Lebensdaten
795 – 855
Geburtsort
wohl in Aquitanien
Sterbeort
Prüm
Beruf/Funktion
fränkischer Kaiser
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118780514 | OGND | VIAF: 266820948
Namensvarianten
  • Lothar I.
  • Lothar I., Heiliges Römisches Reich, Kaiser
  • Lothaire I, Emperor, Germany
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Zitierweise

Lothar I., Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118780514.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Vgl. Stammtafel S. 211. - V Kaiser Ludwig d. Fromme ( 840, s. NDB 15), S Karls d. Gr. ( 814, s. NDB XI) u. d. Kgn. Hildegard ( 783);
    M Hermingardis (Irmingard) ( 818), T d. fränk. Gf. Ingram;
    B Pippin (ca. 797–838), Unter-Kg. in Aquitanien, Kg. Ludwig d. Dt. ( 876, s. NDB 15);
    Halb-B Kaiser Karl d. Kahle ( 877, s. NDB XI);
    - 1) Diedenhofen Okt. 821 Irmingard ( 20.3.851), T d. Gf. Hugo v. Tours ( 837) a. d. Etichonenhause (s. NDB IV); danach 2 Friedelehen: 2) wohl 851 (Freilassungsurk. v. 19.4.851) Doda ancilla (zuletzt erw. Ende 861 in Umgebung Lothars II.; vgl. K. Schmid in: Frühma. Stud. 2 [1968], S. 126), 3) N. N. ancilla;
    3 S, 5 T aus 1), u. a. Kaiser Ludwig II. ( 875, s. NDB 15), Kg. Lothar II. ( 869, s. NDB 15), Karl (ca. 845–863), Kg. in Provence u. Burgund, 1 S aus 2) Karlmann, nur zu 853 erw.

  • Biographie

    L. erhielt, wie sein Vater (Ludwig = Chlodwig), in fortgesetzter „Ansippung“ an die erste fränk. Dynastie einen altmerowing. Königsnamen (= Chlothar). Er dürfte im aquitan. Unterkönigreich seines Vaters aufgewachsen sein. Zwar liegen über seine Jugend keine Nachrichten vor, doch darf aus seinen späteren theologischen Interessen mit Sicherheit auf eine sorgsame Erziehung geschlossen werden. Nach dem Thronwechsel von 814 wurde L. zunächst zum Unterkönig in Bayern erhoben, aber die im Juli 817 in Aachen verkündete Ordinatio imperii wies ihm dann eine zentrale Funktion im Programm der Reichseinheit zu. Mit Zustimmung der Reichsversammlung, d. h. auf Grund einer „Wahl“, wurde er vom Vater zum Mitkaiser gekrönt und zum Nachfolger bestimmt, während seine jüngeren Brüder Pippin und Ludwig als Unterkönige in Aquitanien und Bayern eingesetzt wurden. Die Ordinatio untersagte über Ludwigs d. Frommen Tod hinaus weitere Teilungen und gab der nach Sinn und Tradition genossenschaftlichen Teilung eine herrschaftliche Wendung: die Teilkönige sollten in allem, was über ihre interne Autonomie hinausging, auch dem künftigen Kaiser, also L., untergeordnet bleiben. Es war eine neuartige und kühne Konzeption, die, sowohl politisch wie theologisch fundiert, dem Rechtsdenken der Zeit weit vorauseilte. Auch bei L. selber ist nicht erkennbar, daß er an dem Ringen um die Reformen in Reich und Kirche einen über die Wahrung seiner eigenen Macht- und Herrschaftsinteressen hinausgehenden Anteil genommen hätte.

    Erst einige Jahre nach der Erhebung zum Kaiser wurde L. mit eigenen Aufgaben betraut. Begleitet und beraten von Wala, einem politisch erfahrenen älteren Seitenverwandten, übernahm er im Herbst 822 die Regierung in Italien, das, seit 818 als Unterkönigtum verwaist, sichtlich einer ordnenden Hand bedurfte. L. verkündete Kapitularien, er urkundete als Zweitkaiser in eigenem Namen und mit eigener Kanzlei, freilich mit protokollarischer Bezugnahme auf den Vater als Erstkaiser. Der Papst Paschalis I. (817–24) lud ihn nach Rom ein und krönte ihn am Ostertage (5.4.) 823. Es war, nach der weltlichen Krönung von 817, eine geistliche Festkrönung ohne konstitutiven Rang, aber erstmals seit 800 wieder eine Krönung in Rom, wo L. sogleich auch wieder eine unmittelbare Gerichtsgewalt ausübte. Er begab sich einige Zeit später zur Berichterstattung an den Kaiserhof, zunächst nach Frankfurt. Er übernahm die Patenschaft über seinen am 13.6.823 geborenen Halbbruder Karl (den Kahlen) aus Ludwigs zweiter Ehe mit Judith und versprach – so berichtet jedenfalls der ganz für Karl sprechende Chronist Nithard –, eine diesem vom Vater zuzuweisende portio regni zu garantieren. Im August 824 kehrte er nach Italien zurück, wo inzwischen der frankenfreundliche Eugen II. (824–27) den Stuhl Petri bestiegen hatte. Noch im gleichen Jahre verkündete L. die Constitutio Romana über eine Reorganisation des Kirchenstaates, der im Auftrage des Kaisers einer steten Kontrolle unterworfen und stärker ins Reich einbezogen wurde, zumal der gewählte Papst vor der Weihe dem Vertreter des Kaisers einen Treueid leisten sollte. L. setzte die Regierung Italiens noch bis Mitte 825 fort, kehrte dann aber an den Kaiserhof zurück und wurde, wie es der Ordinatio entsprach, Mitregent seines Vaters, auch formell im Ausstellertitel der Urkunden, so erstmals am 1.12.825, aber letztmals schon am 22.6.829, denn diese Gemeinsamkeit zerbrach, als Ludwig der Fromme im August 829, gedrängt von Judith, auf einer Wormser Reichsversammlung seinem jüngsten Sohne Karl eine territoriale Ausstattung im Reichsinnern (und damit auf L.s Kosten) zusprach. Ludwig urkundete vom 6.9.829 an wieder allein. L. wurde vom Hofe nach Italien entlassen, wo er, nach den Urkunden zu schließen, in der gleichen Weise wie 822-25 die Regierung wieder aufnahm.

    Die 817 verkündete Reichsordnung als ganze war durch diesen neuen Kurs des Kaiserhofes in Frage gestellt worden. Sie zu sichern, war das Ziel einer Palastrevolution, die im Frühjahr 830 zu einem Umschwung am Hofe führte. Eine direkte Beteiligung L.s

    (und seiner Brüder) an dieser Aktion ist nicht erkennbar, aber auch ohne sein Zutun fiel ihm wieder die zentrale Rolle zu. Aus Italien zurückberufen, hielt er im Mai 830 zu Compiègne eine Reichsversammlung ab. Formal wurde der Rechtszustand der Jahre 825-29 wiederhergestellt, indem die Diplome wieder in beider Kaiser Namen ergingen – erstmals am 2.8.830 –, faktisch aber trat L. als Alleinherrscher auf, beschränkte den Vater auf eine nominelle Rolle und suchte ihn gar zum Eintritt in den Mönchsstand zu bewegen. Diese Vormachtstellung vermochte L. jedoch nur wenige Monate lang zu behaupten, wobei die Hintergründe undurchsichtig bleiben. Schon im Okt. 830, auf einer Reichsversammlung in Nimwegen, hatte Ludwig (oder die Gegenpartei am Hofe) wieder die Oberhand; seit dem 7.1.831 urkundete er wiederum allein. L., nicht mehr Mitregent, mußte einen Treueid leisten, auf einer neuen Reichsversammlung in Aachen im Febr. 831 der Bestrafung seiner Anhänger, darunter seines alten Ratgebers Wala, zustimmen und nach Italien zurückkehren. Vermutlich dank dem hartnäckigen Bemühen Judiths, im Interesse ihres Sohnes Karl die Verbindung auch zum Zweitkaiser nicht abreißen zu lassen, wurde L. schon am 1.5.831 in Ingelheim wieder zu allseitiger Versöhnung und Amnestie empfangen, aber er blieb von der nächsten Erbteilung ausgeschlossen und auf Italien beschränkt; dort sind seit dem Febr. 832 seine datierten Herrscherakte wieder belegt.

    An der sehr großzügig geplanten Ausstattung des jungen Karl dürften sich die Mißhelligkeiten entzündet haben, die Ludwig d. Fromme 831-32 mit Pippin von Aquitanien und Ludwig von Bayern auszutragen hatte, aber von einer Beteiligung L.s verlautet zunächst nichts. Anfang 833 kam es jedoch zu der längst drohenden großen Reichskrise, da Pippin und der jüngere Ludwig sich nunmehr mit L. verbündeten, in gemeinsamer Auflehnung, aber kaum mit klarem gemeinsamem Ziel. Für L. war es ein Kampf um seine Rechte aus der Reichsordnung von 817. Um für dieses ja auch religiös konzipierte Programm mit seiner geistlichen Autorität einzutreten, fand sich Papst Gregor IV. (827–44) bereit, L. in die Francia zu begleiten. Wala dagegen trat nach den Erfahrungen von 830 nur widerstrebend auf L.s Seite. Anführer des Aufstandes wurden vor allem die Erzbischöfe Ebbo von Reims und Agobard von Lyon, während andere Bischöfe, voran Drogo von Metz, ebenso entschieden zu Ludwig hielten. Kaiserliche, reichsbischöfliche und päpstliche Autorität gerieten damit in einen plötzlich bewußt gewordenen Konflikt, bei dem sehr grundsätzliche Töne laut wurden, über den aber der erbitterte politische Machtkampf hinwegging. Während sich die Heere bei Kolmar gegenüberlagen und noch um einen Ausgleich verhandelt wurde, wußten L. und seine Partei am 24.6.833 die Anhänger Ludwigs auf ihre Seite zu ziehen, so daß dieser sich sechs Tage später gefangen geben mußte. Diese formlose Preisgabe des Kaisers durch seine Getreuen auf dem Rotfelde, das später „Lügenfeld“ genannt worden sein soll, bedeutete im Rechtsdenken der Zeit seine Absetzung. Ebenso formlos ging die Herrschaft an L. über, der den kaiserlichen Urkundentitel des Vaters annahm (erstmals belegt zum 7.10.833), aber seinen eigentlichen Anspruch nicht durchzusetzen vermochte. Seinen Brüdern Pippin und Ludwig, die ihm vielleicht ein Treueversprechen leisteten, räumte er ausgedehnte Länder zu sofortiger selbständiger Herrschaft ein. Karl blieb von dieser neuen Teilung ausgeschlossen, aber auch von der Ordinatio war nur ein schwacher Abglanz übriggeblieben. Gregor IV. sah seine Autorität mißbraucht und kehrte enttäuscht nach Rom zurück. L. und seine Parteigänger, voran die Erzbischöfe Ebbo und Agobard, zeigten sich zum äußersten entschlossen, um die labile neue Herrschaft zu stabilisieren. Der Sturz Ludwigs sollte kirchlich sanktioniert und unwiderruflich gemacht werden. Die in Compiègne versammelten Bischöfe beschuldigten ihn, sein Kaisertum schlecht verwaltet zu haben und mahnten ihn zur Kirchenbuße (Okt. 833). Im Medarduskloster zu Soissons mußte sich der gestürzte Kaiser ob vielfacher Schuld für der Herrschaft unwürdig bekennen, die Waffen ablegen und als Exkommunizierter das Büßergewand nehmen. Seine Thronfähigkeit sollte damit erloschen sein.

    L. und seine Ratgeber hatten jedoch den Bogen überspannt. Es kam zu Protesten gegen die Entthronung des alten Kaisers, den L. als Gefangenen mit nach Aachen führte und dem abermals der Klostereintritt nahegelegt wurde. In kürzester Zeit kehrten sich die Fronten wieder um. Näheres über L.s Regierung ist freilich wieder nicht bekannt. Durch die harte Behandlung des Vaters, anscheinend aber auch durch den Versuch, die politische und territoriale Position der Brüder wieder zu beschneiden, brachte er zunächst Ludwig von Bayern, dann aber auch Pippin von Aquitanien gegen sich auf. Er wich nach St. Denis aus, ließ dort aber den|Vater und den (inzwischen auch an den Hof geholten) Halbbruder Karl zurück und zog am 28.2.834 fluchtartig nach Burgund ab. Schon am nächsten Tage wurde Ludwig d. Fromme in St. Denis absolviert und wieder als Kaiser anerkannt; Pippin und Ludwig von Bayern traten auf seine Seite. Der jetzt ausbrechende offene Kampf ließ sich für L. im Sommer 834 zunächst günstig an. Seine Anhänger schlugen an der breton. Grenze ein Heer Ludwigs, er selber nahm nach dreitägiger Belagerung die Stadt Chalon, brannte sie nieder und ließ über die Verteidiger ein hartes Strafgericht ergehen. Er zog über Autun und Orléans nach Nordwesten, aber als er dann bei Blois dem – offenbar überlegenen – Heer des Vaters gegenüberlag, wagte er doch nicht den entscheidenden Waffengang, sondern gab den Kampf auf und unterwarf sich (Spätsommer-Herbst 834). Ludwig d. Fromme beließ ihm Italien, aber mit der Auflage, das Land nicht eigenmächtig zu verlassen. Mit zahlreichen Getreuen, darunter Wala ( 836 als Abt von Bobbio), und Agobard, kehrte L. über die Alpen zurück. Während mit der feierlichen Restitution Ludwigs d. Frommen in Metz (28.2.835) und der Resignation Ebbos als Erzbischof von Reims die Wirren in der Francia endeten, übernahm L. – nach 822, 829 und 831 zum vierten Male – die Regierung Italiens. Mit dem 24.1.835 setzt die Reihe seiner datierten Urkunden wieder ein. Er führte weiterhin den vollen Kaisertitel ohne Bezugnahme auf den Vater und hatte an seinem Hof – mit Vorzug in Pavia – einen eigenen Erzkanzler: den Abt Agilmar von St. Claude, nachmaligen Erzbischof von Vienne. Jahrelang blieb L. abweisend gegenüber dem Kaiserhof, den die offene Frage einer Ausstattung des – 838 wehrhaft gemachten und zum König gekrönten – Karl weiterhin in Atem hielt, bis dann der Tod Pippins I. von Aquitanien (13.12.838) die Bahn frei machte für die von Judith offenbar längst erstrebte Lösung. Ludwig d. Fromme empfing L. im Juni 839 auf einer Wormser Reichsversammlung zu formeller Aussöhnung und ordnete, ohne Rücksicht auf seinen aquitanischen Enkel Pippin II., eine Teilung des Gesamtreiches außer Bayern (das dem jüngeren Ludwig belassen wurde) nur zwischen L. und Karl an. Italien und die Länder östlich einer Linie von der Maas zum Genfer See sollten an L., der Westen an Karl fallen. L. kehrte unverzüglich nach Italien zurück und schloß am 22.2.840, unter Rückgriff auf alte Vereinbarungen aus langobardischer Zeit, einen Grenz- und Handelsvertrag mit Venedig. Die in Worms verordnete Teilung stieß unterdes sowohl in Aquitanien wie bei Ludwig von Bayern auf Widerstand, den der alte Kaiser militärisch zu brechen suchte. In dieser unentschiedenen Situation starb Ludwig d. Fromme am 20.6.840, nachdem er vom Krankenlager aus durch die Übersendung der Reichsinsignien L. als Nachfolger bestätigt hatte.

    Keineswegs gewillt, die im Vorjahr getroffene Abmachung einzuhalten, beanspruchte L. jetzt die vollen Kaiserrechte aus der Ordinatio von 817, die ja nicht ausdrücklich aufgehoben worden war. Er verließ Italien und zog den Oberrhein abwärts; am 24.7.840 ist er in Straßburg bezeugt. In großer Zahl schlugen sich einstige Verfechter der Reichseinheit und Anhänger Ludwigs d. Frommen auf seine Seite, darunter Drogo von Metz. Zugleich aber beschwor er eine Umkehrung der Fronten herauf, denn Ludwig d. Deutsche und Karl d. Kahle verbündeten sich unter Berufung auf das Teilungsrecht gegen den Bruder. Der damit anhebende Konflikt verlief im Herbst 840 für L. zunächst günstig. In der Gegend von Mainz manövrierte er Ludwig durch einen Waffenstillstand aus; in Ingelheim versammelte er eine große Bischofssynode, auf der Ebbo als Erzbischof von Reims restituiert wurde; in der Nähe von Orléans traf er auch mit Karl eine vorläufige Abmachung. Aber die gewaltsame Austragung des Bruderzwistes blieb dem Reich und der Dynastie nicht erspart. Bei Fontenoy im Raum von Auxerre unterlag L. am 25.6.841 in offener Feldschlacht. Dieser blutige Kampf unter Christen und Brüdern, der die Zeitgenossen tief erschreckte, wurde von Ludwig und Karl, bald aber auch über den Kreis ihrer Anhänger hinaus, als ein Gottesurteil, als Sieg des Teilungsrechtes über das Einheitsprinzip gedeutet. L. aber war noch nicht gewillt, sich geschlagen zu geben und griff zu verzweifelten Entlastungshilfen, indem er gegen Ludwig den innersächsischen Aufstand der „Stellinga“ auszunutzen suchte und eine erste Festsetzung dän. Wikinger in Friesland durch die Belehnung der Brüder Harald und Rorik mit Walcheren legalisierte. Ludwig und Karl vereinigten jedoch ihre Heere und bekräftigten am 14.2.842 durch die (zugleich als frühe volkssprachliche Texte berühmten) Straßburger Eide ihr Bündnis.

    Mitten in diese Krise fiel eine Fühlungnahme aus Byzanz: der Kaiser Theophilos schlug eine gemeinsame Aktion gegen die Sarazenen vor und bot die Vermählung seiner Tochter mit L.s ältestem Sohne Ludwig|an. In diesen Zusammenhang gehören die Nachricht über einen Empfang griechischer Gesandter in Trier im Aug. 842 und ein als Papyrusfragment erhaltener griech. Kaiserbrief an L. Dieser scheint in der Tat Verhandlungen aufgenommen zu haben, die jedoch Episode geblieben sein müssen. Sie beleuchtet, daß die unter Karl d. Großen und Ludwig d. Frommen sehr aktiven Beziehungen zu Byzanz bei L. keine Rolle mehr spielen. Dies wurde in der Folgezeit Sache des italischen Unterkönigs und Kaisers.

    L., der sich einer neuen Machtprobe nicht gewachsen sah, mußte Aachen preisgeben und nach Burgund ausweichen. Der innerdynastische Kampf ging aber auch dadurch zu Ende, daß die politisch-militärische Initiative des Kaisers und seiner Brüder durch einen immer stärker werdenden Druck einflußreicher, freilich nur sehr ungefähr bestimmbarer Adelsgruppen relativiert wurde: Die Großen des Reiches drängten mit Nachdruck auf ein Ende des Krieges. L. traf sich mit seinen Brüdern im Juni 842 auf einer Saône-Insel bei Mâcon, im November in Diedenhofen. Sie schlossen einen vorläufigen Frieden und einigten sich grundsätzlich auf eine Reichsteilung. Italien, Bayern und Aquitanien galten dabei von vornherein als Basis L.s, Ludwigs und Karls, während die innere Francia gleichmäßig aufgeteilt werden sollte. Nach langwierigen Verhandlungen kam im Aug. 843 durch den Vertrag von Verdun eine Dreiteilung zustande. L. erhielt ein um die Kaiserstädte Rom und Aachen gruppiertes Mittelreich, das sich über Italien hinaus von der Provence bis Friesland erstreckte; die westliche Grenze lehnte sich an die Flußläufe von Scheide, Maas, Saône und Rhone an, während es von der Ruhrmündung bis zu den Alpen durch die Rhein- und Aarelinie gegen das Ostreich Ludwigs abgegrenzt war, dem jedoch eine große Ausbuchtung um Mainz, Worms und Speyer zugesprochen wurde. Es waren Binnengrenzen, die neben allgemeinen geographisch-politischen, vielleicht auch militärischen Erwägungen, offenbar sehr stark am wirtschaftlichen Ertrag orientiert waren. Dieser Vertrag von 843 war lediglich als eine situationsbedingte Aufgliederung in Zuständigkeitsbereiche gedacht und ließ das regnum Francorum als ideelle Einheit fortbestehen, aber diese Einheit verblaßte nunmehr zur Samtherrschaft der Brüdergemeine, zu einer Genossenschaft gleichberechtigter Karolingersprossen. L.s Kaisertum war nur noch ein Ehrenvorrang, keine Überordnung mehr, das Programm von 817 war aufgegeben.

    Es ist unverkennbar, daß L. sich nach den bewegten Kampfjahren auch innerlich mit dieser Verkümmerung der Kaiseridee abfand und gewillt war, sich der Ordnung von 843 loyal zu fügen. Eben darum hielt sie in den vergleichsweise ereignisarmen nächsten Jahren allen Belastungen stand. L. nahm wie sein Vater und sein Großvater in Aachen Residenz. Seinem Hof mangelte es nicht an gelehrtem und künstlerischem Rang. L. hatte mancherlei geistigen Kontakt, vor allem mit Walahfrid Strabo ( 849) und Hrabanus Maurus ( 856); eine Kostbarkeit aus seiner Hofschule ist ein Psalter (jetzt in London), noch berühmter ein in und für Tours geschaffenes Evangeliar mit einer Darstellung des thronenden Kaisers (jetzt in Paris). Der Metzer Erzbischof Drogo, sein Oheim, wurde L.s Erzkaplan; die Leitung der Kanzlei übernahm Hilduin, der – mit dem einstigen Erzkanzler Ludwigs d. Frommen und Abt von St. Denis wohl nicht personengleich, aber verwandt – 842-848 designierter Erzbischof von Köln, daneben weiterhin Abt von Bonn war. Im Wortlaut erhalten sind, neben den Kapitularien, im ganzen 139 Urkunden L.s, die sich hälftig auf die Zeit vor und nach Verdun verteilen; die Existenz von über 50 weiteren Dokumenten läßt sich aus späteren Zeugnissen erschließen.

    Nach Italien kehrte L. nicht zurück. Dieses Land war vielleicht noch von Ludwig d. Fr. (839?), jedenfalls aber 840 beim Abzug L.s dessen ältestem Sohn Ludwig II. als Unterkönigreich zugesprochen worden. Nach der Bereinigung ernstlicher Mißhelligkeiten in Rom, wo man sich Anfang 844 bei der Erhebung Sergius' II. (844–47) über die Kaiserrechte aus der Constitutio von 824 hinweggesetzt hatte, wurde Ludwig II. am 15.6.844 vom Papst zum „König der Langobarden“ gekrönt. L. behielt sich eine Oberherrschaft mit Gesetzgebung und Beurkundung zunächst noch selber vor und empfing Ludwig II. 846 – im Jahre des Sarazenenüberfalls auf Rom – am Hofe, bis der Sohn am Ostertage (6.4.) 850 auf L.s Geheiß von Leo IV. (847–55) zum Kaiser gekrönt wurde. Zusätzlich zur väterlichen Designation war die päpstl. Krönung damit zur Grundlage des – nach Rom zurückgekehrten – Kaisertums geworden. Ludwig II. regierte und urkundete (erstmals am 10.1.851) seither selbständig, zu L.s Lebzeiten freilich als Zweitkaiser wie einst L. selber.

    In L.s Reichsteil diesseits der Alpen blieb es im großen und ganzen ruhig. Immerhin mußte L. 845 einen Aufstand in der Provence niederwerfen, und er wußte das seit|dem gleichen Jahre regelmäßig von den Normannen heimgesuchte Friesland nicht anders zu schützen als durch die Belehnung der Dänenfürsten Rorik und Gottfried mit mehreren Grafschaften dieses Landes (850).

    Das beherrschende Problem seines letzten Jahrzehnts blieben im übrigen die gewandelten, aber weiterhin wechselhaften Beziehungen zu den Brüdern. Auf L.s Verlangen bestellte Sergius II. 844, gleichzeitig mit der Krönung Ludwigs II., den Erzbischof und kaiserl. Erzkaplan Drogo von Metz zum päpstl. Vikar für „Gallien und Germanien“. Dieser Ansatz zu einer die ganze Reichskirche erfassenden Autorität, L.s einziger Versuch dieser Art, scheiterte jedoch am sofortigen Widerspruch des westfränk. Episkopats. L. fand sich mit dem Fehlschlag ab und nahm es auch hin, daß 845 sein inzwischen vertriebener Parteigänger Ebbo in Reims durch den neuen EB Hinkmar ersetzt wurde. (Ebbo erhielt von Ludwig d. D. das Bistum Hildesheim; 851.)

    Als Ersatz für die aufgegebene Reichseinheit verkündeten L., Ludwig und Karl, erstmals auf einer Zusammenkunft zu Diedenhofen im Okt. 844, unterstützt von einer gleichzeitigen Bischofssynode im nahen Yütz, das Programm einer gemeinsamen Regierung im Geiste beschworener fraternitas. Die angekündigten gemeinsamen Aktionen gegen Feinde und Rebellen in den Randländern, vor allem Westfrankens, blieben jedoch leere Drohungen. Statt dessen kam es zu einem schweren persönlichen Zerwürfnis, als 846 der frühere Maasgaugraf Giselbert, ein Vasall Karls, eine (nicht namentlich bekannte) Tochter L.s nach Aquitanien entführte und ehelichte, ohne daß der Westkönig einschreiten konnte oder wollte. Ludwig d. Deutsche bemühte sich alsbald um eine allseitige Aussöhnung (Begegnung L.s mit Ludwig etwa Sommer 846, Treffen der drei Brüder mit erneuter Proklamation für Eintracht und Frieden in Meerssen Febr. 847, abermalige Begegnung L.s mit Ludwig in Koblenz Febr. 848), nahm aber schließlich selber das flüchtige Paar auf. L. und Karl schlossen im Jan. 849 in Péronne Frieden. (Die Ehe wurde legitimiert; Sohn war der Graf Reginar, 915, Enkel der Hzg. Giselbert von Lothringen, 939.) L. traf sich im Juni 850 mit Ludwig in Köln, 851 (wohl im Sommer) mit beiden Brüdern abermals in Meerssen zu abermaligen Beschlüssen über Frieden und Eintracht, und danach noch wiederholt mit Karl (Mai/Juni 852 in St. Quentin; Nov. 853 in Valenciennes; Febr. 854 in Lüttich; Juni 854 in Attigny), dem er im Herbst 852 sogar militärisch gegen die Normannen zu Hilfe kam, dem er aber vor allem hilfreiche Vermittlung gewährte, als eine Gruppe aquitanischer Großer 853 den Ostkönig Ludwig zum Eingreifen im Westreich aufforderte und dessen Sohn Ludwig der Jüngere 854 tatsächlich einen – freilich erfolglosen – Vorstoß nach Aquitanien wagte.

    L., einstiger Repräsentant der Reichseinheit, kehrte im Angesicht des Todes ganz zum alten Teilungsprinzip zurück. Wohl in der Eifelpfalz Schüller, wo er am 19.9.855 seine letzte Urkunde ausstellte, entsagte er dem Thron und teilte sein Mittelreich: Kaiser Ludwig II. sprach er Italien zu (ohne also das Kaisertum nach Aachen zurückzuverpflanzen), dem jüngsten Sohne Karl die provenzalisch-burgund. Rhonelande mit Lyon, während die nördlichen Gebiete bis Friesland, also der fränk. Kernraum mit Aachen, an Lothar II. fallen sollten. Am 23.9.855 ließ L. sich als Mönch in Prüm aufnehmen und starb dort sechs Tage später. Seine Gebeine wurden 1860 bei Renovierungsarbeiten im Altar aufgefunden und in einem von Wilhelm I. gestifteten Sarkophag geborgen.

    L. ist eine charakteristische, ja zentrale Gestalt der Übergangsphase vor der Wegscheide deutscher und franz. Geschichte. Freilich bleibt das Bild seiner Persönlichkeit, von der eine politisch gestaltende Kraft kaum je ausgegangen zu sein scheint, wenig ausgeprägt, ja geradezu blaß. Die Rolle, die er bei den jähen Wechselfällen des Jahres 833 gespielt hat, war ebensowenig wie sein Lavieren zwischen den Brüdern nach 843 dazu angetan, ihm die Sympathie oder gar Bewunderung der Nachwelt einzutragen. Überhaupt ist ihm ein gebührender Platz im Geschichtsbewußtsein versagt geblieben, da seine Herrschaft weniger in die Zukunft gewiesen als ein großes Thema der europ. Geschichte hat ausklingen lassen. Bei der Entscheidung von 841 unterlegen, steht er vor der Geschichte als ein Besiegter da. Ihn darum einfach als Versager sehen zu wollen, wäre jedoch falsch. Die politische Mitsprache von Hochadel und Episkopat, die einsetzende Gefährdung von außen, die erbitterten Rivalitäten innerhalb der karoling. Dynastie hatten einen Strukturwandel heraufgeführt, gegen den auch eine stärkere Persönlichkeit als L. das Programm von 817 nicht mehr hätte durchsetzen können. In historischer Rückschau erscheint aber die Aufgliederung des fränk. Großreiches in neue Einheiten als eine unausweichliche Entwicklung, die|den Weg zum Reichtum europäischer Nationalkulturen erst freigemacht hat.

  • Literatur

    ADB 19;
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    R. Faulhaber, Der Reichseinheitsgedanke, 1931;
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    J. Fried, Der karoling. Herrschaftsverband zw. „Kirche“ u. „Königshaus“, in: HZ 235, 1982;
    P. E. Schramm u. F. Mütherich, Die dt. Könige u. Kaiser in Bildern ihrer Zeit, 1983 (Tafeln).

  • Autor/in

    Theodor Schieffer
  • Zitierweise

    Schieffer, Theodor, "Lothar I." in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 210-216 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118780514.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Lothar I., der älteste Sohn Ludwig des Frommen, geb. 795, wird bald nach der Thronbesteigung seines Vaters nach Baiern „gesandt"; seit März 815 datiren die baierischen Urkunden nach den Jahren des jungen „Königs in Baiern“. Es war eine Stellung, wie sie des Kaisers Neffe Bernhard in Italien, Lothar's Bruder Pippin in Aquitanien einnahm, ein Zugeständniß an die Länder, welche, unter einem nationalen Regentenhause selbständig und eigenartiger entwickelt, zuletzt als Ganzes in das fränkische Reich eingefügt worden waren, unter der vollen Wahrung der Oberhoheit des fränkischen Herrschers; das sollte auch zum Ausdruck kommen, als die drei Unterkönige 815 auf dem Reichstage in Paderborn vor diesem erschienen. Auf der Reichsversammlung in Aachen werden 817 „zur Festigung des Reiches und zur Kräftigung der Regierung“ jene Maßregeln getroffen, deren Vernichtung das Ziel der späteren Politik Ludwig's bildet: mit allgemeiner Zustimmung wird L. als Erstgeborner zum Kaiser gekrönt und zum Mitregenten erhoben. Wie diese Maßregel nur eine Nachahmung der Verfügungen Karl des Großen von 813 ist, so ist auch die sogenannte Reichstheilung im Wesentlichen nur eine Wiederholung der von dem großen Kaiser 806 getroffenen Bestimmungen; „die Einheit des Reiches sollte nicht den Söhnen zulieb zerrissen werden“ und in der Oberhoheit des zum Kaiser erhobenen ältesten Sohnes über die beiden jüngeren Brüder und ihre Reiche (Pippin ward zum König von Aquitanien, Ludwig zum König von Baiern bestellt) gewahrt, die Vertretung des Reichs, die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden, die Wahrung des verletzten Rechtes ihm vorbehalten bleiben. Zugleich wird L. Italien übertragen, das seine Bedeutung zum Range der Primogenitur erhoben hatte. Doch erst im Herbst 822 betritt der junge Kaiser, der im Vorjahr mit Irmingard, der Tochter des Grafen Hugo von Tours vermählt worden war, sein Reich, um im Auftrage seines Vaters Recht zu schaffen und die Regierung|des Landes zu übernehmen. 823 versammelt er einen Reichstag zu Pavia, um durch Gesetze den eingerissenen Mißbräuchen zu steuern und rechtliche Verhältnisse zu regeln; eine Instruction für die Grafen trifft auch staatspolizeiliche Maßregeln. Im Begriffe auf den Befehl seines Vaters zurückzukehren erhält L. die Einladung des Papstes Paschal nach Rom zu kommen; hier wird er am 5. April zum Kaiser gekrönt. Doch noch hatte die Kaiserkrönung nicht jene Bedeutung, welche ein mächtig aufstrebendes Papstthum ihr bald zu geben wußte. L. war bereits in Aachen zum Kaiser gekrönt worden, in einer Urkunde für Farfa von 822 December 18 führt er daher auch schon den Kaisertitel. Der Akt war nur die kirchliche Weihe der von der weltlichen Vollgewalt geschaffenen Thatsache. Weder L. noch auch die italienischen Privaturkunden zählen die Regentenjahre von der Kaiserkrönung in Rom, sondern nach seiner Ankunft in Italien, der Besitznahme seines Reiches, oder nach einer conventionellen Epoche von 820. Findet in der Aufnahme der Regierungsjahre Lothar's in die Datirung der italienischen Urkunden der förmliche Antritt der Regierung seinen Ausdruck, so auch die dem fränkischen Kaiser gewahrte Oberhoheit darin, daß dessen Name und Regentenjahre an die Spitze gestellt werden. Als L. im Juni 823 in Frankfurt am Hofe seines Vaters eintraf, war eben sein Stiefbruder Karl geboren worden. Die Sorge, dem Spätgebornen auf Kosten der älteren Brüder und mit Beseitigung des Staatsgrundgesetzes ein Reich zu schaffen, beherrscht fortan die Politik, welche die kluge und ränkevolle Kaiserin Judith mit thatkräftiger Hand lenkt und leitet. L., der meistberechtigte der Söhne, war zunächst ausersehen dem weitgehenden Plan zu dienen; er übernimmt die Pathenstelle, der drängenden Bitte des Vaters sich fügend schwört er, dem Stiefbruder den Theil des Reiches, welchen der Vater ihm geben würde, einzuräumen und ihn gegen alle Feinde zu schirmen. Das nächste Jahr führt ihn wieder nach Italien. Eugen II. war im Mai 824 in streitiger Wahl durch den Adel mit Mißachtung der dem Kaiser zustehenden Hoheitsrechte auf den päpstlichen Stuhl erhoben worden. L. wird nun nach Rom gesandt, um, wie es heißt, berathen von Wala und als Vertreter seines Vaters mit dem neuen Papst und dem römischen Volke die nothwendige Regelung der Verhältnisse vorzunehmen. Den Anhängern der fränkischen Partei wird das confiscirte Vermögen zurückgegeben, ihre Stellung befestigt. Das von L. erlassene Capitulare wahrt die kaiserlichen Rechte und unter deren Obhut jene des Papstes; es schränkt das Wahlrecht wieder auf die von Alters her berechtigten Wähler des Papstes ein bei Strafe der Verbannung, es verbietet die üblichen Plünderungen bei Lebzeiten und nach dem Tode des Papstes und gebietet bei Todesstrafe unverletzliche Sicherheit für alle, welche in des Papstes oder Kaisers Schutz aufgenommen worden waren; zur Controle der Rechtspflege bestellt es zwei Machtboten, einen päpstlichen und kaiserlichen, und behält in letzter Instanz die Appellation an den Kaiser vor; es verbürgt jedem Römer freie Wahl seines persönlichen Rechtes und fordert unbedingten Gehorsam und Ehrfurcht gegen den Papst. Dieser muß sich zur förmlichen Anerkennung der dem Kaiser für die Papstwahl zustehenden Rechte, welche die Weihe des Gewählten erst nach der Genehmigung des Kaisers gestatten, verstehen, die Römer müssen die Wahrung dieser Rechte beschwören. Auf der Rückkehr trifft L. 825 in Marengo Verfügungen über das Aufgebot gegen Corsica, auf einer Reichsversammlung in Olonna (bei Pavia) gesetzliche Bestimmungen zu Gunsten der vielfach mißachteten Kirchengewalt, zur Hebung des Unterrichts und der kirchlichen Disciplin, zur Abstellung von Mißständen; ein anderes Capitulare regelt die Heerpflicht. Im Sommer 825 langt L. wieder am fränkischen Hofe an. Seine Stellung als Kaiser und Mitregent kommt nun auch zu äußerem Ausdruck: sein Name wird nun auch den kaiserlichen Urkunden eingefügt, doch|es ist nur eine nominelle Ehre, die ihm weder einen bestimmenden Einfluß auf die Regierung noch einen eigenen Wirkungskreis zuweist. Aber sie wird bald zum Maßstab seines Verhältnisses zur Macht, welche die Regierung seines Vaters lenkt: kaum erkalten 829 seine Beziehungen, so verschwindet sein Name aus den Diplomen; als die Empörung von 830 ihm die Macht in die Hand gibt, so erscheint auch sein Name wieder in diesen, um nach der Niederlage der Erhebung, ein Zeichen vollständigen Bruches, für immer aus denselben zu verschwinden. Die nächsten Jahre führt L. ein Stillleben am Hofe des Vaters. Nur 828 erhält er den Befehl über ein Heer, das der spanischen Mark zu Hilfe kommen sollte; doch schon in Lyon erreicht ihn die Botschaft, daß ein Einfall der Sarazenen nicht mehr zu besorgen sei. 829 wird an Karl Alamannien, Rätien und ein Theil von Burgund zu Worms im Beisein Lothar's, also mit seiner Einwilligung übertragen. Es war der erste Schritt, um dem Knaben nach den hochstrebenden Plänen der Mutter ein Reich zu schaffen. Diese Verfügung traf zunächst L., sie schmälerte den ihm 817 zugewiesenen Antheil. Aufgestachelt von seinem Schwiegervater, dem seiner Würde entsetzten Grafen Hugo von Tours und dessen Schicksalsgenossen Matfrid, sinnt er auf Mittel diese Verleihung rückgängig zu machen, hieß es doch, daß der Knabe zum Nachfolger des Vaters im Reiche ausersehen sei. Durch die Pläne, welche man für ihn ins Werk zu setzen begann, mußten sich auch die beiden anderen Brüder bedroht sehen, wenn auch ihr „Unwille“ noch thatlos bleiben mochte. Der Hof sucht sich durch Gegenmaßregeln zu sichern: L. wird entfernt und nach Italien „entlassen“, „gleichsam als Schutzwehr“ wird Graf Bernhard von Barcelona als Kämmerer an den Hof berufen und „zum zweiten Mann im Reiche nach dem Kaiser“ erhoben und seiner Obhut der kleine Karl anvertraut. L. ging nach Italien. Aber 830 brach die Empörung gegen Ludwig den Frommen aus, welche das Prinzip der Legitimität auf ihre Fahne schrieb und nach der Versicherung ihrer Parteigänger den Kaiser nur von den unheilvollen Einflüssen, die ihn beherrschten, retten, die Reichseinheit und die beschworene Erbfolgeordnung von 817 aufrecht erhalten wollte; ihre Häupter sandten an L. die Aufforderung, mit Heeresmacht zu ihnen zu stoßen. Als er etwa Anfangs Mai erst nach Ludwig d. D. in Compiègne eintraf, um sich trotz der Warnung Einhard's als das dazu berufene Haupt an ihre Spitze zu stellen, war die Umwälzung, hauptsächlich unter Mitwirkung seines jüngeren Bruders Pippin von Aquitanien, vollzogen: die verhaßte Kaiserin war in das Kloster der h. Radegund in Poitiers gebracht, ihre beiden Brüder geschoren worden, Bernard durch die Flucht entronnen. Die Reichsversammlung in Compiègne sollte die Errungenschaften sichern; sie wurde von L. gehalten, Pippin und die Großen des Reichs waren erschienen. L. wird von seinem gedemüthigten Vater wieder als Mitregent anerkannt und in seine früheren Rechte eingesetzt, sein Name erscheint wieder neben dem seines Vaters in den Diplomen. Ueber die Mitschuldigen Bernard's und Judith's ergeht das Strafgericht; L. billigt ausdrücklich das Geschehene und drückt ihm damit den Stempel des Rechts auf. Dem alten Kaiser war nur der Titel geblieben, die Macht auf L. übergegangen. Dieser behandelt ihn zwar rücksichtsvoll, aber er wird mit dem kleinen Karl in freier Haft gehalten und nach dem Zeugniß Nithard's sollten die Mönche ihn zum Eintritt ins Kloster bereden. Die Empörung hatte nur eine andere aristokratische Partei zur Herrschaft gebracht, auch sie verfolgte nur ihre Interessen, eine Besserung der sich häufenden Mißstände, der Lage des Volkes, die Hebung des tief gesunkenen Ansehens des Reichs war ebensowenig ihre Sorge. Die Verhältnisse verschlimmerten sich und rasch vollzog sich ein gewaltiger Umschlag zu Gunsten des alten Kaisers. Dieser gab für die Zukunft die verlangten Zusicherungen, und der Gewandtheit des Mönches Guntbald gelang es, die jüngeren Söhne Pippin und Ludwig durch die Zusage, daß ihre Reiche vergrößert würden, zu gewinnen. Eine feste, entschlossene Hand lenkt nun hinter den Coulissen das Vorgehen des Kaisers und entwaffnet dadurch L.: der Kaiser besteht darauf, daß der nächste Reichstag nach Nimwegen, nicht nach einer Stadt Westfranciens, des Heerdes des Aufstandes, einberufen wird, er gebietet, daß Jedermann dort ohne bewaffnetes Gefolge erscheine. Der Reichstag wird noch in seinem und Lothar's Namen angesagt, er endet mit dem vollen Sieg des Kaisers. Seine Anhänger wie seine Gegner waren sehr zahlreich erschienen. Er tritt jedoch mit ungewohnter Entschiedenheit auf und sucht die Gegenpartei durch Entfernung ihrer bedeutendsten Männer zu schwächen und zu sprengen: Abt Hilduin wird nach Paderborn in die Verbannung geschickt, Wala in sein Kloster verwiesen. Die Maßregelung dieser Männer erbittert die Partei aufs tiefste; sie versammelt sich Nachts und kommt in Lothar's Wohnung mit der Forderung, entweder loszuschlagen oder auch gegen Ludwig's Willen anderswohin abzuziehen. Dieser läßt Morgens L. vor ihren gemeinsamen Feinden warnen und ihm entbieten, er möge als Sohn zu ihm kommen; trotz der Abmahnungen geht L. zu seinem Vater, der ihm nur freundliche Vorwürfe macht. Unterdeß steigt die Erbitterung, Tumult erhebt sich, die Parteien stehen einander kampfbereit gegenüber. Da tritt der Kaiser vor das Volk und dieses läßt sich durch seine Rede beschwichtigen. Durch Lothar's Nachgiebigkeit ist seine Sache verloren, die Herrschaft dem Kaiser zurückgegeben; er läßt die Häupter der Empörung in Gewahrsam bringen, L. muß den Treueid leisten, die Zurückberufung der Kaiserin wird beschlossen. Am 2. Februar 831 tritt der Reichstag in Aachen zusammen, dem L., welchen der Kaiser bei sich behalten hatte, Pippin und Ludwig der Deutsche anwohnen. Hier ergeht das Strafgericht über die Empörer, L. selbst ist genöthigt das Todesurtheil über seine Parteigenossen zu sprechen. Sie werden zwar begnadigt, aber verbannt, ihre Güter eingezogen. Gegen L. scheint die Untersuchung neues Beweismaterial ergeben zu haben, er wird seiner Würde als Mitregent entsetzt, auf Italien beschränkt und muß sich eidlich verpflichten, sich nie mehr gegen des Vaters Willen in Reichsangelegenheiten einzumengen. Die Kaiserin wird feierlich rehabilitirt, ihr unheilvoller Einfluß ist jetzt mächtiger als je. Wahrscheinlich dieser Zeit gehört der Entwurf einer Reichstheilung an, welcher die wesentlichen Bestimmungen der Reichstheilung von 806 wiederholend nur die anderen Söhne (Pippin, Ludwig d. D. und Karl) berücksichtigt, L. aber nicht einmal erwähnt. Der Entwurf kam nicht zur Ausführung. Doch schon im Mai erscheint L. wieder auf dem Reichstag zu Ingelheim und findet hier ehrenvolle Aufnahme. Die den Kaiser lenkende Politik hatte wieder eine Schwenkung gemacht und sucht L. für sich zu gewinnen; für seine verurtheilten Parteigänger wird eine Amnestie erlassen. L. ist noch im selben Jahre auf dem Reichstage in Diedenhofen, wo Bernard von der Beschuldigung des Ehebruches mit der Kaiserin sich durch einen Eid vereinigt, und kehrt dann nach Italien zurück. Der Zwist in der kaiserlichen Familie war nur nothdürftig beigelegt, das gegenseitige Mißtrauen wucherte fort und führte bald zu neuen Conflicten. Als Pippin von Aquitainen aus Aachen entflohen war (831, December), sollte auch L. zu der nach Orleans einberufenen Reichsversammlung kommen, um über die zu ergreifenden Maßregeln zu berathen. Dieselbe unterblieb, da in den nächsten Monaten auch der Baiernkönig zu den Waffen griff. Thegan schreibt diese Erhebung wol mit Unrecht dem Rathe Lothar's zu. Im Juli 832 kam L. allerdings nach Mainz, wie es heißt, um sich gegen diese Anschuldigung zu rechtfertigen. Der tiefe Groll der Söhne gegen die ländergierige Politik der Kaiserin, welche eben das Muttersöhnchen Karl mit dem Pippin entrissenen Aquitanien ausgestattet hatte und das Erbe der anderen Brüder bedrohte, kam 833 in erneuter Empörung zum Ausbruch, An ihre Spitze stellte sich wieder L. als der älteste Prinz. Die verrammelten Alpenpässe hatten seinen Vormarsch nicht aufgehalten. Mit ihm war Papst Gregor IV. gekommen, um, wie man sagte, eine Versöhnung zwischen Vater und Söhnen zu bewirken und die Eintracht und Einheit des Reiches durch Aufrechthaltung der ursprünglichen Erbfolgeordnung wieder herzustellen, deren Beseitigung alle Wirrnisse verursacht habe, während die kaiserliche Partei ihn als Werkzeug der Aufständischen bezeichnete. Bei Colmar lagert der Kaiser seinen Söhnen gegenüber, die Verhandlungen und ein Vermittelungsversuch des Papstes bleiben ohne Erfolg. Unterdeß greift der Abfall im kaiserlichen Lager immer weiter um sich, „wie ein Wildbach“ strömt alles Volk ins Lager der Söhne. Von den Seinen verlassen, von einem Angriff bedroht liefert sich der Kaiser seinen Söhnen aus (29. oder 30. Juni). L. läßt ihn mit dem kleinen Karl in sein Lager geleiten, die Kaiserin wird zu den Zelten Ludwig d. D. geführt. L. übernimmt förmlich die Herrschaft, wie ein Geschichtschreiber seiner Partei berichtet, auf das Urtheil des Papstes und der Versammelten, der alte Kaiser gilt jetzt als abgesetzt. In Lothar's Urkunden verschwindet nun aus Titel und Datirung der Name seines Vaters, an die Spitze der Jahresdaten tritt jetzt „das erste Regierungsjahr in Francien“, officielle Aktenstücke wie Privaturkunden datiren nach der Regierung Lothar's. Vom Volk wird der Treueib gefordert, das Reich unter die drei Brüder getheilt. Die Kaiserin wird nach Tordona in Italien in die Verbannung geschickt. Während Ludwig d. D. und Pippin in ihre Reiche, der Papst nach Rom zurückkehrt, zieht L., den Vater in strenger Obhut haltend, über Marlenheim, wo er „das ihm nöthig Scheinende anordnet“, das Heer entläßt und einen Reichstag nach Compiègne beruft, Maurmünster, Metz, Verdun nach Soissons. Hier wird der Kaiser im Kloster St. Medard eingeschlossen, der kleine Karl nach Prüm in Gewahrsam gebracht. Am 1. October tritt der Reichstag in Compiègne unter Lothar's Vorsitz zusammen. Er ist von der Geistlichkeit, den Großen und dem Volk zahlreich besucht; man bringt die jährlichen Geschenke dar und leistet den Treueid. Eine noch an Ludwig abgeordnete griechische Gesandtschaft wird von L. empfangen. Mit seiner Billigung wird über seinen Vater ein förmliches Anklageverfahren eröffnet, in seinem Beisein derselbe zur Kirchenbuße in St. Medard zu Soissons gezwungen. Dadurch sollte ihm die Möglichkeit genommen werden die Waffen je wieder zu tragen und nochmals auf den Thron zu gelangen. L. ist noch immer in Furcht, daß sein Vater befreit werde; er holt ihn deshalb von Soissons nach Compiègne und hält ihn hier bis zum Schluß des Reichstags (11. November) in strenger Haft. Dann zieht er zur Ueberwinterung mit ihm nach Aachen. Die harte Behandlung, welche L. dem Vater zu Theil werden läßt, empört das kindliche Gefühl seines jüngeren Bruders. Ludwig o. D. Vergeblich fordert er durch Gesandte eine mildere Behandlung, dringender wiederholt er im December bei einer Zusammenkunft in Mainz persönlich L. gegenüber dieselbe Forderung. Da L. nun abschlägigen Bescheid gibt, plant er die Befreiung des Vaters. Nach Epiphanie 834 ordnet er an diesen Gesandte ab, welchen wenigstens der Zutritt zu dem Gefangenen gestattet wird. Die Bewegung zu Gunsten des Kaisers ergreift nun immer größere Kreise, namentlich in Burgund, das habsüchtige und gewaltthätige Gebühren der zur Herrschaft gelangten Partei, das die allgemeine Lage nur noch mehr verschlimmert, sacht sie zu gefährlicher Höhe an. Als nun auch Pippin die Aquitanier und die Leute jenseits der Seine. Ludwig die deutschen Stämme zu den Waffen ruft, fühlt sich L. in Aachen nicht mehr sicher. Er entweicht im Februar nach Westfrancien. Während des Marsches durch den Haspengau stellt sich ihm eine bedeutende Streitmacht gegenüber, um den Kaiser zu befreien, doch dieser verhindert durch Befehl und Bitte|den Kampf. So gelangt L. nach St. Denis, um hier seinen Vater und seinen Stiefbruder Karl zu verwahren, während Pippin schon an der Seine stand und die Burgunder bis Bonneuil an der Marne vorgerückt waren. Die Burgunder verlangen am 19. Februar durch Gesandte die Auslieferung des Kaisers und drohen ihn sonst mit Gewalt zu befreien; L. sucht sie hinzuhalten, sein Benehmen durch das über den Kaiser ergangene Urtheil zu rechtfertigen. Als nun auch Ludwig mit Heeresmacht heranrückt und der eiserne Ring sich immer fester um ihn schließt, ergreift er am 28. Februar mit seinen Anhängern die Flucht und läßt seinen Vater und Stiefbruder in St. Denis zurück. Es gelingt ihm nach Burgund zu entkommen, wo er in Vienne ein Standlager bezieht. Am 1. März wird der Kaiser wieder feierlich in die Kirche aufgenommen und unter dem Jubel des zusammengeströmten Volkes mit den königlichen Gewändern und Waffen bekleidet. Nach den Osterfeiertagen hält er in Aachen Berathungen, wie er „L. wieder zu sich zurückrufen könne“, und schickt an ihn Gesandte, welche ihm volle Verzeihung zusichern, wenn er in Frieden zu ihm zurückkehre; L. weist dies Anerbieten schroff ab. Unterdeß wird auch die Kaiserin befreit und aus Italien ihrem Gemahl zugeführt. Noch einmal scheint das Glück der Sache Lothar's seine Gunst zuwenden zu wollen. Das kaiserliche Heer, das aus den Gegenden zwischen Seine und Loire aufgeboten worden war, um die Grafen Matfrid und Lantfred, die sich mit Lothar's Anhang an der Grenze der Bretagne festgesetzt hatten, zu vertreiben, erlitt eine vollständige Niederlage. Die Sieger, zu schwach, um einem erneuerten Angriff zu begegnen, erbitten von L. dringend Hilfe. Er bricht auf, um sich mit ihnen zu vereinigen, und erobert Châlon sur Saône; die Stadt wird eingeäschert, Bernard's Schwester, die Nonne Gerberga, als Hexe und Giftmischerin ersäuft, drei der Befehlshaber werden hingerichtet. Nochmals sendet der Kaiser, der sich wieder einmal ermannt, den Abt Markward von Prüm mit neuen Mahnungen an L.; dieser antwortet mit Drohungen. Siegeszuversicht erfüllt ihn, sein Anhang mehrt sich wieder. Er marschirt über Autun nach Orleans, um sich mit den Seinen zu vereinigen und den weiteren Feldzugsplan zu berathen. Er lagert zunächst bei Montaillé und dann, als sein Vater mit einem Heer anrückt, diesem und seinem Bruder Ludwig gegenüber in drohender Stellung bei Blois. Vier Tage wird durch Gesandte unterhandelt, in der nächsten Nacht beginnt L. den Rückzug. Als nun auch Pippin mit einem Heer eintrifft und kein Entrinnen mehr möglich ist, unterwirft er sich nach einigem Zögern. Er erscheint vor seinem Vater, wirft sich ihm mit seinen vornehmsten Anhängern zu Füßen und bekennt sich schuldig. Er schwört für sich und die Seinen Treue und Gehorsam, verpflichtet sich in bestimmter Frist nach Italien zu gehen und es ohne des Vaters Geheiß nicht zu verlassen, sowie gegen dessen Willen sich nicht mehr in Reichssachen zu mengen. Nach ihm schwüren die übrigen. Der Kaiser verleiht L. Italien und gewährt den anderen Amnestie. L. zieht mit seinen Anhängern, die ihm folgen wollen, nach Italien. Es folgen ihm die Männer, die einst zu den bedeutendsten des Reiches gezählt hatten, „durch deren Abgang,“ wie des Kaisers Lobredner sagt, „Francien seines Adels beraubt, seiner Stärke entmannt, seiner Staatsklugheit entäußert wurde.“ Hinter ihnen werden die Alpenpässe verrammelt. L. muß nun bedacht sein seine Getreuen zu entschädigen, und er sorgt für sie, größtentheils auf Kosten des Kirchenguts, nach Kräften. Eine Seuche, welche auch L. aufs Krankenlager wirft (836), rafft fast alle hinweg. Die vollständige Niederlage, der förmliche Ausschluß aus dem Reich hatten Lothar's Beziehungen zu seinem Vater abgebrochen. Er herrscht nun ganz unabhängig in Italien. Seine Urkunden nehmen den Namen des Kaisers nicht mehr auf. Doch schon 836 geht wieder eine Gesandtschaft des Kaisers nach Italien ab, um eine volle Aussöhnung anzubahnen. L. tritt aus|seiner Zurückhaltung nicht heraus, ohne die Anträge ganz abzuweisen; er erklärt sich bereit gegen Bürgschaft für seine Sicherheit zum Vater zu kommen. Vom Fieber ergriffen ist er außer Stande diese Zusage einzulösen. Wieder finden sich Gesandte des Kaisers ein, um anzufragen, ob er später kommen werde, zugleich aber um über die Restitution der Besitzungen fränkischer Kirchen in Italien, die von seinen Anhängern als gute Beute in Besitz genommen worden waren, und über die Rückgabe der Aemter und Lehen an die Befreier der Kaiserin zu unterhandeln. L. sucht Vorbehalte und stellt Bedingungen. Die Spannung verschärft sich im nächsten Jahre Der Kaiser kündigt auf dem Reichstag in Diedenhofen (Mai 837) eine Romfahrt an, auf der ihn auch Pippin und Ludwig d. D. begleiten sollen. Diese Heerfahrt bedroht L., über den Klagen wegen Nichterfüllung der beschworenen Verpflichtungen und über Bedrückung der römischen Kirche eingelaufen waren. Mit der Mahnung, die Beraubung der römischen Kirche, deren Schutz ihm bei der Verleihung Italiens übertragen worden sei, nicht zu gestatten, kommt auch der Befehl, für Mundvorrath und Quartiere auf der ganzen Strecke bis Rom Sorge zu tragen. Ein Einfall der Normannen in Friesland nöthigt aber den Kaiser zum Verzicht auf die Romfahrt und zur Rückkehr. Er schickt daher wieder Gesandte an L. und den Papst, doch L. antwortet mit der Befestigung der Alpenpässe und läßt dem päpstlichen Botschaftsträger die Weiterreise versperren. Diese Spannung, die neuerliche Ausstattung Karl's mit reichem Länderbesitz (Reichstag in Aachen October 837) führt L. auch seinem Bruder Ludwig näher; sie haben in der Fasten eine Zusammenkunft im Thal von Trient, welche den Verdacht des kaiserlichen Hofes in hohem Maße erregt. Ludwig geräth mit dem Vater bald in offenen Hader, da dieser die „diesseits und jenseits des Rheins usurpirten Lande“ zurückfordert. So versucht man es am kaiserlichen Hof mit Pippin; mit dessen Zustimmung wird an Karl das Herzogthum Maine und die Küstenlandschaft zwischen Seine und Loire übertragen und der eben wehrhaft gemachte junge Fürst gekrönt (September 838). Als aber kurz darauf Pippin stirbt (13. September 838) und die Kaiserin darauf sinnt, ihrem Sohn auch Aquitanien, wenngleich mit Beseitigung des erbberechtigten Sohnes Pippins, zu verschaffen, als Ludwig d. D., der zu Beginn des Jahres wieder zu den Waffen gegriffen, obgleich niedergeworfen, noch immer ein gefährlicher Gegner bleibt, als nun auch die Altersschwäche des Kaisers ein baldiges Ende voraussehen läßt, da hält die Kaiserin es für gerathen, daß der Vater einen der Söhne als Stütze gewinne, damit im Vereine mit diesem Karl dem andern, wenn keine friedliche Verständigung erzielt würde, die Spitze bieten und so seine reiche Ausstattung sichern könnte. Nach langen Erwägungen einigt man sich zu dem Beschluß, sich mit L. zu Verbünden. Man läßt ihm volle Verzeihung und Theilung des ganzen Reichs, Baiern ausgenommen, zwischen ihm und Karl anbieten. L. nimmt das Anerbieten an, die Abmachung wird von beiden Seiten beschworen. Er erscheint auf dem Reichstag in Worms (30. Mai 839). Die Aussöhnung wird hier feierlich in Scene gesetzt: L. fällt dem Vater zu Füßen und bittet ihn für seine früheren Uebelthaten um Verzeihung; sie wird ihm gewährt unter der Bedingung, daß er nie und nirgends etwas wider Karl und das Reich unternehme. In die Aussöhnung werden Lothar's Anhänger einbezogen; einige derselben erhalten nicht nur ihre Eigengüter, sondern auch ihre Lehen zurück. Am nächsten Tage beginnen die Verhandlungen über die Reichstheilung, L. überläßt endlich dem Vater die Theilung und behält sich die Wahl seines Antheils vor. Er wählt sich den von der Maas und Rhone östlichen Theil des Reichs mit Italien und überlüßt den westlichen an Karl; der Kaiser mahnt beide sich zu lieben und untereinander zu unterstützen; die Theilung sollte nach seinem Tode in Kraft treten, Ludwig auf Baiern beschränkt bleiben. Als L.|sich verabschiedet, um nach Italien zurückzukehren, beschwürt ihn sein Vater nochmal wenigstens jetzt die gegebenen Zusicherungen zu halten. Diese ungerechte Auftheilung des Reichs bleibt nicht ohne Widerstand und ein großer Theil der Aquitanier erhebt sich für den rechtmäßigen Thronerben Pippin II., Ludwig der Deutsche beansprucht mit den Waffen „den ihm rechtlich gebührenden Antheil“. Der erfolgreiche Kampf gegen ihn beschäftigt das letzte Lebensjahr des Kaisers. Zu Tode krank wird er auf die Rheininsel bei Ingelheim gebracht (Juni 840). Vor seinem Ende sendet er an L., dem er nebst Karl auch einen Theil seiner Fahrhabe bestimmt hatte, die Reichsinsignien, Krone und Schwert, aber mit der Bedingung, daß er Karl und Judith die Treue wahre, jenem den ganzen Reichsantheil belasse und ihn darin schütze. Kaum hatte L. den Tod des Vaters erfahren, als er, sich auf das Hausgesetz von 817 stützend, als Erbe des Vaters und als Kaiser Anspruch auf das ganze Reich erhebt. Er entfendet überallhin Boten, um die Ankunft in „sein“ Reich anzukündigen und Huldigung zu heischen. Er bricht sogleich zur Besitznahme des Reichs auf, rückt aber ziemlich langsam vor, da er vor dem Ueberschreiten der Alpen Gewißheit über die Entwicklung der Dinge haben will. Er findet auf seinen Wegen überall Anerkennung, seine alte Partei beginnt sich um ihn zu schaaren. Nach dem Bericht Hincmars sind es seine Parteigänger, die ihn dazu drängen seine Brüder zu enterben, da er der Erstgeborne und Kaiser sei. Er sucht zunächst die beiden Brüder zu trennen. Während er Vorbereitungen trifft, um Ludwig als den nächsten Gegner niederzuwerfen, läßt er Karl seiner freundlichen Gesinnung versichern, allerdings mit der Bitte gegen ihren Neffen Pippin II. von Aquitanien nicht weiter vorzugehen. Dann bricht er gegen Ludwig auf; er schlägt die Besatzung von Worms nach kurzem Kampfe in die Flucht, setzt über den Rhein und marschirt gegen Frankfurt. Bei Mainz stellt sich ihm Ludwig unerwartet mit einem großen Heer von Ostfranken gegenüber. Man vereinbart für die nächste Nacht Waffenruhe; als L. sieht, daß Ludwig ohne Kampf nicht weichen will, schließt er in der Hoffnung, Karl leichter überwinden zu können, einen Waffenstillstand bis 11. November unter der Bedingung, daß sie sich an diesem Tage am gleichen Orte treffen und, wenn sie sich bis dahin über die Reichstheilung nicht einigen könnten, die Waffen entscheiden sollten. Lothar's weitumfassenden Pläne beleuchtet auch die Urkunde, welche Ebbo das Bisthum Rheims, das er „seinetwillen“ verloren hatte, restituirt, sie ist von den Erzbischöfen von Metz, Mainz, Trier, Besançon, Tarantaise und einer stattlichen Anzahl von Bischöfen unterfertigt und datirt „im ersten Jahre der Rückkehr des Kaisers L. als Nachfolger seines Vaters in Francien“. Karl hatte sich, sobald er von dem Geschehenen Kunde erhielt, beeilt L. entbieten zu lassen, er möge die Verfügungen des Vaters aufrecht halten und ihm seinen Antheil ungeschmälert lassen. L. gibt nur eine kühle, ausweichende Antwort und entzieht den Gesandten seines Bruders, die nicht zu ihm übertreten wollten, die Lehen. Etwa Ende September bricht er mit einem Heer gegen Karl auf und marschirt gegen die Seine. Auf dem Wege dahin schließen sich Abt Hilduin von St. Denis und Graf Gerard von Paris, Pippin, der Sohn des geblendeten Königs Bernhard von Italien, 834 einer der Befreier der Kaiserin Judith, und viele andere an. Schon am 10. October urkundet L. für westfränkische Klöster als Regent dieser Lande. In diesen Urkunden tritt zuerst auch eine neue Datirung auf; zu den Regierungsjahren in Italien (mit der konventionellen Epoche von 820) gesellen sich die Regierungsjahre in Francien, mit I, also 840 beginnend. Er rückt im langsamen Maisch über die Seine und über Chartres, überall bestrebt die Leute auf seine Seite zu ziehen, bis zur Loire vor. Bei Orleans stellt sich ihm Karl mit geringen Streitkräften entgegen. Da er harten Widerstand erwarten muß und ein immer größeres Anwachsen seiner Partei hofft,|vermeidet er auch hier die Entscheidung durch die Waffen und schließt einen Vertrag, welcher Karl Aquitanien, Septimanien, die Provence und 10 Grafschaften zwischen Seine und Loire überläßt in der Weise, daß er sich damit begnüge und dort bis zu der für den 8. Mai in Attigny bestimmten Zusammenkunft, welche endgiltige Bestimmungen treffen sollte, seinen Aufenthalt nehme. Dagegen stellen Karl's Anhänger die Bedingung, daß L. die zugewiesenen Länder unbehelligt lasse und bis dahin Ludwig nicht angreife, widrigenfalls sie sich ihrer beschworenen Verbindlichkeiten enthoben erachten würden. Trotzdem versucht L. die Männer, welche eben diesen Vertrag beschworen hatten, Karl abtrünnig zu machen und sendet in die diesem überlassenen Landstriche Boten, um die Huldigung zu hintertreiben. Er zieht dann nach Burgund, um sich huldigen zu lassen, und langt im Februar in seiner Residenz Aachen an. Unterdeß hatte Ludwig die Zeit trefflich ausgenützt, die Huldigung der Ostfranken, Alamannen, Sachsen und Thüringer entgegengenommen und die Orte am linken Rheinuser besetzt. Im März bricht L. wieder gegen ihn auf. Es gelingt ihm Anfangs April bei Worms den Rheinübergang zu bewerkstelligen; Ludwig sieht sich zu eiligem Rückzug nach Baiern genöthigt. L. überzeugt, daß sein Bruder nunmehr unschädlich gemacht sei, läßt Graf Adalbert von Metz mit Truppen zurück, um das Volk in Pflicht zu nehmen, um eine Vereinigung Ludwig's mit Karl zu hindern und sich selbst mit der Hauptmacht gegen diesen wenden zu können. Schon hatte er eine Gesandtschaft an ihn abgeordnet, welche zu Ostern in Troyes eintraf und darüber Beschwerde zu führen hatte, daß Karl — er hatte unterdeß die Landschaften im Westen sich gesichert und Lothar's Parteigänger verjagt — die ihm vertragsmäßig gezogenen Grenzen überschritten habe, und welche ihm zugleich den Befehl übermittelte an dem Ort, wo sie ihn treffen würden, zu bleiben, bis er von L. weitere Weisung erhielte. Karl rechtfertigt sich damit, daß auch L. seinen beschworenen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei und Ludwig angegriffen habe. Zur bestimmten Zeit trifft Karl in Attigny ein. Während er hier vergeblich auf seinen älteren Bruder wartet, finden sich Gesandte Ludwig's ein und bieten ihm dessen Beistand an; Karl nimmt das Bündniß an und läßt zurücksagen. Ludwig solle baldmöglichst zu ihm stoßen. Als L. nicht erscheint, zieht er seiner Mutter nach Châlons sur Marne entgegen, die ihm Truppen aus Aquitanien zuführt. Nun erst rückt L. ins Feld; er verkündet dem ihm zuströmenden Volk, daß Karl entflohen sei und er ihm rasch folgen werde; er hebt damit den Muth der Seinen und gewinnt neuen Anhang. Bei seinem Vormarsch tritt ihm aber Karl entgegen und bietet ihm eine Schlacht an, er lehnt dieselbe ab unter dem Vorwande, er müsse den ermüdeten Pferden Ruhe gönnen, und sucht, während Gesandtschaften erfolglos hin und her wandern, Karl hinzuhalten. So verliert er die günstige Zeit und Ludwig, der am 13. Mai den Grafen Adalbert im Rieß vollständig geschlagen und sich dadurch den Weg zu Karl frei gemacht hatte, kann sich mit diesem vereinigen. Die Verbündeten Brüder versuchen es wieder mit Unterhandlungen: an die Verfügungen ihres Vaters erinnernd, beschwören sie L. dem Reiche den Frieden zu geben; sie bieten ihm gegen die Anerkennung ihrer berechtigten Ansprüche die Fahrhabe des Heeres, Pferde und Waffen ausgenommen, an. Auch diese Vorschläge zurückweisend läßt L. ihnen sagen, er wolle nichts ohne Schlacht. Er bricht sogleich auf, um Pippin, der ihm aus Aquitanien Streitkräfte zuführt, entgegen zu ziehen. Die beiden Brüder folgen ihm. Bei Auxerre treffen die Heere am 21. Juni unvermuthet aufeinander. Man schließt für die Nacht Waffenstillstand und lagert in geringer Entfernung. Am nächsten Tage lassen beide Brüder L. die Schlacht für diesen Tag anbieten; er gibt eine ausweichende Antwort und bricht rasch auf. Die Brüder eilen ihm nach, überholen ihn und lagern bei|Thury, L. bei Fontanetum (Fontenoy-en-Puisaye wahrscheinlicher als Fontenailles, südwestlich Auxerre). Am 23. Juni rücken beide Heere schlachtbereit etwas über die Lager hinaus. Nochmals schicken Ludwig und Karl Gesandte und wiederholen ihr letztes Anerbieten; sie schlagen noch Theilung des Reichs in drei Theile vor, unter denen L. die Wahl frei stehen sollte; doch wie gewöhnlich erwidert dieser, er werde durch eigene Gesandte seinen Entschluß kund thun, und verlangt Bedenkzeit. Sie verstehen sich dazu für diesen und den folgenden Tag bis zur zweiten Stunde (nach Sonnenaufgang) des 25. Juni Waffenruhe zu beschwören. Am 24. Juni langt Pippin mit seinen Truppen bei L. an und dieser steigert unter Hinweis auf seine kaiserliche Würde seine Ansprüche, ohne die am Vortag gemachten Anträge auch nur zu beantworten. So lassen ihm die Brüder melden, daß sie, wenn er sich nicht anders besinnen und ihre Vorschläge annehmen würde, am nächsten Tag um die zweite Stunde zum Gottesgericht, das er ihnen aufgenöthigt habe, erscheinen würden; sie erhalten nur die höhnische Antwort, sie würden sehen, was er zu thun gedenke. Am 25. Juni besetzen sie die Höhe des an Lothar's Lager grenzenden Berges mit etwa einem Drittel ihres Heeres und erwarten dessen Anrücken um die bestimmte Stunde; um diese Zeit entspinnt sich der Kampf. L. kämpft bei Brittas gegen Ludwig mit der größten Tapferkeit und drängt anfangs den Feind zurück; er wird aber bald zurückgeworfen, seine Schaaren fliehen, er selbst wird von der Flucht mitgerissen: einen leichten Sieg erringt Karl bei Fagit, dagegen leistet Pippin hartnäckigen Widerstand und seine Schaaren werden erst geworfen, als Nithard zu Hilfe eilt. Die Flucht ist nun eine allgemeine, Ludwig und Karl gebieten der Verfolgung Einhalt. Die Abgesandten des Papstes, welche gerade vor der Schlacht mit dem Auftrag, zwischen den Brüdern zu vermitteln, bei L. angelangt waren, entrinnen nach Auxerre, der mit ihnen gekommene Erzbischof von Ravenna, der mit Hilfe seiner Schätze die Bestätigung der Privilegien und die Unabhängigkeit von Rom erwirken wollte, wird gefangen. Eine ungeheuere Beute fällt den Siegern in die Hände. Am nächsten Tage wird für das Begräbniß der Todten, die Pflege der Verwundeten Sorge getragen. Die Verluste auf beiden Seiten sind ungeheuere, die Blüthe der fränkischen Streitmacht war gefallen; als ein Unglück, als ein bejammernswerther Sieg wird die Schlacht in den Geschichtsbüchern verzeichnet, und Angilbert, der selbst in erster Reihe gekämpft, flucht dem unseligen Tage. Auch die Sieger fühlen das Bedürfniß der Rechtfertigung. Auf ihre Anfrage erklären die Bischöfe am Tage nach der Schlacht in öffentlicher Versammlung, daß sie nur für ihre Rechte gestritten und daß nur das Gottesgericht für sie entschieden habe. L. flieht nach Aachen. War er auch besiegt, so war seine Sache doch noch keineswegs verloren. Zwar droht der Abfall seine Reihen zu lichten, er sucht durch Vertheilung von Krongut, durch Verleihung der Freiheit und durch Versprechungen seine Partei zu stärken, wie man auch nach der Schlacht das Gerücht verbreitet hatte, Karl sei in derselben gefallen, Ludwig verwundet worden und nur durch die Flucht entronnen. Er sendet nach Sachsen, um die Freien und Lazzen durch Zusagen zu gewinnen, die auch als Bund der „Stellinger“ sich gegen den Adel erheben. Zugleich sucht er die Normannen zu gewinnen. Schon im Juli rückt er gegen Ludwig wieder ins Feld und geht über den Rhein, kehrt aber, obwol sein Gegner zurückweicht, „unverrichteter Dinge“ wieder nach Worms zurück, angeblich auf die Kunde, daß Karl in die Gegend von Mastricht ziehen wolle. In Worms feiert er die Vermählung einer seiner Töchter und zieht dann wieder gegen Karl. Ohne auf die Friedensanbietungen desselben zu achten, marschirt er mit einem Heere von Sachsen, Ostfranken und Alamannen gegen Paris. Die angeschwollene Seine hindert den Uebergang, das andere Ufer ist von den Truppen Karl's besetzt. In|dieser mißlichen Lage bietet er im September den Frieden an, wenn Karl das Bündniß mit Ludwig aufgebe wie er das seine mit Pippin, und verspricht ihm das Land westlich der Seine ohne die Provence und Septimamen. Karl geht auf diese Vorschläge nicht ein, L. zieht die Seine aufwärts und vereinigt sich in Sens mit Pippin. Nirgends erntet seine Heerfahrt Erfolge. Er wendet sich zunächst gegen die Streitkräfte Karl's, welche das Forêt de Perche besetzt hatten, und verwüstet die Gegend von Le Mans; jene entkommen, der Fürst der Bretagne, Nominoe, weist seine Anerbietungen zurück, er findet keinen Anhang. Nach Tours zurückgekehrt, kommt ihm die unerwartete Kunde zu, daß Karl und Ludwig sich mit einem ungeheueren Heere zu vereinigen strebten, und er eilt nach Aachen zurück. Ludwig und Karl, der Lothar's Streitkräfte unter dem Erzbischof Otgar von Mainz, welche ihm den Weg ins Elsaß sperren sollten, zu raschem Rückzuge gezwungen hatte, vereinigen sich in Straßburg und beschwören hier am 14. Februar 842 feierlich ihr Bündniß gegen L. Sie rücken getrennt gegen ihn vor, Karl auf dem linken, Ludwig, zu dem auch sein Sohn Karlmann mit baierischen und alamannischen Zuzügen gestoßen war, auf dem rechten Rheinufer. Von Worms ordnen sie nochmals Gesandte an L. ab, doch sie finden kaum Gehör. Am 18. März vereinigen sich wieder die beiden Heere bei Koblenz und setzen sogleich über die Mosel. Lothar's Kerntruppen, denen die Vertheidigung des Moselüberganges anvertraut war, ergreifen die Flucht. Als L., der in Einzig (an der Mündung der Ahr) weilt, dies erfährt, flieht er nach Aachen und rafft dort die Kostbarkeiten der Kapelle und des Schatzes zusammen; der herrliche silberne Tisch aus dem Nachlasse Karl des Großen, der auf drei Schilden die Erde, den gestirnten Himmel und das Planetensystem in erhabener Arbeit darstellte, wird zerschlagen, die Stücke werden unter die Seinen vertheilt, um sich ihre Treue zu sichern, sie verlassen ihn aber haufenweise. In rastloser Eile flieht er weiter, so daß sich das Gerücht verbreitet und auch bei seinen Brüdern Glauben findet, er verzweifle an seiner Sache und ziehe nach Italien. Schon am 2. April ist er in Trotzes. In Vienne macht er endlich Halt. An der Rhone, die er mit seiner Flotte beherrscht, sammelt er ein neues Heer. Die Brüder waren unterdeß in Aachen eingerückt und hatten mit Billigung der Bischöfe Lothar's Reich unter sich getheilt; sie nahmen die neuen Unterthanen in Pflicht und folgten in langsamem Zuge L. Da trifft sie ein Abgesandter desselben, um seine Bereitwilligkeit zu Friedensunterhandlungen zu versichern. Sie geben nur eine schroffe Antwort und marschiren weiter. In Miliciacus langt eine neue Gesandtschaft an; L. läßt sagen, daß er seine Schuld einsehe und den Streit beenden wolle; sie möchten ihm um der kaiserlichen Würde willen etwas mehr als den dritten Theil des Reichs gewähren, wenn nicht, wenigstens dieses Drittel mit Ausschluß von Italien, Baiern und Aquitanien. Ludwig und Karl erklären sich zum Frieden und zur Annahme des Theilungsvertrages bereit. Nicht ohne Mißvergnügen mancher Anhänger werden sie schlüssig, L. das Land zwischen Rhein und Maas längs der Saône und Rhône bis zum mittelländischen Meere als Drittel des Reichs anzubieten mit der Drohung, wenn er dies Angebot zurückweise, die Waffen entscheiden zu lassen. Den Gesandten, welche diese Anträge übermitteln, begegnet L. weniger hochfahrend als sonst, er erklärt aber mit dem angebotenen Reichstheil sich nicht zufrieden geben zu können, da er nicht ein Drittel des Ganzen umfasse. Die Gesandten — „ich weiß nicht, durch welche Lift hintergangen,“ bemerkt Nithard — vergrößern nun Lothar's Antheil bis zum Kohlenwald und schwören, daß das Reich dann in drei möglichst gleiche Theile getheilt werden und ihm die Wahl unter diesen frei stehen solle. Nun beschwört auch L. diese Abmachungen. Auf der Insel Ansilla bei Mâcon treffen die Brüder am 15. Juni zusammen. Ihre Geneigtheit Frieden zu machen wird auch dadurch erzwungen, daß die Großen des Krieges mit seinem zweifelhaften Gewinn und sicheren Verlusten überdrüssig geworden waren. Sie schließen hier einen Präliminarfrieden und beschwören das Reich gleichmäßig zu theilen und L. die Wahl seines Antheiles zu überlassen. Am 16. Juni werden, allerdings nicht ohne Noth, nähere Vereinbarungen getroffen: von jeder Partei werden 40 Bevollmächtigte bestellt, die eine „Beschreibung“ des Reichs zum Zweck der gleichen Theilung aufnehmen und am 1. October in Metz zusammentreten sollten. L. hatte mehr erreicht, als er nach den erlittenen Niederlagen erwarten durfte. Er geht nach Trier und empfängt hier eine griechische Gesandtschaft, die um Hilfe gegen die Sarazenen in Kleinasien ansucht und dafür die Vermählung der kaiserlichen Prinzessin mit Lothar's Sohn Ludwig anbietet. Eine Urkunde für Trier erwähnt auch, daß er hier die Verhältnisse seines Reichs geordnet habe. Den Großen, welche zu seinen Brüdern übergegangen waren, werden die Lehen entzogen. Er nimmt dann Aufenthalt in Diedenhofen. Seine Nähe scheint den Bevollmächtigten Karl's und Ludwig's, die in Metz die Reichstheilung vornehmen sollten, so verdächtig, daß Karl Sichelstellung ihrer Abgeordneten durch Geiseln oder Verlegung der Verhandlungen an einen andern Ort fordert. Man einigt sich nun auf Koblenz. Die Bevollmächtigten kommen hier am 19. October zusammen; um Streit unter ihren Leuten zu verhindern, schlagen jene Ludwig's und Karl's auf dem rechten Rheinufer ihr Lager aus, die Lothar's auf dem linken. Die Unterhandlungen bleiben erfolglos, da Lothar's Vollmachtsträger die Beschuldigung erheben, daß die Gegenpartei die vereinbarte „Beschreibung“ des Reichs nicht aufgenommen habe und deshalb eine gleiche Theilung nicht möglich sei, und diese sich darauf beruft, daß L. dies verhindert habe. Man schließt bis 5. November Frieden und geht unverrichteter Dinge auseinander. In Diedenhofen endlich kommt ein Friedensschluß bis zum 14. Juli des nächsten Jahres zu Stande, zu dem die Könige, gedrängt durch die Noth, den bevorstehenden Winter und durch den Ueberdruß der Großen am Kriege, sich verstehen müssen; die Großen schwören, daß die Könige bis dahin unter einander Frieden halten, daß am bestimmten Termin jedenfalls das ganze Reich gleichmäßig getheilt werde und L., wie früher vereinbart, die Wahl zustehe. Der lange Streit wird durch die Reichstheilung von Verdun (August 843) beendet. Sie findet statt auf Grundlage der von den Bevollmächtigten nun aufgenommenen „Beschreibung"; L. erhält zu Italien das Land zwischen Rhein und Scheide mit Ripuarien und Friesland, Cambray, den Hennegau und Lommegau, den Gau Castrices (um Sedan), die Grafschaften am linken Ufer der Maas bis zum Einfluß der Saône in die Rhone, von hier längs der Rhône mit den zu beiden Seiten liegenden Grafschaften, im Westen bis zur Aar. Dazu tritt ihm Karl das Gebiet von Arras ab. Mit dieser Theilung ist die Reichseinheit für immer zerrissen und der nationalen Entwickelung im Westen und Osten freie Bahn gegeben; Lothar's Reich ist ein künstliches Gebilde, das bald zum Zankapfel der beiden andern Reiche werden sollte; die Großen sind jetzt zu entscheidendem Einfluß gelangt. Zugleich wird ein förmlicher Friede zwischen den drei Brüdern geschlossen; sie garantiren sich eidlich ihre Reiche. Mit dem J. 843 versiegt die Hauptquelle dieser Zeit, Nithard. Für die spätern Jahre Lothar's finden sich nur spärliche Daten. Zur Wahrnehmung der bei der Wahl des Papstes Sergius II. mißachteten kaiserlichen Rechte sandte L. 844 seinen Sohn Ludwig mit dem Erzbischof Drogo von Metz, vielen italienischen Bischöfen und einem starken fränkischen Heer nach Rom. Auf der zur Beilegung des Confliktes veranstalteten Synode kam es zwischen Drogo, den italienischen Bischöfen, welche für das kaiserliche Bestätigungsrecht eintraten, und dem Papst mit seiner Partei zu heftigen Erörterungen; es gelang dem Papst — wol nur gegen Garantien|für künftige Papstwahlen — einen friedlichen Ausgleich zu Stande zu bringen. Am 15. Juni krönte der Papst Ludwig in der Peterskirche zum Langobardenkönig. Er bestellte ferner Drogo von Metz zu seinem Vikar diesseits der Alpen, eine Maßregel, die durch Errichtung eines kirchlichen Primats in Lothar's Reich dessen Interessen zu dienen bestimmt war, ihren Zweck aber nicht erreichte, während er die Wiedereinsetzung Ebbo's von Rheims und des früheren Erzbischofs Bartholomäus von Narbonne, der als eifriger Parteigänger Lothar's 834 gleichfalls seine Diöcese eingebüßt hatte, ablehnte. In Rom erschien auch der Herzog Siginulf von Benevent vor Ludwig, um hier, bedrängt durch die Sarazenen, feierlich das Unterthänigkeitsverhältniß zu erneuern. Nachdem L. 840 Italien verlassen hatte, betrat er nicht mehr dessen Boden; aber auch nach der Königskrönung seines Sohnes behielt er bis 850 die Regierung Italiens in der Hand. Im October 844 fand in Diedenhofen eine Zusammenkunst zwischen L. und seinen Brüdern statt; sie gelobten sich unverletzliche Wahrung der brüderlichen Liebe und Eintracht, Fernhaltung aller, die Zwietracht zwischen ihnen stiften wollen, und Rückstellung des aus Noth an Laien vergabten Kirchenguts; dieselbe Forderung stellte auch eine gleichzeitig zu Yütz bei Diedenhofen versammelte Synode. 845 wurde L. durch einen Aufstand des Grafen Folcrat von Arles in die Provence gerufen; es gelang ihm bald denselben niederschlagen. Die Eintracht der königlichen Brüder war von kurzer Dauer. 846 entführte ein Vasall Karl's, Gifalbert, eine der Töchter Lothar's nach Aquitanien. L. sah darin eine Intrigue Karl's und ließ weder durch das Zureden Ludwig's noch durch Karl's öffentliche Erklärung, daß die Entführung ohne sein Wissen und Wollen geschehen sei, seinen Groll beschwichtigen. Diese Spannung kam auch dadurch zum Ausdruck, daß L., obwol schon im Vorjahr Hincmar zum Erzbischof von Rheims bestellt worden war, vom Papst wieder eine Revision des Prozesses Ebbo's forderte; er hatte diesem 844 zur Entschädigung die Abteien Stablo und Bobbio gegeben, aber nebst dem Eigengut genommen, als Ebbo sich weigerte als Gesandter nach Konstantinopel zu gehen. Der Papst ordnete zwar die Untersuchung der Rechtmäßigkeit der Wahl Hincmar's an, doch Ebbo erschien nicht vor der Synode. Wie im Norden und Westen die Normannen, welche 845 bei einem Einfall in Friesland in zwei Schlachten gesiegt hatten, waren im Süden die Sarazenen gefährliche Feinde geworden. Gerufen durch zwei streitende Prätendenten hatten sie sich 842, während L. mit seinen Brüdern kriegte, in Benevent festgesetzt und ihre Flotten drangen bis zur Pomündung und bis zum Quarnero vor. Im August 846 übersielen sie Rom; konnten sie auch die Stadt selbst nicht erobern, so wurden doch die Peterskirche und Paolo fuori li muri zerstört, die Umgegend geplündert, die Einwohner gemordet. Die nachrückenden kaiserlichen Truppen wurden am 10. November bei Gaeta mit bedeutenden Verlusten in die Flucht gejagt; erst ein Angriff der neapolitanischen und amalfitanischen Flotte zwang die Sarazenen zum Abzug, ein Sturm vernichtete ihre Schiffe. L. erkannte nun endlich die Größe der Gefahr. Er traf mit seinem Sohn Ludwig zusammen, um über die gegen die Sarazenen zu ergreifenden Maßregeln zu berathen. Es wurde beschlossen, daß Ludwig mit der ganzen Streitmacht Italiens, mit fränkischen, burgundischen und provençalischen Truppen nach Benevent ziehe, um die Sarazenen von dort zu vertreiben und den Angriffen auf die Romagna ein Ziel zu setzen, sowie den zwischen Siginulf und Radalchis schwebenden Streit um den Besitz Benevents durch Theilung des Fürstenthums beizulegen. Das Capitulare ordnete auch noch außer der schon zur Phrase gewordenen Restitution des Kirchenguts Geldsammlungen zum Wiederaufbau und zur Befestigung der Peterskirche in Rom an. Ludwigs Heerfahrt 847 war eine siegreiche, aber ohne nachhaltigen Erfolg: Benevent wurde getheilt, die fränkische Oberhoheit wieder zur formellen Anerkennung gebracht. Auch in Rom verstand man sich dazu, die bei der Erhebung des Papstes Leo IV. wieder verletzten kaiserlichen Rechte auf den Protest Lothar's ausdrücklich anzuerkennen und sich des alten Pactum wieder zu erinnern. In der That wurde auch 855 bei der Wahl Benedikt III. das Wahldecret „nach alter Gewohnheit“ an die Kaiser L. und Ludwig geschickt. Zu Meersen bei Mastricht traf L. im Februar 847 zur Festigung der Eintracht und des Friedens wieder mit seinen Brüdern zusammen. Man gab sich wieder gegenseitig die officiellen Bürgschaften für den ruhigen Besitz der Reiche für sich und die Söhne, man decretirte wieder Abstellung der schreiendsten Mißstände wie der „fest zu Recht bestehenden“ Räubereien, man schickte gemeinsam Gesandte an den Herzog der Bretagne und den Normannenkönig Orich, um sie vergeblich aufzufordern Frieden zu halten. Daneben berichten aber die Jahrbücher von Fulda, daß L. seinen Groll gegen Karl nicht verwinden konnte, und daß Ludwig, mit dem L. deshalb in besonders herzlichen Beziehungen stand, umsonst versucht habe eine Aussöhnung zu bewirken. Die Normannen kümmerte nicht die ihnen zugegangene Botschaft und die Drohung eines gemeinsamen Vernichtungskrieges; sie plünderten in diesem Jahre Duurstede und die Betuwe, rückten nach leichtem Sieg bis in die Gegend von Rhenen vor und kehrten unbehelligt zurück. Die guten Beziehungen zu Ludwig versuchte L. nun gegen Karl zu verwerthen; bei der Zusammenkunft in Koblenz (Februar 848) wollte er, „wie das Gerücht ging“, Ludwig von Karl abziehen und ganz für sich gewinnen. Ludwig lehnte aber mit Berufung auf das mit diesem eingegangene Bündniß die Zumuthung ab, er bemühte sich sogar L. mit Gisalbert, der sich unter seinen Schutz gestellt hatte, auszusöhnen. Seine Vermittelung erwirkte im Januar 849 zu Peronne die Aussöhnung mit Karl; derselben fiel Karl, der Bruder Pippin II. von Aquitanien, dem L. bisher eine Zufluchtsstätte gewährt hatte, zum Opfer, er wurde vom westfränkischen König in das Kloster Corbie gesteckt. So mit kleinlicher Hauspolitik beschäftigt, that L. nichts für den Schutz seines Reichs: 848 plünderten griechische Seeräuber ungestraft Marseille, die Sarazenen besetzten wieder Benevent, 849 brandschatzten sie Luni und verwüsteten ohne Widerstand die Küste bis zur Provence, ein von ihnen versuchter Beutezug gegen Rom wurde nur von einer Flotte aus Neapel, Amalfi, Gaeta zurückgeschlagen. Diese Ereignisse bewogen wol auch L. seinem Sohne Ludwig die selbständige Regierung Italiens zu übertragen, wie er sie unter seinem Vater inne gehabt hatte. Er schickte Ludwig nach Rom und dieser empfing im April 850 von Papst Leo IV. die Kaiserkrone. Ludwig urkundet von nun an fast ausschließlich für Italien, die dem Vater gewahrte Oberhoheit kommt nach früherer Sitte durch die Nennung seines Namens im Titel und die Datirung nach seinen Regierungsjahren in Italien an erster Stelle in den Urkunden zum Ausdruck. Nur ausnahmsweise erläßt L. noch für Italien Urkunden, wie die Bestätigung des Klosters St. Salvatore in Brescia für seine Tochter Gisla, die demselben als Nonne angehörte, wie eine andere Tochter, Berta, als Aebtissin dem Kloster Avennay. Die Schwäche des Reichs und Regenten zeigte der Einfall der Normannen 850 wieder im grellen Licht. Rorich verwüstete Friesland und die Betuwe, die Gegend am Rhein und an der Waal. Da L. sich „außer Stande sah ihn zu vertreiben“, knüpfte er auf Anregung seiner Räthe mit ihm Unterhandlungen an und verlieh ihm Duurstede mit mehreren Grafschaften zu Lehen mit der Bedingung, daß er es gegen die anderen normannischen Freibeuter schütze. Im Süden plünderten die Mauren Arles, in deutschen Landen, namentlich am Rhein, herrschte furchtbare Hungersnoth. Im nächsten Jahre plünderten die Normannen wieder in Friesland und am Rhein und äscherten Gent ein. —|Am 20. März 851 starb Lothars Gemahlin Irmingard; er nahm aus seinen Hörigen zwei Maitressen, der einen, Doda, die ihm auch einen Sohn Karlmann gebar, machte er schon wenige Wochen nach dem Tode seiner Gattin eine bedeutende Schenkung. Das durch den maßgebenden Einfluß Ludwig des Deutschen gepflegte gute Einvernehmen der drei Brüder führte 851 zur zweiten Zusammenkunft in Meersen: sie gelobten sich wieder vollständiges Vergeben und Vergessen der früheren Feindseligkeiten, gegenseitige und uneigennützige Liebe und Unterstützung mit Rath und That, Besserung der Mißstände in ihren Reichen. L. empfahl nun auch Hincmar aufs wärmste dem Papst, obwol dieser gegen ihn in Sachen Fulkrich's, eines seiner Vasallen, in schroffster Weise aufgetreten war. Nun vollzog Lothars Unzuverläßlichkeit wieder eine Schwenkung zu Karl. Hatte er noch 850 mit Ludwig die herzlichsten Beziehungen unterhalten und zur nicht geringen Verwunderung vieler Leute mit ihm sogar einige Tage auf der Jagd im Osnigwald zugebracht, so schloß er sich 852 an Karl an, der sich bei einer Zusammenkunft in St. Quentin in Liebenswürdigkeit gegen ihn erschöpfte. Zu Ende des Jahres zog er mit ihm sogar gegen die bis zur oberen Seine vorgedrungenen Normannen, welche im Frühjahr wie sonst ungestört Friesland und die Scheideufer gebrandschatzt hatten, er hob eine Tochter Karls aus der Taufe und mit seiner Zustimmung ward sein ehemaliger Bundesgenosse, Pippin II. von Aquitanien, in St. Medard zu Soissons zum Mönch geschoren. Der Feldzug nahm einen erbärmlichen Ausgang, Karl kaufte die Normannen ab und L. kehrte im Frühjahre 853 in sein Reich zurück. Im November desselben Jahres traf er mit Karl wieder in Valenciennes, im Februar des nächsten Jahres in Lüttich zusammen, um sich gegenseitig ihre „unlösliche“ Eintracht und Liebe zu bezeugen. Sie schlossen ein förmliches Bündniß gegen Ludwig und garantirten sich und ihren Kindern ihre Reiche. Um so mehr war L. während dieser Zeit Ludwig entfremdet. Aus dem Jahre 852 verlautet nur, daß Ludwig mit Großen des Reichs Lothars in Köln „eine Unterredung“ gehabt habe. Schon damals empfing er Gesandte aus Aquitanien, welche ihn baten sie „von der Tirannei“ Karls zu erlösen und die ihm die Herrschaft über ihr Land anboten. Zu Beginn des Jahres 854 entsandte er auch seinen zweiten Sohn Ludwig mit einem Heer nach Aquitanien und dieser drang über die Loire vor. Nun versuchte L. zu vermitteln. Am Rhein hatte er eine Unterredung mit Ludwig und verständigte sich mit ihm nach grimmem Zanke; die westfränkischen Reichsannalen sprechen sogar von einer Vereinbarung. Mit Mißtrauen sah Karl diese Verständigung; auf seine Einladung kam L. im Juni nach Attigny und hier erneuerten sie ihr Bündniß. Sie ordneten Gesandte an Ludwig ab und forderten die Zurückberufung seines Sohnes aus Aquitanien. Diese erfolgte zwar nicht, aber der jüngere Ludwig mußte schon im Herbst vor Karls Uebermacht in eiliger Flucht das Land räumen. Im Sommer 855 erkrankte L. und das gab seinen Brüdern „Gelegenheit sich wieder zu einigen“, so daß L. Verdacht schöpfte und bei Karl Beschwerde darüber führte. Die Krankheit verschlimmerte sich im Herbst; am 19. September machte L. dem Kloster Prüm, das er sich als Grabstätte erwählte, eine Schenkung. An seiner Genesung verzweifelnd entsagte er dem Thron und theilte sein Reich im Beisein der Großen unter seine Söhne: der älteste, Ludwig, erhielt Italien, der jüngste, Karl, die Provence und einen Theil Burgunds, Lothar II., dem er kurz vorher schon Friesland überwiesen hatte, das übrige. Am 23. September ließ er sich in Prüm zum Mönch scheeren und das Ordensgewand anlegen, am 29. September starb er und ward in der Klosterkirche begraben. Seine Gebeine wurden 1860 in einem Schrein im Altar der Kirche wieder aufgefunden und sind jetzt wieder dort beigesetzt.

    Lothars Persönlichkeit ist weder eine imponirende noch eine anziehende. Ein gelehriger Schüler der treulosen und habgierigen Politik seiner Stiefmutter opfert er derselben unbedenklich seine kindlichen Pflichten, dem immer angestrebten eigenen Vortheil beschworne Verpflichtungen; er übernimmt die Aufgabe, die Reichseinheit zu wahren, um sich das ganze Reich zu sichern, doch dazu fehlt ihm die Befähigung und der Muth; im entscheidenden Augenblicke weicht er vor der That zurück und sucht mit diplomatischen Kniffen Erfolge zu erringen, welche nur rücksichtsloser Thatkraft gegönnt sind. Seine ganze Politik trägt das Gepräge der Unehrlichkeit, der Unzuverläßlichkeit. Persönliche Tapferkeit hat er in der Schlacht von Fontenoy bewährt, aber nur in dieser. Für die theologisch-wissenschaftliche Litteratur hat er, wie sein brieflicher Verkehr mit Hrabanus Maurus zeigt, Interesse; seine sinnlichen Bedürfnisse stehen seiner Frömmigkeit nicht im Wege und erst, als es mit dem Leben zu Ende geht, klammert er sich an diese. Sein Reich bleibt ohne Schutz gegen die beutegierigen Schaaren der Normannen und Sarazenen und ein nicht minder düsteres Bild von den inneren Zuständen entwirft eine burgundische Synode im J. 855.

    L. hat keinen eigenen Geschichtschreiber gefunden. Wir sind auf die allgemeinen Quellen angewiesen, bis 840 auf die beiden Biographen Ludwig des Frommen und die Reichsannalen, nach 840 nur auf die Annalen. Für die Zeit des Bruderkrieges bietet Nithard eine Fülle von Nachrichten. Auch die neuere Geschichtschreibung hat noch keine Geschichte Lothars geliefert; sie ist nur in den einschlägigen Werken, welche diese Zeit berühren, behandelt, unter diesen die bedeutendsten: Wenck (Das fränkische Reich nach dem Vertrage von Verdun, 1851), Dümmler (Geschichte des ostfränkischen Reiches, 1. Bd. 1862), Simson (Jahrbücher des deutschen Reiches unter Ludwig dem Frommen, 1874—76); das urkundliche Material ist in Böhmer's Regesten der Karolinger (neu bearbeitet von E. Mühlbacher), Bd. I Lief. 3 (1883), zusammengestellt.

  • Autor/in

    Mühlbacher.
  • Zitierweise

    Mühlbacher, Engelbert, "Lothar I." in: Allgemeine Deutsche Biographie 19 (1884), S. 226-241 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118780514.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA