Lebensdaten
1772 – 1801
Geburtsort
Oberwiederstedt
Sterbeort
Weißenfels
Beruf/Funktion
Dichter ; Philosoph
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 118588893 | OGND | VIAF: 95155102
Namensvarianten
  • Hardenberg, Friedrich Leopold von
  • Hardenberg, Georg Friedrich Philipp Freiherr von
  • Hardenberg, Friedrich Freiherr von (eigentlich)
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Zitierweise

Novalis, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588893.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Der Schriftstellername „Novalis“ geht auf e. fam.geschichtl. Erinnerung zurück, wie H. selbst in e. Briefe v. 24.2.1798 betont („welcher Name ein alter Geschlechtsname von mir ist und nicht ganz unpassend“); schon im 13. Jh. haben sich Herren v. H. nach e. Gut Rode (später Großenrode) de novali, von Roden, genannt; 1561 erlosch dieser Zweig.

  • Biographie

    H. hat lange Zeit hindurch als „romantischer Dichter“ kat' exochen gegolten. An der Legende seines Lebens, an dem Bilde des frühvollendeten Jünglings, dem die geliebte Braut entrissen wurde und der auf ihrem Grabe sich entschloß, ihr nachzusterben, haben schon die Zeitgenossen, namentlich Tieck, mitgewirkt. Ihm erschien H. als „die reinste und lieblichste Verkörperung eines hohen unsterblichen Geistes“, dessen irdisches Leben uns mit einem „sonderbaren Schauer“ berührt. Andere hoben seinen „ätherischen Geist“ hervor, für den das ganze Dasein sich in eine „tiefe Mythe“ auflöste (Steffens). Er war der Dichter, der in seinen „Hymnen an die Nacht“ in mystischer Weltflucht Liebe, Traum und Tod als die zentralen Erlebnisse einer anderen, irrationalen Welt besang; der in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ die Sehnsucht nach der blauen Blume als Sinnbild romantischer Sehnsucht überhaupt gestaltete; dem als Märchendichter schließlich Welt und Geschichte in einem magischen Wunderglauben sich ins Märchen verwandelten. Die gedankliche Leistung seiner Fragmente und philosophischen Studien, von denen freilich im 19. Jahrhundert nur weniges gedruckt vorlag, wurde entweder nicht beachtet oder als flüchtiges und letzthin verantwortungsloses Philosophieren abgetan. Auch sein beruflicher Werdegang mit der erstaunlich gründlichen Ausbildung in naturwissenschaftlichen und kameralistischen Fachgebieten wurde als störend empfunden. „Es macht aber eine sonderbare Wirkung und stört doch, wenn man sich den Novalis als Amtshauptmann oder als Salzbeisitzer denkt. Das ist entsetzlich!“ (Kerner an Uhland) Als eine fast unirdische Erscheinung lebte H. im Gedächtnis der Nachwelt fort und verführte seine Biographen immer wieder dazu, Leben und Werk unter mythischen Aspekten zu deuten und darzustellen. „Was sich in H.s Leben ereignete…, kann nicht anders als unter dem Zeichen eines Mythos gesehen werden“ (Hiebel). Die Novalis-Legende rief freilich schon frühzeitig Kritik hervor, an ihr entzündete sich zum Beispiel der Spott Heines und des Jungen Deutschland. Aber sie wirkt bis heute nach und scheint unzerstörbar. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde H. als ein Dichter und Theoretiker entdeckt, bei dem „Romantik fast genau Modernität bedeutet“ (Th. Mann). Vielfach sind seine Wirkungen auf den französischen Symbolismus, auf Keats und Poe, Nerval und Maeterlinck, auf Hofmannsthal, Musil, Benn und andere bezeugt. Die moderne Lyrik hat entscheidende Anregungen durch ihn erfahren und beruft sich auf H. als ihren Ahnherrn; der moderne Roman verdankt seinen kunsttheoretischen Erörterungen überraschende Anstöße. In fast allen Bereichen der Wissenschaft hat er antizipierend gewirkt. Zwischen dem Bilde eines schwärmerischen Romantikers, der an Schwindsucht starb, und dem Bilde des hochintellektuellen Dichters und Denkers, für den Poesie ein „Tun und Hervorbringen mit Wissen und Willen“ war und in dessen Bewußtheit sich|die moderne Künstlerexistenz vorgebildet fand, klafft ein unüberbrückbarer Riß. In dieser Ambivalenz der Wirkungsgeschichte liegt das eigentliche Deutungsproblem seines Werkes, zu dessen Lösung das Biographische zwar beitragen, aber nicht letzten Aufschluß vermitteln kann.

    H. verlebte seine Kindheit auf dem Schloß Oberwiederstedt in einem Elternhaus von strenger pietistischer Frömmigkeit. Sein Vater hatte sich nach dem Tode der ersten Frau, der ihm als Strafe Gottes für sein „sehr weltliches Leben“ erschien, an die Herrnhuter Brüdergemeine angeschlossen, wenn auch nur als Freund, nicht als Mitglied. Anfangs still und träumerisch veranlagt, ist der neunjährige Knabe nach einer schweren Erkrankung 1781 wie umgewandelt und wird von seinem damaligen Hofmeister K. Ch. E. Schmid als ungewöhnlich selbsttätig, originell und phantasiereich charakterisiert. Ein vorübergehender Aufenthalt im Hause des Oheims Friedrich Wilhelm von Hardenberg in Lucklum bei Braunschweig, dessen weltmännische Lebensart ganz im Gegensatz zu der Atmosphäre des Elternhauses stand, wirkte bestimmend auf ihn ein. 1785 übersiedelte die Familie nach Weißenfels. Auf dem Gymnasium in Eisleben schloß H. 1790 seine Schulbildung ab und bezog im Oktober die Universität Jena, um Jurisprudenz zu studieren. Aus den Jahren 1788-91 liegt ein bisher nur zum Teil veröffentlichter Nachlaß von ersten dichterischen Versuchen vor, der ungewöhnlich umfangreich ist und die literarische Bildungswelt des jungen H. spiegelt. Neben zahlreichen Gedichten anakreontischen Inhalts, bei denen vor allem Johann Nikolaus Götz, Wieland, J. G. Jacobi und Gotter als Muster gewirkt haben, stehen empfindsamere Gedichte nach Muster des Göttinger Hainbundes, vor allem der Brüder Stolberg, Bürgers und Höltys, stehen vaterländische Oden und Gesänge nach Muster Ramlers und Klopstocks, zu denen zahlreiche Übersetzungen antiker Autoren, namentlich Vergils, Theokrits, Pindars und Horaz' treten. Auch in Verserzählungen und Dramenentwürfen versucht sich der junge H. Praktisch reizt ihn alles zur Nachahmung, was in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Rang und Namen hatte, und der Umfang dieses Jugendwerkes widerlegt die Auffassung, daß erst die späteren biographischen Ereignisse den Weg zum dichterischen Beruf eröffnet haben. – In Jena wirkten damals C. L. Reinhold als Lehrer der Kantischen Philosophie und Schiller als Professor der Geschichte, beiden trat H. persönlich nahe, und vor allem Schiller übte einen tiefen Einfluß auf ihn aus. Jedenfalls steht das erste Gedicht, das er 1791 in Wielands „Teutschem Merkur“ veröffentlichte, ganz unter dem Eindruck dieser Begegnung. In Leipzig, wo er 1791/92 sein Studium fortsetzte, schloß er Freundschaft mit Friedrich Schlegel, und dieses Verhältnis sollte trotz zeitweiliger Unterbrechungen bestimmend für die Begründung der sogenannten Jenaer Frühromantik werden, für die der Briefwechsel beider ein aufschlußreiches Zeugnis ist. Die Hinwendung zur Philosophie, das Studium Kants und später Fichtes hat durch Schlegel entscheidende Anregungen erfahren, auch wenn H. in Leipzig noch „brillante Rollen auf dem Theater der Welt“ spielte und eine verworrene Liebesepisode den jungen „Flatterer“ (nach dem Urteil seines Bruders Erasmus) zu dem merkwürdigen, nach kurzer Zeit widerrufenen Entschluß veranlaßte, Soldat zu werden. Im Frühjahr 1793 kehrte H. nach Weißenfels zurück und vollendete ein Jahr später seine juristischen Studien in Wittenberg. Nach dem Wunsche des Vaters trat er im Herbst 1794 als Aktuarius beim Kreisamt in Tennstedt ein, um hier unter Anleitung des Kreisamtmanns A. C. Just, der später sein Freund und erster Biograph wurde, in die Verwaltungspraxis eingeführt zu werden. In Tennstedt entschied sich sein Schicksal, „eine Viertelstunde“ bestimmte sein Leben, wie er in einem Briefe an Erasmus schreibt. Auf einer Dienstreise kam er am 17.11.1794 nach Grüningen in das Haus des Rittmeisters Johann von Rockenthien und lernte dessen zwölfjährige Stieftochter Sophie von Kühn kennen. Sie wurde sein „Genius“, in der Liebe zu ihr fand er den Schlüssel zu seinem „eigensten Selbst“. Im März 1795 verlobten sich beide.

    Die Jahre 1795/96 stehen im Zeichen eingehender philosophischer Studien, vor allem einer Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre, die H. als „dringende Einleitungsstudien“ auf sein ganzes künftiges Leben und „notwendige Übungen“ seiner Denkkräfte bezeichnete. Fichte hatte er schon im Mai 1795 in Jena im Hause Niethammers persönlich kennengelernt und sich mit seinen bis dahin erschienenen Werken beschäftigt. Aber erst im Herbst beginnen die umfänglichen Niederschriften, die bis zum Spätsommer oder Herbst des nächsten Jahres reichen. In ihnen bildet sich eine eigene Denkform H.s aus, die zur Voraussetzung seiner späteren Fragmentsammlungen wie seines dichterischen Werkes wird. Mit Recht ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob der Tod der Braut nicht nur deshalb in diesem Ausmaß erfahren werden konnte, weil er schon in diesen beiden Jahren vom Denken vorbereitet worden war. Die Sorge um Sophie, die im|November 1795 an Lungenschwindsucht erkrankte und Anfang Juli 1796 einen schweren Rückfall erlitt, prägt sich in den Meditationen der Studienblätter deutlich genug aus – die „unendliche Idee der Liebe“ führte H. über Fichte hinaus und ließ auch das bisher schlummernde religiöse Erbe in ihm erwachen (Zinzendorf). Dennoch bedeutete der Tod der Braut am 19.3.1797 eine Wende seines Lebens, „ein gewaltsames Korrektiv“, das den Entschluß, ihr nachzusterben, hervorrief. Die Briefe und Tagebuchblätter aus diesen Monaten zeigen aber, wie H. in der völligen Loslösung von der empirischen Welt zugleich den „Beruf zur unsichtbaren Welt“ als seine menschliche und künstlerische Bestimmung erfuhr. Am 13. Mai läßt ihn ein Erlebnis am Grabe die Schranken von Raum und Zeit überwinden und ihm die Nähe der verstorbenen Geliebten fühlbar werden. Das wird zur metaphysischen Grunderfahrung seines Lebens. Von nun an erfaßt er es als seine Aufgabe, in beiden Welten zu leben und ihre wechselseitige Durchdringung und Überführung als Ziel seiner dichterischen und philosophischen Arbeit anzusehen. Auch die Wissenschaften gewinnen ein neues Interesse für ihn, er studiert sie „nach höheren Zwecken, von einem höhern Standpunkte“. Neben Fichte, Schelling und Hülsen werden vor allem die Schriften des holländischen Philosophen Franz Hemsterhuis für ihn bedeutsam, die er im Herbst 1797 exzerpiert und weiterdenkt. Dessen Lehre vom moralischen Organ im Menschen, von H. als „echt prophetisch“ empfunden, führt zu einer tiefgreifenden Kritik Kants und Fichtes, mit der sich ein seit langem angebahnter Denkprozeß vollendet. Die erste Frucht dieser intensiven gedanklichen Arbeit bilden die beiden zur Veröffentlichung gelangten Fragmentsammlungen „Blütenstaub“ und „Glauben und Liebe“ aus dem Februar beziehungsweise Mai 1798. In der Geschichte der Romantik hat die erstere ihre besondere Bedeutung darum, weil sich hier zuerst die romantische Haltung des Blickes nach innen und außen, das Heimischsein in zwei Welten ausspricht, die zweite, weil sie als die erste stark fortwirkende Formulierung des romantischen Verhältnisses zur Gemeinschaft und besonders zum Staate gelten kann. Das Erlebnis des Mittlertums („Christus und Sophie“) ist in beiden von grundlegender Bedeutung. Doch sind sie nur ein kleiner Teil der gleichzeitig angelegten Fragmenthandschriften seit Anfang 1798, in denen sich die romantische Poetik H.s und sein magischer Idealismus gedanklich ausgeformt haben. Ziel der Magie ist ihm nicht die Unabhängigkeit des Geistes gegenüber der Sinnenwelt, sondern deren Verwandlung und Belebung; Ziel der Poesie die Erhebung des Menschen über sich selbst, die Überwindung von Schmerz, Tod und Zeit, das Bewußtsein der Illusion als solcher. Hier zuerst wird auch das berühmte Poesieprogramm von 1798 verkündet („Die Welt muß romantisiert werden …“).

    Von Weißenfels aus, wo er seit dem Frühjahr 1796 als Akzessist an den Salinen beschäftigt war, übersiedelte H. am 1.12.1797 nach Freiberg, um sich an der dortigen Bergakademie in den naturwissenschaftlichen Fächern, vor allem der Geologie, Mineralogie, Bergbaukunde, Chemie und Mathematik, weiter auszubilden. Sein bedeutendster Lehrer wurde hier Abraham Gottlob Werner, dessen Ruf als Geologe und Mineraloge schon damals weit über die Grenzen Deutschlands gedrungen war. So sehr das Studium in Freiberg den beruflichen Fachkenntnissen H.s dienen sollte, so nachhaltig hat es gleichzeitig auf seine philosophischen und dichterischen Pläne eingewirkt. Aus dieser Zeit liegen seit Juni 1798 umfängliche naturwissenschaftliche Studienhefte und -blätter vor, die neben zahlreichen Exzerpten selbständig weiterführende Bemerkungen und kritische Schlußfolgerungen H.s enthalten, deren Auswertung erst nach ihrer bevorstehenden vollständigen Edition möglich sein wird. Die wichtigsten Anregungen daraus sind in das „Allgemeine Brouillon“ übergegangen, jenes philosophische Hauptwerk vom Herbst 1798 bis Frühjahr 1799, das „Materialien zur Enzyklopädistik“ sammeln sollte und mit dem H. alle Wissenschaften auf ihre ursprüngliche Einheit zurückzuführen beabsichtigte. Die Idee einer solchen Enzyklopädie war ihm bereits durch Hemsterhuis und C. A. Eschenmayer 1797 vermittelt worden, den entscheidenden Anstoß aber gab ihm nun Werners „großer systematischer Geist“, während ihm Goethe – den er im März 1798 erstmals in Weimar persönlich kennengelernt hatte und als den „merkwürdigsten Physiker unsrer Zeit“ bewunderte – durch seine „Behandlung der Wissenschaften“ zum Vorbild wurde. Eine universale Wissenschaftskunde schwebte ihm vor, in welcher alle Verhältnisse, Ähnlichkeiten, Gleichheiten, Wirkungen der Wissenschaften aufeinander aufgespürt und dargestellt werden sollten. Das Unternehmen mußte bald auf die Methodik des Verfahrens und einzelne Beispiele eingeschränkt werden, und über die endgültige Form des Werkes – das entgegen der üblichen Auffassung keinesfalls als Fragmentsammlung gedacht war – haben wir nur wenige Andeutungen. Als dichterischer Ertrag dieser Studien darf|das tiefsinnige Romanfragment „Die Lehrlinge zu Sais“ gelten, dessen 1. Teil schon Anfang 1798 geschrieben wurde, um dann in der Wende 1798/99 mit den Gesprächen des 2. Teils fortgesetzt zu werden. Der Plan, die vorhandenen Bruchstücke zu einem „echt-sinnbildlichen Naturroman“ auszugestalten, wurde später um des Ofterdingen-Romans willen zurückgestellt und blieb unausgeführt.

    Im Hause des Berghauptmanns von Charpentier, in dem H. während seines Freiberger Aufenthaltes verkehrte, lernte er im Januar dessen Tochter Julie kennen, mit der er sich im Dezember 1798 verlobte. Diese zweite Bindung ist von ihm selbst als schweres Problem empfunden worden, denn die Liebe zu Sophie und die Gewißheit ihrer künftigen Wiedervereinigung blieben davon unberührt. Doch ist für das Verständnis des Dichters und sein Leben zwischen den beiden Welten vielleicht nichts so wichtig wie die Tatsache dieser erneuten Verlobung. Er fühlte sich auf einer Mission, „zur Bildung der Erde sind wir berufen“. In dieser Hinsicht wurde ihm Julie zur Gefährtin des irdischen Lebens, während Sophie die Mittlerin der „höhern Welt“ blieb, die ins Diesseits überführt werden sollte. Der zweiten Gefährtin verdankte er es, daß er sich noch einmal „mit voller Seele“ der empirischen Welt zuwenden und sich auch in seinen literarischen Plänen zur „bürgerlichen Baukunst“ bekennen konnte. „Ich bin dem Mittage so nahe, daß die Schatten die Größe der Gegenstände haben – und also die Bildungen meiner Phantasie so ziemlich der wirklichen Welt entsprechen.“ In den beiden Gestalten der Mathilde und Cyane hat dieses merkwürdige Verhältnis seine dichterische Widerspiegelung im „Ofterdingen“ gefunden, ebenso wie hier Werner in der Gestalt des alten Bergmannes und Goethe in derjenigen Klingsohrs ihre weiterwirkende Bedeutung für H. offenbart haben. Die Stellungnahme zu H.s Verlobung mit Julie bildet in gewisser Hinsicht einen Prüfstein für die Wirkungsgeschichte seines romantischen Werkes, denn im älteren Novalis-Bild wurde sie bezeichnenderweise mit Unbehagen übergangen. „Ich hätte mir sein Leben doch viel anders vorgestellt. Die Jungfer Charpentier stört auch so die Poesie“ (Kerner an Uhland).

    Im Mai 1799 kehrte H. von Freiberg nach Weißenfels zurück, das fortan sein Wohnsitz blieb. Hier wurde er Ende des Jahres zum Assessor ernannt, zahlreiche Dienstreisen führten ihn von hier nach Artern, Kösen, Dürrenberg und an andere Orte in die Salinen und Bergwerke Thüringens, umfangreiche Memoranden und Protokolle sind als Zeugnisse seiner Berufstätigkeit erhalten. Vor allem aber bildet sich nun, im Verkehr mit den Brüdern Schlegel, mit denen er seit 1798 öfter in Jena, Dresden und Weimar zusammentraf, in der Bekanntschaft mit Tieck, den er im Sommer 1799 in Jena rasch zum Freunde gewann, im gedanklichen Austausch mit Schleiermacher, Schelling und J. W. Ritter, neben fortlaufenden philosophischen und poetologischen Aufzeichnungen sein dichterisches Werk aus. Schon im Frühjahr 1799 entstehen die ersten geistlichen Lieder, die sich bis zum Sommer 1800 zu einem Zyklus erweitern. Obwohl einige von ihnen in die evangelischen Gesangbücher eingegangen sind, behaupten diese Gedichte in der Geschichte des Kirchenliedes als Ausdruck eines ganz persönlichen Erlebens und einer sehr individuellen Religiosität eine Sonderstellung. Schlegel nannte sie „das Göttlichste“, was H. je gemacht habe, und verglich sie mit den innigsten und tiefsten unter Goethes frühen Gedichten. Im engen Zusammenhang damit stehen die „Hymnen an die Nacht“, die am 31.1.1800 als vollendet angekündigt werden, aber, wie neuere Forschungen ergeben haben, auf eine höchst vielschichtige Entstehungsgeschichte zurückweisen. So ist die Keimzelle der Hymnendichtung, eine erste Fassung der 3. Hymne, als „Urhymne“ sicherlich noch in den Herbst 1797 zu setzen, während eine frühe Prosafassung der 1., 2. und 4. Hymne wohl schon zu Anfang der Freiberger Zeit 1797/98 entstanden ist. Die erhaltene handschriftliche Fassung der Hymnen, die sich vom Athenaeums-Druck im Sommer 1800 durch abgesetzte Verszeilen unterscheidet, ist dagegen erst in der Jahreswende 1799/1800 niedergeschrieben worden. In ihnen hat das Sophien-Erlebnis seine letzte dichterische Überhöhung erfahren, die Graberfahrung des Sängers der 3. Hymne und der Geschichtsmythos der 5. Hymne verbinden sich im Symbol des christlichen Kreuzes, der „Siegesfahne unsers Geschlechts“, mit dem der Tod überwunden und die Gegensätzlichkeit des Nacht- und Lichtreiches aufgehoben ist in einem neuen Wissen, das die irdische Tageswelt durchdringt und verwandelt. Tritt hier die metahistorische Zukunft eines himmlischen Reiches der Liebe in den Mittelpunkt esoterischer Verkündigung, so beherrscht den im Spätherbst 1799 entstandenen Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“ ein realgeschichtliches Zukunftsbild, das sich aus dem Zerfall des idealen Mittelalters über die Stufen des Niedergangs und fortschreitender Evolutionen hinweg mit der prophetischen Erwartung einer „heiligen Zeit des ewigen Friedens“ und einer „neuen, dauerhaftern Kirche“ abzeichnet. Der Aufsatz, den H. treffender als eine „Rede“|bezeichnete und unter rhetorischen Kategorien betrachtet wissen wollte, blieb ungedruckt; die erste Lesung im Kreise der Jenaer Frühromantiker führte zu lebhaften Kontroversen, die der vermeintlich katholisierenden Tendenz und der schwachen historischen Ansicht des Mittelalters galten; Goethes Urteil entschied schließlich gegen den Druck, der vollständig erst 1826 erfolgte und auch dann noch zu heftigen Auseinandersetzungen Anlaß gab. – Wenig später, noch im Zusammenhang mit den Mittelalter-Studien, die vor allem im Dezember 1799 bei einem Aufenthalt in Artern in der Bibliothek des befreundeten Majors von Funck fortgesetzt wurden, entstand die erste Konzeption des „Heinrich von Ofterdingen“, der die Arbeit des letzten Lebensjahres bestimmte. Der Roman, zweifellos das bedeutendste dichterische Werk der Frühromantik und auch in seiner unvollendeten Gestalt eine Summe von H.s Poetik und dichterischem Wollen, löste die früheren Romanpläne ab und verdrängte sie; der gesamte 1. Teil war schon am 5.4.1800 fertiggestellt, die Fortsetzung blieb im Herbst mit dem großen Gespräch zwischen Heinrich und Sylvester liegen, fand aber durch zahlreiche Entwurfsnotizen und einzelne, ausgeführte Bruchstücke aus dem Sommer bis Spätsommer 1800 eine stichwortartige Abrundung. Dennoch ist eine Rekonstruktion des 2. Teils kaum möglich, zumal H. nach Schlegels Mitteilung noch in den letzten Wochen seinen Plan völlig geändert haben soll und auch in den Entwurfsnotizen ein charakteristisches Schwanken und Verwerfen der vorläufigen Kapitelgliederung – zum Beispiel hinsichtlich des Wartburgfestes, das im 6. Kapitel behandelt werden sollte – spürbar wird. Auch Tiecks Fortsetzungsbericht ist nicht in allen Punkten zuverlässig, obwohl er gegenüber früheren Urteilen durch die neu aufgefundenen Papiere aus dem Nachlaß E. von Bülows eine gewisse Bestätigung gefunden hat. Das Werk, das wie alle frühromantischen Romane unter dem Einfluß von Goethes „Wilhelm Meister“ steht, aber trotz Übernahme vieler formaler Stilzüge seinem Geiste nach ein Anti-Meister zu werden versprach, ist allzu lange vom Stimmungszauber romantischer Traum- und Märchenbilder her gedeutet und als Ausdruck einer Weltanschauung märchenhaft-utopischen Charakters empfunden worden. Die Komposition des Werkes, die den klassischen Entwicklungs- und Bildungsroman hinter sich läßt, zeigt dagegen einen sehr bewußten, vor allem in der Perspektiventechnik und Zeitbehandlung sichtbar werdenden Gestaltungswillen, der auf den modernen Roman und einige seiner Formexperimente vorausdeutet. Ob der 2. Teil dem höchsten messianischen Auftrag der Poesie, der in diesem Roman nicht nur dargestellt, sondern vielmehr auch durchgeführt und erfüllt werden sollte, gewachsen gewesen wäre, wissen wir nicht; gegenüber kritischen Urteilen, die den totalen Anspruch der dichterischen Weltverwandlung für die unvollendete Form des Werkes verantwortlich machen und darin ein Scheitern an den Grenzen der Kunst erblicken möchten, mag darauf hingewiesen sein, daß Krankheit und Tod dem Dichter eine von ihm niemals bezweifelte Vollendung versagten. Schon im Herbst 1800 kam es zum Ausbruch der tödlichen Krankheit, ein Blutsturz warf H. aufs Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Die letzten Tagebuchaufzeichnungen vom Oktober, die er als „Lehrjahre der höheren Lebenskunst“ bezeichnete, zeigen in klarer und unerbittlicher Selbstbeobachtung Unruhe und Angst, eine dagegen beschwörend aufgerufene, fast kindliche Frömmigkeit und – bezeichnend für die weit gespannte, kaum zu fassende Arbeitsintensität dieser letzten 4 Lebensjahre – die „wahrhaft himmlische Lust der Tätigkeit“, die ihn bis zum Ende mit Lektüreplänen gefaßt hält. Im Dezember 1800 erfuhr er noch seine Ernennung zum Amtshauptmann in Weißenfels. Dort starb er im Beisein seines Freundes Friedrich Schlegel und seines Bruders Karl, die beide zu den treuesten Verwaltern seines literarischen Nachlasses wurden.

    H.s Werk scheint sich mühelos zu gliedern in die sogenannten „reinen“ Dichtungen und in die Gedankenwelt seiner Studien und Fragmente. Doch hat sich eben diese Trennung als verhängnisvoll erwiesen. Der Anteil des Denkers ist im dichterischen Werk, unter Einschluß der Märchen, ebenso unverkennbar, wie sich der Anteil des Dichters in der „poetischen“ Philosophie der Fragmente und in der angestrebten „Poetisierung“ aller Wissenschaften nachweisen läßt. Die Wirkungsgeschichte seines Werkes knüpft sich in erster Linie an die Dichtungen, vor allem an die „Hymnen“ und „Geistlichen Lieder“ und den Roman „Heinrich von Ofterdingen“; von ihnen her wurde das volkstümliche Bild des romantischen Mystikers und Träumers geprägt. Dagegen setzte die zweite Phase seiner Wirkung, in der die spezifische Modernität H.s erkannt und hervorgehoben wurde, mit einer stärkeren Hinwendung zu den Fragmenten ein, die namentlich mit ihren kunsttheoretischen Überlegungen in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Aber auch hier scheint sich die Gefahr einer Verzeichnung des Novalis-Bildes anzubahnen. So berechtigt die Betonung der Modernität gegenüber dem pseudoromantischen Verständnis des Dichters ist und zu dessen Korrektur beitragen kann, so oft fußt sie auf einer fragwürdigen Ausdeutung isolierter, aus dem Zusammenhang gerissener Fragmente. Das hängt unter anderem mit der Editionstechnik aller älteren Ausgaben zusammen, die, von dem Leitbild des „Fragmentisten“ ausgehend, auch aus fortlaufenden Niederschriften einzeln herausgelöste Sätze als „Fragmente“ darboten und damit einer heillosen Verwirrung hinsichtlich des Fragments als einer bewußt konzipierten romantischen Kunstform Vorschub leisteten. Bei einer solchen Hinterlassenschaft schien es leicht, in den einzelnen Gedankensplittern H.s die „entromantisierten“ Kunsttheorien der Moderne vorgeprägt zu finden. Erst die neue, im Entstehen begriffene Edition wird hierin einen Wandel schaffen, da sie auf die wieder zugänglich gewordenen Handschriften im Besitz des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt/M., zurückgreifen kann. In der chronologischen Neuordnung der Papiere zeigt sich zunächst ein Zusammenhang, der die Entwicklung der H.schen Denkhaltung genauer als bisher beleuchtet und nach den einzelnen Phasen seines Werkes abstuft. In der Entschlüsselung zahlreicher „Fragmente“ als fortlaufender, in einen größeren Gedankenzusammenhang eingebetteter Studiennotizen wird die Kontinuität dieses Denkens sichtbar, die es verbietet, das gedankliche Werk H.s als ein Trümmerfeld zu betrachten, aus dem durch willkürliches Zitieren das Trugbild eines phantasievoll spielenden, aus dem Nichts gedanklicher Kombinationen und Assoziationen schaffenden Denkers abgeleitet werden kann. Vor allem aber werden durch die Aufdeckung zahlreicher Exzerpte und Lektürenotizen H.s die vielfältigen geistigen Voraussetzungen faßbar, aus denen die Gedankenwelt seiner Fragmente erwachsen ist und ohne die diese nicht zu verstehen sind. Gewiß gab ihm seine umfangreiche, erst jetzt in vollem Ausmaß erkennbare Lektüre im Grunde nur eine Bestätigung dessen, was er selbst erfahren und schon durchdacht hatte. Nicht die Originalität H.s wird also in Frage gestellt, wohl aber der scheinbar unbegrenzte Spielraum an Interpretationsmöglichkeiten, der ohne Kenntnis der zeitgeschichtlich bedingten, als Anstoß und Denkimpuls wirksamen Lektüre zu einer Überschätzung der aktuellen Aspekte führen kann. Es zeigt sich dann, daß H. auch in denjenigen Aufzeichnungen, die man „artistisch“ oder gar „manieristisch“ genannt hat und die ihn als „Klassiker des Surrealismus“ erscheinen lassen, noch ganz auf dem Boden metaphysischer Denkvoraussetzungen steht, die in der modernen Literatur völlig abgestreift sind. Das wird etwa aus seinen Plotin-Studien von 1798/99 deutlich, die zu den wichtigsten poetologischen Folgerungen führen, ohne daß diese in ihren geistigen Voraussetzungen bisher erkannt worden wären. Der metaphysische Bezugspunkt seines oft experimentierenden Denkens wird durch die „unbekannte heilige Welt“ bestimmt, die hinter den Erscheinungen steht und auf die hin alle empirische Wirklichkeit „romantisiert“ werden soll, er wird ebenso sichtbar in dem Endziel der „neuen goldnen Zeit“, deren Realisierung der Dichter wie der Enzyklopädist, der Staats- wie der Naturphilosoph allen Ernstes anstrebt. So wird die Novalis-Forschung in einer Art Spiralbewegung über die Erkenntnis der „Modernität“ hinaus wieder zu einer neuen und vertieften Bestimmung des spezifisch „Romantischen“ im Werk des Dichters gelangen müssen. Dies wird die Aufgabe sein, die sich nach der historisch-kritischen Edition seiner Schriften stellt. Was für ihn selbst „Romantik“ bedeutete und welches erstaunlich kühl durchdachte, mit Vorliebe durch mathematische Begriffe bezeichnete Denk- und Stilprogramm sich für ihn mit dem Ziel einer Romantisierung der Welt verband, läßt sich vielleicht am deutlichsten am Gegenbild der Trivialromantik fassen, etwa an einem Vergleich mit dem Novalis-Epigonen Otto Heinrich Graf von Loeben, der sich Isidorus Orientalis nannte und 1808 mit seinem Roman „Guido“ den „Ofterdingen“ nachzuahmen und zu vollenden unternahm.

  • Werke

    Blütenstaub, in: Athenaeum, Eine Zs. v. A. W. Schlegel u. F. Schlegel, I, 1, Berlin 1798, S. 70-106;
    Hymnen an d. Nacht, ebd. III, 2, 1800, S. 188-204;
    Blumen/Glauben u. Liebe, in: Jbb. d. Preuß. Monarchie II, Berlin 1798, S. 184 f., 269-86;
    Heinrich v. Ofterdingen, Ein nachgelassener Roman v. Novalis, 1802;
    Schrr., hrsg. v. F. Schlegel u. L. Tieck, T. I-II, 1802, ²1805, ³1815 (mit Biographie v. L. Tieck), ⁴1826, ⁵1837, III, hrsg. v. L. Tieck u. E. v. Bülow, 1846;
    F. v. H., Eine Nachlese a. d. Qu. d. Fam.archivs, 1873;
    ²1883;
    Schrr., hrsg. v. E. Heilborn, I-II, 1-2, 1901;
    Schrr., hrsg. v. J. Minor, I-IV, 1907;
    Schrr., im Verein mit R. Samuel hrsg. v. P. Kluckhohn, I-IV, 1929;
    Fragmente, hrsg. v. E. Kamnilzer, 1929;
    Briefe u. Werke, hrsg. v. E. Wasmuth, I-III, 1943, ²I-IV, 1953-57;
    F. Schlegel u. Novalis, Biogr. e. Romantikerfreundschaft in ihren Briefen, hrsg. v. M. Preitz, 1957;
    Schrr., hrsg. v. P. Kluckhohn u. R. Samuel, ²I, unter Mitarb, v. H. Ritter u. Gerh. Schulz, 1960, ²II, in Zusammenarbeit mit H.-J. Mähl u. G. Schulz, 1965 (wird fortges.). - Zu B Karl: Die Pilgrimschaft nach Eleusis, 1804;
    Dichtergarten, 1807 (enthält auch Gedichte u. Märchen d. B Georg Anton).

  • Literatur

    ADB X;
    A. C. Just, in: F. Schlichtegrolls Nekrolog d. Teutschen f. d. 19. Jh. IV, 1805, S. 187-261;
    W. Dilthey, in: Preuß. Jbb. 15, 1865, S. 596-650, = Das Erlebnis u. d. Dichtung, 1905, 131957, S. 170|-220;
    A. Schubart, N.s Leben, Dichten u. Denken, 1887;
    E. Heilborn, N., der Romantiker, 1901;
    E. Spenlé, N., Essai sur l'idéalisme romantique en Allemagne, Paris 1904;
    W. Olshausen, F. v. H.s Beziehungen z. Naturwiss. s. Zeit, Diss. Leipzig 1905;
    H. Simon, Der magische Idealismus, Stud. z. Philos. d. N., 1906;
    E. Havenstein, F. v. H.s ästhet. Anschauungen, 1909;
    J. R. Thierstein, N. u. d. Pietismus, Diss. Bern 1910;
    J. F. Haussmann, German Estimates of N. 1800–50, in: Modern Philol. 9, Chicago 1911/12, S. 399-415;
    O. Walzet, Die Formkunst v. H.s Heinrich v. Ofterdingen, in: German.-Roman. Mschr. 7, 1915-19, S. 403-44, 465-79;
    L. Kleeberg, Stud. zu N. (N. u. Eckartshausen), in: Euphorion 23, 1921, S. 603-39;
    W. Feilchenfeld, Der Einfluß Jacob Böhmes auf N., 1922;
    R. Unger, Herder, N. u. Kleist, 1922;
    K. J. Obenauer, Hölderlin/N., Ges. Stud., 1925;
    R. Samuel, Die poet. Staats- u. Gesch.auffassung F. v. H.s, 1925;
    ders., Der berufl. Werdegang F. v. H.s, in: Romantik-Forschungen, 1929, S. 85-112;
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  • Porträts

    Ölgem. v. unbek. Hand (ehemals Oberwiederstedt, heute Hettstedt, Städt. Mus.), danach Stich v. E. Eichens, 1845 (vielfach reproduziert, u. a. b. Rave u. in: Gr. Deutsche im Bild, 1937), das Originalbild liegt in einem seltenen Druck v. 1923 vor, Abb. b. W. A. Koch, Briefe dt. Romantiker, 1938.

  • Autor/in

    Hans-Joachim Mähl
  • Zitierweise

    Mähl, Hans Joachim, "Novalis" in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 652-658 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588893.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Hardenberg: Friedrich Leopold v. H., genannt Novalis, war am 2. Mai 1772 auf dem Familiengute Oberwiederstedt im Wipperthale im Mansfeldischen geboren als Sohn des Freiherrn Heinrich Ulrich Erasmus v. H. und der Frau Bernhardine geb. v. Bölzig, mit welcher jener, nachdem er am 22. Mai 1769 seine erste Frau, eine geb. v. Oldershausen, während einer Blatternepidemie verloren, am 1. Juli 1770 sich vermählt hatte. H., von 11 Kindern das zweitälteste, entwickelte sich in seinen ersten Lebensjahren sehr langsam, sodaß er nicht nur von seiner älteren Schwester Caroline, sondern auch von seinem um zwei Jahre jüngeren Bruder Erasmus überholt wurde. Erst nach einer schweren Krankheit, von welcher er im neunten Jahre befallen wurde, schien der Bann gebrochen zu sein, welcher auf seinem Geiste gelegen hatte, und von nun an lernte er mit ebensoviel Leichtigkeit und Erfolg als Eifer. Zugleich fand in der freien ländlichen und alterthümlichen Umgebung des Vaterhauses, welches neben einem, allerdings jetzt als Scheune benutzten, alten Klostergebäude stand, sein reges Phantasieleben die förderlichste Anregung. Ganz besonders liebte er Märchen, die er nicht allein gerne las und sich erzählen ließ, sondern auch im Spiele mit seinen Geschwistern selbst mit vielem Geschick zu erfinden und zu erzählen wußte. Für die ernsteren Aufgaben des Unterrichts hatte er an einem jungen Theologen, Christian Schmid, der ihm später in Jena als Professor und Kirchenrath wieder begegnete, einen treuen, liebevollen und kundigen Führer, welcher des „aufgeweckten, selbstthätigen, originellen, geistvollen Knaben“ sich freute. Obwol der Vater seine Familie von jedem zerstreuenden geselligen Verkehr mit grundsätzlicher Strenge fernhielt, so fehlte es doch auch nicht an Gelegenheiten, bei welchen dem aufgeweckten Knaben ein Ausblick auf das große Welttheater sich eröffnete. So geschah es namentlich, wenn ein Oheim von mütterlicher Seite, der als preußischer Officier den siebenjährigen Krieg mitgemacht hatte, oder der ältere Bruder des Vaters, der Landcomthur zu Lucklum im Braunschweigischen, Friedrich Wilhelm v. Hardenberg, zum Besuche kam, welcher Letztere, bedeutend älter als Erasmus, auch diesem mit fast väterlicher Autorität gegenüber stand. Leider wollte sich nur zwischen dem biderben, aber strengen, ja rauhen Wesen des Vaters und der hingebenden Sanftmuth der|Mutter die rechte harmonische Ausgleichung noch nicht finden. Jener hatte allerdings seit dem Tode seiner ersten Frau einer ernsten religiösen Richtung sich hingegeben, durch welche er auch zu der Brüdergemeinde in eine nähere Beziehung gebracht worden war, zunächst aber bethätigte sie sich noch nicht in evangelischer Milde, sondern vorzugsweise in gesetzlicher Strenge; und während die Schwester Caroline in die Weise des Vaters sich zu finden wußte, schlossen die Brüder lieber an die sanfte Mutter sich an. Auch H. konnte in einem späteren Briefe aus eigenster Erfahrung bestätigen, was so manche bedeutende Männer erlebt haben: „Wem danken alle Männer beinah, die etwas Großes für die Menschheit wagten, ihre Kräfte? Keinem als ihren Müttern! Du trugst beinah alles zur Entwickelung meiner Kräfte bei, und alles, was ich einst Gutes thue und wage, ist dein Werk und der schönste Dank, den ich dir bringen kann.“ Insbesondere scheint es, als ob die von dem Vater werth gehaltene und auch von der Mutter gepflegte eigenthümliche Form christlicher Frömmigkeit auf den lebhaften und selbständigen Geist des im Grunde seines Herzens frommen Knaben mehr abstoßend als gewinnend gewirkt habe. Man darf es daher wol als ein Glück für ihn ansehen, daß der Plan, ihn zur Vollendung seines Religionsunterrichtes dem Prediger der Brüdergemeinde zu Neudietendorf zu übergeben, nicht zur Ausführung kam, sondern daß sein Oheim ihn einlud, auf längere Zeit zu ihm nach Lucklum zu kommen. Hier fand sein Geist namentlich auch in einer reichen und ausgewählten Bibliothek reiche Nahrung, in einem lebendigen und auf vornehmem Fuße sich bewegenden geselligen Verkehr die mannigfaltigste Anregung. Indeß hielt es der Oheim, damit des Guten nicht zuviel geschehe, doch für gerathen, ihn nach Jahresfrist in die einfacheren Verhältnisse des väterlichen Hauses zu Wiederstedt zurückkehren zu lassen, und er schrieb bald darauf an seinen Bruder: „Es ist mir lieb, daß sich H. wieder findet und ins Gleis kömmt, aus welchem ich ihn gewiß nicht wieder herausnehmen will. Mein Haus ist für seinen jungen Kopf zu hoch gespannt, er wird zu sehr verwöhnt, und ich sehe zu viel fremde Leute und kann nicht verhindern, daß an meinem Tische viel gesprochen wird, was ihm nicht dienlich und heilsam ist.“ Um dieselbe Zeit trat der Vater in kursächsische Dienste als Director der Salinen Artern, Kösen und Dürrenberg und kaufte 1787 in Weißenfels Haus und Garten, um von hier aus seine Berufsgeschäfte wie die Verwaltung seiner beiden Güter bequemer besorgen zu können. Nachdem H. noch ein Jahr lang unter der Leitung des trefflichen Directors Jani das Gymnasium zu Eisleben besucht hatte, bezog er im Herbste 1790 die Universität Jena. Mit lebhaftem Interesse und regem Eifer folgte er den Vorträgen Reinhold's, welche ihn in die kritische Philosophie einführten, vor Allem aber machte der vor zwei Jahren als außerordentlicher Professor der Geschichte nach Jena berufene Schiller durch sein Wort wie durch sein ganzes Wesen auf das reine, empfängliche und dem Idealen zugewandte Gemüth des Jünglings einen tiefen Eindruck, von welchem zwei uns erhaltene Briefe Hardenberg's an den Dichter (vom 11. September und vom 7. October 1791) uns ein schönes Zeugniß geben. Am 11. September, kurz vor seinem Abgange von Jena, schreibt er: „Offenherzig war Ihre persönliche Bekanntschaft und Ihr freundschaftlicher Umgang auch das Einzige, was ich höchst ungern in Jena verlasse und was ich in Leipzig nicht aufhören werde zu vermissen. Ein Wort von Ihnen wirkte mehr auf mich als die wiederholte Ermahnung und Belehrung Anderer. — — Und selbst dies abgerechnet, so wäre Ihr freundschaftliches Herz, Ihre ganze Individualität, der ich so nah mich wußte, genug gewesen, um Jena mir angenehm und unvergeßlich zu machen. Und doch werde ich Alles leichter ertragen, wenn mich nur das Bewußtsein begleitet, daß ich Ihnen ein Bischen lieb bleibe, und daß ich, wenn ich Sie wiedersehe, noch immer die alte Stelle|in Ihrem Herzen finde. — — Ihnen größtentheils werde ich es zuschreiben, wenn diesen Winter mein eifrigster Wille meine Kräfte unterstützt, um die gefährlichste Klippe eines jungen, lebendigen Kopfes, die sauern anhaltenden Vorarbeiten zu einem künftigen bestimmten Beruf, glücklich zu übersteigen; denn Sie machten mich auf den mehr als alltägigen Zweck aufmerksam, den ein gesunder Kopf sich hier wählen könne und müsse, und gaben mir damit den letzten entscheidenden Stoß, der wenigstens meinen Willen sogleich fest bestimmte und meiner herumirrenden Thätigkeit eine zu allen meinen Verhältnissen leicht bezogene und passende Richtung gab. Ich kann Ihnen zwar nicht verhehlen, daß ich stets glaube, daß meine Neigung zu den süßen Künsten der Musen nie erlöschen und meine liebe, freundliche Begleiterin durchs Leben sein wird, — — aber dem ungeachtet hoffe ich, — — der Vernunft, meinem gefaßten Vorsatz und dem mir am fernen Ziel winkenden Genius der höheren Pflicht treu zu bleiben und dem Rufe des Schicksals gehorsam zu sein, das aus meinen Verhältnissen unverkennbar deutlich zu mir spricht. Aber zuseufzen werde ich Ihnen doch noch zuweilen: ora pro nobis.“ Es ergibt sich hieraus, daß Schiller die Bitte erfüllt hatte, welche Professor Schmid am 1. Juli 1791 im Auftrage des Vaters an ihn gerichtet hatte, er möge „das unbedingte Zutrauen, das dieser junge Mensch einem so würdigen Manne gewidmet habe, durch eine gelegentliche und gleichsam ungefähre Unterredung, die ihm sein Rechtsstudium und die ernste Vorbereitung zum künftigen Geschäftsleben wichtig und interessant machte, zu seinem eigenen Besten und zur Beförderung des Wohls seiner Familie, die in ihm eine Stütze erwarte, nach seiner besten Ueberzeugung benutzen.“ Und Schiller war ja ganz der Mann, um aus eigner Erfahrung zu bestätigen, von wie großem Werth es sei, bei aller Begeisterung für Philosophie und Kunst den festen Boden eines bestimmten praktischen Lebensberufes unter den Füßen zu haben. Im Herbst 1791 bezog H. mit seinem Bruder Erasmus, welcher damals von Schulpforta abgegangen war, die Universität Leipzig und wurde hier am 24. October inscribirt. In der That ließ er sich jetzt das Studium seiner juristischen Fachwissenschaft und das der Mathematik besonders angelegen sein. Daß sein Interesse für die Philosophie damals auch durch den Verkehr mit Fichte und Schelling lebendig erhalten worden sei, ist ein Irrthum, welcher Just's biographischer Skizze von vielen nachgeschrieben worden ist. Fichte hatte Leipzig bereits im April 1791 verlassen, Schelling kam erst um Ostern 1796 dorthin. Wohl aber that ihm jenen Dienst in ausgiebigster Weise Friedrich Schlegel, welcher am 19. Mai 1791 in Leipzig inscribirt worden war, und mit welchem H. in ein Freundschaftsbündniß eintrat, welches erst sein Tod löste. Ostern 1793 begab er sich zur Vollendung seiner akademischen Studien nach Wittenberg. Während seines ganzen Universitätslebens war er weder ein Schwärmer, noch ein Grübler, sondern ein für die Wissenschaft begeisterter und dabei fleißiger Student, der auch an den geselligen Freuden des akademischen Lebens mit jugendlicher Frische theilnahm. In Leipzig war durch eine leidenschaftliche, aber unerwidert gebliebene Neigung zu einem jungen Mädchen sein Fleiß eine Zeit lang unterbrochen und er zu dem Entschluß, die militärische Laufbahn zu ergreifen, getrieben worden, welchen er seinem Vater mit höchst weisen Gründen, aber glücklicherweise ohne Erfolg zu empfehlen suchte. Von Wittenberg aus hatte er sich zu rechtfertigen, weil er mehr Geld als nothwendig ausgegeben zu haben schien. Gleichzeitig aber gab er seinem Bruder Erasmus, der hypochondrischer Natur, allerdings aber auch tiefer krank war, als Eltern und Geschwister glauben wollten, sehr verständige, ja fast altväterliche Ermahnungen, die er aus der Kant-Fichte’schen Moralphilosophie geschöpft hatte und in den Satz zusammenfaßte: „Reine Willenskraft, ohne alles Gewicht von raffinirten Gefühlen, ist das, wodurch wir|einzig leben und handeln können. Sie ist das Element des Mannes, der ohne sie kein Mann ist. Sie ist es, durch die wir gesund sind und werden.“ Nachdem er im Sommer 1794 in Wittenberg sein Examen mit Ehren bestanden hatte, zeigte sich der damalige preußische Minister und nachherige Staatskanzler Hardenberg bereit, ihm im preußischen Staatsdienste eine Anstellung zu verschaffen. Allein dem ernsten und sittenstrengen Vater schien das Haus des leichtlebigeren Vetters für einen jungen Mann doch eine zu gefährliche Atmosphäre zu enthalten, und er zog es daher vor, ihn dem ehrenfesten Kreisamtmann Just in Tennstädt bei Langensalza zu übergeben, damit er dort in der juristischen und administrativen Praxis sich versuche. Just berichtet von ihm: „Ich sollte sein Lehrer und Führer werden; aber er ward mein Lehrer. Nicht nur, daß ich selbst in denjenigen Fächern, wo ich vielleicht durch Erfahrung und Uebung ihn an Kenntnissen übertraf, alle meine Kraft aufbieten mußte, um seinem Forschungsgeiste, der sich mit dem Gemeinen, Bekannten, Alltäglichen nicht begnügte, sondern das Feine, das Tiefe, das Verborgene überall aufsuchte, einige Genüge zu leisten; sondern auch hauptsächlich, daß er mich mit sich fortriß, mich von den Fesseln der Einseitigkeit und Pedanterie, in die ein vieljähriger Geschäftsmann so leicht eingeschmiedet wird, befreite, mich zu vielseitiger Ansicht desselben Gegenstandes durch sein Sprechen und Schreiben nöthigte, mich zu den Idealen, die seinem Geiste immer vorschwebten, soweit es meine Schwerfälligkeit erlaubte, erhob, und den fast entschlummerten ästhetischen Sinn in mir erweckte. Wer würde es aber vermuthet haben, daß dieser junge Mann, um sich zu einem Geschäftsmann zu bilden, die Mühe nicht scheute, dieselbe Arbeit zwei-, dreimal ganz umzuschaffen, bis sie so erschien, als sie, nach meiner Meinung, sein sollte? Daß er sich ganze Seiten von gleichbedeutenden oder abweichenden Wörtern auszeichnete, um die Abwechselung und Präcision des Ausdrucks bei Geschäftsaufsätzen in seine Gewalt zu bekommen? Daß er die gemeinsten Geschäfte des Praktikers mit eben dem Fleiß bearbeitete als diejenigen, die ganz eigens für seinen Geist berechnet waren? Aber er wollte das, was er sein wollte, nicht halb, sondern ganz sein. Nichts trieb er oberflächlich, sondern alles gründlich.“ Man sieht, es war ihm mit seinem praktischen Lebensberufe ernst, und wenn er auch nicht unterließ, mit der Philosophie und der schönen Litteratur sich in lebendiger Fühlung zu erhalten, so deutete doch nichts darauf hin, daß er selbst als Dichter einmal mit Ehren werde genannt werden. Denn auch an den poetischen Kleinigkeiten, wie er sie bis dahin gelegentlich verfaßt hatte, ist etwa nur die anspruchslose Leichtigkeit des Gedankenflusses und die diesem wie von selbst sich anschmiegende anmuthige Form bemerkenswerth. Erst durch eine tiefe Herzensneigung, und zwar nicht durch das Glück, sondern durch das bitterste Leid der Liebe, wurde der in ihm verborgene Quell der Dichtung erschlossen.

    Am 17. Novbr. 1794 kam H. mit Just auf einer Geschäftsreise nach Grüningen, einem kaum mehr als eine Meile von Tennstedt entfernten Gut, auf welchem ein Herr v. Roggenthin im glücklichsten Familienleben wohnte, dessen Frau man nur „die Mutter mit den schönen Kindern“ nannte. Eine Tochter aus ihrer früheren Ehe, Sophie v. Kühn, war am 17. März 1783 geboren, stand also erst am Schlusse ihres zwölften Jahres; aber aus dem Kinde blühte bereits die Jungfrau so anmuthig hervor, daß H. bei dieser ersten Begegnung einen für sein Leben entscheidenden Eindruck empfing. Wie über sein eignes Wesen, so hat sich auch über das Sophiens vielfach eine unrichtige Vorstellung festgesetzt. Zu nicht geringem Theile hat dies Tieck, welcher sie übrigens selbst niemals gesehen hat, dadurch verschuldet, daß er sie mit jenen Kindergestalten zusammengestellt hat, „bei deren verklärten und fast durchsichtigen Angesichtern uns die Furcht befällt, daß sie zu zart und feingewebt für dieses Leben sind, daß es der Tod oder die|Unsterblichkeit ist, die uns so bedeutend aus den glänzenden Augen anschaut, und deren schnelles Hinwelken nur zu oft unsere ahnende Furcht zur Wahrheit macht.“ Aus Briefen des Vaters und aus Aufzeichnungen von H. selbst gewinnen wir ein anderes Bild. Darnach war in Sophien mit der ahnungsvollen Tiefe des reichen Herzens eine unbefangene Frische, ja neckische Heiterkeit und zugleich eine seltene Entschiedenheit und Energie des Willens zur anmuthigsten Gesammterscheinung harmonisch verbunden. Darin aber hat Tieck recht, daß für H. unter häufig wiederholten Besuchen zu Grüningen im Frühling und Sommer 1795 die Blüthezeit seines Lebens aufgegangen ist. Am 15. März 1796 verlobte er sich unter Zustimmung seines Vaters mit der Geliebten, nachdem er bereits im Februar desselben Jahres nach Weißenfels übergesiedelt war, um hier bei der Salinendirection zu prakticiren und sich so die Möglichkeit zur Gründung eines eigenen Hausstandes zu verschaffen. Aber schon im darauffolgenden Sommer wurde er durch die Kunde erschreckt, daß Sophie sich in Jena befinde, um sich einer in Folge eines Leberleidens nöthig gewordenen Operation zu unterziehen. Von der liebevollsten Pflege ihrer Angehörigen unterstützt, zu welcher auch die herzliche Theilnahme Goethe's sich gesellte, überstand sie dieselbe mit bewunderungswürdigem Muthe und rührender Geduld. Als aber noch eine zweite Operation nöthig geworden war, reichten ihre Kräfte zur Erholung und Wiedergenesung nicht mehr aus. Nach ihrer Rückkehr in das elterliche Haus wurde sie schwächer und schwächer und verschied am 19. März 1797 zwei Tage nach ihrem 14. Geburtstage. Der Tod der Geliebten brachte in Hardenberg's Wesen eine ungeheure Umwandlung hervor, gegen welche selbst der Eindruck des vier Wochen später erfolgten Todes seines geliebten Bruders Erasmus zurücktrat. Er bedient sich in seinen Aufzeichnungen von nun an einer neuen Zeitrechnung, welche von Sophiens Todestag an datirt. Im Vertrauen auf Fichte's Lehre von der alles vermögenden Kraft eines seiner selbst sich bewußten energischen Willens glaubte er sich zwingen zu können, der Geliebten nachzusterben. Sein junges Leben widersteht diesem selbstmörderischen Versuche, aber aus seinem tief verwundeten Herzen quellen nun Dichtungen hervor von einer von ihm selbst bis dahin nicht geahnten Tiefe des Inhaltes und von vollendetster Form. Die sechs „Hymnen an die Nacht", welche im J. 1800 in dem von den Brüdern Schlegel herausgegebenen Athenäum veröffentlicht wurden, sind recht eigentlich Passionsblumen, auf dem Grabe der Geliebten entsprossen. Sie zeigen wie der Schwerpunkt seines Lebens aus der Gegenwart in die Vergangenheit und Zukunft, aus dem Diesseits in das Jenseits, aus der Zeit in die Ewigkeit hinüber gerückt ist. Aber wie die Form dieser Dichtungen gegen Ende hin allmählich aus der ungebundenen Rede in die gebundene übergeht, so vollzieht sich auch in ihrem Inhalte der Uebergang von dem allgemeinen „Ich habe Lust nun abzuscheiden" zu dem bestimmten „Und bei Christo zu sein“ und damit zugleich der Uebergang zu den „Geistlichen Liedern“. Diese preisen den Erlöser, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen an das Licht gebracht hat, als den wahren Quell des Trostes für alle trostbedürftigen Gemüther, und zwar in einer Weise, welche sich weder aus dem theoretischen und ästhetischen Interesse der romantischen Freunde Hardenberg's an Religion, Christenthum und Kirche, noch etwa aus einer von Schleiermacher's Reden über die Religion ausgegangenen Anregung, sondern nur daraus erklärt, daß die Eindrücke einer frommen Kindheit durch schmerzliche äußere und erhebende innere persönliche Lebenserfahrung dem Dichter wieder lebendig geworden sind. H. selbst hat nur sieben geistliche Lieder dem Druck übergeben, und es sind diese erst nach seinem Tode in A. W. Schlegel's und Tieck's Musenalmanach von 1802 erschienen. In der in demselben Jahre von Tieck und F. Schlegel herausgegebenen Sammlung von Novalis' Schriften|sind sie auf 15 vermehrt, indem mit ihnen ungeschickter Weise solche Lieder verbunden sind, welche in dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ eine Stelle finden sollten und nicht als ein Ausdruck der eignen Gesinnung des Dichters benutzt werden dürfen, um diesem etwa eine romanisirende Tendenz beizulegen. Wiewol der stete Gedanke an die verklärte Geliebte es ihm nahe legt, unter den Gestalten der seligen Ewigkeit vor anderen die heilige Jungfrau hervortreten zu lassen, so ist doch unter den seinem Herzen unmittelbar entquollenen Liedern nur in der fünften Hymne ihrer ausführlicher gedacht; im zehnten geistlichen Liede wird nur in einem ganz flüchtigen Zuge an sie erinnert. Dagegen liegt die wahrhaft epochemachende Bedeutung der geistlichen Lieder Hardenberg's gerade darin, daß er, wie es nachher Schleiermacher in seiner Theologie gethan hat, die Person des Erlösers, die Thatsachen seiner Geburt, seines Todes und seiner Auferstehung als den eigentlichen Mittelpunkt des Glaubens darstellt und zwar in einer so innigen und zugleich so schlichten Weise, daß, abgesehen von der mystischen Ueberschwänglichkeit des Pfingstliedes und des darauf folgenden, welches das Geheimniß des Abendmahles feiern soll, ein einfacher evangelischer Sinn ihre Gedanken ungestört sich aneignen kann. Allerdings stand H. in dieser Zeit mit den Häuptern und Führern der sogenannten romantischen Schule im lebhaftesten litterarischen und persönlichen Verkehr. Im J. 1796 hatte sich A. W. Schlegel und bald nach ihm sein Bruder Friedrich in Jena niedergelassen; 1798 wurde der 23jährige Schelling als Professor dahin berufen, und 1799 siedelte auch Tieck sich dort an. Wenn neben Fichte Schelling als Philosoph der Schule gelten konnte und sie in den beiden Schlegeln ihre Kritiker besaß, so waren Tieck und H. ihre hervorragendsten Dichter, und zwar der letztere nach Tiefe der Anlage und Ernst der Gesinnung ohne Frage der bedeutendste. An der einseitigen Verherrlichung der mittelalterlichen Kirche, in welcher die Romantiker im Gegensatze gegen die herrschende Ansicht von der absoluten Finsterniß des Mittelalters und von der Vortrefflichkeit der aufgeklärten Neuzeit sich gefielen, hat auch H. in seinem 1799 geschriebenen Aufsatze „Die Christenheit oder Europa“ sich betheiligt. Aber eben weil es ihm nicht recht von Herzen ging, hat er sich in Uebertreibungen verstiegen, um derenwillen selbst seine Freunde dieser Schrift das Imprimatur verweigern zu müssen glaubten. Erst in der 4. Auflage von Novalis' Schriften (I, S. 187—208) ist sie ohne Tieck's Vorwissen von F. Schlegel veröffentlicht und dadurch der Verdacht genährt worden, als sei H., wie sein Bruder Karl, „ein begeisterter junger Mann, dem aber das Genie wie die gemäßigte Kraft des gestorbenen Bruders nicht zu Theil geworden“, zur römischen Kirche übergetreten, ein Verdacht, welcher durch Tieck's Vorrede zur 5. Auflage und namentlich durch die oben angeführte, von einem Mitgliede der Familie verfaßte anonyme Biographie (S. 199—212) eine gründliche Widerlegung gefunden hat. Immerhin ist jene Abhandlung als ein Zeichen ihrer Zeit interessant, und es ist darum zu bedauern, daß sie Tieck in die 5. Auflage nicht wieder aufgenommen hat. Ein erfreulicheres Erzeugniß der von den romantischen Freunden empfangenen Anregung ist der Roman „Heinrich von Ofterdingen“, welcher leider Fragment geblieben ist, wol auch um der allzu weitschichtigen Anlage willen Fragment bleiben mußte. Nach dem Vorbilde von Goethe's Wilhelm Meister und im glücklichen Wetteifer mit des Meisters anmuthiger und durchsichtiger Prosa sollte dieser Roman seinen Helden durch die gesammte kleine und große Welt hindurch führen und endlich jeder Gegensatz verklärt und alles einzelne zur allgemeinen Weihe geführt werden durch die mit Kunst und Poesie verbündete Religion, personificirt in der verklärten Gestalt Sophiens.

    Nehmen wir nach diesen Bemerkungen über Hardenberg's schriftstellerische Thätigkeit den Faden seines äußeren Lebens wieder aus, so finden wir|den Trost- und Erholungsbedürftigen nach Sophiens Tode zuerst wieder zu Tennstädt bei Freund Just, dann während des folgenden Sommers und Herbstes abwechselnd im elterlichen Hause, auf den Salinen und bei seinen Freunden. Im Winter begab er sich nach Freiberg, um unter der Leitung des berühmten Geologen und Geognosten Werner das Bergfach weiter zu studieren. Auch den Ertrag dieser Studien für das Verständniß des geheimnißvollen Naturlebens und seinen Zusammenhang mit dem Leben des Geistes hat er in einem Roman, „Die Lehrlinge von Sais“, niederzulegen unternommen, der gleichfalls unvollendet geblieben ist. Zugleich eröffnete sich ihm in Freiberg, namentlich in dem Hause des Berghauptmanns von Charpentier, ein anregender und wohlthuender geselliger Verkehr, und obwol „Sophie ewig die Priesterin seines Herzens blieb“, so faßte er doch zu der Tochter dieses Hauses eine ernste Neigung, ähnlich wie einst Dante's ideale Liebe zu Beatrice Portinari seine Ehe mit Gemma dei Donati nicht gehindert oder gestört hatte. Aber schon im Sommer 1798 mußte er seiner geschwächten Gesundheit wegen die Heilquellen von Teplitz aufsuchen. Im Winter 1799 auf 1800 konnte er auf der Saline zu Artern praktisch arbeiten und des Umganges mit zwei Männern von edler Gesinnung und umfassender Bildung, dem Major v. Funk und dem Rittmeister Thilemann, sich erfreuen. Nachdem er im Frühling 1800 sich mit Julie v. Charpentier verlobt hatte, eröffnete sich ihm die erfreuliche Aussicht, als Amtshauptmann in Thüringen angestellt zu werden und dann einen eigenen Haushalt gründen zu können. Um diese Angelegenheit persönlich zu betreiben, begab er sich nach Dresden, hatte auch bereits die Ausfertigung seines Anstellungsdecretes erlangt, als ein heftiger Bluthusten ihn nöthigte, vorerst in Dresden seine Genesung abzuwarten. Auf die erschütternde Nachricht aber, daß am 28. October 1800 ein 14jähriger Bruder von ihm in der Saale bei Weißenfels ertrunken sei, überfiel ihn ein Blutsturz, und erst am 26. Januar des folgenden Jahres konnte ihn der Vater von Dresden nach Weißenfels zurück geleiten, in einem Zustande, welcher nur dem Kranken selbst die Hoffnung auf seine Wiedergenesung nicht benahm. Aber nicht diese unsichere Hoffnung allein gab ihm den Frieden der Seele, welcher ihm die Lust am Arbeiten, auch an ernster Berufsarbeit bewahrte. Im Februar schrieb er an seinen Freund Just: „Mein Vater holte mich von Dresden ab. Ich bedurfte der Ruhe und Julie auch, die mit hierher reiste und bei mir bleibt. Ich habe in Dresden viel lehrreiche Erfahrungen gemacht. Mit dem Schreiben gehts noch schlecht, aber Lesen, Denken und Theilnehmen kann ich wieder etwas. Die Religion ist der große Lichtpunkt in uns, der selten getrübt wird; ohne sie wäre ich unglücklich!“ Es war ein merkwürdiges Verhältniß, daß er mit seinem eigenen Vater, welchem doch auch dieser Lichtpunkt aufgegangen war, darüber sich nicht unterhalten konnte. Kurz nach dem Tode seines Sohnes hörte der Vater in Herrnhut das Lied singen: „Was wär' ich ohne dich gewesen“, und auf seine Frage, von wem dieses wunderschöne Lied sei, erfuhr er jetzt erst zu seiner tiefen Erschütterung, daß sein eigener Sohn es verfaßt habe! Am 21. März 1801 empfing H. zu seiner großen Freude den Besuch von Fr. Schlegel und sagte noch am 24. zu ihm; „Vieles habe ich erst jetzt im rechten Lichte gesehen, und wenn ich erst wieder gesund bin, dann will ich erst recht schaffen!“ Am folgenden Tage waren Schlegel und sein Bruder Karl bei ihm, und während dieser ihm auf seinen Wunsch etwas auf dem Clavier vorspielte, schlummerte er sanft in das ersehnte Jenseits hinüber, am 2. Mai würde er sein 29. Jahr vollendet haben. Zur Feier seines hundertjährigen Geburtstages ist ihm 1872 auf dem Kirchhofe zu Weißenfels ein Denkmal gesetzt worden.

    Es ist nicht zu verwundern, daß ein Schriftsteller, welchem nur ein so kurzes Leben gegönnt war und dessen schriftstellerische Thätigkeit etwa nur 4 Jahre umfaßte,|das meiste in fragmentarischer Gestalt hinterlassen hat. Wunderbarer ist, daß er in so kurzer Zeit doch Vieles großartig entworfen und gar Manches zu hoher Vollendung gebracht hat. Außer seinen bereits erwähnten Schriften sind noch die poetischen Kleinigkeiten, welche er unter dem Titel „Blumen“ zum Preise des jungen preußischen Königspaares in den „Jahrbüchern der preußischen Monarchie unter der Regierung Friedrich Wilhelm III." veröffentlicht hat, und die ebenda unter dem Titel „Glauben und Liebe“ erschienenen aphoristischen Gedanken zu erwähnen (Jahrgang 1798, 2. Band, S. 184 und 185 und S. 269—86), welchen sich die unter dem Titel „Blüthenstaub“ im Athenäum von A. W. und Fr. Schlegel (1. Band, Braunschweig 1798, S. 70—106) veröffentlichten Fragmente an die Seite stellen. Diese Fragmente, welche jetzt mit anderen, aus seinem Nachlasse entlehnten, in den gesammelten Schriften in großer Zahl und ziemlich bunter Ordnung beieinander stehen, sind von seinen Freunden als Orakelsprüche einer höheren Weisheit gepriesen, von Anderen als Träumereien eines kranken Gehirns verurtheilt worden. Sie stellen allerdings das innere Leben eines reichen Geistes noch in seinem durch einen frühen Tod unterbrochenen Gährungsprocesse dar. Aber in neuester Zeit haben gründliche und besonnene Philosophen, wie Dilthey und Haym, es für der Mühe werth gehalten, sie in ihrem wahren Werthe und inneren Zusammenhang darzustellen. So dienen sie zur Bestätigung der Ueberzeugung, daß Novalis der ernsteste, gründlichste, ehrlichste und auch gesundeste Vertreter der romantischen Schule ist. Denn die flüchtige Bemerkung Heine's: „der Rosenschein in den Dichtungen des Novalis ist nicht die Farbe der Gesundheit, sondern der Schwindsucht“ enthält nicht einmal eine halbe Wahrheit, sondern beruht auf einer oberflächlichen Verkennung der ernsten Gedankenarbeit und der bestimmten Zielen entgegen arbeitenden energischen Willenskraft, welche den früh verstorbenen Dichter nicht weniger als die ahnungs- und sehnsuchtsvolle Tiefe des Gemüthes auszeichneten. — Schließlich ist eine Bemerkung über den Schriftstellernamen nöthig, unter welchem zuerst von ihm selbst, dann von seinem Freunde seine Dichtungen und philosophischen Fragmente veröffentlicht worden sind. Daß dieser Name „Novalis“ und nicht „Nóvalis“ auszusprechen ist, geht unzweifelhaft aus dem Gedichte hervor, welches Fr. Schlegel unter der Aufschrift „Herkules Musagetes“ zuerst in den Charakteristiken und Kritiken (Königsberg 1801, I, S. 276) veröffentlicht hat. Da bilden die Worte „früher Novalis, auch dich“ den Schluß eines Pentameters, kommt also das o deutlich in kurzer, das a in langer Silbe vor. In der späteren Redaction des Gedichtes, welche in Fr. Schlegel's sämmtliche Werke aufgenommen ist, ist an die Stelle der Namen von Novalis und Anderen eine poetische Umschreibung getreten. Ueber die Herkunft des Namens ist allerlei vermuthet worden. Am meisten empfahl sich die Vermuthung Haym's, daß der Name nichts sei als eine Uebersetzung des Namens Hardenberg, sofern novalis einen Neubruch, ein zum Acker umgepflügtes Waldland (Hard, Hart = Wald) bezeichnet, bis Gosche im Archiv für Litteraturgeschichte I, 325 ff. aus Wolf's Geschichte des Geschlechtes v. Hardenberg nachwies, „daß im 13. Jahrhundert sich einige dieses Geschlechtes in lateinischen Urkunden nach ihrem Sitze (Großen-) Rode de Novali geschrieben.“ Vgl. Haym a. a. O. S. 325 und S. 909, auch die Biographie des anonymen Familienmitgliedes S. 159. —

    Litteratur: Novalis' Schriften, hrsg. v. Friedrich Schlegel u. Ludwig Tieck, 2 Thle., Berlin 1802, in der Buchhandlung der Realschule; Dieselben, herausgegeben von Ludwig Tieck und Fr. Schlegel, 2. Aufl., 2 Thle., Berlin 1805, in der Realschulbuchhandlung; 3. Aufl., Berlin 1815, in der Realschulbuchhandlung, 4. vermehrte Aufl., Berlin 1826, gedruckt und verlegt bei G. Reimer; 5. Aufl., Berlin, Verlag von G. Reimer 1837; dazu: Novalis Schriften, herausgegeben|von Ludwig Tieck und Ed. v. Bülow, 3. Theil. Mit Novalis' Bildniß, Berlin, Verlag von G. Reimer, 1846. — Gedichte von Novalis, Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer, 1857. — Novalis' Gedichte, herausgegeben von Willibald Beyschlag, 2. Aufl., Leipzig, Böhme & Drescher, 1877. — Vier bisher ungedruckte Jugendgedichte von Novalis hat Hoffmann v. Fallersleben veröffentlicht in: Findlinge, Zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung, 2. Heft, Leipzig 1859, S. 139 u. 140.

    • Literatur

      Just, Ueber das Leben Friedrichs v. Hardenberg (aus Schlichtegroll's Nekrolog wieder abgedruckt in Novalis' Schriften, 3. Theil, S. 3—44). — Tieck in der Vorrede zur zweiten Auflage der Schriften. —
      Gebauer in der Allgemeinen Encyklopädie von Ersch und Gruber, 2. Section, 2. Theil, Leipzig 1828, S. 385—88. —
      Dilthey in den Preußischen Jahrbüchern XV, 1865, S. 590 ff. —
      Koberstein, Grundriß der Geschichte der deutschen Nationallitteratur, 4. Aufl., 3. Bd., Leipzig 1866, S. 2202—5. —
      Haym, Die romantische Schule, Berlin 1870, S. 325—90. —
      Beyschlag, a. a. O. S. 5 bis 36. —
      Friedrich von Hardenberg (genannt Novalis). Eine Nachlese aus den Quellen des Familienarchivs, herausgegeben von einem Mitglied der Familie, Gotha 1873. — G. Baur, Novalis als religiöser Dichter, Leipzig 1877 (an diesen Aufsatz schließt die nachstehende Biographie sich großentheils an). — Die beiden Biographien von Just und Tieck, welche den nachfolgenden zur Grundlage dienten, lassen in Bezug auf die Genauigkeit in einzelnen Daten leider viel zu wünschen übrig und sind nach Novalis' eignen Angaben zu berichtigen und zu ergänzen, wie diese in seinen in den Schriften veröffentlichten Tagebuchblättern und Briefen enthalten sind. Zu den letzteren kommen noch ein Brief, welchen Peters, General Dietrich v. Miltitz, Meißen 1863, S. 30 mittheilt, vier, welche in Holtei's „Briefe an Ludwig Tieck“, Breslau 1864, I, S. 304—12, und mehrere, welche in der Nachlese aus dem Familienarchiv enthalten sind.

  • Autor/in

    G. Baur.
  • Zitierweise

    Baur, G., "Novalis" in: Allgemeine Deutsche Biographie 10 (1879), S. 562-570 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588893.html#adbcontent

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