Lebensdaten
1877 – 1941
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Paris
Beruf/Funktion
sozialistischer Politiker ; Sozialwissenschaftler ; Finanzminister
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 11870480X | OGND | VIAF: 9909144
Namensvarianten
  • Kern, Richard
  • Hilferding, Rudolf
  • Kern, Richard
  • mehr

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Zitierweise

Hilferding, Rudolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11870480X.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Emil (1852–1905), aus Brody, Kassier e. Versicherungsges. in W.;
    M Anna Liß (1854–1909) aus Lemberg;
    Wien 1904 ( 1923) Margarethe (1871–1943/44), Dr. med., T d. Dr. med. Paul Hönigsberg u. d. Emma Breuer;
    2 S.

  • Biographie

    Nachdem H. 1901 an der Universität Wien zum doctor medicinae promoviert worden war, praktizierte er einige Jahre lang als Kinderarzt. Bereits während seiner letzten Schuljahre fühlte er sich der sozialistischen Bewegung zugehörig. Seit 1902 arbeitete er in der „Neuen Zeit“, der theoretischen Zeitschrift der deutschen Sozialdemokratie mit. 1904 erschien seine Streitschrift „Böhm-Bawerks Marx-Kritik“. In ihr kritisierte er die subjektive Werttheorie. 1906 wurde H. Lehrer an der sozialdemokratischen Parteischule in Berlin. Doch mußte er diese Tätigkeit bald aufgeben, da die preußische Polizei ihn sonst ausgewiesen hätte. Er wurde Redakteur des „Vorwärts“, des Zentralorgans der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Sein Hauptwerk „Das Finanzkapital“ wurde 1910 veröffentlicht.

    Im 1. Weltkrieg war H. Gegner der Bewilligung der Kriegskredite durch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion. Als er 1915 von der österreichisch-ungarischen Armee als Feldarzt einberufen wurde, schied er aus der Vorwärts-Redaktion aus. Bis zum Kriegsende leitete H. ein Seuchenlazarett an der|italienischen Front. 1919 schloß er sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an und wurde Chefredakteur ihrer Zeitung „Die Freiheit“. Er gehörte zu jener Minderheit der USPD, die sich nach der Spaltung dieser Partei 1922 wieder mit der SPD vereinte.

    1924-33 war H., der 1919 deutscher Staatsbürger geworden war, Reichstagsabgeordneter. In diesen Jahren gab er auch die sozialdemokratische Zeitschrift „Die Gesellschaft“ heraus. August-Oktober 1923 war er das erstemal Reichsfinanzminister. Die unter ihm beschlossene Einführung der Rentenmark konnte er in seiner 7wöchigen Amtszeit nicht verwirklichen. Im Juni 1928 wurde er ein zweites Mal Reichsfinanzminister. Aus Protest gegen die Eingriffe des Reichsbankpräsidenten Schacht in die Finanzpolitik des Reiches trat er im Dezember 1929 zurück.

    1933 mußte H. emigrieren. Bis 1938 lebte er in Zürich, anschließend in Paris. Unter dem Pseudonym Richard Kern verfaßte er für den „Neuen Vorwärts“ mehr als 300 Artikel zu aktuellen Fragen. Gleichzeitig gab er die „Zeitschrift für Sozialismus“ heraus. Das „Prager Manifest“, das Programm der deutschen Sozialdemokraten im Exil, stammt aus seiner Feder. Die letzten Monate seines Lebens verbrachte H. in Arles. Hier schrieb er die unvollendete Studie „Das historische Problem“. Am 11.2.1941 wurde er mit seinem Freund Rudolf Breitscheid von der französischen Polizei den deutschen Behörden übergeben. Nach Mitteilung von Wilhelm Högner wurde er von der Gestapo ermordet.

    H.s theoretisches Schaffen läßt sich in drei Phasen gliedern. In der ersten Phase widmete er sich der Analyse des „Finanzkapitals“, in der zweiten der Untersuchung des „organisierten Kapitalismus“, in der dritten richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen, die sich aus der Tatsache nationalsozialistischer Herrschaft für den demokratischen Sozialismus ergaben. Im „Finanzkapital“ lehnte H. die Theorie vom unvermeidlichen ökonomischen Zusammenbruch des Kapitalismus ab, doch hielt er die Epoche des „Finanzkapitals“, in der sich das „Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen“ befinde, für die letzte Stufe des Kapitalismus. Er meinte, die Arbeiterklasse würde im politischen Kampf den Zusammenbruch des Kapitalismus herbeiführen.

    Nach 1919 sah H., daß er den revolutionären Willen der Arbeiterschaft überschätzt hatte. Nun entwickelte er seine Theorie vom „organisierten Kapitalismus“, die die strukturelle Umbildung und nicht den Zusammenbruch des Kapitalismus behauptet. Er hoffte damals, daß sich die soziale Demokratie auf dem Wege friedlicher Reformen verwirklichen lasse. In der letzten Phase befaßte er sich vorwiegend mit außenpolitischen Analysen und dem Verhältnis von Ökonomie und Politik im nationalsozialistischen Staat. Der bleibende Wert dieser Spätschriften liegt vermutlich in dem, was H. zum Problem der politisch relevanten Willensbildung und zur Ideologiekritik sagte.

  • Werke

    Weitere W Parlamentarismus u. Massenstreik, in: Die Neue Zeit 23, Bd. 2, 1904/05;
    Das Finanzkapital, Eine Studie üb. d. jüngste Entwicklung d. Kapitalismus, 1910;
    Hist. Notwendigkeit u. notwendige Pol., in: Der Kampf 8, 1915;
    Revolutionäre Pol. od. Machtillusionen?, Rede, 1920;
    Die Sozialisierung u. d. Machtverhältnisse d. Klassen, Rede, 1920;
    Probleme d. Zeit, in: Die Gesellschaft 1, 1924, Bd. 1;
    Realistischer Pazifismus, ebd., Bd. 2;
    Die Aufgaben d. Soz.demokratie in d. Republik, Rede, 1927;
    Die Eigengesetzlichkeit d. kapitalist. Entwicklung, in: Kapital u. Kapitalismus, hrsg. v. B. Harms, 1931, S. 20-37;
    Ges.macht od. Privatmacht üb. d. Wirtsch., Rede, 1931;
    Revolutionärer Sozialismus, in: Zs. f. Sozialismus 1, 1933/34;
    Macht ohne Diplomatie - Diplomatie ohne Macht, ebd. 2, 1934/35;
    Das hist. Problem, Aus d. Nachlaß hrsg. u. eingel. v. B. Kautsky, in: Zs. f. Pol. 1, NF 1954.

  • Literatur

    P. M. Sweezy, The Theory of Capitalist Development, Principles of Marxian Political Economy, ⁴1956, dt.: Theorie d. kapitalist. Entwicklung, 1959;
    A. Stein, R. H. u. d. dt. Arbeiterbewegung, 1946;
    H. Timm, Die dt. Soz.pol. u. d. Bruch d. großen Koalition im März 1930, 1952;
    W. Tormin, Zwischen Rätediktatur u. soz. Demokratie, 1954;
    W. Hammer, Hohes Haus in Henkers Hand, 1955;
    W. Gottschalch, Strukturveränderungen d. Ges. u. pol. Handeln in d. Lehre v. R. H., 1962 (W, L);
    F. Osterroth, Biograph. Lex. d. Sozialismus, 1960 (P).

  • Autor/in

    Wilfried Gottschalch
  • Zitierweise

    Gottschalch, Wilfried, "Hilferding, Rudolf" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 137-138 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11870480X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA