Wolzendorff, Kurt
- Lebensdaten
- 1882 – 1921
- Geburtsort
- Nassau an der Lahn
- Sterbeort
- Halle an der Saale
- Beruf/Funktion
- Jurist ; Staatsrechtslehrer
- Konfession
- evangelisch-lutherisch, später konfessionslos
- Normdaten
- GND: 101275404 | OGND | VIAF: 27429035
- Namensvarianten
-
- Wolzendorff, Kurt Otto Julius
- Wolzendorff, Kurt
- Wolzendorff, Kurt Otto Julius
- Wolzendorff, Curt
- Wolzendorff, Curt Otto Julius
Vernetzte Angebote
Verknüpfungen
Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel
- Carl Schmitt (1889–1985)
- Friedrich Naumann (1860–1919)
- Fritz Fleiner (1867–1937)
- Georg Jellinek (1851–1911)
- Gerhard Anschütz (1867–1948)
- Hugo Sinzheimer (1875–1945)
- Johannes Tiedje (1879–1946)
- Konrad Haenisch (1876–1925)
- Martin Rade (1857–1940)
- Otto von Gierke (1841–1921)
- Rudolf Steiners (1861–1925)
- Walter Schückings (1875–1935)
Personen in der GND - familiäre Beziehungen
Orte
Symbole auf der Karte




Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.
-
Wolzendorff, Kurt Otto Julius
1882 – 1921
Jurist, Staatsrechtslehrer
Kurt Wolzendorff veröffentlichte 1916 eine bis heute grundlegende Monografie zum Widerstandsrecht. Daneben publizierte er auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts (Polizeirecht) und insbesondere Völkerrechts (Minderheitenrechte). Er war 1919 Teilnehmer an den Friedensverhandlungen in Versailles und Mitglied im Ausschuss für ein einheitliches Arbeitsrecht bei dem Reichsarbeitsministerium. Zeitweise in Vergessenheit geraten, wird Wolzendorff u. a. aufgrund seiner rechtstheoretischen Ansätze heute wieder stärker wahrgenommen; er wurde auch rezipiert von Carl Schmitt (1889–1985).
Lebensdaten
Kurt Wolzendorff (InC) -
Autor/in
→Martin Otto (Hagen)
-
Zitierweise
Otto, Martin, „Wolzendorff, Kurt“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/101275404.html#dbocontent
Wolzendorff verbrachte seine Kindheit seit 1886 in Wiesbaden, wo er die Schule besuchte und 1900 das Abitur erhielt. Anschließend studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten Lausanne (Kanton Waadt), München und Marburg an der Lahn mit einem Forschungsaufenthalt in Grenoble (Département Isère, Frankreich) und Paris 1901. Während seines Studiums in Marburg bewegte er sich in einem von Friedrich Naumann (1860–1919) beeinflussten linksliberalen und kulturprotestantischen Umfeld, zu dem Martin Rade (1857–1940), Herausgeber der Zeitschrift „Christliche Welt“, gehörte, in der Wolzendorff veröffentlichte. Prägender Lehrer war Walter Schücking (1875–1935), bei dem Wolzendorff 1905 mit der Arbeit „Über den Umfang der Polizeigewalt in Polizeistaat“ zum Dr. iur. promoviert wurde. Sein erster Habilitationsversuch bei Georg Jellinek (1851–1911) in Heidelberg, zu dem zwischen 1905 und 1909 umfangreichere Vorarbeiten, auch in Form von Veröffentlichungen erfolgten, blieb unvollendet, u. a. aufgrund der innerhalb der Fakultät von Gerhard Anschütz (1867–1948) und v. a. dessen Nachfolger Fritz Fleiner (1867–1937) geäußerten methodischen Kritik an dem heute verschollenen Manuskript. Zeitweise wandte sich Wolzendorff, hierbei beeinflusst von Otto von Gierke (1841–1921), dem Privatrecht zu.
1913 erfolgte Wolzendorffs Habilitation für Staats- und Verwaltungsrecht mit der Schrift „Polizei und Wohlfahrt“ bei Schücking in Marburg; anschließend lehrte er hier als Privatdozent. Wie Schücking galt der parteilose Wolzendorff politisch als am linken Rand der Staatsrechtslehre stehend, was eine Berufung erschwerte; 1917 wurde er als Extraordinarius an die Universität Königsberg (Ostpreußen, heute Kaliningrad, Russland) berufen. In Folge der Novemberrevolution arbeitete er in Königsberg als Vorsitzender eines Rats geistiger Arbeit mit den Arbeiter-und Soldatenräten zusammen. 1919 nahm er als Mitarbeiter (Sekretär) Schückings an den Friedensverhandlungen in Versailles teil und setzte sich für den Völkerbund sowie mit dem linksliberalen schleswig-holsteinischen Politiker Johannes Tiedje (1879–1946) für Minderheitenschutz durch ein sog. Minderheitenkataster ein.
Auf Betreiben des sozialdemokratischen preußischen Wissenschaftsministers Konrad Haenisch (1876–1925) erhielt Wolzendorff im Sommer 1919 einen Ruf als Ordinarius für Öffentliches Recht an die Universität Halle an der Saale. Sozialpolitisch engagiert, arbeitete er u. a. mit Hugo Sinzheimer (1875–1945) zusammen, unterzeichnete mit diesem 1918/19 Rudolf Steiners (1861–1925) Aufruf „An die deutsche Kulturwelt“ und wurde 1919 in den bei dem Reichsarbeitsministerium gebildeten Ausschuss für ein einheitliches Arbeitsrecht berufen. In seinen letzten Lebensmonaten führte Wolzendorff eine Korrespondenz mit Carl Schmitt (1889–1985), dessen Manuskript zu „Politische Theologie“ (1922) er zustimmend gelesen hatte. Er starb als eines der letzten Opfer der Spanischen Grippe.
Wolzendorff besitzt durch seine nicht etatistisch im Sinne eines Obrigkeitsstats argumentierenden und bis heute verwendeten und zitierten Monografien zum Widerstands- und Polizeirecht, v. a. sein Hauptwerk „Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt“ (1916, Nachdr. 1961, 1968), ungebrochene Präsenz im juristischen Schrifttum. Dies gilt auch für seine Schriften zum Völkerrecht, insbesondere zur Begründung eines Völkerbunds, und zu den Grenzen der Staatsgewalt, etwa in Form von Menschenrechten. Naturrechtlich begründete Vorbehalte gegen eine Verabsolutierung der Staatsgewalt und des Macht- und Nationalstaats machen Wolzendorff im Ergebnis oft an die Gegenwart anschlussfähiger als andere zeitgenössische Autoren, zumal bei ihm eine methodische Unabhängigkeit von den jeweiligen Staatsformen besteht. Für den Übergang vom Staatsrecht der Monarchie zur Republik stehend, war er ein wichtiger Vertreter des kleinen linksliberalen Flügels der Staatsrechtslehre, der zudem in methodisch begründeter Opposition zum vorherrschenden Positivismus stand. Aus dieser doppelten Außenseiterposition gelang ihm in kurzer Zeit ein beachtenswertes und beachtetes Werk, das durch eine entschiedene und konsequente menschenrechtliche Position auffällt.
1918 | Mitglied der Deutschen Liga für den Völkerbund (1919 Mitglied des Völkerrechtlichen Ausschusses) |
1919 | Mitglied des Ausschusses beim Reichsarbeitministerium für ein einheitliches Arbeitsrecht |
Nachlass:
unbekannt.
Weitere Archivmaterialien:
Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 11, PA 17 283 (Wolzendorff). (Personalakte)
Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Teilnachlass Walther Schücking. (Korrespondenz Schückings mit Wolzendorff)
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg, Nachlass Carl Schmitt, RW 265. (Korrespondenz Schmitts mit Wolzendorff)
Gedruckte Quellen:
Carl Schmitt, Der Schatten Gottes. Introspektionen. Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924, hg. v. Gerd Giesler/Ernst Hüsmert/Wolfgang H. Spindler, 2014, S. 122 f.
Martin Otto (Hg.), „Mein Fachkollege Koellreutter ist zwar gewiß kein Genie.“ Briefe von Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt 1920/21, in: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts N. F. 2 (2014), S. 53–86.
Die Grenzen der Polizeigewalt, 1: Über den Umfang der Polizeigewalt im Polizeistaat, 1905. (Diss. iur.)
Die Grenzen der Polizeigewalt, 2: Die Entwicklung des Polizeibegriffs im 19. Jahrhundert, 1906. (Onlineressource)
Die Grenzen der Polizeigewalt nach französischem Recht. Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechts, in: Archiv des öffentlichen Rechts 24 (1909), S. 325–393.
Polizei und Prostitution. Eine Studie zur Lehre von der öffentlichen Verwaltung und ihrem Recht, 1911. (Onlineressource)
Polizei und Wohlfahrt, 1913. (ungedr. Habilitationsschrift)
Der Gedanke des Volksheeres im deutschen Staatsrecht, 1914. (Onlineressource)
Zur Frage der Konkurrenz von Eigenschaftsirrtum und Mängelgewähr. Eine methodologische Untersuchung an einem alten Objekt, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts 64 (1914), S. 311–354.
Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, 1916, Nachdr. 1961, 1968.
Vom deutschen Staat und seinem Recht. Streiflichter zur allgemeinen Staatslehre, 1917, Neudr. 2021. (Onlineressource)
Der Polizeigedanke des modernen Staates, 1918, Nachdr. 1964.
Die Universität in der Demokratie, 1919, 21921.
Geist des Staatsrechts. Eine Studie zur Biologie des Rechts und zur Psychologie des Volksstaats, 1920. (Onlineressource)
Die Lüge des Völkerrechts. Der Krieg als Rechts-Institution und das Problem des Völkerbundes im Gedankensystem des Völkerrechts, 1920. (Onlineressource)
Grundgedanken des Rechts der nationalen Minderheiten (Naturrecht des Minderheitenschutzes) mit einem Exkurs über Nationalkataster, 1921, Nachdr. 1978.
Soziales Recht und Demokratie. Aus dem Nachlass hg. v. Hugo Sinzheimer, in: Die Justiz VI (1931), S. 292–306
Mitherausgeber:
Ludwig Elster/Friedrich Wieser/Adolf Weber, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 8 Bde., 41923–1929.
Otto Koellreutter, Nachruf Kurt Wolzendorff, in: Archiv des öffentlichen Rechts 41 (1921), S. 86.
Herbert Kraus, Wolzendorff, Kurt, in: Deutsches Biographisches Jahrbuch 3 (1921), S. 278–281.
Ludwig Elster/Adolf Weber/Friedrich Wieser, Vorwort, in: dies. (Hg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 1, 41923, S. XII.
Walther Schücking, Kurt Wolzendorff, in: Die Justiz 6 (1930/31), S. 281–291. (P)
Fritz Dreyer, Wolzendorffs Knaben- und Jugendjahre, in: ebd., S. 306–312.
Kuno Börner, Persönliche Erinnerungen an Kurt Wolzendorff, in: ebd., S. 312–315.
Rudolf Bovensiepen, Wolzendorffs Bedeutung für die Staatsrechtswissenschaft und seine Stellung in ihr, in: ebd., S. 315–322.
Hugo Sinzheimer, Chronik, in: ebd., 322–327.
Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 1922, v. a. S. 35.
Carl Schmitt, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampfe, 1921, v. a. S. 20.
Hans Wehberg, Die Führer der deutschen Friedensbewegung (1890–1923), 1923, S. 71–74.
Peter Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates. Methodische Überlegungen zur Entstehung des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts, 1967, S. 58.
Thomas Bohle, Einheitliches Arbeitsrecht in der Weimarer Republik. Bemühungen um ein deutsches Arbeitsgesetzbuch, 1990, S. 10–12.
Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, 1992, S. 409.
Rolf Lieberwirth, Die Lehrkörper der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an der Martin-Luther-Universität zwischen den beiden Weltkriegen, in: Walter Pauly (Hg.), Hallesche Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft, 1996, S. 11–31.
Christian Tilitzki, Catalogus Professorum. Bio-Bibliographisches Verzeichnis der Professoren, Dozenten, Lektoren, Bibliothekare des Albertus-Universität Königsberg 1871–1918, in: ders., Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen (1871–1945), 2012, S. 644 f.
Ulf Morgenstern, „Ach ist das schön hier!“. Privatbriefe Walther Schückings aus der Versailler Friedensdelegation 1919, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 30 (2018), S. 299–335.
Martin Otto, Von den „Grenzen des Polizeirechts“ zur „Lüge des Völkerrechts“. Kurt Wolzendorff (1882–1921) und das Naturrecht, in: Jens Eisfeld/Martin Otto/Louis Pahlow/Michael Zwanzger (Hg.), Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, 2013, S. 581–602.
Wolfgang A. Mühlhans, Carl Schmitt. Die Weimarer Jahre. Eine werkanalytische Einführung, 2018, S. 282.
Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, 22022, S. 119.