Lebensdaten
1870 – 1919
Geburtsort
Karlsruhe
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
sozialistischer Schriftsteller
Konfession
jüdisch?
Normdaten
GND: 118569074 | OGND | VIAF: 59104303
Namensvarianten
  • Landauer, Gustav
  • Landauer, G.
  • Landauer, Gustave
  • mehr

Porträt(nachweise)

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Personen in der NDB Genealogie

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Landauer, Gustav, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118569074.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Hermann (1837–1900), Kaufm. in K., S d. Kaufm. Salomon in Buttenhausen (Württemberg) u. d. Sarah Kahn;
    M Rosa (1845-n. 1927), T d. Kaufm. David Neuburger in Buchau am Federsee u. d. Jetta Einstein;
    Vt Albert Einstein ( 1955), Physiker (s. NDB IV);
    - 1) Zürich 1892 ( 1903) Margarethe (1872–1908), T d. Schneidermeisters Frdr. Wilh. Leuschner in Berlin u. d. Joh. Emma Antonie Hempel, 2) Berlin 1903 Hedwig Lachmann (s. 2);
    2 T aus 1), 2 T aus 2).

  • Biographie

    L. studierte Germanistik und Philosophie in Heidelberg (1888/89), Berlin (1889/90 und 1891/92, u. a. bei Herman Grimm, Erich Schmidt, Heymann Steinthal) und Straßburg (1890/91). Entscheidend für seine Entwicklung wurde der Kontakt mit der 1890 gegründeten Berliner „Freien Volksbühne“ und mit der Oppositionsgruppe der Berliner „Jungen“ in der SPD, die sich nach dem Ausschluß vom Erfurter Parteitag 1891 „Verein Unabhängiger Sozialisten“ nannte. L. schrieb seit Aug. 1892 in ihrem Organ „Der Sozialist“, dessen Redaktion er im Febr. 1893 übernahm. Die Wiederaufnahme des 1892 aus finanziellen Gründen abgebrochenen Studiums scheiterte im März 1895: Sein Gesuch um Zulassung zum Medizinstudium in Freiburg i. Br. wurde, nachdem er von allen preuß. Universitäten ausgeschlossen worden war, abgelehnt. Unter dem Einfluß der politisch-literarischen Ideen des Friedrichshagener Kreises, der Marxismus-Kritik des Dühring-Anhängers Benedict Friedlaender und der „Freiland“-Siedlungstheorie Theodor Hertzkas wurde L. seit 1892 zum Führer des anarchistischen Flügels der „Jungen“, die er 1893 in Zürich und 1896 in London auf den Internationalen Sozialisten-Kongressen (bzw. den nach Ausschluß der Anarchisten organisierten Sonderkongressen) als Delegierter vertrat. Auseinandersetzungen innerhalb des (von Januar bis August 1895 verbotenen) „Sozialisten“ um L.s intellektuell anspruchsvolle Linie führten im Nov. 1897 zum Rücktritt L.s von der Redaktion des Blattes, dem er jedoch bis zur Einstellung im Dez. 1899 als Mitarbeiter verbunden blieb (u. a. mit einem Goethe-Beitrag zum Jubiläumsjahr 1899).

    In dem Jahrzehnt bis 1908 wandte L. sich verstärkt der Literatur und der Philosophie zu; der Rückzug aus der aktiven Politik stand im Dienste einer kulturtheoretischen, sprachkritischen und geschichtsphilosophischen Ausarbeitung seines anarchistischen Sozialismus. Neben den fortwirkenden Einfluß Nietzsches, der schon in dem 1893 erschienenen Roman., Der Todesprediger“ und der 1894 während einer mehrmonatigen Haft entstandenen Novelle „Arnold Himmelheber“ deutlich spürbar ist, trat nun während eines Gefängnisaufenthalts in Tegel (Aug. 1899 bis Febr. 1900) und in den folgenden Jahren die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Mystik (Meister Eckhart), mit Dichtung und Philosophie der Romantik und mit den „Beiträgen zu einer Kritik der Sprache“ des Freundes Fritz Mauthner, deren ersten Band L. noch in Tegel zum Druck vorbereitete. Die ebenfalls dort entstandene Erzählung „Lebendig tot“ deutet in ihren autobiographischen Elementen auf die seit Febr. 1899 bestehende Beziehung zu der Lyrikerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann. Die Aufsatzsammlung „Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik“ (1903, hrsg. v. M. Buber 1923) sieht den „praktischen Wert der Sprachkritik“ in deren Vermögen, von den „toten Geistgespinsten“ der „begrifflichen Wissenschaft“ zu einer „neues Seelenleben und neue Weltenschönheit“ traumhaft vorwegnehmenden Poesie hinzuleiten und so letztlich zum revolutionären Handeln zu motivieren. Hofmannsthals „Chandos“-Brief wird als Manifest dieser literarischen Avantgarde verstanden. Der Essay „Die Revolution“ (1907) verschmilzt die lebensphilosophisch getönte Sprachkritik mit Elementen romantischer Staats- und Geschichtsphilosophie zu einer mystisch-voluntaristischen Theorie der Revolution: Die von der Reformation eröffnete Epoche ist ein Zeitalter der permanenten Revolution, des Aufbegehrens gegen die zunehmende Erstarrung und Entfremdung eines im christlichen Mittelalter noch alle Bereiche des individuellen wie kollektiven Lebens gleichmäßig durchdringenden „Geistes“; an die Stelle eines vielfältig gegliederten und geschichteten Ganzen sind zentralistische Zwangsinstitutionen und isolierte Individuen getreten. Der verbindende „Geist“ lebt nur in den genialen Einzelnen (Künstlern, Denkern, Ketzern) fort und bricht in den revolutionären Bewegungen als kollektive Sehnsucht wieder auf: Jede neue Utopie speist sich aus der Empörung gegen das Bestehende („Topie“) und der Erinnerung an vergangene Utopien.

    Seit dem Frühjahr 1908 kehrte L. mit Vorträgen und der Gründung des „Sozialistischen Bundes“ zur (von ihm selbst als „Antipolitik“ bezeichneten) politischen Agitation zurück. Sein seit 1908 öffentlich vorgetragener, 1911 als Buch publizierter „Aufruf zum Sozialismus“ (Rev. Ausg. 1919; hrsg. v. H.-J. Heydorn 1967) fordert das sofortige „Beginnen“ eines praktischen Sozialismus in kleinen „Bünden“ (ländlichen Siedlungen, Genossenschaften) abseits vom bestehenden kapitalistischen System und zugleich in scharfer Frontstellung zum Marxismus der Sozialdemokratie, den L. des lähmenden Determinismus, Bürokratismus und autoritären Zentralismus beschuldigt, somit als letzte Konsequenz, nicht als Antithese des Kapitalismus und Imperialismus der Epoche betrachtet. Der 1909 von L. neu begründete „Sozialist“ war bis zu seiner Einstellung im März 1915 nicht nur das Kampforgan des „Sozialistischen Bundes“, sondern brachte auch in großem Umfang meist von L. übersetzte Zeugnisse der (Vor-) Geschichte des Anarchismus (Etienne de la Boötie, Proudhon, Bakunin, Reclus, Kropotkin) und der philosophisch-literarischen Tradition (u. a. Herder, Jean Paul, Fichte, Bettina von Arnim, Tolstoi, Tschechow, Oscar Wilde), die sich in eine geistige Konstellation zur Krise der Gegenwart rücken ließen. Die Freundschaft mit Martin Buber, seinem späteren Nachlaßverwalter, führte zu einer Besinnung auf die ketzerisch-mystischen Traditionen des Judentums. Von den Arbeiten dieser Periode gingen starke Wirkungen auf den deutschen Zionismus (M. Buber, E. Simon, H. Kohn, R. Weltsch, A. Zweig) und auf Schriftsteller vom Expressionismus (G. Kaiser, E. Toller, A. Wolfenstein) bis zur Gegenwart (P. Celan) aus.

    Den Lebensunterhalt seiner Familie verdiente L. seit der Jahrhundertwende als Buchhändler, Rezensent, Theaterkritiker, Übersetzer (u. a. von Whitman, Shaw und Tagore) und durch Vorträge vor privatem Publikum (u. a. über Shakespeare, 1920 in 2 Bdn. von Buber aus dem Nachlaß publiziert). Im Sommer 1917 siedelte er mit seiner Familie nach Krumbach in Bayer.-Schwaben über. Hier erreichte ihn, nach dem Tod seiner Frau im Febr. 1918, das Angebot, die Dramaturgenstelle am Düsseldorfer Schauspielhaus Louise Dumonts und Gustav Lindemanns zu übernehmen. L. trat dieses Amt nicht mehr an (übernahm aber für einige Monate bis kurz vor seinem Tod die Redaktion der Hauszeitschrift „Masken“). Statt dessen folgte er im Nov. 1918 einem Ruf des neuen bayer. Ministerpräsidenten Kurt Eisner nach München. L. sah im Rätesystem eine Möglichkeit, seine Vorstellungen zu realisieren, und wandte sich deshalb nach der Wahlniederlage der USPD am 12.1.1919 auch gegen Eisner, der zur Einberufung des Landtags und zum Rücktritt bereit war. Nach der Ermordung Eisners, dem L. die Totenrede hielt, kämpfte er in den reaktivierten Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten für die Idee einer autonomen bayer. Räterepublik als Teil einer künftigen Föderation der „Vereinigten Republiken Deutschlands“. In der am 7. April ohne Beteiligung der Kommunisten gebildeten Räteregierung übernahm er das Amt des „Volksbeauftragten für Volksaufklärung“; von der zweiten, von den Kommunisten ausgerufenen Räterepublik distanzierte er sich. Beim Einmarsch der gegenrevolutionären Truppen wurde L. am 1. Mai verhaftet und bei seiner Einlieferung ins Münchener Zentralgefängnis Stadelheim am 2. Mai ermordet. Sein Grab auf dem Münchener Waldfriedhof wurde nach der Machtergreifung von den Nationalsozialisten zerstört, die Urne an die jüd. Gemeinde gesandt. Bei der so erzwungenen zweiten Bestattung fand L. seine letzte Ruhestätte auf dem jüd. Friedhof an der Seite Kurt Eisners.

  • Werke

    Weitere W An d. Züricher Kongreß, 1893;
    Ein Weg z. Befreiung d. Arbeiterklasse, 1895;
    Von Zürich nach London, 1896;
    Macht u. Mächte, 1903 (erw. Ausg. 1923);
    Meister Eckharts Myst. Schrr., 1903 (hrsg. v. M. Buber 1922);
    Ein Weg dt. Geistes, 1916;
    Die vereinigten Republiken Dtld.s u. ihre Vfg., 1918;
    Rechenschaft, 1919;
    Briefe aus d. Franz. Rev., 2 Bde., 1919;
    Der werdende Mensch, hrsg. v. M. Buber, 1921;
    Beginnen, hrsg. v. dems., 1924;
    G. L., Sein Lebensgang in Briefen, hrsg. v. dems., 2 Bde., 1929;
    Zwang u. Befreiung, hrsg. v. H.-J. Heydorn, 1968;
    Erkenntnis u. Befreiung, hrsg. v. R. Link-Salinger (Hyman), 1976;
    Der Sozialist, Jg. 1, 1909, - Jg. 7, 1915, 3 Bde., Nachdr., hrsg. (mit Einl. u. Inhaltsverz.) v. A. Seiverth, 1980.

  • Literatur

    J. Bab, G. L., 1919;
    A. Souchy, G. L., 1920;
    M. Buber, Erinnerungen an einen Tod (Dem Gedächtnis G. L.s), in: H. Lamm, Von Juden in München, 1958, S. 166-69;
    W. Kalz, G. L., 1967;
    H.-J. Heydorn, Vorwort zu G. L., Aufruf z. Sozialismus, 1967;
    ders., Geleitwort zu G. L., Zwang u. Befreiung, 1968;
    Ch. B. Maurer, Call to Revolution, 1971;
    E. Lunn, Prophet of Community, 1973 (P);
    U. Linse, G. L. u. d. Rev.zeit 1918/19, 1974 (P);
    R. Link-Salinger (Hyman), G. L., 1977.

  • Autor/in

    Norbert Altenhofer
  • Zitierweise

    Altenhofer, Norbert, "Landauer, Gustav" in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 491-493 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118569074.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA