Grabert, Herbert

Lebensdaten
1901 ‒ 1978
Geburtsort
Lichtenberg bei Berlin
Sterbeort
Tübingen
Beruf/Funktion
Verleger ; Publizist ; Religionswissenschaftler
Konfession
evangelisch, später „gottgläubig“
Normdaten
GND: 105732788 | OGND | VIAF
Namensvarianten

  • Grabert, Emil Friedrich Wilhelm Herbert
  • Backhaus, Hugo C. / Pseudonym nach 1945
  • Grabert, Herbert
  • Grabert, Emil Friedrich Wilhelm Herbert
  • Backhaus, Hugo C. / Pseudonym nach 1945

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Zitierweise

Grabert, Herbert, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd105732788.html [02.10.2025].

CC0

  • Grabert, Emil Friedrich Wilhelm Herbert

    Pseudonym: Hugo C. Backhaus (nach 1945)

    1901 ‒ 1978

    Verleger, Publizist, Religionswissenschaftler

    Der evangelische Theologe Herbert Grabert war in den 1930er Jahren ein publizistisch führender Vertreter einer völkisch orientierten Religionswissenschaft. 1945 verhaftet und interniert, betätigte er sich seit Anfang der 1950er Jahre als Lobbyist jener Hochschullehrer, die in der Bundesrepublik nicht an eine Universität zurückkehren konnten. Von 1956 bis 1978 leitete er einen Verlag, dessen Schriften die NS-Herrschaftspraxis glorifizierten und die nationalsozialistischen Verbrechen relativierten oder leugneten.

    Lebensdaten

    Geboren am 17. Juli 1901 in Lichtenberg bei Berlin
    Gestorben am 2. August 1978 in Tübingen
    Grabstätte Bergfriedhof (Hauptfriedhof) in Tübingen
    Konfession evangelisch, später „gottgläubig“
  • 17. Juli 1901 - Lichtenberg bei Berlin

    1912 - 1922 - Berlin

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster

    1919 - 1920 - Berlin

    Freikorpskämpfer

    Garde-Kavallerie-Schützen-Division

    1922 - 1926 - Berlin; Tübingen; Marburg an der Lahn

    Studium der Evangelischen Theologie, Psychologie und Psychiatrie

    Universität

    1922 - 1926 - Berlin-Spandau

    Ausbildung zum Turn- und Sportlehrer (Abschluss: Examen)

    Hochschule für Leibesübungen

    1927 - Berlin

    Erstes Theologisches Examen

    1928 - Tübingen

    Promotion (Dr. phil.)

    Universität

    1928 - 1929 - Soest (Westfalen)

    Vikar

    Evangelisches Predigerseminar

    1929 - 1929 - Lübeck

    Religions- und Sportlehrer

    1929 - 1930 - Halle an der Saale

    Hilfsassistent

    Landesanstalt für Vorgeschichte

    1930 - 1931 - Marburg an der Lahn

    Assistent an der Religionskundlichen Sammlung

    Universität

    1930 - 1933 - Gotha

    Lektor; Redakteur

    Die Christliche Welt (Halbmonatsschrift)

    1934 - 1936 - Stuttgart

    Schriftleiter

    Deutscher Glaube. Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung, Weltschau und Frömmigkeit

    Sommersemester 1934 - Tübingen

    Lehrbeauftragter

    Religionswissenschaftliches Seminar der Universität

    1936 - 1939

    Stipendiat

    Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung (Deutsche Forschungsgemeinschaft)

    1938 - 1939 - Halle an der Saale

    Stipendiat

    Alfred-Rosenberg-Stiftung

    1939 - 1940

    Kriegsdienst

    Luftwaffe

    1939 - 1945

    Mitglied

    NSDAP

    1941 - 1943 - München

    Referent

    Luftgaukommando

    1941 - 1945 - Würzburg

    Habilitation für Religionswissenschaft; Dozent

    Universität

    1942 - 1945

    Mitglied

    Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund

    1945 - 1947 - Tübingen

    Verhaftung; Internierung

    30.9.1949 - Tübingen

    Einstufung als „Mitläufer“

    Universitäts-Spruchkammer

    1950 - 1955 - Tübingen

    geschäftsführender Vorsitzender

    Verband der nicht-amtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer

    1956 - 1978 - Tübingen

    Gründer; Leiter

    Verlag der Deutschen Hochschullehrer-Zeitung; seit 1973 Grabert-Verlag

    2. August 1978 - Tübingen

    Grabert erhielt 1922 am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster das Abitur, studierte anschließend bis 1926 Evangelische Theologie, Psychologie und Psychiatrie in Tübingen, Berlin und Marburg an der Lahn und bestand 1927 das Erste Theologische Examen. Sein Mentor und prägender akademischer Lehrer war der völkische Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer (1881‒1962), bei dem er 1928 mit „Eine vergleichende Studie zur Psychologie der Mystiker und Psychopathen“ zum Dr. phil. promoviert wurde. Hauers Forschungen folgend, deutete Grabert in seiner Dissertation die ekstatischen Erlebnisse der Mystiker als genuine Religiosität, die Befunde psychiatrischer Krankheiten hingegen als Pseudoreligiosität.

    Neben seinem Studium ließ sich Grabert an der Hochschule für Leibesübungen in Berlin-Spandau zum Turn- und Sportlehrer ausbilden (Examen 1926). Seit Frühjahr 1928 besuchte er das Evangelische Predigerseminar in Soest (Westfalen), brach 1929 mit der Kirche und strebte danach eine Hochschullaufbahn an. Seinen Lebensunterhalt verdiente er auf Vermittlung des Marburger Theologen Rudolf Otto (1869‒1937) seit 1930 als Mitarbeiter der von Martin Rade (1857–1940) herausgegebenen Halbmonatsschrift „Die Christliche Welt“. Graberts Beiträge bis 1933 bewegten sich in der liberalen Tradition der Zeitschrift.

    1934 schloss sich Grabert der von Hauer geführten Deutschen Glaubensbewegung an, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme auf eine staatliche Anerkennung als nichtchristliche Glaubensgemeinschaft hoffte. Er war bis 1936 Schriftleiter der Zeitschrift „Deutscher Glaube“, ehe v. a. religiöse Differenzen mit Hauer zu einer Neuorientierung führten: Spätestens seit 1937 sah Grabert seine Aufgabe darin, die nun von ihm propagierte „theologiefreie Religionswissenschaft“, die im Nationalsozialismus den „neuen Glauben“ erkennen wollte, der jede Konfession überflüssig mache, in den Dienst des NS-Regimes zu stellen. In der Folgezeit bewegte er sich im Umfeld Alfred Rosenbergs (1893‒1946) und Heinrich Himmlers (1900‒1945), die diese Ansichten förderten, und trat 1939 der NSDAP bei. 1941 habilitierte sich Grabert an der Universität Würzburg für Religionswissenschaft und wirkte hier bis 1945 als Dozent für dieses Fach.

    Im Mai 1945 in Tübingen verhaftet und bis 1947 interniert, wurde Grabert im September 1949 in einem Spruchkammerverfahren als „Mitläufer“ eingestuft, konnte jedoch nicht an die Hochschule zurückkehren. Die soziale Deklassierung und wissenschaftliche Ausgrenzung veranlassten ihn 1950 zur Gründung des Verbands der nichtamtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer, dessen geschäftsführender Vorsitzender er bis Mitte der 1950er Jahre war. In Stellungnahmen und Denkschriften des Verbands sowie in dem Traktat „Hochschullehrer klagen an“ (1952) polemisierte Grabert gegen die Entnazifizierung und „Rachejustiz“ der Alliierten, denen er einen „geistigen Zersetzungskrieg“ gegen das deutsche Volk vorwarf.

    1956 gründete Grabert in Tübingen den Verlag der Deutschen Hochschullehrer-Zeitung, aus dem 1973 der Grabert-Verlag hervorging. Das Unternehmen publizierte u. a. zahlreiche Schriften, die den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes relativierten oder leugneten bzw. dessen Herrschaftspraxis verharmlosten. In seiner unter Pseudonym veröffentlichten Schrift „Volk ohne Führung“ (1955) betonte Grabert die vermeintlichen Vorzüge des NS-Führerstaats und insinuierte, die millionenfachen Opfer des Holocaust entsprächen den „Propagandazielen der Feindmächte“, wofür er 1960 durch den Bundesgerichtshof zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Die „Deutsche Hochschullehrer-Zeitung“ entwickelte sich in diesen Jahren zunehmend von einem Mitteilungsblatt der „Amtsverdrängten“ zu einem Organ, das Themen des rechtsextremen Geschichtsrevisionismus aufgriff und popularisierte.

    Besonderes Aufsehen erregte der Verlag 1961 durch das von Grabert übersetzte und mit Anmerkungen versehene Werk „Der erzwungene Krieg“ des US-amerikanischen Historikers David L. Hoggan (1923‒1988), das bis 1997 zahlreiche Neuauflagen fand. Hoggan sprach Adolf Hitler (1889–1945) darin von jeder Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs frei und skizzierte den britischen Außenminister Edward F. Halifax (1881–1959) als eigentlichen Kriegstreiber. Die Publikation löste eine kontroverse öffentliche Debatte aus und beschäftigte 1964 den Deutschen Bundestag, als Hoggan eine Vortragsreise durch Deutschland unternahm. In der Folgezeit entwickelte sich der Grabert-Verlag zu einem florierenden Unternehmen, dessen Veröffentlichungen die Meinungsbildung im Milieu des rechtsextremen Geschichtsrevisionismus stark beeinflussten.

    1934–1936 Mitglied der Deutschen Glaubensbewegung
    1952 Mitglied der Forschungshilfe e. V.
    1959 Mitglied des Instituts für deutsche Nachkriegsgeschichte
    nach 1945 Mitglied der Schutzgemeinschaft verdrängter Staatsdiener

    Nachlass:

    Privatbesitz.

    Weitere Archivmaterialien:

    Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, R 9 361/II (Parteikorrespondenz); NS 15 (Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP); NS 21 (Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“); R 4901 (Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung); N 1131 (Nachlass Hauer); B 443 (Bundesamt für Verfassungsschutz).

    Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. (Korrespondenz)

    Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 2 Nr. 2644/006. (Spruchkammerakte) (Onlineressource)

    Universitätsarchiv Tübingen. (Personal- und Promotionsakte, Rektoratsakten)

    Universitätsarchiv Halle an der Saale. (Personalakte)

    Universitätsarchiv Würzburg. (Personalakte)

    Monografien:

    Eine vergleichende Studie zur Psychologie der Mystiker und Psychopathen, 1929. (Diss. phil.)

    Die ekstatischen Erlebnisse der Mystiker und Psychopathen. Eine Gegenüberstellung und ein Vergleich, 1929.

    Religiöse Verständigung. Wege zur Begegnung der Religionen bei Nicolaus Cusanus, Schleiermacher, Rudolf Otte und J. W. Hauer, 1932.

    Der protestantische Auftrag des deutschen Volkes. Grundzüge der deutschen Glaubensgeschichte von Luther bis Hauer, 1936, 21936.

    Krise und Aufgabe des völkischen Glaubens, 1937.

    Die völkische Aufgabe der Religionswissenschaft. Eine Zielsetzung, 1938.

    Der Glaube des deutschen Bauerntums. Eine weltanschauungskundliche und glaubensgeschichtliche Untersuchung, 1939.

    Wehrkraft im Zwiespalt. Zur Psychologie der Besiegten, 1952, Nachdr. 1999. (unter dem Pseudonym Hugo C. Backhaus)

    Hochschullehrer klagen an. Von der Demontage deutscher Wissenschaft, 1952, 21953.

    Volk ohne Führung, 1955, 21956, Nachdr. 2005. (unter dem Pseudonym Hugo C. Backhaus)

    Sieger und Besiegte. Der deutsche Nationalismus nach 1945, 1966, 2. erw. Aufl. 1973 u. d. T. Sieger und Besiegte. Die deutsche Nation von den Freiheitskriegen bis zum Abwehrkampf gegen den Kommunismus.

    Volk und Führung. Deutschlands Ringen um Einheit und Bestand, 1977.

    Herausgeberschaften:

    Jugend begegnet sich. Arbeitslager und neuer Lebensraum, 1933.

    Die Kirche im Jahre der deutschen Erhebung. Dokumente zur innerkirchlichen Auseinandersetzung, 1934.

    Mitteilungen für den 131er-Hochschullehrer (1953/54), Hochschullehrer-Zeitung (1954/55), Deutsche Hochschullehrer-Zeitung (1956–1971).

    Friedrich Grimm. Ein Leben für das Recht. Tatsachen und Dokumente zur Erinnerung an das Wirken eines großen Anwalts und Patrioten, 1961.

    Das Geschichtsbuch als Umerzieher. Eine vom Institut für deutsche Nachkriegsgeschichte in Zusammenarbeit mit Geschichtslehrern veranstaltete Untersuchung deutscher Schulbücher, 1966, 21967.

    Monografien:

    Kurt Meier, Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich, 1992, S. 79‒106.

    Ulrich Nanko, Die Deutsche Glaubensbewegung. Eine historische und soziologische Untersuchung, 1993, bes. S. 114‒130 u. 218‒259.

    Horst Junginger, Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft. Das Fach Religionswissenschaft an der Universität Tübingen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reiches, 1999.

    Martin Finkenberger/Horst Junginger (Hg.), Im Dienste der Lügen. Herbert Grabert (1901–1978) und seine Verlage, 2004.

    Aufsätze und Artikel:

    Hermann Graml, David L. Hoggan und die Dokumente, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 14 (1963), S. 492‒514.

    Hermann Graml, Zur Diskussion über die Schuld am Zweiten Weltkrieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 27 (1964), S. 3‒23.

    Ino Arndt/Wolfgang Scheffler, Organisierter Massenmord an Juden im nationalsozialistischen Vernichtungssystem. Ein Beitrag zur Richtigstellung apologetischer Literatur, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 24 (1976), S. 105‒135. (Onlineressource)

    Martin Finkenberger, Herbert Grabert (1901‒1978). Religionswissenschaftler, Revisionist, Rechtsextremist, in: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte, Folge 9 (1999), S. 55‒100.

    Martin Finkenberger, Herbert Grabert und der „deutsche Bauernglaube“ im Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für Volkskunde (2000), S. 51–76.

    Horst Junginger, Herbert Grabert, in: Michael Fahlbusch/Ingo Haar/Alexander Pinwinkler (Hg.), Handbuch der Völkischen Wissenschaften, Bd. 1, 2017, S. 216‒223.

    Alexander Wallusch, Karrierist, Mitläufer, Nationalsozialist? Herbert Graberts Radikalisierung durch die Entnazifizierung, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 78 (2019), S. 327–340.

    Martin Finkenberger, Herbert Grabert (1901–1978). „Voll und ganz auf dem Boden der rassischen Weltanschauung“, in: Gideon Botsch/Christoph Kopke/Karsten Wilke (Hg.), Rechtsextrem. Biografien nach 1945, 2023, S. 149–164.

    Fotografie, 1964, Abbildung in: Der Spiegel v. 13.5.1964, S. 30.

    Fotografie, 1970er Jahre, Abbildung in: Deutschland in Geschichte und Gegenwart. Zeitschrift für historische Wahrheitsforschung 26 (1978), Nr. 3/4. (Cover)

  • Autor/in

    Martin Finkenberger (Bonn)

  • Zitierweise

    Finkenberger, Martin, „Grabert, Herbert“ in: NDB-online, URL: https://www.deutsche-biographie.de/105732788.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA