Lebensdaten
1854 – 1932
Geburtsort
München
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Pädagoge
Konfession
katholisch?
Normdaten
GND: 118561596 | OGND | VIAF: 56647623
Namensvarianten
  • Kerschensteiner, Georg
  • Kerschensteiner, Georg M.
  • Kerschensteiner, Georg Michael
  • mehr

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Zitierweise

Kerschensteiner, Georg, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118561596.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Anton (1801–77), Käsehändler in M., S d. Michael (1764–1803), Ökonomiebaumeister in Giesing (aus Bauernfam. in Deusmauer/Oberpfalz) u. d. Elisabeth Kollmayr;
    M Katharina (1833–95), T d. Brauers Franz Sales Karl in Neuburg/Donau u. d. Josepha Böck;
    Halb-B Joseph (s. Gen. 2);
    1) 1886 Sophie Müller (1858–1915) aus Göppingen, 2) 1917 Dr. Marie Borst (1870–1954), Wwe d. Philol. u. Psychol. Ernst Dürr ( 1913, s. NDB IV);
    3 S;
    N Hermann (s. 2), Anton (1884-1972). Präs. d. Landesarbeitsger. in M.

  • Biographie

    K. wählte zunächst den Beruf eines Volksschullehrers, bereitete sich aber nach kurzer Zeit zuerst privat, dann am Gymnasium Sankt Stephan in Augsburg auf das Abitur vor. Anschließend studierte er Mathematik und Physik (1877–80), vor allem bei Felix Klein, A. Brill, J. Lüroth und Gustav Bauer; bei letzterem promovierte er mit dem von Brill gestellten Thema: „Die Singularität der rationalen Kurven vierter Ordnung.“ Nach kurzer Tätigkeit als Assistent am Metereologischen Zentralinstitut in München war er 1883-85 in Nürnberg, dann in Schweinfurt und zuletzt in München als Lehrer an höheren Schulen tätig. Nebenher hatte er Gelegenheit, seine mathematischen Studien bei Paul Gordan fortzusetzen und Botanik, vor allem bei Julius Sachs und K. Goebel, Zoologie bei Karl Semper und R. Hertwig sowie Mineralogie bei Ernst Weinschenk zu studieren. In diese Zeit fallen auch seine Gletschermessungen mit Sebastian Finsterwalder und anderen. Von Anfang an pflegte K. durch Wandern, Schwimmen und Schlittschuhlaufen den Kontakt mit seinen Schülern. Er erlebte eindrucksvoll die Sinnlosigkeit des reinen Wortunterrichts in Naturkunde und Naturlehre, woraus er dann später bei seiner schulorganisatorischen Tätigkeit die Konsequenz durch Schaffung von Schulgärten, Aquarien, Terrarien und chemischen sowie physikalischen Experimentiermöglichkeiten zog. Dazu gab ihm seine Tätigkeit als Stadtschulrat und Schulkommissar in München (1895–1919) Gelegenheit, die er bis zum letzten ausschöpfte. Zuerst führte er eine gründliche Reform des Volksschullehrplans für die sogenannten Realien durch, wobei er sich durch Gedankengänge Pestalozzis, Ernst Machs und R. Avenarius' leiten ließ. Der anfängliche Widerstand der Herbart-Zillerschen Richtung innerhalb der Lehrerschaft wurde merklich geringer, als K. 1901 den 1. Preis der Erfurter Akademie der Wissenschaften mit der Beantwortung der Frage gewann: „Wie ist unsere männliche Jugend von der Entlassung aus der Volksschule bis zum Eintritt in den Heeresdienst am zweckmäßigsten für die bürgerliche Gesellschaft zu erziehen“? (auch unter dem Titel: „Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend“, 101931). K. blieb sein Leben lang Verfechter einer stark von den politischen Verhältnissen seiner Zeit abhängigen staatsbürgerlichen Erziehung, die im Gegensatz zu der bis dahin vertretenen reinen Rezeption von Wissensstoff die Schüler im Sinne einer „Charaktererziehung“ zu aktivieren versuchte. Sein persönliches politisches Engagement zeigte sich in seiner Tätigkeit als Abgeordneter der Freisinnigen Volkspartei im Reichstag (1912–18).

    Nach 1901 gewann K. bald, vor allem durch den Aufbau des fachlich gegliederten Berufsschulwesens in München, eine führende Stellung unter den deutschen Schulreformern (1903 Vorsitzender des 2. Deutschen Kunsterziehungstages in Weimar, 1908 Mitbegründer des Bundes für Schulreform, 1915 Mitglied des Deutschen Ausschusses für Erziehung und Unterricht, 1926 Präsident des Pädagogischen Kongresses in Weimar) und weltweites Ansehen, so daß er München zu einem „Pädagogischen Mekka“ machte (Besucherliste im Münchner Stadtarchiv). Seine Vortragsreisen führten ihn unter anderem nach Österreich, Frankreich, Rußland, Skandinavien, England und in die Schweiz und USA, wo er den Aufbau des Berufsschulwesens nachhaltig beeinflußte. Seine Hauptwerke wurden ins Holländische, Englische, Französische, Spanische, Schwedische, Finnische, Polnische, Ukrainische, Russische, Griechische, Hebräische, Chinesische und Japanische übersetzt.

    Der Schwerpunkt der reformerischen Tätigkeit K.s liegt auf dem Gebiet der Arbeitsschule, programmatisch entwickelt in seiner Züricher Rede von 1908 „Die Schule der Zukunft eine Arbeitsschule“. Anregungen dazu empfing er durch Gedanken Pestalozzis, Goethes und Deweys. Im Gegensatz zur Buchschule wollte er die Eigeninitiative und Eigentätigkeit der Schüler durch Schulwerkstätten, Arbeitsgemeinschaften und Selbstverwaltung sowie durch Eingehen auf ihre praktischen Interessen fördern. In den Lehrplänen für die Mädchen folgte K. den zeitbedingten Vorstellungen von der gesellschaftlichen Rolle der Frau.

    Von Haus aus ein Mann der Praxis, suchte K. seine Gedankengänge mehr und mehr theoretisch zu unterbauen und in seinem „Grundaxiom des Bildungsprozesses“ (1917, 101964) ein wissenschaftliches Fundament für das Bildungsverfahren und die Schulorganisation zu legen. Seine ethischen Grundvorstellungen sind beeinflußt durch Friedrich Paulsen, H. Höffding und J. Unold, seine Wert- und Kulturphilosophie durch Wilhelm Windelband, H. Rickert und G. Simmel. Seit 1911 wurde er nachhaltig von Eduard Spranger und seinen „Lebensformen“ (vor allem in „Die Seele des Erziehers“, 1921, ⁹1965) und durch dessen Vermittlung von W. Dilthey beeinflußt, in seinen letzten Lebensjahren durch Freyers „Theorie des objektiven Geistes“. K. wollte sein Lebenswerk durch die umfangreiche „Theorie der Bildung“ (1926, ³1931)|und die „Theorie der Bildungsorganisation“ (nach seinem Tode herausgegeben von seiner Frau Marie, 1933) abrunden, ohne daß er damit einen nennenswerten Einfluß auf die Erziehungswissenschaft seiner Zeit gewonnen hätte.

    Er war ein genialer Praktiker und Organisator mit dem Ehrentitel eines „Pestalozzi des 20. Jahrhunderts“. Obwohl den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen seiner Zeit verhaftet, war er – eine fundamental soziale und ästhetische Natur – mit einigen seiner Ideen seiner Zeit weit voraus: So sind seine Warnungen vor Verschulung und „Verkopfung“, das heißt einseitiger Intellektualisierung des Bildungswesens, sein Eintreten für eine durch angemessene Pflege des Musischen den ganzen Menschen erfassende Erziehung, seine Grundkonzeption der Erwachsenenbildung – K. war der Begründer des Bayerischen Volksbildungsverbandes (1906) – auch heute noch aktuell, ebenso wie seine humanistische und demokratische Einstellung und seine Vorstellungen über die Erziehung und Bildung der 15-18jährigen bei den Erörterungen über die Hinführung zur Arbeitswelt und der beruflichen Bildung. So überrascht es nicht, daß K. auch heute noch im Westen und teilweise auch im Osten großes Ansehen genießt.

  • Werke

    Weitere W Die Entwicklung d. Zeichner. Begabung, 1905;
    Grundfragen d. Schulorganisation, 1907, ⁷1954;
    Der Begriff d. staatsbürgerl. Erziehung 1910, 101966;
    Begriff d. Arbeitsschule, 1912, 171967;
    Charakterbegriff u. Charaktererziehung, 1912, ⁴1929;
    Wesen u. Wert d. naturwiss. Unterrichtes, 1914, ⁶1963;
    Das einheitl. dt. Schulsystem, 1922;
    Autorität u. Freiheit als Bildungsgrundsätze, 1924, ⁴1927;
    Ausgew. päd. Schrr., hrsg. v. G. Wehle, 2 Bde., 1906/68 (Bibliogr.);
    L. Englert, Otto Mair u. S. Mursch, Bibliogr. G. K., 1976. -
    20 J. im Schulaufsichtsamt, Ein Rückblick, in: Archiv f. Päd. 3, 1915, S. 97-118;
    Autobiogr. in: Die Päd. d. Gegenwart in Selbstdarst. I, 1926, S. 45-96 (P), wieder in: G. Wehle, Ausgew. päd. Schrr. II, 1968;
    Briefwechsel K.-Spranger, hrsg. v. L. Englert, 1966 (P). Nachlaß: München, Stadtbibl.

  • Literatur

    R. Prantl, K. als Päd., 1917;
    H. Kirschbaum, Die Entwicklung d. theoret. Voraussetzungen v. K.s Päd., 1927;
    M. Vanselow, Kulturpäd. u. Sozialpäd. b. K., Spranger u. Litt, 1927;
    H. Bellersen, G. K.s Bildungslehre u. d. Grundlagen d. Christl. Erziehungswiss., 1931;
    B. Kuehle, Entwicklung u. phil. Begründung d. Arbeitsschultheorie b. K. u. Gaudig, 1932;
    J. Pfeufer, Die Idee d. Selbsttätigkeit in d. modernen Arbeitsschulbewegung, speziell b. Gaudig u. K., Diss. Würzburg 1933;
    J. Liedke, Pestalozzis Geist in G. K.s Züricher Rede: „Die Schule d. Zukunft eine Arbeitsschule“, 1934;
    L. Weber, Schichtung u. Vermittlung im päd. Denken G. K.s, 1936 (Bibliogr.);
    O. Schuberth, G. K., Diss. Heidelberg 1936;
    A. Zurfluh, G. K.s grundlegendes Werk f. die staatsbürgerl. Erziehung. 1937;
    Marie Kerschensteiner (Ehefrau), G. K., Der Lebensweg e. Schulreformers, 1939, ³1954 (P);
    A. Reble, G. K., 1955, ²1956;
    G. Wehle, Praxis u. Theorie im Lebenswerk G. K.s, 1956, ²1964;
    H. Mühlmeyer, Humboldt u. K. im Lichte d. gegenwärt. Bildungsdenkens, Diss. Köln 1956;
    F. Schorer, Menschenbildung u. Berufsbildung bei Pestalozzi u. K., Diss. Bern 1957;
    Th. Wilhelm, Die Päd. K.s, 1957;
    M. Laeng, G. K., 1959;
    Th. Hagenmaier, Der Begriff d. Sachlichkeit in d. Päd. G. K.s, Diss. Tübingen 1960;
    F. v. Cube, Allg.bildung od. produktive Einseitigkeit, Der Weg z. Bildung im Geiste G. K.s, 1960;
    W. S. Nicklis, Das Verhältnis d. Päd. G. K.s zu Pestalozzi, Diss. Heidelberg 1960 (ungedr.);
    O. Sunnanå, G. K. og arbeidsskulen, 1960;
    L. Lumbelli, K. e il rinovamento pedagogico tedesco, 1966;
    D. Simons, G. K., 1966;
    U. Muellges, Bildung u. Berufsbildung, Die theoret. Grundlegung d. Berufserziehungsproblems durch K., Spranger, Fischer u. Litt, 1967;
    G. Franke, Pol. u. Päd. b. G. K., Diss. Aachen 1969;
    L. Englert, Wie G. K. d. Münchner Stadtschulrat wurde, 1970 (P);
    W. Metz, Der Einfluß v. K.s Fortbildungsschulpol. auf d. angelsächs. Bereich, Diss. München 1971;
    D. Portner, Der Pflichtbegriff in d. Päd. G. K.s u. Eduard Sprangers, Diss. München 1974.

  • Porträts

    Ölgem. v. L. Samberger (verschollen);
    v. E. M. Fischer, 1928 (München, Stadtschulamt);
    Zeichnung v. dems., 1928 (ebd., K.-Gewerbeschule);
    Bronzebüste v. M. Belling (ebd.).

  • Autor/in

    Ludwig Englert
  • Zitierweise

    Englert, Ludwig, "Kerschensteiner, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 534-536 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118561596.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA