Lebensdaten
1890 – 1935
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Göteborg
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Publizist
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 11862444X | OGND | VIAF: 49232367
Namensvarianten
  • Panter, Peter (Pseudonym)
  • Tiger, Theobald (Pseudonym)
  • Wrobel, Ignaz (Pseudonym)
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Zitierweise

Tucholsky, Kurt, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11862444X.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus wohlhabendem bürgerl. Elternhaus;
    V Alex (1855–1905), Bankier in B., 1893–99 in Stettin, Dir. d. Berliner Handelsges., S d. Neumann (1824–96), Kaufm., Pfandleiher in Greifswald, u. d. Rosalie Heimann (1826–1902);
    M Doris (1861–1943 Ghetto Theresienstadt), Cousine d. Alex Tucholsky, T d.|Salomon Tucholski (1830–1907) u. d. Rosalie (1832–1910);
    B Fritz (1896–1936, Gertrud Riesch), wanderte in d. USA aus, Schw Ellen (1897–1982, Conrad Milo, 1947, aus Botosani, Rumänien);
    1) Berlin 1920 1924 Else (1889–1942 Auschwitz), Dr. med., prakt. Ärztin in B., PD (s. L), T d. Siegmund Weil (1857–1924), aus Prenzlau, Kaufm. in B., u. d. Franziska Herzfeld (1868–1933), aus B., Lehrerin, 2) Berlin 1924 1933 Mary (1898–1987), aus Mordangen b. Talsen (Lettland), Sekr., Prokuristin, Verw. v. T.s Nachlaß u. Mithg. seiner Schrr. (s. W), T d. Friedrich Gerold ( 1906), Buchhalter; kinderlos; Verwandte Brigitte Rothert (* 1928), Russischlehrerin in Dresden u. B., Vf. v. „T.s Großkusine erinnert sich“, 2007.

  • Biographie

    T. besuchte seit 1899 das Franz. Gymnasium und 1903–07 das kgl. Wilhelms-Gymnasium in Berlin, wo er nach zweijähriger weiterer Privaterziehung als Externer 1909 das Abitur ablegte. 1909–14 studierte er Jura in Berlin, im Sommersemester 1910 in Genf, ohne die 1. Staatsprüfung abzulegen. In dieser Zeit veröffentlichte T. seine ersten satirischen Glossen (seit 1907 im „Ulk“), Gedichte und Kurzartikel (1911–14 im „Vorwärts“) sowie seit 1913 theater- und zunehmend auch zeitkritische Essays und Lyrik für Siegfried Jacobsohns (1881–1926) Wochenzeitung „Die Schaubühne“ (seit April 1918 „Die Weltbühne, Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft“). Anfang 1915 wurde T. in Jena mit einer Dissertation über das Hypothekenrecht zum Dr. iur. promoviert. Im April 1915 als Armierungssoldat an der Ostfront eingezogen, wurde T. im Aug. 1916 zum Bau der Fliegerschule Ost nach Alt-Autz (Kurland) geschickt, wo er bis Febr. 1918 die von ihm geschaffene Feldzeitung „Der Flieger“ herausgab. Von Mai bis Dez. 1918 diente T. bei der Militärpolizei im besetzten Rumänien, zuletzt als Feldpolizeikommissar.

    Nach Berlin zurückgekehrt, übernahm T. im Mosse-Verlag die Redaktion des „Ulk“, für den er das Leitgedicht der Woche schrieb; politische und zeitkritische Beiträge erschienen bis März 1920 auch im „Berliner Tageblatt“ und in der „Berliner Volkszeitung“; zudem verfaßte er Gedichte und Chansons für das Kabarett, u. a. für Max Reinhardts „Schall und Rauch“, für Rudolf Nelson und Trude Hesterberg. Die revolutionäre Bewegung sowie deren Protagonisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sah T. anfänglich mit Skepsis und verlangte ein Ende des Blutvergießens. Demokratisch gesinnt, deckte T. in einer Artikelserie von Jan. 1919 mit Unterbrechungen bis Jan. 1920 in der „Weltbühne“ Kriegsverbrechen des Offizierskorps auf und forderte seit März 1919 ein Ende der Kompromißpolitik der SPD-geführten Reichsregierung mit den Vertretern des Kaisertums in Heer, Beamtentum und Justiz. Im Sommer verlangte er eine „geistige Revolution“ und im Herbst den Rücktritt von Reichswehrminister Gustav Noske, weil dieser die Fortsetzung des überlebten Militarismus betreibe. Im Dez. 1919 war T. Mitgründer des pazifistischen „Friedensbundes der Kriegsteilnehmer“. 1920 und 1922 nahm er als Redner an den jährlichen „Nie-wieder-Krieg“-Kundgebungen im Berliner Lustgarten teil. Nach dem Scheitern des gegenrevolutionären Kapp-Putsches im März 1920 schloß er sich der USPD an. Für deren Zentralorgan „Die Freiheit“ verfaßte er Erinnerungsartikel an den Krieg und kritisierte den aufgeblähten Militäretat. Anders als viele USPD-Mitglieder wechselte T. im Herbst 1920 nicht zur KPD, sondern verteidigte die seiner Ansicht nach von rechtsextremen Attentätern untergrabene und von kaisertreuen Richtern kaum geschützte Republik. Im Krisenjahr 1923 mußte T. aus finanziellen Gründen seine publizistische Arbeit und seine Tätigkeit für das Kabarett aufgeben und arbeitete in der Berliner Bank „Bett, Simon & Co.“.

    1924 erhielt T. vom „Weltbühne“-Herausgeber Jacobsohn und vom Ullstein-Verlag den Auftrag, aus Frankreich Artikel zu liefern. Reisebeschreibungen wie das „Pyrenäenbuch“ (1927) entstanden in dieser Phase. T. siedelte im Frühjahr 1924 nach Paris über, schrieb Feuilletons für die „Vossische Zeitung“ sowie Antikriegsartikel (Vor Verdun, 1924) für „Die Weltbühne“. Während eines kurzen Berlinaufenthalts heiratete er Mary Gerold, die er 1916 in Kurland kennengelernt hatte. In der „Weltbühne“ erschienen zwischen 1922 und 1930 auch die satirischen Monologe des gehetzten jüd. Geschäftsmanns, Herr Wendriner, sowie zwischen 1925 und 1928 launige Betrachtungen über ein Leben nach dem Tod in der „Nachher“-Serie. Die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 veranlaßte T., seine scharfe Polemik gegen die dt. Politik wieder aufzunehmen: Mit Bertolt Brecht, Alfred Döblin und Ernst Toller engagierte er sich in der „Gruppe Revolutionärer Pazifisten“ (Vorstandsmitgl. seit 1926). In der „Weltbühne“, deren Leitung T. Anfang Dez. 1926 nach dem Tod seines Mentors Jacobsohn übernahm, ließ er 1927 seine Polemik „Dt. Richter“ drucken. Die redaktionelle Tätigkeit gab er nach fünf Monaten an Carl v. Ossietzky ab und ging nach Kopenhagen und Mogenstrup per Lou in Dänemark. Dort stellte er den ersten Sammelband seiner Artikel, „Mit 5 PS“ (1927), für den Rowohlt-Verlag zusammen und schrieb Feuilletons, in denen er|seine kurzzeitige Lebensgefährtin, die Journalistin Lisa Matthias (1894–1982), als schlagfertige Dauerrednerin Lottchen literarisch verewigte.

    Seit Ende der 1920er Jahre verlor sich T.s Hoffnung auf die Demokratiefähigkeit Deutschlands, das er als sozial gespaltenen und militaristischen Staat erlebte. Für die von Willi Münzenberg (1889–1940) herausgegebene „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (AIZ) schrieb er 40 Artikel, meistens Propagandagedichte, manche mit revolutionären Refrains. Mit dem Künstler John Heartfield gab er 1929 den ironisch betitelten Band „Deutschland, Deutschland über alles“ heraus, der Polemiken, satirische Gedichte und Fotomontagen enthielt und mit den angeblichen Halbheiten der Republik abrechnete. Seine Zusammenarbeit mit der KPD scheiterte aufgrund des Gegensatzes zwischen seiner unabhängigen Denkweise und der dogmatischen Linientreue der Parteiführung. T.s linkes Engagement führte zu Spannungen mit Redakteuren der „Vossischen Zeitung“, für die er in dieser Zeit einige seiner witzigsten Satiren schrieb (Wo kommen die Löcher im Käse her?, 1928).

    Im Jan. 1930 übersiedelte T. nach Hindås bei Göteborg, wo sein publizistisches Schaffen langsam nachließ. Zwar veröffentlichte er weitere Sammelbände (Lerne lachen, ohne zu weinen, 1931), die Liebesgeschichte „Schloß Gripsholm“ (1931) und mit Walter Hasenclever (1890–1940) das 1932 in Leipzig uraufgeführte Stück „Christoph Columbus oder Die Entdeckung Amerikas“. Vom Aufstieg der von ihm polemisch und satirisch heftig bekämpften dt. Faschisten politisch desillusioniert und von Krankheiten geplagt, stellte T. seine Tätigkeit als Autor politischer Artikel für die AIZ und seit Frühjahr 1932 auch für die „Weltbühne“ ein; die „Vossische Zeitung“ kündigte ihm zum 1. 10. 1931. Dem von der Reichwehrführung gegen Ossietzky initiierten Prozeß, der T.s Aussage „Soldaten sind Mörder“ veröffentlicht hatte, blieb T. im Aug. 1931 aus Angst vor Verfolgung fern.

    Von Okt. 1932 bis Sept. 1933 lebte T. bei seiner Freundin, der Ärztin Hedwig Müller (1893–1973) in Zürich sowie – unterstützt von seiner Freundin Gertrude Meyer (1897–1990) – in Hindås. Im Mai 1933 wurden seine Bücher in Deutschland verbrannt, im August stand er auf der ersten Ausbürgerungsliste. In Briefen an Hedwig Müller, Hasenclever und Arnold Zweig kommentierte er die politischen Erfolge der Nationalsozialisten und die mangelnde Auswanderungsbereitschaft der dt. Juden mal resigniert, mal empört. Seit 1934 setzte er sich für die Verleihung des Friedensnobelpreises an seinen im KZ gequälten Kollegen Ossietzky ein. Die Umstände von T.s Tod sind ungewiß: Während Zeitgenossen an einen Mord durch Nationalsozialisten glaubten und Michael Hepp einen tragischen Unfall durch eine Überdosis starker Schlafmittel in Verbindung mit Alkoholkonsum vermutete, bleibt Selbstmord die wahrscheinlichste Erklärung.

    Die Rezeption von T.s Werk setzte unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg in beiden Teilen Deutschlands ein, nicht zuletzt weil T.s Witwe und Erbin Mary sowie Mitherausgeber wie Fritz J. Raddatz, Roland Links und in den 1970er Jahren Gustav Huonker mehrere Ausgaben vorlegten. Aber erst die 22bändige Gesamtausgabe (1996–2011) genügt mit ihren ausführlichen Kommentaren wissenschaftlichen Ansprüchen. Die DDR-Ausgabe von Links, mitvorbereitet von Raddatz vor dessen Flucht in die Bundesrepublik, ist weniger ausführlich als die westdt. von Mary Gerold-Tucholsky und Raddatz, enthält aber die Originaltexte von T.s Sammelbänden sowie einordnende Nachworte von Links. Vor allem in den Jahren der Studentenbewegung erreichten T.s Schriften in preiswerter Taschenbuchform Millionenauflagen, wurden bekannter und häufiger zitiert als zu seinen Lebzeiten.

    Mit Ausnahme des kurzen Bandes von Hans Prescher neigte die westdt. Rezeption sehr lange dazu, den politischen T. zu verharmlosen und den lustigen Unterhaltungsschriftsteller zu betonen. Umgekehrt strich ein Großteil der DDR-Rezeption den politisch engagierten T. heraus, bemängelte aber, er sei kein Kommunist gewesen. Aus der Entfernung fiel Kritikern wie dem Amerikaner Harold Lloyd Poor und dem Schotten William J. King eine unvoreingenommene Betrachtung leichter. Die tiefschürfendsten Biographien stammen von Michael Hepp, der mehr Material einsehen konnte als seine Vorgänger. – Seit 1988 dient auch die Kurt Tucholsky-Gesellschaft der Verbreitung von T.s Lebenswerk und der Förderung der T.-Forschung.

  • Auszeichnungen

    A K. T. Lit.mus., Schloß Rheinsberg (seit 1992/93);
    T.-Preis d. schwed. Sektion d. P.E.N. (seit 1984);
    K. T.-Preis f. lit. Publizistik d. K. T.-Ges. (zweijährig seit 1995).

    W- u. Briefausgg. Ausgew. Werke in 6 Bdn., hg. v. R. u. Ch. Links, 1960;
    Ges. Werke in 3 Bdn., hg. v. M. Gerold-Tucholsky u. F. J. Raddatz, 1961, Tb. ausg. 1975;
    Briefe aus d. Schweigen, hg. v. M. Gerold-Tucholsky u. G. Huonker, 1977;
    Die Q-Tagebücher, hg. v. dens., 1978;
    Gedichte, hg. v. M. Gerold-Tucholsky, 1983;
    Gesamtausg. Texte u. Briefe in 22 Bdn., hg. v. A. Bonitz u. a., 1996–2011;
    Bi-bliogr.: A. Bonitz u. Th. Wirtz, K. T., Ein Verz. seiner Schrr. in drei Bdn., 1991;
    Gesamtausg. (s. W), Bd. 22: Reg., 2011;
    Nachlaß: DLA Marbach/Neckar;
    K.-T.-Lit.mus., Rheinsberg;
    Ak. d. Künste, Berlin (Testament).

  • Literatur

    L H. Prescher, K. T., 1959, ²1982 (P);
    H. L. Poor, K. T. and the Ordeal of Germany, 1968;
    G. Zwerenz, K. T., Biogr. e. guten Deutschen, 1979 (P);
    W. J. King, K. T. als pol. Publ., 1983;
    B. Porombka, Verspäteter Aufklärer oder Pionier e. neuen Aufklärung?, K. T. (1918–1935), 1990;
    M. Hepp, Biograph. Annäherungen, 1993 (P);
    ders., K. T., 1998 (P);
    S. Becker u. U. Maack (Hg.), K. T., Das lit. u. publizist. Werk, 2002 (P);
    D. Mayer, K. T., Joseph Roth, Walter Mehring, Btrr. z. Pol. u. Kultur zw. d. Weltkriegen, 2010;
    R. Hosfeld, K. T., Ein dt. Leben, 2012;
    – Tagungsbde. d. K. T.-Ges., bisher 1–8, 2003–15;
    zu Else Weil(-T.): S. Pflug, Dr. med. E. W. (1889–1942), Auf d. Spuren v. K. T.s Claire aus „Rheinsberg“, 2008;
    R. Schwoch (Hg.), Berliner jüd. Kassenärzte u. ihr Schicksal im NS, 2009 (P); E. W., Fragmente e. dt.-jüd. Lebensweges, Ausst.kat. K. T. Lit.mus. 2010 (P).

  • Porträts

    P Totenmaske (Berlin, Ak. d. Künste).

  • Autor/in

    William J. King
  • Zitierweise

    King, William J., "Tucholsky, Kurt" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 491-494 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11862444X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA