Lebensdaten
1904 – 1988
Geburtsort
Hamburg
Sterbeort
Rangsdorf (Brandenburg)
Beruf/Funktion
Tänzer ; Choreograph
Konfession
lutherisch
Namensvarianten
  • Weidt, Hans (bis 1938)
  • Weidt, Hans Fritz Heinrich
  • Serkin (Pseudonym)
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Zitierweise

Weidt, Jean (seit 1938), Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz139710.html [27.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Carl Julius Franz Martin (1872–1938), Angest. in H., S d. Carl Wilhelm Ludwig, Maler in H., u. d. Anna Christina Jagielski;
    M Ida Maria (1876–1952), aus Ottensen, Putzhilfe, Dienstmädchen in Altona b. H., T d. Heinrich Wilhelm Hegenwald, Schuhmacher in Amerika, u. d. Hulda Maria Schimmel;
    3 B Walter, Martin (* 1902), Heinz ( im 2. Weltkrieg), Tänzer;
    1950 Ursula Wendorff (1919–2000), aus B.-Moabit, Graphikerin, Illustratorin (s. Lex. Künstler DDR; P);
    1 S Andreas (* 1958), Keramikkünstler.

  • Biographie

    Nach dem Besuch der Volksschule in Hamburg absolvierte W. eine Ausbildung zum Gärtner. Neben verschiedenen Gelegenheitsarbeiten nahm er 1923 Tanzunterricht bei dem Laban-Schüler Sigurd Leeder (1902–81), dessen Tanz er jedoch bald als inhaltslos kritisierte. In der Folge arbeitete W. weitgehend autodidaktisch; er wurde zu einem der Ersten, die den Tanz als Mittel politischer Aussage einsetzten. Häufig befand er sich an der Armutsgrenze, lebte vom Zeitungsverkauf oder verdiente seinen Unterhalt als Aktmodell. 1925–28 trat er im Hamburger „Curiohaus“ und an den „Kammerspielen“ mit seinen Stücken „Aufruf“, „Der Arbeiter“ und „Tanz mit der Roten Fahne“ auf. Große Zustimmung erhielt er von Mary Wigman (1886–1973), Gustaf Gründgens (1899–1963), Erika (1905–69) und Klaus Mann (1906–49) für seine Hauptrolle in der Tanzpantomime „Der Gaukler und das Klingelspiel“ (1926) von Hans Leip (1893–1983) an der Hamburger Staatsoper.

    1929 ging W., der sich wegen seines Einsatzes für Humanität und soziale Gleichheit als „Der Rote Tänzer“ bezeichnete, nach Berlin; hier baute er die sozialkritisch arbeitende Gruppe „Die Roten Tänzer“ auf und kooperierte mit Erwin Piscator (1893–1966), John Heartfield und Karlheinz Martin (1886–1948). Nachdem er schon früh mit seinen|Agitprop-Auftritten vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus gewarnt hatte, wurde er im Febr. 1933 verhaftet und in Berlin interniert.

    Nach seiner Freilassung im März 1933 floh er ins Exil, zunächst nach Moskau, dann nach Paris, wo er 1938 seinen Vornamen in Jean änderte und in der Nachfolge und mit den ehemaligen Tänzern von Georges Félix André Pomiès (1902–33) dem Ausdruckstanz mit „Les Ballets Weidt“ in Frankreich eine wichtige Position verschaffte. Picasso, dessen Sohn Paolo kurze Zeit bei ihm tanzte, Jean Cocteau, der Photograph Willy Maywald (1907–85) und der Maler Nicolas Eekmann wurden seine Freunde. Nach Ablauf seines Visums 1936 ausgewiesen, versuchte W. – erfolglos in Moskau, erfolgreicher in Prag – dort als Hanse Weidta mit dem „Ballet Dynamique“ sein Glück, z. B. mit dem Tanz „Befreiung aus den Konzentrationslagern“ und dem „Indianertanz“. 1937 gelang W. mit einem von Piscator verschafften Visum die Rückkehr nach Paris. Im Rahmen der Inszenierung „Numantia“ (nach d. Tragödie v. Miguel de Cervantes) lernte er den Maler André Masson und den Regisseur Jean-Louis Barrault kennen. Er unterrichtete dessen Schauspieler, nahm selbst Ballettunterricht, gründete 1938 die „Ballets 38“ und hatte Auftritte in der Szene der Surrealisten.

    Mit Beginn des 2. Weltkriegs wurde W. zum „Feindlichen Ausländer“ erklärt, interniert und in ein alger. Lager deportiert. Von dort kam er 1941 mit Hilfe persönlicher Kontakte frei, unterstützte – ohne Waffe – die Alliierten in Italien und kehrte 1945 nach Paris zurück. Hier gründete er im selben Jahr seine „Ballets des Arts“, mit denen er „Oradur“, „Ode après l’orage“ und „Abel et ses frères“ choreographierte.

    Wie schon Kurt Jooss (1901–79), der politische Themen ebenfalls tänzerisch umsetzte, empfing W. 1947 in Kopenhagen den 1. Preis der „Archives Internationales de la Danse“ im „Concours International de la Danse“ (für „La Cellule“).

    1948 wurde W. von dem Arzt, Dichter und Politiker Friedrich Wolf (1888–1953) in die SBZ geholt, wo er in Berlin eine eigene Tanzschule aufzubauen begann. Mit dieser wollte er seine Form des epischen Tanzes in alle Schichten der Bevölkerung bringen, um – vergleichbar den Filmen der DEFA – politisch aufklärend über die Nachwirkungen des Nationalsozialismus zu arbeiten. 1949 gründete er „Das dramatische Ballett“, doch mit Beginn des Kalten Krieges und der von Georg Lukács (1885–1971) und Alfred Kurella (1895–1975) entfachten Formalismusdebatte in der DDR wurde seine auf Erfahrungen mit Ausdruckstanz und Surrealismus basierende Arbeit als dekadent bezeichnet, er selbst in die Provinz, zunächst nach Schwerin, dann nach Karl-Marx-Stadt versetzt. Der Aufgabe, dort klassische Ballette zu gestalten, unterwarf er sich widerwillig, erkämpfte sich aber mit den Jahren neue Freiheiten. 1958 kehrte er nach Berlin zurück, wo er „Die Gruppe junger Tänzer“ ins Leben rief und eine Reihe neuer Talente entdeckte und förderte, u. a. Erwin Bredow (1922–80). Innerhalb von Kooperationen mit Walter Felsenstein (1901–75), Tom Schilling (* 1928) und Hanns Anselm Perten (1917–85) arbeitete er mit Laien und Professionellen zusammen.

    W., in seinem Engagement sozialistisch, schuf Figuren gesellschaftlich Unterdrückter wie Bettler, Kranke, Alte, Arbeiter, heimkehrende Soldaten, Indianer und KZ-Insassen. Seine Themen stellte er solistisch, dann in Gruppenchoreographien dar. Stilistisch arbeitete W. im Rahmen der im Hamburg der 1920er Jahre entstandenen Tanzpantomime, wie sie auch Max Reinhardt (1873–1943) erfolgreich praktizierte. Später nahm er Elemente des klassischen Balletts und der Akrobatik hinzu. Wichtig war ihm der Einsatz von Masken. Diese schufen in Hamburg Richard Steffen (1903–64), in Berlin Hans Darlick und Erich Goldstaub ( 1943 / 44 Auschwitz), in Frankreich Georges E. Haby und in der DDR Heinrich Kilger (1907–70).

  • Auszeichnungen

    |1. Preis u. Goldmedaille im Concours Internat. de la Danse, Kopenhagen (1947 verliehen v. d. Archives Internationales de la Danse, Paris);
    Nat.preis d. DDR in Silber (1974);
    VVO in Gold (1979);
    Kritikerpreis f. Tanz d. (westdt.) Verbands dt. Kritiker (1987);
    Mitgl. d. Ak. d. Künste d. DDR (um 1983);
    Ehrenmitgl. im Verband d. Theaterschaffenden d. DDR (1980).

  • Werke

    W Tänze in Hamburg 192429 u. a.: Der Einsame, Eine Frau, Klage e. Soldaten (Musik v. H. Eisler), Wir sind Gefangene (Musik v. P. I. Tschaikowski), Alte Leute altes Eisen (Totentanz, Maskentanz);
    Tänze in Berlin 193033 u. a.: Tod d. Andreas Kragler (n. Trommeln in d. Nacht v. B. Brecht, Musik v. H. Eisler), Tanz mit d. roten Fahne (Musik v. S. Wolpe), Reichstagsabgeordneter (Satir. Maskentanz), Passion e. Menschen (n. Holzschnitten v. F. Masereel, Musik v. S. Wolpe), Potsdam (Satir. Maskentanz);
    Tänze in Paris 193335 u. a.: Vieilles gens-vieux fer (Musik v. A. Berg), Sur la grande route (1934, Flüchtlingsthema, Musik v. A. Berg);
    193739 u. a.: La victime;
    194549 u. a. Abel et ses frères (Musik v. P. Tschaikowski), Nuages (Musik v. P. Tschaikowski), La Cellule (Musik v. É. Damais);
    Tänze in Prag 1936 / 37 u. a.: Tanz mit d. roten Fahne (Musik v. S. Wolpe), Jánošík;
    Tänze in Berlin, |Schwerin, Karl-Marx-Stadt 194888 u. a.: Quarrtsiluni (Musik v. K. Riisager), Ode nach d. Sturm (Musik v. F. Chopin u. W. Hohensee), Roter Mohn (Musik v. R. Glière), Schwanensee-Suite, Sheherazade, Coppelia, Carmen, Vor d. Toren v. Majdanek, Elf Tänze zu Klaus Störtebeker (Rügenfestspiele, Musik v. G. Kochan);
    – Die Zelle, Neubearb. unter d. Regie v. N. Lipp u. Ch. Meyer-Rogge (Choreogr.), Hamburg 2016 (mit Dok. d. Dt. Tanzfilminst. Bremen);
    Schr.: Der Rote Tänzer, Ein Lebensber., 1968 (P);
    Auf der gr. Straße, J. W.s Erinnerungen, Nach Tonbandprotokollen aufgezeichnet u. hg. v. M. Reinisch, 1984 (P);
    Nachlaß: Tanzarchiv Leipzig;
    Dt. Tanzarchiv Köln;
    Ak. d. Künste Berlin;
    Privatbes. Andreas Weidt;
    zu Ursula Wendorff-Weidt: U. W.-W., Aquarelle & Grafik, Ausst.kat. Rangsdorf, 1999.

  • Literatur

    |N. Jockel u. P. Stöckemann (Hg.), Flugkraft in goldene Ferne …, Bühnentanz in Hamburg seit 1900, 1989;
    Y. Hardt, in: Polit. Körper, Ausdruckstanz, Choreographien d. Protests u. d. Arbeiterkulturbewegung in d. Weimarer Rep., 2004, S. 137–203 (P);
    N. Lipp, „Landen u. Stranden“, Künstler. Tanz, in: Himmel auf Zeit, Die Kultur d. Zwanziger J. in Hamburg, 2010, S. 108–14;
    dies., J. W., Idealist u. Surrealist in d. europ. Tanzszene, 2016 (P);
    BHdE II;
    Berliner Biogr. Lex.

  • Porträts

    |Büste v. R. Sintenis (verschollen), Abb. in: N. Lipp, 2016 (s. L), S. 55;
    Kühlerfigur f. Buick (Privatbes. N. Lipp);
    Gem. v. H. Hensel, o. J., Abb. in: Der Rote Tänzer, 1968 (s. W), Abb. 67, v. E. Hopf, 1927 (1934 zerstört), Abb. in: Auf der gr. Straße, 1984 (s. W), S. 29, v. M. Radloff, 1982, Abb. ebd., S. 148, u. v. Ursula Wendorff-Weidt, 1982 (Privatbes. Andreas Weidt);
    Zeichnungen v. H. Leip, 1926, v. N. Eekmann, 1935 u. 1937, u. v. A. Bartsch, um 1979 (alle Privatbes.);
    Plakat v. P. Colin, J. W. et ses ballets, 1938 (Tanzarchiv Leipzig);
    Photogrr. u. a. v. P. Jamet, T. Piaz, J. Lemare, W. Maywald u. A. Lagenpusch;
    zahlr. weitere P, Rollenporträts u. Graphiken, Abb. in: Auf der gr. Straße, 1984 (s. W);
    Filme: L. Grossmann, Gesicht e. Tänzers – J. W., 1974 (Fernsehen d. DDR);
    P. Weisenburger, J. W., Tanzen f. e. besseres Leben, Dok.film, 1988 (DFF/ SWF Baden-Baden).

  • Autor/in

    Nele Lipp
  • Zitierweise

    Lipp, Nele, "Weidt, Jean" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 583-585 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz139710.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA