Lebensdaten
1861 – 1925
Geburtsort
Kraljevec (Kroatien)
Sterbeort
Dornach (Kanton Solothurn)
Beruf/Funktion
Philosoph ; Theosoph ; Anthroposoph ; Ingenieurwissenschaften ; Pädagoge ; Architekt ; Bildhauer ; Maler ; Librettist ; Redakteur ; Herausgeber
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118617443 | OGND | VIAF: 12315364
Namensvarianten
  • Steiner, Rudolf Joseph Lorenz
  • Tinter, K. (Pseudonym)
  • Steiner, Rudolf
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Zitierweise

Steiner, Rudolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118617443.html [12.10.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann (1829–1910), aus Niederösterr., Bahnbeamter, Telegraphist, dann Stationsvorsteher b. d. österr. Südbahn;
    M Franziska Blie (1834–1918);
    1) Berlin-Friedenau 1899 Anna Schultz (1853–1911, 1] Eugen Friedrich Eunike, 1882, Kpt.), 2) Dornach 1914 Marie (1867–1948, ev.), Schausp., Rezitatorin, Übers., Künstlerin, Anthroposophin, seit 1923 Mitgl. d. Vorstands d. Anthroposoph. Ges., Leiterin d. Sektion f. redende u. musikal. Künste, Mitbegründerin d. Eurythmie, Mitarb. v. S. u. Nachlaßverw. (s. Kosch, Theater-Lex.; Anthroposophenlex.; Wedel, Autobiogrr. Frauen; HLS), T d. Jacob (James) v. Sivers (1813–82, russ. Gen.lt., Stadtkdt. in Włocławek/Weichsel, u. d. Caroline Baum (1834–1912), aus rhein. Ärztefam. in Archangelsk; kinderlos

  • Biographie

    Prägend für S. wurden v. a. drei Erfahrungen aus seiner Jugendzeit: seine Faszination von der Technik, die er im Umfeld der Semmeringbahn kennenlernte, die deutschnationalen Positionen, die in der Grenzlage der deutschsprachigen Gebiete im Habsburgerreich vertreten wurden, und eine fehlende religiöse Sozialisation; sein Vater war „Freigeist“. Nach dem Besuch der Real- und Oberrealschule in Wiener Neustadt (1872–79) begann S. – vermutlich dem Wunsch seines autoritären Vaters folgend – 1879 mit dem Studium naturwissenschaftlicher Fächer an der TH Wien, das er nicht abschloß. Während seiner Studienzeit fand er über einen väterlichen Freund, den Germanisten Karl Julius Schröer (1825–1900), zu einer idealistischen Goetherezeption und wurde philosophisch von Rosa Mayreder (1858–1938) sowie spirituell zeitweilig von Friedrich Eckstein (1861–1939) beeinflußt. 1882–97 edierte S. naturwissenschaftliche Werke Goethes, seit 1886 auch in der „Sophien-Ausgabe“. Er entwickelte dabei eine Theorie „objektiver“ Erkenntnis, in der durch die Einsicht in das „Denken“ als transzendentaler Größe die Kantischen Grenzen der Erkenntnis überwunden werden sollten. 1891 wurde S. mit einer erkenntnistheoretischen Arbeit bei dem Rostocker Platonspezialisten Heinrich v. Stein (1833–96) promoviert. Nach der Veröffentlichung seines Buchs „Die Philosophie der Freiheit“ (1893), in der er ebenfalls eine „objektive“ Erkenntnis postulierte, hoffte er vergeblich auf eine akademische Karriere. In Weimar, wohin S. 1890 zog, wurde er Nietzscheaner und konvertierte vom spirituellen zum atheistischen Monismus. Als Anhänger Ernst Haeckels adaptierte er dessen biologistische Vorstellungen kultureller Evolution. 1897 ging S. nach Berlin, wo er bis 1900 das „Magazin für Litteratur“ herausgab und zwischen 1899 und 1905 auch als Dozent an sozialistischen Arbeiterbildungsschulen arbeitete. In Berlin stand er u. a. in Kontakt mit Max Halbe, Otto Erich Hartleben, Käthe Kollwitz, Rosa Luxemburg, John Henry Mackay und Paul Scheerbart und bekannte sich zeitweilig zum Anarchismus.

    1900 fand S. zur Theosophie Helena Petrovna Blavatskys (1831–91). Zentrale Positionen waren eine antimaterialistische Erkenntnis „übersinnlicher“ Welten, eine universale Weisheitsreligion hinter allen positiven Religionen (bei hoher Wertschätzung der asiat. Religionen), das elitäre Ideal einer geheimen Bruderschaft und die Lehre von praktischen Techniken zur übersinnlichen Erkenntnis. Zwischen 1901 und 1903 fand S. erneut zu einem spirituellen Monismus. Er rezipierte theosophische Klassiker (Blavatsky, Charles Webster Leadbeater, Annie Besant, Mabel Collins) und schrieb eigene theosophische Werke: die „Theosophie“ (1904), eine Anthropologie mit Reinkarnationsvorstellungen und einer Jenseitslehre, den „Schulungsweg“ zur „Erkenntnis der höheren Welten“ (1904/05), Berichte aus einem Weltgedächtnis, der „Akasha-Chronik“ (1904/08) und eine Emanationskosmologie in der „Geheimwissenschaft“ (1904/09). Dabei übernahm er als zentrale theosophische Positionen eine Kosmologie, die mit einem Prozeß der Vergeistigung der Materie rechnet, eine Anthropologie der Körperhüllen (physischer Leib, Ätherleib, Astralleib, Ich), die vermutlich aus dem Paracelsismus stammt, und eine Rassentheorie, die in der „arischen Rasse“ das Ziel der Evolution sah. S.s Denken wies dem „Deutschtum“ eine herausragende Rolle zu. Seit 1906 entwickelte er auch eine Christologie, in der Christus von einem Eingeweihten unter vielen (so in der Theosophie) zum zentralen Ereignis der Religionsgeschichte wurde, und näherte sich damit der christlichen Tradition.

    Zugleich festigte S. seine Machtposition in der Theosophischen Gesellschaft Adyar; 1902 wurde er zum Generalsekretär der dt. Sektion gewählt. 1904 bestimmte ihn Besant zum Landesleiter der Esoterischen Schule, in die S. 1905 freimaurerische Rituale inkorporierte. 1912 brach S. mit Besant und gründete die Anthroposophische Gesellschaft: nicht zuletzt wegen Fragen der Machtverteilung, aber auch wegen Differenzen über die westliche oder östliche Ausrichtung der Theosophie und angesichts der Deutung des Hindujungen Krishnamurti als „reinkarniertem Christus“. Noch vor dem 1. Weltkrieg konzipierte er ästhetische Repräsentationen seiner Weltanschauung: die Tanzform der Eurythmie (seit 1911) und ein architektonisches Zentrum, das schließlich in Dornach (Schweiz) realisiert wurde (Johannesbau seit 1913, 1922 abgebrannt; Goetheanum seit 1924).

    Nach dem Weltkrieg entwickelte S. eine demokratiekritische Gesellschaftstheorie („Dreigliederung“) mit der funktionalen Differenzierung von Kultur, Recht und Wirtschaft und einem organologischen Grundgerüst (1918/19), die reformpädagogische Waldorfschule (1919), die anthroposophische Medizin (seit 1920, nach Vorläufern vor dem Krieg), die Christengemeinschaft, eine von S. inspirierte, auf kultische Praxis ausgerichtete Kirche (1922), die Heilpädagogik (1924) und die biodynamische Landwirtschaft (1924). In allen Bereichen finden sich theosophische Grundstrukturen: So gelten Wirkungen als „übersinnliche“ Phänomene, in die die letzte Einsicht „Eingeweihten“ vorbehalten bleibt.

    Die Auswirkungen von S.s Anthroposophie beruhen v. a. auf diesen praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Theosophie /Anthroposophie. Sie gehen weit über die engere Mitgliedschaft der Anthroposophischen Gesellschaft hinaus, da S.s Werk zu einer wichtigen Quelle esoterisch-alternativreligiöser Vorstellungen geworden ist. Dabei bleiben häufig die autoritären Dimensionen seines Denkens unbeachtet. Einflüsse von S.s Anthroposophie finden sich u. a. bei Wassily Kandinsky, Christian Morgenstern, Ernst Bloch, Friedrich Rittelmeyer, Bruno Walter,|Joseph Beuys, Michael Ende, Otto Schily oder Götz Werner.

  • Auszeichnungen

    A Kriegskreuz f. Zivilverdienste (1917).

  • Werke

    Gesamtausg. (GA), 1955/56 ff., bislang ca. 400 Bde., hg. v. d. R. S.-Nachlaßverw.;
    Briefe:
    GA, Bde. 38, 39, 262, 263/1, 264–66;
    Briefe, 2 Bde., hg. v. E. Froböse u. W. Teichert, 1953/55;
    Helmuth v. Moltke 1848–1916, hg. v. Th. Meyer u. A. Bracher, Bd. 2, 1993, ²2007;
    E. Zeylmans v. Emmichoven, Wer war Ita Wegman?, 3 Bde., 1992;
    Bibliogr.:
    E. Mötteli u. a., Übersichtsbde. z. R.-S.-Gesamtausg., Bd. 1, ²1984;
    H. Schmidt, Das Vortragswerk R. S.s, ²1978;
    C. S. Picht, Das lit. Lebenswerk R. S.s, 1926;
    Nachlaß:
    R. S. Nachlaßverw., Dornach;
    Ita Wegman-Archiv, Arlesheim;
    Archiv am Goetheanum, Dornach;
    DLA, Marbach;
    Thomas Meyer, Basel (Privatbes.).

  • Literatur

    M. Woloschin, Die grüne Schlange, 1954;
    L. Kleeberg, Wege u. Worte, ²1961;
    A. Turgenieff, Erinnerungen an R. S., 1972;
    A. Belyj, Verwandeln d. Lebens, ²1977;
    Erinnerungen an R. S., hg. v. E. Beltle u. K. Vierl, 1979;
    Wir erlebten R. S., hg. v. M. J. Krück v. Poturzyn, ⁶1980;
    G. Wehr, R. S., ²1987;
    Ch.Lindenberg, R. S., Eine Chronik, 1988;
    ders., R. S., 1992;
    ders., R. S., 2 Bde., 1997;
    N. Klatt, Theosophie u. Anthroposophie, 1993;
    F. Heyer, Anthroposophie, 1993;
    H. Zander, Anthroposophie, 2007 (L);
    ders., R. S., Die Biogr., ²2011 (L, P);
    R. Schmidt, R. S. u. d. Anfänge d. Theosophie, „. . . eine ehrl. Sehnsucht nach d. geistigen Welt . . ., 2010;
    M. Gebhardt, R. S., Ein moderner Prophet, 2011;
    H. Ulrich, R. S., Leben u. Lehre, 2011 (P);
    Munzinger;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Killy;
    DBE;
    BBKL X (W, L);
    Enz. Philos. Wiss.theorie;
    ÖBL;
    HLS.

  • Porträts

    Ölgem. v. O. Fröhlich, 1891 u. 1892 (R.-S.-Nachlaßverw.);
    Fotos in: Das Wirken R. S.s, 4 Bde., hg. v. W. Rath u. a., 1971–87.

  • Autor/in

    Helmut Zander
  • Zitierweise

    Zander, Helmut, "Steiner, Rudolf" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 188-190 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118617443.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA