Lebensdaten
1898 – 1944
Geburtsort
Bad Ems
Sterbeort
Berlin-Plötzensee
Beruf/Funktion
Reformpädagoge ; Widerstandskämpfer
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118599208 | OGND | VIAF: 51739501
Namensvarianten
  • Reichwein, Adolf
  • Reichwein, Adolph

Objekt/Werk(nachweise)

Orte

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Zitierweise

Reichwein, Adolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118599208.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Karl Gottfried ( 1958), Volksschullehrer in Ober-Rosbach b. Friedberg (Hessen);
    M Anna Maria Mehl ( 1943);
    2 Geschw;
    1) 1920 ( 1927) Eva Hillmann (1899–1968), Lehrerin, Kommunalpol., 2) 1933 Rosemarie (1904–2002), Turn- u. Gymnastiklehrerin (s. L), T d. Ludwig Pallat (1867–1946), aus Wiesbaden, Archäol., Päd., 1895-98 Vorsteher d. Mus. Nassau. Altertümer in Wiesbaden, Mitdir. d. Franckeschen Stiftungen in Halle, 1898-1935 Referent im Preuß. Kultusmin., 1908 Geh. Reg.rat, Sekr. d. Ak. d. Künste, Mitgründer d. Zentralinst. f. Erziehung u. Unterr. in Berlin, 1928-32 Kurator d. Univ. Halle, mit Hermann Nohl Hg. d. „Hdb. d. Pädagogik“ (5 Bde. u. Erg.bd. 1928–33, ²1966), beförderte e. Reform d. Kunsterziehung (s. Nassau. Biogr.; K. Müller, in: Jb. d. Ak. d. Wiss. Göttingen 1944–60; E. Weniger, in: Slg. 2, 1946; H. Deiters, in: pädagogik 2, 1947; Lex. d. Päd.), u. d. Annemarie Hartleben (1875–1972);
    1 K aus 1), 4 K aus 2).

  • Biographie

    Bereits mit 8 Jahren wurde R. Mitglied im hess. „Wandervogel“; die Jugendbewegung bestimmte seither wesentlich sein Denken und Handeln. Im Frühjahr 1917 legte er als Externer das Abitur am Friedberger Realgymnasium ab, ein halbes Jahr später wurde er als Kriegsfreiwilliger an der Westfront schwer verwundet. Das traumatische Kriegserlebnis machte ihn zu einem entschiedenen Gegner jeglicher Gewalt. Schon als Student der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte, Volkswirtschaft und Soziologie in Frankfurt/M. 1918/19 (u. a. b. Franz Oppenheimer u. Hugo Sinzheimer) und Marburg 1920/21 (u. a. b. Walter Troeltsch, Nicolai Hartmann u. Paul Natorp) trat R. für die Überwindung der sozialen und kulturellen Klassengegensätze ein. Durch neue, kooperative Formen der Erwachsenenbildung, insbesondere durch „Arbeiter-, Bauern- und Studentenlager“, sollte die junge Generation aus unterschiedlichen Sozialmilieus zusammenfinden und Perspektiven für eine humanere, demokratische Gesellschaft entwickeln. Nach Einreichung seiner Dissertation über „China und Europa im 18. Jh.“ (1923; engl. 1925, 1968) bei dem Marburger Historiker Friedrich Wolters und dem Studienabschluß wurde R. Ende 1921 von Robert v. Erdberg (1866–1929) zum Geschäftsführer des „Ausschusses der dt. Volksbildungsvereinigungen“ in Berlin bestellt. Seit Herbst 1923 avancierte er – zunächst als Geschäftsführer der überregional organisierten „Volkshochschule Thüringen“, seit Okt. 1925 als Leiter der städt. Volkshochschule Jena – mit einer schon in den 20er Jahren vieldiskutierten Arbeiterbildungskonzeption (grundlegende Art. in d. v. ihm hg.Bll. d. VHS Jena“) zu einem der führenden Exponenten in der Volkshochschulbewegung in Deutschland. Angeregt v. a. durch seine Eindrücke auf Studienreisen durch Nordamerika, Alaska und Mexiko, Japan und China, Skandinavien und Südosteuropa, plädierte er für eine europ. und globale Verständigung zwischen den Nationen (v. a.; als Redakteur b. „Vivos voco“ u. d. „Sozialist. Mhh.“) und trat mit Publikationen zur Weltwirtschaft hervor (Die Rohstoffwirtschaft d. Erde, 1928; Mexiko erwacht, 1930, span. 1931). Als persönlicher Referent des preuß. Kultusministers Carl Heinrich Becker (1876–1933) beteiligte sich R. 1929 an der Gründung der Pädagogischen Akademien zur Ausbildung von Volksschullehrern und Volksschullehrerinnen und wurde 1930 als Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an die Pädagogische Akademie in Halle/Saale berufen. Nach den Septemberwahlen 1930, bei denen die NSDAP zu einer Massenbewegung anwuchs, trat R. in die SPD ein. Im Kreis der religiösen Sozialisten um Paul Tillich (1886–1965) und Carl Mennicke (1887–1959) beteiligte er sich an der Verteidigung der Weimarer Republik (Beiratsmitgl. d. „Neuen Bll. f. d. Sozialismus“, 1930-33).

    Wenige Monate nach Hitlers Machtübernahme 1933 wurde R. aus dem akademischen Lehramt in Halle entlassen und auf eigenen Wunsch als Lehrer an die einklassige Dorfschule in Tiefensee (Brandenburg) versetzt. Hier entwickelte er sein reformpädagogisches Schulmodell und verwirklichte unter Einbeziehung des neuen Mediums Film ein zukunftweisendes Konzept praktischen und sozialen Lernens mit „Kopf, Herz und Hand“ (Schaffendes Schulvolk, 1937, japan. 1989; Film in der Landschule, 1938; letzte Aufl. d. beiden Tiefenseer Schrr. 1993), das ihn bald über die Grenzen Deutschlands hinaus bekanntmachte. 1939 als Leiter der neu gegründeten Abteilung „Schule und Museum“ an das Staatl. Museum für dt. Volkskunde in Berlin berufen, organisierte R. mehrere exemplarische Ausstellungen für und mit Berliner Schulen. Diese Position und zahlreiche Vortragsreisen gaben ihm die Möglichkeit, seine freundschaftlichen Beziehungen zu Gegnern des NS-Regimes, etwa zu Carlo Mierendorff (1897–1943) und Willi Brundert (1912–70), wieder aufzunehmen. Er schloß sich dem „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James Gf. v. Moltke (1907–1945) an, dessen konspirative Planungen er v. a. als Kultur- und Bildungsexperte maßgeblich beeinflußte. Nach einem Treffen mit Vertretern des kommunistischen Widerstandes wurde R. Anfang Juli 1944 zusammen mit Julius Leber (1891–1945) verhaftet, am 20. Oktober vom „Volksgerichtshof in Berlin unter Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt und noch am selben Tag gehängt.

    Heute tragen mehr als 30 Schulen und pädagogische Einrichtungen sowie zahlreiche Straßen und Plätze in Deutschland R.s. Namen. Sie erinnern nicht nur an einen bedeutenden Reformpädagogen, dessen Konzeptionen von aktuellem Interesse geblieben sind, sondern halten auch die Erinnerung an einen sozialen Demokraten und Widerstandskämpfer lebendig, dem übersteigerter Nationalismus zuwider war, und der sich selbst als „europ. Planetarier“ bezeichnet hat.|

  • Auszeichnungen

    Wanderausst. d. Adolf-Reichwein-Ver. (seit 1994).

  • Werke

    Weitere W Ausgew. Päd. Schrr., besorgt v. H. E. Ruppert u. H. E. Wittig, 1978;
    Schaffendes Schulvolk/Film in d. Schule, Die Tiefenseer Schulschrr., Kommentierte Neuausg., hg. v. W. Klafki, U. Amlung u. a., 1993.

  • Literatur

    K. Fricke, Die Pädagogik A. R.s., Ihre systemat. Grundlegung u. prakt. Verwirklichung als Sozialerziehung, 1974;
    W. Huber u. A. Krebs (Hg.), A. R. 1898-1944, Erinnerungen, Forsch., Impulse, 1981;
    U. Amlung, A. R. (1898-1944), Eine Personalbibliogr., 1991;
    ders., A. R. 1898-1944, Ein Lb. d. Reformpäd., Volkskundlers u. Widerstandskämpfers, Mit e. Vorwort v. W. Klafki, ²1999 (1. Aufl. in 2 Bdn. 1991);
    ders., „… in d. Entscheidung gibt es keine Umwege“, A. R. (1898-1944) – Reformpäd.,|Sozialist, Widerstandskämpfer, Mit e. Geleitwort v. H. Holzapfel, ²1999 (P);
    ders. u. U. Jungbluth, Seminarwerkstatt Offener Unterr. – am Beispiel A. R.s lernen, 2000;
    M. Friedenthal-Haase (Hg.), A. R. – Widerstandskämpfer u. Päd., Gedenkveranstaltung an d. Friedrich-Schiller-Univ. Jena, 15. Okt. 1998, Mit Abb. u. e. Jenaer Dok.anhang, 1999;
    G. C. Pallat, Roland Reichwein u. L. Kunz (Hg.), A. R., Päd. u. Widerstandskämpfer, Ein Lb. in Briefen u. Dok. (1914–1944), Mit e. Einf. v. P. Steinbach, 1999 (P), hierzu V. Wittmütz, in: FAZ v. 17.4.2000;
    Rosemarie Reichwein, Die Jahre mit A. R. prägten mein Leben, Ein Buch d. Erinnerung, hg. u. mit Btrr. versehen v. L. Kunz u. S. Reichwein, 1999;
    Roland Reichwein (Hg.), „Wir sind d. lebendige Brücke von gestern zu morgen“, Päd. u. Pol. im Leben u. Werk A. R.s, 1999;
    K. C. Lingelbach, Päd. Handeln im globalen Kapitalismus, Hinweise A. R.s auf e. immer noch unerledigtes Problem, in: M. Dust, C. Sturm u. E. Weiß (Hg.), Pädagogik wider d. Vergessen, FS f. W. Keim, 2000, S. 229-43;
    J. Hüther (Hg.), Vom Schauen z. Gestalten – A. R.s Medienpäd., 2001. – Medien: A. R. 1898-1944, DDR-Fernsehfilm 1988 (Regie: H. Bentzien);
    Der Mut des Fliegers – A. R., Ein Päd. im Widerstand, Ein Dok.film v. W. Brenner u. K. Hermann, 1998. |

  • Quellen

    Qu u. Nachlaß: Adolf-Reichwein-Archiv, Bibl. f. Bildungsgeschichtl. Forsch., Berlin.

  • Autor/in

    Ullrich Amlung
  • Zitierweise

    Amlung, Ullrich, "Reichwein, Adolf" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 322-24 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118599208.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA