Lebensdaten
1894 – 1933
Geburtsort
Mannheim
Sterbeort
Luzern
Beruf/Funktion
Kabarettist ; Conferencier ; Dramaturg ; Schauspieler ; Textdichter ; Schriftsteller ; Drehbuchautor ; Liederdichter
Konfession
-
Normdaten
GND: 13656979X | OGND | VIAF: 79260370
Namensvarianten
  • Nikolaus, Paul (Pseudonym)
  • Natron, Peter (Pseudonym)
  • Kadenis, W.
  • mehr

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Zitierweise

Steiner, Paul Nikolaus, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd13656979X.html [07.10.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Moritz (1866–1911, jüd.), Kaufm. in M.;
    M Emilie Rothschild (1869–1942 Oradour, bis 1911 jüd.), aus München;
    B Kurt (Hans) (* 1898, bis 1932 jüd.), 1915–18 Kriegsdienst, seit 1922 in Berlin; ⚯ Lucy Stern ( Juni 1933 Freitod).

  • Biographie

    Aus wohlhabendem, großbürgerlichem Elternhaus stammend, studierte S. nach dem Abitur in Heidelberg, München und Frankfurt/M., bevor er 1916 zum Militärdienst an die Front eingezogen wurde. Das Erlebnis des 1. Weltkriegs machte ihn zum radikalen Pazifisten. 1919 veröffentlichte er erste Gedichte und schrieb ein Buch über die zeitgenössische Tanzszene. Im selben Jahr trat er in Frankfurt/M. erstmals, wenn auch mit mäßigem Erfolg, als Kabarettist auf. Danach arbeitete S. als Dramaturg am Theater, und erhielt durch Erwin Piscator (1893–1966) ein Engagement in dieser Funktion nach Berlin. Für die Berliner Kabarettszene wurde S. von Trude Hesterberg (1892–1967) entdeckt, in deren „Wilder Bühne“ er seit April 1922 als Conferencier auftrat.

    Wenig später galt S. als einer der wichtigsten und politisch engagiertesten Stegreifplauderer der Berliner Kleinkunstszene mit Auftritten im „Alt-Bayern“, im „Charlott-Kasino“, in der „Gondel“, in der „Scala“, im „Wintergarten“, in Friedrich Hollaenders „Tingel-Tangel“, bei den „Wespen“ und vorzugsweise im „Kabarett der Komiker“. Seine Fähigkeit, Tagesaktualitäten gewissermaßen auf Zuruf scharfzüngig glossierend auf eine geistreich-witzige Pointe zu bringen und deren Hintergründe aufblitzen zu lassen, blieb ohne Konkurrenz. Als „kleines Kunstwerk an sich“ beschrieb der Schriftsteller und führende Kabarettkritiker Max Herrmann-Neiße (1886–1941) die Nikolaus-Conferencen: „treffsicher, scharfpointiert, stets auf vornehme Art aktuell, von einem eigenen, unabhängigen Standpunkt aus gegen schlimme Zeitzustände spöttisch, nicht sich einschmeichelnd bei der Publikumsmeinung, sondern auch gegen sie rebellisch, dabei in Distanz von ihr, aus Selbstbewußtsein liebenswürdig.“ (Berliner Tageblatt v. 23. 10. 1926). Daneben schrieb S. Glossen, Gedichte, Anekdoten, Betrachtungen, Kurzgeschichten und Grotesken für Tageszeitungen, für Witzblätter und Satire-Zeitschriften wie die „Lustigen Blätter“, „Die Ente“, „Die Pille“ oder die „Frechheit“, die Hauspostille des Berliner „Kabarett der Komiker“.|Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand flüchtete S. vor den Nationalsozialisten in die Schweiz, wo er sich an seinem 39. Geburtstag in einem Luzerner Hotel das Leben nahm. Die Ausweglosigkeit seiner Situation beschrieb er in seinen Abschiedsbriefen an Freunde und Kollegen in der ihm eigenen unvergleichlichen Weise – sehr persönlich, melancholisch, zugleich augenzwinkernd ironisch und spöttisch. Max Herrmann-Neiße widmete ihm einen Gedicht-Nachruf, der im April 1933 im „Pariser Tageblatt“ erschien; wenig später nahm sich S.s Freundin Lucy Stern in Berlin das Leben.

    S., der sich als Kabarettist Paul Nikolaus nannte, gehörte neben Fritz Grünbaum (1880–1941), Karl Schnog (1897–1964), Paul Morgan (1886–1938), Werner Finck (1902–78), Willi Schaeffers (1884–1962) und Hellmuth Krüger (1890–1955) zur Garde der hochgebildeten, literarisch tätigen Conferenciers, die den Ruf Berlins als Welt- und Theaterstadt vor 1933 wesentlich mitgeprägt haben.

  • Werke

    u. a. Schrr.: Katastrophe! Verse d. Hingabe, 1918;
    Tänzerinnen, 1919;
    Manifest gegen den Bürger, in: Revolutionär, H. 7, 1919;
    Der lachende Sarg 1921 (Ps. Peter Natron);
    Jüd. Miniaturen, Schnurren u. Schwänke, 1924;
    Bürgerl. Zimmer, 1932 (Privatdr.);
    Konfetti, Ein buntes Buch, Berlin, o. J. (mit W. Schaeffers);
    Texte zu Songs, Chansons, Liedern:
    Ballade e. dt. Stadt, 1927;
    War`n Sie schon mal in mich verliebt?, 1928;
    Rote Rosen, 1928;
    Zu groß, zu klein, 1928;
    Was haben sie heut nacht mit dir gemacht, mein Schatz?, 1929;
    Bayer. Seemannslied, 1929 (Musik jeweils M. Hansen);
    Baby, wenn du unartig bist, du, du, 1928;
    Vielleicht wartet irgendwo e. kl. Mädchen auf mich, 1928 (Musik jeweils M. Spoliansky);
    Anthologien:
    K. Budzinski (Hg.), So weit d. scharfe Zunge reicht, 1964;
    H. U. Schütte (Hg.), Bis fünf n. zwölfe kl. Maus, Streifzug durch 17 satir. Zss. d. Weimarer Rep., 1972;
    ders. (Hg.), Vom Untergang d. Abendlandes, Kabarett-Texte d. zwanziger J., 1983;
    Bühnenwerke:
    Das Aquarium, e. Bühnenfestweihspiel, 1927 (mit M. Hansen u. P. Morgan);
    Die Reise durch Berlin in vierzig Stunden, Lokalposse mit Gesang u. Tanz, 1928 (mit W. Schaeffers);
    Die blaue Mauritius, Lustspiel, 1931 (mit E. Jacobssohn);
    Darsteller:
    Kriegsberichterstatter, in: Die Zeit wird kommen, Central-Theater Berlin, 1922;
    Redakteur in: Die Unüberwindlichen, Volksbühne Berlin, 1929;
    Filme:
    Indizienbeweis, 1929 (Darsteller);
    Das Kabinett d. Dr. Larifari, 1930 (Liedtexte);
    Susanne macht Ordnung, 1930 (Drehbuch);
    – Schallplatten: Etwas über Musik, 1927;
    Berliner Verkehrsregeln (Jeder einmal in Berlin), 1927;
    Tonfilm-Sterne, 1932;
    Odeon-Parade, 1932;
    Kabarett-Revue, 1932, auch enthalten in CD-Slg. v. V. Kühn, Da machste was mit, 100 J. Kabarett, 2006.

  • Literatur

    H. Hyan, Konferenziers u. d. Witze, die sie jeden Abend machen, in: Uhu-Mag., 1930;
    PEM (Paul E. Marcus), Heimweh n. d. Kurfürstendamm, 1952 (Abdr. d. Abschiedsbriefs, S. 185 f.);
    K. Schnog, Das Ende d. Spaßmacher, Paul Nikolaus, in: Artistik, 1955;
    K. Budzinski, Die Muse mit d. scharfen Zunge, 1961;
    ders., Pfeffer ins Getriebe, 1982;
    H. Greul, Bretter, die d. Zeit bedeuten, 1967;
    R. Hösch, Kabarett v. gestern, 1969;
    T. Hesterberg, Was ich noch sagen wollte, 1971;
    W. U. Schütte, Mit Stacheln u. Stichen, Btrr. z. Gesch. d. Berliner Brettl-Truppe „Die Wespen“, 1987;
    ders., Paul Nikolaus, Ein schreibender Conferencier, in: kassette 11, 1988;
    M. Herrmann-Neiße, Kabarett, Schrr. z. Kabarett u. z. bildenden Kunst, hg. v. K. Völker, 1988;
    K. Völker, Max Herrmann-Neiße, Künstler, Kneipen, Kabaretts – Schlesien, Berlin, im Exil, 1991 (Abb. d. Abschiedsbriefs, S. 162, P);
    ders. (Hg.), Ist schon doll d. Leben, George Grosz – Max Herrmann-Neiße, Der Briefwechsel, 2003;
    ders., Kabarett d. Komiker Berlin 1924–1950, 2010;
    V. Kühn (Hg.), Kleinkunststücke, II: Hoppla, wir beben, Kabarett e. gewissen Rep., 2001;
    M.-Th. Arnbom, War`n Sie schon mal in mich verliebt?, Filmstars, Operettenlieblinge u. Kabarettgrößen zw. Wien u. Berlin, 2006;
    Bibliographia Judaica;
    Metzler Kabarett-Lex.;
    Hdb. Exiltheater, S. 702;
    Kosch, Theater-Lex.;
    BHdE I, S. 864.

  • Autor/in

    Volker Kühn
  • Zitierweise

    Kühn, Volker, "Steiner, Paul Nikolaus" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 187-188 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd13656979X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA