Lebensdaten
1828 – 1913
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Reichsgerichtspräsident ; Professor des österreichischen Privatrechts ; Minister
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118763725 | OGND | VIAF: 19747559
Namensvarianten
  • Unger, Josef
  • Unger, Joseph
  • Unger, Josef
  • mehr

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Zitierweise

Unger, Joseph, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118763725.html [26.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Martin (um 1774–1850), aus Körmend (Ungarn), Kaufm., Lederfabr. in W.;
    M Amalie Eleonore (bis 1852 Flora) Porias (1807–82, 1852 kath., 2] Alois Czaslawski, 1809–80);
    Wien 1882 Emma (Emmy) (1840–1913, 1] Anton [Anthony] Mayer Frhr. v. Worms, 1830–64, aus London, Bankier in London, Plantagenbes. in Ceylon, S d. Salomon Benedikt Frhr. v. Worms, 1801–82, aus wohlhabender jüd. Fam. in Frankfurt/M., Chef d. Bankhauses „G. & A. Worms“ in London, s. Enc. Jud.²), T d. Friedrich Frhr. Schey v. Koromla (1815–81, österr. Adel 1859, Rr. 1863, Frhr. 1869), Bankier in W. (s. NDB 22), u. d. Emilie Landauer (1817–40);
    Stief-T (?) Nina (* 1861, Georg Heinrich [Giorgio Enrico Abramo] Baron Levi, 1849–1936, aus Florenz, Dr. iur.); Schwager d. Ehefrau George Baron de Worms (1829–1912), Untern., Vizepräs. d. Royal Soc. of Literature (s. Enc. Jud.²), Henry de Worms, 1. Baron Pirbright (1840–1903), RA, Untern., Pol., Präs. d. Anglo-Jewish Association, Mitgl. d. Royal Soc. (s. Enc. Jud.²; Oxford DNB);
    N d. Ehefrau Hans Przibram (1874–1944), Zoologe (s. NDB 20).

  • Biographie

    Nach Gymnasialunterricht und Studium der Philosophie in Wien wurde U. 1850 „in absentia“ an der Univ. Königsberg mit der Schrift „Die Ehe in ihrer welthistorischen Entwicklung“ zum Dr. phil. promoviert, was ihm als obligatorisches „Philosophicum“ das Studium der Rechtswissenschaften in Wien ermöglichte (Dr. iur. 1852). Der Titel seiner philosophischen Dissertation knüpfte bewußt an Eduard Gans’ (1798–1839) Werk „Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung“ (4 Bde., 1824–35) an, zu dessen vergleichendphilosophischer Methode und damit auch als Anhänger von Hegels Philosophie sich U. in seiner Dissertation ausdrücklich bekannte. Diese methodische Ausrichtung, die Teilnahme am Revolutionsgeschehen 1848 in Wien durch die Beteiligung an Petitionen und das jüd. Bekenntnis bremsten seine Bibliothekarslaufbahn: So verlor er zwar Ende 1849 seine Probestelle an der Hofbibliothek, kam aber 1850 als „Hilfsarbeiter“ (Amanuensis) an der Universitätsbibliothek unter, zunächst ohne Bezahlung. Zukunftsweisend wurde nun seine Hinwendung zur Rechtswissenschaft. Für seine Laufbahn nützlich war sein Religionswechsel und die Abkehr von der als liberal-revolutionär geltenden Richtung von Gans hin zur historisch-systematischen Methode von dessen Gegner Friedrich Carl v. Savigny (1779–1861). Die Historische Rechtsschule hatte um 1845 auch in Österreich Fuß|zu fassen begonnen. Ihre gegen Naturrecht und Gesetzespositivismus gerichtete Herleitung von Rechtssätzen aus der geschichtlichen Entwicklung entsprach Österreichs antirevolutionärem Kurs nach der Revolutionsperiode, wie sie in den Verfassungsgrundsätzen von 1852 mit ihrer Ausrichtung am Historischen Staatsrecht in Ablehnung des Konstitutionalismus zum Ausdruck kam.

    1853 habilitierte sich U. in Wien mit der Schrift „Das österr. allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch [ABGB] in vergleichender Darstellung mit dem röm., german. und altösterr. Recht und mit den Gesetzgebungen des Auslandes“. Im selben Jahr wurde er zum Extraordinarius an der Univ. Prag ernannt. U. vertrat nun ganz die Pandektistik, den am Röm. Recht ausgerichteten Zweig der Historischen Rechtsschule, was besonders sein „System des österr. allgemeinen Privatrechts“ (Bd. I, 1856, ⁵1892, Bd. II, 1857/59, ⁵1892, Bd. VI, 1864, ⁴1894) dokumentiert. Dessen erster Band, der „Allgemeine Teil“, stellte gegenüber dem ABGB eine wissenschaftliche Neuschöpfung ganz im Sinne der historischsystematischen Methode dar. Noch 1856 wurde U. als Extraordinarius nach Wien berufen und 1857 zum Ordinarius ernannt. Das ABGB erschien ihm wissenschaftlich überholt, er trat für dessen Totalerneuerung ein. Einen ersten Schritt dazu sah er im („Dresdener“) Entwurf eines Schuldrechts des Deutschen Bundes, der aber durch dessen Ende 1866 hinfällig wurde.

    U.s rechtspolitische Ambitionen führten ihn zu politischer Tätigkeit: 1867 war er Mitglied im Landtag Niederösterreichs und im Abgeordnetenhaus des Reichrats, 1869 wechselte er als lebenslanges Mitglied in das Herrenhaus, 1871–79 nahm er als Minister ohne Geschäftsbereich Einfluß auf entscheidende Reformen wie 1873 die Wahl des Abgeordnetenhauses und 1875 die Schaffung des Verwaltungsgerichtshofs. Politisch hatte er sich dem gemäßigten Liberalismus angeschlossen, 1907 begrüßte er das Allgemeine Wahlrecht.

    1880 kehrte U. an die Universität, die er als Minister verlassen hatte, zurück: 1881 wurde seine Lehrbefugnis als Dozent erneuert, seit 1897 war er Honorarprofessor für österr. und engl. Staatsrecht. Dies stimmte zwar mit seiner seit 1881 ausgeübten Hauptfunktion als Präsident des Reichsgerichts, des österr. Verfassungsgerichtshofs, überein, allerdings blieb U. in seiner wissenschaftlichen Arbeit dem Privatrecht verbunden, jedoch mit neuen Akzenten aufgrund der auf Interessenausgleich bedachten Rechtsprechung und wirtschaftlich-sozialer Rücksichten, gefördert durch seine intensiven Wissenschaftskontakte zu Rudolf v. Jhering (1818–92) und Julius Glaser (1831–85). Dies zeigt sich besonders deutlich in seinem Eintreten bloß für eine Teilerneuerung des vor seinem 100jährigen Jubiläum stehenden ABGB; erst nach seinem Tod 1913 traten die entsprechenden „Teilnovellen“ zwischen 1914 und 1916 in Kraft. Sein pandektistisches „System“ des österr. Privatrechts blieb unvollständig. Stets wahrte U. auch den Zusammenhang mit der dt. Rechtswissenschaft außerhalb Österreichs: Seit 1869 gehörte er z. B. der Redaktion der von Rudolf v. Jhering herausgegebenen „Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts“ an. Da U.s akademische Lehre durch den Politikeintritt in den Hintergrund trat, sind keine konkreten Schüler zu benennen. Die von ihm eingeschlagene Darstellung des Privatrechts in Abkehr von der Systematik des ABGB wurde von mehreren Fachvertretern aufgenommen, wie etwa nahezu gleichzeitig von Josef Krainz (1821–75) und Leopold Pfaff (1837–1914). Neben seiner Privatrechtsdogmatik liegt seine wichtige Bedeutung als umfassend wirksamer Rechtspolitiker auch im Öffentlichen Recht – dies hob ihn über seine Fachkollegen hinaus.

  • Auszeichnungen

    A Großkreuz d. ungar. St. Stephans-Ordens, d. österr. Leopold-Ordens u. d. pers. Sonnen- u. Löwenordens;
    österr.-ungar. Ehrenzeichen f. Kunst u. Wiss.;
    Ehrenmitgl. d. Journalisten- u. Schriftst.verbandes Concordia u. d. Österr. Ak. d. Wiss.;
    Dr. h. c. (Bologna, Budapest).

  • Werke

    W Ueber d. wiss. Behandlung d. oesterr. gemeinen Privatrechts, Eine Antrittsrede, 1853;
    Der Entwurf e. bürgerl. Gesetzbuches f. Sachsen mit besonderer Rücksicht auf d. österr. allg. bürgerl. Gesetzbuch besprochen, 1853;
    Über d. Entwicklungsgang d. österr. Civiljurisprudenz seit d. Einf. d. ABGB, in: Schletters Jbb. d. dt. Rechtswiss. u. Gesetzgebung I, 1855, S. 353 ff.;
    Die Verlassenschaftsabh. in Österr., Ein Votum f. deren Aufhebung, 1862;
    Die Verträge zugunsten Dritter, 1869, in: Jherings Jbb. f. d. Dogmatik d. heutigen röm. u. dt. Privatrechts 10, 1871, S. 1–109;
    Mosaik d. „Bunten Betrachtungen u. Bemm.“, ³1911;
    Zum Wiederzus.tritt d. Dt. Jur.tages in Wien, in DJZ 17, 1912, S. 949 f.

  • Quellen

    Qu Österr. StA, Allg. Verw.archiv, Min. f. Kultus u. Unterr., Personalakt Unger; Öff. Vorlesungen d. k. k. Univ. zu Wien, 1856–1897; – Nachlaß: Univ.archiv Wien.

  • Literatur

    L S. Frankfurter, J. U., Das Elternhaus, d. Jugendj. 1828–1857, 1917;
    H. Sinzheimer, Jüd. Klassiker d. dt. Rechtswiss., ²1953, S. 83–95;
    H. Lentze, Die Univ.reform d. Ministers Gf. Leo Thun-Hohenstein, 1962;
    W. Brauneder, in: ders. (Hg.), Jur. in Österr. 1200–1980, 1987, S. 177–89 (W-Verz.);
    ders., in: HRG;
    M. G. Losano, Der Briefwechsel Jherings mit U. u. Glaser, 1996;
    P. Landau, Jur. jüd. Herkunft im|Ks.reich u. in d. Weimarer Rep., in: H. Heinrichs u. a. (Hg.), Dt. Jur. jüd. Herkunft, 1993, S. 133–213, hier S. 195 f. (L);
    J. Schröder, in: Kleinheyer-Schröder;
    B. Dölemeyer, in: M. Stolleis (Hg.), Juristen, Ein biogr. Lex. v. d. Antike bis z. 20. Jh., 2001;
    R. Domingo, Juristas universales, Bd. III, 2004, S. 382–85 (P);
    B. M. Scherl, Einl., in: ders. u. K. W. Nörr (Hg.), J. U., Aufss. u. kl. Monogrr., Bd. I, 2005, S. 7–85; G. Posch, J. U., Vom Revolutionär z. Präs. d. Reichsger., in: G. Strejcek (Hg.), Gelebtes Recht, 29 Jur.porträts, 2012, S. 316–22 (W, L
    , P); E. Zweig, in: BJ 18, S. 187–215 u. Tl. (Nachrufe).

  • Porträts

    P Büste v. C. Zumbusch, 1914 (Univ. Wien, Arkadenhof); Lith. v. J. Kriehuber, 1861 (Bildarchiv d. Österr. Nat.bibl., Wien)

  • Autor/in

    Wilhelm Brauneder
  • Zitierweise

    Brauneder, Wilhelm, "Unger, Joseph" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 634-636 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118763725.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA