Lebensdaten
1854 – 1924
Geburtsort
Düsseldorf
Sterbeort
Marburg
Beruf/Funktion
Philosoph ; Pädagoge
Konfession
evangelisch?
Normdaten
GND: 118586548 | OGND | VIAF: 32302
Namensvarianten
  • Natorp, Paul
  • Natorp, P.
  • Natorp, Paul G.
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Natorp, Paul, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586548.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus westfäl. Pfarrerfam.;
    V Adalbert (1826–91), Pastor, Konsistorialrat in D., S d. Gustav Ludwig (1797–1864), Sup. in D., u. d. Marie Krummacher (1799–1880) aus Moers;
    M Emilie (1826–1900), T d. Heinrich Ludwig Keller (1786–1869), Justizrat in Hamm, u. d. Karoline Loschge (1787–1872);
    Ur-Gvv Bernhard Christoph Ludwig (1774–1846), Oberkonsistorialrat (s. L), Friedrich Adolph Krummacher (1767–1845), ev. Theologe u. Schriftst. (s. NDB 13);
    Gr-Ov Dr. phil. Gustav (1814–91), Leiter d. Ver. f. bergbaul. Interessen in Essen (s. Rhein.-Westfäl. Wirtsch.biogrr. VIII, 1962);
    Münster 1887 Helene (1861–1942) aus Elversberg/Saar, T d. Johannes Natorp (1829–92). Bergassessor in Pless (Oberschlesien), u. d. Marie Adelheid Varnhagen (1839–1908) aus Dortmund;
    2 S, 3 T, u. a. Adelheid ( Dr. med. Eduard Krummacher, 1803–91, Arzt in Bremen), Bertha (1803–63, Dr. iur. Heinrich Johann Wilhelm Lent, 1792–1868, Präs. d. Appellationsger, in Hamm, s. NDB 14*).

  • Biographie

    N., in dessen Familie das musikalische Erbe des Urgroßvaters Bernhard Christoph Ludwig Natorp besonders gepflegt wurde, behielt ein lebenslanges Interesse an Musik. Nach dem Besuch des Gymnasiums begann er im Herbst 1871 seine breit angelegten Universitätsstudien (u. a. Musik, Geschichte, klassische Philologie) in Berlin und Bonn. Seit Sommer 1874 studierte er in Straßburg und schloß hier 1876 mit Staatsexamen und Doktorat ab. In seiner Straßburger Zeit entschied er sich für die Philosophie, die ihm in Gestalt des Kantianismus von Friedrich Albert Lange und Hermann Cohen durch einen in Marburg studierenden Jugendfreund nahegebracht wurde. Nach vier Jahren Hilfs- und Hauslehrerdasein in Straßburg, Dortmund und Worms trat N. im Juni 1880 eine Stelle als Hilfsbibliothekar an der Universitätsbibliothek Marburg an. Bereits im Wintersemester 1880/81 nahm er an der Universität seine Vorlesungstätigkeit als Privatdozent für Philosophie auf. Daß und wie er sich vom Positivismus seines Straßburger Lehrers Ernst Laas gelöst hatte, zeigt seine Habilitationsschrift „Descartes' Erkenntnistheorie“ (1882). In den folgenden Jahren begründete N. seinen Ruf als Gelehrter durch Forschungen im Grenzgebiet von antiker Philosophie und klassischer Philologie sowie durch Studien zur Vorgeschichte des Kritizismus. 1885 wurde er ao. Professor, 1893 erhielt er, als Nachfolger von Julius Bergmann, das Ordinariat für Philosophie und Pädagogik, das er bis zu seiner Emeritierung 1922 innehatte.

    Die größte Ausstrahlung hatte N.s geistige Arbeit im Bereich der Pädagogik. Er knüpfte hier, kritisch gegenüber Herbarts und Diltheys Pädagogik-Verständnis, selbständig an die pädagogischen Grundvorstellungen Platons und Pestalozzis an. Bedeutendstes Resultat ist seine „Sozialpädagogik“ (1899; ⁷1974, hrsg. v. R. Pippert), in der das Gemeinschaftsprinzip der Bildung philosophisch begründet wird. Ausgehend von einem „Sozialismus der Bildung“, war N. überzeugter Sozialdemokrat; 1894 wurde er deswegen heftig angegriffen („Fall Natorp“). Wiederholt nahm er zu bildungspolitischen Fragen, z. B. zur Lehrer- und Erwachsenenbildung sowie gegen den konfessionell-dogmatischen Religionsunterricht, Stellung. Später setzte er große Hoffnungen auf die kulturelle und soziale Erneuerung durch die deutsche Jugendbewegung und nahm an der 1913 erfolgten Gründung der „Freideutschen Jugend“ persönlich Anteil. Als spezifisch „Deutscher Weltberuf' (1918) galt ihm die Sorge für den einen menschheitlichen Geist, in dem die nationale Selbstsucht überwunden und ein freier, genossenschaftlicher Sozialismus verwirklicht werden könne. In diesem Sinne verfocht er nach dem Krieg einen differenzierten, „organischen“ Pazifismus und bekämpfte jedwede Rassenideologie.

    Aus der Zusammenarbeit mit seinem Kollegen und Freund Hermann Cohen erwuchs die „Marburger Schule“ des Neukantianismus, deren Ruf im ersten Dezennium des 20. Jh. eine Vielzahl junger Leute aus dem In- und Ausland zum Philosophiestudium nach Marburg zog. In seinem einflußreichen Buch „Platos Ideenlehre“ (1903) verficht N. die These, daß die platonischen Ideen als Gesetze, nicht als Dinge zu interpretieren seien. Er umreißt damit bereits das Profil seiner eigenen funktionalen Erkenntnistheorie, die auf der transzendentalen Logik Kants und deren Begriff der „synthetischen Einheit“ aufbaut. In der Entfaltung dieser Einheit, verstanden als Grundrelation des Einen und Mannigfaltigen („korrelativistischer Monismus“), erblickte N. das Gesetz des Erkenntnisprozesses. In „Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften“ (1910) entwickelt er die Grundrelation zu einem System der „logischen Grundfunktionen“ (Kategorien), dem erkenntnislogischen Fundament von Mathematik und Physik. Die Abgrenzung einer solchen „objektiven“ Erkenntnisbegründung von einer „subjektiv-psychologischen“ führt N. zu einer neuartigen philosophischen Psychologie („Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode“, 1912), die in strenger Korrelation zu den objektiven Momenten der Erkenntnis des Gegenstandes deren subjektivpsychologische Momente rekonstruiert. Aber|N. blieb nicht bei der Aufgabe der Erkenntnisbegründung stehen. In seiner „Philosophie“ (1911) reflektiert er den Übergang zur Ethik, indem er schon in der Erkenntnis, begriffen als unendliche Aufgabe, ein „Sollen“ eruiert. Wer die Erkenntnisarbeit bewußt diesem Sollen unterstellt, hat es in ein Wollen verwandelt. N. unterscheidet drei Stufen des Wollens: Trieb, Wahl und Vernunftwille. Auf der sozialen Ebene ist der Vernunftwille durch die bildenden Tätigkeiten präsent. Der Anspruch der Religion („Religion innerhalb der Grenzen der Humanität“, 1894, ²1908) erscheint im System, unter Berufung auf Schleiermacher, als „Gefühl“, nämlich Selbsterlebnis unmittelbarer Einheit. Nach 1912 beschäftigte N. das Projekt einer „Allgemeinen Logik“, in der der übergreifende Sinnzusammenhang des „Logos“ schlechthin konstruiert und so die philosophische Systematik begründet werden sollte. Im Zeichen der Koinzidenz von Sein und Nichtsein bewegte sich sein Denken auf eine Metaphysik mit Zügen der Mystik Meister Eckharts zu, ohne jedoch seine prinzipiell kritisch-rationale Ausrichtung preiszugeben. Die Begegnung mit dem ind. Weisen Rabindranath Tagore (Thakkur) 1921 in Darmstadt verlief sehr anregend („Stunden mit Rabindranath Thakkur“, 1921). N.s Alterswerk ist das Dokument rastloser Fortarbeit an der Bewußtwerdung der Vernunft „bis zu ihrem eigenen letzten Grunde“.

  • Werke

    Weitere W u. a. Sozialidealismus, Neue Richtlinien soz. Erziehung, 1920;
    Vorlesungen üb. prakt. Philos., 1925;
    Phil. Systematik, Aus d. Nachlaß hrsg. v. Hans Natorp, 1958. – Ca. 300 Aufsätze u. Art.Autobiogr.: Die dt. Philos. d. Gegenwart in Selbstdarst., I, 1921, S. 151-76 (P).|

  • Nachlass

    Nachlaß: Univ.bibl. Marburg.

  • Literatur

    F. Trost, in: Lb. aus Kurhessen u. Waldeck, VI, 1958, S. 233-49 (Qu., L. P);
    R. Pippert, Idealist. Sozialkritik u. „Deutscher Weltberuf“, 1969 (W-Verz.);
    H. Holzhey, Cohen u. N., 2 Bde., 1986;
    N. Jegelka, P. N., Philos., Päd., Pol., 1992;
    U. Sieg, Aufstieg u. Niedergang d. Marburger Neukantianismus, 1994;
    Ziegenfuß;
    Überweg IV;
    Lex. d. Päd., III, 1954;
    Kosch, Lit.-Lex. ³;
    Killy. – Zu Bernhard Christoph Ludwig: ADB 23;
    NDB VIII*, 14*;
    Westfäl. Lb. 15, 1990;
    D. Schneider, B. Ch. L. N. (1774-1846), Sein Btr. z. Reform d. westfäl. Volksschul- u. Lehrerbildungswesens in d. 1. Hälfte d. 19. Jh., 1995;
    R. Weyer, B. Ch. L. N., Ein Wegbereiter d. Musikdidaktik in d. 1. Hälfte d. 19. Jh., 1995.

  • Porträts

    Kreidezeichnung v. K. Doerbecker (Bildnisslg. Marburger Univ.lehrer).

  • Autor/in

    Helmut Holzhey
  • Zitierweise

    Holzhey, Helmut, "Natorp, Paul" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 752-753 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586548.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA