Lebensdaten
1890 – 1965
Geburtsort
Apolda (Thüringen)
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Kunsthistoriker
Konfession
konfessionslos
Normdaten
GND: 118602152 | OGND | VIAF: 34587588
Namensvarianten
  • Roh, Franz
  • Roh, F.
  • Roh, Fr.

Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Roh, Franz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118602152.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Louis (1850–1928), Strickwarenfabr. in A., S d. Gottlieb (1813–71), Wirkermeister in A., u. d. Friederike Wider. M Emilie (1858–1943), T d. Karl Hundeshagen (1823–88), Kaufm. in A.;
    1) München 1917 Gertrud Heintze (1890–1945), aus Arnsberg (Westfalen), Krankengymnastin. 2) Hofolding (Oberbayern) 1946 Juliane (1909–87, ev.), Dr. phil., Kunsthist. u. -kritikerin, erhielt 1975 d. BVK (s. L), T d. Dr. Helmut Bartsch (1877–1948), Oberverw.rat in Duisburg, u. d. Margaretha Burchardi (1885–1964); kinderlos.

  • Biographie

    Nach dem Abitur 1909 am Realgymnasium in Weimar belegte R. zunächst Germanistik in München, danach Geschichte in Leipzig (bei Karl Lamprecht) und Philosophie in Jena (bei Herman Nohl). 1913 ging er nach Basel, wo er unter dem Eindruck Ernst Heidrichs (1880–1914) zur Kunstgeschichte wechselte. 1914/15 studierte er in Berlin bei Adolph Goldschmidt (1863–1944), anschließend in München bei Heinrich Wölfflin (1864–1945), dessen Assistent er 1916-19 war. Politisch für die Räterepublik aktiv, konnte R. nach der Promotion 1920 in München keine Hochschullaufbahn einschlagen. Als Privatgelehrter lieferte er Beiträge für Fachzeitschriften (u. a. Das Kunstblatt, Cicerone, Die neue Stadt) und war, nachdem er schon als Student wichtige Entdeckungen zu Dürer, Pieter Bruegel d. Ä. und Rubens publiziert hatte, überwiegend als Kunstkritiker tätig. Noch vor dem 1. Weltkrieg setzte er sich für Erich Heckel und den Expressionismus, wenig später für Henri Rousseau und Georg Schrimpf ein. In „Nachexpressionismus. Magischer Realismus“ (1925, span. 1927 u. 1997) stellte er die um 1920 erfolgte Rückwendung der europ. Malerei zu akribischer Wiedergabe einer oft verfremdeten Dingwelt erstmals dar. Als zukunftweisende Pionierleistung gilt v. a. seine 1929 mit Jan Tschichold u. d. T. „fotoauge“ (²1973) herausgegebene Dokumentation zur experimentellen Fotografie, in welcher R. deren Anerkennung als Medium der Kunst fordert. 1933 kam er für drei Monate in Schutzhaft und erhielt gleichzeitig Publikationsverbot, so daß die bis 1945 entstandenen zahlreichen Essays zur Geschichtsphilosophie und Kultursoziologie unveröffentlicht blieben.

    Als Geschädigter der Nazidiktatur konnte R. bereits kurz nach Kriegsende zum Moderator der Münchner Kunstszene werden, zunächst als Mitarbeiter der „Neuen Zeitung“ und Kommentator bei „Radio München“ (1945 ff.). Berater der Stadt in Kunstfragen und Redakteur („Die Kunst u. d. schöne Heim“, seit 1949), setzte er sich u. a. schon 1946 für den gewerkschaftlichen Zusammenschluß von Künstlern ein. 1946-53 nahm er den an der Univ. München erstmals eingerichteten Lehrauftrag für Geschichte der neueren Malerei wahr. Nach Vorarbeiten während der inneren Emigration erschien 1948 sein Hauptwerk „Der verkannte Künstler“ (²1993). Als Sammlung zeitgenössischer Fehlurteile über Genies des 18. und 19. Jh. aus bildender Kunst, Musik und Dichtung liefern diese Studien Bausteine zu einer „Resonanzgeschichte menschlicher Größe“, waren aber auch als Mahnung an ein dem Neuen gegenüber oft verständnisloses Publikum gemeint. R. war einer der Initiatoren der progressiven Künstlergruppe ZEN 49 sowie Gründer (1952) und bis zu seinem Tod Vorsitzender der „Gesellschaft der Freunde junger Kunst“ in München, die durch Vorträge und Ausstellungen die Avantgarde bekannt machte. 1956 warb er auf dem Dt. Kunsthistorikertag erfolgreich für die Zulassung von Dissertationen über zeitgenössische Kunst. In Vorträgen und Aufsätzen reflektierte er die theoretischen Grundlagen von Kunsturteil und -kritik und zeigte deren Grenzen auf. Wiederholt wies er Hans Sedlmayrs (1896–1984) pessimistische Zeitdiagnose vom „Verlust der Mitte“ (1948) zurück, hinter der er als bekennender Atheist einen reaktionären kath. Dogmatismus ausmachte. Sein Eintreten für die Freiheit der Kunst rief auch Gegner auf den Plan, u. a. den Komponisten Alois Melichar (1896–1976), der 1954 ein gegen R. gerichtetes Pamphlet „Überwindung des Modernismus“ veröffentlichte. Mit kritischem Blick auch auf die eigene Zunft dokumentierte R. 1962 die NS-Aktion „ ‚Entartete' Kunst“, ihre Vorgeschichte und Folgen; im selben Jahr setzte er sich in „Streit um die moderne Kunst“ mit deren Widersachern von Julius Meier-Graefe bis Jacques Maritain auseinander.

    R. verband auf seltene Weise wissenschaftliches Denken mit künstlerischer Kreativität. Seine Holzstichcollagen und Fotogramme, größtenteils schon in den 20er und 30er Jahren in engem Kontakt mit Max Ernst und László Moholy-Nagy entstanden, breiten Kreisen aber erst postum bekannt geworden, sind eigenständige Beiträge zur Kunst des Surrealismus. R., der von 1915 bis zu seinem Tod in München lebte, war unter den meinungsbildenden Kunstkritikern der Ära Adenauer der vielseitigste. Befreundet u. a. mit Hans Arp, Willi Baumeister, Erich Heckel, Moholy-Nagy, Gabriele Münter und Georg Schrimpf, aber auch bedeutenden Gelehrten wie Herman Nohl, Rudolf Carnap und Wilhelm Flitner, wirkte er über die Fachgrenzen hinaus. Der von ihm geprägte Terminus „Magischer Realismus“, in den 30er Jahren von der Literaturwissenschaft übernommen,|wurde international zu einem Schlüsselbegriff der Romantheorie.|

  • Auszeichnungen

    erster Präs. d. Dt. Sektion d. Internat. Kunstkritikerverbandes (AICA) (1951–58);
    Mitgl. d. Dt. PEN-Zentrums d. BRD (1954);
    Rr.kreuz d. ital. Verdienstordens (1956).

  • Werke

    Weitere W u. a. Holländ. Malerei, 1921;
    L. Moholy-Nagy, 60 Fotos, 1930;
    Aenne Biermann, 60 Fotos, 1930;
    Kommentare z. Kunst, Rundfunkkritiken, 1948;
    Otto Baum, 1950;
    Gesch. d. dt. Kunst v. 1900 bis z. Gegenwart, Malerei, Plastik, Architektur, 1958 (engl., erweitert v. Juliane Roh, 1968);
    Pieter Bruegel d. Ä., Die niederl. Sprichwörter, 1960;
    Wer biß mir so sauber den Kopf ab mit den Zähnen b1 und b1?, Metamorphosen d. Herrn Miracoloss (1923–1950), 1972 (Collage-Roman, postum);
    F. R., Retrospektive Fotografie, 1981 (mit Wiederabdr. v. R.s Schrr. z. Theorie d. Fotogr.);
    Hg.:
    Kunst, 1. Jg., 1948;
    schriftl. Nachlaß:
    Archiv f. Bildende Kunst b. German. Nat.mus., Nürnberg (u. a. Mss. 1933–45, meist unveröff.);
    The Getty Center, Los Angeles (Briefe);
    künstler. Nachlaß:
    Marion Grčić-Ziersch, Kunsthandel München.

  • Literatur

    H. Curjel, in: Werk 53 (Chronik Nr. 4), 1966, S. 79 f.;
    E. Ruhmer, in: Die Kunst u. d. schöne Heim, 64, H. 5, 1966, S. 2 (P);
    Doris Schmidt, in: SZ v. 3.1.1966;
    dies., ebd. v. 21.2.1990 (P);
    H. Th. Flemming, in: Jahresring 66/67, S. 323-26;
    Hommage à F. R., Ausst.kat. München, 1966 (Verz. d. Aufss. z. zeitgenöss. dt. Kunst, P);
    J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, F. R., Collagen, 1984;
    F. R., Kritiker, Hist., Künstler, Ausst.kat. München, 1990 (W, L, P);
    M. Scheffel, Magischer Realismus, 1990;
    Realismo mágico, F. R. y la pintura europea 1917-1936, Ausst.kat. Valencia, Madrid, Las Palmas, 1997;
    F. R., teórico y fotógrafo. Ausst.kat. Valencia, 1997 (über R.s experimentelle Fotos u. Collagen);
    F. R., Collagen, Ausst.kat. Tegernsee, 1999 (L);
    H.-D. Mück u. a., Magie d. Realität – Magie d. Form 1925-1950, Eine Hommage f. F. R. 1890-1965. Ausst.kat. Apolda, 2000 (W, L, P. auch zu Juliane);
    F. R. „foto-auge“, Ausst.kat. Hamburg, 2002 (im Druck);
    U. Wendland, Biogr. Hdb. dt.sprachiger Kunsthist. im Exil, T. 2, 1999 (W, L); – zu Juliane:
    K. Jürgen-Fischer, in: Das Kunstwerk 40, H. 3, 1987, S. 119 f.;
    Wi. 1986;
    SZ v. 13.4.1987;
    – eigene Archivstudien.

  • Porträts

    F. R. zuhaus, Aquarell u. Deckweiß, v. G. Munter, 1936 (Privatbes. Marburg), Abb. in: Auktionskat. Gal. Wolfgang Ketterer 161, 1991, S. 126, Nr. 93;
    Öl/Lwd. v. H. Platschek, 1960 (Hagen, Karl-Ernst-Osthaus-Mus.), Abb. in: Kunsthist., Sammler u. Mäzene, Bildnisse d. 20. Jh., Ausst.kat. Bonn, 1964, Nr. 59;
    Vier Radierungen v. E. Schlotter, 1966, Abb. in: E. Schlotter, Werkverz. d. Radierungen v. 1936-1968, 1969, Nr. 695-98.

  • Autor/in

    Thomas Lersch
  • Zitierweise

    Lersch, Thomas, "Roh, Franz" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 758-60 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118602152.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA