Lebensdaten
1903 – 1974
Geburtsort
Geesthacht bei Hamburg
Sterbeort
Münster
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118601318 | OGND | VIAF: 19690081
Namensvarianten
  • Ritter, Joachim
  • Ritter, Gioachim
  • Ritter, Hans J.
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Ritter, Joachim, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118601318.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johannes (1869–1951), Dr. med., Leiter d. Tuberkulose-Heilstätten in G., S d. Gustav (* 1832), Pastor in H. (s. H. Schröder, Lex. d. hamburg. Schriftst. bis z. Gegenwart), u. d. Henriette Woermann;
    M Marie (1870–1948), T d. Leopold Witte (1836–1921), aus Halle/Saale, D. theol., Prof., 1879-1900 Geistl. Insp. u. Sup. an d. Landesschule Pforta, 1896 Mitgl. d. Ak. d. gemeinnützigen Wiss. (s. Wi. 1914; DBJ III, Tl.), u. d. Marie Freiin v. Steinäcker (1843–1913);
    Ur-Gvm Karl Witte (1800–83), Prof. d. Rechte in Halle, Dante-Forscher, Geh. JR (s. ADB 45), Karl Frhr. v. Steinäcker (* 1827), preuß. Oberst;
    Urur-Gvm Karl Heinrich Gottfried Witte (1767–1845), Pfarrer in Lochau b. Halle, päd. Schriftst. (s. ADB 45), Friedrich Frhr. v. Steinäcker (1781–1851), preuß. Gen. (s. Priesdorff V, Nr. 1550, S. 282-84);
    1) Mary Einstein ( 1928), 2) 1936 Edith (* 1913), T d. Wilhelm Dettmer (1880–1913), kaufm. Angest., u. d. Carola Ratjen (1886–1977);
    1 S Henning (* 1943), Dr. h. c., Journ. in Frankfurt/M., Red. d. FAZ, 1 T.

  • Biographie

    R. studierte Philosophie, Theologie, Deutsch und Geschichte in Heidelberg, Marburg, Freiburg (Br.) und Hamburg. Hier wurde er 1925 bei Ernst Cassirer zum Dr. phil. promoviert, war dessen Assistent und habilitierte sich 1932. Er war Privatdozent ohne Anstellung in Hamburg und dort in der Erwachsenenbildung tätig, bevor er 1939 zum Kriegsdienst einberufen wurde. 1943 konnte er eine Professur in Kiel kriegsdiensthalber nicht antreten. Seit 1946 lehrte er als o. Prof. für Philosophie in Münster (Rektor 1962/63, em. 1968), dazwischen 1953-55 in Istanbul.

    R.s frühe philosophiehistorische Studien über Nicolaus Cusanus (1927) und Augustinus (1937) bewegen sich im Interessenfeld der Philosophie der symbolischen Formen von Cassirer, den er zu den Davoser Gesprächen mit Heidegger (1929) begleitete. In Arbeiten u. a. über Marx, Dilthey, Durkheim und Levy-Bruhl formierte R. seine Position innerhalb dieses Feldes: 1933 anthropologiekritisch – durch Abwehr von Subjektivismus und Weltanschauungsphilosophie – und 1938 durch Reflexion der Geschichtlichkeit wissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnis, womit R.s hermeneutische Einsicht vorbereitet wurde, daß systematische Philosophie und Philosophiehistorie nicht getrennt werden dürfen.

    R. interpretierte die Geisteswissenschaften als existenzielle Antwort auf die Ausbildung der modernen Naturwissenschaften und kam so zu einer differenzierten Theorie der modernen Welt. In Analysen der Struktur des Lachens (1940) – das geltend mache, was die offizielle Ordnung und Verständigkeit „ausgrenzt“ – entdeckte R. jene Kompensationsstruktur, die seine Philosophie der modernen Welt seit 1946, v. a. seine Münsteraner Vorlesungen zur Ästhetik und zur praktischen Philosophie untersuchten: Die modernen Versachlichungen und Geschichtslosigkeiten werden spezifisch modern kompensiert durch den ästhetischen und historischen Sinn und die Geisteswissenschaften. In seinen späteren Werken „Metaphysik und Politik“ (1969) und „Subjektivität“ (1974) entwickelte R. daraus – auch durch seine vielfach übersetzte Studie „Hegel und die franz. Revolution“ (1957) – eine generelle Nicht-Identitätsphilosophie der Entzweiungsstruktur der modernen Welt: In ihr treten „Zukunft“ – die traditionsneutral „geschichtslose“ Fortschrittswirklichkeit der exakten Wissenschaften, der Technik, der Wirtschaftswelt und Arbeit – und „Herkunft“ – die Traditions- und Lebenswelt der Geschichten und die Freiheitswelt der „Subjektivität“ – auseinander. Aber ihre Zusammengehörigkeit muß begriffen, ihre „Entzweiung“ (Hegel) muß ausgehalten werden. Zugleich brauchen sie dieses gewaltenteilige Auseinandertreten, um nicht ruinöse Einseitigkeiten zu ermächtigen. So ist die „Entzweiung“ nicht nur Gefahr, sondern zugleich positiv: Die moderne Welt und ihre Institutionen sind weder Idylle noch Inferno, sondern auf nüchterne Weise zustimmungsfähig. Dadurch wurde R.s Philosophie der modernen Welt als Philosophie der positivierten Entzweiung – durch Absage an Emanzipationsromantik und Bewahrungsfundamentalismus – zu einer Philosophie des „bürgerlichen Lebens“.

    Zu R.s hermeneutischer Philosophie gehört zugleich die Bemühung um die Begriffsgeschichte: 1971-74 gab R. das auf 12 Bände veranschlagte „Historische Wörterbuch der Philosophie“ (bis 2001 11 Bde.) heraus. Zahlreiche Schüler seines „Gollegium Philosophicum“ – darunter H. Lübbe, R. Spaemann, K. Gründer, L. Oeing-Hanhoff, O. Marquard, E. W. Böckenförde, M. Kriele, J. Seifert, W. Goerdt, H. Schepers, F. Kambartel, G. Rohrmoser, W. Oelmüller, R. Maurer, G. Bien, B. Willms, H. J. Sandkühler, G. Scholtz – haben wissenschaftliche Bedeutung erlangt bzw. sind – teilweise in Opposition zur „Kritischen Theorie“ – für die bundesrepublikanische Demokratie richtungweisend geworden. R. ist einer der einflußreichsten Philosophen in Deutschland nach dem Ende des 2. Weltkriegs.|

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. Arbeitsgemeinschaft f. Forsch, d. Landes NRW (später Rhein.-Westfäl. Ak. d. Wiss.), Düsseldorf (1952), d. Ak. d. Wiss. u. Lit. zu Mainz (1964), d. dt. Wiss.rates (1965) u. d. Gründungsausschüsse d. Univ. Bochum (1961), Dortmund (1963) u. Konstanz (1964).

  • Werke

    Weitere W Docta ignorantia, Die Theorie d. Nicht-Wissens b. Nicolaus Cusanus, 1927 (Diss.);
    Mundus intelligibilis, Eine Unters. z. Aufnahme u. Umwandlung d. neuplaton. Ontol. b. Augustinus, 1937 (Habil-Schr.);
    Über d. Geschichtlichkeit wiss. Erkenntnis, in: Bll. f. dt. Philos. 12, 1938;
    Metaphysik u. Pol., Stud. zu Aristoteles u. Hegel, 1969 (darin u. a. Hegel u. d. franz. Rev., 1957);
    Subjektivität, 1974 (darin u. a. Über d. Sinn u. d. Grenzen d. Lehre vom Menschen, 1933;
    Die Aufgabe d. Geisteswiss. in d. modernen Ges., 1961;
    Landschaft, Zur Funktion d. Ästhetischen in d. modernen Ges., 1963.

  • Literatur

    E. W. Böckenförde u. a., Collegium Philosophicum, Stud. J. R. z. 60. Geb.tag, 1965 (P);
    Gedenkschr. J. R., 1978 (P, W-Verz.);
    H. Ottmann, in: J. Nida-Rümelin (Hg.), Philos. d. Gegenwart in Einzeldarst., 1991, S. 504-09;
    U. Dierse, J. R. u. seine Schüler, in: A. Hügli u. P. Lübcke (Hg.), Philos. im 20. Jh., I, 1992, S. 237-78;
    O. Marquard, Zukunft u. Herkunft, Bemerkungen zu J. R.s Philos. d. Entzweiung, in: ders., Skepsis u. Zustimmung, 1994, S. 15-29;
    Jb. d. Ak. d. Wiss u. d. Lit., Mainz, 1996;
    Ch. Tilitzki, Die dt. Univ.philosophie in d. Weimarer Rep. u. im Dritten Reich, 2 T., 2002 (P;
    hierzu: F.-R. Hausmann, in: SZ v. 19.4.2002, P);
    Kosch, Lit.-Lex.³.

  • Autor/in

    Odo Marquard
  • Zitierweise

    Marquard, Odo, "Ritter, Joachim" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 663-664 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118601318.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA