekt einer Oper nach Shakespeares „Sturm“ erörterte, nach Paris. Hier traf er im Dezember ein, verkehrte häufig mit Chopin, Hiller, Habeneck und Liszt, auch mit den anderen Größen des Pariser Musiklebens. Seine Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ war in Paris ein Mißerfolg, die „Reformationssymphonie“ wurde geprobt, kam jedoch nicht zur Aufführung. Er selbst beurteilte das damalige Pariser Musikleben sehr negativ. Nach der Genesung von einer schweren Erkrankung reiste er im Frühjahr 1832 nach London. Hier spielte er mit großem Erfolg sein Klavierkonzert, dirigierte die Hebridenouvertüre und konzertierte in der St. Pauls-Kathedrale an der Orgel. Nach dem Tod Goethes und Zelters, durch den er tief erschüttert wurde, kehrte M. im Juli 1832 wieder nach Berlin zurück. Auf Drängen der Familie bewarb er sich um die Nachfolge Zelters als Leiter der Singakademie, doch wurde ihm der unbedeutende Carl Friedrich Rungenhagen vorgezogen, wobei deutlich antisemitische Tendenzen im Spiel waren. Unter Rungenhagen verlor die Singakademie an Ansehen und wurde schließlich in ihrem Rang von anderen Berliner Chorvereinigungen übertroffen.

    Anfang 1833 nahm M. das Angebot an, das 15. Niederrhein. Musikfest in Düsseldorf zu leiten. Doch zunächst reiste er im Frühjahr|erneut nach London, wo er am 13. Mai die Uraufführung seiner „Italienischen Symphonie“ leitete. Beim Niederrhein. Musikfest brachte er außer Beethovens Pastoralsymphonie und der dritten Leonoren-Ouvertüre die erste deutsche Aufführung von Händels „Israel in Ägypten“ in der Urfassung, deren Originalhandschrift er in London selbst kopiert hatte. Auch mit dieser Aufführung trug M. entscheidend zur Renaissance der deutschen Barockmusik bei. Der große Erfolg des Musikfestes brachte M. die Anstellung als Musikdirektor der Stadt Düsseldorf. Er hatte hier die Oberleitung über die Kirchenmusik der Katholiken und der Protestanten sowie die Direktion des Düsseldorfer Musikvereins inne. Von Ende 1833 bis Ende 1834 wirkte er neben Immermann auch am Düsseldorfer Theater als Kapellmeister, wo er in erster Linie Opern dirigierte.

    In dieser Zeit entstanden die ersten von M.s „Liedern ohne Worte“, mit denen er ein neues, sehr erfolgreiches Genre schuf. Von vergleichbarer Wirkung waren die später entstandenen „Sechs Lieder, im Freien zu singen“ (1839) sowie seine meisterhaften Männerchöre. 1834 leitete M. das 16. Niederrhein. Musikfest in Köln, an dem auch Chopin und Hiller teilnahmen. In diesem Jahr wurde er zum Mitglied der Berliner Kunstakademie ernannt und damit zum ersten Mal in Deutschland offiziell geehrt. Es entstand eine Reihe von Konzertouvertüren, und das Oratorium „Paulus“ wurde vollendet, das bereits 1831 vom Frankfurter Cäcilienverein bestellt worden war. Zu Pfingsten 1835 leitete er das 17. Niederrhein. Musikfest in Köln, bei dem auch seine Familie und Berliner Freunde anwesend waren. Aufsehen erregte diesmal die Aufführung von Händels „Salomo“. Im Januar 1835 hatte M. das Angebot erhalten, Musikdirektor des Gewandhauses in Leipzig zu werden, und am 1.9. trat er diese Stelle an. Unter seiner Leitung gewannen die Konzerte dieser Institution einen hohen Rang. M. führte die systematische Schulung des Orchesters ein und engagierte herausragende Solisten als Gäste. Neben der zeitgenössischen deutschen Musik pflegte er besonders die damals wenig bekannten Werke Bachs und Händels sowie die Symphonien Beethovens. In den Leipziger Jahren entwickelte sich eine enge Freundschaft mit Robert Schumann und seiner Frau Clara.

    Der Tod des Vaters im November 1835 stürzte M. in eine tiefe Depression, von der er sich nur langsam erholte. Sein Zustand besserte sich erst, als er im Sommer 1836 in Frankfurt seine spätere Frau, Cécile Jeanrenaud, kennenlernte. Im Frühling dieses Jahres hatte er beim Niederrhein. Musikfest in Düsseldorf die Uraufführung des „Paulus“ dirigiert, nachdem sich die geplante Aufführung durch den Frankfurter Cäcilienverein wegen der Erkrankung dessen Leiters, Johann Nepomuk Schelble, verzögert hatte; für den Freund übernahm er im Sommer dieses Jahres die Leitung des Cäcilienvereins. In Frankfurt traf er auch mit Hiller und Rossini zusammen. Nach der Hochzeit im März 1837 und der anschließenden Hochzeitsreise, während der M. seine Streichquartette op. 44 komponierte, ging er im Sommer nach Birmingham, wo er den „Paulus“ dirigierte, der auch in zahlreichen deutschen Städten aufgeführt wurde. Der überragende Erfolg dieses Werkes machte M. endgültig zu einem der führenden Komponisten Europas.

    In Leipzig begann M. 1838 mit der Reihe der „Historischen Konzerte“, bei denen er den Zuhörern die Musik von Bach und Händel und in chronologischer Folge die Werke weiterer Komponisten bis hin zu den Zeitgenossen vorführte. Zu den Verdiensten M.s gehört auch sein Eintreten für die Musik Schuberts, dessen große Symphonie in C-Dur er 1839 aus dem Nachlaß aufführte, nachdem Schumann sie in Wien entdeckt hatte. Das kompositorische Ergebnis dieses Jahres, in welchem M. wiederum die Leitung des Niederrhein. Musikfestes hatte, waren insbesondere die Lieder für gemischten Chor „Im Freien zu singen“ sowie die geistliche Komposition „Da Israel aus Ägypten zog“. In dieser Zeit vollendete er zum Gutenberg-Jubiläum die Symphoniekantate „Lobgesang“, ein Werk, das von ihm selbst sehr geschätzt, aber noch zu seinen Lebzeiten stark kritisiert wurde. Im folgenden Jahr entwickelte er Pläne zur Gründung eines Konservatoriums in Leipzig und war Mitinitiator eines dort zu errichtenden Bach-Denkmals. Auch im Sommer 1840 hielt sich M. wieder beim Musikfest in Birmingham auf.

    Kg. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen berief M. auf Vorschlag von K. Bunsen und A. v. Humboldt 1841 als Preuß. Generalmusikdirektor und Leiter der Musikabteilung der neuerrichteten Akademie der Künste nach Berlin, worauf dieser erst nach längerem Zögern einging. Seine Ideen zur allgemeinen Verbesserung der musikalischen Ausbildung konnte er dort nicht realisieren, die Bestrebungen, die musikalische Klasse der Akademie der Künste zu reorganisieren, scheiterten. Statt seinen Verpflichtungen weiterhin nachgehen zu müssen, sollte M. von nun an im persönlichen Auftrag des Königs als Komponist frei arbeiten können; er schuf für Ludwig Tiecks Wiederaufführungen der Dramen von Sophokles und Euripides Schauspielmusiken zu „Antigone“ und „Oedipus auf Kolonos“ sowie die „Sommernachtstraum“-Musik. Eine Musik zu den „Eumeniden“ zu schreiben, hielt er allerdings für zu gewagt, weshalb er diesen Auftrag ablehnte und dadurch einen Zwiespalt mit dem König hervorrief. Schließlich wurde eine Einigung dahingehend getroffen, daß M. weiterhin zur Verfügung stehen sollte, aber nicht mehr an Berlin fest gebunden war. Eine der ihm verbliebenen Aufgaben war die Reorganisation und Leitung des Berliner Domchors, für die M. zum Generalmusikdirektor ernannt wurde. Von Dezember 1842 bis August 1843 wurde er jedoch zunächst beurlaubt und hielt sich vorwiegend in Leipzig auf. Hier hatte er im März 1842 die Uraufführung der „Schottischen Symphonie“ dirigiert. Zu dieser Zeit erhielt er das Angebot, Leipziger Thomaskantor zu werden, was er jedoch ablehnte. Im Sommer 1842 hielt er sich erneut in England auf, wo er häufig mit Kgn. Victoria und Prinz Albert zusammentraf.

    Ein lange gehegter Plan konnte im Frühjahr 1843 verwirklicht werden: Aus einem dem sächs. König zugedachten Legat erhielt M. die Mittel zur Einrichtung eines Konservatoriums in Leipzig, das am 3.4. als „Musikschule“ im Gebäude des Gewandhauses eröffnet wurde. Die ersten Lehrer waren M. selbst für Klavier und Komposition, Moritz Hauptmann für Musiktheorie, Ferdinand David für Violine. Robert Schumann für Klavier und Komposition, Carl Ferdinand Becker für Orgel und Christian August Pohlenz für Gesang. Nach dem Weggang Schumanns aus Leipzig 1843 unterrichtete Ignaz Moscheles am Konservatorium. Aus dieser Gründung wurde bald die angesehenste Musikhochschule Deutschlands im 19. Jh.

    In Berlin leitete M. in diesem Jahr die Aufführung seiner Schauspielmusiken, die jedoch geteilte Aufnahme fanden. Trotz erheblicher Schwierigkeiten mit der rigiden prot. Liturgie seiner Zeit hat M. eine Reihe hervorragender Kompositionen für den Berliner Domchor geschaffen. Im Frühjahr 1844 hielt er sich wieder in London auf, wo er sechs Konzerte der Philharmonie dirigierte; damit wurde das gesunkene Ansehen des Orchesters wieder gehoben sowie das bis dahin entstandene finanzielle Defizit ausgeglichen. Währenddessen arbeitete M. an seinem Violinkonzert e-Moll op. 64, das David im März 1845 in Leipzig zum erstenmal spielte. Außerdem schuf er hier die Musik zu „Athalie“ von Racine und die sechs Orgelsonaten op. 65. Daneben bereitete er für die „Handel Society“ eine Partiturausgabe von Händels „Israel in Egypt“ vor. Im Herbst dieses Jahres kehrte M. zunächst nach Berlin zurück, wurde jedoch bald auf seinen Wunsch hin von seinen dortigen Pflichten entbunden und ging Anfang Dezember nach Frankfurt, wo er sich mehr seiner Familie widmen konnte und komponierte. In erster Linie arbeitete er hier an dem „Elias“, seinem zweiten großen Oratorium. Eine vielversprechende Einladung nach New York schlug er aus, auch bei der Uraufführung seines Violinkonzerts in Leipzig war er nicht zugegen.

    Erst im Herbst 1845 nahm er seine Tätigkeit für Leipzig wieder auf. Im Dezember sang die schwed. Sopranistin Jenny Lind im Gewandhaus, und eine enge künstlerische Freundschaft entstand zwischen ihr und M. Beim zweiten Konzert des Gewandhausorchesters dirigierte M. die Uraufführung von Schumanns Klavierkonzert a-Moll. In dieser Zeit fand auch ein Gedankenaustausch mit Richard Wagner statt, dessen Tannhäuser-Ouvertüre M. am 14.2.1846 in Leipzig aufführte. Im Mai dieses Jahres leitete er erneut das Niederrhein. Musikfest, das diesmal in Aachen stattfand. Nach der Fertigstellung des „Elias“ wurde dieses Oratorium unter seiner Leitung am 26.8.1846 auf dem Musikfest in Birmingham mit großem Erfolg uraufgeführt.

    Mittlerweile machte sich bei M. die übermäßige Anstrengung durch seine ungeheure Arbeitsleistung gesundheitlich bemerkbar. Er litt zunehmend an Migräne, sein angeborener Jähzorn nahm zu. M. wollte nun seine Ämter aufgeben und sich in Frankfurt ganz dem Komponieren widmen. Am 18.3.1847 leitete er zum letzten Mal eine Aufführung des Gewandhaus-Orchesters, dessen Leitung er anschließend niederlegte. In London dirigierte er im Sommer in Anwesenheit des Königspaares die Neufassung seines „Elias“. Die Nachricht vom Tod seiner Schwester Fanny am 14.5.1847 hatte ihn tief erschüttert. Als eine Art instrumentales Requiem für die Schwester entstand im September sein Streichqartett f-Moll op. 80. Am 7.10. schrieb er die Vertonung eines Gedichtes von Eichendorff nieder, das „Nachtlied“, das wie eine Vorahnung seines Todes erscheint. Für den Winter 1847 hatte M. eine Aufführung des „Elias“ mit Jenny Lind in Wien geplant, zu der es nicht mehr kam. Am 4.11. starb M. in Leipzig, nachdem er am 28.10. einen ersten Schlaganfall erlitten hatte, durch den er teilweise gelähmt wurde und das Bewußtsein verlor, ein zweiter Gehirnschlag war am|3.11. erfolgt. M.s Leichnam wurde nach Berlin überführt und an der Seite seiner Schwester Fanny auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof beigesetzt.

    In der Mitte des 19. Jh. galt M. unbestritten als der bedeutendste deutsche Komponist seiner Zeit. Mit seinen Oratorien und Symphonien, mit den Ouvertüren und dem Violinkonzert, der Kammermusik, den Chor- und Kirchenwerken und auch mit den „Liedern ohne Worte“ für Klavier war er Repräsentant eines bürgerlichen Musiklebens, wie es während der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit der Loslösung von höfischen Strukturen entstanden war. M.s Werk vereinigt musikalische Elemente aus den verschiedensten Epochen und Richtungen, was das Urteil über seine Kompositionen von Anfang an zwischen emphatischem Lob, wie etwa durch Schumann, Liszt und Chopin, und heftiger Ablehnung, etwa durch Wagner und seine Anhänger, schwanken ließ, obwohl auch dieser zunächst etwa die Hebriden-Ouvertüre und den „Paulus“ sehr geschätzt hatte. Bis zum 1. Weltkrieg nahm M.s Werk im Repertoire der Chorvereinigungen, Orchester und Kammermusikensembles einen großen Raum ein. Initiiert durch Richard Wagners 1851 anonym veröffentlichten Aufsatz über das „Judentum in der Musik“, erfolgten immer mehr antisemitische Angriffe auf M., in denen seine Musik als kalt, glatt und oberflächlich abgetan wurde. In unserem Jahrhundert führte die Verketzerung des Komponisten und seiner Werke bis zum Verbot ihrer Aufführung während des Dritten Reichs. Erst allmählich, diesmal auf den Weg gebracht durch die musikwissenschaftliche Forschung, begann eine Mendelssohn-Renaissance in Deutschland, während die Mendelssohn-Tradition zumal in England und den USA, aber auch in den skandinav. Ländern nie abgerissen war.

    Eine heutige Wertung des Werkes zielt auf die Mittlerposition M.s zwischen Beethovens Formstrenge und einem romantischen Subjektivismus; man kann ihn wohl am ehesten als „romantischen Klassizisten“ bezeichnen. Sein Werk ist gekennzeichnet durch eine Gestaltung, die immer wieder die Balance zwischen klassisch gefügter Struktur und romantisch schweifender oder liedhaft geschlossener Melodik zu erreichen sucht. Eine unvergleichliche Subtilität und Farbkraft in der Instrumentation und eine bei deutschen Komponisten seltene Leichtigkeit und Eleganz in der Satzfügung zeichnen es aus. Darüber hinaus war M. der Initiator einer bis heute andauernden Bach-Renaissance. Neben Hector Berlioz kann er als der erste Dirigent im modernen Sinne gelten, der auch durch sein organisatorisches Wirken bedeutenden Einfluß auf das Musikleben seines Jahrhunderts genommen hat. Die Gründung des Leipziger Konservatoriums schließlich führte in der Mitte des 19. Jh. zur europaweiten Verbreitung eines „Leipziger Stils“, der stark durch M.s Werk beeinflußt und teilweise bis ins 20. Jh. hinein, etwa in der Musik Skandinaviens und Englands, spürbar ist. –

  • Auszeichnungen

    Dr. phil. h. c. (Leipzig 1836); Pour le mérite f. Wiss. u. Künste (1842).

  • Werke

    Gesamtausg., hrsg. v. J. Rietz, 1874 ff.;
    Leipziger Ausg. d. Werke F. M. B.s (Neue Gesamtausg.), 1964 ff.;
    Briefe:
    J. Rietz, P. u. C. Mendelssohn (Hrsg.), Reisebriefe v. F. M. B. aus d. J. 1830–32, 1861;
    dies., Briefe aus d. J. 1832-1847, 1863;
    R. Elvers, F. M. B., Briefe an dt. Verleger, 1968. – Verz.: Themat. Verz. d. im Druck ersch. Compositionen v. F. M. B., ³1882, Nachdr. 1982;
    M. Crumb, Catalogue of the M. Papers in the Bodleian Library Oxford, 2 Bde., 1980/83.

  • Literatur

    ADB 21;
    W. H. Lampadius, F. M. B., 1848, ²1886;
    A. Reissmann, F. M. B., Sein Leben und seine Werke, 1867;
    E. Wolff, F. M. B., 1906;
    H. H. Stuckenschmidt, in: Die Gr. Deutschen III, 1956, S. 152-62 (P);
    H. E. Jakob, F. M. u. seine Zeit, 1959;
    E. Werner, F. M. B., A New Image of the Composer and his Age, 1963 (dt. 1980, P);
    S. Großmann-Vendrey, F. M. B. u. d. Musik d. Vergangenheit, 1969;
    C. Dahlhaus (Hrsg.), Das Problem M., 1974;
    H. C. Worbs, F. M. B. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten, ²1974 (W-Verz., L, P);
    F. Krummacher, M. – d. Komponist, 1978;
    W. Konold, F. M. B. u. seine Zeit, 1984 (W-Verz., L, P);
    Enc. Jud. 1971;
    Riemann, Erg.-Bd.;
    MGG IX, 16 (W-Verz., Erg.);
    The New Grove;
    Metzler Komponisten-Lex., 1992;
    BBKL.

  • Porträts

    Gem. v. J. W. Child, 1830, u. E. Magnus, 1836, Abb. in Werckmeister I;
    Gem. u. Zeichnung v. W. Hensel, 1840;
    Zeichnung v. J. Schmeller (Weimar, Goethe-Nat.mus.);
    Stich nach Gem. v. Th. Hildebrand, Abb. in: M. Krammer, Berlin im Wandel d. Jhh., 1956, S. 187;
    Totenmaske (Leipzig, Musikwiss. Inst. d. Univ.), Abb. in: F. Eschern, Das letzte Porträt, 1967, S. 67;
    Bronzestatue v. J. Jastram, 1993 (Leipzig, Gewandhaus).

  • Autor/in

    Christoph Schwingenstein
  • Zitierweise

    Schwingenstein, Christoph, "Mendelssohn Bartholdy, Felix" in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 53-58 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580779.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Mendelssohn-Bartholdy: Jacob Ludwig Felix M.-B., Tonmeister, geb. in Hamburg (Große Michaelisstraße Nr. 14) Freitag den 3. Febr. 1809, in Leipzig (Königstraße Nr. 21, früher Nr. 3) Donnerstag den 4. Novbr. 1847. Durch ihn empfing der Name seines Großvaters Moses Mendelssohn (s. o.) neuen Glanz. Sein Vater, Abraham M., der in Berlin am 11. Decbr. 1776 geborene zweite Sohn des Philosophen, hatte sich nach seiner Verheirathung mit der um einige Monate jüngeren Lea Salomon. gleichfalls aus einer Berliner jüdischen Familie, im J. 1804 in Hamburg als Bankier niedergelassen. Hier wurden ihm, außer Felix, zwei Töchter, Fanny Cäcilie, am 14. Nov. 1805,|und Rebecca, am 11. April 1811 geboren, denen am 30. Octbr. 1813 ein Bruder, Paul, in Berlin nachfolgte. Die Kinder wurden von der Geburt an christlich-protestantisch erzogen, während die Eltern erst später übertraten. Dorothea Schlegel, des Vaters Schwester, schreibt, Wien den 6. April 1809, in der Zeit des Feldzugs gegen Napoleon: „Noch eine kleine Familienbegebenheit: meinem Bruder Abraham ist ein Sohn geboren worden, den er hat taufen lassen“ (Dorothea Schlegel an Dr. Raich, I, 337). Ein Bruder der Mutter, der spätere preuß. Generalconsul zu Rom, eng verbunden mit den Gründern der dortigen neudeutschen Malerschule, hatte bei dem Uebertritt von dem Vorbesitzer seines Berliner Gartenhauses den Namen Bartholdy angenommen; auch die Mutter sah denselben als den ihrigen an und so ward er von der zweiten von Moses Mendelssohn abstammenden Linie mit dem Hauptnamen verbunden, zum Unterschiede von den beiden andern Linien. Der französische Druck hatte den Vater bestimmt, das Geschäft in Hamburg aufzugeben und im Sommer 1811 nach Berlin überzusiedeln. Mit seinem älteren Bruder Joseph stand er hier dem unter den beiderseitigen Enkeln noch heute blühenden großen Bankgeschäfte vor, erhielt auch die Würde eines Stadtraths. Die Familie wohnte im Hause der mütterlichen Großmutter, Neue Promenade 7; unter den davor am Spreegraben nahe der Herkulesbrücke stehenden Baumreihen verliefen Felix' Knabenspiele, und in den Räumen dieses Hauses kamen seine Compositionen bis zum 16. Lebensjahre zu Gehör; denn erst im Herbst 1825 bezog die Familie das in der Leipzigerstraße Nr. 3 belegene, zu Anfang des Jahrhunderts von dem Minister v. d. Reck besessene, mit Garten und Gartenhaus reich ausgestattete, geräumige Haus, das jetzige Reichstagsgebäude.

    Nach Mendelssohn's eigener Angabe in dem im J. 1834 für die Berliner Akademie der Künste verfaßten Lebensabrisse nahm er von seinem achten Lebensjahre an Clavierunterricht bei seiner Mutter. Dies führt auf den Anfang des Jahres 1816. Seine und seiner Schwester Fanny musikalische Anlage muß aber damals schon sehr hervorgetreten sein; der Vater nahm beide Kinder mit nach Paris, wohin er sich in diesem Jahre zur Vermittelung der französischen Kriegscontribution begab, und hier erhielten sie den Unterricht der Madame Bigot de Morogues, welche wegen des Vortrags Mozart's, namentlich seiner Clavierconcerte berühmt war. Ihrem Spiele werden „Eleganz, Leichtigkeit und Delikatesse“ nachgerühmt (s. Reichardt's Briefe S. 245). Es ist dies bezeichnend, da M. später als einer der Letzten galt, welcher Mozart's Claviermusik in ihrem Charakter vollendet wiederzugeben verstand. Die strenge und systematische Erziehung, welche M.-B. nach der Rückkehr in Berlin durch den sorgsamen, pflichttreuen und einsichtsvollen Vater und unter der unmittelbaren Leitung der Mutter empfing, war ganz geeignet, die Gründlichkeit, die Vielseitigkeit und das innere Gleichgewicht auszubilden, welche M.-B. auszeichnen. Die Eigenschaften der Eltern ergänzten sich dabei aufs Glücklichste. Wenn das Vaters schon genannte Schwester in ihm, der von sich bescheiden zu sagen pflegte: „früher war ich der Sohn meines Vaters, jetzt bin ich der Vater meines Sohnes", mehr Freiheit, in der Mutter, der „wirklich sehr gescheuten und unterrichteten Lea“, mehr Strenge erblickte, so traf bei der Leitung des Knaben ihre im allgemeinen Sinne gethane Vorhersagung ganz ein, „daß meines Bruders Genius der Liberalität diesen ökonomischen Genius etwas mildern, sowie dieser den ersten etwas einschränken werde“ (a. a. O. I, S. 145). Musik war beider Lebenselement und wurde es in höherem und geringerem Grade das der vier Kinder. In der Wahl der Lehrer des ältesten Knaben zeigt sich die größeste Sorgfalt. Ludw. Berger (s. Allg. D. Biogr. Bd. II, S. 380), der Schüler Clementi's und Field's, dessen Vortrage „stilgerechte Objectivität und Betonung des rein|musikalisch-kunstmäßigen“ zugeschrieben wird, übernahm den Clavier-, der später noch mit M.-B. zugleich in Berlin als Capellmeister thätige Hennig, danach Eduard Rietz den Violinunterricht, das Zeichnen und Landschaftsmalen der „drollige kleine“, etwas verwachsene, aber geist- und talentvolle Rösel, Professor an der Bauakademie, eine bekannte Stadtfigur der zwanziger Jahre, und der berühmte Metriker, Lexikograph und Büchersammler Ludw. Heyse (vgl. Bd. XII, S. 380), damals ohne Amt, als Hauslehrer den Unterricht in alten Sprachen und allgemein die Vorbereitung bis zur Universität. Die Krone aber bildete der alte Zelter, der Liedercomponist, der Freund des Radziwil’schen Hauses, der Hüter der Bach'chen Handschriften, der gefürchtete Leiter der Singakademie, in deren Altclasse M.-B. 1819, im eilften Jahre, eintrat; ihm übertrug der Vater Generalbaß, Compositionslehre und besonders Contrapunkt, die Ausbildung der höchsten Gaben des Wunderkindes, welches ein wohlerhaltenes Bild aus dieser Zeit im Jäckchen Orgel spielend darstellt.

    Schon 1818 im neunten Lebensjahre, gleich Mozart und Meyerbeer, war M.-B. am Clavier öffentlich aufgetreten, wie später gelegentlich (1822, 1823), aber die strenge, einsichtsvolle Zucht des Vaters schützte ebenso wie Zelter's gediegene Leitung den Frühreifen vor den gewöhnlichen Abwegen, vor Dünkel und Verflachung. Je mehr alles zusammentraf, ihn zu einem wiedererstandenen Mozart zu stempeln, — noch in Heine's Salon findet diese Anschauung der damaligen Berliner Kreise Ausdruck —, desto mehr verfolgte man, im Gefühl der Verantwortung, in Erziehung und Lehre das Ziel, neben dem Musiker auch den Menschen erstarken und keine Treibhausbildung aufkommen zu lassen. Keines der reichen Bildungsmittel, welche die Zeit gewährte, wurde versäumt, nicht Künste, Wissenschaften, Sprachen, Reisen, körperliche Uebungen aller Art, nicht Geselligkeit und der Umgang mit den ersten Zeitgenossen: aber man hielt fest an allen häuslichen und bürgerlichen Tugenden, an Gehorsam, an fleißiger, unablässiger Arbeit. In patriarchalischer Zucht wuchs der junge Musiker auf, alles Gemeine blieb ihm fremd oder verabscheuungswürdig. Kindliche Pietät zu den Eltern, innige Geschwisterliebe begleiteten ihn durch das ganze Leben, zugleich eine ihm im elterlichen Hause eingepflanzte Verehrung alles Höheren und Guten, Pietät in Leben und Kunst.

    Als die eigentlichen Lehrjahre kann man die Zeit bis etwa 1825 ansehen. Die in der Berliner Sammlung von 44 Bänden erhaltenen, mit dem Januar 1820 beginnenden Compositionen für Clavier und Orgel, für Orchester, für Kammer- und Vocalmusik zeigen die frühe productive Anlage und zugleich eine überaus gründliche und vielseitige Schulung und Durchbildung. Schon in jenes Jahr fallen ein Singspiel und, als op. 105 gedruckt, eine Claviersonate, in das folgende fünf Symphonien, zwei kleine Opern, Motetten, Fugen; 1823 kamen die ersten gedruckten Werke, die Clavierquartette op. 1 und 2 und die Violinsonate op. 4 hinzu, dann sechs fernere Symphonien, die vierte Oper, welche am 3. Februar 1824 mit Orchester im väterlichen Hause aufgeführt wurde, Violin- und Clavierconcerte, eine Orgelfuge, ein Kyrie. Schon diese Vorstufe zeigt M. im Besitz der gesammten musikalischen Technik, zugleich das Phänomen eines dem Menschen in seiner inneren Entwickelung weit vorauseilenden Künstlers, wenn auch Zelter meinte: „Alles kommt vom Inneren und das Aeußerliche seiner Zeit berührt ihn auch nur äußerlich.“ Welche Sterne ihm dabei leuchteten, zeigt die ihm an seinem 15. Geburtstage im Namen Mozart's, Haydn's und des alten Bach von Zelter ertheilte Gesellenweihe. Als heißersehntes Geschenk seiner Großmutter hatte er (1823) die Bach’sche Matthäus-Passion in einer Abschrift unter seinem Weihnachtsbaum gefunden, nachdem er im Herbst vorher von dem als Jugendschriftsteller bekannten Wilmsen confirmirt worden war. Wie|jene Weihe, so lassen die Programme der väterlichen Sonntagsmusiken eine Vorliebe für die alte Schule erkennen. Durch diese Uebungen konnte sich das Talent des Sohnes praktisch entwickeln, im Hause, in halber Oeffentlichkeit und ohne Berührung mit dem eigentlichen Publicum. Er dirigirte, er spielte am Clavier und im Geigenquartett und genoß den großen Vorzug, seine eigenen Arbeiten früh zu hören. Seines Vaters Haus ward so durch ihn und seine begabte Schwester Fanny, seit 1829 die Gattin des Malers Hensel (Bd. XII S. 3), zu einem musikalischen und gesellschaftlichen Mittelpunkte, wo auch Fremde Eingang fanden. Vom größten Einfluß ward die Bekanntschaft mit Weber, der in Berlin nach der Eröffnung des neuen Schauspielhauses im Juni 1821 seinen Freischütz aufführte; mit ihm trat der die damalige Zeit erfüllende Geist deutscher Romantik, des Märchens, des Waldes, in Mendelssohn-Bartholdy's Leben, welcher sich wunderbar mit den in ihm lebendigen Geistern Gluck's, — dessen Opern das Berliner Theater vorzugsweise pflegte —, Händel's und Bach's zurechtfand, und seiner Muse früh die ihr bis zuletzt eigne Physiognomie verlieh. Ebenso lernte er in jener Zeit Spohr und Hummel kennen. Einen Freund für's Leben erwarb er zu Ende 1824 an dem schon 30jährigen Moscheles, der die damals höchste Staffel des Virtuosenthums auf dem Clavier erstiegen hatte. M. nahm noch Unterricht bei ihm, und liebte es, dessen in der Mitte zwischen Cramer und Chopin stehende Studien (op. 70) auswendig vorzutragen. Daß Moscheles in seinem Schüler schon damals die volle Reife eines Künstlers erblickte, darf nicht Wunder nehmen. Der Vater suchte jedoch die Beglaubigung des künstlerischen Berufes seines Sohnes an höherer Stelle nach, bei Cherubini, einem damals schon „ausgebrannten Vulkan“, nach des Sohnes Bezeichnung. Man reiste im März 1825 zu einem bis Ende Mai dauernden Aufenthalte nach Paris, als einem nur Wien an Bedeutung nachstehenden musikalischen Mittelpunkte. Aber die Musikwelt der Paer, Auber, Halévy, Herz, Kalkbrenner, Kreutzer, Rode, in welche der junge Meister eintrat, wie tief stand sie unter derjenigen, welche er selbst in sich trug! Das hiervon Zeugniß ablegende fünfstimmige Kyrie mit Orchesterbegleitung und Posaunen, welches er dort für Cherubini und in Cherubini's Geiste, halb ironisch, setzte, erreichte vollständig den beabsichtigten Zweck. Schon vorher waren größere Reisen unternommen worden. Der längere Aufenthalt in der Schweiz im J.1822 und der in Dobberan im Sommer 1824, wo die Ouvertüre op. 24 für die dortige Bademusik entstand, wurden von Einfluß durch die großen, später mit Vorliebe erneuerten Eindrücke der Alpen und des Meeres. In Wien schuf Beethoven seine letzten Werke, Schubert, in der Blüthe der Jugend, stand, wenigstens in den Jahren 1825—1828, mit M.-B. zugleich an der Spitze der ganzen musikalischen Bewegung, wie wir sie heute überschauen. Daß M. gleichwol jene großen und für ihn wichtigsten Zeitgenossen nicht sah, er nicht, gleich seinem schon auf einer der ersten Reisen erworbenen Jugendfreunde Ferd. Hiller, zu ihnen pilgerte, lag theils an Einflüssen des Vaters, dessen Geschäftsverbindungen nach dem Westen führten, theils an Zelters Gegenwirkung. Diesem dagegen dankte M. die frühe Verbindung mit Goethe, bei dem er ihn schon im November 1821 eingeführt hatte. Damals ermahnte der Vater den überlebendigen Knaben: „Beobachte dich selbst streng, sitze und halte dich besonders bei Tisch anständig, spreche deutlich und angemessen" und Goethe erkannte ihm „vom Phlegma das irgend möglichste Minimum“ zu. Die in des Dichters Werken sich findenden, von Grove in seiner Biographie Mendelssohn-Bartholdy's getadelten Verse „Wenn über die ernste Partitur quer Steckenpferdchen reiten“, aus dem Januar 1822, sollen eine, für den erst zwölfjährigen Felix bestimmte, neckende Zeichnung von Adele Schopenhauer, einer der in Weimar ihm gewonnenen Freundinnen, erläutern. Die ferner von Grove geschmähten, in englischer Uebertragung mitgetheilten Verse „Wenn|das Talent verständig waltet“ haben gar keine Beziehung auf M., als den Schluß einer Theaterrede auf Hans Sachs ausmachend. — Die Besuche in Weimar wurden 1822 und 1825 wiederholt. Goethe's lebendige Nähe hat dem Knaben, nach den Worten seines Sohnes Karl, den Sinn für das Tüchtige, die Abneigung gegen alles Schwächliche und Kränkliche gekräftigt und gefördert.

    Compositionen des Jahres 1825 zeigen bereits den vollendeten Meister. Ihm gehören das von Bach’schem Geiste erfüllte und doch ganz moderne, von Robert Schumann (in dem Vorwort seines op. 3) als „klassisch“ bezeichnete Fis-moll Capriccio für Clavier (op. 5), das große feurige, noch heute von der Zeit unberührte Octett für Streichinstrumente (op. 20) und die fünfte Oper, „Die Hochzeit des Camacho“, an. Schon damals treten die M.-B. eigenthümlichen Elfen-Scherzi hervor, schon in dem das Jahr vorher gesetzten Clavierquartett in H-moll (op. 3) und in jenem Octett, dessen dem Schlußsatz des Beethoven’schen Septuor nachgebildeter Schlußsatz das vorhergegangne Scherzo frei wiederholt. Für dasselbe bildete den verschwiegnen geistigen Hintergrund die Schlußstrophe des Walpurgisnachtstraums im Faust (Orchester pianissimo: Wolkenzug und Nebelflor etc.). Aehnlich gab später in Rom Goethe's Gedicht „Lili's Park“ die Anregung zu einem anderen Scherzo. Mit der genannten Oper jedoch traf M.-B. es nicht glücklich. Den Stoff aus des Cervantes' Roman, schon 1722 als Vaudeville Les noces de Gamacho in Paris, und 1806 in Berlin als Ballet (Musik von Toeschi und Cannabich) behandelt, hatte Friedrich Voigts als Text einer komischen Oper bearbeitet (Goedeke's Grundriß III, S. 1104, Nr. 1417, 2) und dann M.-B. 1824 und 1825 componirt. Er war schon ein anderer, als die Oper am 29. April 1827 in Berlin zur Ausführung gelangte, ohne Spuren zu hinterlassen. Grove hebt hervor, daß M.-B. der Rolle des Don Quixote bereits, lange vor Wagner, Leitmotive gegeben. Die lebendige und charakteristische, etwas zu lang gesponnene Ouvertüre, noch heute gelegentlich gehört, zeigt schon die Vorliebe des Componisten für einzelne Instrumente, wie Violoncell und Horn. Scheiterte also dieser zu früh und zu spät unternommene Versuch, so war doch in dem Jahre vorher schon der Grund gelegt, um von der Theaterbühne in anderer Art für immer Besitz zu nehmen. Das Jahr 1826 hatte, außer der den Weber’schen Einfluß bekundenden Claviersonate op. 6 zwei Werke gezeitigt, worin die künstlerische Ueberlegenheit Mendelssohn-Bartholdy's vielleicht zum ersten Male ganz Hervortritt: das Violinquintett in A-dur (op. 18) und die vom 6. August 1826 datirte Ouvertüre zum Sommernachtstraum. Shakespeare hatte sich des Siebzehnjährigen ganz bemächtigt, mit seinen Schwestern hatte er das Stück gelesen und den Geist desselben ganz in sich aufgenommen; die Mischung des Feenhaften und Realen, des Schwärmerischen und Burlesken in künstlerischer Einheit darzustellen, entsprach ganz seiner Eigenart und bezeichnet zugleich die Gattung Operntexte, welchen seine Musik sich allein hätte vermählen können. In einem Concerte zu Stettin im Februar des nächsten Jahres brachte er die Ouvertüre zuerst zur Aufführung, welche dann schon im Mai und Juni 1829 ihm die Herzen Alt-Englands erschloß. Moscheles schreibt: „Der Enthusiasmus, den seine Sommernachtstraum-Ouvertüre im Publikum hervorgerufen, machte ihn nicht schwindlich. Es muß alles noch besser werden, meinte er.“

    Der ersten Reise nach England gingen jedoch Compositionen in Menge, Reisen in Deutschland, eine zweijährige Universitätszeit und die Wiedererweckung der Bach’schen Matthäuspassion voraus. M. verließ Heyse's Schule mit der Herausgabe der ersten Uebertragung des Terenz’schen „Mädchen von Andros in den Versmaßen des Originals“ (bei Dümmler 1826) und hörte seit Ostern 1827 Vorlesungen bei Hegel (Aesthetik), Ritter (Geographie) u. A. Der Bekanntenkreis des|väterlichen Hauses hatte sich immerfort vermehrt. Dort verkehrten A. v. Humboldt (1828), Varnhagen und Rahel, H. Heine. W. Müller, der Dichter der Griechenlieder, Hegel selbst, Droysen, der spätere Historiograph Preußens, der auch poetisch thätige Gerichtsarzt Casper, Bernhard Klein etc. Der spätere hannöversche Militärarzt Stromeyer hat diesen Kreis in seinen Erinnerungen geschildert, welche mit Dorn's „Erinnerungen an Mendelssohn-Bartholdy“ (Gartenlaube 1870, Nr. 9 und 10) zu verbinden sind. Dazu traten, meist durch Poesie oder Musik verbunden, die Lebensfreunde, der Violinspieler Eduard Rietz, der Dichter Klingemann, später Legationsrath in London, der Schauspieler und Sänger Ed. Devrient, Verfasser der Geschichte der deutschen Schauspielkunst, die Theologen Schubring und Bauer, der Maler Hensel, seit 1829 Gatte von Mendelssohn-Bartholdy's Schwester Fanny, und A. B. Marx. Der Bund mit diesem einst geschätzten Compositionslehrer endigte jedoch disharmonisch; vor der genialen Praxis des Einen mußte die Theorie des Andern nothwendig den Kürzeren ziehen, zumal als sie selbst zur Praxis übergehen wollte. Dauernder war die Verbindung mit F. Hiller, den M.-B. im Sommer 1827 auf dem „Pfarreisen“ in Franfurt wiedersah. Es geschah dies auf einer bis nach Baden fortgesetzten Reise, welche ihm die nähere Bekanntschaft Thibaut's in Heidelberg, des Verfassers des Buchs von der Reinheit der Tonkunst verschaffte. Von eignen Arbeiten gehören dieser Zeit, außer verschiedener kirchlicher Vocalmusik, die ersten Violinquartette op. 13 in A-moll (27. Oct. 1827) und Es-dur op. 12 (1828), dem letzteren Jahre auch die Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“, malerische Wiedergabe eines schon von Beethoven und Fr. Schubert behandelten Goethe’schen Textes, dem folgenden die überaus gefälligen, seinem auf dem Violoncell excellirenden Bruder Paul gewidmeten Variationen für Clavier und Violoncell op. 17 (30. Jan. 1829) und noch dem Jahre 1827 der fugirte Schlußsatz (Es-dur) des erst spät veröffentlichten schönen Violinquartetts op. 81 an. Eine Menge Gelegenheitsmusik, zu deren Uebernahme M.-B. sich jederzeit bereit zeigte, lief nebenher, wie die Cantaten zum Dürerfest und zur Naturforscherversammlung 1828, vei welchem Anlasse M.-B. und Chopin in der Singakademie zuerst zusammentrafen, ohne jedoch Bekanntschaft zu machen, ein Chorgesang zu Zelter's 70. Geburtstage (December 1828), eine große italienische Arie für die Sängerin Milder-Hauptmann, zwei Kindersymphonien, und, in das Jahr 1830 übergreifend, die sogenannte Reformationssymphonie op. 107.

    Wichtig ward die Aufführung der bis dahin nur handschriftlich vorhandenen Bach’schen Passion am 11. und 21. März 1829. ein historisches Ereigniß, unter dessen Nachwirkungen das deutsche Musikleben sich seitdem entwickelt hat. Schon im Winter vorher hatte M.-B. das Werk im väterlichen Hause mit einem auserwählten Chor von nur 16 Stimmen eingeübt und sich dadurch nicht nur zum Vollständigen Herrn des Stoffs gemacht, sondern sich zugleich von dessen Werthe tief durchdrungen. Mit Mühe hatten er und Ed. Devrient — wie M.-B. bitter-scherzend sagte, ein Judenjunge und ein Komödiant — von Zelter die Erlaubniß zur öffentlichen Aufführung des ersten christlichen Vocalwerks in der Singakademie erlangt. „Es ist mir, als wenn ich von ferne das Meer brausen hörte“, schrieb Goethe, als er von dem Unternehmen vernahm. Mit dieser ruhmreichen That und der Veröffentlichung mehrerer eigner Werke, darunter die ausgezeichneten. Ludw. Berger gewidmeten sieben Charakterstücke für Clavier op. 7 und die zwei Liederhefte op. 8 und 9, schloß die eigentliche Jugendperiode. Unmittelbar darauf verließ der Zwanzigjährige das väterliche Haus und die Väterliche Stadt, um eine große, England, Deutschland. Italien, die Schweiz und Frankreich umfassende europäische Tour anzutreten.

    Die Londoner Freunde Moscheles und Klingemann entschieden für die Wahl des ersten Reiseziels. Am 21. April 1829 betrat M. den englischen Boden, wo er zuerst volle Würdigung und eine zweite Heimath finden sollte. Wie als Oratoriencomponist, ist er auch durch persönliche nahe Beziehungen zu England der Nachfolger Händel's geworden. Noch zehn Reisen dorthin sollten auf jenen ersten bis zum Ende des Jahres 1829 dauernden Ausflug folgen. Die bezaubernde, elektrisirende Wirkung seiner Persönlichkeit brach sich hier in England zuerst allgemein und öffentlich Bahn, von der Ferd. Hiller noch am 8. November 1884 (Brief an Rudorf) schreibt: „Der Saal, in dem er sich befand, war wie von elektrischem Lichte beleuchtet, und das Licht ging von ihm aus.“ In Berlin wurde er nie Populär, hier war er es mit einem Schlage und blieb es über seinen Tod hinaus. Sein edler Charakter, die Reinheit seines Wandels, die Meisterschaft in seiner Kunst und deren Richtung gewannen ihm hier alle Sympathien, man beugte sich seiner Superiorität und ehrte sich dadurch selbst, während man in Berlin fragte: Sind seine Brüder und Schwestern nicht alle bei uns? Woher kommt ihm denn das alles? Unter englischem Einflusse entstand eine Reihe seiner vorzüglichsten Instrumentalwerke. Seine „Lieder ohne Worte“, dort ohne das Oxymoron des Titels als „Original Melodies for the Pianoforte“ seit 1832 erschienen, bildeten und bilden noch neben Beethoven's Sonaten den Hauptstock der Hausmusik. Für England ward er der nationale Lehrer. Einen großen Theil der Beethoven’schen und Schubert’schen Musik führte er zuerst ein, von ihm erst lernte der englische Organist die Bach’schen Orgelsachen im richtigen Tempo spielen und England überhaupt erst Seb. Bach's Werke wirklich kennen. Schon 1829 ward er Ehrenmitglied der Londoner philharmonischen Gesellschaft, welcher er seine, noch der Jugendperiode angehörige, C-moll-Symphonie (op. 11) widmete. Nach Beendigung der Concertsaison jenes Jahres —, er hatte das Weber’sche Concertstück in F-moll und das über dem Kanal noch unbekannte Es-dur-Concert von Beethoven gespielt — reiste er mit Klingemann im Juli nach Schottland. Dort in Edinburgh, in den Ruinen des Schlosses Holyrood, wo Maria Stuart gekrönt worden war, entstand der Anfang der A-moll-Symphonie (op. 56) und acht Tage später (7. August) beim Besuche der Fingalshöhle auf den Hebriden das Hauptmotiv der darnach benannten Ouvertüre (in ihrer jetzigen Gestalt erst im Juni 1832 abgeschlossen); ebenso erwuchsen aus den Eindrücken dieser Reise Anfangs September in Coed-du bei Holywell, auf dem Wege nach dem jedoch nicht erreichten Irland, die drei Clavierstücke op. 16. Auch die sogeuannte schottische Sonate, nämlich die Fis-moll-Phantasie op. 28, gehört hierher, obschon sie ihre jetzige Gestalt erst mehrere Jahre später (29. Januar 1833) erhielt. So berührt uns der erfrischende Hauch des Lebens selbst in dieser Musik!

    Rechtzeitig fand M.-B. sich wieder in Berlin ein, um sein zur silbernen Hochzeit seiner Eltern am 26. December 1829 verfaßtes Liederspiel in einem Akt „Die Heimkehr aus der Fremde“ in alter Art im Hause zu Gehör zu bringen; es ist als op. 89 in Partitur und Stimmen erst im März 1851 veröffentlicht und auch im selben Jahre in Leipzig. London, Berlin aufgeführt, trotz des mangelhaften Textes und der engen Formen, ein schlagender Beweis für Mendelssohn-Bartholdy's dramatische Befähigung, auch von ihm selbst für eines seiner besten Werke erklärt. Eine Mischung übermüthiger Laune und romantischer Innigkeit verleiht dem Ganzen einen eignen Reiz. Die Ouvertüre (aufgebaut auf vier knappe liedmäßige Themen, mit Wiederholung am Schlusse wie in der Sommernachtstraum-Ouvertüre), die Buffoarie Nr. 4 des Krämers Kauz, das Terzett Nr. 6, zeichnen sich aus; das Lied Nr. 12 ist jedoch von Klingemann, dem Dichter des Liederspiels, auch gesetzt, von M. nur instrumentirt.

    Im Mai 1830 brach der Reisende wieder auf, zunächst zu einem Besuche Goethe's (20. Mai bis 3. Juni). In täglichen Vorträgen führte er dem Dichter die Entwickelung der Musik von Bach bis zu Beethoven, Weber und ihm selbst „historisch“ vor und erbaute, nach Goethe's Worten, in Weimar „alles mit seiner vollendeten liebenswürdigen Kunst“. Goethe ließ ihn durch Schmeller für seine Sammlung malen. Von den Briefen, welche M.-B. in diesem und dem folgenden Jahre verabredetermaßen an den Dichter richtete, hat Karl Mendelssohn Einiges mitgetheilt; Auszüge aus einem längeren Schreiben zu Goethe's letztem Geburtstage über eine Tell-Aufführung in Luzern ließ dieser selbst in dem weimarischen Chaos (2. Jahrg. Nr. 5, 6 und 7 „Aus dem Berner Oberlande") erscheinen. Dagegen sind die in der englischen Zeitschrift The Choir vom 5. und 12. September 1874 herausgegebenen drei Briefe Mendelssohn-Bartholdy's an Goethe eine Fälschung (nachgewiesen zuerst in der Wiener Deutschen Zeitung desselben Jahres Nr. 986).

    Bemerkenswerth ist auch der im Sommer 1830 folgende und im October 1831 wiederholte Aufenthalt in München, sowol wegen der hier begründeten lebenslänglichen Freundschaft mit der Liedercomponistin Josephine Lang, späteren Frau Köstlin in Tübingen, welche M.-V. gleichsam entdeckte und ausbildete, als auch weil sein Erscheinen genügte, dem Musikleben der Stadt einen neuen Schwung zu geben. Bei dem zweiten Besuche trug er (Concert vom 17. October 1831) das soeben entstandene G-moll-Concert (op. 25) vor und phantasirte zum Schlusse öffentlich am Clavier, wie einst Mozart und damals noch Hummel zu thun pflegten. Es bezeichnet den Zeitgeschmack, daß die heute nicht mehr gehörte C-moll-Symphonie (op. 11) mehr gefiel als die „unverständliche“ Sommernachtstraum-Ouvertüre ("indeß Phantasie, Charakter und ein musikalisch-romantischer Geist blinken überall hervor"). Der Berichterstatter der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung (Jahrg. 34, S. 57) schreibt jedoch nach M.-B.'s Besuch: „Wer kennt ihn nicht? Ein Heros in ausübender Kunst; groß, über alles Schwierige hinweg, feurig und noch verständlich“ und später (Jahrg. 36): „seit seiner Anwesenheit ist Beethoven vorzüglich zerfleischt worden.“

    Nach einem kurzen Aufenthalte in Wien (August 1830), wo man „die Fertigkeit seines Clavierspiels und noch mehr die ausgezeichnete Gabe des Phantasirens bewunderte“, dann in Preßburg, in Gratz, traf M.-B. am 9. October in Venedig und am 1. November in Rom ein. Die lange, auch Neapel umfassende, mit „Goethe's Gedichten und drei Hemden“ im Ränzel zurückgelegte, später nicht wiederholte italienische Reise endete erst im Juli 1831 in Mailand. Den ganzen Winter verblieb er in Rom, glücklich ein Bürger der ewigen Stadt zu sein, die Kunst, die Ruinen, die Landschaft bewundern und in solcher Umgebung seiner Arbeit leben zu können. Daß dieser Aufenthalt von dem höchsten Einfluß auf seine Entwickelung gewesen, bestätigte er dem Engländer Horsley in Interlaken noch kurz vor seinem Tode. Ihn beschäftigten die Hebridenouvertüre, die italienische und die schottische Symphonie (op. 90 und 56), die Walpurgisnacht und eine Menge kirchlicher Werke, Psalm 115 (op. 31), Motetten (op. 23), eine Weihnachtscantate, die Hymne „Verleih uns Frieden gnädiglich“, die drei Motetten für die Nonnen auf Trinità de' Monti (op. 39) und kleinere Claviercomposition. Vor der modernen italienischen Musik zog er sich hier ganz in die deutsche zurück als producteur infatigable, nach Berlioz' Worten, obschon er die berühmten Ostergesänge der päpstlichen Kapelle so genau in sich aufnahm, daß er die ganze Musik mit allen Abbellimenti für seinen alten Lehrer Zelter zu Papier bringen konnte, wie einst 1770 Mozart das dort gesungene Miserere von Allegri nach dem Gehör niederschrieb. Palestrina's Improperien waren ihm „wirklich fast das Vollkommenste“ aller Vocalmusik. Auch seine Augen hatte er überall.|Italien ward epochemachend auch für sein Malen und Zeichnen und seine dortigen Bekanntschaften, Horace Vernet, Thorwaldsen, H. Berlioz, Benedict, Baini, Santini gehörten ebenso der bildenden Kunst an wie der tönenden.

    Von den Erlebnissen der im August 1831 sich anschließenden Schweizer Reise heben wir hier nur das Orgelspiel im Kloster zu Engelberg hervor. Der zweite Ausenthalt in München ist schon erwähnt. Dort hatte M. den Auftrag erhalten eine Oper zu schreiben und die Textnoth bewog ihn, Immermann in Düsseldorf aufzusuchen, ein Besuch, der zwar des eigentlichen Zwecks verfehlte, aber Mendelssohn-Bartholdy's spätere Berufung dorthin vorbereitete. Man ward über einen dem Dichter wie dem Musiker sympathischen Text einig, über eine Bearbeitung des Shakespeare’schen Sturm; das von Immermann im folgenden Jahre nach Berlin gesandte Textbuch sagte M.-B. jedoch nicht zu. Vielleicht hätte eine Oper Sturm die spätere Ausführung der Musik zum Sommernachtstraum nicht aufkommen lassen; die Stoffe waren zu verwandt; die Gegensätze Ariel und Caliban hätten den Gegensatz der Elfen und Rüpel vorweg genommen.

    In dem mehrmonatlichen Pariser Leben (Mitte December 1831 bis April 1832) wiederholten sich die ungünstigen Eindrücke des Jahres 1825, obwol M.-B. diesmal Freund Hiller vorfand und neue Bekanntschaften, wie Liszt und Chopin machte. In den von Habeneck geleiteten Concerten des Conservatoriums gelangte zwar seine Sommernachtstraum-Ouvertüre zur Aufführung und er selbst spielte das den Parisern noch fremde G-dur-Concert von Beethoven, im Allgemeinen aber fand er nicht die ihm gebührende Anerkennung als Musiker von Bedeutung, geschweige als der erste Musiker der Zeit. Seine Reformationssymphonie ward, wie erklärlich, vom Conservatorium abgelehnt, dessen Pforten ihm auch in den nächsten elf Jahren verschlossen bleiben sollten. Bitter empfand er Meyerbeer's unbestrittene Herrschaft und den Ruhm seines „Robert“, eine Antipathie, welche bekanntlich auch Robert Schumann, der zweite Hohepriester der klassisch-idealen Gemeinde, theilte; bei der Gleichheit der Herkunft ist es psychologisch erklärlich, daß M.-B. den Gegensatz gegen Meyerbeer in seinem Innern verschärfte. In Paris erfuhr er den Tod seines Freundes Eduard Rietz, dem er dort das Adagio des A-dur-Quintetts (op. 18) widmete, sowie später den Tod Goethe's Er meldete ihn Freund Hiller mit verweinten Augen und sagte voraus, daß Zelter nun auch folgen werde. Im November schrieb er dann die Musik zu Goethe's „Trauerloge“. Im April schon hatte er das böse Paris, vor der Cholera fliehend, für immer verlassen. England entschädigte ihn wieder, sein theures London, die geliebte Orgel der Paulskirche, die philharmonische Gesellschaft, in deren Concerten er die Hebridenouvertüre (zuerst 14. Mai) dirigirte und sein G-moll-Concert wiederholt vortrug.

    Im Juli 1832 kehrte M. zu den heimischen Penaten, mit dem Gedanken zurück, sich einen dauernden Wirkungskreis bei ihnen zu gründen. In diese Zeit fallen die Vorarbeiten zum Paulus, nachdem der Plan mit dem „Sturm“ sich zerschlagen. Die Zusammenstellung des Textes gab viel Mühe, da der Entwurf von Marx, für den M. den Text des Oratoriums Moses verfaßte, seinen auf Beibehaltung des Bibelworts und des Chorals gerichteten Absichten direct widersprach. Im Hinblick auf die bevorstehende Wiederbesetzung der durch Zelter's Tod erledigten Stelle des Directors an der von Fasch gegründeten Singakademie hielt M. es für gut, sich seiner Vaterstadt als Componist und ausübenden Musiker in ganzer Figur vorzustellen. Seine Werke op. 19—23, darunter das erste Heft der „Lieder ohne Worte“ und das erste Heft der „Lieder für eine Singstimme“. — beide mit Erinnerungen an Venedig — waren soeben (1832) im Druck erschienen. Er veranstaltete nun im Winter drei „klassische“ Concerte, wie Berlin sie nicht gekannt hatte. Er dirigirte darin seine drei ersten Concerouvertüren, die Reformationssymphonie und die Walpurgisnacht (in erster Gestalt), spielte selbst sein G-moll-Concert ("mit außerordentlicher Schnellkraft, Präcision, Leichtigkeit und feinem Geschmack"), das beim letzten Besuch in London geschriebene Capriccio in H-moll (op. 22), ferner das D-moll-Concert für Clavier von Seb. Bach, das auch Berlin noch neue G-dur-Concert von Beethoven ("vorzüglich sprach das originelle Adagio an"!!) und dessen Sonaten op. 53 ("in überschnellem Zeitmaße, dennoch mit seltener Sicherheit und Geschmack, vollkommen schön") und op. 27 in Cis-moll ("mit vollendeter Virtuosität und tief empfundenem Ausdruck"), außerdem auch Sachen von Weber und L. Berger. Bei anderen Anlässen spielte er in demselben Winter Mozart's Clavierconcerte in D-moll ("ungemein zart, einfach und mit schönem Ton"), mit eigner Cadenz am Schlusse des ersten Theils, und in C-moll ("fertig und ausdrucksvoll im Geiste der großartigen Composition"), sowie Beethoven's Violinsonate op. 30, Nr. 2 und das Tripelconcert (op. 56 „so fertig als geschmackvoll und mit schönem Ton und Anschlag"). Die Leipziger Allgemeine Musikzeitung, welcher die eingeklammerten Stellen entnommen sind, fällte das Endurtheil, M.-B. habe sich gezeigt „als ausgezeichneten Pianofortevirtuos ersten Ranges, Instrumentalcomponisten von Genie und Fleiß und geschickten Orchesterdirigenten“. Bei der Directorwahl wurde jedoch von den 240 Mitgliedern der Singakademie Rungenhagen den anderen Bewerbern, M.-B. und Neukomm, vorgezogen; Rungenhagen erhielt am 22. Januar 1832 eine Majorität von 148 Stimmen.

    Dies Ergebniß war ebenso verhängnißvoll für M.-B., aus dessen Leben fortan ein Element der Unstetigkeit nicht zu bannen war, als für die preußische Hauptstadt, welcher der alles belebende Einfluß eines heimischen Genius, unter dem sie auf den Gebieten der Architektur und Sculptur nach den Freiheitskriegen sich entwickelt hatte, auf musikalischem Gebiete entging. Die naturgemäß zusammen gehörten, die Stadt und ihr begabter Sohn, entfremdeten sich dauernd, die Ernennung Mendelssohn-Bartholdy's zum Mitgliede der Akademie der Künste im Frühjahr 1834 kam zu spät, und die endlichen Bemühungen Friedrich Wilhelm's IV. um Ausgleichung scheiterten zum guten Theil an der schon groß gewachsenen inneren Abneigung. Die meisten Werke Mendelssohn-Bartholdy's fanden nur langsam Eingang in Berlin, sein Paulus z. B. erst im Januar 1842, nachdem er schon 1837 in England von zwei verschiedenen Gesellschaften aufgeführt worden war (in Exeter-Hall und in Birmingham). Erst der nach seinem Tode gegründete Stern’sche Verein hat das Versäumte nachgeholt; das Genie selbst heilt die Wunden, welche die Welt ihm geschlagen, und so ist es sehr zweifelhaft, ob Mendelssohn-Bartholdy's Schaffen und Wirken im Großen und Ganzen durch die damaligen und späteren Berliner Widerwärtigkeiten gelitten. Jedenfalls steigerten sie die Nervosität, der M.-B. so früh erlag. Damals (April 1833) eilte er, dem gastlicheren England seine neuesten Compositionen vorzuführen, darunter die im März beendigte A-dur-Symphonie, die italienische (op. 90), vielleicht seine vorzüglichste, obwohl erst nach seinem Tode veröffentlicht. Vorher hatte ihm die Aufführung der Oper von Conradin Kreutzer „Melusine“, auf dem Königstädtischen Theater zu Berlin (21. März), nach einem Grillparzer’schen Texte, Motiv und Idee zu seiner vierten, erst im November abgeschlossenen Concert-Ouvertüre (op. 32) gegeben; ihr entlehnte wiederum Doppler in Wien 1882 Motive zu dem Ballet „Melusine“.

    M.-B. hatte die Leitung des Niederrheinischen Musikfestes für dies Jahr angenommen, und gewann dadurch, da man ihm dieselbe auch in mehreren folgenden Jahren übertrug, ein Feld der Wirksamkeit für Popularisirung klassischer Musik im Großen, besonders der deutschen Oratorien. Dies ging so fort bis zu seinem Tode, in England wie in Deutschland. In dieser Thätigkeit übertraf er|alle übrigen deutschen Tonsetzer weit. Die Blüthe der Musikfeste fiel in jene Zeit, als die großen Bach’schen, Händel’schen und Beethoven’schen Werke zuerst ihren Triumphzug unternahmen und in den Gemüthern der Tausende Verständniß fanden, als Mendelssohn-Bartholdy's, Schumann's, Hiller's, Gade's und Anderer Schöpfungen mit dem Reiz der Neuheit zuerst ans Licht traten und die Musiker aller Länder sich unter solchen Klängen gesellig verbanden. Kam dazu ein Leiter von der Ueberlegenheit und zugleich von dem persönlichen Zauber Mendelssohn-Bartholdy's, war es Pfingsten, war es am Rhein, so erreichte die Musik ihre höchsten, reinsten und allgemeinsten Wirkungen. Uns waren und sind diese Feste, was den Griechen die Panathenäen und die Olympischen Spiele. Das erste Musikfest nun zu Düsseldorf um Pfingsten 1833 (26. Mai), auf welchem M.-B. Händel's Israel in Egypten dirigirte, hatte sein Engagement als Musikdirector der Stadt zur Folge, eine Stellung, welche er vom Ottober 1833 an zwei Jahre hindurch bekleidete. Es war eine Vorschule für die sich daran anschließende Leipziger Dirigentenstellung, nur daß Mendelssohn-Bartholdy's Wirksamkeit im ersten Winter sich außer auf Kirchen- und Concert-Musik auch auf das Theater erstreckte. Er gab sogleich in klassischen Mustervorstellungen die vorzüglichsten Mozart’schen Opern, den Wasserträger, die Beethoven’sche Egmont-Musik. Der Hof des kunstliebenden Prinzen Friedrich von Preußen, die Malerschule unter Schadow, mit Lessing, Bendemann, Schirmer — bei dem M.-B. wieder in die Schule ging —, die leider bald getrübte Freundschaft mit Immermann, dem artistischen Leiter des Theaters, die Verbindung mit Fr. v. Uechtritz und Schnaase, das durch diese Kräfte damals in Düsseldorf hervorgerufene „unvergleichliche Zusammenwirken aller Künste“, nach den Worten eines Zeugen, des Historikers von Sybel, die frohe Geselligkeit in mehreren Häusern, wie dem Woringen’schen und Sybel’schen, vor allem das Wirken in einem selbstständigen Amte und das eigene Schaffen stempeln die Düsseldorfer Zeit zu einer überaus glücklichen. In ihr kam der größte Theil des im März 1834 begonnenen Paulus zu Stande. Auch führte M.-B. in Köln, auf dem Musikfeste des Juni 1835, in Gegenwart seiner Eltern und Geschwister Händel's Salomo mit seiner eigenen, in Italien geschriebenen Orgelbegleitung auf.

    Noch glücklicher gestalteten sich die Verhältnisse, als M.-B. im October 1835 als Leiter der Gewandhaus-Concerte nach Leipzig berufen wurde, um mit geringen Unterbrechungen bis zu seinem Ende in dieser, sich immer erweiternden und auch eine Lehrthätigkeit umfassenden Stellung zu bleiben. Mit einem Schlage erhob er sie durch das Gewicht seiner Persönlichkeit zur ersten in Deutschland, Leipzig zum Mittelpunkte des europäischen Musiklebens, die Epoche seines dortigen Wirkens zu vorbildlicher Bedeutung für alle Zeiten. Nur dadurch konnte dies geschehen, daß die äußere Gunst der Stellung einem Künstler ersten Ranges zu Theil ward, in welchem alle Gaben, die höchste Bildung, große Leistungen und universale Kenntnisse, genügend um damit mehrere auszustatten, doch zurücktraten gegen die Energie eines dem Edlen hingegebenen fleckenlosen Charakters. Er leuchtete wie ein Stern in jener Epoche, und war sie nur kurz, sie umschloß doch die Ewigkeit. Ein Concertmeister wie David unterstützte ihn, Rob. Schumann, ihn hoch verehrend, vertrat zunächst litterarisch, dann auch componirend und lehrend dieselbe Sache, eine Claviervirtuosin wie Clara Wieck, spätere Frau Schumann, Sängerinnen wie Livia Frege standen ihm zur Seite, später auch als Lehrer M. Hauptmann und Moscheles; Liszt. Ernst, Clara Novello, Jenny Lind und ohne Ausnahme alle namhaften Virtuosen jener Zeit suchten eine Ehre darin, in seinen Concerten aufzutreten. Schaffend führten er selbst, für alle unerreichtes Muster, N. Gade (C-mol-Symphonie), R. Schumann (B-dur-Symphonie), F. Hiller, St. Bennett, Berlioz, die sich entwickelnde Neuzeit herauf, aber die wesentliche Ausgabe bestand für ihn doch darin: die Erbschaft der großen Vergangenheit anzutreten, deren Schätze überhaupt erst zu heben. Was er in Berlin 1829 mit der Matthäus-Passion begonnen, wurde durchs ganze Leben fortgesetzt. Erst durch M.-B. ist Deutschland der Werth jener Schätze zum Bewußtsein, und deren praktische Aneignung, neben der theoretischen Vermittlung vorzüglich durch R. Schumann und A. B. Marx, in Fluß gebracht worden. Seitdem erst sind Bach, Händel, Beethoven, Fr. Schubert ganz unser Eigen. Eine solche andern zugewandte, zumal so universelle Thätigkeit läßt sich keinem zweiten Componisten von Bedeutung, nicht Weber, nicht Spohr, nachrühmen, nur M.-B. war groß genug, sich selbst als Epigonen zu behandeln. Es kam vor, daß er seine bereits angenommenen eigenen neuen Werke in England von der Ausführung zurückzog, weil das Orchester die Schubert’sche C-dur-Symphonie ablehnte. Nicht nur in England sind Bach’sche Orgelwerke, Präludien, Fugen, die große Passacaglia von ihm zuerst gespielt worden, auch für Leipzig, und von da aus für immer weitere concentrische Kreise, schuf er den Bach-Cultus durch Ausführung jener Passion (Palmsonntag 1841), durch seine Orgelconcerte in der Thomaskirche zum Besten des von ihm gegründeten Bachdenkmals, durch Wiederbelebung anderer Hauptwerke wie der Ciaconne für Violine (zuerst 1840 durch David), für welche er die Clavierbegleitung setzte, und dann lehrend und den Sinn für Bach auf empfängliche Schüler, wie Joachim, übertragend. Der Rhein lernte durch M.-B. erst Bach's Vocalmusik kennen. Ebenso führte er mehrere Beethoven’sche Hauptwerke zuerst ins Leben, überwand die gerade bei Musikern damals am Tiefsten gewurzelte Abneigung gegen die Neunte Symphonie, mit der er die Winterconcerte in Leipzig zu schließen pflegte; auch sie machte er auf den Rheinischen Musikfesten populär (anfangend Pfingsten 1836 in Düsseldorf) und gab ihr die Bedeutung, welche ihr im Musikleben gebührt. Er zuerst löste den Bann, der auf Beethoven's letzten Werken ruhte, als seien sie auf einem andern Planeten geboren. Die für die heutige Geltung Schuberts so einflußreiche Aufnahme der C-dur-Symphonie in die Concertmusik ging von ihm aus (zuerst am 22. März 1839, nachdem Schumann das Tonwerk in Wien aufgefunden). Ihm verdanken wir auch vergleichende Musik, historische Concerte (Febr. und März 1838), wie er auch im Gewandhaus die vier Lenoren-Ouvertüren hinter einander spielen ließ (Winter 1840).

    Neben dieser umfassenden Thätigkeit. womit sich ein immer wachsender Briefwechsel verband, ging die eigene Production unverrückt ihren Gang, auf vocalem wie instrumentalem Gebiet. Im Vordergrunde stand das Oratorium, obschon die Verhandlungen wegen eines Operntextes nie ruhten (s. Planché, Recollections and Reflections 1872, ch. 21), er auch schon, wie bald darauf Dorn und Wagner, mit den Nibelungen (1840) deutsche mythologisch-epische Stoffe in Aussicht nahm. Zu Pfingsten 1836 in Düsseldorf trat zuerst sein Paulus ans Licht; noch kurz vor der Ausführung schrieb er dort die Tenor-Cavatine Nr. 40: „Sei getreu bis in den Tod"; überhaupt ward unter den Eindrücken der Aufführung noch manches nachträglich geändert, nach seiner Gewohnheit. Im October folgte Liverpool mit diesem Oratorium, welches im nächsten Jahre auch Leipzig und Birmingham, und dann Musikfest auf Musikfest, z. B. im Juli 1840 das zu Schwerin, unter des Componisten eigener Leitung hörten. Es war nach M. Hauptmann's Worten bedeutsam, daß die Erneuerung unseres Protestantischen Oratoriums von einem jungen, nicht von einem abgelebten Componisten ausging, daß M.-B., indem er zur Polyphonie und allen Künsten des Contrapunkts, als Ausdrucksmitteln des Erhabenen und Unendlichen in der Musik, mit voller Hingabe und Meisterschaft zurückgriff, seinen Choren und Arien einen jugendlichen Schwung und den Ausdruck der Herzenswärme und|innerer Ergriffenheit verlieh. Dieser Vorzug mag zur Schranke werden; jedenfalls konnte M.-B. nur so seine Lebensausgabe als Regenerator der geistlichen Musik erfüllen. Man hat ihn in dieser Wirksamkeit mit Schleiermacher, als religiösem Erwecker, verglichen. Wenigstens hat nach ihm zugleich eine strengere, die subjectiven Elemente zurückdrängende Richtung, eine musikalische Orthodoxie (Fr. Kiel's Christus. Messe u. Requiem) und eine freiere Richtung (Brahms' deutsches Requiem) sich Bahn gebrochen. Den Ausgangspunkt dieser ganzen Entwicklung bezeichnet jedoch jener Pfingstfeiertag des Jahres 1836.

    Inzwischen hatten Mendelssohn-Bartholdy's persönliche Verhältnisse sich geändert. Seine jüngere Schwester Rebecca war seit dem Jahre 1832 an den Professor der Mathematik Dirichlet verheirathet und im November 1835 der Vater, der treue Mentor, gestorben, während die Mutter den Kindern noch sieben Jahre erhalten blieb (bis Dec. 1842). In Leipzig hatte M.-B. Anfangs als Junggesell gelebt; er nahm seinen Mittagstisch im Bairischen Hof, meist zusammen mit David, Sterndale Bennett. Walther Goethe, auch Rob. Schumann, der ihn als F. Meritis seinen Davidsbündlern zuzählte. Bei einem längeren Aufenthalt in Frankfurt a. M. im Sommer 1836, um den dortigen Cäcilienverein, an Stelle des ihm seit langen Jahren befreundeten, erkrankten Directors Schelble zu leiten, Verlobte er sich mit Cécile, der jugendlichen und anmuthigen zweiten Tochter des bereits verstorbenen reformirten Pfarrers Jeanrenaud. Die Heirath fand im März des folgenden Jahres statt. Es ward ihm das Glück einer Häuslichkeit und einer harmonischen, mit fünf Kindern gesegneten, ihn ganz befriedigenden Ehe bis zu seinem Ende zu Theil. Frankfurt aber, die nächste Umgebung und der ganze Rheingau, den er fortan oft zur Erholung aufsuchte, erhielt für ihn den Preis unter allen deutschen Ländern. Dort entstanden eine Menge seiner Werke seit 1836, unter andern auch, unter den Anregungen der Geselligkeit am Main und Rhein und der schönen Gegend, mehrstimmige Lieder, im Freien zu singen, unübertroffene Muster dieser Gattung. Bereits aber beschäftigte ihn ein neues Oratorium. Im August 1837, in London, war der Plan zum Elias, einem bisher noch nicht zu solchem Zweck behandelten Stoffe, mit Klingemann beredet, und von den Plänen eines Petrus oder eines Christus zunächst Abstand genommen worden. Der Bibelvers 1. Könige 19,11 gab, Hiller zufolge, den Anstoß. Vorher schrieb er bei einer Gelegenheit, dem im Juni 1840 in Leipzig zu feiernden Buchdruckerfeste, in kurzer Zeit die mit Orchestersätzen verbundene Cantate Lobgesang (op. 52), welche nach Leipzig auch auf dem Musikfeste in Birmingham von ihm im Herbste 1840 zu Gehör gebracht wurde. Bei Beurtheilung des Werks ist die Erinnerung an Beethovens Chor-Symphonie, mit ihren inneren zuletzt eine Ausgleichung findenden Gegensätzen, abzuweisen. Mendelssohn-Bartholdy's Cantate erfüllt als geistliche Musik sowol im symphonischen als vocalen Theile eine einheitliche Stimmung, beide sind gleichmäßig bemüht, religiöse Empfindung zu wecken. Es war vielleicht ein Wagniß, das vocale Hauptthema des ersten Theils zur instrumentalen Durcharbeitung zu benutzen; im Uebrigen zeigt jeder Abschnitt die Reife und Vollendung des späteren M.-B., und es kommt nur darauf an, den Einigungspunkt aller Theile zu finden, um das Werk seinen besten zuzurechnen.

    Die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm's IV. im Jahre 1840, der schon als Kronprinz M.-B. besonders geneigt war, äußerte sogleich ihre Wirkungen. M.'s Leipziger Thätigkeit, seine Bemühungen um das Bachdenkmal und die Gründung eines Conservatoriums für Musik sollten noch vor Ablauf des Jahres von preußischen Einflüssen gekreuzt werden. Das Wesentliche für den König war, diese große künstlerische Persönlichkeit seinem Lande zurückzugewinnen. Man dachte zunächst an eine Anstellung als Director einer musikalischen Abtheilung der|Akademie der Künste, später als Chef der evangelischen Kirchenmusik. Der Name, unter dem man ihn erhielt, war gleichgültig, ebenso wie Titel, Gehalt, Orden, womit man nicht geizte. M.-B. aber kam es auf die geeignete praktische Wirksamkeit an, und das Feld zu einer solchen ihm zu ebnen, wollte dem Könige nicht gelingen. Gleichwol war M.-B. beschieden, hier die Keime einer neuen Kunstentwicklung in ein fruchtbares Erdreich auszustreuen. So bitter er stets die Schwierigkeiten und Hemmnisse seines berliner Wirkens empfand, es war immer ein Segen für ihn, im Dienste seines Vaterlandes die ihm verliehenen Gaben gebrauchen zu können. Mozart ward es nie so gut. Hat er selbst einer Musikschule in Berlin nicht vorgestanden, so sind des Königs und seine eigenen Ideen doch später durch den Cultusminister von Mühler unter seinem Lieblingsschüler ins Leben getreten. Bei Gründung der Hochschule für Musik ward an die früheren Verhandlungen mit M.-B. unmittelbar angeknüpft. Den Berliner Domchor hat er gleichfalls nicht geleitet; der Versuch, durch den ersten Kirchen-Componisten auch gottesdienstliche Musik, als Theil des Cultus, in die evangelische Kirche einzuführen, ist damals nicht geglückt; M.-B. empfand die Opposition vom ersten Domprediger bis zum Balgentreter. Was er aber an liturgischen Gesängen damals geschrieben, unter dem Druck des praktischen Zwecks, die Uhr in der Hand, überragt durch Kraft und Prägnanz des Ausdrucks und die Gedrungenheit der Form seine übrige Kirchenmusik, gehört dem Besten an, das seiner Feder entflossen. Es lebt in den Gesängen des Domchors noch heute, die Seelen der Menschen an geweihter Stelle fort und fort zu durchdringen. M.-B. war, nach seiner Schwester Fanny Worten, ein geborner Kapellmeister, überdies ein geübter wie wenige. Mit dieser Begabung, dieser Uebung, mit der Autorität seines Namens, an den sich in den Vorstellungen der Zeitgenossen die Ideen des Echten, Reinen, Classischen in der Tonkunst knüpften, griff M.-B. seit dem Jahre 1842, wenn auch in der bescheidenen Function als Dirigent der Symphonie-Soireen (in der Singakademie), in das Berliner Musikleben epochemachend ein. Was Habeneck in Paris, was M.-B. selbst in Leipzig lange Jahre hindurch gethan, Beethoven und die anderen großen symphonischen Meister, besonders der Wiener Schule, zum Heben zu erwecken, geschah damals in Berlin erst durch ihn. Allen Musikern war es wie eine neue Offenbarung. Die Stärkeunterschiede, wie sie bisher unbekannt waren, die Genauigkeit des Zusammenspiels, die gewählten Tempi und die freien Vortrags-Nüancen, alles rief ungeahnte orchestrale Wirkungen hervor. Diese Impulse wirken fort, obschon bei M.-B.'s desultorischer Thätigkeit ein dauerndes Verhältniß zum Publicum wie in Leipzig oder selbst London sich nicht entwickelte, er nicht wie dort auf Händen getragen, sein Werth nicht allseitig anerkannt wurde.

    Vom Herbst 1843 bis zu Ende 1844 hatte M.-B. als preußischer General-Musikdirector sein Domicil wieder in Berlin, während seine Stellung in Leipzig nie ganz aufgegeben war, insbesondere nicht zu dem im April 1843 dort eröffneten Conservatorium, einer seiner glücklichsten und hoffentlich dauerndsten Schöpfungen. In des Königs von Preußen Auftrag vollendete er von 1841 bis 1844 eine Reihe von Werken, welche sämmtlich in der Richtung der romantischen Schule liegen, dem Deutschen die ersten Erzeugnisse aller fremden Litteraturen anzueignen. Die deutsche Bühne insbesondere fühlte und fühlt sich seit den Weimarer Tagen kosmopolitisch gestimmt. Schon in Düsseldorf hatte M.-B., außer zu Immermann's Andreas Hofer, auch zu Calderon's standhaftem Prinzen Musik geliefert. Mit Shakespeare's Sturm war er nicht zu Stande gekommen. Jetzt sollten ihn doch Sophokles, Shakespeare und Racine auf die Bretter zurückführen. Zuerst Sophokles. Die Musik zu Antigone für Männerstimmen|und Orchester entstand in etwa 14 Tagen im September und October 1841 und gelangte zuerst im Neuen Palais bei Potsdam, später wiederholt im Berliner Schauspielhause zur Aufführung. Von den Versuchen, das Alterthum auf der Bühne wieder zu erwecken, ist dieser jedenfalls der vollständigste und glücklichste, wenn auch die moderne Musik sich mit den antiken Worten und Vorstellungen nicht ganz vermählen kann. M.-B. verschmähte es, seiner Musik durch lydische oder phrygische Tonart eine archaistische Färbung zu geben, oder den Stil Gluck's nachzuahmen, schrieb vielmehr so, wie er die erhebenden Chöre musikalisch empfand. Damit erreichte er den allgemeinen Erfolg, auch in London und Paris (1844 auf dem Odeon-Theater) und erhob das gewagte Unternehmen über das Experiment hinaus. Die ethischen Voraussetzungen der Antigone sind die unsrigen; anders schon im Oedipus auf Kolonos, den M.-B. im Februar 1845 in gleicher Art bearbeitete, aber nicht mit gleichem Erfolge. Glücklicher traf er's mit Shakespeare's Sommernachtstraum. Im Sommer 1843 hatte er. im engen Anschluß an die Ouvertüre aus dem Jahre 1826, die Musik zu dem Stücke: Scherzo, Elfenmarsch, Elfenchöre, Allegro Appassionato, Notturno, Hochzeitsmarsch, Todtenmarsch für Pyramus und Thisbe, Rüpeltanz und sonstige Begleitungsstücke beendigt. Unter Tiecks Leitung kam diese Bearbeitung im October in Berlin zur Aufführung (zuerst am 14. October im Neuen Palais bei Potsdam). Es ist eine der höchsten Leistungen Mendelssohn-Bartholdy's, diejenige, die nur ihm glücken konnte, ganz auf der Höhe des Gegenstandes, diesem überall gerecht und zugleich ganz des Componisten Eigenthümlichkeit wiedergebend. Hier vereinigt sich alles, was den größten Künstler macht: M. ist hier volksthümlich, ohne im Mindesten von der künstlerischen Höhe, die er stets einnimmt, herabzusteigen. Das schwierige Problem, die von dem Dichter wunderbar combinirten Elemente des Zauberspuks und der festlichen Stimmung, der Liebe und des Burlesken, mit einer Nüance romantischer Ironie, in Tönen zu verkörpern, ist vollständig gelöst, als verstände es sich nur so von selbst. In der Jugend war M.-B. die Empfindung des Stücks lebendig, dann im Laufe der Jahre immer reiner und abgeklärter zu eigen geworden; so schöpfte er bei diesem Stück aus seinem innersten Leben und Wesen. Vielleicht trifft er nirgends so unmittelbar das Herz, als in den unschuldvollen Elfenchören. Auch im Hochzeitsmarsch finden sich die Elemente der Dichtung so glücklich wieder, daß derselbe seinen Weg durch die Welt genommen hat, wie einst Mozarts Don Juan-Menuett, und noch heute in England bei keiner Trauung fehlen darf. Gleichzeitig im Sommer 1843 setzte M.-B. die Chöre zur Athalia, und auch in ihnen, im Marsch und in der im folgenden Jahre entstandenen Ouvertüre ist der etwas abstract feierliche Ton des kirchlichen Theaterstücks glücklich getroffen.

    Die Lösung aller jener Aufgaben, von welchen M. nur den wieder aufs Tapet gebrachten Sturm und die Eumeniden des Aeschylus —, man kann wohl sagen glücklicher Weise — schuldig blieb, zeigt eine staunenswürdige Versatilität des Talents. M.-B. hatte diejenige Meisterschaft erreicht, wo Intention und Ausführung, Wollen und Können sich ganz decken. Aus dieser Periode stammen zwei seiner vorzüglichsten Instrumentalwerke. Das erste sind die im Sommer 1841 für Klavier gesetzten D-moll-Variationen über ein eigenes Thema (op. 54). Mendelssohn-Bartholdy's Beitrag zum Besten des Bonner Beethoven-Denkmals (1842), aber auch innerlich an Beethovens C-moll-Variationen (Nr. 36) anknüpfend, welche wiederum auf Händel zurückweisen, ganz aus innerem Drange entstanden, ein Musterwerk strengen Stils, neben dem sich aus neuer Zeit nur R. Schumanns op. 13, in freierer, und Fr. Kiel's op. 17, in strengerer Form, nennen lassen. Ebenso tritt das Violinconcert (op. 64), im September 1844 beendigt, unmittelbar neben das Beethoven’sche, weit über die Sphäre nicht nur der Virtuosen-Concerte jener Zeit, sondern auch der Spohr’schen durch innere Gesundheit und classische Form sich erhebend, anfangs eine Lieblings-Aufgabe von Ernst (1849 in London), wie später von Joachim. David stand als Geburtshelfer dem Componisten zur Seite, der auf jenes Rath bisweilen eine leichtere Fassung der Passagen, nicht gerade zum Vortheil des Werkes, annahm.

    Zwischen allen Compositionen und Ausführungen (namentlich auf deutschen Musikfesten und in London 1842 und 1844) ging die Arbeit am Elias ihren Gang, woran (seit 1844) die textliche Auswahl zu einem neuen Oratorium, Christus, sich anschloß. Es machten sich jedoch die Folgen der Ueberanstrengung geltend, und manche Instrumentalwerke begannen gegen früher ein Nachlassen in der Erfindung, eine gewisse Ermüdung, Monotonie der Wendungen und eine zu nervöse Lebhaftigkeit zu zeigen. Im October 1845 schied er ganz aus der Berliner Stellung, um die alte Thätigkeit in Leipzig wieder aufzunehmen. Wir treten damit in Mendelssohn-Bartholdy's letzte Periode. Wieder leitete er die Gewandhaus-Concerte und übte zugleich die Directions- und Lehrthätigkeit am Leipziger Conservatorium, das durch ihn zu einer Pflanzschule der classischen Musik für die ganze Welt, für Nordamerika wie für Europa, erhoben wurde. Er unterrichtete selbst in zwei Klassen, in der Composition und im Klavierspiel, von Bach bis zu Chopins Etüden fortschreitend; groß war die unmittelbare Wirkung, größer noch die mittelbare, sein Einfluß ins Große und Ganze der Kunst.

    Im Sommer 1846 war der Elias soweit fertig, um das Musikfest in Birmingham am 26. August zu einen: ewig denkwürdigen zu erheben. Vor der Reise dorthin, im Mai und Juni, hatte M.-B. noch die Musikfeste in Aachen, in Lüttich, für welches er sein Lauda Sion (op. 73) im Februar geschrieben hatte, und das in Köln zu dirigiren. Für dieses war Schillers Lied „An die Künstler“ als Chor für Männerstimmen componirt (op. 68). Die Reise am Rhein wie in England bildete einen ununterbrochenen Triumphzug. Seine Gegenwart in Birmingham, seine Leitung des Elias waren ein öffentliches Ereigniß, dem die Times und andere politische Blätter ihre Spalten widmeten. Die Nummer des City-Blattes vom 27. August 1846 beschreibt das ganze Fest, wie bei Mendelssohn-Bartholdy's Erscheinen am Dingentenpult der Enthusiasmus die gewöhnlichen Schranken durchbrach, wie „ein lautes und allgemeines Willkommen die Gegenwart des größten Componisten unseres Zeitalters ehrte“, wie schon nach dem Schlusse des ersten Theils das Orchester und das ganze Auditorium sich zum Beifall erhoben und die Huldigungen am Schlusse des Ganzen sich aufs Höchste steigerten (The last note of Elijah was drowned in a long-continued and unanimous volley of plandits, vociferous and deafening. It was as though enthusiasm, long checked, had suddenly burst its bonds and filled the air with shouts of exaltation). Der berühmte Staudigl sang den Elias. Chor auf Chor, Nummer auf Nummer hatten wiederholt werden müssen. So warmen Empfang bereitete Albion dem größten Oratorium der neuern Zeit, um es sogleich seinen nationalen Heiligthümern einzureihen und ihm die nächste Stelle nach Händel's Messias anzuweisen. Der Componist selbst aber unterzog sein Werk, der begeisterten Aufnahme unerachtet, im nächsten Winter einer abermaligen strengen und mühsamen Durcharbeitung, verwarf Sätze und Theile von Sätzen und schrieb ganz neue (z. B. Nr. 24, Nr. 25 und den Chor Nr. 36), änderte auch mehrfach den Text, und ließ so das Werk in neuer Gestalt im Juli 1847 im Druck erscheinen, nachdem er es in derselben schon im April vorher in London, in Manchester und in Birmingham von Neuem aufgeführt hatte. In einem der philharmonischen Concerte spielte er wieder Beethoven's|G-dur-Concert mit einer extemporirten Cadenz zum allgemeinen Entzücken, und er selbst gestand, sich Mühe gegeben zu haben, weil er die Königin Victoria und eine seiner liebsten Freundinnen der letzten Jahre, Jenny Lind, unter den Zuhörern gewußt. Die Königin und der Prinz Gemahl zeichneten ihn als Menschen wie als Künstler aus, er fand bei ihnen eine Würdigung, wie bei keinem seiner heimischen Fürsten. Das Leben und die Thätigkeit in England hatten seine Kräfte jedoch mehr denn je erschöpft. Er sah ein, daß es so nicht weiter gehen könne. Schon seit dem Jahre 1846 war der Plan in ihm gereift, alle amtliche Wirksamkeit, alles Dirigiren, öffentliche Spielen und das Lehren aufzugeben, sich aus dem Tumulte zurückzuziehen und, sei es in Frankfurt a. M., sei es in Berlin, nur den Seinigen und dem Berufe als Componist zu leben. Der Ausführung traten immer neue Hindernisse oder Verlockungen entgegen, in der letzten Stunde noch Einladungen zur Leitung seines Elias in Berlin und Wien. Opernentwürfe hatten ihn zu beschäftigen nicht aufgehört. In einem Briefe an Ch. Duveyrier war (1843) der Text zu einer Oper, Jungfrau von Orleans, zur Sprache gekommen; über andere Texte hatte er mit Frau Birch-Pfeiffer und mit Scribe (1846) verhandelt; endlich that ihm Geibel mit der Loreley Genüge, einem der Mendelssohn’schen Melusinen-Ouvertüre verwandten, ganz nationalen und zugleich hochpoetischen, der Märchen- und ebenso der Menschenwelt angehörigen Stoffe. Schwerlich hätte eine glücklichere Wahl getroffen werden können. Was wir von der Musik besitzen (op. 98, Finale des 1. Acts, ein Ave-Maria für Frauen- und ein Winzerchor für Männerstimmen) zeigt M.-B. in ganzer Größe: das Finale, im Winter 1847 componirt, vielfach in Concerten aufgeführt, kommt jedoch, als bewegte Handlung, nur auf der Bühne zu seinem Rechte, ein Beweis von der rein dramatischen Conception des Inhalts. Der romantische Weber-Marschner’sche Opernstil ist ganz überwunden, und nur Gluck gestattet einen Vergleich. Ebenso fallen die Fragmente zu dem Oratorium Christus (op. 97) in das letzte Lebensjahr. Sowohl nach der Natur des Gegenstandes als nach dem Entwickelungsgange, den M.-B. auf dem Gebiete der kirchlichen Musik zurückgelegt, läßt sich sicher annehmen, daß das Oratorium ebenso weit den Elias überragt haben würde, als dieser über den Paulus hinausgeht. Dem Frühling 1847 gehören auch die drei Motetten op. 69 an. So stand M.-B. mitten im Schaffen, als ihn, nach der Rückkehr aus England, in Frankfurt a. M. die Nachricht von dem am 14. Mai erfolgten Tode seiner Schwester Fanny Hensel unerwartet traf. An Seele und Leib gebrochen, suchte er in Begleitung seiner Familie Genesung zuerst in Baden-Baden, dann in der Schweiz. Den größten Theil des Sommers bis Mitte September verblieb er in Interlaken, zeichnend, malend, bald auch wieder componirend, und gelegentlich auf der Orgel des Dorfes Ringgenberg am Brienzer See sich und seine Freunde erneuend, deren ihn viele in der Schweiz aussuchten, wie der Historiker Grote und Chorley. In dieser Trauerzeit entstanden die hochpathetischen Violinquartette op. 80 und 81 (mit Ausnahme des schon älteren letzten Satzes), und das Lied Nr. 5 von op. 71 „Ich wandre fort“. Er richtete sich auf an neuen Plänen, an einer neuen Symphonie für die Londoner philharmonische Gesellschaft, einer Cantate für Frankfurt und den Einweihungsstücken für den Kölner Dom und die Georgshalle in Liverpool. Seinem englischen Verleger Buxton machte er, nach Leipzig zurückgekehrt, reiche Versprechungen, trug auch seinem dortigen Freunde Schleinitz ein neues Violinquartett, mit Ausnahme des langsamen Satzes, der ein Thema mit Variationen enthalten sollte, auf dem Klaviere vor. Auch entstanden noch in Leipzig die Lieder Nr. 3 und 6 von op. 71. Diese Nr. 6, das Nachtlied von Eichendorff, im engen Rahmen ein Lebensbild von ergreifender und zugleich erhebender Trauer, ist eine der schönsten Compositionen|Mendelssohn-Bartholdy's und zugleich seine letzte. Nach wiederholten Schlaganfällen starb er am 4. November 1847. Die Leiche wurde am 8. in Berlin auf dem alten Dreifaltigkeitskirchhof vor dem Hallischen Thore, der Begräbnißstätte der Familie, beigesetzt. So endete M.-B. in einem Alter, in welchem Händel erst seine dauernden Werke begann, gleich Mozart, gleich Schubert.

    Die vorstehende Skizze, im Wesentlichen entnommen der überaus genauen, ausgezeichneten Biographie von George Grove (s. unten Litteratur des Jahres 1880), läßt erkennen, daß die Bedeutung Mendelssohn-Bartholdy's zugleich zu suchen ist in seinem Lehren und in seinem Schaffen, in der lebensvollen Einwirkung auf das Musikverständniß seiner Zeit und in dem dauernden Werthe seiner Compositionen. Sogleich sein Auftreten bezeichnete eine neue Epoche, indem durch ihn erst das classische Erbe sowol der Bach-Händelschen Zeit als der Wiener Schule zum Gemeingut Aller erhoben wurde, durch ihn erst die Musik im nationalen Leben den ihr gebührenden Rang als hohe Kunst erhielt, während sie bis dahin im Concert und im Hause mehr als Zeitvertreib galt. Durch ihn gewann sie auf die Nationalbildung und im beschränkten Maße auch auf den Gottesdienst denjenigen Einfluß, welcher im J. 1809 bei Aufnahme der Musik in die Akademie der Künste von den Neugründern des preußischen Staats beabsichtigt wurde (W. v. Humboldt, Werke V, S. 320). Nur einer so idealen Persönlichkeit konnte dies gelingen, in welcher die Fäden aller musikalischen Bestrebungen ihrer Zeit, wenigstens in der germanischen und skandinavischen Welt, als in ihrem geistigen Mittelpunkte zusammenliefen. Die Empfindung dieser Zeit hat M.-B. musikalisch neu gestimmt, unendlich vertieft und veredelt und hierfür in unmittelbarer Thätigkeit als Dirigent von Chor und Orchester, als Klavier- und Orgelspieler, als Lehrer Kräfte aufgewendet, wie keiner seiner großen Vorgänger. Auch dies ist ihm zu Gute zu schreiben. In seinen eignen Klaviervorträgen, welche sich vorzugsweise auf Bach, Mozart und Beethoven (einschließlich der letzten Werke, wie besonders der Sonate op. 111) beschränkten, stellte er ein seitdem unerreichtes Muster auf durch die Unterordnung ausgebildetster Virtuosität unter die rein musikalischen Forderungen; seine beseelte Reproduction erschien als unmittelbare Eingebung, und seit seinem Tode hat man freie Improvisationen eines Solospielers öffentlich nicht mehr gehört. Im Partiturspiel zumal kam ihm Niemand gleich (s. hier Bd. XVI, S. 80); soweit meine Augen reichen, pflegte er zu sagen, reichen auch meine Hände. Durch die Vereinigung der seltensten angeborenen wie erworbenen Vorzüge erklärt sich ferner seine Macht und reformatorische Wirkung als Dirigent. Die Orchester, wenigstens in Norddeutschland, lernten von ihm erst die dynamischen Stärkegrade und Schattirungen, welche jetzt in Concerten — leider nicht im Theater — fast allgemein gehört werden, namentlich ein früher unbekanntes Piano, worauf schon eine Bemerkung in den Stimmen seines Octetts hindeutet ("die Piano und Forte müssen sehr genau und deutlich gesondert und schärfer hervorgehoben werden, als es sonst bei Stücken dieser Gattung geschieht"). Dasselbe gilt von den Tempi, welche M.-B. meist viel schneller, aber auch langsamer, nahm, als man bis dahin gewohnt war. Wir notiren in Parenthese nach Minuten die Zeitdauer, welche er einigen der bekanntesten Orchesterwerke gab (Ouverture zum Wasserträger von Cherubini 7 bis 8, Weber's Oberon 8, Euryanthe 7, Zauderflöte 5¾; Haydn’sche Es-dur-Symphonie, Nr. 2, 25 Minuten, je 8, 8 ¾, 4 und 3¾; Beethoven's D-dur-Symphonie 31, je 2¾, 8½, 12½, 3¼ und 4; dessen C-moll Symphonie 30½, je 6½, 9, 5 und 10; dessen Pastoral-Symphonie 35, je 9½, 12½, 4½, 2½ und 6; Coriolan-Ouverture 5½). Natürlich ergab jede Wiederaufführung derselben Stücke andere Nüancen des Zeitmaßes. Mendelssohn-Bartholdy's Einflusse kamen die große Anmuth seines Wesens, welche das allgemeine Publicum durch|seine Reisebriefe kennen gelernt, die Bekanntschaft mit den Größen seiner Zeit auf allen Gebieten der Kunst und die große Zahl seiner Freunde unter beiden Geschlechtern zu Statten. Von seinen vielen Schülern hat sich unseres Wissens nur L. Meinardus (Ein Jugendleben, 1874) ihm feindlich geäußert, von anderen wol nur Antisemiten, wie Grau in „Ursprüngen und Zielen unserer Culturentwicklung“ (Gütersloh 1874, S. 242 ff.) und R. Wagner. Ihn hatte M.-B. 1835 in Leipzig kennen gelernt; sie musicirten zusammen und Wagner übergab dem schon berühmten Director der Gewandhausconcerte eine von ihm 1832 gesetzte Symphonie, ohne jedoch ein Urtheil darüber zu erhalten. M.-B. sah von Wagner's Opern noch den fliegenden Holländer und den Tannhäuser, den letzteren mit Aeußerungen der Befriedigung über Einzelheiten. Naher stand ihm im Leben R. Schumann, wenn er auch weder an der journalistischen Thätigkeit noch an den frühesten Compositionen desselben Gefallen finden konnte. Aber in allen großen Fragen stimmten sie zusammen, ihre Götter waren dieselben, als Componisten pflegten sie dieselben Gattungen, Schumann bildete sich an M.-B. herauf und bekannte sich stets zu ihm. Rührend ist der Ausdruck seiner „Erinnerung“ an ihn im Jugend-Album (op. 68, Nr. 28). M.-B. andererseits spielte Schumann's Andante mit Variationen für zwei Pianoforte öffentlich mit jenes Gattin, für die er auch 1841 sein Klavierstück op. 92 verfaßte; ein bisher nicht gedruckter Brief gibt Zeugniß von seiner Freude über Schumann's Paradies und die Peri, wo er sich hier und da auch wiederfinden konnte. Es ist zu wünschen, daß alle noch erhaltenen Aeußerungen Mendelssohn-Bartholdy's über seinen großen Genossen und Rivalen bekannt gemacht werden.

    Den ins Allgemeine verlaufenden Einfluß auf die Zeitgenossen überwiegt aber die Wirkung, welche die Werke selbst immer neu und „herrlich wie am ersten Tag“, auf empfängliche Gemüther in immer neuen Generationen hervorzurufen bestimmt sind. In ihnen treten uns den großen Componisten kennzeichnende Eigenschaften entgegen: die eigene Physiognomie, welche von früh an der kleinste aus Mendelssohn-Bartholdy's Feder geflossene Satz zeigt, mithin das hohe Gut eines eignen Stils, dann die große Fülle und Allseitigkeit seiner Compositionen im Verhältniß zu der ihm beschiedenen kurzen Lebensdauer, von welchen, nachdem die ursprüngliche Zahl von 72 Nummern sich durch die Herausgabe seines Nachlasses mehr als verdoppelt hat, noch immer neue auftauchen (z. B. eine in Mosewius' Nachlasse zu Breslau aufgefundene Symphonie und eine solche im Besitze von A. Cahen zu Paris, 1823 Eduard Rietz gewidmet), ungerechnet die Bearbeitungen Bach’scher und Händel’scher Werke (besonders die Herausgabe von Händel's Israel in Aegypten 1842, neu instrumentirt und mit einer Orgelbegleitung in Händel’schem Geiste versehen, gegen welche spätere dilettantische Versuche erbleichen, und die 1845 in London herausgegebenen Bach’schen Orgelsachen). Dazu kam die große Nachfolge, welche er gefunden, die dann naturgemäß einen Rückschlag bewirkte. M.-B. hat die deutsche Musik in norddeutschem Geiste und unter den Einflüssen einer ganz bestimmten Epoche, der romantischen oder der sogenannten Epigonenzeit, um einige Werke ersten Ranges bereichert: wir nennen die Musik zum Sommernachtstraum, in der jeder Ton sich als nothwendig legitimirt, Mendelssohn-Bartholdy's hohes Talent sich zum Genie erhebt und er mehr als irgendwo sonst zu einem rein naiven Schaffen vorgedrungen ist, die Walpurgisnacht, Paulus, Elias, die Psalmen, die a Capella zu singenden Sprüche für den Berliner Domchor, die Vocal-Quartette, die Scherzosätze der beiden Symphonien und welche Sätze man sonst nach Neigung und Verständniß hinzufügen mag. In dem Höchsten war Mendelssohn-Bartholdy's Heimath, und Werke, worin er dieses nicht erreichte, bewegen sich wenigstens immer auf dem Wege dorthin. Nur die Höhe seiner Ziele verschuldet sein Zurückbleiben|in der Oper. In der Epigonenzeit zeigt er eine ursprüngliche Natur durch seine überwiegend lyrische Begabung. Diese führt ihn von Anfang an auf andere Wege als die der großen Wiener Meister, an deren Studium er sich gleichwol entwickelte. Auch M.-B. hat keine Zehnte geschrieben. Er hat, abgesehen von Jugendarbeiten, uns keine Claviersonate hinterlassen. Die Instrumentalgattung also, worin gerade Beethoven's Grüße liegt, diejenige, welche die innern Kämpfe des menschlichen Gemüths durch die Gegensätze ihrer Motive und deren Verarbeitung gleichsam dramatisch darstellt, entsprach nicht seiner Eigenart. Seine Musik im Ganzen drückt nicht einen durch Kämpfe errungenen, sondern einen von Anfang an gegebenen Frieden aus, nur diesen entwickelnd, so sehr auch hochsentimentale und weltschmerzliche Stimmungen, der Richtung der Zeit der Eichendorff, Lenau, Geibel entsprechend, in den meisten Werken sich zeigen mögen. Mendelssohn-Bartholdy's Bedeutung ruht überhaupt mehr im Vocalen als im Instrumentalen; seine Werke zeigen durchweg einen melodischen Zug, während Symphonie und Sonate weniger melodische, als harmonisch und rhythmisch charakteristische und deshalb fruchtbare Motive erfordern. Daher seine Neigung zu liedmäßigen Sätzen ebenso in seinen Instrumentalwerken, wie in den Oratorien, zu Cavatinen und Canzonetten, und zugleich die zu häufige Wiederkehr ihm eigner Modulationen. So sehr er alle imitatorischen und contrapunktischen Kunstmittel beherrscht, seinem edel und harmonisch gestimmten Gemüth ist nicht in Kämpfen wohl, nicht in Affecten der Leidenschaft, vielmehr rein melodisches Ausströmen schöner Empfindungen Bedürfniß. Ein continuirlicher Psalmengesang, bald zu gewaltiger Stärke anschwellend, bald lieblich säuselnd, durchzieht seine Werke von Anfang bis zu Ende, ein „Gott loben wollen wir vereint“, wie es sein Schwanengesang verheißt; man hört ihn gleichsam stets beim Componiren singen und psalmodiren. Fehlt daher seinem Satze die strenge logische Consequenz Beethoven's, vielleicht auch wegen des früheren nicht günstigen Weber’schen Einflusses, so erreicht auch seine Themenbildung nicht das Beethoven’sche Vorbild. Ihm, wie Fr. Schubert, sagte überhaupt die kritische themenbildende Schmiedearbeit jenes Vorbildes nicht zu; seine Themen erscheinen oft zu wenig ausgiebig, wie das Hauptthema des ersten Satzes der A-moll-Symphonie, zu passagenartig, wie das des ersten Satzes des C-moll-Trio, oder zu liedmäßig, als daß sich das Höchste mit den so angelegten Werken hätte erreichen lassen. Gerade er, als ein so bewußt Schaffender, Reflectirender, stellte um so höher das Unbewußte, die Eingebung des Augenblicks, an der er nicht ändern mochte; er besaß, was die Franzosen nennen, le respect de sa pensée. Diese subjective Wahrheit seiner Tonsprache jedoch, verbunden mit der ihm zur zweiten Natur gewordenen formellen Meisterschaft, gibt seinen stets innerem Drange entströmenden Werken den hohen Werth. „Nicht zu componiren, würden Sie nicht ertragen können“, sagte er einmal zu L. Ehlert. So führte ihn seine künstlerische Individualität auf andere Wege als die der absoluten Musik, er war eben nicht ein Epigone unserer großen Symphoniker, schuf vielmehr in den Concertouverturen und den beiden aus Reiseerinnerungen gewobenen Symphonien eine ihm eigene malerische Gattung, „episch-landschaftliche Bilder“, nach R. Wagner's Bezeichnung, ein Mittelglied zwischen der Programm- und der absoluten Musik. Auch die „Lieder ohne Worte“ sind nicht nur einer demonstrativen Abwendung von dem Tande der Zeit, sondern einem innern Bedürfnisse der Seele entsprungen, „Gefühle, Stimmungen, Situationen“ nach seinen Worten; sie zeigen in ihrer Reinheit, Schmucklosigkeit und Formvollendung eine Filiation von Bach's temperirtem Klavier. Sie ersetzen die unter seinen Werken fehlenden Klaviersonaten, wie die einzelnen Hefte auch suitenartig zusammengestellt sind. Der Componist pflegte die äußere Wirkung dieser Stücke keineswegs durch den|Vortrag zu heben, im Gegentheil sie durch die äußerste Schlichtheit des Spiels noch zu verringern, allein der innern Seele seiner Musik vertrauend. Er erschien sich dann wol dem im Salonschmuck strahlenden, Goldstaub und Perlen umherstreuenden und in Morbidezza schwelgenden Chopin gegenüber, wie ein deutscher Schulmeister. Aber dieser Schulmeister stand in der großen Natur, in der Wahrheit und in der hohen Poesie.

    Mendelssohn-Bartholdy's Größe suchen wir auf vocalem Gebiet, in seinen Oratorien, Psalmen, Liedern und gemischten Quartetten. Hier wird er leben, so lange es deutsche Musik gibt. Nannten ihn englische Kritiker im Jahre 1846 the first composer of the age, so müßte er im Deutschen heißen: der erste Oratoriencomponist unseres Jahrhunderts. Man nennt ihn auch wol den Romantiker unter den Classikern. Denn ihm gelang die Vereinigung des scheinbar Entgegengesetzten, der Weber’schen Romantik und der Bach’schen Classicität, dadurch, daß er das Romantische nach einem andern Maßstabe erfaßte, als seine Zeit ihm bot, daß er es in Bach selbst suchte und fand. Nach Luther hat es keinen musikalischen Ausleger des Bibelworles gegeben wie Seb. Bach; ihm reiht M.-B. sich an als Dolmetscher desselben im Geiste des wiedererwachten religiösen Bewußtseins, auf dem Grunde von Bach und Händel, aber nach der melodischen Seite und hinsichtlich der Instrumentalbegleitung unter dem Einflusse der Wiener Classiker. Daß Mendelssohn-Bartholdy's Contrapunkt sich erweichte und seine Polyphonie ein homophones Gelüste zeigt, liegt in der Natur seines neuen Standpunkts. Erst nach seiner Vorarbeit wird es möglich werden, die Musik als integrirenden Theil des Gottesdienstes in die protestantische Kirche einzugliedern. Entwickelt er auch die malerische Seite der biblischen Stoffe, wozu die an erhabenen Naturschilderungen so reiche heilige Schrift selbst anleitet, läßt er — eine seiner höchsten Eingebungen im Elias den Herrn im Säuseln vorübergehen und im Psalm 98 das Meer erbrausen, immer bleibt ihm das Wesentliche die treffendste, bestimmteste Wiedergabe des Bibelworts, eine den religiösen Kern zwar innig, enthusiastisch, liebevoll sich aneignende, aber stets charakteristisch dolmetschende, ihm mit der Musik möglichst nahe kommende Declamation. Er erstickt nicht das Bibelwort, nach Drobisch's Ausdrucke, sondern er erschließt es mit allen Mitteln seiner Kunst und erreicht so die höchste befreiende und erlösende Wirkung, deren sie fähig ist. Es bricht immer ein Festabend für unsere Vereine an, wenn eins seiner größeren Chorwerke zur Aufführung gelangt und damit ein edler Enthusiasmus in allen Gemüthern erwacht. Noch lange wird er hierin allein stehen, da der Natur die Vereinigung der solcher allgemeinen Wirkungen fähigen Eigenschaften in Einer Person nur selten gelingt.

    • Literatur

      Die Litteratur über M.-B. ist durch die Veröffentlichung eines großen Theils seiner Correspondenz eine sehr umfassende geworden. Wir beschränken uns auf eine chronologische Angabe der ihn betreffenden Bücher und Broschüren und führen das außerdem in Zeitschriften, namentlich in R. Schumann's N. Zeitschrift f. Musik und im englischen Athenäum befindliche Material nicht einzeln an: Ueber das Oratorium Paulus von F. M.-B., Halle 1839 [nicht von O. Jahn]; Mosewius, Zur Aufführung des Orat. Paulus von F. M.-B., Breslau (o. J.); O. Jahn, Ueber F. M.-B.'s Orat. Paulus. Kiel 1842 (auch in dessen Gesammelten Aufsätzen über Musik, Leipz. 1866, S. 13—37); Derselbe über dessen Oratorium Elias in der Allg. Musik. Ztg. v. 23. Febr. 1848 und in den Ges. Aufsätzen S. 40—63; W. A. Lampadius, Felix M.-B., Leipz. 1848; Jules Benedict, A Sketch of the Life and Works of the late F. M.-B., London 1850, 2. ed. 1853; O. L. B. Wolff, Ein Sommernachtstraum, verbindendes Gedicht zu M.-B.'s Composition, Erfurt 1851; Lobe, Fliegende Blatter für Musik, Leip. 1853; W. Neumann. F.|M.-B., Kassel 1854; Modern German Music by H. F. Chorley, 2 Vol., London 1854; L. Rellstab, Aus meinem Leben, 2 Bde., Berlin 1861; Paul M.-B., Reisebriefe von F. M.-B., Leipz. 1861; George Hogarth, The Philharmonic Society, London 1862; Paul und Karl M.-B., Briefe aus den Jahren 1833—1847 von F. M.-B., Leipz. 1863 (billige Ausgabe 1870); M.-B.'s letzte Tage, nach Horsley, in der Berliner Musik-Ztg. Echo, 1863, Nr. 26—28; Schubrig, Erinnerungen an F. M.-B. (Daheim. Leipz. 1866, Nr. 26); Reißmann, F. M.-B., 1867, 2. Aufl. 1672; Nohl, Musikerbriese, Leip. 1867 (darin 30 Briefe von M.-B.); Elise Polko, Erinnerungen an F. M.-B., Leipz. 1868; Ed. Devrient, Meine Erinnerungen an F. M.-B., Leipz. 1869; Therese Marx, A. Bernh. Marx' Verhältniß zu F. M.-B., Leipz. 1869; Ein Brief von F. M.-B. an Goethe, Berlin 1869; Erinnerungen an M.-B. von Meßner (Neue Evangel. Kirchenzeitung 1869. Nr. 47); Karl M.-B., Goethe und Felix M.-B., Leipz. 1871; M.-B., Acht Briefe und ein Facsimile, Leipz. 1871 [an Frau Voigt das.]; Aus Moscheles' Leben von seiner Frau, 2 Bde., Leipz. 1872 u. 1873; Chr. Edw. Horsley, Reminiscences of M. (in The Choir, Lond. 1873); Memoirs of H. F. Chorley, 2 Vol., Bentley 1873; H. Giehne, M.'s verdienstvolles Wirken als d. Tondichter, Karlsruhe 1873; Ferd. Hiller. F. M.-B.'s Briefe und Erinnerungen, Köln 1874, 2. Aufl. 1878 (auch dessen Besuche im Jenseits); H. A. Köstlin [Sohn der Josephine Lang], Gesch. d. Musik im Umriß, Freib. u. Tübingen 1874. S. 401—413 (3. Aufl. 1884); Seligmann, Leben Georg Grote's, Leipz. 1874 (S. 214 ff.): Adolphe Jullien, M.-B., Paris 1877 [nach Hiller]; Louis Ehlert, Aus der Tonwelt, Berlin 1877, 2. Aufl. 1882; Hensel, Die Familie Mendelssohn, 1729—1847, 3 Bde., Berlin 1879; George Grove, A Dictionary of Music and Musicians, Vol. II, p. 253—310, London 1880; Sittard, F. M.-B., Leipz. 1881 (Nr. 33 der Samml. musikal. Vorträge); O. Gumprecht, Neuere Meister, Bd. I, Leipz. 1883. Ferner: Heinr. Dorn, Erinnerungen an F. M. und seine Freunde; Berlioz, Voyage musical; Bunsen's Leben; Hauptmann's Briefe an Hauser; Dr. Stromeyer's Erinnerungen (s. o. S. 329); Zelter's Briefw. mit Goethe; v. Ledebur, Tonkünstlerlexikon Berlins; A. Dörffel, Geschichte d. Gewandhauskonzerte, Leipz. 1884. — Eine kritische Gesammtausgabe der Werke M.-B.'s von J. Rietz, gr. Fol., 19 Serien mit 157 Nummern, seit September 1874, bei Breitkopf & Härtel in Leipzig; ebenda das Verzeichniß der im Druck erschienenen Compositionen von F. M.-B. von J. Rietz 1863, neue Aufl. 1873 und 3. vervollst. Aufl. 1882.

  • Autor/in

    G. v. Loeper.
  • Zitierweise

    Loeper, G. von, "Mendelssohn Bartholdy, Felix" in: Allgemeine Deutsche Biographie 21 (1885), S. 324-345 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580779.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA