Lebensdaten
1753 – 1832
Geburtsort
Riga
Sterbeort
Moskau
Beruf/Funktion
Mediziner ; Anatom
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 119008017 | OGND | VIAF: 22941963
Namensvarianten
  • Loder, Justus Christian
  • Loder, Justus Christian von
  • Loder, Justus Christian
  • mehr

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Loder, Justus Christian von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119008017.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann L. (1687-1775), Diakonus a. d. St. Jacobi-Kirche u. Rektor d. Lyzeums in R., Assessor d. Livländ. Oberkonsistoriums (s. Dt.-balt. biogr. Lex., 1970), S d. Ratsbürgers Leonhard in Burgbernheim (Mittelfranken) u. d. Margarethe Halbmayer;
    M Helene, T d. Hofgerichtsadvokaten Kappel in R.;
    1) Göttingen 1778 Wilhelmine Dorothea Victoria (1756–91), T d. Joh. Georg Roederer (1726–63), Prof. d. Geburtshilfe in Göttingen (s. ADB 29), u. d. Elisabeth Clara Wahl, 2) ebd. 1792 Luise (* 1773), T d. August Gottlieb Richter ( 1812), Prof. d. Chirurgie in Göttingen;
    2 S (1 früh †), 2 T (1 früh †) aus 1), u. a. Eduard (1786–1812), ao. Prof. d. Med. in Königsberg, Joh. Helene Antonie ( Christian Ludwig Runde, 1773–1849, Präs. d. Oberappellationsgerichts in Oldenburg, s. ADB 29), 2 T aus 2).

  • Biographie

    I

    Schon vor dem Beginn seines Medizinstudiums in Göttingen (1773) war L. als Schriftsteller und Übersetzer hervorgetreten. Hier nun wurde er in der Anatomie ein Schüler Wrisbergs und in der Chirurgie A. G. Richters. Bei diesem promovierte er 1777, nachdem er während seiner Studienzeit ausländische wissenschaftliche Werke, darunter die „Médecine vétérinaire“ von Louis Vitet, ins Deutsche übertragen hatte. Bereits ein Jahr später berief man ihn als o. Professor der Medizin nach Jena, wo er 25 Jahre lang mit ungewöhnlichem didaktischen Geschick Anatomie, Chirurgie, Geburtshilfe und Gerichtsmedizin lehrte. 1782/83 bildete er sich auf einer Studienreise in Paris u. a. bei Desault, Louis, Portal und Baudelocque weiter, empfing in London Anregungen von den Brüdern Hunter, von Pott und Baillie und besuchte in den Niederlanden Campers und Sandifort. Nach seiner Rückkehr errichtete er in Jena ein neues Anatomisches Theater und gliederte ihm ein anatomisches Museum an, das bereits pathologisch-anatomische Präparate sammelte. Mit Unterstützung der Fakultätskollegen baute er eine medizinischchirurgische Klinik, ein Hospital und ein Entbindungshaus, das auch als Lehranstalt|für Studenten und Hebammen diente und dessen Direktor L. wurde. Daneben war er Stadt- und Amtsphysikus und sachsen-weimar. Leibarzt.

    Trotz der vielseitigen praktischen Tätigkeit verfaßte L. neben seinen großen Werken zahlreiche Dissertationen, deren Themen sämtliche von ihm vertretenen Fächer berührten. In der Chirurgie befaßte er sich des öfteren mit Krankheiten im Bereich von Kopf und Gesicht. Auf Franco zurückgehend, trat er bei der Lippenspalte (Hasenscharte) für die Frühoperation unter Anfrischung der Spaltränder mit dem Skalpell ein. Allein schon die Beschäftigung mit den morphologischen Grundlagen dieser Frage mußte ihn zum idealen Weggenossen Goethes bei dessen Forschung über den Zwischenkiefer machen. Die Starextraktion führte er unter Gaben von Belladonna durch; in den Ohrenkrankheiten faßte er nur andernorts verstreutes Wissen zusammen. Insgesamt aber blieb er innerhalb der Chirurgie den Grundsätzen seines Lehrers Richter treu, die neben die Operationstüchtigkeit das Bemühen stellten, mit Hilfe anatomischer Kenntnisse und der sog. „medizinischen Chirurgie“ größere Eingriffe zu vermeiden. L.s Hauptbedeutung liegt in der Anatomie, und als Anatom ist er in die Medizingeschichte eingegangen. Auch hier ist er weniger durch eigene Forschungen bedeutend als durch seine Fähigkeit, das vielfältige neue Wissen der letzten hundert Jahre in seinem „Anatomischen Handbuch“ (1788, ²1800) und in seinen „Anatomischen Tafeln zur Beförderung der Kenntnisse des menschlichen Körpers“ (2 Bde., 1797–1803) klar und übersichtlich darzustellen und zu ordnen. Die Tafeln boten zudem ein anschauliches Hilfsmittel für den Unterricht. Daneben bewegten ihn Gedanken der vergleichenden Anatomie, was seiner Verständigung mit Goethe zugutekommen mußte.

    1781 hielt L. Goethe ein acht Tage währendes Privatissimum über die Knochen- und Muskellehre, das diesen instandsetzte, wenige Tage später den anatomischen Unterricht an der Weimarer Zeichenakademie zu halten. 1784 erfolgte die Niederschrift über die Entdeckung des Zwischenkieferknochens (von Goethe os intermaxillare, später meist os praemaxillare genannt). L. fertigte noch im selben Jahr eine lat. Übersetzung, die an die bedeutendsten deutschen Anatomen versandt wurde. 1788 weist er, da zunächst nur Philipp Friedrich Meckel überzeugt war, in seinem „Anatomischen Handbuch“ auf Goethes Entdeckung hin, und die entsprechenden Kupfer in seinen „Anatomischen Tafeln“ sind nach Goethes Zeichnungen gefertigt. Nach seiner Italienreise hat sich Goethe von L. in Anatomie ständig weiter unterrichten lassen und häufig an L.s Vorlesungen teilgenommen. Auch bei der Entwicklung seiner Wirbeltheorie des Schädels war ihm L. ein hilfsbereiter Ratgeber. So entstand eine immer engere Freundschaft, L. durfte am Entstehen von Goethes dichterischen Werken teilnehmen und wurde von ihm als ärztlicher Berater bei seinen Aufenthalten in Jena geschätzt. Goethe jedenfalls zählte ihn in seinen „Annalen“ zu seinen nächsten Freunden. Beider Briefwechsel aus den späteren Jahren harrt noch der Edition.

    1803 ging L., unterdessen durch A. v. Humboldt vom Galvanismus überzeugt, als Nachfolger Ph. F. Meckels nach Halle; eine Berufung, die Goethe um des Freundes willen sicher gefördert hat. Auch hier gründete er eine medizinisch-chirurgische und eine geburtshilfliche Klinik.

    II

    Im Sept. 1806 begab sich L. zur Behandlung des Gf. Karpis nach Litauen und besuchte anschließend seine Vaterstadt Riga, dann St. Petersburg und Moskau (April 1807). Halle war inzwischen in die Hand der Franzosen gefallen und wurde dann dem neugebildeten Kgr. Westfalen eingegliedert. L. wollte nicht in den Dienst dieses Staates treten. Im Dez. 1809 wurde er auf seinen Wunsch aus dem preuß. Staatsdienst entlassen; mit der Ernennung zum kgl. Leibarzt (1809) hatte man ihn – wohl auch für die neue Universität in Berlin – zu halten versucht.

    L. ließ sich als praktischer Arzt in Moskau nieder. Zar Alexander I. ernannte ihn im Jan. 1810 zum Konsultierenden Leibarzt und Wirkl. Staatsrat, stellte ihm aber Ort und Art seiner Betätigung frei. L. bemühte sich (vergeblich) um den Posten des Kurators der Moskauer Universität sowie um die Aufsicht über die nach seiner Meinung reformbedürftige Ausbildung der Zivilärzte. Im Juli 1812 wurde er wohl Mitglied des Medizinischen Rates des Innenministeriums, der obersten Medizinalbehörde. Im selben Jahr erbot er sich, ein Lazarett für den Landsturm („Miliz“) einzurichten, und erhielt den Auftrag, für die von den Schlachten bei Vjaz'ma und Borodino nach Moskau strömenden Verwundeten zu sorgen. Bei der überstürzten Räumung der Stadt gelang es L., fast alle Kranken und Verwundeten rechtzeitig abtransportieren zu lassen und im Hinterland, in Elat'ma, Melenki und Kasimov, für sie Behelfslazarette einzurichten. Unter den schwierigsten personellen und materiellen Bedingungen bewältigte L. den Durchgang von 30 126 Verwundeten (davon 586 Offizieren). 23 413 (356 Offiziere) konnte er fronttauglich wieder zur Armee schicken; die Sterblichkeit soll nur 7 % betragen haben. L., der sich im Lazarett Kasimov selber als Kriegschirurg betätigte, führte seine Erfolge zum Teil darauf zurück, daß er (die damals bei Schußfrakturen üblichen) Amputationen nach Möglichkeit vermied. Waren sie aber unvermeidlich, dann praktizierte und propagierte er eine bessere Versorgung des Amputationsstumpfes (nach E. A. Alanson), die große Kunstfertigkeit erforderte. Nach der Auflösung der Lazarette wurde L. mit der Untersuchung verschiedener Unregelmäßigkeiten (noch vor der Räumung Moskaus) im Militär-Hauptlazarett betraut. Er benötigte ein Jahr für die Revision des medizinischen und des administrativen Teils. Dann wurde ihm auch die Leitung des Wiederaufbaus des großen Hospitals mit 2 500 Betten übertragen. In den folgenden Jahren wurde er mehrfach zur Revision und Verbesserung von Kasernen und Gefängnissen herangezogen; seine Privatpraxis gab er auf. 1825 übertrug ihm der Generalgouverneur die Untersuchung häufiger Gesetzwidrigkeiten in den Moskauer Apotheken. Neben diesen Aufgaben war L. 1820-32 Präsident des Kirchenrates der ev. St. Michaels-Gemeinde und Kurator der ihr angeschlossenen Schule. 1818 kaufte der Zar für die Moskauer Universität L.s wertvolle anatomische Sammlung für 50 000 Silberrubel. Sie umfaßte 4 243 Stücke – eigene und hinzugekaufte anatomische Präparate, dazu Zeichnungen, Modelle und Moulagen. 130 Präparate sind heute noch im Anatomischen Museum des 1. Medizinischen Instituts in Moskau ausgestellt. Die Sammlung beschrieb L. in einem „Index praeparatorum aliarumque rerum …“ (1820). Der Verkauf stand wohl im Zusammenhang mit dem Bau eines neuen anatomischen Instituts mit Amphitheater an der – weitgehend ausgebrannten – Moskauer Universität. Nach den Plänen L.s wurde es von M. F. Kazakov errichtet und am 10.11.1819 eröffnet. L. hielt dazu eine berühmt gewordene Rede „De optimo anatomiam docendi et discendi modo“. Sie zeigt, daß er in den besten Traditionen der Aufklärung stand und den damaligen Schwierigkeiten der russ. Universitäten durch eine extrem reaktionäre Strömung (alle wissenschaftlichen Erkenntnisse waren der Religion unterzuordnen) wohl zu begegnen wußte. Auf Wunsch des Zaren übernahm er 1819 die anatomischen Vorlesungen und Übungen an der Universität (bis 1830). Er bestand jedoch auf seiner Unabhängigkeit und ließ sich nicht in die Universität integrieren, nahm lediglich die Bestellung zum Honorarprofessor an. Die Wiederaufnahme der akademischen Tätigkeit bewog L. (zum dritten Mal), ein anatomisches Lehrbuch zu verfassen: „Elementa anatomiae humani corporis“ (1823), von dem jedoch nur ein Band erschien. Bei seinen Vorlesungen in lat. Sprache hatte L. großen Zulauf, nicht nur von Studenten. Zugleich war L. seit 1825 mit dem Projekt eines städtischen Krankenhauses mit 450 Betten beschäftigt. Der Bau wurde im wesentlichen nach den Plänen L.s errichtet (als wichtigste Neuerung führte er Wasserklosetts ein). Das Haus besteht heute noch als Erstes Städtisches Klinisches Krankenhaus.

    Die vielfältigen Aktivitäten L.s erfuhren eine Unterbrechung, als von Sept. 1830 bis Jan. 1831 in Moskau die Cholera grassierte. L. war als Leibarzt an der Ausarbeitung der Abwehrmaßnahmen beteiligt und leitete für kurze Zeit eines der behelfsmäßigen kleinen Cholera-Krankenhäuser. Seine Erfahrungen veröffentlichte er in einer Schrift „Über die Cholera-Krankheit in Moskau“ (1831, russ. u. dän. Überss.). Darin bestreitet er die Möglichkeit der Übertragung der Seuche durch Gegenstände und Kleidungsstücke, den Nutzen der Ausräucherung und der Anwendung von Chlor.|

  • Auszeichnungen

    Sachsen-weimar. Geh. Hofrat (1799), preuß. GR (1803), russ. GR (1831);
    russ. Annen-Orden II. Kl. mit Brillanten (1812), Großkreuz d. Wladimir-Ordens (1828).

  • Werke

    Weitere W In Jena (I): Anfangsgründe d. chirurg. Anthropol. u. d. Staatsarzneykde., 1791, ³1800 (schwed. Übers.);
    Chirurg.-med. Beobachtungen, mehrenteils in d. hzgl. sachsen-weimar. Krankenanstalt zu Jena gesammelt I, 1794;
    Anfangsgründe d. Chirurgie I, 1800;
    Grundriß d. Anatomie d. menschl. Körpers I, 1806. -
    Übersetzung: R. W. Johnson, A new System of Midwifery …, ²1777, dt. u. d. T. Neues System d. Entbindungskunst, 1782. -
    Hrsg.: Journal f. Chirurgie, Geburtshülfe u. gerichtl. Med., 1791-1806. -
    In Moskau (II): Oratio die inaugurationis novi theatri anatomici X. novembris MDCCCXIX publ. habita (de optimo anatomiam docendi et discendi modo), 1819 (auch russ.);
    Index praeparatorum aliarumque rerum ad anatomen spectantium, quae in museo caesareae universitatis Mosquensis servantur, 1823 (auch russ.);
    Verba ad auditores. Initio secundi cursus lectionum anatomicarum IV. octobr. MDCCCXX pronunciata, 1820;
    Elementa anatomiae humani corporis …, I: Osteologia, Syndesmologia et Myologia, 1823;
    O prigotovlenii iskusstvennych|mineral'nych vod po metode doktora Struve v Drezdene i proekt provedenija podobnych v Moskve (Über d. Herstellung künstl. Mineralwässer n. d. Methode d. Dr. Struwe in Dresden u. d. Projekt, derartiges in Moskau vorzunehmen), 1825.

  • Literatur

    ADB 19; Zu Jena (I):
    J. W. v. Goethe, Annalen, Bd. 27, 1856;
    Der Briefwechsel zw. Schiller u. Goethe, hrsg. v. H. G. Gräf u. A. Leitzmann, 3 Bde., 1955;
    Corpus d. Goethezeichnungen, bearb. v. G. Femmel, 1958-73, V u. VII;
    R. Magnus, Goethe als Naturforscher, 1906;
    V. Haecker, Goethes morpholog. Arbb. u. d. neuere Forschung, 1927;
    H. Schulz, Goethe u. sein hall. Freundeskreis, in: Goethe als Seher u. Erforscher d. Natur, hrsg. v. J. Walther, 1930;
    R. Disselhorst, Goethes anatom. Stud., ebd.;
    W. Bargmann, in: Anatom. Anz. 79, 1935, S. 350-66;
    H. Böker, Goethes Beziehungen z. Anatomie, in: Sudhoffs Archiv 29, 1936, S. 123-35;
    B. Peyer, Goethes Wirbeltheorie d. Schädels, 1950 (P);
    B. v. Hagen, L.s Studienreise nach Paris u. London 1782/83, in: Wiss. Zs. d. Univ. Jena, 1952/53, S. 49-51;
    Gesch. d. Univ. Jena, 1958 (P). - Zu Moskau (II): Russkij invalid, Moskva, Nr. 28, 16.7.1813, Beil. (Brief L.s);
    F. I. Inozemcev, O zaslugach Chr. Iv. Lodera v chirurgii (Über d. Verdienste Ch. I. L.s in d. Chirurgie), 1837;
    G. Uranossov, Pervaja gorodskaja bol'nica v Moskve (Das Erste Städt. Krankenhaus in Moskau), 1882;
    A. Hasenclever, Ungedr. Briefe J. Ch. v. L.s an d. Nat.ökonomen Ludw. Heinr. Jakob a. d. J. 1810–13, in: Archiv f. Gesch. d. Med. 11, 1918, S. 300-14;
    G. Boelke, J. Ch. v. L. als Anatom mit Auswertung s. Rede z. Einweihung d. Moskauer Anatomie (1819), Diss. Jena 1956;
    H. v. Knorre, J. Ch. v. L. in Moskau, 12 ungedr. Briefe L.s an Ch. W. Hufeland a. d. J. 1807 u. 1831, in: Wiss. Zs. d. Friedrich-Schiller-Univ. Jena 7, 1957/58, Math.-Naturwiss. R., S. 421-47;
    A. V. Chazanov, Ch. I. L. u. d. russ.-dt. wiss. Beziehungen zu Beginn d. 19. Jh., in: Iz istorii mediciny IV, 1962, S. 137-42;
    H. Voss, Prof. L.s Rede üb. d. Nutzen d. Anatomie u. d. beste Art sie zu lehren u. zu lernen b. d. Eröffnung d. Anatom. Inst. in Moskau am 10.11.1818, in: Anatom. Anz. 112, 1963, S. 193-203;
    H. Müller-Dietz, Das Evakuierungslazarett J. Ch. v. L.s b. Moskau, in: Forschung, Praxis, Fortbildung 18, 1967, S. 553-55;
    ders., J. Ch. v. L. als Apotheken-Revisor, in: Dt. Apotheker-Ztg. 22, 1970, Nr. 2, S. 9-12;
    V. Ja. Bočarov u. N. I. Gončarov, Aus d. wiss. Nachlaß J. Ch. L.s, in: Archiv anatomii, gistologii i embriologii 77, 1979, Nr. 7, S. 107-10;
    A. G. Kacnel'bogen, Die gesellschaftl.-med. Tätigkeit v. Ch. I. L., in: Kliničeskaja medicina 60, 1982, Nr. 6, S. 117-20.

  • Porträts

    Gem. v. J. F. A. Tischbein;
    Marmorbüste v. I. P. Vitali (Moskau, ehem. L.sche Anatomie), Abb. b. Knorre, s. L;
    Kupf. v. J. G. Müller n. Gem. v. J. F. A. Tischbein, 1801 (Weimar, Goethe-Haus), Abb. in: H. Holtzhauer, Goethe-Mus., 1969, Abb. 513.

  • Autor/in

    I Markwart Michler, II Heinz Müller-Dietz
  • Zitierweise

    Michler, Markwart; Müller-Dietz, Heinz, "Loder, Justus Christian von" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 7-10 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119008017.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Loder: Justus Christian von L., kaiserlich russischer Geheimrath zu Moskau, war geboren zu Riga am 12. März (28. Febr.) 1753. Sein Vater, Johann L. aus dem Fürstenthum Bayreuth gebürtig, war 1728 als Rector des Lyceums und Diaconus der Kirche zu St. Jacob nach Riga berufen worden und starb daselbst 1775. Von 1769—1773 besuchte unser L. das Lyceum und erwarb, von seinem Vater, einem großem Gelehrten, trefflich geleitet, frühzeitig ausgezeichnete Kentnisse, so daß er schon, ehe er zur Universität abging, als Schriftsteller auftrat (Uebersetzung des 3. Theiles von Euler's Lettres à une princesse d'Allemagne, 1772. — Einige philosophische Abhandlungen, 1773. — Uebersetzung von Krascheninikow's Beschreibung von Kamtschatka). 1773 bezog er die Universität Göttingen zum Studium der Medicin, erlangte daselbst 1777 die medicinische Doktorwürde, nachdem er schon 1775 mehrere naturhistorische Abhandlungen im „Naturforscher“ aus dem Russischen und Französischen und 1776 Vitet's Unterricht in der Vieharzneikunst übersetzt und herausgegeben hatte. Bereits 1778 wurde er als ordentlicher Professor der Medicin, Anatomie und Chirurgie und Mitglied des akademischen Senats und der medicinischen Facultät nach Jena berufen. Auf Kosten des Herzogs von Weimar machte er dann in den Jahren 1780 und 1781 eine wissenschaftliche Reise nach Frankreich, England und Holland und hatte dabei Gelegenheit, die Bekanntschaft der berühmtesten Männer daselbst (wie Default, Louis, Vicq d'Azyr, Daubenton, Portal, Baudelocque, David — William und John Hunter, Pott, Banks, Baillie — Camper, Sandifort, Bonn) zu machen und sich ihrer Unterweisung zu erfreuen. Nach seiner Rückkehr errichtete er in Jena ein neues anatomisches Theater, eine medicinischchirurgische Klinik, ein Hospital und eine Entbindungsanstalt, wurde Oberaufseher des Naturaliencabinets, auch Stadt- und Amtsphysikus, sowie weimarischer Hofrath und Leibarzt. Bei der Errichtung der klinischen Anstalten hatte er sich der Beihülfe seiner Collegen: Stark d. Aelt., Hufeland, Himly, Succow, Bernstein zu erfreuen. Während der 25 Jahre, die L. in Jena war, lehrte er Anatomie, Physiologie, Geburtshülfe, gerichtliche Medicin und Naturgeschichte und trug durch seine lichtvollen Vorträge, durch die er Alles elektrisirte und denen nicht selten auch Goethe als Zuhörer beiwohnte, sowie durch seine Schriften sehr viel zur Berühmtheit der Universität bei, die er auch nach außen hin zu repräsentiren verstand, da sein Haus in Jena das glänzendste war. Er verfaßte in dieser Zeit gegen 40 Programme und eigene Dissertationen aus allen den von ihm vertretenen Fächern und gab die folgenden größeren Schriften heraus: „Anatomisches Handbuch“, 1. Band, 1788 (2. Aufl. 1800), „Anfangsgründe der chirurgischen Anthropologie und der Staatsarzneikunde“, 1791 (2. Aufl. 1793. 3. Aufl. 1800; 1799 auch ins Schwedische übersetzt), „Chirurgisch-medicinische Beobachtungen, mehrentheils in der herzogl. sachsen-weimarischen Krankenanstalt zu Jena gesammelt“, Bd. J. 1794, und sein Hauptwerk: „Anatomische Tafeln zur Beförderung der Kenntniß des menschlichen Körpers, mit teutschem und lateinischem Text“, 1794—1803, 182 Folio-Kupfertafeln in 6 Abtheilungen mit Text. Auch begann er die Herausgabe eines „Journal für die|Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde“, das in 4 Bänden von 1797—1806 erschien und für welches er selbst mehrere Abhandlungen lieferte. Außerdem schrieb er als Handbuch für seine Vorlesungen „Anfangsgründe der Chirurgie“, 1800, übersetzte R. W. Johnson's Neues System der Entbindungskunst (1782) aus dem Englischen, lieferte Beiträge zu dem „Taschenbuch für deutsche Wundärzte“, zu Buchholz's „Beyträgen zur gerichtlichen Arzneigelahrtheit und zur medicinischen Policey“, zu Kausch's medic. und chirurg. Erfahrungen etc., schrieb Vorreden zur F. Hirsch's praktischen Bemerkungen über die Zähne und einige Krankheiten derselben, sowie zu Froriep Uebersetzung von Ev. Home's Behandlung der Fußgeschwüre etc. Bei dieser erstaunlichen Thätigkeit, die vorzugsweise der Anatomie und Chirurgie gewidmet war, legte er auch eine anatomische Präparatensammlung an, die zu ihrer Zeit sehr geschätzt wurde. Es war dies mit um so größeren Schwierigkeiten verbunden und um so verdienstlicher, als für anatomische Zwecke verwendbare Leichen in Jena sehr knapp bemessen waren und über deren Benutzung auch noch Rivalitäten bestanden. — Nachdem L. im J. 1799 zum Geh. Hofrath ernannt worden, verließ er 1803 Jena, um einen neuen Wirkungskreis in Halle zu übernehmen. Er wurde preußischer Geh. Rath und ordentlicher Professor der Medicin daselbst, gründete auch dort eine medicinisch-chirurgische und eine geburtshülfliche Krankenanstalt und richtete das anatomische Theater neu ein. Auch in Halle lehrte er Anatomie, Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Medicin. Nachdem Halle in die Gewalt der Franzosen gekommen (1806) und Stadt und Universität dem neugebildeten Königreich Westfalen einverleibt worden waren, schlug L. den Antrag, in die Dienste dieses Staates zu treten, aus. Er ging vielmehr nach Königsberg, wurde 1808 Leibarzt bei der sich daselbst aufhaltenden preußischen Königsfamilie und erhielt 1809 (27. Novbr.) als er aus diesem Dienste wieder ausschied, zur Belohnung ein preußisches Adelsdiplom. Er privatisirte hierauf zu St. Petersburg und Moskau, und wurde vom Kaiser Alexander, der großes Wohlgefallen an ihm fand, 1810 zum Wirklichen Staatsrath und Leibarzt ernannt und ihm freigestellt, seinen Aufenthalt nach Belieben zu bestimmen. Er wählte Moskau. Aus der Zeit von seinem Abgange aus Jena bis zu seiner Uebersiedelung nach Moskau findet sich nur eine einzige Schrift: „Grundritz der Anatomie des menschlichen Körpers. Zum Gebrauche bei Vorlesungen und Secir-Uebungen“, Thl. I, 1806. — In Moskau fand sich bald eine außerordentliche Thätigkeit für ihn. Als Mitglied des medicinischen Reichcollegiums erhielt er während des Krieges von 1812 den Auftrag für die in Moskau befindlichen russischen Verwundeten zu sorgen. Nachdem die Stadt von den Russen geräumt und von den Franzosen besetzt war, errichtete er für 31 000 Verwundete in den Städten und Kreisen Kasimow, Jelatma und Melenki temporäre Militärhospitäler und führte die Oberaufsicht über dieselben 8 Monate lang bis zu Ende. Nach Moskau zurückgekehrt, übernahm er 1813 den Vorsitz bei einer gegen die Verwaltung des dortigen großen Militärhospitals gerichteten Criminaluntersuchung, welche ein Jahr lang dauerte. Mit Muth und Kraft enthüllte er dabei die stattgehabten Mißbräuche und Vergeudungen, worauf ihm die neue Einrichtung und Oberleitung dieses Hospitals übertragen wurde. Er führte dieselbe 3 Jahre lang und fügte demselben ein in einem eigenen Gebäude eingerichtetes Hospital für Offiziere hinzu, zu dessen bequemerer Ausstattung er von patriotischen Mitgliedern der Moskauer Kaufmannschaft einen freiwilligen Beitrag von 25 000 Rubeln erhalten hatte. 1817 erhielt er die dringend gewünschte Entlassung von dieser Anstalt, bekam aber Aufträge zur Verbesserung anderer Hospitäler, mehrerer Casernen, Gefängnisse und medicinalpolizeilicher Einrichtungen. Die Ritterschaft des Moskau’schen Gouvernements ehrte seine|ebenso uneigennützige als rastlose Thätigkeit dadurch, daß sie ihm ein Mitgliedsdiplom und die zum Andenken des beendigten Krieges für den Adel gestiftete Medaille ertheilte. — Als der Kaiser Alexander 1818 Loder's anatomischchirurgische Sammlung für 50 000 Silberrubel angekauft und der Universität Moskau geschenkt hatte, erbot sich L. ein neues anatomisches Institut daselbst zu errichten, öffentliche Vorlesungen über die Anatomie unentgeltlich zu halten und die Uebungen an Leichnamen zu leiten. Er erbaute hierauf, im Auftrage und auf Kosten des Kaisers, mit einem Aufwande von 100 000 Rubeln, ein prachtvolles Anatomie-Gebäude, das von ihm am 10. November 1819 mit einer von ihm gehaltenen lateinischen Rede eingeweiht und eröffnet wurde. An diesem Institute lehrte er als Ehrenprofessor der Universität jährlich acht Monate lang die Anatomie und Physiologie und leitete die Secirübungen der Studenten und jungen Aerzte. Seine Vorlesungen, die er in lateinischer Sprache hielt, wurden auch von Professoren und Aerzten besucht; auch schrieb er noch ein Handbuch der Anatomie in lateinischer Sprache ("Elementa anatomiae humani corporis“, Vol. I. 1823) und gab einen „Index praeparatorum aliarumque rerum ad anatomen spectantium, quae in museo Caes. Universitatis Mosquensis servantur“, 1823 (2. Aufl. 1826) heraus. Am 18. September 1827 wurde, unter allgemeiner Theilnahme von Hoch und Niedrig, sein 50jähriges Doctorjubiläum gefeiert. Ohne eigentliche Praxis zu treiben, wurde L. von den höchsten und reichsten Familien Moskau's als Hausfreund consultirt. Er war außerdem Präsident des Kirchenrathes der ältesten evangelischen Gemeinde des russischen Reiches zu St. Michael sowie des Schulrathes in Moskau und stiftete oder erweiterte als solcher, mit Hülfe edeler Männer jener Gemeinde, mehrere Lehranstalten und Schulen; er war ferner Mitglied der kaiserlichen Gesetzcommission und, wie erwähnt, der Moskauischen Ritterschaft, des medicinischen Reichscollegiums, sowie zahlreicher Akademien und gelehrter Gesellschaften. — 1830, beim Ausbruch der Choleraepidemie, erwarb er sich neue Verdienste und schrieb noch eine kleine Schrift über dieselbe (1831). — 1831 war er zum Geh. Rath ernannt worden und ohne eigentlich krank gewesen zu sein verschied er am 16. April 1832 zu Moskau an Altersschwäche, aufrichtig von der Universität und den Einwohnern der Stadt betrauert. Zu seinem Andenken wurde eine öffentliche Rede gehalten und seine Marmorbüste im anatomischen Cabinet der Universität aufgestellt. — Vermählt war L. mit der Tochter des Göttinger Professors der Medicin Richter gewesen; sein Sohn Eduard, außerordentlicher Professor der Medicin in Königsberg, war bereits 1812 gestorben. Von Gestalt war L. klein, körperliche Beweglichkeit zeichnete ihn aus; aus seinem ganzen Benehmen leuchtete große Freundlichkeit und Heiterkeit hervor. — Nachdem wir im Vorstehenden einen Umriß von dem vielbewegten Leben Loder's gegeben haben, aber von seinen litterarischen Leistungen nur den kleinsten Theil anzuführen im Stande waren, da, abgesehen von den vielen kleinen Gelegenheitsschriften ihm auch ein beträchtlicher Antheil an einer Reihe von Dissertationen gebührt, er auch mancherlei nicht der Medicin Angehöriges, namentlich Naturwissenschaftliches geschrieben und für die Jenaer Allg. Lit.-Zeitung seit ihrem Entstehen 1785 viele Beiträge geliefert hat, bleibt noch übrig, Einiges zu seiner Charakteristik als Förderer der Wissenschaft anzuführen. Wie bereits erwähnt, besaß er eine glänzende Lehrgabe und widmete sich auch in Jena und Halle mit voller Hingabe seinem Lehrberuf; allein er hatte bei demselben fast den größten Theil der Medicin (Anatomie und Physiologie, Chirurgie, Geburtshülfe, gerichtliche Medicin, Naturgeschichte) zu lehren, wie er heutzutage durch 5—6 Fachprofessoren vertreten wird. Daher kommt es wol, daß an seinen Namen sich keine großen Entdeckungen und Fortschritte, weder in der Anatomie noch in der Chirurgie, denen|er sich während seiner Lebenszeit am meisten zugewendet hat, knüpfen. Sein Hauptverdienst um die Anatomie besteht in der Herausgabe seines großen Atlas, zu einer Zeit, wo dergleichen Hülfsmittel für den Unterricht noch selten waren. Wenn die Abbildungen auch nicht alle nach Originalzeichnungen angefertigt waren, sondern vielfach Copieen aus älteren Werken sind, so genügte dies doch für den Unterricht vollkommen. Aus der Chirurgie ist ebenfalls nichts ihm Eigenthümliches anzuführen. Als Verdienst ist es ihm anzurechnen, daß er dem Alanson’schen Lappenschnitt bei Amputationen und der schnellen Vereinigung der Wunde dabei das Wort redete und ihn in Deutschland einzubürgern suchte. — Nichtsdestoweniger muß er als eine der bedeutendsten Erscheinungen seiner Zeit angesehen werden und ehrende Anerkennung durch seine Zeitgenossen ist ihm auch im reichsten Maß zu Theil geworden.

    • Literatur

      Vgl. Meusel, Gel. Teutschl. — J. G. Bernstein, Geschichte der Chirurgie, Thl. 2. 1823. S. 219. —
      v. Recke und Napiersky, Allg. Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland, Bd. 3. 1831. S. 92; Bd. 4. S. 618; Nachträge und Fortsetzungen Bd. 1. 1859. S. 20. —
      Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrg. 10. 1832. S. 298. — Callisen, Medicinisches Schriftsteller-Lexikon Bd. 30. 1842. S. 96.

  • Autor/in

    E. Gurlt.
  • Zitierweise

    Gurlt, Ernst, "Loder, Justus Christian von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 19 (1884), S. 76-79 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119008017.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA