Lebensdaten
1895 – 1961
Geburtsort
Basel
Sterbeort
Hamburg
Beruf/Funktion
Regisseur ; Intendant
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118628119 | OGND | VIAF: 5724079
Namensvarianten
  • Wälterlin, Oskar
  • Wälterlin, Oskar
  • Wälterlin, Oscar
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Wälterlin, Oskar, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628119.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus Fam. Welterlin, d. 1600 aus Stetten b. Lörrach (Baden) n. Muttenz (Kt. Basel) auswanderte;
    V Leonhard (1858–1938), Kaufm., Vers.fachmann, Prokurist in B., S d. Leonhard (1830–92), Landwirt, Gde.rat in Muttenz, u. d. Anna Maria Wirz;
    M Julie Rosalie Siegrist (1860–1934), aus Niederdorf (Kt. Basel-Landschaft), T e. Landwirts;
    3 B (1 früh †) Alfred (1884–1953), Ludwig (1885–1905), 1 Schw Leonie (Lene) (1882–1963);
    1) 1925 Wilfried Scheitlin (1911–88), aus B., Schausp., Regieassistent, Regisseur, S e. Chemikers in St. Gallen, 2) 1958 Peter Morgenstern (* 1935), aus Chemnitz, Schausp., Regieassistent, TV-Regisseur, Pharmareferent.

  • Biographie

    W. studierte nach der Matura am humanistischen Gymnasium in seiner Heimatstadt Germanistik und Theaterwissenschaften an der Univ. Basel und schloß 1918 mit der Promotion ab. Schon als Schüler spielte er am Basler Stadttheater, wo er Gesang- und Sprechtechnik lernte, als Komparse. 1919 wurde W. erstmals als „Baumgarten“ in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ besetzt und mit der Regie von Friedrich v. Flotows (1812–83) Oper „Martha“ betraut. Zugleich schrieb er für die Basler „Theater-Zeitung“. Am Stadttheater über den Schauspieler und Spielleiter zum Dramaturgen aufsteigend, übernahm er 1923 die Leitung der Basler Festspiele; 1925 wurde er Oberregisseur. Sein mit dem Genfer Bühnenbildner Adolphe Appia (1862–1928) geplantes „Ring“-Projekt scheiterte nach seiner modernen Inszenierung der „Walküre“ 1925 am Widerstand konservativer Wagner-Anhänger. 1926, inzwischen offiziell im Rang des Direktors, inszenierte W. mit „La serva padrona“ seine erste Oper und baute bis 1932 das Dreispartentheater zu einem erfolgreichen modernen Haus um. Zur selben Zeit aufgrund seiner Beziehung zu dem jungen Schauspieler Wilfried Scheitlin (1911–88), seinem späteren Regieassistenten, diffamiert, demissionierte W. und wechselte 1933 als Intendant an die Oper der Städt. Bühnen in Frankfurt/M.; dorthin folgte ihm Walter Felsenstein (1901–75), der schon 1927 / 29 in Basel als Oberspielleiter mit ihm zusammengearbeitet hatte. In seiner 5jährigen Frankfurter Schaffenszeit bis 1938 gelang es W., zwischen ambitionierter Opern-, Operetten- und Theaterarbeit und Anpassung an das NS-System zu manövrieren, unterstützt von Felsenstein, dem Bühnenbildner Caspar Neher (1897–1962) und den Publikumslieblingen Joachim Gottschalk (1904–41) und Cläre Kaiser (erw. 1934–79). W. inszenierte 34 Musikwerke, beliebte Opern wie Giuseppe Verdis „Aida“ (1934), Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“ (1935) und Willibald Glucks „Orpheus und Eurydike“ (1937). Höhepunkte dieser Periode waren Mozarts Opern, u. a. „Die Zauberflöte“ (1936 / 37), mit einem Libretto von Siegfried Anheißer (1881–1938). Unter W.s Uraufführungen zählte Carl Orffs „Carmina Burana“ Anfang Sept. 1937 zu den aufsehenerregendsten. Triumphal gefeiert wurde er mit Wagners „Lohengrin“ (1937 / 38); während des Umbaus der Frankfurter Oper ging er mit dem „Ring des Nibelungen“ 1938 auf Tournee nach Bukarest und Sofia. Im selben Jahr wurde ihm das Direktorat des Zürcher Schauspielhauses angeboten, nachdem Ferdinand Rieser (1886–1947), der Schwager von Franz Werfel (1890–1945), sich gezwungen sah, sein Theater zu verpachten und in die USA zu emigrieren. W. übernahm ein Ensemble von einzigartigem Rang, u. a. mit Therese Giehse (1898–1975), Maria Becker (1920–2012), Ernst Ginsberg (1904–64), Erwin Kalser (1883–1958), Wolfgang Langhoff (1901–66), Karl Paryla (1905–96) neben den einheimischen Schauspielern Grete Heger (1916–2007), Heinrich Gretler (1897– 1977), Lukas Ammann (1912–2017) und Anne-Marie Blanc (1919–2009), dazu den hervorragenden Bühnenbildner Teo Otto (1904–68). Die Umwandlung in die „Neue Schauspiel AG“ mit einem Dreierrat an der Spitze, Kurt Hirschfeld (1902–64) als Chefdramaturg, W. als künstlerischem Leiter und Richard Schweizer (1900–65) als Stellvertreter, verhinderte die Schließung des Hauses, der einzig verbliebenen dt.sprachigen Bühne verfolgter Schauspieler, die auch die im Dt. Reich verbotenen Autoren spielte. Nachdem 1938 der Schweizer Homosexuellen-Paragraph (§ 123 b) landesweit abgeschafft worden war, übersiedelte W. vom elterlichen Haus in Basel in ein Landhaus nach Zollikon, wo er zusammen mit seiner Schwester und seinem Freund Scheitlin lebte; dieser – in Basel beheimatet – spielte an diversen Schweizer Theatern und führte Regie. Gemeinsam mit den emigrierten Schauspieler-Regisseuren Leonard Steckel (1901–71), Leopold Lindtberg (1902–84), Kurt Horwitz (1897–1974), Wolfgang Heinz (1900–84) u. a. inszenierte W. ab den späten 1930er Jahren bis 1946 Stücke von Sophokles, Shakespeare und Molière sowie dt. Klassiker. W. unterstrich so mittels der Parabel das europ. „humane Erbe“ gegen Verrohung und Diktatur. Während der 1940er Jahre zeigte er Uraufführungen der politisch Verfemten Bert Brecht (1898–1956), Carl Zuckmayer (1896–1977), Ferdinand Bruckner (1891–1958) und Georg Kaiser (1878–1945). Brechts Dramen wie „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1941) mit Therese Giehse und „Der gute Mensch von Sezuan“ (1943) kamen in Zürich zur Uraufführung. 1942–44 leitete W. zugleich im Rahmen sog. Mangelverwaltung das Basler Stadttheater. Hier inszenierte er als erster im dt.sprachigen Raum moderne engl. und franz. Bühnenstücke wie Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“ (1939) u. T. S. Eliots „Familienfeier“ (1945), ebenso Stücke von Jean Paul Sartre (1905–80), Georges Bernanos (1888–1948) und Jean Giraudoux (1882–1944), die nach dem Krieg ihren Siegeszug in Deutschland antraten. Ab Mitte der 1940er Jahre stießen weitere dt. Kräfte zum Ensemble wie Gustav Knuth (1901–87), Käthe Gold (1907– 97), Werner Hinz (1903–85), Brigitte Horney (1911–88) und Will Quadflieg (1914–2003).

    W., der nach 1945 außerdem zahlreiche Opern und Repertoirewerke am Stadttheater Zürich inszenierte, konnte seinen Traum einer Generalintendanz mit dem Zürcher Schauspielhaus nicht durchsetzen. Schon 1950 dachte er deshalb an Rücktritt, 1952 war das Theater nach Auslaufen des Pachtvertrages sogar existentiell bedroht, wurde aber durch die Schweizerische Bankgesellschaft gerettet. 1955 zog er nach Küsnacht, wo er später mit dem Regisseur Peter Morgenstern zusammenlebte.

    W. gab den jungen Schweizer Dramatikern Max Frisch (1911–91) und Friedrich Dürrenmatt (1921–90) ein Forum für die Uraufführung ihrer Stücke „Don Juan oder die Liebe zur Geometrie“ (1953) und „Der Besuch der alten Dame“ (1956). Bis 1961 brachte er noch Arthur Miller (1915–2005), Luigi Pirandello (1867–1936), Eugène Ionesco (1909–94) und Frederico Garcia Lorca (1898–1936) auf die Bühne. Längst berühmt und zu Gastspielen in ganz Europa (Wien, Salzburg, Lyon, Düsseldorf, Luzern u. a.) unterwegs, starb W., schon länger herzleidend, an einem Infarkt in Hamburg. Die Bilanz seiner Züricher Ära am Pfauen betrug 445 Aufführungen, darunter 111 Ur- und Erstaufführungen – der Ruhm des Zürcher Schauspielhauses verbreitete sich unter W.s mehr als 20jähriger Leitung in ganz Europa.

  • Werke

    Weitere W u. a. Theater- u. Operninszenierungen: Schausp.haus Zürich: Troilus u. Cressida v. Shakespeare, 1938 / 39;
    Wilhelm Tell v. F. Schiller u. Nathan d. Weise v. Lessing, beide 1939;
    Das Grosse Welttheater v. H. v. Hofmannsthal, 1939 / 40;
    Maria Stuart v. F. Schiller, 1940 / 41;
    Torquato Tasso v. J. W. v. Goethe, 1941;
    Maikäferkomödie v. J. V. Widmann, 1941 / 42 (UA);
    Leben d. Galilei v. B. Brecht, 1943 (UA);
    Wir sind noch einmal davongekommen v. Th. Wilder, 1943 / 44 (dt. EA);
    Herr Puntila u. sein Knecht Matti v. B. Brecht, 1948 (UA);
    Schmutzige Hände v. J. P. Sartre, 1948 / 49 (Schweizer EA);
    Die begnadete Angst v. G. Bernanos, 1951 (UA);
    Die kl. Niederdorf-Oper v. W. Lesch u. a., 1951 / 52 (UA);
    Im Räderwerk v. J. P. Sartre, 1953 (UA);
    Undine v. J. Giraudoux, 1953 / 54 (SE);
    Ein Engel kommt nach|Babylon v. F. Dürrenmatt, 1954 (?) (Schweizer EA);
    Um Lucrezia v. J. Giraudoux, 1954 / 55 (Schweizer EA);
    Biedermann u. d. Brandstifter v. F. Dürrenmatt, 1958 / 59 (UA);
    Frank der Fünfte v. dems., 1958 / 59 (UA);
    zahlr. Gastinszenierungen u. -spiele;
    Schrr.: Schiller u. d. Publikum, phil. Diss. Basel 1918;
    Das andere Leben, 1943;
    In memoriam Max Reinhardt, 1944 (mit F. Salten, W. Langhoff u. E. Jensen);
    Flüchtlinge u. Schaubühne, in: Über d. Grenzen, Nr. 3, 1945, S. 6;
    Theater, Meinungen u. Erfahrungen, 1945 (mit Th. Giese u. a.);
    Entzaubertes Theater, 1945 (Ansprache);
    Verantwortung d. Theaters, 1947, gedr. in: D. Bachmann u. R. Schneider (Hg.), Das Verschonte Haus, das Zürcher Schausp.haus im Zweiten Weltkrieg, 1987, S. 247 f.;
    Das Berufstheater in d. Schweiz, 1954;
    Bekenntnis z. Theater, Reden u. Aufsätze, 1955 (Ill. Teo Otto);
    Teo Otto, 1960;
    Prosa u. Gedichte, 1961;
    Stücke: Die Sendung, 1927;
    Papst Gregor VII., 1932;
    Wenn d. Vater mit d. Sohne (Komödie), [1936];
    Gasthaus zu d. drei Königen (Komödie), [1937];
    Henri G. Dufour, 1948;
    Don Pedros Heimkehr, 1952;
    Teilnachlässe: Schweizer. Theaterslg. Bern(mit Trauerrede v. Rudolf Schwabe);
    Univ.bibl. Bern;
    Zentralbibl. Zürich.

  • Literatur

    |FS f. O. W. anlässlich d. 60. Geb.tags, Die Basler Festspiele 1923–1951, 1955;
    M. Schmassmann, Das Basler Stadttheater, Diss. Wien 1970;
    W. Mittenzwei, Das Zürcher Schausp.haus 1933–1945, 1979;
    M. P. Loeffler, O. W., Ein Profil, 1979, ²1981, 2014 (P);
    H. Dumont, Zürcher Schausp.haus u. Schweizer Film im Zweiten Weltkrieg, in: D. Bachmann u. R. Schneider (Hg.), Das Verschonte Haus, 1987;
    Th. Blubacher, „Befreiung von der Wirklichkeit?“, Das Schausp. am Stadttheater Basel 1933–1945, 1995;
    ders., „Die Holbeinstraße, das ist das Europa, das ich liebe.“, Achtzehn Miniaturen aus d. Basel d. 20. Jh., 2010;
    ders., O. W. u. sein Theater d. Menschlichkeit, 2011 (W-Verz., L, P);
    U. Kröger, Eine demokrat. Angelegenheit, Zum 100. Geb.tag O. W.s, in: NZZ v. 30. 8. 1995;
    F. Lendenmann (Hg.), Eine grosse Zeit, Das Schausp.haus Zürich in d. Ära W. 1938 / 39–1960, mit e. Einf. v. P. Löffler, 1995 (P);
    U. Kröger u. P. Exinger, „In welchen Zeiten leben wir!“, Das Schausp.haus Zürich 1938– 1998, 1998 (P);
    F. Trapp, W. Mittenzwei, H. Rischbieter u. H. Schneider (Hg.), Theater im Exil 1933–45, 3 Bde., 1999 (P);
    B. Bruns, „Werft Eure Hoffnung über neue Grenzen“, Theater im Schweizer Exil u. seine Rückkehr, Ausst.kat. Dt. Theatermus. München 2007 (P);
    Sucher, Theaterlex.;
    Theaterlex. Schweiz;
    M. Brauneck u. W. Beck (Hg.), Theaterlex., 2007;
    Kosch, Theater-Lex.;
    HLS.

  • Autor/in

    Brigitte Bruns
  • Zitierweise

    Bruns, Brigitte, "Wälterlin, Oskar" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 176-178 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628119.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA