Lebensdaten
1883 – 1947
Geburtsort
Rostock
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Unternehmer ; Widerstandskämpfer
Konfession
konfessionslos
Namensvarianten
  • Weidt, Otto Max August
  • Weidt, Otto
  • Weidt, Otto Max August

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Personen in der NDB Genealogie
Personen im NDB Artikel

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Weidt, Otto, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz139716.html [29.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Max (1855–1918), Tapezierer, Dekorateur in R. u. B., S d. Friedrich (Fritz) (1817–90), Schneidermeister in Güstrow, u. d. Caroline Halkendorf (* 1827);
    M Auguste (* 1857, kath.), T d. Martin Grell (1808–61), Maurer in Güstrow, u. d. Maria Bandelow (* 1818);
    4 B (3 früh †) Martin (* 1880), 4 Schw (3 früh †) Wilhelmine (1886–1967, Bernhard Weidt, * 1883, Stockarb.);
    1) Berlin-Schöneberg 1913 1916 Martha (* 1887, kath.), Schneiderin, T d. Joseph Koniecznÿ, Tischler, u. d. Jakobine Wilhelmine Maria Bertha Sieber, 2) Berlin 1919 1928 Johanna (* 1884, ev.), aus Königsberg (Pr.), Pförtnerin, T d. Friedrich Stoll, Arb. in Charlottenburg b. Berlin, u. d. Johanna Rohde, 3) 1936 Else Nast (1902–74), aus Breslau, arbeitete mit in d. 1939 v. W. gegründeten Blindenwerkstatt in B.-Kreuzberg, führte diese bis 1952 weiter, T e. Steinsetzers u. e. Fabrikarbeiterin;
    2 S aus 1) Werner (* 1914), Hans (* 1915).

  • Biographie

    W. verbrachte seine Kindheit in Rostock, seit 1888 in Berlin, wo er um 1900 das Maler- und Vergolder-Handwerk erlernte. Ein Aufenthalt in Hamburg 1903 / 04 führte zum Kontakt mit dortigen Anarchisten. Seit Juli 1903 nahm W. rege am Vereinsleben des Hamburger anarchistischen „Club Simplicissimus“ teil, seither überwachte ihn die Politische Polizei. In Berlin übernahm W. im Frühjahr 1905 als „Sitzredakteur“ die Herausgabe der Zeitung „Der Anarchist“. Er lernte so u. a. Erich Mühsam (1878–1934), Fritz (1869–1935) und Josef Oerter (1870–1928), Rudolf Lange (1873–1914) sowie Werner (Daya) Karfunkelstein (1881–1941) kennen. 1907 / 08 kam es zum Bruch der Berliner Anarchisten mit W., u. a. weil er Gelder anarchistischer Zeitungen unterschlug. Erfolglos auf der Suche nach neuer anarchistischer Betätigung, bereiste W. 1908 die Schweiz, Italien und Österreich-Ungarn und zog sich schließlich aus dem organisierten politischen Anarchismus zurück, blieb aber der Idee verbunden. Seine polizeiliche Beobachtung wurde 1912 eingestellt.

    Seit 1912 versuchte W., als selbständiger Innenarchitekt Fuß zu fassen: 1914 war er Mitinhaber der Fa. „Raumkunst Weidt & Gerhardt, Tapezierer u. Dekorateure“. Er leistete von Nov. 1916 bis Okt. 1918 Kriegsdienst als Militärkrankenwärter in einem Reservelazarett in Küstrin. Zu Beginn der 1920er Jahre gründete er in Berlin die Fa. „Vereinigte Werkstätten für Innenausbau Otto Weidt“. Um 1924 ließ sein Augenlicht stark nach, W. galt seither als „praktisch erblindet“. Bald darauf schulte er zum Bürstenmacher im Blindenhandwerk um und war als solcher spätestens seit 1931 selbständig tätig. Im Frühjahr 1939 gründete er in Berlin mit Gustav Kremmert (* 1899) die Fa. „Blinden-Werkstätte Otto Weidt“, die später als „kriegswichtig“ galt und eine nahezu ausschließlich jüd. Belegschaft beschäftigte. Seit Beginn der Deportation der Berliner Juden im Herbst 1941 setzte sich W. für seine jüd. Angestellten und Bekannten ein, intervenierte beim „Judenreferat“ der Berliner Gestapo, bei der Arbeitsverwaltung und bestach Beamte. Anfang 1943 unterstützte W. einige seiner Angestellten und Bekannten bei der Flucht in den Untergrund, organisierte Verstecke, Verpflegung, Kleidung, medizinische Versorgung, falsche Papiere und Arbeit und baute ein|weitverzweigtes Netzwerk von Helfern und Unterstützern auf. Von Ende 1943 bis Okt. 1944 sandte er mindestens 150 Lebensmittelpakete an deportierte Juden in das Ghetto Theresienstadt.

    W. suchte den Aufenthaltsort seiner nach Auschwitz transportierten früheren Angestellten Alice Licht (1916–86) und Erich Frey (1889–1944) persönlich vor Ort in Erfahrung zu bringen und versteckte Licht, der auf dem „Todesmarsch“ in das KZ Bergen-Belsen Anfang Febr. 1945 die Flucht nach Berlin gelang, mit anderen Verfolgten bis zum Kriegsende in seinem Haus in Berlin-Zehlendorf. In der Nachkriegszeit engagierte sich W. erfolgreich für die Wiederinstandsetzung eines Alten- und Kinderheims der Jüd. Gemeinde in Berlin-Niederschönhausen. Die von ihm gegründete Blindenwerkstatt existierte noch bis 1952.

  • Auszeichnungen

    |„Gerechter unter d. Völkern“ d. isr. Gedenkstätte „Yad Vashem“ (1971);
    Ausst.projekt zu W. in d. ehem. Betriebsräumen seiner Bürstenfabr. (1999), heute „Mus. Blindenwerkstatt O. W.“ in d. Trägerschaft d. „Stiftung Gedenkstätte Dt. Widerstand“;
    Gedenktafeln Rosenthaler Str. 39, Berlin-Mitte (1993, 1999), Salzachstr. 6, Berlin-Zehlendorf (2003), Großbeerenstr. 92, Berlin-Kreuzberg (2007), Wollenweberstr. 12, Rostock (2014);
    Film: Ein blinder Held, Die Liebe d. O. W., 2014 (Regie: Kai Christiansen);
    O.-W. Platz in d. „Europacity Berlin“ (2015);
    zu Else Weidt: „Unbesungene Heldin“ d. Berliner Senats (1958).

  • Literatur

    |R. Scheer, Bürstenfabr. O. W., Ein Ber., in: Temperamente, Nr. 3, 1984, S. 63–75;
    I. Deutschkron, Ich trug d. gelben Stern, 1978;
    dies., Sie blieben im Schatten, Ein Denkmal f. „stille Helden“, ³2012;
    J. Tuchel, Hedwig Porschütz, Die Gesch. ihrer Hilfsaktionen f. verfolgte Juden u. ihrer Diffamierung n. 1945, 2010 (P);
    R. Kain, Pierre Ramus’ Begegnung mit d. späteren „stillen Helden“ O. W., in: Erkenntnis, E-Journ. d. Pierre Ramus-Ges. 19, 2011, S. 82–89;
    ders., O. W., Vom Anarchisten z. „Gerechten unter d. Völkern“, in: Der vergessene Widerstand der Arb., Gewerkschafter, Kommunisten, Soz.demokraten, Trotzkisten, Anarchisten u. Zwangsarb., hg. v. H. Coppi u. St. Heinz, 2012, S. 185–98;
    ders., O. W., Anarchist u. „Gerechter unter d. Völkern“, 2017 (P);
    D. Schulle, „… u. immer wieder bewundern wir Eure mit aufopfernder Liebe prima gepackten Pakete.“, O. W.s Hilfsaktion f. Gefangene im Ghetto Theresienstadt 1943–1944, hg. v. Mus. Blindenwerkstatt O. W., 2012 (P);
    Lex. d. Gerechten unter d. Völkern, Deutsche u. Österreicher, hg. v. D. Fraenkel u. J. Borut, ²2005, S. 283 f.;
    Dauerausst.: Mus. Blindenwerkstatt O. W., Eine Dok. d. Stiftung Gedenkstätte Dt. Widerstand (MBOW);
    Qu MBOW, Berlin;
    Yad Vashem Archives, Jerusalem;
    Landesarchiv Berlin;
    Internat. Inst. of Social Hist., Amsterdam;
    Archiv d. Hansestadt Rostock;
    Geh. StA Preuß. Kulturbes. Berlin;
    Schweizer. BA Bern;
    StA Hamburg;
    Zeugenaussagen in d. Entschädigungsunterlagen b. Landesamt f. Gesundheit u. Soziales, Berlin.

  • Autor/in

    Robert Kain
  • Zitierweise

    Kain, Robert, "Weidt, Otto" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 585-586 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz139716.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA