Lebensdaten
1896 – 1969
Geburtsort
Richelsdorfer Hütte bei Rotenburg/Fulda
Sterbeort
Münster
Beruf/Funktion
Mediziner ; Humangenetiker
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 119272342 | OGND | VIAF: 13114387
Namensvarianten
  • Verschuer, Otmar Reinhold Ralph Ernst Freiherr von
  • Verschuer, Otmar Freiherr von
  • Verschuer, Otmar Reinhold Ralph Ernst Freiherr von
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Verschuer, Otmar Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119272342.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus niederl. Fam., deren Stammreihe mit Goert Claesz (um 1490–1549), Grundbes. in Appelrebroek, beginnt u. d. 1696 mit Otto Christoph van V. (1650–1712), hessen-kassel. Gen.lt., Kdt. v. Rheinfels, Bes. d. Trottschen Güter in Solz, in d. Reichsfreiherrenstand erhoben wurde;
    V Hans (1866–1932), preuß. Hptm., Grubenbes., Kaufm., S d. Theodor (1826–81), kfl. hess. Major, Gutsherr, u. d. Clementine v. Lehsten-Dingelstedt (1830–82);
    M Charlotte (1869–1947), aus Türpsal (Järve, Estland), T d. Reinhold v. Arnold (1812–80), Assessor, Kreisdeputierter in Ida-Viruuma (Estland), u. d. Rosalie v. Kalm (1832–78);
    Schw Sigrid (1899–1952, Erich von Lehe, 1894–1983, Dr. phil., 1933 Archivrat am StA Hamburg, Hist., s. H.-D. Loose, in: Zs. d. Ver. f. Hamburg. Gesch. 70, 1984, S. 1–9; Hamburg. Biogr. IV), Erika (⚭ Erich von Lehe, s. o.);
    Erika (1897–1985), Lehrerin, T d. Otto Flad (1864–1945), ghzgl. bad. Geh. Rat, Präs. d. Bad. Staatsbäderwesens, u. d. Maria-Louise Vierordt (1871–1955);
    1 S Helmut (* 1926, Johanna v. Stockert, * 1929), Dr. sc. agr., Beamter d. Europ. Gemeinschaft, 2 T Sigrid (* 1928, Hans Wörle, 1970–86 Pfarrer in Augsburg), Gudrun (* 1932, Werner v. Ekesparre, 1919–98, Dr. med., 1958–84 Chefarzt d. Kinderchirurgie in Hamburg-Duvenstedt, 1970–73 Präs. d. Dt. Ges. f. Kinderchirurgie).

  • Biographie

    Nach dem Abitur 1914 an der Ghzgl. Bad. Oberrealschule in Karlsruhe trat V. als Fahnenjunker in das Füsilierregiment v. Gersdorff (Kurhessisches) Nr. 80 ein und nahm am 1. Weltkrieg teil. 1919 begann er das Studium der Medizin an der Univ. Marburg, wo er seinen späteren Kollegen und Freund Karl Diehl (1896–1969) kennenlernte. Hier war er stark in völkische Aktivitäten involviert; so war er Mitglied im „Verein Deutscher Studenten“ und der „Thule Gesellschaft“, Adjutant des Bogislaw v. Selchow im Studentenkorps Marburg und beteiligt an konterrevolutionären militanten Aktivitäten in Thüringen. 1920 setzte V. sein Studium in Hamburg, Freiburg (Br.) und München fort (Staatsexamen 1922; Dr. med. 1923). Der Humangenetiker und Eugeniker Fritz Lenz (1887–1976) sowie der rassische Anthropologe Eugen Fischer (1874–1967), beide lebenslange Mentoren V.s, führten ihn in den kleinen Zirkel nationalistischer und völkisch eingestellter Rassenhygieniker ein. 1923–27 arbeitete V. als Assistenzarzt in Tübingen bei Wilhelm Weitz (1881–1969), der ihn für Zwillingsstudien begeisterte.

    Nach der Habilitation 1927 wechselte V. an das von Fischer geleitete KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem, wo er die Forschergruppe Menschliche Erblehre leitete. Hier beschäftigte er sich mit der Verfeinerung der Diagnose der polysymptomatischen Ähnlichkeit, die der Unterscheidung eineiiger von zweieiigen Zwillingen dient, um die Einflüsse von Anlage und Umwelt besser verstehen zu können. 1932 war er an der Beratung des preuß. Gesetzes zur eugenischen Sterilisation beteiligt. Sein erstes Buch „Die Zwillingstuberkulose“ (mit K. Diehl, 1933), in dem er die umstrittene These formulierte, Tuberkulose sei hauptsächlich als vererbbare Krankheit zu betrachten, enthielt starke eugenische Implikationen. Trotz seines Antisemitismus betrachteten ihn NS-Funktionäre aufgrund seiner Nähe zur ev. Kirche mit Argwohn.

    1933 wurde V. nichtverbeamteter ao. Professor an der Univ. Berlin mit einem Lehrauftrag für menschliche Erblehre und Rassenhygiene und 1934 Leiter der Poliklinik für Erb- und Rassenpflege in Berlin-Charlottenburg, dem ersten Beratungszentrum für Erb- und Rassenpflege in Deutschland, sowie Mitglied des neu etablierten Erbgesundheitsgerichts in Berlin. Als V. 1935 Direktor des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene sowie o. Professor in Frankfurt/M. wurde, arbeitete er eng mit dem NS-Regime zusammen (1940 Mitgl. d. NSDAP). Er setzte seine Zwillingsstudien fort, publizierte 1941 das Lehrbuch „Leitfaden der Rassenhygiene“ und fungierte als Gutachter für das Reichssippenamt sowie als medizinischer Experte für das Erbgesundheitsobergericht in Frankfurt/M. 1942 übernahm er als Nachfolger Fischers die Leitung des KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem.

    Im Rahmen eines von der DFG geförderten Projekts „Spezifische Eiweißkörper“ begann 1943 die Zusammenarbeit mit dem SS-Lagerarzt in Auschwitz, Josef Mengele (1911–79), dessen Dissertation V. 1938 in Frankfurt/M. betreut hatte. In diesem Kontext untersuchte V. über 200 Blutproben von Auschwitz-Häftlingen und wußte spätestens seit 1944 von der gezielten Judenvernichtung dort. Auch andere Mitarbeiter des KWI waren in verbrecherische medizinische Versuche z. T. gemeinsam mit Mengele involviert, von denen V. höchstwahrscheinlich wußte. Gleichwohl wurde er 1946 im Spruchkammerverfahren als Mitläufer eingestuft. Während V. noch auf eine Wiedereinstellung als o. Professor in Frankfurt/M. hoffte, mußte er diesen Wunsch aufgeben, nachdem 1947 durch Veröffentlichungen des Physikochemikers Robert Havemann (1910–82) die Kontakte des „nationalsozialistischen Rassenfanatikers“ V. zu Mengele in Auschwitz bekannt wurden.

    Die 1949 u. a. von dem Nobelpreisträger Adolf Butenandt (1903–95) veröffentlichte „Stuttgarter Denkschrift“ diente v. a. wegen des Renommees der Verfasser als endgültiger „Persilschein“ für V. 1951 wurde er als Direktor für das erste Institut für Humangenetik der Bundesrepublik an die Univ. Münster berufen (em. 1965). Hier betrieb er erneut Zwillingsstudien, durch das Bundesministerium für Atomfragen unterstützt, genetische Untersuchungen zu Bestrahlungen und begann in den 1960er Jahren mit experimentellen Chromosom-Forschungen an Tieren. Gleichzeitig setzte er sich für den institutionellen Ausbau der Humangenetik in Westdeutschland ein und war international angesehen. Neben seiner Tätigkeit als genetischer Berater an seinem Institut in Münster war V. im eugenischen Kreis der ev. Kirche tätig, der sich mit möglichen Gesetzen zu eugenischen Fragen auseinandersetzte. Nach einem Verkehrsunfall am 29. 9. 1968 fiel V. ins Koma und verstarb elf Monate später.

  • Auszeichnungen

    A E. K. II. u. I. Kl.;
    Rr.kreuz II. Kl. d. Zähringer Löwen;
    Hon.prof. d. Univ. Berlin (1942);
    Mitgl. d. Preuß. Ak. d. Wiss. (1943), d. Ak. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz (1949);
    korr. Mitgl. d. American Soc. of Human Genetics (1949);
    Ehrenmitgl. d. ital. Ges. f. Genetik (1953), d. Anthropol. Ges. in Wien (1955) u. d. japan. Ges. f. Humangenetik (1956).

  • Werke

    W Die vererbungsbiol. Zwillingsforsch., Ihre biol. Grundlagen, Stud. an 102 eineiigen Zwillingen u. 45 gleichgeschlechtl. zweieiigen Zwillingen u. an|2 Drillingspaaren, in: Ergebnisse d. Inneren Med. u. Kinderheilkde. 31, 1927, S. 35–120 (Habil.schr.);
    Die Rasse als biol. Größe, in: Die Nation vor Gott, Zur Botschaft d. Kirche im Dritten Reich, hg. v. W. Künneth u. H. Schreiner, 1933, S. 24–37;
    Erbpathol., Ein Lehrb. f. Ärzte u. Med.studierende, 1934;
    Rassenhygiene als Wiss. u. Staatsaufgabe, 1936;
    Leitfaden d. Rassenhygiene, 1941;
    Erbanlage als Schicksal u. Aufgabe, 1944;
    Die Wirkung v. Genen u. Parasiten im Körper d. Menschen, in: Ärztl. Forsch. 2, 1948, S. 378–88;
    Wirksame Faktoren im Leben d. Menschen, Beobachtung an ein- u. zweieiigen Zwillingen durch 25 J., 1954;
    Genetik d. Menschen, Lehrb. d. Humangenetik, 1959;
    Eugenik, Kommende Generationen in d. Sicht d. Genetik, 1966; Hg.: Der Erbarzt, 1934–44.

  • Literatur

    L B. Müller-Hill, Tödl. Wiss., d. Aussonderung v. Juden, Zigeunern u. Geisteskranken 1933–1945, 1984;
    H.-P. Kröner, Von d. Rassenhygiene z. Humangenetik, Das KWI f. Anthropol., menschl. Erblehre u. Eugenik n. d. Kriege, 1997;
    B. Massin, Mengele, d. Zwillingsforsch. u. d. ‚Auschwitz-Dahlem-Connection‘, in: Die Verbindung n. Auschwitz, Biowiss. u. Menschenversuche an KWI, hg. v. C. Sachse, 2003, S. 201–54;
    H. W. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, Das KWI f. Anthropol., menschl. Erblehre u. Eugenik, 1927–1945, 2005;
    E. Ehrenreich, O. v. V. and the ‘Scientific’ Legitimization of Nazi Anti-Jewish Policy, in: Holocaust and Genocide Studies 25, 2007, S. 55–72;
    A. Trunk, Two Hundred Blood Samples from Auschwitz, A Nobel Laureate and the Link to Auschwitz, in: The Kaiser Wilhelm Soc. under National Socialism, hg. v. S. Heim, C. Sachse u. M. Walker, 2009, S. 120–44;
    S. F. Weiss, The Nazi Symbiosis, Human Genetics and Politics in the Third Reich, 2010;
    dies., After the Fall, Political Whitewashing, Professional Posturing, and Personal Refashioning in the Postwar Career of O. Frhr. v. V., in: Isis 101, 2010, S. 722–58;
    dies., The Loyal Genetic Doctor, O. Frhr. v. V. and the Inst. f. Erbbiol. u. Rassenhygiene, Origins, Controversy, and Racial Political Practice, in: Central European Hist. 45, 2012, S. 631–68;
    Ärztelex.;
    Frankfurter Biogr. (P); – zur Fam.: GHdA 31, Frhrl. Häuser 31, 1963, bes. S. 461.

  • Porträts

    P Photogr. (Archiv d. MPG, Berlin), Abb. in: J. Ellwanger, Forscher im Bild, T. I, 1989, S. 165.

  • Autor/in

    Sheila F. Weiss
  • Zitierweise

    Weiss, Sheila F., "Verschuer, Otmar Freiherr von" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 768-770 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119272342.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA