Lebensdaten
1646 – 1716
Geburtsort
Leipzig
Sterbeort
Hannover
Beruf/Funktion
Polyhistor ; Philosoph ; Mathematiker ; Bibliothekar ; Diplomat ; Publizist ; Reichshofrat
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118571249 | OGND | VIAF: 9849392
Namensvarianten
  • Leibnitz, Gottfried Wilhelm
  • Leibnütz, Gottfried Wilhelm
  • Leibnuzius, Gottfried Wilhelm
  • mehr

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Zitierweise

Leibniz, Gottfried Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118571249.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Friedrich Leibnütz (1597–1652), Jurist, Aktuar u. Prof. d. Moral in L. (s. L), S d. Ambrosius (1569–1617), Stadtschreiber u. kursächs. Bergschreiber in Altenberg (Erzgebirge), u. d. Anna Deuerlein;
    M Catharina (1621–64), T d. Wilhelm Schmuck (1575–1634), Prof. d. Rechte in L., u. d. Gertraude Lindner;
    Ur-Gvv Christoph L., kursächs. Bergmeister u. Amtsschösser in Pirna, Heinrich Deuerlein, Bergzehnter in Altenberg (aus Nürnberger Fam.);
    Ur-Gvm Stephan Cloth, sachsen-weimar. Kanzler;
    Schw Anna Catharina (⚭ Simon Löffler, Archidiakon zu St. Nikolai in L.); - ledig.

  • Biographie

    L. besuchte 1653-61 die Nikolai-Schule in Leipzig. Mit 8 Jahren bekam der frühreife Knabe, der die Livius-Lektüre dem Spielen vorzog, Zugang zur Bibliothek seines verstorbenen Vaters, mit 13 verfaßte er an einem Morgen 300 elisionsfreie Hexameter, mit 14 begann er seine logischen Studien und „lebte“ seitdem, nach eigener Aussage, im Suarez und Fonseca, im Rubius und Zabarella. Nachdem er einige Schriften von Kepler, Galilei und Descartes gelesen hatte, entschied er sich noch vor Beginn seines Studiums in Leipzig 1661 für die mechanistische Naturphilosophie, ohne die Bedeutung der aristotelischen Tradition zu verkennen. So wurde J. Thomasius, sieht man ab von E. Weigel, bei dem er im Sommer 1663 in Jena studierte, sein bedeutendster Lehrer, unter dessen Vorsitz er auch im Mai 1663 „De principio individui“ disputierte. Anschließend begann er das Studium der Jurisprudenz, wurde 1664 zum magister artium und nach Vortrag eines „Specimen quaestionum philosophicarum ex jure collectarum“ und zweier gehaltvoller juristischer Disputationen „De conditionibus“ 1665 zum baccalaureus juris promoviert. Mit der „Disp. arithmetica de complexionibus“, die er noch im selben Jahr zur „Diss. de arte combinatoria“ ausbaute und publizierte, disputierte er 1666 „pro loco“ an der philosophischen Fakultät. Im Winter 1666/67 wechselte er nach Altdorf über, disputierte dort „De casibus perplexis in jure“ und wurde im Febr. 1667 glanzvoll zum Doktor beider Rechte promoviert. Er schlug eine Professur aus und ging nach Nürnberg, um dort bis zum Antritt einer Bildungsreise in die Niederlande im Herbst alchimistische Studien zu treiben. Eine Pestepidemie veranlaßte ihn zum Abbruch der Reise. Er kam nur bis Mainz, nutzte den Verzug, um „ohne Bücher“ seine Gedanken zur Reform der Jurisprudenz niederzuschreiben und mit dieser eilig in Druck gegebenen, Kf. Joh. Philipp v. Schönborn gewidmeten Schrift (Nova methodus discendae docendaeque iurisprudentiae, 1667) dessen Gunst zu gewinnen. Durch Vermittlung Joh. Christian v. Boineburgs wurde er sogleich zur Mitarbeit an der von H. A. Lasser begonnenen Neukodifikation des Corpus Juris aufgefordert. 1670 wurde er von Schönborn, ungeachtet seiner Jugend und luth. Konfession, zum Revisionsrat am Oberappellationsgericht in Mainz bestellt und im März 1672 in diplomatischer Mission nach Paris gesandt. L. sollte Ludwig XIV. seinen „Ägyptischen Plan“ vortragen, Boineburgs private Pensionsansprüche und zusammen mit Melchior Friedrich v. Schönborn das Mainzer Interesse an allgemeinen Friedensverhandlungen in Köln vertreten. Als dieser Auftrag in Paris scheiterte, reiste Schönborn mit ihm von Januar bis März 1673 in gleicher Mission nach London. Inzwischen war Boineburg verstorben, und L. hatte die Erziehung des jungen Boineburg in Paris übertragen bekommen. Kurz darauf starb auch Kf. Johann Philipp. Dessen Nachfolger erlaubte L., „für eine Weile“ in Paris zu bleiben. Dort lernte er die bedeutendsten Gelehrten kennen, vor allem Antoine Arnauld und dessen Freund Pierre Nicole, die Verfasser der Logik von Port Royal, dann die Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens und Edme Mariotte, ferner Buot, Deschales, Gallois, Ozanam, Mathion, Pardies, Prestet, Roberval und den Duc de Rohan, die Astronomen Cassini und Römer, die Philosophen Huet, Cordemoy, Foucher und Malebranche, nicht zu vergessen den jungen Ehrenfried Walther v. Tschirnhaus, mit dem er sich befreundete. Bei seinen Besuchen in London traf er auf Heinrich Oldenburg, Robert Boyle, Robert Hooke, John Collins und andere Mitglieder der Royal Society, deren Mitglied er 1673 wurde.

    Als sich die Hoffnung, Nachfolger des Mathematikers Roberval in der Académie des Sciences zu werden, zerschlagen hatte, folgte L. einem Ruf des Hzg. Johann Friedrich als Bibliothekar nach Hannover, wohin er über London (im September und Oktober), Amsterdam, Haarlem, Delft und Den Haag reiste, um im Dez. 1676 seinen Dienst aufzunehmen. 1677 wurde er auch als juristischer Hofrat eingeführt. Hzg. Ernst August bestätigte ihn 1685 als Hofrat auf Lebenszeit, entlastete ihn von Kanzleiarbeiten und den Aufgaben im Harzbergbau und verpflichtete ihn, die Geschichte des Welfenhauses zu erforschen und darzustellen. Dieses Vorhabens wegen reiste er 1687-90 durch Süddeutschland über Wien, wo er fast 10 Monate verweilte, nach Italien. Er blieb dort von März 1689 bis März 1690, mehr als die Hälfte dieser Zeit in Rom, und besuchte auf dem Rückweg nochmals Wien. 1691 willigte Hzg. Ernst August auch in L.s zusätzliche Bestallung als Historiograph durch die Herzöge Anton Ulrich und Rudolf August von Wolfenbüttel ein und ernannte ihn, nachdem er mit L.s diplomatischer Unterstützung 1692 für Braunschweig-Lüneburg die Kurwürde erworben hatte, 1696 zum Geheimen Justizrat. Diesen Titel verliehen L. auch Kf. Friedrich von Brandenburg (1700) und Zar Peter der Große (1712), der viele seiner gründlich ausgearbeiteten Pläne, insbesondere noch 1723 den einer Akademie in Petersburg, realisierte. Er wurde ferner zum Präsidenten bzw. Direktor der von ihm geplanten und organisierten Akademien (Sozietäten) der Wissenschaften zu Berlin (1700) sowie zu Dresden (1704) und Wien (1713) ernannt, wo er sich nach zwei weiteren Besuchen (1700 und 1708) nochmals von Dez. 1712 bis Sept. 1714 aufhielt. Kaiser| Karl VI. berief ihn 1713 (rückwirkend ab Anfang 1712) in den Reichshofrat. – Nach einem ersten Aufenthalt in Berlin 1698 zog es L. zwischen 1700 und 1707 immer wieder an den Ort seiner Sozietät, später, nach dem Tod der Kgn. Sophie Charlotte (1705), nur noch zweimal (1709 und 1711). – Abgelehnt hat L. Angebote, Bibliothekar des Vatikans (1689), Ludwigs XIV. (1692) und des Kaisers (1701) zu werden. Ohne Erfolg bemühte sich L., 1704 Nachfolger des Vizekanzlers Hugo in Hannover und 1713 Kanzler von Siebenbürgen zu werden, wie auch später darum, mit dem Hof nach England zu gehen.

    L.s selbstverfaßte akademische Schriften bestätigen seine wiederholten Hinweise auf seine frühe autodidaktische Bildung. Sie lassen nicht nur eine ungewöhnliche Belesenheit, sondern auch ein sicheres Urteil und ein außerordentliches logisches Genie erkennen, so, wenn er scholastische Lösungen kritisch klassifiziert (De principio individui, 1663), wenn er den philosophischen Kern juristischer Fragen herausarbeitet (Specimen quaestionum philosophicarum, 1664) oder aus dem röm. Recht und aus unentscheidbaren juristischen Fällen Ansätze zu einer formalisierten, seinen Zeitgenossen unverständlich gebliebenen Rechtslogik konstruiert (De conditionibus, 1665; De casibus perplexis, 1666) sowie endlich, wenn er bekannte und neue verschiedenartige Anwendungen der Kombinatorik systematisch auf eine logisch-mathematische Grundlage stellt und daraus weitreichende, seine späteren Arbeiten determinierende Perspektiven entwickelt (Dissertatio de arte combinatoria, 1666). Von der Neukodifikation des Corpus Juris kam lediglich der Plan, die „Ratio Corporis Juris reconcinnandi“, 1668 zum Druck. Beabsichtigt war zunächst die Reduktion des röm. Rechts auf einige wenige elementare, an einer Wandtafel verzeichenbare Rechtssätze, aus denen in der Praxis alle Fragen entschieden werden könnten; ein „Antinomicus minor“ sollte zudem die Lösungen sich widersprechender Gesetze sowie die unlösbaren Antinomien zusammenfassen. Von größter Bedeutung war der Einfluß, den Joh. Christian v. Boineburg, der ehemalige Minister des Kurfürsten, auf L. gewann. Dieser schärfte dem jungen Gelehrten den Blick für die großen Themen der säkularen und der konfessionellen Politik zur Sicherung des Friedens in Europa und gab ihm diplomatische und publizistische Aufgaben, so zur Unterstützung seines Kandidaten für die poln. Königswahl von 1669 – eine Aufgabe, die L. originellerweise mit einer die Rechtsgelehrten damals verblüffenden Beweisführung more geometrico löste (acht Jahre vor Spinozas „Ethica more geometrico demonstrata“) – oder zur Formulierung seiner Friedensdiplomatie gegenüber Ludwig XIV. Genannt seien das „Bedencken welchergestalt securitas publica interna et externa und Status praesens im Reich iezigen Umständen nach auf festen Fuß zu stellen“ (1670) und die Schrift, die er persönlich in Paris Ludwig XIV. vortragen wollte, der „Ägyptische Plan“ (1672), der den Expansionsdrang Frankreichs vom Rhein an den Nil lenken sollte, dessen Vorlage aber durch den inzwischen begonnenen Krieg gegen Holland überholt wurde, gleichwohl später noch Napoleon beeindruckte. Darüber hinaus regte der Konvertit Boineburg ihn insbesondere an, eine rationale Basis für das Gespräch zwischen den Konfessionen und gegen den aufkommenden Atheismus und die sozinianischen Häresien auszuarbeiten, daneben aber auch seinen juristischen Ambitionen zu folgen und die Elemente des Natur- wie des Zivilrechts darzustellen. L. katalogisierte auch mit neuen Erschließungsmethoden die umfangreiche Boineburgische Bibliothek (heute in Erfurt). Bis auf die, ohne L.s Wissen 1669 anonym publizierte, „Confessio naturae contra atheistas“ und das ebenfalls 1669 erschienene „Specimen demonstrationum politicarum pro eligendo rege Polonorum“ sowie noch 1672 eine vielbeachtete Auslegung des Paragraphen „Et ut eo sincerior“ aus dem Vertrag zum Westfäl. Frieden blieben diese Schriften Konzept oder nur wenigen zugänglich. Anders die ebenfalls von Boineburg angeregte Neuausgabe des humanistischen Nominalisten Marius Nizolius („De veris principiis et vera ratione philosophandi“), die L. 1671 mit kritischen Anmerkungen, einer bedeutenden Vorrede über den philosophischen Stil und einem Brief an seinen Leipziger Lehrer Jakob Thomasius über das Verhältnis der neueren Philosophie zu Aristoteles herausbrachte. L.s eigenen Intentionen dürften mehr die Projekte zu einer „Societas Conferentium conciliatrix“ und zu einer konfessionsübergreifenden „Societas philadelphica“ entsprochen haben, sowie das „Bedenken von Aufrichtung einer Akademie oder Societät in Teutschland zu Auffnehmen der Künste und Wissenschafften“ (wohl 1671), ferner auch die von ihm geplanten Maßnahmen zur Organisation des Bücherwesens, u. a. ein von ihm zu verfassendes Rezensionsorgan („Nucleus librarius semestralis“), für das er beim Kaiser vergeblich ein Privileg beantragte.

    Seine philosophischen Interessen richteten sich damals, von einigen fragmentarischen Ansätzen zu seinen „Elements de mente et corpore“ als Teil seiner geplanten, groß angelegten „Demonstrationes catholicae“ und von einigen methodologischen Entwürfen abgesehen, auf die Theorie der Bewegung. Daraus resultierten 1671 zunächst zwei Druckschriften, die „Theoria motus abstracti“ und die „Hypothesis physica nova“ (oder „Theoria motus concreti“), die L. den Akademien in Paris und London widmete. Er baute seine Theorie in einer Reihe weiterer Konzepte aus, bis er 1672 in Paris durch Chr. Huygens davon abgebracht und der modernen Mathematik zugeführt wurde, von der er bis dahin nach eigener Aussage so viel wie nichts verstand – ein Mangel, den er schnell und gründlich beheben sollte. Erst Ende 1676 nahm er in einem fertiggestellten, gleichwohl zurückgehaltenen Dialog „Pacidius Philalethi“ das Thema „de motu“ wieder auf. Wie in der Logik der Satz vom Widerspruch, so bildet in den realen Wissenschaften der Satz vom Grunde „Nihil est sine ratione“ nach L. das fundamentale Prinzip unserer Erkenntnis. Das bewegende Prinzip ist einzig der Geist, und der Körper ist nichts als eine „mens momentanea“, ein Geist, dem das Gedächtnis, die Bedingung dauernder substantieller Identität, fehlt. Ruhe ist Nichtsein. Bewegung selbst ist obensowenig wie Raum und Zeit etwas Absolutes und nur zu verstehen als eine fortwährende Neuschöpfung. An den Brechungsgesetzen erkennt L., daß Optimierungsprinzipien nicht kausal, sondern nur final zu erklären sind und daß deshalb die Physik eine metaphysische Begründung braucht.

    Im Dialog „Confessio philosophi“ stellte er 1673 das Problem der Theodizee dar, mit dem er sich ansatzweise bereits in Mainz beschäftigt hatte. Der Jansenist A. Arnauld in Paris und der Konvertit N. Stensen in Hannover, dessen Randbemerkungen mit L.s Erwiderung dazu erhalten sind, waren wohl die einzigen, die ihn zu lesen bekamen. Seine damaligen metaphysischen Aufzeichnungen („De summa rerum“) sind tagebuchähnliche Notizen. In Paris gewann er die Anerkennung der bedeutendsten Gelehrten, bekam Zugang zu den Nachlässen von Pascal und Descartes, weckte Tschirnhaus erneut sein Interesse für Spinoza, den er in Den Haag ein Vierteljahr vor dessen Tod noch besuchen sollte. Vieles, was er aus den heute verschollenen Papieren Descartes' exzerpierte, stellt für uns die einzige Quelle dafür dar. Einiges davon ist wiederum verlorengegangen. Platons „Phaedon“ und „Theäthet“ hat er in lateinische Kurzfassungen gebracht und „ad usum Delphini“ eine Ausgabe des Martianus Capella vorbereitet, nichts davon jedoch veröffentlicht.

    Ein wenig später als Newton, gleichwohl, wie aus dem Nachlaß zu belegen, eindeutig unabhängig von ihm, hat L. 1675 die Infinitesimalrechnung erfunden und seitdem erfolgreich zur Lösung verschiedenartigster Probleme herangezogen; insbesondere geht die heute allgemein übliche, transparente Symbolik für die Differentiation und das Integral auf L. zurück. Die erste Veröffentlichung „De nova methodo de maximis et minimis“ erfolgte erst 1684 in den „Acta Eruditorum“. Der in den 90er Jahren von Newton-Anhängern angezettelte Prioritätsstreit, der schließlich von der Royal Society, nicht ohne politische Motivationen und die Mitwirkung von Newton selbst, zu L.s Ungunsten entschieden wurde, verzerrte sein Bild bis in unsere Tage. Daran änderte auch nichts die erst 1846 edierte „Historie et Origo calculi differentialis“, die L. noch 1714 verfaßte. Unzählige algebraische und zahlentheoretische Studien, die arithmetische Quadratur des Kreises (erstmals publiziert in Acta Erud. 1682), die Berechnung von Potenzreihen und die Anfänge der dyadischen Arithmetik, die er um 1679 ausbaute, gehören bereits in die Pariser Zeit. Von späteren Errungenschaften seien hervorgehoben: seine ebenfalls 1679 ersonnene „Analysis situs“, eine neuartige Topologie als Gegenstück zur analytischen Geometrie von Descartes, die weitere Entwicklung seiner Kombinatorik, die Technik, Indizes als Koeffizienten zu behandeln, die Theorie der Determinanten und die Ableitung der Exponential-Funktion. Den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, stellte und löste er mathematische Probleme in einem regen, halb öffentlichen Briefwechsel, so in den 90er Jahren das der catenaria, der isochrona paracentrica und der brachystochrona. Insgesamt übertrifft der weitgehend noch zu erschließende mathematische Teil des Nachlasses dem Umfang nach um ein Vielfaches das, was zur Philosophie, Theologie und Jurisprudenz gehört.

    L. erfand wohl um 1670 die erste Vierspezies-Rechenmaschine. Sie funktionierte nach dem Prinzip der Staffelwalze. Bereits 1673 konnte er sie in Paris und London an einem hölzernen Modell vorführen. Ein Prototyp in Messing wurde später in Paris von dem Mechaniker Olivier hergestellt und|sollte 1694 in die Serienanfertigung gehen. Um 1700 in Helmstedt und zwischen 1711 und 1716 in Zeitz beschäftigte L., unter Einsatz bedeutender eigener Geldmittel, weitere Feinmechaniker zur Herstellung vollkommenerer Modelle, ohne dadurch die technischen Probleme der Zehnerübertragung endgültig zu meistern, was erst 1774 P. M. Hahn gelang. Das funktionierende, heute in der Niedersächsischen Landesbibliothek aufbewahrte Exemplar blieb ohne praktische Verwendung. Wenig bekannt ist daneben L.s früher, genialer Entwurf einer dyadischen Rechenmaschine (1679), den er technisch gar nicht erst auszuführen versuchte.

    Die Philosophie begriff L. im Vertrauen auf die Macht der durch eine geschulte, aufgeklärte Vernunft erkannten Wahrheit als ein Instrument des Friedens und der Versöhnung. Es lag ihm daran, die rationalen Grundlagen zu schaffen, um die sich bekämpfenden Sekten der Philosophen wieder auf die eine philosophia perennis zu verweisen, die auseinandergetretenen Konfessionen in einer katholisch-ökumenischen Kirche zu vereinen, die verfeindeten Staaten unter das römische Reich und dieses unter ein christlich geeintes Europa zu bringen, um schließlich die Christianisierung über die Kontinente nach Asien, Afrika und Amerika zu verbreiten. Ein solches Instrument des Friedens sollte seine „demonstrative Enzyklopädie“ werden, zunächst in Mainz noch unter dem Titel „Demonstrationes catholicae“, dann in Hannover als „Scientia generalis“ und in seinen letzten Lebensjahren als „Éléments de la philosophie générale et de la théologie naturelle“ konzipiert. Es war ein Werk, das mit Hilfe einer zu erstellenden universellen Charakteristik, einer „ars inveniendi et judicandi“, und eines dazu zu konstruierenden logischen Kalküls die Philosophie sicher und alle Probleme berechenbar machen sollte. L. erachtete zu seiner Erarbeitung von vornherein die Hilfe einer Gruppe fähiger Mitarbeiter für nötig. Diese und einen fördernden Mäzen glaubte er jedoch erst nach Vorlage einiger Probestücke gewinnen zu können. Eine Fülle von zurückgehaltenen Konzepten dazu liegt vor, keines davon schien ihm angemessen und überzeugend genug. Das gleiche gilt für seine zahlreichen Arbeiten zur Logik, die letztlich auch auf die formale Begründung der „Scientia generalis“ ausgerichtet waren. Als großen Schritt voran wertete L. seine „Generales inquisitiones de analysi notionum et veritatum“ von 1686 (Erstdruck v. L. Couturat, in: Opuscules et fragments inédits, 1903). Wenn auch das Programm nicht vollendet wurde, so sind doch die dazu geleisteten Vorarbeiten von so ungewöhnlicher Qualität, daß die moderne mathematische Logik in L. ihren Vater sehen kann. Die Leitidee seiner „Characteristica universalis“ setzt voraus, daß es gelingt – worum L. sich intensiv bemüht hat –, die primitiven Begriffe zu finden, aus denen alle übrigen zusammengesetzt werden können. Man braucht ihnen dann nur noch geeignete Charaktere so zuzuordnen, daß dem Charakter eines jeden Begriffs, wie heute einer chemischen Formel, anzusehen ist, welche primitiven Begriffe in ihm enthalten sind. Versuchsweise wählte L. Primzahlen als Charaktere der primitiven Begriffe, wodurch beliebige Begriffe eindeutig als Primzahlprodukte darstellbar und die Prüfung der Wahrheit von Sätzen sowie der Richtigkeit von Schlüssen arithmetische Teilbarkeitsprobleme werden, eine Vorwegnahme der Gödelschen Arithmetisierung. L. erfand noch weitere logische Kalküle, um dem angestrebten „Alphabetum cogitationum humanarum“ und der aufzubauenden „lingua philosophica“ angemessene Methoden der Algorithmisierung des wissenschaftlichen Denkens an die Seite zu stellen. Statt über Meinungen zu streiten, sollte es künftig heißen: „Calculemus!“.

    Einer der bekanntesten philosophischen Aufsätze, die besonders im 18. Jh. in der Erkenntnistheorie und der neuen Ästhetik einflußreichen „Meditationes de cognitione, veritate et ideis“, erschien 1684 in den seit 1682 von O. Mencke herausgegebenen „Acta Eruditorum“, für die L. noch über 60 weitere Aufsätze zumeist mathematischen Inhalts und ebensoviele Rezensionen verfaßte. Weitere 50 kleine Abhandlungen publizierte er im „Journal des Savants“ und anderen Gelehrtenzeitschriften. Im Jan. 1686 faßte L. seine Gedanken in einer von ihrem ersten Herausgeber 1846 „Discours de métaphysique“ betitelten Schrift zusammen, in der Absicht, ihre Verträglichkeit mit den kath. Dogmen von dem inzwischen nach Holland geflohenen A. Arnauld bestätigen zu lassen. Der vorsichtige L. legte diesem jedoch nur einen „Sommaire“, 37 zusammenfassende Kapitelüberschriften, vor und löste in der sich daran anschließenden Korrespondenz den scheinbaren Widerspruch zwischen vollständiger Bestimmtheit des Begriffs jeder individuellen Substanz und der Freiheit des Menschen. Da, wie der scholastische Lehrsatz besagt, in jeder wahren Aussage das Prädikat im Subjekt enthalten ist, begreift L. die individuelle Substanz als durch ihre notio completa vollständig bestimmt. Ihre Handlungen sind frei, wenn auch gewiß ist, daß sie der göttlichen Voraussicht entsprechen. Wir erkennen notwendige Vemunftwahrheiten vollkommen dadurch, daß wir sie in endlich vielen Schritten auf primitive Begriffe oder wenigstens auf Identitäten reduzieren können, während wir für die Analyse kontingenter Tatsachenwahrheiten unendlich viele Schritte benötigen würden, also höchstens approximative Erkenntnis von ihnen erlangen können und daher auch nicht Gottes Motive für die Erschaffung dieser und keiner anderen Welt begreifen.

    In Rom konzipierte L. 1689 den ersten Teil seiner „Dynamik“ im Gegenzug zur Mechanik Newtons, dessen „Principia“ (1687) er gerade kennengelernt hatte. (Den zweiten Teil schrieb er erst nach 1698 nieder.) Sie erwuchs aus seiner 1686 veröffentlichten Polemik gegen den „außerordentlichen Irrtum“ des Cartesischen Prinzips der Erhaltung der Bewegungsgröße, definiert als Produkt aus Masse und Geschwindigkeit (mv), dem L. sein Prinzip von der Erhaltung der Energie als der vis viva, die er als Produkt aus Masse und Beschleunigung, d. h. dem Quadrat der Geschwindigkeit, bestimmte (mv²), gegenüberstellte. Dieses Prinzip hatte er aus seinem „Grundaxiom“ der Äquipollenz von Ursache und Wirkung hergeleitet und bereits 1678 in „De concursu corporum“ (noch nicht ediert) formuliert. Die später ergänzte und revidierte, jedoch nicht gänzlich abgeschlossene Fassung seiner „Dynamica de potentia et legibus naturae corporeae“ wurde erst 1860 ediert. Eine von verschiedenen kürzeren Fassungen überließ er Pellisson zum Vortrag in der Pariser Akademie; nur den ersten Teil einer anderen hat er 1695 in den „Acta Eruditorum“ veröffentlicht, wo er 1698 auch eine Anwendung seiner Dynamik gab (De ipsa natura). Er verfaßte Schriften über die Bewegung der Himmelskörper (1689 „Acta Eruditorum“) und über die Kopernikanische Hypothese, um ihre Anerkennung bei der röm. Kurie zu bewirken. Die prinzipielle Auseinandersetzung mit den metaphysischen Grundlagen der Physik Newtons führte er in seinem letzten Lebensjahr in einem Briefwechsel mit S. Clarke, der zur Publikation bestimmt war und 1717 auch erschienen ist. Gegen das Leere und die physikalischen Atome Newtons setzte L. seine ausdehnungslosen und einfachen Substanzen, die Monaden. Raum, Zeit und Bewegung ließ er nicht als Absolutes, nicht als Attribute der Gottheit gelten, sie sind für ihn nichts als Relationen, in denen Monaden körperliche Phänomene neben-, nach- und auseinander vorstellen. Auch weigerte sich L., Newtons Gravitationskraft anzuerkennen.

    Die aufbrechende Kluft zwischen Glaube und Vernunft, Theologie und Naturwissenschaften überbrückte L. mit einer doppelten Erklärung des Geschehens: Im Reiche der Natur oder der Wirkursachen, im Bereich des Phänomenalen, stellt seine physikalische „Dynamik“ die Theorie bereit; im Reiche der Gnade oder der Zwecke, im Bereich des eigentlich Wirklichen dagegen, die Metaphysik, genauer, die Lehre von den Monaden. Wie die Natur niemals anders wirkt als durch eine unendliche Vielheit konkurrierender Ursachen – ein Gedanke, den schon der junge L. aus dem Hippokratischen σύμπνοια πάντα entwickelt –, so repräsentiert jede Monade in sich selbsttätig das ganze Universum, jede von ihrem Standpunkt aus unterschiedlich, jedoch in einer von Gott prästabilierten Harmonie. Damit wird die für ihn unannehmbare Forderung eines physischen Einflusses von Substanzen aufeinander zur Erklärung der Kausalität überflüssig – Monaden sind gleichsam fensterlos –, und das löst vor allem das Descartes’sche Dilemma der Einwirkung der Seele auf den Körper. Körper sind keine einfachen Substanzen, sie sind Phänomene in Monaden, wenn auch gut fundierte. Nicht einmal die höheren Geister sind ohne solche Körper, die aus dem prästabilierten Zusammenwirken der einfachen Substanzen und ihrer Subordination unter jeweils herrschende Monaden resultieren. Nur Einheiten haben wahre Existenz, nur Monaden sind einfache, unzerstörbare Substanzen. Zusammengesetzte Substanzen, Körper, sind nichts als Phänomene. L.s Phänomenalismus ist jedoch weder ein objektiver Idealismus: Monaden erscheinen nicht als Körper, sind auch selbst keine Erscheinungen; noch ein subjektiver Idealismus: den einfacheren Monaden fehlt das Selbstbewußtsein, sie sind keine Subjekte; und auch kein Spiritualismus: nicht alle Monaden sind Geister; schließlich auch kein Solipsismus: es gibt Gott und andere von Gott geschaffene Monaden, wenn auch der Gedanke der Theresa von Avila „nur Gott und ich“ L. faszinierte. Körper und überhaupt die ganze Welt mit ihrer Geschichte sind Phänomene nicht von, sondern in den sie in prästabilierter Harmonie wie in einem „lebenden Spiegel“ produzierenden Monaden. Ihre Perzeptionen sind nichts als Darstellungen des Vielen in der Einheit, ihre Appetitionen nichts als das Streben nach neuen Perzeptionen. Eine kontinuierliche, in jedem Augenblick unendliche Folge größtenteils unmerklicher „petites perceptions“, verknüpft das Individuum mit dem ganzen Universum und zugleich mit seiner eigenen Vergangenheit und Zukunft, Keine mit Selbstbewußtsein begabte Substanz (mens) verliert jemals die ihr auferlegte Person, deren unzerstörbare Identität durch Erinnerung gegeben ist und sie für Belohnung und Strafe zurechnungsfähig macht. Mit seiner Theorie der „petites perceptions“ wurde er der Entdecker des Unbewußten. Überraschend modern gegenüber den mechanistischen Erklärungen seiner Zeit muten auch L.s Vorstellungen von der Organisation des Lebendigen an: Organismen sind natürliche Maschinen, solche, die selbst in ihren kleinsten Teilen noch Maschinen sind. Zwischen den natürlichen Gattungen gibt es nur kontinuierliche Übergänge, die Natur macht keine Sprünge, duldet kein vacuum formarum (principium continuitatis). Auch gibt es keine zwei vollkommen gleiche, nur numerisch unterscheidbare Individuen (principium identitatis indiscernibilium). Im strengen metaphysischen Sinn gibt es weder Geburt noch Tod, sondern nur Transformationen der unzerstörbaren Substanz. Die Zustände der Monaden folgen nicht ohne göttliche Mitwirkung aufeinander, ihre Erhaltung ist als eine fortwährende Schöpfung zu begreifen.

    Wie mit einem Brennglas brachte L. in seiner Metaphysik verschiedenste Traditionen in ein kohärentes System: einen konfessionsübergreifenden christlichen Glauben, gerich tet auf einen allmächtigen, aber guten, frei von Willkür handelnden Gott, den er nicht als Weltseele, sondern als eine extramundane Intelligenz begriffen wissen wollte; die aristotelische Substanzenlehre und den auf sie gegründeten metaphysischen Individualismus der deutschen Schulphilosophen, verbunden mit der rabbinischen Lehre vom unzerstörbaren Kern der Substanz; die Präformation aller Individuen in ihren Protoplasten, den ersten Exemplaren jeder Spezies; das hippokratische Zusammenwirken aller Dinge und den neuplatonischen Harmoniebegriff, expliziert durch die cusanische Vollkommenheit als maximale Mannigfaltigkeit in der Einheit; die platonische Selbstbewegtheit und wahre, unteilbare Einheit des Geistes und damit die Irrealität des rein Körperlichen; die augustinisch-cartesische Selbstgewißheit des denkenden Ich und den platonisch-stoischen Glauben an eingeborene Ideen und Prinzipien, an ewige Wahrheiten, die unsere Vernunft konstituieren.

    Die erste Publikation seiner Metaphysik, das „Système nouveau de la nature“, erschien 1695 im „Journal des Savants“. Ihr folgten Erklärungen zu den kritischen Einwänden von S. Foucher, P. Bayle und Fr. Lamy. 1695 prägt L. im Briefwechsel mit F. G. de L'Hôpital die Begriffe Monade und prästabilierte Harmonie. Seine gewichtige Auseinandersetzung mit John Lockes berühmtem „Essay“ (1690), die L. seit 1695 in kürzeren Schriften vorbereitet hatte, kleidete er 1703-05 in die Form eines Dialogs „Nouveaux essais sur l'entendement humain“, den er aber aus Pietät gegen den 1704 verstorbenen Gegner druckreif zurückhielt. Die Wirkung dieser erst 1765 durch R. E. Raspe veröffentlichten Widerlegung des engl. Empirismus war und blieb trotz ihrer Verspätung doch bedeutend.

    Die Grundkonzeption seines berühmtesten Werkes, der aus Gesprächen mit der Kgn. Sophie Charlotte am preuß. Hof hervorgegangenen „Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal“ (1710), beruht auf der schon in der „Confessio philosophi“ (1673) ausgesprochenen Idee einer Vielheit von möglichen Welten, unter denen Gott, der diese Vielheit in seinem Geist erschaffen hat, eine, und zwar aufgrund seiner Allwissenheit und seiner Güte die beste, zur Existenz bringt, die beste alles in allem besehen. Eine mögliche Welt besteht aus der Gesamtheit miteinander verträglicher individueller Substanzen, von denen jede durch ihren vollständigen Begriff festgelegt ist, mit allem, was ihr je zugestoßen ist und zustoßen wird. Der vollständige Begriff einer möglichen Einzelsubstanz bestimmt, mit welchen anderen Substanzen sie kompatibel ist, und dann wiederum, welchen Grad an Vollkommenheit die miteinander kompatiblen Substanzen zu realisieren imstande sind. Daß Gott, der nicht willkürlich handelt, sondern den zureichenden Grund seiner Wahl im Prinzip des Besten sieht, dieser und keiner anderen Welt zur Existenz verholfen hat, bedeutet für L., daß keine bessere Welt möglich ist. Dies ist eine Konzeption, die eher Resignation als den von Voltaire im „Candide“ verhöhnten Optimismus ausdrückt. Die neben der „Theodizee“ bekannteste Schrift L.s, die sog. „Monadologie“, ist ebensowenig wie die im selben Jahr 1714 in Wien für den Prinzen Eugen von Savoyen verfaßten „Principes de la nature et de la grâce“ eine Vermächtnisschrift. Beide verschweigen den Phänomenalismus, geben aber gleichwohl die dichteste Darstellung dessen, was L. damals einer elitären Öffentlichkeit handschriftlich zugänglich zu machen bereit war. So hatte er schon|früher einigen Vertrauten brieflich Zusammenfassungen seines Systems mitgeteilt, insbesondere der Kfn. Sophie in Hannover und ihrer Tochter Sophie Charlotte, der ersten Königin in Preußen, die beide beständig und verständig seine vielfältigen Vorhaben förderten. L. hat sich aber auch ihnen gegenüber gescheut, die letzte Konsequenz seiner Metaphysik, die bloße Phänomenalität unserer raum-zeitlichen Erfahrungswelt, in einer Zeit, die er noch nicht gereift sah für seine Gedanken, öffentlich zu vertreten. Die Stücke, selbst die zur Absendung fertigen Briefe, in denen er seine Ansicht zu deutlich formulierte, hat er zurückgehalten – wohl aus Furcht, seine zur Verwirklichung seiner großen Projekte nötige Reputation bei den dafür maßgebenden Persönlichkeiten an den Höfen Europas zu verlieren.

    Nach dem Mißlingen der Versuche, die Entwässerung der Gruben im Harzbergbau mit seiner neuartigen Windkunst zu leisten, verpflichtete sich L. im Sommer 1685 gegenüber Hzg. Ernst August, die Geschichte des Welfenhauses aus authentischen Quellen darzustellen: eine Aufgabe, die noch schwer auf ihm lasten sollte, besonders als Kf. Georg Ludwig nach 1698 mit Nachdruck auf ihrer Erfüllung bestand. Für seine Annahme eines gemeinsamen Ursprunges der Welfen und der Este fand L. 1688 in Augsburg den ersten urkundlichen Beleg. 1690 stellte er in Modena und der Abtei Vangadizza das Ergebnis sicher. Gleichsam als Parerga dieser Sammel- und Sichtungsarbeit besorgte L. zunächst eine Reihe umfänglicher Quellenveröffentlichungen, so den „Codex juris gentium diplomaticus“ (1693) mit ergänzender „Mantissa“ (1700), die „Accessiones historicae“ (1698-1700) und in drei Bänden die „Scriptores rerum Brunsvicensium“ (1707-11), alles Quellen, die zum Teil bis heute in keiner anderen Ausgabe vorliegen. Diesen Ausgaben stellte er einleitend bemerkenswerte Äußerungen zur Theorie und Methode der Geschichtsschreibung und Quelleneditorik sowie zur Systematik des Natur- und Völkerrechtes voran. Seine genealogischen Forschungen („Origines Guelficae“) brachten erst Scheidt 1751-54 in vier Bänden und Jung 1780 in einem fünften heraus. Die Welfengeschichte selbst, die L. für die Zeit von 768 bis 1005 dargestellt hatte, wurde, da nach L.s Tod seine Auftraggeber jegliches Interesse an ihr verloren, erst von G. H. Pertz aus dem hinterlassenen Manuskript herausgegeben (Annales Imperii occidentis Brunsvicenses, 3 Bde., 1843–46). Sollten diese Annalen vorrangig dem Ansehen des Hauses Braunschweig dienen, so begründete L. mit weiteren historischen Arbeiten die politischen Ansprüche der Welfen; so bereits 1677 mit dem wiederholt gedruckten „Caesarini Fürstenerii de jure suprematus ac legationis principum Germaniae“, der den Hannoveranern eine den Kurfürsten gleichrangige Souveränität und die Beteiligung an der europ. Politik und den Friedensverhandlungen sichern sollte, sowie mit Schriften, die wesentlich zur Erlangung der 9. Kurwürde beigetragen haben. Weiterreichende historische Interessen und methodische Innovationen verband L. mit Arbeiten zur Frühgeschichte der Erde anhand von im Harz gefundenen Fossilien, der „Protogaea“ (im Auszug 1693 in den „Acta Eruditorum“, vollständig erst 1749 erschienen), die er zusammen mit Schriften über den Ursprung der Germanen (1697) und der Franken (1715) seinen „Annales“ voranstellen wollte, sowie in der „Brevis designatio meditationum de originibus gentium ductis potissimum ex indicio linguarum“ (1710), in denen er vergleichende Sprachgeschichte und Etymologie als historische Hilfswissenschaften einsetzte. Überhaupt widmete L. den Sprachen als „Spiegel des Verstandes“ auch neben seinen erwähnten Intentionen zur Schaffung einer berechnenden und berechenbaren „lingua philosophica“ großes Interesse. Seine Studien zur Sprachenvergleichung gipfelten in Hypothesen über Ursprung und Verwandtschaft der Sprachen, die heutigen Auffassungen über die indogerman. Sprachfamilien nahekommen. Besonderes Gewicht legte er auf die Wortbildung und die Namenforschung, sah er doch in den Eigennamen, besonders in den geographischen, die ältesten Zeugnisse einer ursprünglichen Namengebung. Nach franz. Vorbild empfahl er die Anlage dreier Wörterbücher, eines für die Hochsprache, in doppelter (alphabetischer und sachlicher) Anordnung, eines für die Fachterminologien und schließlich eines für die Etymologie, entweder nach den heutigen Wortgestalten oder nach ihren Wurzeln angeordnet. Vier Bände Material für ein solches „Glossarium etymologicum“ liegen noch im Nachlaß. Obgleich sein Interesse auf die Pflege der deutschen Hochsprache gerichtet war und darauf, ihren Wortschatz ohne puristische Ambitionen zu reinigen und durch Wiedereinsetzung versunkener Wörter zu erweitern, legte er großen Wert auf die Erforschung der Mundarten. Hervorgehoben seien die heute noch unveröffentlichte „Epistolaris de historia etymologica dissertatio“ (um 1712) und die von J. G. Eckhart 1717 herausgegebenen „Collectanea|Elymologica“, die auch L.s „Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache“ enthalten, mit denen er um die Jahrhundertwende den alten Plan zur Einrichtung einer „teutschgesinnten Gesellschaft“ wiederaufgriff.

    L. teilte früh das Interesse seiner Zeit für China. Als er 1689 in Rom C. F. Grimaldi begegnete, einem Angehörigen der Jesuiten-Mission in China, faßte er in 30 Fragen zusammen, was er von der chines. Sprache, Kultur, Wissenschaft und Technik zu erfahren hoffte, angefangen bei der Schrift, über die Seidenraupen und den Ginseng bis zur Chirurgie, zur Kriegskunst und zum Bergbau. Mit weiteren Mitgliedern dieser Mission blieb er in regem Briefwechsel. Ungeduldig erwartete er die „Clavis Sinica“, die ihr Autor A. Müller jedoch unvollendet vernichtete. 1697 und erweitert 1699 gab er als „Novissima Sinica“ eine informative Sammlung aktueller Briefe und Berichte heraus. Noch 1713 äußert er sich brieflich ausführlich über die natürliche Theologie der Chinesen.

    Im Auftrage des Hzg. Ernst August hat L. zusammen mit Gerhard Molanus, dem Abt von Loccum, seit 1683 an Verhandlungen zur Reunion der christlichen Konfessionen teilgenommen. Auf kath. und kaiserl. Seite waren daran der Bischof von Wiener-Neustadt Christóbal Rojas y Spinola und später dessen Nachfolger Franz Anton Gf. v. Buchhaim beteiligt. L. empfahl, die Disputationen zu beenden und sich der Autorität eines einzuberufenden, wirklich ökumenischen Weltkonzils zu unterwerfen. Unermüdlich verfaßte er Denkschriften und wechselte Briefe, so mit dem konvertierten Landgf. Ernst von Hessen-Rheinfels, mit dem einflußreichen Bischof von Meaux, J.-B. Bossuet, und mit P. Pellisson-Fontanier. Letzterer ließ seinen Briefwechsel mit L. unter dem Titel „De la tolérance de la religion“ 1691 erscheinen und wiederholt auflegen. Insgesamt blieben diese Bemühungen ohne Ergebnis, sie paßten letztlich nicht in das Konzept der großen Politik. Resignierend hielt L. sein wohl 1686 vom Standpunkt eines Katholiken verfaßtes „Examen religionis christianae“, das seit 1820 in deutscher Übersetzung als „System der Theologie“ bekannt wurde, zurück. Erfolgreicher waren, wenn auch nicht mehr zu seinen Lebzeiten, die mit dem Berliner Prediger D. E. Jablonski seit 1698 geführten Gespräche zur Union der luth. und ref. Kirchen in Preußen.

    L.s politisches und diplomatisches Wirken blieb überhaupt durch Stand und Stellung beschränkt auf Beratung und Publizistik. Trotz großem Einsatz und selbstlosen Ambitionen blieb es weit hinter seinen wissenschaftlichen Leistungen zurück, bedingt nicht zuletzt durch die politischen Kräfteverhältnisse und divergierenden Partikularinteressen. L. stellte immer wieder die Situation des Reiches dar und erwog, wie die Politik Ludwigs XIV. durch Allianzen zu schwächen sei, wie aber auch durch Frieden mit Frankreich die Kräfte gegen die anstürmenden Türken freigesetzt werden könnten. Der 1684 anonym erschienene „Mars Christianissimus“ ist eine leidenschaftliche Satire gegen die Aggressionspolitik des Sonnenkönigs. Weitere Denkschriften galten dem span. Erbfolgestreit und der Anwartschaft seiner Gönnerin, der Kfn. Sophie auf die engl. Thronfolge, die ihr Sohn Georg Ludwig 1714 auch antrat. L.s Gedanken zur Prinzenerziehung, die er direkt am preuß. und sächs. Hof geltend zu machen versuchte, blieben ohne Wirkung. In zahllosen Entwürfen ließ er im Sinne seiner Definition des Staates als einer „großen Vergesellschaftung mit dem Zwecke der allgemeinen Sicherheit“ kaum etwas unberücksichtigt, was sein erfinderischer Geist als dem „allgemeinen Besten“ dienlich ansehen mußte, angefangen bei der Staatsverwaltung, dem Münz-, Währungs-, und Besoldungswesen, der Einrichtung einer Medizinalbehörde und eines statistischen Amtes, insbesondere auch der Einführung von öffentlichen Lebensversicherungen. Hinterbliebenenrenten und Armenkassen, sowie der Besteuerung oder Verstaatlichung bestimmter Handelszweige und Manufakturen und der Förderung gemeinnütziger Institutionen durch Lotterien bis hin zur Erörterung von Arbeitsplatzproblemen, die bereits damals die fortschreitende Ersetzung der Handarbeit durch Maschinen aufwarf. Er machte Vorschläge zur Einrichtung eines zentralen Reichsarchivs, und zum Abschluß eines Reichskonkordates zur Wahl der Bischöfe, aber auch solche praktischer Art, etwa zur Beleuchtung der Stadt Wien mit Rübsamenöl und zur Seidenraupenzucht als Finanzquelle für die Berliner Akademie In Italien stellte er 1689 unterwegs aus dem Gedächtnis eine umfassende Liste der zur Einrichtung einer Universalbibliothek benötigten Bücher zusammen. Er entwarf Fragebögen für die Missionare in China und später für Peter den Großen zur Erkundung fremder Sprachen und Kulturen, begriff als erster 1690 den Zusammenhang von Luftdruck und Wetter, entwarf auch 1702 das erste Aneroid-Barometer und sammelte Daten für ein magnetisches Modell der Erdkugel mit Eintragung der Abweichungen der Magnetnadel zur Bestimmung der Breitengrade auf See. Hier kann nur einiges genannt werden. Der Tag war ihm, wie er klagte, oft nicht lang genug, das, was ihm beim Aufwachen einfiel, auch nur aufzuschreiben.

    L. verstand sich als Autodidakt, als ein Vielleser mit Vorliebe für Lektüre, die den eigenen Gedanken genügend Raum läßt, stets mehr darauf bedacht, zu verwerten als zu verwerfen. Er war wohl die vielseitigste Gestalt der deutschen Geistesgeschichte im 17. Jh.; ein Gelehrter, dem nichts Wissenswertes fremd blieb, der aber nicht als Polyhistor das Wissen um des Wissens willen ansammelte, sondern es stets mit der Praxis verbinden wollte. Der Preis dieser Vielseitigkeit war Unruhe, wenn nicht Verzettelung, die ihren Grund in seinem Streben nach Positionen hatte, die ihm angemessene Möglichkeiten zur Verwirklichung seiner großen Pläne einräumten; denn trotz seines Ansehens in der Gelehrtenwelt blieb er stets in Abhängigkeiten, die ihn zur Rücksichtnahme, wenn nicht gar zur Untätigkeit zwangen, aus Angst, etwas zur Unzeit angegangen zu haben.

    Dennoch hat L. entscheidend in die Neuzeit hineingewirkt und hätte, wäre er nicht so sehr seiner Zeit voraus gewesen, das noch stärker tun können. Die wesentlichen Grundlagen der Computertechnik beispielsweise, so die Rechenmaschine – sogar die dyadische –, die Dyadik selbst, der infinitesimale und der logische Kalkül (Schaltalgebra), die Kombinatorik und die Wahrscheinlichkeitsrechnung, der Umgang mit Näherungswerten und nicht zuletzt die Charakteristik und Begriffsanalyse sind von ihm entdeckt oder entscheidend weiterentwickelt worden. Was L. zur Analyse der Sätze erfand, braucht man heute, um sie zu verschlüsseln (Gödelisierung). Bei aller Modernität vertrat L. noch – derartig umfassend wohl als Letzter – die Ideale der Scholastik, wenn er den Versuch machte, den Glauben, die Theologie in den Mittelpunkt zu stellen –, selbst die Mathematik will er nur um ihretwegen betrieben haben – einen Versuch, alles Wissen, alle Betätigung letztlich auf das Ziel der ewigen Glückseligkeit auszurichten. Wenn er auch das irdische Wohl darüber nicht geringschätzte, so sah er den Menschen doch stets als homo viator (Hochstetter), und er hat unermüdlich versucht, dieses Bewußtsein in seiner Zeit wach zu halten.

    L. verbreitete seine Gedanken mehr durch eine umfangreiche Korrespondenz – sie umfaßt über 15 000 Briefe an und von mehr als 1 000 über ganz Europa bis hin nach China verteilten Adressaten – als durch die gut 300 Schriften, die er oder seine Zeitgenossen größtenteils in Form von Aufsätzen und Rezensionen herausgaben. Diese vergleichsweise wenigen Publikationen machen nur einen Bruchteil dessen aus, was L., zumeist als Fragment, in die Schubladen verbannte. So wurde sein Werk zum größten Teil erst postum in einem immer wieder abgebrochenen und bis heute nicht abgeschlossenen Prozeß im Druck zugänglich gemacht, obgleich sein Nachlaß, der heute in der Niedersächs. Landesbibliothek in Hannover liegt, vorzügliche Aufschlüsse geben kann über die Werkstattarbeit eines großen Geistes. „Wenn es nach mir ginge“, hat Lessing gesagt, „müßte L. nicht eine Zeile vergebens geschrieben haben“. Dennoch liegt eine Gesamtausgabe seiner Schriften und Briefe bis heute nicht vor. Ansätze dazu unternahmen G. H. Pertz zusammen mit C. L. Grotefend u. C. I. Gerhardt (12 Bde., 1843–63, davon 4 Geschichte, 1 Philosophie u. 7 Mathematik), O. Klopp (11 Bde., 1864–84, Hist.-polit. u. staatswiss. Schriften) und A. Foucher de Careil (7 Bde., 1859–75). L. Dutens faßte in seiner Ausgabe (Opera omnia, 6 Bde., 1768) das damals bereits Gedruckte, wenn auch nicht vollständig, so doch angereichert durch einige Briefwechsel aus den Originalen systematisch geordnet zusammen. Auch J. E. Erdmann (Opera philosophica omnia, 1 Bd., 1840) erfüllte, trotz der Aufnahme von Inedita, diesen Anspruch bei weitem nicht. Erheblich darüber hinaus ging erst C. I. Gerhardt (Die phil. Schriften, 7 Bde., 1875–90). Hinzu kamen vor allem L. Couturat (Opusc. et fragm. inédits, 1903) und G. Grua (Textes inédits, 2 Bde., 1948), deren Schwerpunkte in der Logik bzw. in der Theologie und Jurisprudenz liegen. Die erste vollständige historisch-kritische Ausgabe ist die der Preuß. Akademie der Wissenschaften, heute Akademie der Wissenschaften der DDR, die von ihrer Arbeitsstelle in Berlin (Ost) zusammen mit dem Leibniz-Archiv der Niedersächs. Landesbibliothek Hannover und der Leibniz-Forschungsstelle der Univ. Münster, beide neuerdings unter Aufsicht der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, bearbeitet wird („Sämtliche Schriften und Briefe“, 1923 ff., bisher erschienen 19 Bde. in 7 Reihen, etwa ein Viertel des Gesamtumfangs). Die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft e. V. fördert mit internationalen Kongressen und Symposien und mit den „Studia Leibnitiana nebst „Supplementa“ die Erforschung seines Werks und seiner Wirkung.

  • Literatur

    Zur Biographie: ADB 18;
    E. Hochstetter, Zu L.s Gedächtnis, Eine Einleitung, 1948;
    W. Totok u. C. Haase (Hrsg.), L., Sein Leben - sein Wirken - seine Welt, 1966;
    K. Müller u. G. Krönert, Leben u. Werk v. G. W. L., Eine Chronik, 1969. -
    Kataloge d. in Hannover befindl. L.-Hss. u. d. L.-Briefwechsels, bearb. v. E. Bodemann, 1889 u. 1895. - Bibliographien:
    E. Ravier, Bibliogr. des oeuvres de L., 1937;
    K. Müller, L.-Bibliogr. 1967, u. d. T. Die Lit. üb. L. bis 1980, hrsg. v. A. Heinekamp, 1984 (wird seit 1969 jährl. ergänzt in Studia Leibnitiana);
    W. Totok, in: Hdb. d. Gesch. d. Philos. IV, 1981, S. 297-374;
    K. D. Dutz, Zeichentheorie u. Sprachwiss. b. G. W. L., Eine krit. annotierte Bibliogr. d. Sekundär-Lit., 1983. -
    Pogg. VII a Suppl.;
    Dict. of Scientific Biogr. VIII, 1973;
    Enz. Philos. u. Wissenschaftstheorie II, 1984. - Zur Familie:
    E. Kroker, L.s Vorfahren, in: Neues Archiv f. sächs. Gesch. 19, 1898, S. 315-38;
    - zu V Friedrich:
    W. Stieda, in: Berr. u. Verhh. d. Sächs. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Kl., 69, 1917.

  • Porträts

    Ölgem. v. C. B. Francke, um 1695 (Braunschweig, Hzg.-Anton-Ulrich-Mus.);
    v. A. Scheits, 1703 (Wolfenbüttel, Hzg.-August-Bibl.), Abb. in: Die Gr. Deutschen im Bild, 1937, danach Kupf. v. M. Bernigeroth, 1703;
    v. J. F. Wentzel d. Ä., um 1711 (Berlin, Ak. d. Wiss.), Abb. ebd.;
    Abb. v. diesen u. weiteren Bildnissen in: H. Graeven u. C. Schuchardt, L.s Bildnisse, 1916, u. L. Schreiner, L. im Bilde s. Zeit, in: Totok u. Haase, s. L, S. 65-82;
    Büste v. Ch. Hewetson, 1719 (Hannover, L.-Tempel), Abb. ebd.;
    v. G. Schadow, 1808 (Regensburg, Walhalla), Abb. ebd.;
    Denkmal (Leipzig, Univ.), Abb. b. W. Seidel, G. W. L., 1976.

  • Autor/in

    Heinrich Schepers
  • Zitierweise

    Schepers, Heinrich, "Leibniz, Gottfried Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 121-131 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118571249.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Leibniz: Gottfried Wilhelm L., geb. in Leipzig am 21. Juni alten Stiles, d. h. 1. Juli neuen Stiles, 1646, am 14. Novbr. 1716, war einer aus Polen stammenden Familie entsprossen, deren Glieder bald Leubnizii bald Lubenieczii hießen; sein Vater nannte sich Leibnütz, er selbst schrieb seinen Namen auf dem Titelblatte seiner Erstlingsschrift (1663) Leibnuzius, auf jenem einer zweiten (1666) Leibnüzius, hierauf später in lateinischer Form ausnahmslos Leibnitius, in deutscher Form nur einige Male „Leibnitz“, sonst immer „Leibniz“. Den Vater, welcher Notar und Professor der Moral war, verlor L. schon früh durch den Tod (September 1652), seine Mutter, welche im Februar 1664 starb, war eine Tochter des Professors der Jurisprudenz, Wilh. Schmuck, beide Eltern hegten und bethätigten eine fromme Gesinnung. Schon in seinen Knabenjahren, in welchen er die Nicolaischule besuchte, zeigte er eine frühreise hervorragende Begabung, und als er (1654) den Zutritt in die von seinem Vater hinterlassene Bibliothek erkämpft hatte, begann er dieselbe planlos zu verschlingen, wobei von ihm aus dem Umkreise der antiken Litteratur hauptsächlich die Prosaiker und unter den Dichtern Virgilius benützt, aber auch reichlich die Kirchenväter beigezogen wurden; eine Probe seiner Gewandtheit legte er einmal (1659) dadurch ab, daß er zum Erstaunen seines Lehrers an Einem Tage 300 lateinische Hexameter anfertigte. Im letzten Jahre der Gymnasialstudien warf er sich mit Eifer auf Logik, besonders auf die Lehre von den Kategorien und von der logischen Eintheilung, wobei ihm im Hinblicke auf die Forderung gewisser Ordnungsfächer aller Begriffe bereits damals die Idee eines „Alphabetes“ der menschlichen Gedanken auftauchte; desgleichen hatte er schon in dieser frühen Altersstufe in Folge der Lectüre theologischer Controversschriften Anwandlungen zu Versuchen einer Friedensstiftung. Noch nicht 15 Jahre alt ging er zu Ostern 1661 an die Universität seiner Vaterstadt über, wo er auf Wunsch seiner Verwandten sich als Jurist inscribirte, aber auch philosophische und mathematische Vorlesungen hörte; im Gebiete der Philosophie wirkte auf ihn einflußreich Jakob Thomasius (der Vater des berühmteren Christian Thomasius), ein anregender Aristoteliker, welcher auch als der erste die damals noch nicht gepflegte Geschichte der Philosophie vertrat. Der jugendliche L. versenkte sich nun gleichzeitig in das Studium des Aristoteles und in jenes des Cartesius, wodurch in seiner Seele zwischen diesen beiden Grundanschauungen ein Kampf erwuchs, welchen er einmal auf einem einsamen Spaziergange zu Gunsten des Cartesianismus entschied, d. h. es siegte in ihm vorerst die mechanische Erklärung des natürlichen Universums, und er war hiermit auf den Weg zur Mathematik gewiesen. In üblicher Weise machte er nach zweijährigem Studium sein philosophisches Baccalaureatsexamen und vertheidigte am 30. Mai 1663 unter dem Vorsitze des Thomasius seine gedruckte *)Nur jene Arbeiten Leibniz', bei welchen ich ausdrücklich von „Druckveröffentlichung“ oder von „Erscheinen“ u. dgl. spreche, hat er selbst zum Drucke gebracht, alle übrigen, sowie natürlich die zahlreichen Briefe, sind uns erst durch die verschiedenen Sammelausgaben aus dem in Hannover befinlichen handschriftlichen Nachlasse kund geworden. „Disputatio metaphysica de principio individui“, welche mit Leibniz' späterer Monadenlehre nichts zu schaffen hat, sondern nur ein in der Scholastik unzähligemale besprochenes Thema (das sog. principium individuationis) betrifft und sich hiebei auf die Seite der sog. Nominalisten stellt (eine der beigefügten Disputationsthesen spricht die Unechtheit der Briefe des Phalaris aus). Unmittelbar hierauf begab er sich nach Jena, wo er bis zum Herbste 1663 verweilte, um bei dem Mathematiker Erhard Weigel zu hören, welcher excentrische Mann in seiner Wissenschaft durchaus nicht auf der Höhe der Zeit stand, aber alle wissenschaftlichen Gebiete mathematisch zu systematisiren gedachte und als erfinderischer Streber in Projectenmacherei das Möglichste leistete. Zurückgekehrt nach Leipzig erhielt L. am 26. Januar 1664 die philosophische Magisterwürde und zur Disputation behufs der Erlangung aller Rechte eines Magisters (6. Dec. 1664) veröffentlichte er „Specimen difficultatis in iure seu quaestiones philosophicae ex iure collectae“, womit als Gegenstück die Druckschrift „De conditionibus, specimen certitudinis in iure“ zusammenhängt, welche er am 14. Juli 1665 unter dem Vorsitze Schwerdendorffer's vertheidigte, um das juristische Baccalaureat zu erwerben. Der damals übliche Weg, in das akademische Lehramt einzutreten, forderte es, daß er in der philosophischen Facultät „pro loco disputirte“ (am 7. März 1666), wobei er eine „Disputatio arithmetica, de complexionibus“ schrieb, deren Inhalt die ersten Blätter seiner noch im gleichen Jahre gedruckten „Dissertatio de arte combinatoria“ bildet. In dieser Schrift nun führte er einen Grundgedanken aus, welcher ihn fortan neben aller verschiedenartigsten Thätigkeit stets beseelte; nämlich er beabsichtigt unter ausdrücklicher Anknüpfung an Raimundus Lullus und Athanasius Kirch er eine Zurückführung zusammengesetzter Begriffe auf einfache, welch' letztere durch passende Charaktere auszudrücken seien und in solcher Form durch manigsache Combination und Permutation wieder zur Entdeckung neuer Wahrheiten benützt werden|können, so daß sich eine „ars inveniendi et iudicandi“ ergebe und mittelst eines „filus meditandi“ eine tabellarische Schematisirung aller Wissenschaften ermöglicht sei (so liegen hier Encyclopädie, allgemeine Zeichensprache und, wenn man will, selbst eine erste Veranlassung des späteren Algorithmus bereits im Keime vov); als Anhang fügte er einen mathematischen Beweis für das Dasein Gottes hinzu. Während er hierauf im Herbste 1666 auch in der juristischen Facultät den Doctorgrad zu erwerben wünschte, glaubte dieselbe, da gleichzeitig mehrere ältere Bewerber sich einfanden, ihn als den jüngsten zu einem späteren Promotionsacte zurückstellen zu müssen; L. aber nahm dieses berechtigte Verfahren der Facultät in unschöner Empfindlichkeit übel auf und verließ seine Vaterstadt für immer. Zunächst begab er sich an die Universität Altorf, wo er auf Grund einer gedruckten Dissertation „De casibus perplexis“ (die sog. juristische Logik betreffend) am 5. Novbr. 1666 zum Doctor beider Rechte promovirt wurde und dabei einen so hohen Grad von Kenntnißreichthum und Gewandtheit zeigte, daß man ihm sofort eine außerordentliche Professur anbot. Er lehnte jedoch ab und ging nach Nürnberg, wo er einmal (Anfang 1667) eine Vereinigung des Ordens der Rosenkreuzer traf und durch einen litterarischen Witz, d. h. eine Zusammenstellung unverständlicher alchymistischer Redensarten, die Stelle eines Secretärs dieser Gesellschaft erhielt. Wichtiger aber und entscheidend für sein ganzes Leben war eine andere Bekanntschaft, durch welche er auch alsbald jener unwürdigen Stellung entrissen wurde. Nämlich im März 1667 war Joh. Christ. von Boineburg, ehemaliger Minister des Kurfürsten von Mainz (s. Allg. d. Biogr. Bd. III, S. 222) nach Nürnberg gekommen; derselbe hatte als Minister im Auftrage seines Herrn eine Vermittelung zwischen Oesterreich und Frankreich angestrebt und war, da er die von letzterer Seite drohende Gefahr durchschaute, schließlich (1664) vom Kurfürsten fallen gelassen worden, kehrte auch, obwol bald eine andere Wendung eingetreten war, nicht mehr in die Dienste desselben zurück, verblieb aber fortan in inniger Berührung mit dem mainzer Hofe; außerdem hatte er im Sinne des Kurfürsten stets an den Bestrebungen thätigen Antheil genommen, welche damals auf Vereinigung der christlichen Confessionen gerichtet waren (er selbst war 1656 zum Katholicismus übergetreten). Dieser Mann nun, welcher ein lebhaftes Interesse für alle geistigen Bewegungen jener Zeit hegte, lernte in Nürnberg zufällig unseren L. kennen und durchschaute sofort die hervorragende Begabung desselben, so daß er ihn einlud, mit ihm nach Frankfurt a. M. zu gehen; hiermit aber war für L. die Einführung sowol in gelehrte Kreise als auch in die hohe europäische Politik und in kirchengeschichtliche Fragen angebahnt. Von Frankfurt aus, wo er mit Boineburg noch im März 1667 eintraf, ging er einige Monate später nach Mainz, und um sich beim dortigen Kurfürsten (Joh. Philipp v. Schönborn) einzuführen, widmete er demselben eine Schrift, welche er auf der Reise nach Altorf rasch entworfen hatte, nämlich „Methodus nova discendae docendaeque iurisprudentiae cum subiuncto catalago desidsratorum in iurisprudentia“ (anonym gedruckt 1668). In derselben giebt er der Rechtswissenschaft einen theokratischen Hintergrund, so daß im Hinblicke auf das im Reiche Gottes waltende Recht und Gesetz in der „allgemeinen“ Jurisprudenz auch die Theologie enthalten sei; die „besondere“ theilt er in eine positive, eine historische, eine exegetische und eine polemische, und in dem Anhange, in welchem er an Bacon's Schrift De augmentis scientiarum anknüpft, spricht er den Wunsch aus, daß bei künftiger Gesetzgebung das einheimische Recht zur Geltung komme, sowie daß das Rechtsstudium überwiegend auf die Praxis gerichtet werde. Als im folgenden Jahre Boineburg selbst nach Mainz kam, begann für L. eine ausgedehnte und vielseitige Thätigkeit, da er von seinem Gönner in allen möglichen Angelegenheiten in Anspruch genommen|wurde. Zunächst wurde er aufgefordert, dem Andreas Lasser, welcher mit einer Verbesserung des römischen Rechtes beauftragt war, an die Hand zu gehen, und so erschien als gemeinschaftliche Arbeit beider ein Druckbogen „Ratio corporis iuris reconcinnandi“ (1668); sodann verfaßte er für Boineburg eine Widerlegung der berühmten von Pufendorf (unter dem Pseudonym Severinus de Monzambano) im J. 1667 veröffentlichten Schrift De statu imperii germanici; ferner durch die Abneigung, welche Boineburg gegen Freigeisterei hegte, wurde L. (noch 1668) veranlaßt, einen Aufsatz über das Dasein Gottes zu schreiben (gedruckt 1669 unter dem Titel „Confessio naturae contra atheistas“ als Anhang zu Th. Spizelius, De atheismo eradicando) wobei der Beweisgrund darin liegt, daß den Körpern nur Beweglichkeit zukomme, also als Ursache der wirklichen Bewegung ein unkörperliches Wesen angenommen werden müsse, woran sich dann auch ein Kettenschluß für Unsterblichkeit der Seele anreiht. Der realen Politik gehört ein Gutachten „De foedere Rhenano“ an, welches L. abgab, als (1668) der Kurfürst von Mainz aus Argwohn gegen Ludwig XIV. ein Bündniß mit Trier und Lothringen schloß, aber auf Boineburg's Rath der von Holland, England und Schweden geplanten Tripelallianz fern blieb. Als es sich im September 1668 um die Besetzung des polnischen Thrones handelte, wandte sich auf den Rath des Kurfürsten von Brandenburg der Pfalzgraf Philipp Wilhelm von Neuburg als Bewerber um jene Königswürde an Boineburg, welchem er zugleich antrug, als sein Gesandter zum polnischen Reichstage abzugehen, und da letzterer diesen (bekanntlich erfolglosen) Auftrag annahm, verfaßte für ihn L. unter dem Pseudonym Georgius Ulicovius Lithuanus die Schrift „Specimen demonstrationum politicarum pro rege Polonorum eligendo“ (auf dem Titel des Druckes steht fingirt „Vilnae 1659“, in Wahrheit ist sie gedruckt in Danzig 1669). Unter der vortrefflich durchgeführten Maske eines polnischen Edelmanns wendet er sich dabei mittelst einer förmlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung der Politik zunächst gegen den Prinzen Condé als Candidaten Frankreichs, ebenso aber auch gegen Rußland, und bezeichnet es als das richtige, daß Polen als Vormauer Deutschlands und der Christenheit von einem deutschen Fürsten regiert werde. Zur nämlichen Zeit hegte er den Wunsch, sich durch ein litterarisches Unternehmen eine selbständige Stellung zu schaffen, und zu diesem Behufe ging einerseits ein von ihm niedergeschriebener „Vorschlag, die Direction des deutschen Bücherwesens an Kur-Mainz zu ziehen“, sowie der Entwurf „De vera ratione reformandi rem literariam“, auf eine möglichste Centralisation des Buchhandels mit dem ausgesprochenen Hintergedanken einer auf Encyclopädie abzielenden litterarischen Societät, und anderseits knüpfte er hieran den Plan einer halbjährigen Zeitschrift, in welcher alle erscheinenden Druckschriften durch Auszüge oder durch Kritik besprochen werden sollten. Für diese „Semestria literaria“ oder „Nucleus librarius“ bewarb er sich durch eine an Leopold I. gerichtete Bittschrift (1668) um ein kaiserliches Privilegium, wobei er zur Begründung ein „Consilium de literis instaurandis condeudaque encyclopaedia“ beifügte. Er betrieb die Sache in Wien auch durch Briefe an den Bibliothekar Lambecius und an Gudenus, sandte sodann 1669 abermals eine Denkschrift „Nuclei librarii semestralis utilitas, imo necessitas“ an den Kaiser, ja auch Boineburg, welcher sich für die Angelegenheit interessirte, schrieb an Lambecius und an den Vicekanzler Grafen Königseck, aber es erfolgte in Wien kein günstiger Entscheid, und so mußte der ganze Plan aufgegeben werden. Unterdessen trat an L. auch wieder eine theologische Aufgabe heran; nämlich der freisinnige Kurfürst Karl Ludwig in Mannheim (derselbe, welcher auch dem Spinoza einen Lehrstuhl an der Heidelberger Universität anbot) hatte den Socinianern, welche durch König Johann Kasimir aus Polen verbannt worden waren, seine Zuflucht in Mannheim gewährt, wohin auch der Prediger derselben, Wissowatius, kam, welcher antitrinitarische Schriften veröffentlichte. Und da nun sowohl Boineburg als auch Phil. Jak. Spener, welcher damals von Frankfurt öfter nach Mainz kam, dieser Anorthodoxie entgegenzutreten wünschten, veranlaßten sie L. zur Abfassung der Schrift „Defensio trinitatis per nova repsrta logica s. responsio ad obiectiones Wissowatii“ (gedruckt 1669), worin er eigentlich nur negativ vom logischen Standpunkte aus Fehlschlüsse der Gegner aufzudecken suchte. Wahrscheinlich fallen in diese Zeit auch einige kleinere Manuscripte, so zunächst „Bedenken, welchergestalt den Mängeln des Justizwesens in theoria abzuhelfen“, woselbst er vorschlägt, einen ganz kurzen Ueberblick des Rechtes nach Art einer Landkarte zu entwerfen und in einem Nucleus die Gesetze in kürzestem Wortlaute zusammenzufassen; ferner „Von den Privilegien des Erzhauses Oesterreich“ und „Quanti sit momenti, imperium esse apud domum Austriacam“, woran wir seinen etwas früheren Ausspruch knüpfen können, daß, wenn auch Deutschland keinen Virgilius habe, doch nach Niederwerfung des Erbfeindes sich ein Epos erwarten lasse, welches eine Austriade sein werde. Auch der kleine Aufsatz „De affectibus“ dürfte ohngefähr um diese Zeit geschrieben sein; jedenfalls aber ist aus einem Briefe (April 1669) an Jac. Thomasius, mit welchem er seit seiner Universitätszeit in Correspondenz geblieben war, ersichtlich, daß er bereits sich vom Cartesianismus abgewendet hatte und bei Hinneigung zu Aristoteles auf eigene Gedanken über den Begriff der Bewegung gerieth. Gegenüber diesem brieflichen Selbstbekenntnisse darf die Abhandlung „De vita beata“, welche etwa gleichzeitig sein mag, nicht als Zeugniß für eine cartesianische Richtung Leibniz' benützt werden, denn während sie allerdings aus einzelnen Stellen des Descartes zusammengetragen ist, folgt bei Leibniz' häufiger Gewohnheit, zu eigener Belehrung manigsache Auszüge zu machen, aus dem Excerpte noch keineswegs eine Zustimmung. Gegen Ende 1669 veranlaßte ihn Boineburg, eine neue Ausgabe der Schrift des Marius Nizolius, „De veris principiis et vera ratione philosophandi“ (1553) zu veranstalten, und dieselbe erschien 1670 mit einer Epistola ad Thomasium und einer einleitenden Dissertatio de stilo philosophico Nizolii (in einer 2. Aufl. 1674 unter dem Titel Antibarbarus philosophicus), worin L. als Erfordernisse des philosophischen Stiles überhaupt Klarheit, Wahrheit und Eleganz bezeichnet und auf die hieraus bezüglichen Vorzüge der deutschen Sprache hinweist. Ein Briefwechsel mit Oldenburg (welcher in London als Consul der Stadt Bremen gelebt hatte, dann aber 1663 Secretär der Royal Society gewerden war und bekanntlich in regstem Verkehre mit Spinoza stand) ergab sich dadurch, daß 1669 in den Philosophical Transactions zwischen Huygens und Wren ein Streit über das Princip der Bewegung geführt wurde, worüber um 1670 L. seine eigene Ansicht mittheilte. In einem der Briefe legte er (1670) auch ein Schreiben an Hobbes bei, worin er das nämliche Thema nicht ohne Zustimmung besprach, während er mit ihm bezüglich der Lehre vom Staate nicht einverstanden sein konnte. Auch an Spinoza richtete er im gleichen Jahre einen Brief, welcher jedoch nicht die Philosophie betraf, sondern als „Notitia opticae promotae“ den Gedanken enthielt, daß mittelst einer neuen Form der Linse ein Fernrohr construirbar sei, welches zugleich als Distanzmesser diene. Etwa um diese Zeit dürfte der Aufsatz geschrieben sein: „Bedenken von Aufrichtung einer Akademie oder Societät in Teutschland zu Aufnahme der Künste und Wissenschaften“ nebst einem als „Grundriß eines Bedenkens etc.“ bezeichneten Auszuge; er nimmt dabei den schon betreffs der Semestria gefaßten Gedanken wieder auf und führt ihn in deutsch-patriotischer Gesinnung mit theologisirendem irenischen Hintergrunde näher aus. Nachdem L. im Juni 1670 durch Boineburg's Vermittelung die Stelle eines Rathes am Ober-Revisions-Collegium zu Mainz (d. h. am höchsten Gerichtshofe des Kurfürstenthums) erhalten hatte,|wurde er lebhafter in die Politik beigezogen. Indem nämlich zwischen den zunächst interessirten rheinischen Höfen eine Meinungsverschiedenheit darüber bestand, ob gegen Ludwig XIV. mehr ein aggressives oder ein zuwartendes Verhalten einzuschlagen sei, traten Mainz und Trier zu einer Conferenz in Schwalbach zusammen (Juli 1670), wozu neben Boineburg auch L. eingeladen wurde. Dort verfaßte letzterer in voller Uebereinstimmung mit seinem Gönner in den drei Tagen vom 6. bis 8. August das „Bedenken, welchergestalt securitas publica interna et externa et status praesens im Reich jetzigen Umständen nach auf festen Fuß zu stellen“, worin er sich gegen einen Eintritt in die Tripelallianz (Holland, England, Schweden) erklärt, vorläufig gutes Vernehmen mit Frankreich empfiehlt, aber zugleich fordert, daß zur Gewährleistung des westfälischen Friedens die Reichsstände und auch der Kaiser (nicht als solcher, sondern) als Reichsstand in eine „teutsch-gesinnte Union“ mit wechselndem Directorium zusammentreten sollen, um für Wohlfahrt zu sorgen und Schäden abzustellen. Und nachdem (25. August) Lothringen von den Franzosen überfallen worden war, fügte er am 2. November dem „Bedenken“ einen zweiten Theil hinzu, welcher zunächst sich an Hollands Thatkraft wendet, sodann aber neuerdings das deutsche Schutzbündniß in Form einer „Partikular-Union“ der bedrohten Reichsstände als unerläßlich nothwendig erweist, wobei Deutschland als das Hauptglied Europa's und der Kaiser als Anwalt der Christenheit bezeichnet wird, woneben für Frankreich sehr wohl eine ruhmvolle Aufgabe im Oriente liegen könne. Im Zusammenhange damit stand eine kleinere Denkschrift „Zur Aufrechthaltung des westphälischen Friedens“ (1670) und im Auftrage des Kurfürsten von Mainz zwei Gutachten über jenen Paragraphen dieses Friedens, welcher mit den Worten „Et ut eo sincerior“ beginnt (1671); die Allianz aber, welche L. empfohlen hatte, kam thatsächlich 1671 zwischen dem Kaiser, Mainz, Trier, Münster und Sachsen zu Stande. Zu Anfang des J. 1671 führte L. einmal mit Boineburg, welcher stets ein warmes Interesse für theologische Fragen bewahrte, ein längeres Gespräch über das Abendmahl und die hiemit zusammenhängende Spaltung der Confessionen, wobei die irenischen Pläne beider mitspielen mußten, und auf Boineburg's Wunsch richtete L. hierüber einen sehr ausführlichen Brief an den Jansenisten Anton Arnauld, welcher seit 1668 wieder in Paris lebte. L. nimmt dabei an, daß durch die cartesianische Auffassung der Materie als Ausdehnung sowohl der katholische als auch der protestantische Standpunkt in der Abendmahlsfrage verneint werde, und findet seinerseits, daß Bewegung das Wesen des Körpers und auch das Wesen des Denkens ist, welche beide unabhängig von Ausdehnung in der „Substanz“ punctuell vereinigt sind (erster Keim der Monadenlehre), was, wie er meint, beide Confessionen zugestehen könnten. Unterdessen hatte er seine Auffassung der Bewegung selbst näher ausgeführt, wovon er die Grundzüge bereits im December 1670 brieflich an Thomasius mittheilte, und im J. 1671 erschien seine „Hypothesis physica nova“ in zwei Theilen, deren ersten „Theoria motus concreti“ er der Royal Society, sowie den zweiten „Theoria motus abstracti“ der Pariser Akademie widmete; der Kern derselben ist, daß Denken und Bewegung die zwei letzten Ursachen alles Seienden sind, und daß in der Körperwelt aus Einer Bewegung alle übrigen erklärt werden müssen, jene Eine aber in der Axendrehung der Erde vorliegt, welche durch einen Weltäther als letztes bewegendes Princip hervorgerufen wird; im zweiten Theile berührte er auch bereits die Geometrie des Untheilbaren und die Arithmetik des Unendlichen. Den ganzen Inhalt dieser Schrift legte er (1671) auch in einem ausführlichen Briefe an den in Rom lebenden Honoratus Fabri dar, betreffs des Weltäthers aber kam er in Correspondenz mit Otto v. Guericke, dem Erfinder der Luftpumpe (s. Allg. d. Biogr. Bd. X, S. 93), welcher für das Bestehen eines leeren Raumes stritt. Aus einem gleichzeitigen Briefe Oldenburg's an L. (Mai 1671) geht hervor, daß letzterer allen Ernstes glaubte, das Perpetuum mobile erfunden zu haben, während ersterer ihn zur Vorsicht und zur Erkundigung bei Fachmännern mahnte (übrigens beschäftigten sich damals mit diesem Problem gar manche bedeutende Leute). Im gleichen Jahre begann sein brieflicher Verkehr mit Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg (s. Allg. d. Biogr. Bd. XIV, S. 178 ff.), an welchen ihn bereits 1669 der dänische Resident in Hamburg Habbeus v. Lichtenstern empfohlen hatte. L. schrieb (1671) dem Herzog in größter Ausführlichkeit, was er bisher geleistet habe und was er noch zu leisten gedenke; so erwähnt er die Ars combinatoria, seine juristischen Arbeiten, den philosophischen Inhalt des Briefes an Arnauld und die damit zusammenhängenden Ergebnisse der Hypothesis physica, als künftige Aufgaben aber bezeichnet er mit einiger Ruhmredigkeit ein Alphabet der menschlichen Gedanken, eine Rechenmaschine, Förderung der Optik durch einen tubus diopticus, Erfindungen in Nautik und Hydrostatik, Untersuchungen über das Naturrecht und natürliche und geoffenbarte Religion zum Zwecke einer Vereinigung der Confessionen, wobei er bemerkt, daß er sich mit einem Werke betitelt Demonstrationes catholicae beschäftige (also eine Vorarbeit zum späteren Systema theologicum)) einen an den Herzog gerichteten Aufsatz „De libero arbitrio et divina providentia“ schickte er zugleich an alle namhaften Theologen der verschiedenen Bekenntnisse. Als er im Sommer 1671 von einem Ausfluge nach Straßburg, wo er den daselbst studirenden Sohn Boineburg's besucht hatte, nach Mainz zurückkehrte, nahte für ihn eine wichtige und reichhaltige Lebensperiode heran. Unter den deutschen Fürsten war der Gedanke eines europäischen Krieges gegen die Türken längst nicht neu, und in richtiger Erwägung mußte hiebei Aegypten als der eigentliche Lebensnero der Türkei betrachtet werden; insbesondere aber hegte der Kurfürst von Mainz stets den Plan. Oesterreich und Frankreich zu einem derartigen Zwecke zu vereinigen, jedoch als die Gefahr, welche durch Ludwig XIV. für Deutschland drohte, immer sichtlicher wurde, erhielt die ursprüngliche Idee allmälig die Wendung, daß die Thätigkeit dieses Erbfeindes nach dem Oriente abgelenkt werden solle. In diesem Sinne hatte L. sich bereits in dem „Bedenken, welchergestalt etc.“ geäußert und seitdem auch in Anknüpfung an Baco's Schrift De bello sacro und selbst an Marino Sanuto's Secreta fidelium crucis (geschrieben im J. 1321) dieses Project weiter verfolgt, ja sogar zum Gegenstande eines lateinischen Gedichtes gemacht (December 1670). Somit erschien er als der geeignete Mann, welchem der Kurfürst Johann Philipp im Herbste 1671 den Auftrag ertheilen konnte, eine hierauf bezügliche Denkschrift zu verfassen. Und während in Mainz die Absicht bestanden hatte, daß behufs allgemeiner beruhigender Verhandlungen Boineburg nach Paris gesandt werde, welcher außerdem dort Privatangelegenheiten zu betreiben hoffte, kam man bald zu dem Entschlusse, daß an dessen Stelle L. die Mission an den Hof Ludwigs XIV. übernehme, und der Kurfürst ertheilte demselben gern den nöthigen Urlaub. Die Denkschrift hatte den Titel „Specimen demonstrationis politicae de eo, quod Franciae intersit inpraesentiarum seu de optimo consilio, quod potentissimo regi dari potest“, und um die persönliche Vertretung einzuleiten, stellte L. ganz kurz in französischer und in lateinischer Sprache die Gründe zusammen, durch welche Frankreich vom Kriege gegen Holland abgemahnt werden sollte, wobei die Expedition nach Aegypten den Hintergrund bildete. Diese kleine zweisprachige Schrift schickte Boineburg, mährend die Action gegen Holland bereits begonnen hatte, am 20. Januar 1672 an Ludwig XIV. ohne Nennung des Verfassers, und als der Minister Arnaud de Pomponne am 12. Febr. antwortete, daß der König weitere Eröffnungen gerne sehen werde, erwiderte Boineburg am 4. März daß der Verfasser selbst nach Paris kommen werde. Am 19. März reiste L. mit Beglaubigungsschreiben nach Paris ab, und erst dort vollendete er für den Fall, daß sein mündlicher Vortrag gute Aufnahme fände, die umfangreiche Hauptschrift „De expeditione Aegyptiaca, regi Franciae proponenda Leibnitii iusta dissertatio“. In derselben erörtert er zunächst die Stellung Frankreichs in Europa, dann Aegyptens geographische Lage und Bedeutung, wobei auch vom Nutzen eines etwa herzustellenden Suezcanales die Rede ist, hierauf die Befürchtungen, Hoffnungen und Vortheile, welche für alle einzelnen Staaten Europa's sich aus der Expedition ergeben, endlich den richtigen Zeitpunkt, die Gerechtigkeit und die religiöse Begründung des Unternehmens. Ein Auszug dieser ausführlichen Darlegung war die Schrift „Consilium Aegyptiacum“, bestimmt für Boineburg, welcher veranlaßte, daß der Kurfürst dem in Mainz eingetroffenen französischen Gesandten die Sache mittheilte, worauf jedoch nach einiger Zeit vom Minister de Pomponne die Antwort einlief, daß seit Ludwig dem Heiligen die heiligen Kriege nicht mehr Mode seien. L. selbst, welcher nicht zu einer Audienz bei Ludwig XIV. gelangte, blieb in Paris thätig für den ägyptischen Plan, mußte aber, wenn ihm auch keine direkte Abweisung zu Theil wurde, bald erfahren, daß man sich nicht näher darauf einließ. (Uebrigens kannte Napoleon I. vor seinem ägyptischen Feldzuge den Leibniz’schen Vorschlag nicht, sondern erhielt erst 1803 bei Besetzung Hannovers Kenntniß davon.) Der Pariser Ausenthalt aber, welcher von längerer Dauer war, hatte für L. allmälig weitere Folgen anderer Art. Er kam in persönlichen Verkehr mit Ant. Arnauld, Galloys, dem Physiker Papin, dem Reisenden Thevenot, dem Minister Colbert und dessen Bibliothekar Baluze, sowie mit Huet; letzterer lud ihn ein, sich an der von ihm geleiteten Ausgabe der Classiker in usum Delphini zu betheiligen, worauf L. erklärte, den Petronius und den Marcianus Capella übernehmen zu wollen und wirklich ans Werk ging, aber bald den Wunsch andeutete, von dieser Aufgabe dispensirt zu werden. Er warf sich nämlich jetzt mit Eifer auf Mathematik, in welcher er bei seiner Ankunft in Paris noch sehr geringe Kenntnisse besaß, ja, wie er selbst später gestand. „in superba matheseos ignorantia“ sich befand; aber seine hohe Begabung brachte ihn in Bälde weiter. Noch 1672 bekam er Kenntniß von Pascal's Rechenmaschine und ersann hierauf eine andere vollkommenere; auch beschäftigte er sich bereits mit der neueren Lehre von den Reihen und deren Summirung. Neben diesen Studien bearbeitete er für Boineburg (welcher im December 1672 starb) ein Gutachten, daß während des holländischen Krieges ein Eintritt Brandenburgs in die Action möglichst fernzuhalten sei. Am 11. Januar 1673 ging er mit dem kurmainzischen Gesandten nach London, wo er sofort Oldenburg besuchte und durch denselben veranlaßt wurde, seine Rechenmaschine bei der Royal Society vorzulegen (ein Exemplar dieser Maschine, welches 1876 in der Modellkammer der Göttinger Universität gefunden wurde, ist seit 1880 in Hannover); auch traf er dort mit dem Mathematiker Pell zusammen, welcher ihn auf Schriften Mouton's und Mercator's hinwies, gegen deren ersteren er die Selbständigkeit einer bereits gewonnenen eigenen Ansicht betonen konnte. Daß er bei diesem Londoner Aufenthalte nicht mit Collins bekannt wurde, welcher in Newton's Arbeiten eingeweiht war, geht aus einem Briefe Oldenburg's (vom 6. April 1673) hervor. Anfangs März nach Paris zurückgekehrt, erfuhr er, daß der Nachfolger des am 12. Febr. verstorbenen Kurfürsten von Mainz ihm noch weiteren Urlaub gestattete, und somit verblieb er in Paris, obwol seine äußeren Verhältnisse eben nicht die günstigsten waren, denn er mußte seinen Lebensunterhalt dadurch erwerben, daß er für höher gestellte Personen Eingaben, Gutachten u. dgl. verfaßte. Doch gab er einer durch Habbeus v. Lichtenstern vermittelten Einladung, eine Secretärstelle beim dänischen Minister Grafen Güldenlöw anzutreten, keine Folge, und auch als Herzog Johann|Friedrich von Braunschweig-Lüneburg einen Brief, in welchem L. (26. März) seine Bemühungen für den ägyptischen Plan darlegte, durch das Angebot einer Stellung am hannoverschen Hofe beantwortete (15. April), scheint L. vorerst noch andere Pläne gehegt zu haben, wenigstens erkundigte er sich im Juli vertraulich, ob er nicht als Historiograph nach Wien kommen könne. In Paris interessirte er sich eifrigst auch um die Gewerbe und Künste, beschäftigte sich mit mechanischen, physikalischen, nautischen Problemen verschiedener Art, faßte einmal auch den Plan, Elementa iuris naturalis zu schreiben, warf sich aber, was die Hauptsache war, nunmehr gründlichst auf die höhere Mathematik. Nachdem er durch Oldenburg's Einfluß (9. April 1673) zum Mitgliede der Royal Society ernannt worden war, machte er die Bekanntschaft des Christian Huygens, welcher als größte Autorität der Mathematik durch Colbert (1666) an die Pariser Akademie berufen worden war (s. Allg. d. Biogr. Bd. XIII, S. 481). Es war damals in Anknüpfung an die Schriften des Archimedes und des Apollonius, sowie an Descartes' analytische Geometrie, bei welcher die Curven noch in geometrische und mechanische getheilt waren, in Frankreich und England eine reichhaltige Litteratur über mehrere schwierige Probleme entstanden, woran sich Pascal, Fermat, De Sluze, Cavalieri, Honor. Fabri, Mercator, Huygens, Gregorius a Vincentio, Wallis, Barrow betheiligten. Der hauptsächliche Kern lag in dem sog. Tangenten-Probleme (sowohl dem directen als dem umgekehrten), sowie in der Quadratur der Curven und der Cubatur der krummen Flächen, womit nun auch L. sich beschäftigte, indem er die Mehrzahl dieser genannten Autoren studirte und dabei zugleich seine eigenen Wege zu gehen begann. Schon im August 1673 war er in einer „Methodus nova investigandi tangentes linearum curvarum“ darauf gekommen, daß das umgekehrte Tangentenproblem sich auf Quadratur, d. h. auf Summationen, zurückführe, und in emsiger Verfolgung dieses Gedankens konnte er (15. Juli 1674) an Oldenburg schreiben, daß er eine Zahlenreihe für die Quadratur des Kreises gefunden habe; nachdem er (October) zwei Aufsätze, nämlich „Schediasma de methodo tangentium inversa“ und „Schediasma de serierum summis“ niedergeschrieben, machte er (26. Octbr.) abermals Mittheilungen seiner mathematischen Pläne an Oldenburg, worauf dieser (8. Decbr.) antwortete, daß Newton ähnliches für alle Curven gefunden habe. Neben diesen Studien mußte er (1674) auf Verlangen des Herzogs Ludwig von Mecklenburg, welcher eine Scheidung seiner zweiten Ehe und Wiederanerkennung seiner getrennten ersten Ehe anstrebte, ein Rechtsgutachten ausarbeiten: „De matrimoniorum principum Germaniae protestantium in gradibus solo canonico iure prohibitis contractorum validitate"; auch verfaßte er (1674) unter dem Namen „Sempersibisimilis“ eine Denkschrift über die durch österreichische Soldaten erfolgte Gefangennahme des Straßburger Bischofs Wilhelm Egon von Fürstenberg (s. Allg. d. Biogr. Bd. VII, S. 301) sowie einen Aufsatz „Des affaires de Suede“ (wenn man ihm auch noch drei gedruckte anonyme Flugschriften dieses Jahres zuschreiben wollte, so durfte wenigstens die bloße Vermutthung nicht wie geschichtliche Thatsachen verwerthet werden). Das folgende Jahr aber sollte für seine mathematischen Verdienste entscheidend werden. Wenig bestimmtes wohl ist aus einem Blatte, betitelt „Geometria amönior“ zu entnehmen, welches den Plan eines weitgreifenden Werkes enthält (April 1675); auch sind wir nicht ausführlich unterrichtet über die Arbeiten, welche er gemeinschaftlich mit Tschirnhaus machte, der im September von London, wo er mit Oldenburg und Collins verkehrt hatte, nach Paris kam. Aber die Hauptsache ist, daß er in einem Manuscripte vom 29. Octbr. 1675 zum ersten Male die noch jetzt üblichen Integral- und Differerential-Zeichen verwendet, wobei er die blos angedeutete Integral-Rechnung noch calculus summatorius nennt (daher ∫ = summa), die Differentialrechnung aber näher ausführte; alsbald (11. Novbr.) folgte eine Anwendung seines Verfahrens auf das umgekehrte Tangentenproblem mittelst gleicher Bezeichnung, nämlich „Methodi tangentium inversae exempla“, und am 21. Novbr. fand er eine Differentialformel, deren Gültigkeit für alle Curven ihm sofort einleuchtete, so daß er selbst die Worte beifügte „ecce elegantissimum specimen“, etwas später (26. Juni 1676) bearbeitete er auch das directe Tangenten-Problem in „Nova methodus tangentium“. Schon am 26. März 1676 sprach er sich klar über die weitgreifende Bedeutung der von ihm gewählten Zeichen aus und erkannte seinen Algorithmus richtig als eine neue Operationsbasis, denn derselbe war in der That das gemeinsame verallgemeinernde Band für die bisherigen Einzelnleistungen anderer Mathematiker und zugleich der Anfang aller folgenden Entwickelung der höheren Analysis. Am 26. Juli erhielt er durch Oldenburg abschriftlich einen Brief Newton's (vom 23. Juni), worin dieser mittheilte, daß er eine einheitliche Lösungsmethode verschiedener Probleme besitze, worauf L. (27. August) an Oldenburg antwortete, daß er seinerseits eine andere Methode auf Grund des unendlich kleinen anwende. Das letzte Manuscript welches er in Paris verfaßte, war „De quadratura arithmetica circuli, ellipseos et hyperbolae“. Er hatte bereits am 21. Januar 1675 an das oben erwähnte Angebot angeknüpft, welches ihm von Herzog Johann Friedrich (April 1673) gemacht worden war; aber die Verhandlungen zogen sich so in die Länge, daß L. wiederholt an den einflußreichen Abbe Galloys und selbst an den Minister Colbert sich wandte, um Mitglied der Pariser Akademie zu werden oder sonst eine bleibende Stellung zu erlangen; und im October 1675 schrieb er an einen Verwandten (Aeg. Strauch in Gießen) über eine käufliche Stelle in Paris, zu deren Erwerbung er 500 Thlr. nöthig habe, doch ein Geschenk des genannten Herzogs überhob ihn dieser Bemühung. Endlich erhielt er von letzterem den formellen Ruf (September 1676) als Vorstand der herzoglichen Bibliothek und in freier sonstiger Thätigkeit mit dem Titel eines Hofrathes und einer Besoldung von 600 Thlr. nach Hannover umzusiedeln. Im October trat er die Reise an, aber über England und Holland. In London kam er jetzt mit Collins zusammen, welcher ihm die Einsicht in einen Theil seiner Correspondenz gestattete; und wahrscheinlich ist damals das Manuscript „Excerpta ex tractatu Newtoni manuscripto de analysi“ entstanden; gewiß hingegen ist, daß Newton am 24. Octbr. einen für L. bestimmten Brief an Oldenburg richtete, worin er Mittheilungen über die Entstehung seiner eigenen Methode machte und dieselbe durch ein Anagramm des Satzes „data aequatione quotcunque fluentes quantitates involvente fluxiones invenire et vice versa“ andeutete (also nach Umfluß eines Jahres, nachdem der Algorithmus von L. gefunden war). Auf dem Schiffe, welches ihn von England nach Holland führte (Ende October) schrieb er ("Pacidius Philalethes seu prima de motu philosophia“, worin er den Begriff einer continuirlichen Schöpfung erörterte; in Amsterdam wurde er durch eine Besprechung mit Hudde veranlaßt, in einem Aufsatze „Calculus tangentium differentialis“ die Grundzüge der Differentialrechnung zu entwickeln, woran er die Angabe knüpfte, daß er auch die Berührungsebenen krummer Flächen mittelst seiner Methode finden könne. Im Haag besuchte er Spinoza, mit welchem er Gespräche über die Grundsätze der Philosophie führte, dabei aber einen so abstoßenden Eindruck empfing, daß er in einem Briefe an Galloys sich nahezu wegwerfend über Spinoza's Ansichten äußerte; endlich in Delft suchte er Leeuwenhök, den Entdecker der Samenthierchen, auf.

    Gegen Ende December 1676 traf L. in seinem neuen Bestimmungsorte ein, wo er sogleich wieder mit verschiedenartigsten Dingen sich beschäftigte; er schrieb (Januar 1677) „Explication sominaire de l'Apocalypse“, setzte brieflich|an Hocher in Wien den Gedanken eines neuen Gesetzbuches auseinander, welches Codex Leopoldinus heißen solle, und als Joh. Dan. Kraft, welcher dem Entdecker des Phosphors. Brand in Hamburg (s. Allg. d. Biogr., Bd. III, S. 236), das Geheimniß abgekauft hatte und mit Joh. Kunkel ausbeutete, im J. 1677 nach Hannover kam, verschaffte ihm L. eine Pension und verfaßte seine „Historia inventionis phosphori“ (gedruckt 1710). Nachdem er durch Oldenburg wieder Abschrift eines Briefes Newton's empfangen hatte, theilte er letzterem (11. Juni 1677) seine Methode betreffs des Tangentenproblems, jedoch ohne Erwähnung des Algorithmus, mit und fügte bei, es werde wol kein großer Unterschied von jenem sich zeigen, was Newton geheimnißvoll angedeutet hatte; vom 11. Juli hierauf ist das Manuscript, datirt „Methode générale pour mener les touchantes des lignes courbes“ und etwas später fällt „Nova algebrae promotio“, den ersten Keim der Determinanten enthaltend. Daneben wurde er in eine Frage des deutschen Staatsrechtes beigezogen, indem eine Meinungsverschiedenheit über Stellung und Titel jener Minister entstanden war, welche von den deutschen Fürsten zu dem Congreß in Nimwegen (1676—1679) abgesandt wurden; Frankreich schürte den Partikularistischen Ehrgeiz und der französisch gesinnte Herzog Johann Friedrich welcher seinen Delegirten als einen „hohen Gesandten“ anerkannt wissen wollte, veranlaßte L., unter dem Pseudonym „Caesarinus Fuerstenerius, De iure suprematus ac legationis principum Germaniae“ zu schreiben (1677 s. binnen Jahresfrist sechsmal gedruckt). Er sucht dabei jenes Bestreben durch Gründe zu rechtfertigen und überhaupt grundsätzlich die kaiserliche Oberhoheit mit der Einzelnsouveränität zu vereinbaren, da der Reichsstand nicht dem Kaiser, sondern dem Reiche, d. h. aber eben den Reichstagen und vereinigten Reichsständen, und somit wieder sich selbst unterworfen sei. Ein Auszug aus dieser Schrift ist: „Entretiens de Philarète et d'Eugène sur la question du temps agitée è Nimwègue touchant le droit d'ambassade des électeurs et princes de l'empire“ (1677 in zwei Auflagen), und als Ergänzung ist das Manuscript „De libero territario“ zu betrachten, sowie „Germani curiosi adenonitiones ad monita collegio electorali falso adscripta“. Außerdem fallen in diese Zeit die ersten Arbeiten betreffs einer allgemeinen Zeichensprache, welche er durchaus nicht für ein unausführbares Ideal hielt, sondern seit den ersten Andeutungen (in der Ars comdinatoria 1666) auch in späteren Jahren immer wieder durch mannigfache Auffätze der Verwirklichung näher zu bringen versuchte. Der Gedanke Leibniz' stand damals durchaus nicht allein, sondern gerade in den Sechziger Jahren waren vier Werke erschienen, welche derselbe kannte und benutzte, nämlich: Joh. Joach. Becher, Character pro notitia linguarum universali, 1661 (s. Allg. D. Biogr., Bd. II, S. 201), Georg Dalgarn, Ars signorum v. character universalis et lingua philosophica, 1661, Athan. Kircher, Polygraphia nova, 1663 (s. ebenda Bd. XVI, S. 1 f.), John Wilkins, Essay toward a real character and a philosophical language, 1668, und zu Dalgarn und Wilkins hatte L. schriftliche Randbemerkungen gemacht. Sein Grundsatz bestand darin, daß, wie im Handelsverkehre häufig nicht mit Geld, sondern durch Zettel. Checks oder Marken bezahlt werde, ebenso in der Wissenschaft richtig gewählte „Charaktere“ oder Zeichen einzuführen seien, welche von jedem Gebildeten, abgesehen von aller Sprachenverschiedenheit, verstanden werden könnten und zugleich zu Rechnungsoperationen wie algebraische Zeichen zu verwenden seien ("calculus ratiocinator"), so daß jeder Streit künftig durch Rechnung entschieden werde. In solchem Sinne schrieb er (1677): „Dialogus de connexione inter res et verba et veritatis realitate“ und arbeitete (1678) an einem „Calculus philosophicus“, sowie (1679) an einer „Characteristica geometrica seu Analysis situs“, welche er an Huygens schickte. Zugleich begann in Hannover die Correspondenz Leibniz' sich zu erweitern, welche ja später eine staunenswerthe Ausdehnung erhielt. Zunächst war es um diese Zeit der Cartesianismus und insbesondere der cartesische Beweis für das Dasein Gottes, worüber er an Arnold Eckhard, Professor der Mathematik in Rinteln, mit welchem er durch den Abt von Loccum Molanus bekannt geworden war, mehrere Briefe richtete, desgleichen an den kursächsischen Residenten in Hamburg, Chr. Philipp, sowie an Malebranche in Paris und wieder über des letzteren Recherches de la verité an Simon Foucher in Paris; auch ein Schreiben an den Polyhistor Conring (s. Allg. D. Biogr. Bd. IV, S. 446 ff.) betraf denselben Gegenstand, der Briefwechsel aber mit ihm wurde bald abgebrochen, da derselbe in der Philosophie ein Reactionär war; theologischen Meinungsaustausch hegte L. auch mit Ludwig v. Seckendorf, mit Tschirnhaus aber besprach er brieflich die höhere Analysis, ohne gerade volle Zustimmung zu finden. Im J. 1678 wurde er Geheimer Justizrath und als solcher Mitglied der Kanzlei für Justizsachen, deren Vorstand der Vicekanzler Ludolph Hugo (s. Allg. D. Biogr. Bd. XIII, S. 329) war, und vielleicht dürfen wir es einem Einflusse Leibniz' zuschreiben, daß in den welfischen Territorien die Hexenprocesse abgeschafft wurden. In einem Aufsatze „De republica“ (1678) erörterte er die nationalökonomische Seite des Staates, und das ihm zugekommene Exemplar von Spinoza's Ethica versah er mit kritisch ablehnenden und tadelnden Bemerkungen. Wahrscheinlich in das Jahr 1679 fällt „Ermahnung an die Teutschen, ihren Verstand und Sprache besser zu üben, nebst Vorschlag einer teutsch gesinnten Gesellschaft“, womit die zwei Manuscripte zusammenhängen „De fundatione ad scientiam provehendam instituenda“ und „Consultatio de naturae cognitione ad vitae usus promovenda instituendaque in eam rem societate Germana"; auch an Ludwig XIV. richtete er zwei Denkschriften „Préceptes pour avancer les sciences“ und „Discours touchant la méthode de la osrtitude et, l'art d'inventer"; es mochte ihm nämlich die Zeit nach dem Abschlusse des Nimweger Friedens (1679) als passend erscheinen, um in Deutschland und Frankreich Pläne zu verwirklichen, auf welche er auch später immer wieder zurückkam. Zur selben Zeit wurde er durch die vom Herzoge gewünschte Verbesserung der Silberbergwerke im Harz nicht blos zur Erfindung einer Maschine behufs Beseitigung der Grubenwässer, sondern auch zu mineralogischen und geognostischen Studien geführt, an welche er alsbald Untersuchungen über das Münzwesen knüpfte, von wo er wieder gelegentlich zu dem für jene Zeit beachtenswerthen Ausspruche gelangte, daß die Staatswirthschaft der weitaus wichtigste Theil der Wissenschaft vom Staate sei. Als am 28. December 1679 Herzog Johann Friedrich auf der Reise in Augsburg unerwartet gestorben war, verfaßte L. für die Leichenfeier die „Personalia“ (gedruckt 1685) und ein Gedicht „Epicedium in obitum Johannis Friderici“, sowie ein französisches Gedicht an die Thronfolgerin. Noch im letzten Lebensjahre des eigenthümlich gearteten Fürsten, welcher bereits 1651 zur katholischen Confession übergetreten war, fingen irenische Bestrebungen an, festere Gestalt zu erlangen, indem der von Bossuet's Plan, die Akatholiken zur Rückkehr zu bringen, begeisterte Spinola auf seinen Rundreisen 1679 nach Hannover gekommen war; L. griff den von Bossuet (1678) begonnenen Briefwechsel jetzt lebhaft auf, richtete nach Wien eine „Relation pour la cour impériale“ und schrieb auch an Huet, welcher mit einem Bekehrungsversuche antwortete; durch den Tod des Herzogs aber kam die Sache vorerst auf kürzere Zeit wieder ins Stocken. Dem neuen Regenten Herzog Ernst August (s. Allg. D. Biogr. Bd. VI, S. 261 f.) stand L. anfangs persönlich nicht so nahe und in dem Gefühle, daß es ihm überhaupt in Hannover zu eng sei, blickte er nach Wien, wo er nach dem eben eingetretenen Tode des Lambecius Vorstand der Bibliothek oder etwa Historiograph oder kaiserlicher Rath zu werden wünschte;|einen Antrag jedoch (Januar 1680), in dänische Dienste zu treten, lehnte er ab. Im April aber erhielt er vom Herzoge den Auftrag, die Geschichte des welfischen Hauses zu schreiben und besonders die Genealogie desselben zu erforschen, und bald ergab sich eine nähere Verbindung mit dem Hofe, indem er verschiedene Vorschläge, nämlich „Repraesentanda“ (d. h. über die Lücken der hannoverischen Bibliothek und die Nothwendigkeit einer Kunstkammer) und „Von nützlicher Einrichtung eines Archivi“, auch über Förderung der Chemie und über Münzwesen ausarbeitete, hauptsächlich aber dadurch, daß er mit der Gemahlin des Herzogs, Sophie (Tochter Friedrichs von der Pfalz, Mutter der nachmaligen Königin von Preußen Sophie Charlotte) in dauernden persönlichen und brieflichen Verkehr trat, wobei zumeist philosophische und theologische Gegenstände besprochen wurden. Auch verfaßte er (1682) Denkschriften und Gutachten über das vom Herzoge beabsichtigte Primogeniturstatut, welches dann auch vom Kaiser bestätigt (Juli 1683) und nicht ohne Kämpfe im welfischen Hause durchgeführt wurde. Unterdessen waren die Wogen der europäischen Politik sowie der Kriegsereignisse hoch gegangen, und L., welcher mit dem deutsch gesinnten Ernst August sich in voller Uebereinstimmung befand, schrieb über die räuberische Einnahme Straßburgs (1681) mehrere Aufsätze, z. B. auch ein poetisches „Epitaphium Argentinae“, sowie bezüglich der etwas ängstlichen Vorsicht Brandenburgs eine kleine Abhandlung „Sur les plaintes de Brandenbourg“ (1682). Die zur gleichen Zeit von Osten heranstürmende Gefahr besprach er in den Manuscripten „Anti-Turcica“ und „Quelques reflexions sur la présente gusrre de Hongrie“, und als am 14. Juli 1683 die Belagerung Wiens durch die Türken begann, verfaßte er außer einer, kleinen Schrift „Ueber den Entsatz von Wien“ seinen berühmten „Mars Christianissimus auctore Germano Gallo-Graeco“ zunächst lateinisch welchen er mit Genehmigung des Herzogs in französischer Uebersetzung mit Belassung des lateinischen Titels, jedoch unter der Beifügung „ou Apologie des armes du Roy très chretien contre les chretiens“ durch den Druck veröffentlichte (1684, die 1685 erschienene deutsche Uebersetzung „Der allerchristlichste Mars“ ist nicht von ihm selbst gefertigt); im Hinblicke auf die Gefahr, daß Ludwig XIV. sich mit den Türken vereinige, entwickelt er in Form der Ironie eine Vertheidigung der Franzosenfreunde, da ein solcher König, welcher bei all seinen Waffenthaten die erhabensten Ziele civilisatorischer Aufgaben verfolge, sich wie ein Statthalter Gottes über alle Rechtsgründe hinwegsetzen dürfe und ein neues Völker- und Staatsrecht aufstellen müsse. Während langdauernde Verhandlungen der deutschen Fürsten mit Frankreich über einen Waffenstillstand stattfanden, welcher endlich im August 1684 auf 20 Jahre geschlossen wurde, schrieb er „Raisons de part et d'autre touchant la guerre ou l'accommodement avec la France“ und denselben Gegenstand in ausführlicherer Darlegung behandelnd „Consultation touchant la guerre ou l'accommodement avec la France“, wobei er aus Opportunitätsgründen, um zu retten, was möglich ist, sich für den Abschluß einer Vereinbarung erklärte; in die gleiche Zeit fällt die Satire „Das L'hombre-Spiel der Fürsten“. Neben diesen politischen Arbeiten hatte er eine kleine Abhandlung „Num dentur territoria clausa“ und (1683) eine Schrift verfaßt, in welcher er eine Anwendung der mathematischen Lehre von den Reihen auf Kapitalien und deren Werthe gab, nämlich „Meditatio iuridico-mathematica de interusurio simplici“. Außerdem beschäftigte ihn um diese Zeit der Gedanke „Staatstafeln“ zu entwerfen, d. h. eine graphische Uebersicht aller für einen Regenten wichtigen Dinge und Verhältnisse, womit neben der inhaltsreichen Darlegung „Remarques sur un libre intitulé: Nouveaux interests des princes de l'Europe“ auch die Schriften „Essay de quelques raisonnements nouveaux sur la vie humaine“ und „Quaestiones calculi politici circa hominum vitain“, sowie Aufsätze über Registratur und Medicinalwesen zusammenhingen; gewiß beachtenswerth ist, daß ihm dabei die damals kaum noch in Keimform bestehende Wissenschaft der Statistik vorschwebte. Zu all diesen verschiedenen Arbeiten war aber auch wieder die Beschäftigung mit religiösen Reunionsplänen gekommen, seitdem (1683) Spinola abermals in Hannover eingetroffen war und Molanus am dortigen Hofe öfters verkehrte, wo der Herzog Ernst August der lutherischen und dessen Gemahlin Sophie der reformirten Confession angehörten. Der Reunion im Sinne Spinola's waren der Kaiser Leopold und der Papst Innocenz XI. geneigt, sogar mit Einschluß des Gedankens an ein allgemeines Concil, an welchem auch die Akatholiken theilnehmen sollten; in anderer Weise mehr nach dem Plane Bossuet's dachte sich Ludwig XIV. die Sache, und Ernst August betrieb die Angelegenheit im Allgemeinen darum lebhaft, weil er so betreffs der von ihm längst angestrebten Kurwürde die möglichen confessionellen Einwände zu beseitigen hoffte. L. selbst, welcher stets irenische Gedanken gehegt hatte, bezeichnete seinen persönlichen Standpunkt in mehreren Briefen an den Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels (s. Allg. D. Biogr. Bd. VI, S. 285), welcher zum Katholicismus übergetreten war und auch ihn zum gleichen Schritte überreden wollte; er schrieb nämlich an denselben, daß er in die äußere Communion der katholischen Kirche unmöglich eintreten könne, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu kommen, wol aber sich der inneren Communion versichert glaube, etwa ebenso wie jene, welche durch einen ungerechten Spruch excommunicirt wurden. Mag er hierbei einer wie immer gearteten speculativen Idee sich hingegeben haben, so hatte er jedenfalls die Aufgabe, im Dienste seines herzoglichen Herrn in der Angelegenheit thätig zu sein; er nahm den Briefwechsel mit Bossuet wieder auf und entwarf (März 1683) eine „Methodus unionis“, verfaßte hierauf (December) „Regulas circa Christianorum omnium unionem“ (dies später gedruckt 1691), dann 1684 den Aufsatz „Des methodes de reunion“, sowie gleichzeitig „Anmerkungen über einen Discurs, so 1683 aufgesetzt worden, dessen Titel „Kurioser Staatsmercurius“, worin er die protestantisch confessionellen Einwände bekämpfte, welche gegen den Kaiser erhoben worden. Auch hegte er schon 1684 den Plan, anonym eine Exposition des Glaubens zu verfassen, welche mehreren Bischöfen und eventuell auch dem Papste vorgelegt werden solle, worauf sich jedoch der Herzog nicht einließ; aber L. verfolgte seinerseits für sich den Gedanken weiter in einer kleineren Schrift „Projet pour finir les controverses de religion“ und bald darauf (1686) in einem ausführlicheren Manuscripte „Systema theologicum“, worin er unter der Maske eines Katholiken, welcher die Protestanten zu seiner Confession hinüberziehen will, in der That ein Gebäude einer verbesserten Glaubenslehre aufzustellen versucht, welches einer „natürlichen Religion“ näher träte und schließlich auf eine „moralische Gewißheit“ sich stützen könnte. Unterdessen hatte er in den von Mencke (1682) gegründeten „Acta eruditorum“ (bekanntlich der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Deutschlands nach dem Vorbilde des im J. 1666 begonnenen Journal des Savans) im Mai 1684 einen Aufsatz „De dimensionibus figurarum inveniendis“ veröffentlicht, welchen der von Paris zurückgekehrte Tschirnhaus für sich beanspruchte, sowie L. seinerseits manches, was jener ebendort zum Drucke gebracht hatte, als sein geistiges Eigenthum reclamirte; der über solchen Prioritätsstreit entstandene Bruch wurde durch den Herausgeber Mencke im Juli wieder vermittelt, L. aber gab, um weiteren Publikationen früherer mit Tschirnhaus gemeinschaftlich gemachter Arbeiten zuvorzukommen, im October 1684 ebendaselbst seine „Nova methodus pro maximis et minimis“ heraus, womit er zum ersten Male seine denkwürdige, bereits vor neun Jahren gefundene Methode der höheren Analysis zur Oeffentlichkeit brachte, wenn auch in einer sehr abstracten Form und nur auf Differentialrechnung, nicht aber auf Integralrechnung, ausgedehnt.|Gleichfalls in genannter Zeitschrift im nämlichen Jahre erschienen seine „Meditationes de cognitione, veritate et ideis“, in welchen er hauptsächlich eine ablehnende Kritik gegen Descartes übte. Vom Cartesianismus hatte er bezüglich des Begriffes der Bewegung bereits 1669 sich abgewandt, und es scheint, daß er inzwischen seine eigene dynamistische Anschauung, wornach zwischen dem quantitativen Maße der Bewegung und der treibenden Kraft zu unterscheiden sei, weiter verfolgt habe, so daß wir mit einiger Wahrscheinlichkeit den „Essai de dynamique“ in die Zeit um 1685 setzen dürfen. Gewiß wenigstens ist, daß er im Februar 1686, als er einen „Discours de metaphysique“ brieflich dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels mittheilte, ausdrücklich an seinen Dynamismus anknüpfte, wobei sichtlichste Keime des Begriffes der „lebendigen Kraft“, sowie überhaupt der Monadenlehre und der prästabilirten Harmonie sich zeigen; mit diesen metaphysischen Fragen aber verband er in merkwürdiger Weise zugleich auch die theologischen Probleme der göttlichen Gnade und Wunderwirkung, des Ursprunges der Sünde, des Verhältnisses zwischen menschlicher Freiheit und göttlicher Vorhersehung, der persönlichen Unsterblichkeit u. dgl. Und da der Landgraf die Uebermittelung dieser Schrift an den schon oben erwähnten Ant. Arnauld besorgte, nahm L. den Briefwechsel mit letzterem wieder auf (April bis December 1686), wobei er sich über den Occasionalismus, über Substantialität der Seele und über die Leeuwenhök’sche Präformation äußerte, ja einmal sogar die Frage erörterte, wie denn Gott beschließen konnte, einen gerade so gearteten Adam zu erschaffen. In den Actis eruditorum 1686 erschien einerseits „Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii circa legem naturalem“, d. h. gegen die Annahme, daß die Quantität der gesammten Bewegung im Universum unverändert bleibe, und andererseits „De geometria recondita et analysi indivisibilium atque infinitorum“, eine erste Andeutung der Integralrechnung mit Erwähnung der vorangegangenen Entdeckungen sowie auch der Leistungen Newton's. Wahrscheinlich in den Jahren zwischen 1684 und 1687, d. h. jedenfalls vor seiner Reise, verfaßte L. mehrere Aufsätze, welche der weiteren Durchführung der sogenannten allgemeinen Charakteristik gewidenet waren, nämlich: De scientia universali seu calculo philosophico, Initia scientiae generalis, De natura et usu scientiae generalis, Synopsis libri, cui titulus erit „Scientia nova generalis“, Guilelmi Pacidii initia et specimina scientiae generalis, Fundamenta calculi ratiocinatoris, Non inelegans specimen demonstrandi in abstractis, Addenda ad specimen calculi universalis, deren einige immerhin an eine Zahlenmystik streifen, wenn auch L. von seinem Plane das stolze Wort Bacon's „instauratio et auginentatio scientiarum“ gebraucht. Das diese Pläne zusammenfassende Manuscript „Historia et commendatio linguae characteristicae universalis“ ist wahrscheinlich in eine spätere Zeit (vielleicht erst um 1695) zu sehen. Abgesehen von einem wiederholten Briefwechsel mit Arnauld über Spinozismus, bewegende Kraft und substantielle Formen, d. h. Monaden, sowie von einem Briefe an Pierre Bayle über die Continuität scheint L. im J. 1687 mit den Vorbereitungen zu der größeren Reise beschäftigt gewesen zu sein, deren Nothwendigkeit sich in Folge des vor sieben Jahren erhaltenen Auftrages bezüglich einer Geschichte des welfischen Hauses allmählich herausgestellt hatte. Es handelte sich nämlich um die Durchforschung zahlreicher deutscher und italienischer Archive, wobei er in seiner Weise mit der Verfolgung des besonderen Zweckes zugleich allgemeine Gesichtspunkte verband. Im October 1687 trat er die Reise an und begab sich über Kassel und den Mitielrhein zunächst nach Frankfurt, wo er einige Zeit bei dem Orientalisten und Historiker Hiob Ludolf verweilte, welcher ihn zur Theilnahme an einem von ihm beabsichtigten Collegium historicum imperiale eingeladen hatte (dasselbe trat 1690 ins Leben); L. arbeitete da eine Denkschrift über die Nothwendigkeit aus, daß mit diesem Institute eine eigene Zeitschrift für Sammlung geschichtlicher Quellen verbunden werde. Am 11. December traf er in Aschaffenburg ein, am 21. in Nürnberg und am 31. in Sulzbach, wo er bis zum 1. Februar 1688 mit Christian Knorr von Rosenroth (s. Allg. D. Biogr. Bd. XVI. S. 327) verkehrte, dessen „Cabbala denudata“ er mit demselben durchstudirte; von da ging er nach München, wo er sich mit Durchforschung der Handschriften Aventin's beschäftigte, hierauf wandte er sich über Böhmen nach Wien, wo er im Mai 1688 eintraf. Allerlei Erlebnisse und Eindrücke, welche er bis dahin erfahren hatte, legte er schriftlich nieder in „Einige curiose Anmerkungen, so auf meiner bisherigen Reise gemacht“. In Wien fand er reichste und verschiedenartigste Beschäftigung; zunächst war er thätig für die Interessen des hannoverischen Hauses, welches schon längst nach der neunten Kurwürde gestrebt hatte, während Frankreich stets Widerstand dagegen erhob; L., welcher schon 1685 in dieser Frage gearbeitet hatte, suchte am kaiserlichen Hofe die Wege zu ebnen und verfaßte die Denkschrift, welche Herzog Ernst August im folgenden Jahre (1689) an Leopold I. einreichte (zunächst erfolglos, die Investitur als Kurfürst geschah erst im December 1692). Außerdem beutete er die Handschriften der Wiener Bibliothek vielfachst für befreundete Gelehrte aus, unternahm auch einen Ausflug in die ungarischen Bergwerke, eine Hauptsache aber lag darin, daß er sich wieder in die hohe europäische Politik beigezogen fand. Es erfolgte nämlich am 24. September 1688 die Kriegserklärung Ludwigs XIV. gegen Oesterreich, worauf L. sofort in einigen Aufsätzen, welche wol sicher zur Kenntniß des Wiener Hofes gelangten, seinen Standpunkt darlegte; es sind dies: „Spiritus Gallicanus et axiomata Ludovici XIV Eurapae detecta“, ferner „Remarques sur un manifeste françois“ (ein solches war nämlich erschienen unter dem Titel „Mémoire des raisons qui ont obligé le Roy à reprendre les armes") und „Vergleichung des orientalischen und occidentalischen Türken“ (d. h. als Letzterer erscheint Ludwig XIV.). Es hätte nicht bezweifelt werden sollen, daß die vom 18. October datirte kaiserliche Beantwortung der französischen Kriegserklärung wirklich von L. verfaßt wurde, welcher auch die in derselben obwaltenden Grundsätze in ausführlichster Weise in den „Reflexions sur la déclaration de la guerre que la France a faite à l'Empire“ darlegte. Gleichzeitig richtete er an Kaiser Leopold I. eine Denkschrift „Geschwinde Kriegsverfassung“, d. h. eine Uebersetzung und Erläuterung einer aus 22 Sätzen bestehenden Ordonnance, welche Ludwig XIII. im J. 1636 erlassen hatte, um möglichst schnell ein Heer auf die Beine zu bringen; daneben schrieb er „Bedenken in Betreff des Münzwesens“, worin er eingehendste Kenntniß der damaligen mißlichen Verhältnisse, sowie der möglichen Mittel einer Abhilfe bekundete, ferner „Kayserlicher Majestät und des Reichs Recht auf die Judenschaft zu Frankfurt“. Auch beschäftigte er sich mit dem oben erwähnten Plane Ludolf's, an welchen er mehrfache Rathschläge mittheilte, worunter wir auch den Gedanken finden, daß das Erlernen der Sprachen durch Transscription in ein lateinisches Universalalphabet erleichtert werden solle. Noch von Wien aus schickte er an die Acta eruditorum einen Aufsatz, welcher dort im Februar 1689 erschien und die Angabe enthielt, daß er die Hauptsätze Newton's, ohne dieselben zu kennen, von sich selbst aus, aber nach verschiedener Methode gefunden habe (hierin lag der erste Anlaß, daß Newton sich verletzt fühlte und später der Prioritätsstreit eine so bittere Gestalt annahm). Ende Februar 1689 verließ er Wien und kam am 4. März in Venedig an, wo er bis zum 30. blieb; nach zweiwöchentlichem Aufenthalte in Ferrara traf er am 14. April in Rom ein, von wo er Anfangs Mai einen kurzen Ausflug nach Neapel machte. In Rom wurde er alsbald als Mitglied in die von Ciampini gegründete Academia fisico-matematica aufgenommen, woran er Bemühungen knüpfte, daß durch die Curie den Klöstern der Betrieb der Naturwissenschaften anbefohlen werden möge, da hierdurch nur der Ruhm des göttlichen Schöpfers erhöht werden könne. Durch den Jesuiten Grimaldi wurde er in die Studien eingeführt, welche aus dem in China bethätigten Missionsgeschäfte der Jesuiten erwachsen waren, und er sammelte nicht nur den Stoff zu seiner später (1697) verfaßten Schrift „Novissima Sinica“, sondern vermittelte es auch, daß deutsche Gelehrte mit Grimaldi über asiatische Dinge und Verhältnisse in brieflichen Verkehr traten. Daneben arbeitete er an einem dyadischen Systeme der Arithmetik, d. h. einer Rechnung ausschließlich mit 0 und 1 als Symbol der Schöpfung aus Nichts; als er ein Heft der Acta Eruditorum erhielt, in welchem ein Auszug aus Newton's (1687 erschienenem) Werke „Philosophiae naturalis principia mathematica“ gegeben war, schrieb er seine eigene Ansicht nieder in „Dynamica de potentia et legibus naturae corporeae“ und schickte einen Aufsatz „Tentamen de motuum coelestium causis“ an die Acta Erud. (1689), worin er den Versuch Newton's, das Dasein und Wirken Gottes daraus zu erweisen, daß die Bewegungen der Materie nicht lediglich aus der Attraction erklärt werden können, durch das Gleichniß zu beseitigen suchte, daß das Newton’sche Universum eben eine Uhr vorstelle, welche der ungeschickte Uhrmacher zeitweilig aufziehen und richten müsse. In Rom wurde er auch veranlaßt, die von ihm später überarbeitete Schrift „Notata quaedam circa vitam et doctrinam Cartesii“ (gedruckt 1693) zu verfassen, und außerdem richtete er an Papst Alexander VIII. ein Gedicht betreffs der Nothwendigkeit eines heiligen Krieges gegen die Türken (zwei anonyme Flugschriften, als deren Verfasser man ihn vermuthen wollte, können unerwähnt bleiben). Das Angebot einer Bibliothekarstelle an der Vaticana schlug er aus, da daran die Bedingung des Confessionswechsels geknüpft war. Im November 1689 reiste er von Rom nach Florenz, wo er mit Magliabecchi verkehrte, hierauf nach Bologna, wo er den Anatomen Malpighi besuchte, und im December traf er in Modena ein, welches er insoferne als ein Reiseziel betrachten durfte, als er dort im Archive eine entscheidende Entdeckung betreffs der Verwandtschaft des Braunschweigischen und des Este’schen Hauses machte. Auf der Rückreise begab er sich zunächst wieder nach Venedig, von wo aus er (März 1690) einen längeren Brief an Arnauld über die Grundsätze der Monadenlehre richtete und dann im Auftrage des Herzogs Ernst August nach Wien, woselbst er im Interesse der ersehnten Kurwürde zu wirken hatte. Im Juni traf er Mieder in Hannover ein und schrieb alsbald einen „Bericht über die Reise nach Süddeutschland“, sowie „Brevis synopsis historiae Guelficae“ (zugleich auch in deutscher Uebersetzung); auch reifte die Zusammenstellung der gewonnenen Urkunden soweit heran, daß er 1691 dem Herzoge einen ersten Entwurf des späteren Werkes vorlegen konnte. Etwa in diese Zeit dürfte ein von L. mit keiner Ueberschrift versehenes Manuscript fallen, in welchem neben allgemeinen Erörterungen über Philosophie und Theologie die Frage über Körper und Ausdehnung polemisch gegen Descartes besprochen wird; eben letzteres that er auch in einem im Journal des Savans 1691 erschienenen Aufsatze „Sur la question, si l'essence du corps consiste dans l'étendue“. Gleichzeitig verarbeitete er das bei seinen Studien über die Harzbergwerke gesammelte Material zu einer Schrift „Protogaea“ (ein Auszug daraus ist in den Actis Erud. 1693 gedruckt), worin er eine völlig vulkanistische Erklärung der Gestaltung der Erdoberfläche gab und auch über die Verbreitung und Wanderungen der Hauptstämme des Menschengeschlechtes sich äußerte. Die politische Lage veranlaßte ihn, in einer Denkschrift „Consultation sur les affaires générales à la fin de la campagne de 1691“ die bisher neutralen Fürsten Deutschlands und Italiens zu einer Vereinigung und zu Erwägungen über eine verbesserte|Kriegsführung zu ermahnen, woran sich (1692) sein „Projet de descente en Biscaye“ als positiver Vorschlag anschloß. Im J. 1691 wurde L. wieder wie vor acht Jahren durch die Reunionsbestrebungen in Anspruch genommen, an welchen sich jetzt lebhaft die Herzogin Sophie von Hannover und eine Schwester derselben, welche Aebtissin in Maubuisson war, und außerdem eine Frau v. Brinon betheiligten, durch welch letztere die Schriftstücke nicht nur an Bossuet, sondern auch direct an Ludwig XIV. übermittelt wurden. Nachdem Pelisson in seinen „Reflexions sur les différents de la religion“ im Sinne Bossuet's eine Bekehrung der Reformirten beabsichtigt hatte, vertheidigte L. gegen ihn brieflich einen gemäßigten Indifferentismus, welcher auch noch einen gewissen Grad hierarchischer Autorität erträglich finden könne, zugleich aber setzte er seinerseits der Zumuthung, zum Katholicismus überzutreten, entschiedenst seine Angehörigkeit an die Augsburger Confession entgegen (diese Correspondenz wurde mit Leibniz' Erlaubniß gedruckt: Lettres de M. Leibniz et de M. Pelisson de la tolérance et des différents de la religion. 1693). Er schickte auch des Molanus' „Cogitationes privatae“ an Frau v. Brinon, und dem Molanus übersandte er seine eigenen „Cogitationes privatae“, welche eine Umarbeitung seiner früheren „Regulae circa Christianorum omnium unionem“ (vom J. 1683) waren, Molanus aber übermittelte diese Schrift an Bossuet, welcher die Reunion als unausführbar bezeichnete, da die katholische Kirche unbedingt am Tridentinum festhalten müsse. L. jedoch sah sich genöthigt, dem Hofe zu lieb noch immer wie früher den Standpunkt des vom Kaiser gestützten Spinola zu vertreten und setzte sich hiermit in längerem Briefwechsel schließlich (August 1692) der Antwort Bossuet's aus, daß über Religion sich nicht in gleicher Weise wie bei diplomatischen Angelegenheiten verhandeln lasse. Daneben lag ein Gegenstand der Correspondenz mit der Herzogin Sophie (1691) auch in dem Auftreten einer jungen Schwärmerin, welche unmittelbare Eingebungen von Christus zu empfangen glaubte, worüber L., wenn auch nicht schlechthin unbefangen, doch in milder Duldsamkeit sich äußerte und von schärferen Maßnahmen abrieth. Ein von Spinola verfaßtes „Sommaire historique des négotiations religieuses“ copirte er für sich (1693) und wahrscheinlich entstand um diese Zeit sein Manuscript „Dialogue entre un habile politique et un ecclésiastique d'une piété reconnue sur des sujets de religion“. Zugleich aber finden wir ihn während des Jahres 1692 in rastloser Beschäftigung mit den mannigfaltigsten Dingen. In einem „Mémoire pour des personnes éclairées et de bonne intention“ entwickelte er wieder seine Gedanken über Gründung einer weitgreifenden gelehrten Gesellschaft, an Huet richtete er ein ausführliches kritisches Schreiben „Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum“ und an Huygens seine Bedenken über Newton's Himmelsmechanik, deren Starrheit ihn abstieß, während er seinerseits une matière liquide annehmen zu müssen glaubte; wichtig ist auch seine 1692 erneute Correspondenz mit Papin, dessen Versuche über die Dampfkraft er genau verfolgte und durch Vorschläge neuer Experimente förderte, wobei er insbesondere die Lehre vom Kräftemaß erörterte; daneben schrieb er „Bedenken über Seidenziehung“, auf welchen Gegenstand er später mehrmals zurückkam, und mit dem Helmstädter Bibliothekar v. d. Hardt (s. Allg. D. Biogr. Bd. X. S. 595) verkehrte er brieflich über die Harmonie der verschiedenen Sprachen, während ein längerer Briefwechsel mit Nicaise, Canonicus in Dijon, sich auf Linguistisches, Litteratur, Antiquitäten, politische Geschichte, Cartesianismus und auf die Streitigkeiten zwischen Fenelon und Bossuet erstreckte; gleichzeitige Sendschreiben an Malebranche hatten selbst die Folge, daß dieser sich von Descartes abwandte und in den sogenannten Theodiceesragen den Ansichten Leibniz' näherte; ferner mit Foucher correspondirte er über Theilbarkeit und Bewegung, sowie mit dem|Marquis de l'Hospital, dem ersten Franzosen, welcher an Leibniz' mathematische Leistungen anknüpfte, über den Ausbau der Integralrechnung. Indem er so in Frankreich allgemein bekannt war und in hohem Ansehen stand, erhielt er (1692) durch Vivier die Aufforderung, in französische Dienste zu treten, was er ablehnte, da er eben mit den Ergebnissen seiner Reise und seiner geschichtlichen Forschungen beschäftigt war. Dem Streben Hannovers nach der neunten Kurwürde waren noch immer neben confessionellen Bedenken mancherlei Einwände entgegengetreten, worüber L. überallhin vermittelnd zu wirken versuchte, und da es sich auch um das zur Kur gehörige Erzamt handelte, bezüglich dessen Sachsen und Württemberg Einsprache erhoben, verfaßte er (December 1692) die Denkschrift „Vom Unterschiede zwischen dem Reichs-Haupt-Banniere und der württembergischen Sturmfahne“, sowie er auch auf Ludolf, welcher ein Gegner der neuen Kurwürde war, einzuwirken versuchte. Als erste Frucht seiner historischen Studien erschien 1693 der „Codex iuris gentium diplomaticus“, dessen Vorrede „De notionibus iuris et iustitiae“ die Grundzüge einer Rechtsphilosophie enthält, in welcher die aristotelische Eintheilung der Gerechtigkeit mit der von Hugo Grotius vorgenommenen Gliederung verbunden und ein theologisirender Abschluß erreicht wird, zugleich aber auch eine patriotische Vertheidigung der Rechte Deutschlands eingeflochten ist; vielleicht fällt das Bruchstück „Vom Naturrecht“ ungefähr in die gleiche Zeit. Neue Folgerungen der höheren Analysis, über welche er mit Newton noch einen freundschaftlichen, aber letzten Briefwechsel führte (17. März und 26. October 1693), veröffentlichte er in den Actis Erud. (1693 f.), nämlich „Supplementa geometriae practicae"; d. h. über Integrirung logarithmischer Functionen, und „Nova calculi differentialis applicatio“. Ebendort erschien 1694 eine kurze Abhandlung „De primae philosophiae emendatione et de notione substantiae“, worin er den für die Monadenlehre entscheidenden Grundsatz aussprach, daß das wahre Wesen der Substanz in Thätigkeit bestehe. Zu seinen geschichtlichen Arbeiten erhielt er einen Gehülfen an Joh. Georg Eckhart, welcher 1694 von Dresden nach Hannover kam (s. Allg. D. Biogr. Bd. V, S. 627) und nun fortan in dauernder wissenschaftlicher Verbindung mit L. blieb; daß aber letzterer in einem Briefe an Spanheim (November 1694) den Wunsch äußerte, nach Pufendorf's Tod als Historiograph in brandenburgische Dienste zu treten, ist wol ein eigenthümliches Zeichen seiner Strebsamkeit. Als 1695 der Herzog von Modena sich mit einer Tochter des verstorbenen Herzogs Johann Friedrich vermählte, schrieb L., welcher mit den Keimen dieser Angelegenheit bereits bei seinem Aufenthalte in Modena vertraulich zu schaffen hatte, eine „Lettre sur la connexion ancienne des maisons de Brunsvic et d'Este“. Einem ersten Angriffe gegen die Differentialrechnung, welchen Bernhard Nieuwentiit in den Actis Erud. durch „Considerationes circa analyseos ad quantitates infinite parvas applicatae principia“ gemacht hatte, antwortete L. ebendort (1695) durch den Aufsatz „Responsio ad nonnullas difficultates“, wobei er den schwierigen Begriff des Unendlichkleinen zu berichtigen versuchte, sowie er damals überhaupt die Absicht hegte, eine „Scientia infiniti“ zu schreiben; ein kurzes „Specimen dynamicum“ erschien am gleichen Orte. Im nämlichen Jahre aber veröffentlichte er zum ersten Male einen zusammenfassenden Grundriß der in seinem Geiste allmählich entstandenen Monadenlehre mit Einschluß der prästabilirten Harmonie; nämlich im Journal des Savans (1695) erschien „Système nouveau de la nature st de la communication des substances“, und als dagegen Foucher Einwände erhoben hatte, folgte ebendort „Remarques sur les objections de M. Foucher“ nebst „Eclaircissement du nouveau système de la communication des substances“, sowie bald darauf (1696) „Lettre à M. Basnage“ und „Extrait d'une lettre de Leibniz sur son hypothèse de Philosophie“ (letztere beiden wurden|später auch als 2. und 3. Eclaircissement bezeichnet). Die hier niedergelegten Grundsätze suchte L. zugleich für die Fragen der Erkenntnißtheorie zu verwerthen und verfaßte somit (1696) „Reflexions sur l'essay de l'entendement humain de Locke“ (desselben Essay concerning human understanding war 1689 f. erschienen); das Manuscript schickte er selbst an Locke, damit es in der beabsichtigten französischen Uebersetzung des Werkes veröffentlicht werde, jener aber legte keinerlei Werth darauf, und so wurde Leibniz' Aufsatz erst nach Locke's Tod in der Sammlung der nachgelassenen Briefe desselben gedruckt (1708). Im März 1696 traf L. mit Johann Bernoulli, welcher fleißig am Ausbaue der höheren Analysis gearbeitet hatte, die Vereinbarung, daß er seinerseits statt des bisher gebrauchten Wortes „summatio“ sich fortan des Ausdruckes „integralis“ bediene, Bernoulli hingegen an Stelle des von ihm gewählten Zeichens „J“ (integralis) künftig ∫ (d. h. summatio) anwende, wodurch sonach die jetzt noch übliche Bezeichnungsart eingeführt war. Im Briefwechsel mit Bernoulli kommt L. auch stets auf den von ihm eingeführten Begriff der lebendigen Kraft zurück (d. h. nach seiner Annahme ist die Bewegungskraft = M X C2, während die Cartesianer sie als M X C nahmen) und der gleiche Gegenstand erscheint auch in der Correspondenz mit Wallis sowie in einigen Aufsätzen in den Actis Erud. Daneben mit pädagogischen Fragen beschäftigt, brachte er mancherlei einzelne Gedanken über Reform der Schulen zu Papier und verfaßte (1696) „Projet de l'éducation d'un prince“, woselbst er das Verfahren empfahl, welches wir jetzt Anschauungsunterricht nennen; ein gleichzeitiger Entwurf einer Instruction betreffs Untersuchungen über die tatarischen Sprachen verfolgte ein Ziel, welches heutzutage der Völkerpsychologie zugewiesen wird, und ein Brief an Gabriel Wagner „Vom Nutzen der Vernuftkunst oder Logik“ gibt Zeugniß davon, wie einläßlich er auch mit diesem Gebiete vertraut war; in die gleiche Zeit fällt ein Manuscript „De origine Germanorum“. Als 1696 Franz v. Helmont nach Hannover kam, führte ihn L. auch bei der Kurfürstin Sophie ein, und es knüpften sich hieran mehrere Unterredungen philosophischen und theosophischen Inhaltes. Am 29. Aug. 1696 wurde er zum Geheimen Justizrathe ernannt, wodurch er wol fester an Hannover gebunden werden sollte, denn er äußerte um jene Zeit öfter, daß er anfange sich zu langweilen und an eine Reise nach Holland denke, wo ihm der überhand nehmende Deismus einer Bekämpfung zu bedürfen schien. In Folge einer in Engensee (1696) gehaltenen Conferenz der Mitglieder des welfischen Hauses wurden ihm zur Fortsetzung der geschichtlichen Arbeiten 400 Thaler zugewiesen, welche Unterstützung jedoch 1698 wieder zurückgezogen wurde. Als eine Nebenfrucht aber der welfischen Historiographie erschien 1697 „Historia arcana Alexandri VI. Papae seu excerpta ex diario Joh. Burchardi“ und wahrscheinlich um diese Zeit schrieb er auch „Flores sparsi in tumulum Johannae papissae“. Wenn wir es für beachtenswerth halten müssen, daß er in einem Briefe an Burnet (Mai 1697) bekennt, er sei jetzt in seinen philosophischen Ueberzeugungen zum Abschlusse gekommen, so wird es uns als minder wichtig erscheinen, daß er im Journal des Savans (August) abermals am Cartesianismus eine ablehnende Kritik übl; hingegen die Manuscripte „Sentiment sur l'amour de dieu désinteressé“ (d. h. über Spinoza's amor intellectualis dei) und „De rerum originatione radicali“ (November 1697) zeigen die theologistrende Auffassung, welche bei ihm bezüglich der bestmöglichen Welt und verwandter Fragen obwaltete. Nachdem die Verhandlungen über eine Reunion der christlichen Konfessionen seit vier Jahren abgebrochen waren, tauchte jetzt ein anderer ironischer Gedanke auf, indem man eine Vereinigung der beiden nicht-katholischen Bekenntnisse anstrebte, wobei L. wieder als Wortführer auftrat; derselbe richtete nämlich (Juni 1697) an den Secretär des Kurfürsten von Brandenburg eine „Kurze Vorstellung der|Einigkeit und des Unterschiedes bei den Protestirenden“, welche in Berlin günstig aufgenommen wurde, aber doch vorerst nicht zu thätigem Eingreifen führte, während L. in dieser Angelegenheit auch nach Helmstädt ging, um mit Friedr. Ulr. Calixt (dem Jüngeren, s. Allg. D. Biogr. Bd. III, S. 705) zu verkehren, welcher, nicht ohne Anknüpfung an seinen Vater, Unionspläne verfolgte. Von der Vereinigung der sämmtlichen „Evangelischen“ (welche Bezeichnung für Protestanten und Reformirte vom Berliner Hofe vorgeschlagen war) erwartete L., welcher mit der theologischen Richtung des Herm. Aug. Francke sympathisirte, auch eine Förderung des Missionswesens in Rußland und Asien. Während der langen Verhandlungen, welche endlich zum Abschlusse des Friedens zu Ryswijk (30. October 1697) führten, richtete L. nach Wien eine Denkschrift „An den Kaiser“, worin er rieth, daß Oesterreich, selbst wenn es ganz allein stehe, kriegerischen Widerstand gegen Frankreich leisten solle, und seiner nicht sehr tröstlichen Ansicht über den erfolgten Friedensschluß gab er Ausdruck in „Considérations sur la paix de Rysnyk“.

    Sogleich aber nach dem Ryswyker Frieden trat in Berlin eine Wendung ein, welche für L. einflußreich wurde. Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg war (seit 1684) vermählt mit Sophie Charlotte, Tochter des hannoverischen Herzogs Ernst August, und sowie diese auch nach ihrer Verheirathung überhaupt im innigsten Verhältnisse mit ihrer Mutter Sophie verblieb, so neigte sie sich bei dem zwischen Hannover und Brandenburg bestehenden Zwiespalte erklärlicher Weise stets näher zur braunschweigischen Hauspolitik. Hierin lag wol eine der hauptsächlichen Ursachen zu dem Sturze des bis dahin in Berlin nahezu allmächtigen Danckelmann (s. Allg. d. Biogr., Bd. IV. S. 724); jedenfalls aber ist es Thatsache, daß nach der Entlassung dieses Staatsmannes L. in Berlin an Boden gewann, wo er nunmehr zu Gunsten der politischen Gesinnung der beiden Kurfürstinnen wirken und zugleich die obwaltende Spannung lösen zu können hoffte. Als glaubhaftes äußeres Motiv, um nach Berlin zu kommen, sollte die Gründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft dienen, und so regte er bereits gegen Ende 1697 in Briefen an den brandenburgischen Cabinetssecretär und insbesondere an Sophie Charlotte den betreffenden Plan an, welchen er seinerseits ja schon früher in verschiedenen Manuscripten im Allgemeinen ins Auge gefaßt hatte; diese älteren handschriftlichen Entwürfe legte er der Kurfürstin, als sie 1698 von Berlin auf Besuch nach Hannover kam, persönlich vor. Im Zusammenhange mit diesen Gründungsgedanken stand es, daß er (noch Ende 1697) eine „Ermahnung an die Teutschen, ihren Verstand und Sprache besser zu üben, sammt Vorschlag einer teutsch gesinnten Gesellschaft“ niederschrieb, worin er den Wunsch aussprach, daß nunmehr nach dem eingetretenen Friedensschluß sich die Deutschen in geistiger Erhebung gegen Frankreich aufraffen sollen; und etliche Wochen später verfaßte er „Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache", eine Schrift, welche den Kampf gegen den damaligen Mischmasch aufnahm und zugleich verwandt mit den Plänen einer allgemeinen Charakteristik auf die Nothwendigkeit richtig gewählter Zeichen hinwies, woraus sich ein dreifaches Wörterbuch ergeben solle, nämlich ein „Sprachbrauch", enthaltend die üblichen Worte, dann ein „Sprachschatz“, die Kunstworte umfassend und ein „Sprachquell“, worin die alten Wortformen zu sammeln seien. Ja sogar auf Ludwig XIV. blickte er in zwei kleinen Denkschriften: „Préceptes pour avancer les sciences“ und „Discours touchant la méthode de la certitude et l'art d'inventer pour finir les disputes“, insoferne jetzt Frankreich nach all seinen Siegen den Friedensruhm eines goldenen Zeitalters erwerben könne, wenn es mit vereinten Kräften die Verwirklichung einer Allwissenschaft fördere. Als am 23. Januar 1698 Kurfürst Ernst August starb,|verfaßte L. die sogen. Personalien, welche beim Leichenbegängnisse in der Schloßkirche verlesen wurden (gedruckt 1698). Dem Thronfolger Georg Ludwig, nachmaligem Könige von Großbritannien und Irland stand L. nicht so nahe, wol aber dauerte die Vertrauensstellung desselben bei der verwittweten Kurfürstin Sophie ebenso innig fort, wie der briefliche und persönliche Verkehr mit der brandenburgischen Kurfürstin Sophie Charlotte sich enger zu schürzen begann. Unterdessen war in Hannover der Faden der Reunionsgedanken fortgesponnen worden, und zwar in doppelter Richtung, nämlich einerseits bezüglich einer Vereinigung aller christlichen Confessionen und andererseits behufs einer Union der Akatholiken unter sich, welch letztere Absicht auch am brandenburgischen Hofe gehegt wurde und nebenbei eine politische Spitze gegen Ludwig XIV. in sich barg. Noch im December 1697 hatte Daniel E. Jablonski (s. Allg. d. Biogr., Bd. XIII. S. 523 ff.) eine irenische Schrift an Ernst August gerichtet, von welchem L. zu einem Gutachten hierüber aufgefordert wurde, und so ergab sich ein erneuter Briefwechsel des letzteren mit Bossuet und Molanus, sowie Verkehr mit den Helmstädter Theologen Fabricius und A. Schmidt, desgleichen mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, welcher die allgemeine Reunion bei Ludwig XIV. befürwortete, wodurch auch Du Héron, französischer Gesandter in Braunschweig, in die Correspondenz beigezogen wurde. Im Sommer 1698 fand in Hannover eine Conferenz zwischen Jablonski, Molanus und L. statt, worauf letztere beide gemeinschaftlich eine Denkschrift in deutscher Sprache mit dem Titel „Via ad pacem“ verfaßten, worin weitgehende Zugeständnisse des Protestantismus an den Katholicismus enthalten waren; L. seinerseits fügte unter Bezugnahme auf Spener ein „Tentamen irenicum“ hinzu. Im Januar 1699 schrieb Bossuet seinen letzten Brief an L., und die ganze Angelegenheit schlief vorläufig wieder ein, obwol noch im März die Helmstädter theologische Facultät einstimmig den Reunionsvorschlägen beitrat. Um so mehr nun glaubte L. an der engeren Union, d. h. an der Vereinigung der Protestanten und Reformirten, festhalten zu müssen, und indem er in dieser Absicht seinen Blick auch auf England richtete, schrieb er (20. April 1699) an den anglicanischen Bischof Burnet in Salesbury einen ausführlichen Brief, welcher als ein Hauptdocument seiner auf diesen Zweck zielenden Bestrebungen zu betrachten ist. Daneben hatte er 1698 die zum Codex iuris gentium gehörigen „Accessiones historicae“ veröffentlicht und auch in den Gebieten der Philosophie und der Mathematik gearbeitet. Da nämlich ein Streit über den Begriff der Natur zwischen dem Altorfer Joh. Chr. Sturm und dem Kieler Schelhammer ausgebrochen war, schickte L. an die Acta Erud. (1698) einen Aufsatz „De ipsa natura sive de vi insita actionibusque creaturarum“, worin er den Kern seiner Monadenlehre, d. h. den Grundsatz, daß das Wesen der Substanz in Thätigkeit bestehe, erörterte, und gleichzeitig schrieb er an Basnage in Rotterdam „Eclarircissement des difficultés que M. Bayle a trouvé dans le système nouveau de la nature“. In welch engem Zusammenhange aber die Monadenlehre mit seinen Principien der Dynamik sich befunden habe, ist aus einem an De Volder, Professor in Leyden, gerichteten Briefe (1698) ersichtlich, in welchem er an den oben erwähnten Begriff der lebendigen Kraft die Darlegung knüpfte, daß in jedem Körper ein Elasticität erzeugendes Fluidum walte und der Körper überhaupt ein Aggregat von Substanzen sei, welche mit Activität ausgerüstet sind. In einem damals erneuten Briefwechsel mit Wallis klärte er diesen, welcher ein Anhänger der alten Schule war, über das Verhältniß auf, welches zwischen seiner Differentialrechnung und der Fluxionsrechnung Newtons bestehe, und zwar ohne hierbei irgend Eifersucht zu zeigen (wichtig sind die Briefe vom 29. December 1698 und vom 30. März 1699); aber alsbald sollte der Prioritätsstreit beginnen. L. nämlich|hatte (wie es damals üblich war, daß die Mathematiker sich gegenseitig Aufgaben zuschickten) das Problem der sogen. Brachistochrone gestellt, über welches auch Newton eine Lösung einschickte, und in dem Berichte, welcher über die eingelaufenen Arbeiten in den Actis Erud. (1699) erschien, war Newton gleichsam als ein Schüler Leibniz's bezeichnet worden. Darauf nun erhob der in England lebende Schweizer Fatio de Duillier in einem Aufsatze „Lineae brevissimi descensus investigatio“ geradezu den Vorwurf, daß L. ein Plagiat an Newton begangen habe, welcher überhaupt der erste Erfinder des neuen Calculs sei; dagegen wehrte sich L. in den Actis Erud. mittelst einer „Responsio ad Fatii imputationes“. Er konnte sich dabei darauf berufen, daß Newton in einem Scholion der „Philosophiae naturalis principia“ (1687) selbst die anerkennende Bemerkung ausgesprochen habe, daß L. eine ähnliche Methode besitze; aber L. fügte auch bei, er seinerseits habe bereits Zehn Jahre früher seine Erfindung dargelegt und die ähnliche Methode Newton's erst jüngst durch Huygens erfahren (letzteres aber entspricht der Wahrheit durchaus nicht, da L. in seinem oben erwähnten Briefe an Oldenburg vom 11. Juni 1677 thatsächlich eine theilweise Bekanntschaft mit Newton's Verfahren bekundet hatte). Seit einiger Zeit schwebten am politischen Horizonte zwei Thronfolgefragen, welche ihre endgültige Entscheidung von der Zukunft zu erwarten hatten; nämlich einerseits war in England nach der Entthronung Jakobs II. durch die Bill of rights (1689) der Besitz der Krone an das protestantische Glaubensbekenntniß geknüpft worden, und da König Wilhelm III. überhaupt kinderlos war und auch die Kinder seiner protestantischen Schwägerin und Nachfolgerin Anna sämmtlich gestorben waren, fiel das Erbfolgerecht auf die Kurfürstin Sophie von Hannover als Enkelin König Jakobs I., während der katholische Sohn des gestürzten Jakob II., gleichfalls Jakob genannt, trotz der öffentlichen Meinung, welche ihn für einen unterschobenen Prinzen hielt, gleichfalls Ansprüche auf den Thron erhob und dabei von seiner Schwester Anna, sowie von Frankreich unterstützt wurde. Nachdem L. bereits im October 1696 diese Successionsfrage bei der Kurfürstin Sophie berührt hatte, wobei jedoch dieselbe sich entschieden für den Prätendenten Jakob III. erklärte, kam die Angelegenheit im September 1698, als König Wilhelm III. in Celle anwesend war, im Beisein Leibniz's wieder zur Sprache, welcher sich mit Wärme für den bestehenden Rechtsstandpunkt, d. h. für Annahme der eventuellen Succession äußerte, aber abermals auf spröde Abneigung der Kurfürstin stieß; nach wiederholten vergeblichen Besprechungen und Gutachten trat er im Juli 1700 in Correspondenz mit Stepney, um sich über die Lage der Dinge in England und besonders über die Stellung der dortigen Parteien zur Successionsfrage genau zu unterrichten, und gab neuerdings in schriftlicher Begründung seine Meinung kund, ohne jedoch bei Sophie Zustimmung zu finden. Eine zweite Thronfolgefrage, welche bekanntlich in Bälde nahezu ganz Europa in Bewegung setzte, lag in Spanien vor, wo mit dem Ableben des Königs Karl II. ein Erlöschen des Mannsstammes der spanischen Habsburger in Aussicht stand; im Hinblicke hierauf verfaßte L. (1700) zu Gunsten der österreichischen Ansprüche eine Denkschrift „Status Europae incipiente novo saeculo“. Während er die „Mantissa codicis iuris gentium diplomatici“ (1700) veröffentlichte, womit auch die „Monita ad Pufendorfium“ und die „Observationes de principiis iuris“ ungefähr gleichzeitig sein dürften, bahnte sich für ihn eine Wirksamkeit in Berlin an. Nachdem ihm schon im September 1699 Jablonski brieflich die Geneigtheit Preußens, ihn in Dienst zu nehmen, mitgetheilt hatte, erging an ihn anfangs März 1700 durch den Kurfürsten von Brandenburg die formelle Einladung, nach Berlin zu kommen, wo man eine Verbesserung des Kalenders beabsichtigte, zu welcher L. bereits von Hannover|aus Beiträge geliesert hatte. Kurfürst Georg Ludwig ertheilte den erforderlichen Urlaub, nachdem L. am 13. März als Mitglied in die Pariser Akademie aufgenommen worden, was übrigens nach Fürsprache des Berliner Hofes auf Befehl Ludwigs XIV. geschehen war. Dem Wunsche Leibniz's folgend suchte die Kurfürstin Sophie Charlotte ihren Gemahl zu überzeugen, daß die Kalenderverbesserung füglichst durch eine wissenschaftliche Gesellschaft gefördert werde, und Friedrich III. faßte auch in der That am 18. März den Beschluß, eine Societät der Wissenschaften in Berlin zu gründen. Betreffs der Ausführung schickte L. noch von Hannover aus zwei Denkschriften ein, reiste aber dann Mitte Mai selbst nach Berlin, wo sofort sein regster geistiger Verkehr mit Sophie Charlotte begann, welche den Sommer in dem benachbarten Lützenburg (d. h. jetzt Charlottenburg) verbrachte. Nach verschiedenen vorangegangenen Entwürfen, welche besonders die Dotation betrafen, verfaßte L. den Stiftungsbrief der „Societät der Wissenschaften“, welcher vom Kurfürsten am 11. Juli unterzeichnet wurde, worauf am 12. L. die Ernennung zum Präsidenten erhielt. Als Aufgabe der Societät war bezeichnet, daß sie zur Ehre der deutschen Nation in Erhaltung der deutschen Sprache und Pflege der deutschen Geschichte thätig sei, daß sie dem gemeinen Nutzen durch Förderung der Naturbeobachtung und der Experimente diene, und daß sie zur Verbreitung des christlichen Glaubens in Hebung der Missionen beitrage (Philosophie war in den Umkreis der Thätigkeit der Akademie nicht aufgenommen). Eine Erzählung seiner auf die neue Anstalt gerichteten Bemühungen schrieb L., welcher alsbald eine Besoldung von 600 Thlrn. erhielt, mit der Ueberschrift „Societät der Wissenschaft in Preußen“ nieder. Nachdem schon im Mai dieses Jahres (1700) Kaiser Leopold an den Kurfürsten Georg Ludwig das Ersuchen gerichtet hatte, daß L. behufs geplanter Reunionsverhandlungen nach Wien komme, folgte derselbe im September vom Bade Teplitz aus dieser Einladung und verweilte bis Mitte December in mehrfachem Verkehre mit dem kaiserlichen Hofe; nach dem Tode des Königs Karl II. von Spanien (1. November) verfaßte er auf Anstiften Hollands „Manifest contenant les droits de Charles III., Roi d'Espagne“ (gedruckt 1704 und in spanischer Uebersetzung 1711), worin er in hestiger Weise sich über die Chicanen Frankreichs erging. In diese Zeit fallen auch handschriftliche Vorschläge über Seidenzucht und Maulbeerpflanzungen, über Assecuranzen und Unfallversicherung, sowie Briefwechsel mit Le Fort in Petersburg über Herstellung von Polyglotten, mit dem schwedischen Minister Sparvenfeld und dem Reisenden Witsen über slavische Sprachen, und ein kleiner Aufsah über Cartesianismus im Journal de Trévoux (1700). Von Wien war L., ohne Hannover zu berühren, nach Berlin zurückgekehrt, wo er als Ausländer nicht ohne Mißtrauen aufgenommen war und auch bezüglich der gewünschten Blüthe der neu gegründeten Societät auf mancherlei Hindernisse stieß, da es vorerst nicht nur an einem Locale für dieselbe, sondern vor allem auch an Geldmitteln fehlte; er reichte verschiedene Entwürfe über Kalenderstempel, über Seidenzucht und über Missionswesen ein, und machte auch den Vorschlag, daß jährlich sämmtliche Aerzte Preußens an die Societät Berichte über alle Zweige der Medicinalstatistik einschicken sollen (verwirklicht wurde letzterer Plan viel später, nämlich erst durch ein Edict vom J. 1750). Ein erfreuliches Ergebniß seiner Thätigkeit war der „Monatliche Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nützlichen und artigen Büchern“, welcher 1700—1702 erschien und äußerlich als von Eckhart herausgegeben auftrat, aber dem Inhalte nach hauptsächlich von L. bearbeitet war, welcher dabei den Kampf gegen Franzosenthum, sowie gegen Fanatismus und Geschmacklosigkeit aufnahm. Auch bei den langen Unterhandlungen über die Erhebung des brandenburgischen Kurfürsten zum Könige von Preußen (die Krönung fand am 18. Januar 1701 in Königsberg statt) war L. beschäftigt, und in Folge dessen verfaßte er (1701) einen „Auszug verschiedener die neue preußische Krone angehender Schriften“, welchem er seinerseits einen Anhang „Betreffend dasjenige, was nach heutigem Völkerrecht zu einem Könige erfordert wird“, beifügte. Am höchsten aber schätzte er den Umgang mit der Regentin Sophie Charlotte, bei welcher er nöthigensalls auch Schutz gegen Anfeindungen fand. Philosophische Gespräche mit derselben trugen schon 1700 den veranlassenden Keim zur späteren Theodicee in sich, insofern die hochgestellte geistvolle Dame, welche, geleitet von L., den Lauf der Litteratur verfolgte, sich von Pierre Bayle's Manichäismus, sowie von dessen schroffer Scheidung zwischen Religion und Philosophie abgestoßen fühlte und von ihrem Lehrer Beruhigung über die betreffenden Fragen erwartete. Mit den einläßlicheren Studien, welche nun L. in dieser Richtung machte, hängen wol verschiedene Manuscripte desselben zusammen, welche eben deshalb ungefähr in diese Zeit zu setzen sein dürften, nämlich „Refutation de Spinoza“, ferner „Observationes ad Mosis Maimonidis librum, qui inscribitur Doctor perplexorum“, sowie auch Anmerkungen (französisch) zu des Mercurius van Helmont kabbalistischer Schrift „Seder Olam seu ordo seculorum“. Sichergestellt aber ist die Abfassungszeit zweier Schriften zum Zwecke der Vertheidigung gegen den Benedictiner Franz Lami, welcher in seiner „Connaissance de soy-même“ (1699) die Lehre von der prästabilirten Harmonie bestritt; L. nämlich schrieb dagegen „Addition à l'explication da système nouveau touchant l'union de l'âme et du corps“ (1700) und „Réponse aux objections contre le système de l'harmonie préétadlie qui se trouvent dans le livre de la connaissance de soymême“ (1702). Inzwischen war L. wieder durch die englische Successionsfrage zu wiederholter Abwesenheit von Berlin veranlaßt; er hatte für die Kurfürstin Sophie über eine diese Angelegenheit betreffende Schrift des Engländers Fraiser ein Gutachten verfaßt ("Reflexions sur un écrit Anglais") und wurde im Jan. 1701 zu einer Conferenz in Celle beigezogen, bei welcher außer Sophie sich der Herzog Georg Wilhelm von Celle-Limburg (Bruder des verstorbenen Kurfürsten Ernst August) und der englische Gesandte Cresset einsanden. Indem dort die Kurfürstin bei ihrer früheren Ablehnung beharrte, hob L. in einer Denkschrift „Considérations sur le droit de la maison Brunsvic-Lunebourg à l'égard de la succession d'Angleterre“ die Gefahren hervor, welche für Europa drohten, wenn während des in sicherer Aussicht stehenden spanischen Erbfolgekrieges in der Person des präsumtiven Jakob III. (welchen auch L. für einen Bastard hielt) ein französischer Vasallenkönig den Thron Englands besteige. Hierdurch wurde Sophie etwas nachgiebiger gestimmt, und Englands König Wilhelm III., welcher sich stets für die hannoversche Succession erklärt hatte, konnte dem Abschlusse der Frage entgegensehen; auch L. setzte von Berlin aus seine Bemühungen fort und vertrat in erneutem Briefwechsel mit Stepney (März 1701) die Ansicht, daß die Angelegenheit gemeinsam vom Könige und vom Parlamente geregelt werden müsse. Dies geschah auch, und nachdem am 12. Juni der Parlamentsbeschluß die königliche Sanction erhalten, fand sich am 14. August in Hannover eine englische Kronbotschaft ein, welche der Kurfürstin die Successionsacte überbrachte; zu dieser Feierlichkeit war auch L. wieder dorthin geeilt, welcher dabei persönlich mit dem Freidenker Toland, als einem Mitgliede jener Gesandtschaft bekannt wurde, und durch philosophische Gespräche mit demselben wurde das Manuscript „Adnotatiunculae ad Tolandi librum de Christianismo“ veranlaßt. Im Sommer 1701 waren bedenkliche Differenzen politischer Art erwachsen, indem nicht nur Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg, welcher seit der Kurwürde feindselig gegen Hannover stand, sich an Frankreich anschloß, sondern auch Braunschweig-Wolfenbüttel einen Neutralitätsvertrag mit Ludwig XIV. einging, und indem nun Sophie Charlotte von Preußen um jeden Preis ein Zusammengehen mit Hannover wünschte, bethätigte sich L. als Vertrauensmann derselben sowol in dieser Richtung als auch in dem Bestreben, bei den übrigen Höfen zu vermitteln. Zugleich richtete er an Kaiser Leopold eine „Denkschrift über politische Sachen“, worin er eine Coalition aller deutschen Fürsten mit Einschluß der nordischen Mächte behufs der Abwehr gegen Frankreich vorschlug, und bezüglich des spanischen Erbfolgestreites schrieb er „La justice encouragée contre un partisan Bourbonique“, sowie er die gefährliche Lage Europas überhaupt in einer „Lettre à la répudlique de Venise“ schilderte. In Hannover war man über die öfteren Reifen Leibniz's nach Berlin bereits verstimmt und hegte den Argwohn, daß seine Thätigkeit überhaupt in höherem Grade Preußen zu gute komme, für welches er innerlich „inclinire"; der Kurfürst Georg Ludwig, welcher die welfische Geschichtschreibung als das unsichtbare Werk zu bezeichnen pflegte, gewährte allerdings (Juli 1701) die früher eingezogenen 400 Thlr. neuerdings, aber wollte dabei den Fortschritt der Arbeit controlliren und zu diesem Behufe einen Gehülfen bestellen; letzteres that übrigens in Bälde L. von sich selbst aus, indem er den Candidaten der Theologie Joh. Friedr. Hodann, welcher für ihn in den Aufgaben der allgemeinen Charakteristik gearbeitet hatte, auch zu den historischen Studien beizog. Im December 1701 ging er wieder nach Berlin, wo er erkrankte und hierdurch gehindert war, die nach Hannover reisende Königin zu begleiten, im März 1702 aber hatte er eine Familienangelegenheit des Kurfürsten Georg Ludwig (betreffs des Bruders desselben, Maximilian Wilhelm) in Wien zu erledigen, von wo er im Mai wieder in Berlin eintraf; dort verfaßte er für Sophie Charlotte einen an die Monadenlehre anknüpfenden Aufsatz über Materie und Sinneswahrnehmung und traf öfters mit dem nun in Berlin lebenden Toland zusammen, über welchen er sich in mehreren Briefen an die Kurfürstin Sophie äußerte, wobei meistens auch die englische Succession zur Sprache kam. Nach vorübergehendem Aufenthalte in Hannover war er von September 1702 bis April 1703 wieder in Berlin, in welcher Zeit er in Folge der Rechtsfrage über die sogen. oranische Erbschaft die Denkschrift verfaßte „Information sommaire touchant le droit, incontestable de Sa Majesté le Roi de Prusse à la succession de son grand-père“, und als Erzherzog Karl am 16. September in Mailand durch österreichische Truppen als König von Spanien ausgerufen worden, schrieb er „Dialogue entre un cardinal et l'amirante de Castille“, woran sich ein deutsches Gedicht über den Beginn des spanischen Erbfolgekrieges anschloß, sowie er ein lateinisches Gedicht an Karl XII. von Schweden richtete. Daneben nahm er auch die höhere Analysis wieder auf, indem er in den Actis Erud. einen Aufsatz „Specimen novum analyseos pro scientia infiniti“ veröffentlichte, und daß er nicht minder den Ausbau seiner Philosophie im Auge behielt, bezeugen die Manuscripte „Considérations sur la doctrine d'un esprit universel“ (1702) und „Méditations sur la notion commune de la justice"; zu gleicher Zeit sandte er auch an Pierre Bayle behufs Vertheidigung der prästabilirten Harmonie einerseits „Replique aux reflexions de Bayle“ und andererseits „Extrait du dictionnaire de M. Bayle article Rorarius de l'édition de l'an 1702 avec mes remarques“. In Berlin hatte der Wunsch einer Vereinigung der Nichtkatholiken dazu geführt, daß ein förmliches Collegium irenicum ins Leben trat, welches nunmehr, nachdem die allgemeine Reunion mißlungen war, die Scheidewand gegen die Katholiken verschärfte, und da ein Mitglied dieses Friedensvereines, Joh. Jos. Winkler, insgeheim beim Könige eine Denkschrift „Arcanum regium“ eingereicht hatte, welche auf ungehörigem Wege zum Drucke gelangte (1703) und den vollsten Absolutismus des Summepiscopates empfahl, richtete hierüber L. an die Helmstädter theologische Facultät ein einschneidend kritisches Gutachten; auch nahm derselbe an der theologischen Disputation, welche im März 1703 in Lützenburg unter Anwesenheit der Königin gehalten wurde, keinen Theil. Etwas verstimmt kehrte er im Mai nach Hannover zurück, wo er wieder die englische Succession in einer Denkschrift „Sur les intérêts de l'Angleterre“ besprach und seiner Trauer über den unglücklichen Zustand des Reiches in einem Manuscript „Fruits de la campagne de l'an 1703“ Ausdruck gab, woran sich gegen Ende des Jahres das Promemoria knüpfte „Propositions de mettre l'électeur George Louis de Brunsvic-Lunebourg à la tête d'une grande armée“ (wirklich ausgeführt wurde dieser Gedanke erst 1707 durch Kaiser Joseph I.). Im folgenden Jahre, dessen Monate August und September er wieder in Lützenburg zubrachte, sandte er an den Kurfürsten Friedrich August von Sachsen eine Denkschrift betreffs Errichtung einer Akademie in Dresden (ein Gedanke, welcher doch wol an eine unrichtige Adresse gerichtet war) und im October 1704 verfaßte er ein „Memoriale an den Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz wegen Errichtung einer Akademie der Wissenschaften in Wien“. d. h. er wollte diesen ausgesprochensten Jesuitenfreund als Mittel benützen, um bei desselben kaiserlichem Schwager Leopold I. einen längst gehegten Plan anzuregen. Die Hoffnung, nach Hugo's Tod (August 1704) die Stelle eines Vicekanzlers zu erlangen, zerschlug sich, und behufs einer Besserung der äußeren Lage reichte er beim Könige ein „Mémoire de Leibniz sur ses services pour le roi de Prusse“ ein, worauf er auch wirklich die Summe von 1000 Thlr. erhielt. Außer einem lateinischen Gedichte auf die Schlacht von Höchstädt (13. August) und einem kleinen ironischen Aufsatze „La théologie des princes“ (d. h. eine witzige Formulirung eines rein politischen Glaubensbekenntnisses) verfaßte er 1704 einen seiner wichtigsten philosophischen Entwürfe, nämlich „Nouveaux essais sur l'entendement humain“, worin er sich grundsätzlich mit Locke's Empirismus auseinandersetzte und seine eigene Erkenntnißlehre näher entwickelte, worüber er kurz vorher (December 1703) bereits Andeutungen in einem längeren Briefe an Sophie Charlotte gegeben hatte; desgleichen dürfte in diese Zeit die Vollendung des für die Königin bestimmten Manuscriptes der Theodicee fallen. In diesen Jahren begann auch wieder eine ausgedehnteste Correspondenz Leibniz's, welche bis zu dessen. Tod sich fortsetzte und hauptsächlich das Gebiet der höheren Analysis, sowie der Dynamik und Mechanik betraf; so vor allem mit dem Mathematiker Jakob Hermann, welcher eine Vertheidigung Leibniz's gegen die Angriffe des oben erwähnten Nieuwentiit unternommen hatte (s. Allg. d. Biogr., Bd. XII, S. 181 f.), ferner mit Varignon in Paris, welcher dort neben De l'Hospital der einzige Anhänger der Differentialrechnung war, mit Guido Grandi in Pisa, mit Zendrini in Venedig, daneben über mancherlei andere Gegenstände Briefwechsel mit dem Secretär der Pariser Akademie, Fontenelle, und mit dem Jesuiten Orban. Während L. von Januar bis März 1705 wieder in Berlin war, starb am 1. Februar die Königin Sophie Charlotte, welche sich auf Besuch in Hannover befand; aufs tiefste erschüttert, verfaßte er einen Lebensabriß seiner hohen Gönnerin, und der kurfürstlichen Mutter derselben spendete er Trost in mehreren Briefen, in welchen er die Unsterblichkeitsfrage im Zusammenhange mit der Monadenlehre besprach. Nach Hannover zurückgekehrt, erfuhr er deutliche Aeußerungen einer Verstimmung des Hofes über seine wiederholte Abwesenheit, und eine Cabinetsordre ertheilte ihm den Befehl, daß er nunmehr an der welfischen Geschichte fortarbeiten solle. Zugleich war er durch erneute Zwistigkeiten der Fürstenhäuser veranlaßt, einen „Discours sur les différents de la cour de Hannover avec la cour de Berlin“ (1705) zu verfassen, und auch in der englischen Successionsangelegenheit handelte es sich jetzt um Gutachten über die Modalitäten der Ausführung, nämlich betreffs der Frage, ob ein Mitglied des Hauses Hannover nach England gehen solle und ob von dort her ein Jahrgeld für die Kurfürstin festzustellen sei, worüber L. einen lebhaften Briefwechsel mit Schulenburg führte. In die gleiche Zeit fallen die philosophischen Aufsätze „Considérations sur le principe de vie“ und „De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis“, in welch letzterem er seine idealistische Auffassung der Materie erörterte, sowie auch eine in den Actis Erud. erschienene Recension einer Schrift Jaquelot's „De fidei et rationis consensu“. Ebendaselbst (1705) zeigte er auch Newton's neueste Arbeit „De quadratura curvarum“ an, wobei er stark betonte, daß die Differentialrechnung eben seine eigene Erfindung sei, während Newton nicht ohne Entlehnung aus derselben fortwährend die Lehre von den Fluxionen verwende; bei dem später ausbrechenden Streite aber verleugnete L. bis zu seinem Tode die Urheberschaft dieser Recension. Der folgende Jahrgang dieser Zeitschrift enthält einen Aufsatz Leibniz's „De lineae super linea incessu“, d. h. über die Erzeugung der Curven durch Bewegung. Mit L. trat 1705 auch Christian Wolff, welcher ihm schon früher seine mathematische Promotionsschrift gewidmet hatte, in längeren Briefwechsel, bei dessen Gelegenheit L. demselben (20. August) die Grundzüge der prästabilirten Harmonie mittheilte, was Wolff damals dankbarst in mehreren Antwortschreiben annahm und bekanntlich auch später in seiner Philosophie sattsam verwerthete, obwol er sich daneben einer autodidaktischen Selbständigkeit zu rühmen liebte. Als 1706 der Jesuite De Bosses (s. Allg. d. Biogr., Bd. III. S. 191) von Hildesheim nach Hannover kam, um L. zu besuchen, knüpfte sich hieran ein dauernder inniger Verkehr, indem jener die Absicht kund gab, die Lehre von den Monaden und der prästabilirten Harmonie mit dem scholastischen Aristotelismus zu vereinbaren, und dafür L. an denselben zahlreiche Briefe über philosophische und theologische Fragen richtete, wobei als hauptsächliche Gegenstände die Erbsünde und das Abendmahl der Katholiken und Protestanten in den Vordergrund traten. Eine Folge davon war, daß L., welcher die ausgedehnte Materie als ein bloßes dem Regenbogen vergleichbares Phänomen bezeichnete, da die Körper wesentlich Complexe von Monaden seien, nun durch die Einwände des genannten Jesuiten sich zu dem Zugeständnisse verleiten ließ, daß, wenn es reale Körper (z. B. der Leib Christi) geben soll, welche nicht Phänomene sind, eben ein vinculum substantiale der vielen Monaden anzunehmen sei. Durch dynastische Interessen war L. wieder zur Abgabe verschiedener Gutachten veranlaßt; als es sich nämlich um den Plan der Vermählung der braunschweig-wolfenbüttelschen Prinzessin Elisabeth Christine mit dem spanischen Thronprätendenten Erzherzog Karl handelte, kam um der spanischen Thronfolge willen der Uebertritt derselben zur katholischen Kirche in Frage, und während die Helmstädter theologische Facultät diesen Confessionswechsel gut hieß, mußte L. auf Befehl des Kurfürsten Georg Ludwig dagegen seine Stimme erheben, damit nicht etwa seitens Englands wieder Bedenken gegen die hannoversche Succession auftauchen könnten; und L. war jetzt auch in der That aus politischen Gründen (wegen der No-Popery-Rufe der Engländer) etwas schärfer gegen den Katholicismus und gegen die versöhnliche Toleranz der Helmstädter gesinnt. Uebrigens wurde auch eine neuerdings angeknüpfte Corresspondenz desselben mit Fabricius, Molanus und dem Herzoge Anton Ulrich durch einen ziemlich schroffen Befehl des Kurfürsten (15. November 1706) eingestellt, welcher auf alle weiteren Reunionsbestrebungen verzichtet wissen wollte. Auch bei den Verhandlungen, welche der Vermählung des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der hannoverschen Prinzessin Sophie Dorothea vorhergingen, wurde L. beigezogen, und zu der im December stattfindenden Hochzeitsfeier begab sich derselbe wieder nach Berlin, wo er bis Mai 1707 verweilte. Hier wurde ihm wenigstens die|Freude, daß als erste Veröffentlichung der Societät der Wissenschaften ein Band Miscellanea erschien, aber im übrigen war kein rechtes Gedeihen der Anstalt bemerkbar, daher er neben abermaliger Betonung seines die Seidenzucht betreffenden Lieblingsgedankens eine Denkschrift über den Stand der Societät (25. April 1707) an den König richtete, dessen Antwort manche tröstlichere Hoffnung erwecken konnte. Daneben war er durch Hoheitsansprüche, welche Preußen auf schweizerische Gebietstheile erhob, zur Abfassung eines Gutachtens „Traité sominaire du droit de Frédéric roi de Prusse à la souveraineté de Neufchatel et de Valangin“ veranlaßt. Nach Hannover zurückgekehrt, wurde er (Juni 1707) vom Kurfürsten in geheimer Sendung an das schwedische Lager zu Altranstädt bei Leipzig abgeordnet, wo er mit den Gesandten der Großmächte zusammentraf, aber zu keiner Besprechung mit dem Könige Karl XII. gelangte. Verschiedenartigen wissenschaftlichen Interessen begegnen wir wieder in Leibniz's damaligen Briefen an Hanschius „De philosophia Platonica“, an Kestner über Rechtsphilosophie, an Coste „De la nécessité et de la contingence“, und insbesondere an Papin, mit welchem er über Dampfkraft, Centrifugalpumpe, Ballistik, Feuerspritzen, Hydrostatik u. dgl. sich äußerte und dabei bereits die Idee der jetzigen calorischen Maschinen, sowie selbst des Aneroidbarometers andeutete. Eine Hauptsache aber war, daß 1707 der erste Band der „Scriptores rerum Brunsvicensium“ erschien, d. h. der Beginn einer Sammlung mittelalterlicher Quellenschriften, deren Zahl in den weiteren Fortsetzungen (1710 und 1711) auf 157 Stücke anwuchs, sodaß für das daneben begonnene Hauptwerk der „Annales“ ein reiches Material vorlag, welches sich nicht blos auf das welfische Regentenhaus beschränkte, sondern auch weit auf die Universalgeschichte ausdehnte. Nachdem L. dieses erste größere Ergebniß, bei welchem er einigermaßen durch den oben genannten Eckhart unterstützt worden, vorgelegt hatte, erbat er sich vom Kurfürsten einen Geldzuschuß und für die Fortsetzungen ein Bogenhonorar von 2 Thlrn., was ebenso erfolglos war, als das (1708) gestellte Gesuch um die Mittel zur Durchforschung des Münchener Archives, welche nach der Meinung des Kurfürsten L. auf seine eigenen Kosten unternehmen sollte (der jüngst veröffentlichte Briefwechsel Leibniz's mit dem Minister v. Bernstorff gibt über diese unangenehmen Verhältnisse vielfachen Aufschluß). Im Spätherbste 1708 ging L., nachdem er seine jährliche Karlsbader Cur beendet hatte, heimlich und unter dem Pseudonym „Freybach“ nach Wien, wo er wieder betreffs der Gründung einer Akademie den Boden sondirte und auch mit dem dort accreditirten russischen Gesandten v. Urbich bekannt wurde, welcher alsbald an Peter d. Gr. zwei Denkschriften übermittelte, worin L. den Wunsch aussprach, daß in Rußland Bibliotheken, Laboratorien, Observatorien (besonders bezüglich der Abweichungen der Magnetnadel) und Sanitätscollegien eingerichtet, sowie ein schnellerer Verkehr mit China hergestellt werden möge. Von Wien reifte er anfangs Januar 1709 wieder nach Berlin, wo er einige Wochen durch die Fortsetzung der Miscellanea aufgehalten war, dann besuchte er Leipzig, um einen Mitarbeiter für die Annalen ausfindig zu machen, und Ende Februar traf er in Hannover ein, woselbst man seit Monaten gar nicht gewußt hatte, wo er sei (der Kurfürst beabsichtigte einmal, in den Zeitungen eine Belohnung für denjenigen auszuschreiben, welcher L. wiederfinden würde). Die erwähnte Frage über das vinculum substantiale veranlaßte ihn zu mehreren Briefen an Des Bosses und zu einem Aufsatze im Journal des Savans (1709) „Réponse aux objections du P. Lami“, welchem (1708) „Remarques sur un endroit des Mémoires de Trévoux“ vorausgegangen waren; neben einem Briefe an die Kurfürstin Sophie (April 1709) über Theodicee ist wol ungefähr um diese Zeit das Manuscript „Remarques sur le sentiment de Malebranche“ entstanden. Im J. 1710 erschien die neue Ausgabe von Adlzreiter's Annales Boicae gentis (s. Allg. d. Biogr., Bd. I, S. 88) in deren Vorrede L. linguistische Untersuchungen über den Ursprung der Baiern einflocht, und hieran knüpfte sich „Brevis designatio meditationum de originibus gentium“, worin er den Gedanken einer allgemeinen Sprachen- und Völkertabelle verfolgte. Zur selben Zeit verfaßte er „Commentatio de anima brutorum“, sowie einen Brief an Wagner „De vi activa corporis“ und eine theistische Gegenschrift gegen Toland's Adeisidaemon. Auch veröffentlichte er jetzt die im Verkehre mit Sophie Charlotte entstandene Hauptschrift unter dem Titel „Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal“ (1710), welcher als Einleitung ein „Discours de la conformité de la foi avec la raison“ vorangeht und am Schlusse ein dreifacher Anhang beigefügt ist, nämlich „Reflexions sur l'ouvrage que M. Hobbes a publié de la liberté, de la necessité et du hazard“, hierauf „Remarques sur le livre de l'origine du mal“ (d. h. über eine Schrift des englischen Bischofes William King) und zuletzt ein lateinischer Aufsatz „Causa dei asserta per iustitiam eius cum ceteris eius perfectionibus cunctisque actionibus conciliatam“. Er läßt in dieser Gesammtdarlegung allerdings die Grunddogmen des Christenthums im Ganzen unberührt und entwickelt gewissermaßen eine Vernunftreligion, aber alles trägt eben doch so sehr den Charakter eines Erbauungsbuches, daß der Jesuite Des Bosses keinen Anstand nahm, eine lateinische Uebersetzung des Werkes zu veröffentlichen und dabei Glaubenssätze des Katholicismus voranzuschicken; erklärlich ist es daher auch, daß eine innere Uebereinstimmung der Theodicee mit der Monadenlehre nicht herzustellen ist und das Hauptproblem der Herkunft des Bösen eine Lösung findet, welche vom Standpunkte der Philosophie aus als äußerst schwach bezeichnet werden muß. Wenn aber später der bekannte Tübinger Theologe und nachmalige Universitätskanzler Chr. Matthäus Pfaff auf seine Meinungsäußerung, daß die Theodicee wol nur zu scherzhaftem Vergnügen erdacht sei, die briefliche Antwort Leibniz's (vom 2. Mai 1716) erhielt, es sei hiermit der Nagel auf den Kopf getroffen und nur zu wundern, daß bisher noch Niemand dies Spiel bemerkt habe, so werden wir uns in dieser mehrfach besprochenen Sache Jenen anschließen müssen, welche annehmen, daß L. dem hochfahrenden Gottesgelehrten gegenüber sich einer Ironie bedient habe, da er ja schalkhaft beifügt, die Philosophie müsse eben häufig in Gestaltung von Hypothesen ihre Kräfte versuchen, während der theologische Professor Pfaff bei Widerlegung von Irrthümern den Theologen spielen müsse. In Berlin erhielt im December 1710 die Societät der Wissenschaften ohne Leibniz's Vorwissen einen neuen Director an dem Minister v. Printzen, worüber L., wie man gerne zugeben wird, in einige Verstimmung gerieth, wenn er auch nach brieflicher Aussage die Personenwahl selbst nicht ungern sah; ja er begab sich, ohne von seinem Kurfürsten beurlaubt zu sein, nach Berlin zu der am 19. Januar 1711 stattfindenden Festfeier, durch welche die jetzt so genannte „Akademie der Wissenschaften“ gleichsam ihre eigentliche Inauguration finden sollte, wobei er sich allerdings in einer etwas schiefen Stellung sah; doch klärten sich die Verhältnisse allmählich, und er wurde auch zum Entwurfe eines neuen Reglements aufgefordert. Seine „Denkschrift über den Zweck und Bestand der Societät“ enthält wol die Klage, daß eine gewisse Kälte bestehe, erörtert aber dann mit sichtlichem Interesse für die Sache die Nothwendigkeit einer schwungvolleren Thätigkeit und einer reichlicheren Fundirung der Anstalt; daneben richtete er ein Promemoria ähnlichen Inhalts „An den König Friedrich I. von Preußen“. Da ihm nun von Hannover aus die Rückkehr dringend nahe gelegt wurde, reiste er am 7. Mai wieder ab und zu Hause angekommen, schrieb er eine „Kurze Erzählung von der Stiftung und Einsetzung der kgl. preußischen Societät der Wissenschaften“. Eine abermalige|Correspondenz über die englische Succession kam in Verbindung mit dem neuen Plane, die anglicanische Kirchenverfassung und Liturgie in Preußen und Hannover einzuführen, welcher jedoch bald wieder einschlief; Briefe an Des Maizeaux, den Herausgeber des Bayle’schen Dictionnaire, betrafen die prästabilirte Harmonie. Im September 1711 erhielt L. betreffs der Vollendung der Annalen einen seinen Fleiß überwachenden Mitarbeiter an Eckhart, welchen der Kurfürst zu diesem Zwecke von der Helmstädter Professur dispensirte. Auf Veranlassung des russischen Gesandten v. Urbich begleitete L. im October den Herzog Ulrich von Braunschweig, dessen Tochter mit Peter, dem Sohne Alexei's, verlobt war, nach Torgau, woselbst die Vermählungsfeier stattfand und L. (20. October 1711) eine Audienz bei Peter d. Gr. erlangte; dabei wurden theils die Finanzverhältnisse Rußlands besprochen, theils auf die nothwendige Förderung linguistischer und physikalischer Forschungen, insbesondere der Beobachtung der Magnetnadel, im russischen Reiche hingewiesen, und der Kaiser gab auch das Versprechen, derartige Pläne unterstützen zu wollen. Da L. nach seiner Heimkehr beauftragt wurde, für Peter d. Gr. eine Rechenmaschine zu besorgen, knüpfte sich hieran ein längerer Briefwechsel mit dem Hofprediger Teuber in Zeitz, welcher den Mechaniker Beßler bei Herstellung der Maschine überwachte (letzterer, welcher sich Orffyreus nannte, war ein eigenthümliches Genie und rühmte sich stets, das Perpetuum mobile wirklich erfunden zu haben). Mit all seinem Feuereifer aber verfolgte L. den Gedanken, die wissenschaftlichen Zustände Rußlands zu heben; außer Briefen an den Feldzeugmeister Leßczynski und den Gesandten Schleiniz richtete er (1712) an Peter d. Gr. unmittelbar oder mittelbar mehrere Schriftstücke, nämlich „Projet d'un conseil superieur des sciences et arts pour le Czar“, dann „Denkschrift über Untersuchung der Sprachen und Variation des Magnetes im russischen Reiche“, sowie „Denkschrift über die Verbesserung der Künste und Wissenschaften im russischen Reiche“, ferner „Specimen einiger Punkte, darin Moskau denen Scienzen beförderlich sein könnte“ und „Denkschrift für S. M. den Czar Petrus I. über eine Societät der Wissenschaften in Rußland“, woran sich ein Statutenentwurf einer in Petersburg zu errichtenden Akademie knüpfte (verwirklicht wurde dieser Plan Leibniz's erst 1725). Vom Czaren wurde er hierauf nach Karlsbad eingeladen, wo er vom 20. October bis 11. November verweilte und am 1. November die Ernennung zum geheimen Justizrath nebst Jahresgehalt von 1000 Thlrn. empfing, worauf er den neuen kaiserlichen Gönner noch nach Dresden begleitete. Neben der auf Rußlands geistigen Fortschritt abzielenden Thätigkeit hatte L. 1712 in die Acta Erud. einen Aufsatz „Ueber die Möglichkeit von Logarithmen negativer Zahlen“ geliefert und in das Journal des savans eine ausführlichere Ueberarbeitung einer früher (1702, s. oben) an Pierre Bayle gerichteten Schrift, jetzt betitelt „Réponse aux reflexions contenues dans la seconde édition du dictionnaire critique de M. Bayle"; mit größter Wahrscheinlichkeit ist auch das Manuscript „Examen des principes de P. Malebranche“ in das J. 1712 zu setzen. Von Dresden aus kehrte L. nicht nach Hannover zurück, sondern begab sich eigenmächtig nach Wien, indem er wohl einen Privatauftrag vom Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel besaß, aber beim Kurfürsten Georg Ludwig nicht um Urlaub nachgesucht Hatte. Von Wien her hatte er schon zu Anfang dieses Jahres Ehren empfangen, indem er dort (auf Fürsprache des genannten Herzogs) durch Decret vom 2. Januar zum Reichshofrath ernannt worden war (ob er, wie man gemeiniglich annahm, auch die Würde eines Reichsfreiherrn erhielt, ist immerhin zweifelhaft; jedenfalls wurde sein Name nicht formell in die Liste eingetragen). Er verweilte in Wien bis zum September 1714 und gerieth hierdurch erklärlicher Weise in eine mißliche Stellung zum hannoverschen Hofe, zumal da er sich bereits zu Anfang seines Aufenthaltes neben dem Titel um die wirkliche Function und Besoldung eines Reichshofrathes bewarb. Nachdem im Januar 1713 aus Hannover eine Mahnung zur Heimkehr eingetroffen war, suchte er nachträglich um die Erlaubniß nach, in Wien das Amt des Reichshofrathes übernehmen und dabei in hannoverschem Dienste bleiben zu dürfen, woraus er nach langem Warten ein ungnädiges Antwortschreiben empfing; ja der Gesandte Hannovers in Wien warnte den Kaiser Karl VI. vor Leibniz's Projectenmacherei. Aber nachdem einmal ersichtlich war, daß L. durch Kaiser und Hof festgehalten sei, erhielt er (April 1713) aus Hannover Aufträge, in der damals streitigen Lauenburger Angelegenheit seinen Einfluß zu bethätigen; jedoch bezüglich der Fortsetzung der liegengebliebenen geschichtlichen Arbeiten wurde (1713) die Fürsorge getroffen, daß Eckhart dauernd nach Hannover umsiedle, welcher dann 1714 auch wirklich zum welfischen Historiographen ernannt wurde. In Wien waren es die dem Utrechter Frieden vorhergehenden Verhandlungen, durch welche L. wieder in die europäische Politik beigezogen und zur Abfassung zahlreicher Gutachten u. dgl. veranlaßt war. Vor dem Abschlusse des Friedens schrieb er: „Denkschrift über die politische Weltlage“, ferner „Kurzes Bedenken über den gegenwärtigen Lauf des gemeinen Wesens“ und „Consultation abrégée sur l'état présent des affaires“, sowie „Projet d'alliance avec les puissances du Nord“ und einen kurzen Aufsatz „Moysens“, in welch sämmtlichen er Vertrauen auf die gute Sache und demnach muthvolles Wagen nebst Opfermuth an Geld und Truppen forderte; und da eine anonyme Schrift „Soupirs d'Europe“ und im Anschlusse hieran ein französisch gesinnter Brief erschienen waren, verfaßte er „Reflexions d'un Hollandois sur la lettre contre les soupirs d'Europe“. Nachdem aber der Friede (April 1713) zu Stande gekommen war, erörterte L. in der ausführlichen Schrift „La paix d'Utrecht inexcusable“ die Vernunftwidrigkeit und Rechtswidrigkeit des nur durch Lüge und Feigheit ermöglichten Friedens; außerdem verfaßte er „Considérations relatives à la paix ou à la guerre“, worin er darlegte, daß, wenn der Krieg fortgesetzt werde, dies mit allen Mitteln und allseitigster Fürsorge geschehen müsse (wobei er weder die Montur der Soldaten, noch die Arzneien der Feldärzte vergaß), ferner „Nouvelles reflexions sur l'état des affaires“ und „Mémoire à l'empereur Charles VI. au sujet de la succession d'Angleterre“ (Juli), dann „Lettre d'un patriote à la sérénissime répudlique de Venise“ und ein Lehrgedicht „Fabula moralis“ betreffs der Nothwendigkeit gründlicher Ausdauer in der Politik; selbst zum Humor griff er in der Schrift „Wunderliche und romaneske Einfälle die Staatsgeschäfte betreffend“ (Juni), worin er schildert, wie man in ganz Europa die Dinge einrichten könnte, wenn „Fortuna tanze, wie wir pfeiffen“. Unterdessen war bezüglich der mathematischen Leistungen Leibniz's in England eine schon früher durchblickende Feindseligkeit so weit herangereift, daß sie in einer litterarischen That in die Oeffentlichkeit gelangte; nachdem nämlich bereits 1708 Johann Keil in den Philosophical Transactions erklärt hatte, L. habe lediglich die Newton’schen Fluxionen mit verändertem Namen und anderen Zeichen herausgegeben, und später ebendort (1711) in etwas milderer Form die Identität der Differenzialrechnung mit den Fluxionen behauptet hatte, worüber sich L. ebendaselbst (December 1711) beschwerte, trat am 24. April 1712 in London eine von der Royal Society gewählte Commission zusammen, welche auf Grund eben dieser Annahme einer Identität der beiden Methoden den Ausspruch that, daß der neue Calcul der Zeit nach von Newton früher erfunden worden sei, während L. nur die Priorität der Veröffentlichung beanspruchen könne. Und in diesem Sinne erschien in London auf Anstiften Newton's noch 1712 das „Commercium, epistolicum Joh. Collinsii aliorumque de analysi promota“, worin|Leibniz's Verdienst verneint war, eine anderartige und in der That eine vollkommenere und durchgebildetere Methode erfunden zu haben, welche in Folge einer sachgemäßeren Wahl der Zeichen sich auch wirklich fruchtreicher für die Fortbildung der höheren Analysis erwies. Ein Exemplar jener „Commercium“ betitelten Schrift war 1713 an Christian Wolff geschickt worden, und durch diesen erfuhr der in Wien weilende L. die Sache, welcher aber dort von seinen Papieren entblößt, sich darauf beschränken mußte, einen längeren Brief Joh. Bernoulli's (vom 7. Juli) zu excerpiren und somit am 29. Juli 1713 ein Flugblatt „Carta volans mathematici“ zu veröffentlichen, worin er seinerseits allerdings wieder zu weit ging, indem er die Methode der Fluxionen geradezu als ein Plagiat aus der Differenzialrechnung bezeichnete. Das Manuscript Leibniz's „Historia et origo calculi differentialis“, welches keinenfalls früher verfaßt sein kann und auch immerhin als eine Parteischrift betrachtet werden muß, enthält nicht mehr jenen schroffen Vorwurf, sondern sucht nachzuweisen, daß Newton eigentlich nur von der alten sogen. Exhaustionsmethode hergekommen sei und sonach die Fluxionsmethode überhaupt sich von der aus dem Tangentenproblem erwachsenen Differentialrechnung unterscheide. Nach der Rückkehr aus Wien beabsichtigte L., ein anderes Commercium epistolicum entgegenzustellen, aber es fehlte ihm hierzu theils die Geduld, theils die nöthige Ordnung des handschriftlichen Materiales (Newton aber gab nach Leibniz's Tode eine zweite Auflage des Commercium heraus). In Wien aber, wo L. trotz der grassirenden Pest und eigener körperlicher Leiden ausharrte, war er seit Anfang 1714 wieder mit politischen Fragen beschäftigt; der Kaiser zog ihn nicht nur über Besserung der Finanzlage zu Rathe, sondern beauftragte ihn auch mit einem Gutachten über die Erbfolge in Toscana, und insbesondere waren es wieder die dem Rastatter Frieden (7. März 1714) vorhergehenden Verhandlungen, worüber L. drei Denkschriften verfaßte, nämlich „Considérations sur la paix qui se traite a Rastadt“ (an den Kaiser gerichtet in abrathendem Sinne) und „Reflexions politiques faites avant la paix de Rastadt“ und „Wie die Friedensunterhandlungen einzurichten vor dem Rastadter Frieden“. Nach dem Abschlusse des Friedens faßten englische Kapitalisten den Plan, Kaiser Karl VI. zu unterstützen, wenn er Frankreich mittelbar durch einen Ueberfall der spanischen Colonien in Westindien angreifen wolle, und der Schotte Ker von Kersland, welcher hierfür als Unterhändler wirkte, wurde von L. unterstützt, indem dieser einen günstigen „Bericht an den Kaiser über die Kerslandischen Verhältnisse“ verfaßte, wozu noch ein „Mémoire sur l'alliance de l'empereur avec le roy d'Angleterre“ und eine sehr kurze Schrift „Mémoire pour des armements de mer sous commission de sa majesté impériale“ kamen. Während L. neuerdings über die englische Succession in Briefwechsel mit Schulenburg und der Kurfürstin Sophie stand, starb letztere am 8. Juni 1714, und hierdurch verschwand der letzte Rest eines idealen Verhältnisses, durch welches er sich bis dahin immer noch an Hannover geknüpft fühlte. Der Kurfürst Georg Ludwig hatte ihm schon im vergangenen Herbste den Gehalt sistirt und wollte nun aus politischem Argwohn ihn an die gemeinschaftlich mit Eckhart fortzuführende Arbeit binden, worauf L. (Juli) mit der Bitte um einige Rücksichtnahme antwortete, da es ihm jetzt unmöglich sei, Wien zu verlassen. Dort nämlich stand er in lebhaftem Verkehre mit dem Prinzen Eugen von Savoyen (s. Allg. d. Biogr. Bd. VI, S. 420), für welchen er auf dessen Wunsch über einige Punkte der Theodicee Aufklärung zu bekommen, eine kurze Zusammenfassung seiner philosophischen Anschauungen in französischer Sprache unter dem Titel „Monadologie“ niederschrieb (gedruckt erschien dieselbe erst 1720 in einer von Köhler gemachten deutschen Uebersetzung und hieraus 1721 in den Actis Erud. in lateinischer Uebersetzung, welche unter dem Titel|„Principia philosophiae“ in Dutens' Gesammtausgabe wieder abgedruckt ist; den französischen Originaltext gab erst Erdmann). Außerdem wandte er all seinen Einfluß auf, in Wien die Gründung einer Akademie der Wissenschaften zu veranlassen und verfaßte zu diesem Zwecke „Societatis imperialis germanicae designatae schema“, sowie „Kaiserlich deutsche Societät der Wissenschaften“ nebst ausführlichem Statutenentwurfe, woran sich noch „Errichtung eines Notiz-Amtes“ knüpfte, d. h. der Plan, mit der Akademie ein allgemeines Adreßbureau zu verknüpfen, dessen Vermittelung in allen möglichen Angelegenheiten angerufen werden könne. Er befürwortete die Akademie in Briefen an den Prinzen Eugen und an Kaiser Karl VI., ja letzterer versprach ihm bei der Abreise die Erfüllung seines Wunsches, aber die Sache scheiterte an der Opposition der Jesuiten. Wiederholte Gesuche Leibniz's um die Bestallung eines wirklichen Reichshofrathes wurden schließlich durch ein Decret beantwortet, welches ihm 2000 Gulden zuerkannte, aber zur Ausbezahlung kam die Summe nie. Ende September 1714 kehrte er nach Hannover zurück, von wo jedoch Georg Ludwig bereits am 11. September nach England abgereist war und dort als Georg I. den Thron bestiegen hatte. L. beabsichtigte, seinem Souveräne nach London zu folgen, aber die Minister gestatteten es nicht, theils aus politischen Gründen, da L. in Abweichung von ihrer Ansicht jedes Eingreifen in die englischen Parteiverhältnisse für bedenklich hielt, theils im Hinblicke auf die unerläßliche Vollendung des Annalenwerkes. In letzterer Beziehung wurde er durch ein sehr energisches Schreiben des Königs (30. November) zur Arbeit verwiesen, worauf er (16. December) nicht ohne einige Entrüstung antwortete; er gab sich nun wohl möglichst seiner historischen Aufgabe hin, fühlte aber, daß er in Ungnade sei, und dachte in tiefer Verstimmung daran, seine Tage in Wien oder in Paris oder als Historiograph Englands in London zu beschließen. Neben Briefen an Remond de Montmort über chinesische Philosophie und sonst über allerlei philosophische Fragen, an Bourget über die Theodicee und an Chamberlayne über Sprachvergleichung ist wahrscheinlich auch das Manuscript „Principes de la nature et de la grâce“, welches einen der Monadologie ähnlichen Inhalt hat, in das J. 1714 zu setzen. Um dieselbe Zeit hatte er an die Schwiegertochter König Georgs I., Prinzessin Karoline von Ansbach, mehrere tadelnde Bemerkungen über die Gefährlichkeit der Naturphilosophie Newton's geschrieben, und da hiervon Samuel Clarke Kenntniß erhielt, entspann sich (1715) eine bis zum Tode Leibniz' reichende polemische Correspondenz zwischen diesem und Clarke, wobei es sich um Newton's Auffassung des Raumes als sensorium dei, um Materialismus und mathematische Grundlagen der Philosophie, um Gottes Thätigkeit in der Welt, um Teleologie und Monadenlehre handelte; L. selbst beabsichtigte noch, den ganzen Briefwechsel zu veröffentlichen (herausgegeben wurde er später von England aus „A collection of papers which passed between the late learned Mr. Leibniz and Dr. Clarke in the years 1715 and 1716“, und hernach in französischer Uebersetzung von Des Maizeaux). Im Frühjahre 1715 bekam L. allerdings von Hannover wieder den bis dahin eingezogenen Gehalt und im Juni 1716 sogar die Nachzahlung des Rückstandes, aber bei Bearbeitung des Hauptwerkes „Annales imperii occidentis Brunsvicenses“, welches er noch bis zum Jahre 1005 fertig stellte (bekanntlich erst durch Pertz 1843 ff. in 3 Bänden herausgegeben, woselbst in der Vorrede Näheres über die Schicksale des Manuscriptes), mußte er vielen Verdruß durch seinen Mitarbeiter Eckhart erfahren, welcher ihn wiederholt (September und December 1715) beim Minister Bernstorff förmlich denuncirte. Auch von Berlin aus wurde ihm eine unliebsame Behandlung zu Theil, indem ihm dort, angeblich auf Wunsch der Mitglieder der Akademie, die jährlichen 600 Thaler, welche schon einige Zeit ausgeblieben waren, gänzlich sistirt wurden, weil er seit drei bis vier Jahren nichts mehr für die Societät gethan habe; er erwiderte darauf|(November 1715), daß die Societät, welche überhaupt unordentlich wirthschafte, ihn ohne Grund in jeder Beziehung bei Seite gesetzt habe. Er verfaßte in diesem Jahre eine Schrift „De origine Francorum“, von welcher er eine Copie auch an Ludwig XIV. schickte, und griff noch einmal in Verhältnisse Englands ein, als dort eine anonyme Schrift dem whigischen Ministerium vorwarf, daß Handel und Industrie nur auf Kosten der Grundeigenthümer gefördert würden, was eben L. zu widerlegen versuchte in „Anti-Jacodite ou faussetés de l'Avis aux propriétaires Anglais“. Auch das von dem französischen Philanthropen Charles Irénée Cartel Abbé de Saint-Pierre dargestellte Ideal eines ewigen Friedens besprach er durch „Observations sur le projet d'une paix éternelle de M. l'Abbé de Saint-Pierre“, und auf den Tod Ludwigs XIV. (1. September 1715) verfaßte er ein lateinisches Spottgedicht. Das letzte Jahr seines Lebens war neben körperlichen Leiden getrübt theils durch den fortdauernden Streit mit Clarke, theils durch Nergeleien betreffs des Annalenwerkes, indem ihm das Ministerium (Januar 1716) verbot, überhaupt noch auf Reisen zu gehen, welch unwürdige Behandlung er energisch zurückwies, und indem bald hernach (21. Februar) hinter seinem Rücken Eckhart mit der Vollendung der Arbeit beauftragt wurde; als eine Nebenfrucht aber der historischen Studien war ein Manuscript „Collectanea etymologica“ entstanden. Im April kam er in einem Briefe an Conti noch einmal auf den Unterschied zu sprechen, welcher zwischen seiner Differenzialrechnung und Newton's Fluxionen, von welchen er durch Oldenburg gehört habe, bestehe. Eine rühmende Recension in den Actis Erud. über Jak. Hermann's Phoronomie war das letzte, was er veröffentlichte; den englischen Mathematikern hatte er kurz vorher das Problem der sogenannten rechtwinkligen Trajectorien gestellt, und es war auch von Newton eine Lösung desselben eingelaufen, deren Beurtheilung aber L. nicht mehr vollenden konnte. Er war von Pyrmont, wo er (im Juli) wieder mit Peter d. Gr. und auch mit König Georg I. zusammengetroffen war, dieses Mal kränker heimgekehrt und die Gicht, welche sich seit einem Jahre auch auf Hände und Schultern geworfen hatte, trat immer heftiger auf; er kurirte auch mit allerlei Mitteln an sich selbst herum und schließlich stellten sich bedenkliche Steinschmerzen ein; am 14. November 1716 verschied er. Seiner Leiche folgte weder ein Geistlicher noch irgend Jemand vom Hofe oder vom Ministerium, nur Eckhart gab ihr die letzte Ehre; kurz L. wurde (wie Ker von Kersland sagte) wie ein Straßenränder begraben. In der französischen Akademie hielt Fontenelle auf den Verstorbenen eine Lobrede, zu welcher Eckhart die Materialien lieferte, die Berliner Akademie hüllte sich in Schweigen.

    Körperlich von mittlerer Statur hatte L. einen großen Kopf mit kleinen Augen, breite Schultern, magere krumme Beine und einen gebückten Gang; früher im Ganzen gesund litt er seit dem 50. Lebensjahre an der Gicht. Der Kern seines inneren Wesens lag in einer seltenen Vereinigung vielseitigster Beweglichkeit und zähester Ausdauer, so daß er in rastlosem Thätigkeitstriebe eine eigenthümliche Neigung zeigte, stets Plane und Entwürfe zu machen, welche er mit diplomatisch kluger Feinheit und aalartiger Geschmeidigkeit zu verfolgen und auch unter Hindernissen immer wieder aufzunehmen verstand; zweifellos hatte er hierbei in jeder Beziehung nur das Beste im Auge. aber daß auch eine kleine Beimischung von Ruhmsucht und Eitelkeit sich einstellte, wird kaum verneint werden können. Wenn ihm auch Liebe zum Gelde vorgeworfen wurde, so dürfte wol zu erwägen sein, daß er, der kein Privatvermögen besaß und in einer wahrlich nicht glänzenden Stellung sich befand, theils durch seine häufigen Reisen, theils durch die mannigfachsten Gutachten und Rathschläge zu reichlichen Opfern an Zeit und Geld genöthigt war, für welche er Ersatz beanspruchen und suchen durfte; noch weniger mag ihm verübelt werden, daß er sich an hohe und höchste|fürstliche Persönlichkeiten anschmiegte, denn in damaliger Zeit konnte die Förderung idealer Ziele, welche er verfolgte, überhaupt nur von Oben ausgehen. Doch selbst wenn ihm die eine oder andere menschliche Schwäche anklebte, so sind es seine Leistungen, welchen dauernder Ruhm gebührt. Allerdings war er eine lernende und gelehrige Natur, aber mit dieser seiner allseitigen Receptivität verband sich ein ebenso ausgedehnter thatkräftiger Optimismus, welcher ihm auf dem berechtigten Gefühle seines eigenen Werthes begründet war, und wenn seine sämmtlichen Schriften in der That eigentlich Gelegenheitsschriften waren, so bethätigte er dabei jedesmal ein eigenthümliches Talent, aus dem Vorhandenen ein möglichst Bestes zu machen. Er sagte selbst, er habe wenige Menschen und wenige Bücher getroffen, aus welchen er nicht Etwas zu seinem Nutzen habe finden können; denn er besaß auch in hohem Grade ein Geschick, das Fremde dem Eigenen anzupassen und das Eigene dem Fremden zu nähern, so daß er Alles, was er empfing, von sich aus belebte und Alles, was er ergriff, mit neuen Ideen befruchtete; er brach nie und nirgends kühn mit dem vorhandenen Ueberlieferten, war aber erfinderisch in Wendungen, welche zu einer Lösung des ihm widersprechenden führen konnten, und so erblickte er in allen Gegensätzen, welche in Politik oder in Philosophie oder in Religion vorlagen, nur einseitig beschränkte Annahmen, deren berechtigter Kern schließlich in einen harmonischen Ausgleich sich einfügen lasse. So schöpfte er überall aus dem Leben in idealer Richtung für das Leben, und hierin lag ihm der Sinn seines Lieblingsspruches „In Worten die Klarheit, in Sachen der Nutzen“, sowie überhaupt seine fast unermeßliche Leistungsfähigkeit auf die zwei Ziele hinsteuerte: Erkenntniß der Wahrheit und Veredlung der Menschen. Gleichmäßig begabt zu encyklopädischer Allseitigkeit und zu speculativer Tiefe, sowie unterstützt durch ein ganz außergewöhnliches Gedächtniß, strebte er nach Herstellung einer Harmonie zwischen philosophischer Auffassung und forschender Ehrfurcht vor den Thatsachen, und hierauf beruht es, daß er auch bei einzelnen, durch äußere Veranlassung hervorgerufenen Gutachten und Denkschriften stets höhere allgemeine Gesichtspunkte hegte. Abgesehen von der historischen Quellensammlung und dem Annalenwerke hat er keine Schrift großen Umfanges veröffentlicht oder verfaßt, da er überhaupt nicht eigentlich systematisch aufbauend, sondern mehr reflectirend und prüfend arbeitete; in allen Gebieten, mit welchen er sich beschäftigte, gab er Entwürfe, Pläne, Grundriffe, Versuche, Kritiken und zahlreiche einzelne Aufsätze und Abhandlungen, wozu eine fast unglaubliche Zahl von Briefen hinzutritt, in welchen er gelegentlich einzelne Fragen erledigte (eine in der Bibliothek zu Hannover befindliche Zusammenstellung weist 1054 Personen, darunter allein 32 fürstliche, auf, mit welchen er in längerer oder kürzerer Correspondenz stand); zuweilen legte er seine augenblicklichen Empfindungen auch in Gedichten nieder, kurz wo und so oft er eine Anregung fand, gab er von dem Seinigen dazu und suchte hierdurch auf einzelne Personen oder Verhältnisse einzuwirken, und wenn er dabei öfters eine Pseudonyme Maske oder Anonymität wählte, so geschah dies in der Absicht, den Leser unbefangener an den objectiven Thatbestand zu binden. Sein Stil ist erklärlicher Weise im Ganzen ungleichmäßig, öfters etwas weitschweifig, zuweilen auch verwickelt, immer aber sachlich fesselnd, wenn auch nicht jedesmal anziehend oder reizend. — Durch seine so vielseitig in Anspruch genommene politische Thätigkeit zieht sich als belebendes Motiv die edelste patriotische Gesinnung hindurch, vermöge deren ihm die Erhaltung, Sicherung und Einigung des deutschen Vaterlandes als Endzweck aller Berathungen und Maßnahmen galt, sowie er auch deutsche Gesittung und deutsche Sprache gehoben und gefördert wissen wollte. Eine genaue Kenntniß des Rechtsgebietes befähigte ihn, in Angelegenheiten des Staats- und Völkerrechtes, sowie des Privatfürstenrechtes und des Kirchenrechtes|berathend mitzuwirken, und seiner Zeit vorauseilend blickte er vielseitigst auf die Aufgaben der Staatswirthschaft, wobei er Fragen über Binnen- und Seehandel, über Gewerbe, Maschinen- und Fuhrwesen, über Assecuranzen und Zolleinigung, über Besteuerung und Münzwesen berührte oder näher erörterte. Als Historiker gab er der Nachwelt ein mustergiltiges Vorbild in Benützung der Archive, und mit dieser sorgfältigsten Ausdauer in Sammlung der Quellen verband er den umsichtigsten kritischen Blick; weit über die Grenzen der ihm gestellten besonderen Aufgabe hinausgreifend legte er mittelst seines lebhaften auf alles menschlich Wichtige gerichteten Interesses den Grund zu einer Umwandlung des ganzen wissenschaftlichen Geistes, indem er eben in der Geschichte den Grundsatz einer stetigen fortschreitenden Entwickelung zur Geltung brachte. Ein gleiches Motiv waltete bei ihm in philologisch-linguistischer Richtung, indem er Stoffsammlung anzuregen versuchte und den Gedanken einer vergleichenden Sprachforschung in sich trug, durch welche eine Classification der Menschheit sich ergeben könne, insoferne das Princip einer ursprünglichen Onomatopöie verbunden mit begrifflichem Allgemeingehalte in der Mannigfaltigkeit der Wortbildungen durchgeführt werde. Als Mathematiker erwarb er sich im Gebiete der höheren Analysis unvergänglichste Verdienste, denn wenn auch Newton bereits um 1666 auf eine Methode kam, welche auf dem Begriffe der Function und der Variabilität beruht, d. h. auf seine Methode der Fluxionen, welche er 1669 handschriftlich an Oldenburg und Collins mittheilte, so war L. 1675 der Erfinder der von ihm so bezeichneten Differentialrechnung mit Einschluß des dazu gehörenden Algorithmus; und selbst wenn L. durch eine theilweise Kenntniß des Newton’schen Verfahrens unterstützt war (worüber ja gestritten werden mag), so hat er jedenfalls von sich aus das entscheidend Beste dazu gethan, durch welches die unbeholfenere Methode der Fluxionen auch thatsächlich verdrängt werden mußte, nachdem durch das Leibniz’sche Verfahren in einheitlicher Durchbildung das wichtigste Mittel zur Lösung der bis dahin unlösbaren Probleme gegeben war. Allerdings ist hierdurch nicht etwa Alles gerechtfertigt, was L. in dem späteren leidigen streite gethan oder unterlassen hat; aber die Priorität selbst könnte ihm nur abgesprochen werden, wenn Fluxionenrechnung und Differentialrechnung völlig identisch wären. Auch im Gebiete der Mechanik und insbesondere der Dynamik war er von weitgreifendem Einflusse auf Joh. Bernoulli und dessen Nachfolger durch die Unterscheidung zwischen todten und lebendigen Kräften. Ausgedehnte Kenntnisse der Controverstheologie und der Kirchengeschichte verwerthete er in den damaligen Unionsbestrebungen zweifacher Richtung, wobei neben mancherlei äußerer Nöthigung ihm ein speculatives Ideal vorschwebte, indem er meinte, es lasse sich für Hauptfragen der Religion eine rationell natürliche Begründung finden und es werde hierdurch eine harmonische Vereinbarung der sogenannten natürlichen Theologie mit der geoffenbarten ermöglicht, worauf sich eine universelle Kirche mit einem gewissen Grade hierarchischer Verfassung aufbauen könne. Sowie er in solcher Weise an eine speculative Vergeistigung der Theologie dachte, welche gleichsam neben den Glaubenssätzen der Religion einhergehe, so besitzt auch seine Philosophie eine theologisirende Kehrseite, deren Gepräge in zahlreichen Aufsätzen und hauptsächlich in der Theodicee vorliegt. Die Monadenlehre, welche den Kern der eigentlich systematischen Denkweise Leibniz' bildet, mochte bei ihm wol durch Beschäftigung mit Giordano Bruno hervorgerufen worden sein, zeigt aber jedenfalls eine innere Verwandtschaft mit dem Begriffe der lebendigen Kräfte, indem er in der Thätigkeit den wahren Bestand des substantiellen Wesens erblickte; die unendliche Mannigfaltigkeit aber der Abstufungen dieser in einem Vorstellen bestehenden individuellen Thätigkeit faßte er in dem Begriffe einer prästabilirten Harmonie zusammen, vermöge deren alle Veränderungen im|Universum parallel gehen und in jeder Monade sich spiegeln. Die Darlegung der denkenden Monade führte ihn zu einem Gegensatze gegen den Locke’schen Empirismus und zu einer Unterscheidung zwischen rationeller und empirischer Wahrheit. Hierdurch aber war er von größtem Einflusse auf Christian Wolfs und folglich mittelbar auf die gesammte deutsche Philosophie des 18. Jahrhunderts, sowie er betreffs des Verhältnisses zwischen Leib und Seele für jene Zeit den Anstoß zu den zahlreichen psychologischen Controversen über den sogenannten influxus physicus gab. So übte er in mehreren Zweigen der Philosophie eine nachhaltige befruchtende Wirkung aus, welche selbst jetzt noch theilweise im Herbartianismus bemerklich ist, während ihm im Gebiete der höheren Mathematik geradezu der Ruhm eines Urhebers aller nachfolgenden Entfaltung gebührt, sowie die Geschichtschreibung in ihm einen Vorläufer moderner Forschungsweise verehren darf und die deutsche Vaterlandsliebe dankbar zu einem solchen Vorbilde aufblickt.

    • Literatur

      Daß Lessing seine Absicht, eine Biographie Leibniz' zu schreiben, nicht ausführte, dürfen wir sicher bedauern; welch treffliche Leistung aber wir Guhrauer (2. Aufl. 1846) verdanken, ist allgemein bekannt (s. Allg. D. Biogr. Bd. X, S. 99 ff.); doch häufte sich später noch reiches neues Material durch die begonnenen Gesammtausgaben der Werke Leibniz'. Nachdem nämlich schon früher J. E. Erdmann die philosophischen Schriften herausgegeben hatte (1840), veröffentlichte in der von Pertz angefangenen Ausgabe Gerhardt sieben Bände mathematischen Inhalts, wozu bis jetzt von demselben Gelehrten besorgt der 1., 2., 4. und 5. Band der philosophischen Schriften kommt; die Gesammtausgabe von Onno Klopp umfaßt bis jetzt 11 Bände, jene von Foucher de Careil sieben Bände (vollendet ist keine derselben). Auf die Einzelneinleitungen dieser Herausgeber sei hiermit in biographischer Beziehung verwiesen; außerdem gab Distel Mittheilungen über Leibniz' Erben und Vermögensnachlaß im Archiv für sächsische Geschichte, Neue Folge, Bd. V, S. 192 und Bd. VI, S. 339 ff., woselbst auch die von dem französischen Abbé Buquoit gefertigte Grabschrift Leibniz' abgedruckt ist. Ergänzungen aber zu den genannten Ausgaben liegen vor bei Cousin, Fragmens de Philosophie Cartesienne (1845), woselbst Leibniz' Briefe an Malebranche, und durch K. Biedermann, „Von und aus ungedruckten Leibniz’schen Handschriften“ (in Westermann's Monatsheften, Juli 1882), und hauptsächlich in jüngster Zeit durch zahlreiche Veröffentlichungen Leibniz’scher Briefe, nämlich: Leibniz' und Huygens' Briefwechsel mit Papin, herausgegeben von E. Gerland (1881) und von demselben „Leibniz' Briefwechsel mit Von Staff“ in der Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte, Neue Folge, Bd. X, Heft 2; ferner publicirte Distel in den Berichten der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, 1879, S. 104—154 und 1880, S. 187 f. Briefe an Herzog Moriz von Sachsen-Zeiz, an Flemming, an Bose und Vota, sowie in Schnorr's Archiv für Lit.-Gesch. Bd. XI, S. 349 einen Brief an Daum; sodann folgte noch Leibniz' Briefwechsel mit dem Minister v. Bernstorff, herausgegeben von R. Döbner (1882).

      Ueber L. im Allgemeinen s. Edm. Pfleiderer, L. als Patriot, Staatsmann u. Bildungsträger (1876), Näheres über die Philosophie L.'s in den bekannten Werken von J. E. Erdmann u. Ed. Zeller, betreffs der Mathematik bei Gerhardt, Gesch. d. Math. (1877). Reichhaltigste Litteraturnachweise finden sich in der neuesten Auflage von Ueberweg's Grundr. d. Gesch. d. Phil. (Bd. III), etwa noch zu ergänzen durch Haupt. Opuscula, Bd. III, S. 108 u. 210 ff., sowie in neuester Zeit durch Meißner, L.'s Streit mit Clarke über den Raum (1881), Le Viseur, L.'s Beziehungen zur Pädagogik (1882) und Dafert, L. als Deutscher (1883).

  • Autor/in

  • Zitierweise

    Prantl, Carl von, "Leibniz, Gottfried Wilhelm" in: Allgemeine Deutsche Biographie 18 (1883), S. 172-209 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118571249.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA