Lebensdaten
1749 – 1820
Geburtsort
Lispitz (heute Blizkovice, Bezirk Znaim, Mähren)
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
Mediziner ; Anatom ; Histologe ; Physiologe ; Ophthalmologe
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 104211520 | OGND | VIAF: 441989
Namensvarianten
  • Proháska, Georg
  • Procházka, Georg
  • Procházka, Jirí
  • mehr

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Zitierweise

Prochaska, Georg, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd104211520.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V N. N., Schmied u. Kleinlandwirt in L. ( 1763);
    M N.N; Verwandter N. N., Domherr in Olmütz, förderte seit 1776 P.s Ausbildung.

  • Biographie

    P. besuchte das Jesuitengymnasium in Znaim, dessen Besuch er nach dem Tod seines Vaters durch Nachhilfetätigkeit finanzierte, und studierte 1765-67 in Olmütz Philosophie. Schwerkrank gelangte er nach Wien in die Klinik von Anton de Haen (1704–76), der ihn nach seiner Genesung unterstützte und ihm seit 1770 das Medizinstudium ermöglichte. Nach de Haens Tod fand P. in dem Anatomen und Okulisten Joseph Barth (1745–1818) einen neuen Mentor. 1776 wurde P. zum Dr. med. promoviert (Dissertatio inauguralis medica de urino), 1778 erfolgte seine Berufung als Professor für Anatomie und Ophthalmologie an die Univ. Prag, wo er seit 1786 auch „höhere Anatomie“ und Physiologie lehrte. Nach dem Rücktritt Barths übernahm er 1791 dessen Lehrstuhl für Anatomie und Ophthalmologie, den er bis zu seiner Emeritierung 1819 innehatte.

    Schon als Student begann P. mit eigenen anatomischen und physiologischen Untersuchungen und publizierte 1778 seine erste Arbeit (Controversae quaestiones physiologicae, quae vires cordis et motum sanguinis per casa animalia concernunt), die das Herz und die Bewegung des Blutes zum Inhalt hatte. Er konnte darin zeigen, daß die Geschwindigkeit des Blutflusses abnimmt, wenn dieses von einer dickeren in eine dünnere Arterie übertritt und wurde deswegen von dem berühmten Anatomen Lazzaro Spallanzani (1729–99) heftig, jedoch ungerechtfertigt, angegriffen. 1781 vertrat er die weitgehend abgelehnte Ansicht, die Mißbildung von Föten sei nicht vorgegeben, sondern entwickle sich im Laufe der Schwangerschaft im Rahmen einer fehlerhaften Ausdifferenzierung eines ursprünglich einförmigen Substratgewebes zu verschiedenen Organen. P.s Hauptwerk, „Commentatio de functionibus systemis nervosi“, erschien 1784. Darin versuchte er, die Funktion der Nerven auf der Basis von Beobachtungen unter möglichstem Verzicht auf vorgefaßte Annahmen zu erklären. Den Muskelreflex erklärte er mit einer Nervenkraft (vis nervosa) und einem gemeinsamen Sinneszentrum (sensorium commune) als Koordinationsorgan, das nicht allein im Gehirn zu suchen sei, sondern auch im Rückenmark. Die Nervenkraft sollte latent stets vorhanden sein und proportional zur Stärke eines externen oder internen Reizes wirken. Dieses Modell nähert sich heutigen Vorstellungen vom Nervenimpuls an. P. postulierte zwei getrennte Nervensysteme: Das eine sollte Sinnesreize von außen nach innen zum sensorium commune leiten, das andere in umgekehrter Richtung wirken; letzteres betrachtete er als das reflektorische System, das unabhängig von physikalischen Gesetzen und vom Willen sei. Wille und Intellekt waren vom sensorium commune unabhängig und auch anderswo lokalisiert. Darin deutet sich die Vorstellung an, daß unterschiedliche Teile des Gehirns bzw. des Nervensystems unterschiedliche Aufgaben haben. Mit seinen Hypothesen beeinflußte P. u. a. Marshall Hall (1790–1857), Françoise-Achille Longet (1811–71) und Eduard Friedrich Wilhelm Pflüger (1829–1910). Nach 1810 wandte er sich der romantischen Naturphilosophie zu.

    P. fand in der Muskulatur die Bündel, die Querstreifung und das Sarcolemm und gab die erste genaue Beschreibung der Olive als Teil der Medulla oblongata an. Er betätigte sich auch als Augenarzt und soll nach zeitgenössischen Berichten über 3000 Staroperationen durchgeführt haben.|

  • Auszeichnungen

    k. k. Reg.rat (1805);
    österr. Leopold-Orden (1819);
    Mitgl. d. Böhm. Ges. d. Wiss. u. Künste;
    korr. Mitgl. d. Ak. d. Wiss. in Paris u. St. Petersburg.

  • Werke

    u. a. De carne musculari tractatus anat.-physiol. etc., 1778;
    De structura nervorum etc., 1779;
    Adnotationes academicae cont. observationes et descriptiones anatomicas, 3 Bde., 1780-84;
    Opera minora anatomici, physiologici et pathologici arguraenti, 1800;
    Disquisitio anatomico-physiologica organismi corporis humani ejusque processus vitalis, 1812 (P) (dt.: Physiol. oder Lehre v. d. Natur d. Menschen, 1820).

  • Literatur

    ADB 26;
    J. Hyrtl. Vergangenheit u. Gegenwart d. Mus. f. menschl. Anatomie an d. Wiener Univ., 1869, S. LIV-LIX;
    Th. Puschmann, Die Medicin in Wien während d. letzten 100 J., 1884, S. 172 ff.;
    M. Neuburger, Der Physiologe G. R, Ein Vorläufer Purkynes, in: Wiener med. Wschr. 88,1937, S. 1155 ff.;
    E. Lesky, Die Wiener med. Schule im 19. Jh., 1965, ²1979, S. 91 ff.;
    BLÄ;
    Wurzbach;
    ÖBL;
    Biogr. Lex. Böhmen;
    DSB.

  • Autor/in

    Helmut Wyklicky
  • Zitierweise

    Wyklicky, Helmut, "Prochaska, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 736-737 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd104211520.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Prochaska: Georg P., Arzt, am 10. April 1749 zu Lispitz in Mähren geboren, widmete sich, nachdem er bereits in seinem 18. Lebensjahre die philosophische Doctorwürde erlangt hatte, in Prag und später in Wien dem Studium der Medicin, war zwei Jahre lang als Assistent in der medicinischen Klinik von de Haën thätig und wurde im J. 1776 zum Doctor der Medicin promovirt; er habilitirte sich an der Wiener med. Facultät als Docent der Anatomie, indem er gleichzeitig den Professor der Augenheilkunde Barth in seinen anatomischen Arbeiten und in seiner sehr ausgebreiteten augenärztlichen Praxis unterstützte. — Nach Veröffentlichung von zwei anatomischen Arbeiten „De carne musculari tractatus“ und „De structura nervorum“, in welchen er die feinern Structurverhältnisse der Muskeln und Nerven, so weit die damaligen sehr mangelhaften optischen Instrumente eine derartige Untersuchung gestatteten, auseinander setzte, wurde er (1776) zum Prof. extraord. der Anatomie ernannt und 1778 auf Barths Empfehlung als Professor der Anatomie und Augenheilkunde nach Prag berufen. In dieser Stellung verblieb er 11 Jahre und erwarb sich daselbst durch die Gründung einer anatomischen Sammlung, welche durch die Aushebung alter Begräbnißstätten in den Besitz zahlreicher pathologischer Knochenpräparate gelangt war, ein großes Verdienst. Anfangs docirte er Anatomie und Physiologie, bei der Reorganisation des medicinischen Studiencurses aber überließ er den Unterricht in der elementaren Anatomie seinem Prosector und beschränkte sich mit seinen Vorlesungen wesentlich auf die Physiologie. In die Zeit seines Aufenthaltes in Prag fällt die Veröffentlichung seiner „Quaestiones physiologicae, quae vires cordis et motum sanguinis per vasa animalia concernunt“, in welchem er den Beweis zu führen versuchte, daß der Druck, der durch die Herzcontraction auf die Blutfäule ausgeübt wird, sich noch über das Capillarsystem hinaus erstreckt und so auch den Rückfluß des Blutes durch das venöse System vermitteln hilft, ferner „Adnotationes academicae continentes: observationes et descriptiones anatomicae“ (III Fasc. 1780—84), von welchen das erste Fascikel Untersuchungen über die Abnutzung und den Verlust der Zähne, das dritte Untersuchungen über die Verrichtungen des Nervensystems enthält, in welchen er, wie er erklärt, von allen Hypothesen abgesehen und den von Newton eingeschlagenen Weg der Forschung befolgt hat. Seiner Auffassung gemäß äußert sich die Thätigkeit des Nervensystems in Art einer electrischen Erregung; in dem „centrum commune“ nehmen die motorischen Nerven ihren Ursprung und finden die sensiblen Nerven ihr Ende; eben hier werden die Eindrücke, welche die Empfindungsnerven erfahren haben, auf die Bewegungsnerven übertragen (reflectirt) und dadurch werden willkürliche und unwillkürliche Bewegungen hervorgerufen; übrigens, sagt P., ist bei diesem reflectorischen Vorgange der Reflexwinkel keineswegs immer dem Incidenzwinkel gleich, auch darf man das Sensorium commune nicht nur im Gehirn suchen, da auch bei geköpften Fröschen Reflexbewegungen zu Stande kommen, daß also auch Nervenplexus und Nervenganglien ein Sensorium commune darstellen, welche reflectirte Bewegungen vermitteln, ohne daß die sensible Reizung zum Bewußtsein kommt. — Ob P. mit den diesen Gegenstand aprioristisch behandelnden Speculationen von Descartes bekannt gewesen ist, erscheint mindestens zweifelhaft, jedenfalls ist er der Erste, der sich mit demselben experimentell beschäftigt hat und daher als würdiger Vorläufer von Marshall Hall angesehen werden muß. Daß er aus dieser physiologischen Thatsache gewisse teleologische Schlüsse zog, indem er in die reflectirten Bewegungen zweckvolle, auf die Abwehr oder die Entfernung nachtheiliger Einflüsse|Hingerichtete Vorgänge erblickte, erklärt sich aus dem Charakter des Vitalismus, den Neil damals der Physiologie aufgedrückt hatte. — Im J. 1791 wurde P., nach Barth's Rücktritt, als Professor der Anatomie, Physiologie und Augenheilkunde nach Wien berufen, überließ jedoch, da er neben seinem akademischen Amte eine sehr ausgebreitete augenärztliche Praxis ausübte, im J. 1805 den anatomischen Unterricht dem (überaus unfähigen) Prosector, späteren Prof. ord. Mich. Mayer, während er selbst ausschließlich sich der Physiologie zuwandte. Im J. 1819, d. h. in dem für Pensionirung der Professoren gesetzlichen Alter von 70 Jahren legte er sein Amt nieder und ist ein Jahr später (am 17. Juli 1820) gestorben. — Während seines Aufenthaltes in Wien hat P. eine weitere Reihe zum Theil werthvoller Schriften anatomischen und physiologischen Inhaltes veröffentlicht. Bald nach seiner Ankunft daselbst erschien der erste Band der „Institutiones physiologiae humanae“ (der zweite Band erschien 1805, das ganze Werk in deutscher Uebersetzung unter dem Titel „Lehrsätze aus der Physiologie des Menschen" 2 Bde. 1797, in 2. und 3. Aufl. 1802 und 1810), die er vollständig umgearbeitet 1820 unter dem Titel „Physiologie oder Lehre von der Natur des Menschen" herausgegeben hat. — In der ersten Bearbeitung dieses, von dem Standpunkte der neuesten Erfahrungen seiner Zeit verfaßten Lehrbuches lehnt er sich sehr entschieden an die dem Vitalismus nahestehenden animistischen Theorien Stahl's an, der, wie er sagt, „die Verrichtungen des Nervensystems aus dem wahren Gesichtspunkte betrachtet zu haben scheint“, und „mit Recht kein Bedenken trug, die Seele allein in dem menschlichen Körper für die Ursache aller Verrichtungen, sie mögen mit oder ohne Bewußtsein geschehen, anzunehmen“. Die aus der „anima“ resultirende Kraft nennt P., im Einverständnisse mit Reil, die „Lebenskraft“, während er in der zweiten Bearbeitung des Werkes ausdrücklich erklärt, daß die physikalischen (mechanischen, hydraulischen u. a.) und chemischen Kräfte noch kein Leben ausmachen, und daß das Lebensprincip, d. h. die Lebenskraft auf galvanische Polaritäten zurückzuführen sei. In der Ausführung dieses Gedankens gibt sich P. einer maßlosen naturphilosophischen Speculation hin, und in demselben Sinne ist denn auch sein „Versuch einer empirischen Darstellung des polarischen Naturgesetzes und dessen Anwendung auf die Thätigkeiten der organischen und unorganischen Körper, mit einem Rückblicke auf den thierischen Organismus“ (1815) bearbeitet. — In einem andern Werke „Bemerkungen über den Organismus des menschlichen Körpers und über die denselben betreffenden arteriösen und venösen Haargefäße nebst der darauf gegründeten Theorie der Ernährung“ (1810), theilt P. interessante Experimente mit, welche er über Diffusionserscheinungen an Geweben (Arterienhäuten) angestellt hat und äußert Ansichten über die Knochenbildung, welche in der Uebereinstimmung mit den jetzt allgemein acceptirten Ansichten über diesen Gegenstand in hohem Grade überraschen müssen. Uebrigens sei darauf hingewiesen, daß die von P. ausgeführten Injectionen des Capillarsystems zu den ausgezeichnetesten Leistungen auf diesem Gebiete gehören, sodaß dieselben den berühmten Lieberkühn’schen Injectionspräparaten vollkommen an die Seite gestellt werden können. Daß es Capillargefäße gibt, die nur Blutserum führen, wird von P. in Abrede gestellt. — Zu seinen besten Arbeiten gehört die „Disquisitio anatomico-physiologica organismi corporis humani ejusque processus vitalis“ (1812), in welcher er u. a. auf die Aehnlichkeit in den anatomischphysiologischen Verhältnissen zwischen der portio major und minor des nervus trigeminus einer- und den Hinteren und vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven andererseits hinweist und dabei die später von Bell als richtig bestätigte und weiter ausgeführte Lehre vorträgt, daß von den Rückenmarksnerven die einen (vorderen) in centrifugaler, die anderen (hinteren) in centripetaler Weise|leiten. In derselben Schrift spricht P. das stolze Wort aus: „Limites non constant, ultra quos progredi ingenio humano non datur“. Außer diesen größeren Schriften hat P. noch mehrere Arbeiten aus dem Gebiete der Physiologie, pathologischen Anatomie und der Augenheilkunde in den Schriften der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, in den Wiener Beiträgen zur praktischen Arzneikunde und in den Abhandlungen der k. k. Joseph, med.-chir. Akademie veröffentlicht. — P. theilt mit anderen bedeutenden Gelehrten das Geschick, daß ihre Leistungen während ihres Lebens wenig Anerkennung gefunden haben und erst nachher in ihrer Bedeutung gewürdigt und geschätzt worden sind; lange nach seinem Tode hat man in ihm den scharfen Denker erkannt und sich von dem überzeugt, was er nicht nur von einem divinatorischen Standpunkte, sondern auch auf dem Boden der exacten Beobachtung stehend, für die Neugestaltung der Wissenschaft geleistet hat.

  • Autor/in

    A. Hirsch.
  • Zitierweise

    Markgraf, "Prochaska, Georg" in: Allgemeine Deutsche Biographie 26 (1888), S. 622-625 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd104211520.html#adbcontent

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