Lebensdaten
1869 – 1943
Geburtsort
Elberfeld
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Frauenrechtlerin ; Sexualreformerin ; Pazifistin
Konfession
reformiert
Normdaten
GND: 118755455 | OGND | VIAF: 85182647
Namensvarianten
  • Stöcker, Hulda Caroline Emilie Helene
  • Stöcker, Helene
  • Stöcker, Hulda Caroline Emilie Helene
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Zitierweise

Stöcker, Helene, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118755455.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Peter Heinrich Ludwig (1839–1917, wollte zunächst wohl Missionar werden, übernahm um|1870 jedoch d. 1839 in Kolk b. E. gegr. väterl. Posamentierbetrieb, neben anderen kirchl. Ehrenämtern 1875–89 Präses d. Ev. Jünglingsver.;
    M Hulda Bergmann (1849–1921), aus bäuerl. Fam.;
    7 Geschw (3 früh †) u. a. Schw Lisa; – seit 1905 Bruno(ld) Springer (1873–1931), Dr. iur., RA, Notar in Berlin, Vf. v. „Der Begriff d. dauernden Dienstverhältnisses im bürgerl. Gesetzbuch“, Diss. Heidelberg 1906, dann „Die genialen Syphilitiker“, 1926, ⁴1926, „Der Schlüssel zu Goethes Liebesleben“, 1926, „Die Seele der Völkischen“, 1926, „Die Blutmischung als Grundgesetz des Lebens“, [1929?], jeweils im Verlag d. „Neuen Generation“.

  • Biographie

    S. wuchs in einer tiefgläubigen Familie auf, die Eltern waren in der ref. Kirchengemeinde aktiv. Nach dem Besuch der Städt. Höheren Mädchenschule 1879–89 versorgte sie noch drei Jahre den Familienhaushalt. 1892 konnte sie das Elternhaus verlassen und nach Berlin gehen, um hier das Lehrerinnenseminar zu besuchen. Bereits zu dieser Zeit in Kontakt mit der bürgerlich-radikalen Richtung der Frauenbewegung, schrieb sie für die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ von Minna Cauer (1841–1922) kleine Rezensionen und Gedichte.

    Als 1896 Frauen – das Einverständnis des lehrenden Professors vorausgesetzt – zunächst als Gasthörerinnen an der Berliner Univ. zugelassen wurden, begann S. sofort ein Studium der Literaturgeschichte, Philosophie und Nationalökonomie. Sie besuchte Vorlesungen bei Erich Schmidt (1853–1913), Wilhelm Dilthey (1833–1911) und Werner Sombart (1863–1941) und beschäftigte sich intensiv mit der Philosophie von Friedrich Nietzsche. Sie schätzte dessen Werke, insbesondere „Zarathustra“ und den Zyklus „Menschliches-Allzumenschliches“ und betrachtete die Forderung „Werde, der du bist“ als gültig für beide Geschlechter. Die Beschäftigung mit Nietzsche empfand S. als persönliche Befreiung; fußend auf seiner Moralkritik formulierte sie etwa seit 1900 ihr Konzept der „Neuen Ethik“. 1898/99 folgte S. dem verwitweten Philosophen und Nietzsche-Übersetzer Alexander Tille (1866–1912) für ein Semester nach Glasgow, lehnte allerdings seinen Heiratsantrag ab, da ihr die beiderseitigen Lebensentwürfe zu unterschiedlich erschienen. Die Erfahrung, sich zwischen Liebe und Berufung entscheiden zu müssen, verarbeitete S. 1906 in der Schrift „Die Liebe und die Frauen“.

    Da S. in Berlin nicht promovieren durfte, beendete sie 1901 ihr Studium mit einer Dissertation bei dem Literaturwissenschaftler Oskar Walzel (1864–1944) in Bern. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin nahm sie ihr Engagement für die Frauenemanzipation sofort wieder auf; sie wurde Mitglied im Verband fortschrittlicher Frauenvereine und gehörte neben Minna Cauer, Lida Gustava Heymann (1868–1923) und Anita Augspurg (1857–1943) zu den Mitbegründerinnen des Verbandes für Frauenstimmrecht (1902).

    Ihr großes Thema in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg war jedoch die Sexualpolitik. Dabei ging es ihr insbesondere um Fragen der Prostitutionsbekämpfung, die Stellung von unehelichen Kindern und ledigen Müttern sowie um Schwangerschaftsabbruch und Empfängnisverhütung. Ihre Vorstellungen unterschieden sich klar von den Überzeugungen der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung, v. a. in bezug auf die gesellschaftliche Aufgabe der Ehe. S. setzte sich insbesondere für die Verbesserung der Situation lediger Mütter ein und lehnte die bürgerliche Ehe als einzigen legitimen Ort sexueller Beziehungen zwischen Frauen und Männern ab. Um ihre Ideen zu verbreiten, gründete sie unter breiter gesellschaftlicher Beteiligung 1905 den „Bund für Mutterschutz“ (1908 in Deutscher Bund für Mutterschutz und Sexualreform umbenannt) sowie eine eigene Zeitschrift „Mutterschutz“ (1908–32 u. d. T.: Die neue Generation) und übernahm seit 1908 deren Schriftleitung. 1905 hatte sie den Rechtsanwalt Bruno Springer kennengelernt, mit dem sie bis zu dessen Tod 1931 zusammenlebte.

    Durch die Erfahrung des 1. Weltkriegs wandte sich S. vermehrt der Friedensarbeit zu; sie reiste neben Auguste Kirchhoff (1867–1940), Adele Schmitz (1868–1951), Elisabeth Rotten (1882–1964) und Margarethe Selenka (1860–1922) zur Internationalen Frauenfriedenskonferenz 1915 nach Den Haag. Ihr pazifistisches Engagement behielt S. auch in der Weimarer Republik bei, während sie ihre Arbeit für die „Neue Ethik“ immer weiter einschränkte. Seit 1919 Mitglied im „Bund der Kriegsdienstgegner“, übernahm sie 1922 den stellvertretenden Vorsitz des „Deutschen Friedenskartells“, das in diesem Jahr als Dachorganisation der Friedensorganisationen in der Weimarer Republik gegründet worden war. Auch in anderen pazifistischen Organisationen übernahm S. Vorstandsposten, so in der „Deutschen Liga für Menschenrechte“ 1922–33 oder in der „Deutschen Liga für Völkerbund“, ebenfalls bis 1933. Bis 1932 nahm S. an allen internationalen Weltfriedenskonferenzen teil und berichtete ausführlich darüber in der „Neuen Generation“.

    S. war sich der Gefahr des Nationalsozialismus sehr bewußt und emigrierte im März 1933 in die Schweiz, Ende 1938 nach England. Über Schweden, die Sowjetunion und Japan gelangte sie im Nov. 1941 nach New York, wo sie – verarmt und krank – zwei Jahre später während der Abfassung ihrer Memoiren verstarb.

    S. war eine der bekanntesten Protagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung um 1900. Ihre Schriften zum Geschlechterverhältnis gehörten mit zu den ersten, die von den Feministinnen der 1970er Jahre rezipiert wurden; gleichwohl ist S.s Autobiographie bislang nicht ediert, die Beschreibung ihrer Bedeutung als Philosophin und Sexualreformerin bildet nach wie vor ein Forschungsdesiderat.

  • Werke

    Zur Kunstanschauung d. XVIII. Jh., Von Winckelmann bis Wackenroder, Diss. phil. Bern 1901/02, gedr. Berlin 1902;
    zu Nietzsche:
    Zur Nietzsche-Lektüre, in: Der Volkserzieher, 2. Jg., Nr. 45 v. 13. 11. 1898 u. in: Magazin f. Lit. 67 v. 12. u. 15. 2. 1898;
    Nietzsches Frauenfeindschaft, (Zukunft 1901), in: Die Liebe u. d. Frauen, 1906, S. 65–74;
    Der Wille z. Macht, in: Jugend, 1903, S. 306 ff.;
    Friedrich Nietzsche u. d. Frauen, in: Bühne u. Welt 6, Nr. 20, 1904, S. 857–60;
    zur Sexualethik:
    Zur Reform d. sexuellen Ethik, in: Mutterschutz, Zs. z. Reform d. sexuellen Ethik 1, 1905, H. 1, S. 3–12;
    Von neuer Ethik, ebd., 2, 1906, H. 1, S. 3–11;
    Vom Werden d. sexuellen Reform seit hundert J., in: Ehe? Zur Reform d. sexuellen Moral, hg. v. d. Internat. Verlagsanstalt, 1911, S. 37–58;
    Ehe u. Sexualreform, in: Mutterschutz u. Sexualreform, Leitsätze u. Referate d. 1. Internat. Kongresses f. Mutterschutz u. Sexualreform in Dresden 1911, hg. v. M. Rosenthal, 1912;
    Eine Soziologie d. Liebe u. Ehe, in: Die Neue Generation 10, 1914, H. 5, S. 258–71, u. H. 6, S. 324–31;
    Zur Reform d. sexuellen Ethik, ebd. 26, 1930, H. 3–4, S. 65–72;
    – zum Frieden: Mutterschutz u. Pazifismus, ebd. 15, 1919, H. 2, S. 61–68;
    Weltfriedenskongreß u. Weltfrieden, ebd. 19, 1923, H. 10–12, S. 241–49;
    Kriegsdienstverweigerung, in: Die Friedensbewegung, Ein Hdb. d. Weltfriedensströmungen d. Gegenwart, hg. v. K. Lenz u. W. Fabian, 1922;
    Radikalpazifismus, in: Ber. über d. internat. Friedenskongreß in Den Haag, Holland v. 10.–15. Dez., Internat. Gewerkschaftsbund, 1922;
    Rede als Delegierte d. Dt. Friedenskartells, in: Das Flammenzeichen v. Palais Egmont, Offizielles Protokoll d. Kongresses gegen koloniale Unterdrückung u. Imperialismus, Febr. 1927, S. 165 ff.;
    – ausführl. W-Verz. (429 Titel) in: A. Stopczyk-Pfundstein (s. L), S. 297–310;
    – (unveröff.) Autobiogr., Ms., New York 1943, im Nachlaß: Swarthmore College (Pennsylvania, USA), Peace Collection, Helene Stöcker Papers (P)

  • Literatur

    | R. v. Bockel, Philosophin e. „neuen Ethik“, H. S. (1869–1943), 1991;
    Ch. Wickert, H. S., 1869–1943, Frauenrechtlerin, Sexualreformerin u. Pazifistin, 1991 (P);
    P. Rantzsch, H. S., Zwischen Pazifismus u. Rev., hg. v. Sekretariat d. Zentralvorstandes d. Liberal-Demokrat. Partei Dtlds., 1984;
    G. Hamelmann, H. S., der „Bund f. Mutterschutz“ u. „Die Neue Generation“, 1992;
    A. Stopczyk-Pfundstein, Philosophin d. Liebe, H. S., Die „Neue Ethik“ um 1900 in Dtld. u. ihr phil. Umfeld bis heute, 2003 (W, P);
    R. Braker, Helene Stocker`s Pacifism in the Weimar Republic, Between Ideal and Reality, in: Journal of Women`s History 13/3, 2001, S. 70–97;
    Rhdb. (P);
    Wuppertaler Biogrr., 1970;
    Lex. d. Frau;
    BHdE I;
    Philosophinnen-Lex., 1994;
    Rhein. Lb. 14, 1994 (L, P);
    Demokrat. Wege, 2006 (P);
    H. Reich, Nietzsche-Zeitgenossen-Lex.;
    Personenlex. Sexualforsch.;
    Wedel, Autobiogrr. Frauen.

  • Porträts

    Photogrr. u. a. in: Archiv d. dt. Frauenbewegung, Kassel;
    Landesarchiv Berlin (Helene-Lange Archiv);
    mehrere Photogrr., u. a. 1913 (Swarthmore College, Helene Stöcker Papers) u. 1929 (Privatbes.), Abb. in: Wickert (s. L), S. 87 u. 113.

  • Autor/in

    Kerstin Wolff
  • Zitierweise

    Wolff, Kerstin, "Stöcker, Helene" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 378-380 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118755455.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA