Lebensdaten
1728 – 1804
Geburtsort
Wendisch-Ossig bei Görlitz
Sterbeort
Leipzig
Beruf/Funktion
Komponist ; Musikschriftsteller ; Thomaskantor
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118551124 | OGND | VIAF: 41982775
Namensvarianten
  • Hüller, Johann Adam
  • Hiller, Johann Adam
  • Hüller, Johann Adam
  • mehr

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Hiller, Johann Adam, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118551124.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Joh. Christoph ( 1734), Lehrer u. Gerichtsschreiber;
    M N.N. Schicketanz aus Dresden;
    1765 Christiana Eleonora Gestewitz;
    3 S, 3 T, u. a. Friedrich Adam (1768–1812), Musiker (s. MGG VI, W; Riemann).

  • Biographie

    H. erhielt 1746 eine Freistelle an der Dresdner Kreuzschule, wo ihn G. A. Homilius musikalisch ausbildete. Vielseitig interessiert, studierte er seit 1751 in Leipzig Jura und Geschichte, erlernte das Spiel fast sämtlicher Instrumente, vervollkommnete sich im Gesang und komponierte seine ersten Werke. Nach Hauslehrerjahren bei Graf Brühl in Dresden veranstaltete er später in Leipzig Liebhaberkonzerte und Concerts spirituels nach Pariser Vorbild, gründete 1771 eine Gesangsschule, aus der unter anderem Corona Schröter hervorging, bis er 1781 zum 1. Gewandhauskapellmeister ernannt wurde. 1784 folgte er für kurze Zeit einem Ruf als Kapellmeister an den Hof des Herzogs von Kurland nach Mitau, war anschließend in Berlin und Breslau tätig, wo er Händels „Messias“ aufführte, und war 1789-1801 als Nachfolger von J. F. Doles Thomaskantor in Leipzig. Eine Reihe von Reformen zur Verbesserung der Kirchenmusik gehen auf seine Initiative zurück. – H. gehört zu jenen fortschrittsgläubigen Bildungsmusikern der philanthropischen Epoche, die den Erziehungsgedanken in den Mittelpunkt ihrer Bestrebungen stellten. Seine Aktivität zeigte sich in gleicher Weise als Dirigent, Komponist, Organisator, Pädagoge und Musikschriftsteller. Als Singspielkomponist (Lisuart und Dariolette, 1766; Lottchen am Hofe, 1767; Die Liebe auf dem Lande, 1770; Die Jagd, 1770 und anderen) ebnete er der späteren Operette den Weg und erstrebte im Anschluß an Rousseau Einfachheit und Natürlichkeit. Lieder und Arien dienten ihm vornehmlich zur Personen- und Standescharakterisierung. Von den späteren Kompositionen gehören die Messe in D und die Vertonung des 100. Psalms zu seinen gelungensten Schöpfungen. Als Herausgeber fremder Werke machte er den Klavierauszug populär. In seinen Gesangsschulen (Anweisung zum musikalisch richtigen Gesang, 1774; Anweisung zum musikalisch zierlichen Gesang, 1780) ordnete er den Stoff erstmals nach modernen methodischen Gesichtspunkten, betrachtete aber die italienische Bravourarie noch immer als höchsten Gipfel der Gesangskunst. Als Musikschriftsteller schuf er mit den „Wöchentlichen Nachrichten und Anmerkungen, die Musik betreffend“ (Leipzig 1766–69) die erste echte, an den breiten Leserkreis des aufgeschlossenen Bürgertums sich wendende Musikzeitschrift, die fast allen folgenden Musikzeitschriften im Aufbau und in der Gestaltung als Vorbild diente. Den größten Teil ihrer Beiträge schrieb er selbst; getreu seinem Erziehungsideal, vermied er alle Polemik, gab aber kritischen Bemerkungen oft Raum.

  • Literatur

    ADB XII;
    H. M. Schletterer, Das dt. Singspiel, 1863;
    K. Peiser, J. A. H., 1894;
    F. Krome, Die Anfänge d. musikal. Journalismus in Dtld., phil. Diss. Leipzig 1896;
    G. Calmus, Die ersten dt. Singspiele v. Standfuß u. H., 1908;
    E. Creutzburg, Die Gewandhauskonzerte zu Leipzig 1781-1931, 1931;
    A. Schering, Musikgesch. Leipzigs III, 1941;
    G. Sander, Das Deutschtum im Singspiel H.s, 1943;
    MGG VI (W, L, P);
    Riemann (W, L).

  • Porträts

    Stich v. G. Geyser n. H. F. Füger, Abb. in MGG VI.

  • Autor/in

    Lothar Hoffmann-Erbrecht
  • Zitierweise

    Hoffmann-Erbrecht, Lothar, "Hiller, Johann Adam" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 154 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118551124.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Hiller: Johann Adam H., Musiker, nach seiner 1784 verfaßten Autobiographie (s. u.) geb. am 25. December 1728 zu Wendischossig bei Görlitz, am 16. Juni 1804 zu Leipzig. Sein Vater, Schulmeister und Gerichtsschreiber des Orts, nannte sich eigentlich Hüller. Diesen verlor der Knabe schon in seinem sechsten Jahre und nur fremde Unterstützung nebst einigem Erwerb Hiller's als Choralist machte es seiner Mutter möglich, ihn 1740—45 die Görlitzer Schule besuchen zu lassen. Dann aber mußte er sich einige Zeit als Schreiber sein Brot erwerben, kehrte jedoch dem inneren Drange folgend dennoch bald zum Studium zurück. Da er nicht nur ein wohl geübter Sänger war, sondern auch das Clavier und verschiedene andere Instrumente leidlich spielte, ward er in Dresden in das Alumneum der Kreuzschule aufgenommen. Mit einem an gesundheitswidrige Ueberanstrengung grenzenden Eifer wandte er jetzt alle Zeit, welche ihm die Schularbeiten und der tägliche Chorgesang übrig ließen, auf musikalische Studien, gefördert durch K. F. Abel (s. Bd. I. S. 13) und namentlich durch Homilius, den damaligen Cantor der Kreuzschule, der ihm im Clavier- und Generalbaßspielen Unterricht gab. Als Hauptmittel zum theoretischen Selbststudium dienten ihm daneben Graun’sche und Hasse’sche Partituren, die er sich abschrieb die Berliner Bibliothek besitzt eine Anzahl solcher von ihm gefertigter Abschriften Hasse’scher Opern). Hasse, dessen Werke er in Dresden in vorzüglichen Aufführungen hören konnte, ward überhaupt der Gegenstand seiner höchsten Bewunderung. Er componirte auch selbst schon mancherlei. 1751 bezog er, um die Rechte zu studiren, die Universität Leipzig, wo er von Gottsched und Gellert freundlich aufgenommen und gefördert ward. Seinen Unterhalt erwarb er hauptsächlich durch Chorsingen, Orchesterspiel und Musikstunden, setzte daneben seine eigenen musikalischen Studien eifrig fort und trat auch mit einigen Beiträgen zu den „Erweiterungen der Erkenntniß und des Vergnügens“ als Dichter und Musikschriftsteller auf. Nach Ostern 1754 übernahm er eine Hofmeisterstelle bei dem jungen Grafen Heinrich Adolf Brühl, einem Neffen des Ministers. Mit diesem seinem Zögling verlebte er nun theils auf dessen väterlichem Gute, theils in Dresden und zuletzt in Leipzig, wohin er den Studenten begleitete, glücklichere und sorgenlosere Tage, als bisher. Nur steigerten sich die Schwindelanfälle, an denen er litt, dergestalt, daß er im Januar 1760 seinen Abschied nahm. Auf eine ihm gewährte kleine Pension verzichtete der ängstlich gewissenhafte Mann schon nach einem Jahre wieder, da er trotz der Kriegsunruhen die Möglichkeit fand, sich durch fabrikmäßig betriebenes Uebersetzen aus dem Französischen zu ernähren (vgl. Meusel, G. T., Bd. 3). Seine Composition blieb inzwischen hauptsächlich dem Lied und der Cantate zugewandt. Unter dem Titel „Musikalischer Zeitvertreib" veranstaltete er damals eine periodische Sammlung von Musikstücken, die insofern Interesse hat, als, wie es scheint, sie die Anregung zu manchen bald folgenden ähnlichen Unternehmungen Anderer gegeben hat: zu dem „Musikalischen Allerlei", „Musikalischen Mancherlei“, „Musikalischen Vielerlei“ (letzteres von Ph. Em. Bach), den „Unterhaltungen“, „Année musicale“ etc. — Im Sommer 1762 errichtete H. in Leipzig, da das sogen. „öffentliche Concert" in den „drei Schwanen" über die Kriegsunruhen ins Stocken gerathen war, ein „Concert“ (d. h. ein Concertunternehmen) auf Subscription und setzte es fort, bis 1763 das „große Concert“ wieder begann. Dessen Direction ward aber nun H. übertragen; auch componirte er für dasselbe einige Sinfonien, Partien und Cantaten. Um dem Concerte zu besseren Sängern zu verhelfen, verlegte er sich zugleich daraus, sowol Choristen als Solisten auszubilden; unter seinen ersten Schülerinnen finden wir zwei bald hochgefeierte Namen, Corona Schröter und die Schmehling, nachmalige Mara; beide für das „Concert“ engagirt.

    Um diese Zeit ward H. zugleich in eine andere, sehr folgenreich gewordene Thätigkeit gezogen. An allen deutschen Bühnen herrschte damals ausschließlich die italienische Oper; eine deutsche Oper gab es nicht. Die verheißungsvollen Anfänge einer solchen, welche um den Beginn des Jahrhunderts von Hamburg ausgingen, waren längst wieder eingeschlafen. Den damaligen Wiener Burlesken mit Gesang kann man den Namen auch nur der Operette kaum zugestehen. Da kam der Theaterprincipal Koch in Leipzig 1765 auf den Einfall, das von Weiße 1762 nach Coffey's „The devil to pay“ unter dem Namen „Der Teufel ist los oder die verwandelten Weiber“ mit dem Nachspiel „Der lustige Schuster“ verfaßte und von Standfuß mit Musik versehene Singspiel in einer neuen Weiße’schen Bearbeitung wieder aufzuführen. Er forderte H. auf, die neu eingelegten 29 Gesänge dazu zu componiren. Diese Arbeit erfreute sich eines solchen Beifalles, daß sie thatsächlich der Ausgangspunkt der deutschen Oper geworden ist. H. selbst schrieb in den nächsten Jahren noch eine Reihe solcher Singspiele: „Lisuart und Dariolette" (von Schiebeler, 1767), „Lottchen am Hofe" (1767), „Die Liebe auf dem Lande" (1768), „Die Jagd“ (alle drei von Weiße, letztere 1769, nach Schwan's „Die Jagdlust Heinrichs IV.“ und dieses wieder nach Collé's La partie de chasse de Henri IV.), „Die Muse" (von Schiebeler), „Die Schäfer als Pilgrime". „Der Dorfbarbier" (unter Mitarbeit Neefe's, 1770), „Der Erndtekranz“ (von Weiße, 1771), „Der Krieg“, „Die Jubelhochzeit“, „Das Grab des Mufti“, „Poltis oder das gerettete Troja“. Die zwei oder drei ersten dieser Singspiele sah Goethe während seiner Leipziger Studentenzeit unter dem ersten frischen Eindruck ihres Erscheinens auf der Bühne; offenbar dankt er ihnen seine bekannte, auch dichterisch so fruchtbar gewordene Vorliebe für das Singspiel. Er besuchte damals H., um sich von ihm über diese neue Erscheinung belehren zu lassen; doch wußte H. (wie Goethe später schreibt, Hempel’sche Ausgabe. Bd. 28, S. 759) „mit seiner wohlwollenden Zudringlichkeit, mit seiner heftigen, durch keine Lehre zu beschwichtigenden Lernbegierde sich so wenig als Andere zu befreunden“. Zu kämpfen hatte übrigens H. bei seinem Unternehmen nicht nur mit dem Theaterprincipal, der die Musik auf der untersten Stufe des Populären festgehalten wissen wollte, „so daß jeder Zuschauer im Stande wäre, allenfalls mitzusingen“, sondern noch mehr mit der Unzulänglichkeit der Gesangskräfte. Denn von einem eigenen Opernpersonal war auf der deutschen Bühne damals noch keine Rede; hielt doch Goethe es noch 1808 für nöthig, die völlige Verschiedenheit der Oper vom Schauspiel zu betonen, als er die Trennung beider an seiner weimarischen Bühne in einem amtlichen Schreiben in Vorschlag brachte (l. c. Bd. 27, Abth. 2, S. 41 ff.). Man verlangte eben einfach vom recitirenden Schauspieler eine ausreichende musikalische Bildung. Dabei legte man denn freilich einen äußerst bescheidenen Maßstab an. Bei den Hiller’schen Opern, meint Goethe in dem eben erwähnten Schreiben, braucht man eigentlich gar keine Sänger, um sie ganz leidlich vorzutragen. Das Gleiche sagt in der That H. selbst: „Das Theater — schreibt er — hatte gar keine eigentlichen Sänger und Sängerinnen, sondern wer von Natur eine leidliche Stimme und ein bischen Tactgefühl hatte, unternahm es in den Operetten zu singen.“ Was die Musik dabei verlor, kam freilich auf der anderen Seite der Darstellung wieder zu gut: unsere heutigen Opernfänger können in der Regel umgekehrt jene ältere Operette nicht singen, weil sie sie nicht zu spielen verstehen.

    Aus dem Gesangunterricht Hiller's erwuchs allmählig eine ordentliche Schule. 1775 errichtete er eine „Musikübende Gesellschaft“, welche sich bereits an Händel’sche Werke wagen durfte, und dies wieder führte ihn zu der Einrichtung sogenannter Concerts spirituels. welche der Vorführung von Oratorien und geistlichen Musiken in der Advent- und Fastenzeit gewidmet waren und in denen sich H. namentlich um die Wiedererweckung Händel's in Deutschland große Verdienste erworben hat. 1778 ging das „öffentliche Concert“ in seiner bisherigen Gestalt zu Grabe. Nun aber ward im Gewandhaus ein neuer größerer Concertsaal erbaut und eine Gesellschaft von 12 Vorstehern übernahm Hillers Musikinstitut, indem sie ihn selbst zum Dirigenten mit 400 Thalern Gehalt ernannte. Zu Michaelis 1781 eröffnete er also die bis heute blühenden und hochberühmten „Gewandhaus-Concerte“. Inzwischen war er 1779 von der Akademie zum Musikdirector an der Paulinerkirche, und ward 1784 vom Rath zum Musikdirector an der Neuen Kirche ernannt. Bei der Pensionirung von Doles endlich im J. 1789 ward H. dessen Nachfolger als Cantor an der Thomasschule. In solcher Stellung wirkte er in fast jugendlicher Frische und mit voller Freude auch an den neuen Erscheinungen in der Musik, wie an Mozart, bis zu seiner Pensionirung im J. 1801. — Eine erfreuende Episode seines Lebens bildete eine Reise nach Kurland im J. 1782. Er war vom Herzog eingeladen worden, zwei von ihm ausgebildeten Sängerinnen dorthin das Geleit zu geben und ward wie vom Herzog so im v. der Recke’schen Hause mit großer Auszeichnung empfangen. 1786 führte er in Berlin den Messias mit einer bis dahin dort nicht gekannten Massenhaftigkeit des Chors und Orchesters auf. — Verheirathet war er schon seit dem Jahre 1765.

    Die Zahl seiner Compositionen ist eine recht beträchtliche. Seine Lieder, von denen mehrere Sammlungen erschienen, waren sehr beliebt. Sie sowie die|Melodien seiner Singspiele hörte man bald an allen Clavieren. Erinnern sich doch selbst unter der lebenden Generation die Aelteren noch heute seiner Melodie zu Weiße's „Als ich auf meiner Bleiche". Von seinen schätzenswerthen musikalischen Schriften verdienen besonders genannt zu werden: die „Anweisung zum musikalisch richtigen und zum musikalisch zierlichen Gesange" (1774 und 1780); die „Wöchentlichen Nachrichten“, 4 Bde. (1766—70); die „Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler“, 1. (einziger) Band 1784, darin am Schluß die Selbstbiographie des ebenso bescheidenen wie achtungswerthen Künstlers. Ein Mann nicht von hohen Gaben, aber von begeistertem und einsichtigem Streben, der sich zwar nicht durch Werke von dauerndem Werth, wohl aber durch das Erkennen und Einschlagen richtiger Wege zur Steigerung des Musiktreibens in seiner nächsten Umgebung an Gehalt und Technik unvergängliche Verdienste um das deutsche Musikleben überhaupt erworben hat.

  • Autor/in

    v. Liliencron.
  • Zitierweise

    Liliencron, Rochus Freiherr von, "Hiller, Johann Adam" in: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 420-423 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118551124.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA