Lebensdaten
1882 – 1966
Geburtsort
Wiesbaden
Sterbeort
Tutzing (Oberbayern)
Beruf/Funktion
Medizinerin ; Schriftstellerin
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 11857485X | OGND | VIAF: 49220332
Namensvarianten
  • Spieß, Mathilde (geborene)
  • Spieß, Mathilde Friedrike Karoline (geborene)
  • Kemnitz, Mathilde Freifrau von (verheiratete)
  • mehr

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Zitierweise

Ludendorff, Mathilde (verheiratete), Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11857485X.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Bernhard Spieß (1845–1906), Dr. phil., Gymnasialprof. in W., S d. Ludwig (1809–81), Dekan u. Pfarrer in Sulzbach b. Höchst/Main, u. d. Auguste Heusinger v. Waldegg;
    M Johanna (1852–1933), T d. Steuerrats Karl August Peipers in Aachen u. d. Caroline Spieß;
    1) Berlin 1904 Gustav Adolf v. Kemnitz (1881–1917), Dr. phil., Privatdozent f. Zoologie u. vgl. Anatomie a. d. Univ. München, 2) 1919 ( 1921) Edmund Georg Kleine, Major a. D., 3) Tutzing 1926 Erich Ludendorff (s. 1); 2 S, 1 T aus 1), | Asko v. Kemnitz (1909–92), Untern., Mühlenbes. 1945-60 Bgm. v. Hettenshausen b. Pfaffenhofen, Hanno v. Kemnitz (1909–90), Untern., Ingeborg (* 1906, Franz Frhr. Karg v. Bebenburg, * 1910, Verleger); E Alexander v. Kemnitz (1949–90), Ur-E Maximilian v. Kemnitz (* 1976), beide Dipl.kaufm.

  • Biographie

    L. absolvierte zunächst eine Ausbildung als Lehrerin für mittlere und höhere Töchterschulen, entschloß sich aber nach kurzer Tätigkeit in einem Pensionat in Biebrich, das Abitur nachzuholen (1901) und studierte dann in Freiburg i. B. und Berlin Medizin. Als sie 1904 heiratete, unterbrach sie das Studium und setzte es erst 1910/11 in München fort, wo sie 1913 zum Dr. med. promoviert wurde. Danach war L. Assistenzärztin an der Gynäkologischen Universitätsklinik (Joseph Albert Amann), später Volontärassistentin an der Psychiatrischen Universitätsklinik (Emil Kraepelin) in München. 1915 ließ sie sich als Nervenärztin in Partenkirchen nieder. Sie wurde dann ärztliche Leiterin eines Offiziersgenesungsheims, das 1917 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden mußte. Seit Mai 1917 praktizierte sie im Garmischer „Fürstenhof“ als Leiterin eines privaten Kurheims. Im Mai 1920 konnte sie mit ihren Kindern ein eigenes Haus in Tutzing am Starnberger See beziehen.

    Neben ihrer ärztlichen Tätigkeit beteiligte sich L. schon während des 1. Weltkriegs an öffentlichen polit. Diskussionen, wobei sie die Parolen der offiziellen Durchhaltepropaganda unterstützte. Ihr besonderes Interesse galt zunächst den Fragen der Frauenemanzipation, die sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung beim Medizinstudium aufgriff. Schon in ihrer Doktorarbeit „Der asthenische Infantilismus des Weibes in seinen Beziehungen zur Fortpflanzungstätigkeit und geistigen Betätigung“ (1913) vertrat sie die These, ein wissenschaftliches Urteil über geschlechtsspezifische Unterschiede der geistigen Leistungsfähigkeit bei Mann und Frau sei erst dann möglich, wenn die Chancengleichheit der Geschlechter gesellschaftlich durchgesetzt und über mehrere Generationen hinweg praktiziert worden sei. Auch ihre ersten umfangreicheren Publikationen widmete sie diesem Thema (Das Weib und seine Bestimmung, Ein Beitrag zur Psychologie der Frau und zur Neuorientierung ihrer Pflichten, 1917; Erotische Wiedergeburt, 1919, später u. d. T. Der Minne Genesung).

    Seit etwa 1916 beschäftigte L. sich mit Philosophie (Kant, Schopenhauer, Nietzsche) und bemühte sieh, Erkenntnisse der biologischen Entwicklungslehre (Darwin, Haeckel) mit einer rassistisch begründeten und antisemitisch akzentuierten Weltanschauung zu einer deutsch-völkischen Glaubenslehre zu verbinden. Im „Triumph des Unsterblichkeitswillens“ (1921) entwickelte sie ihre Lehre von der „Gotterkenntnis“, in der die gesamte Entwicklungsgeschichte der Natur als ein Prozeß zunehmender Bewußtheit gesehen wird, der im Menschen, dem „einzigen Bewußtsein Gottes“ seinen Höhepunkt und Abschluß findet. Die Idee einer mystisch erlebten „Selbstschöpfung“ wird in „Der Seele Ursprung und Wesen“ (3 Bde., 1923–27) weiter ausgeführt; L. fordert hier die radikale Abkehr von allen traditionellen Wertvorstellungen christlicher Ethik und Moral, die als Elemente eines knechtischen Selbsterhaltungswillens verdammt werden, weil sie den Menschen hindern, sein Daseinsziel, „vollkommener Gott zu werden“, zu erreichen. In den Augen L.s erwächst die Möglichkeit, zur „Gotteserkenntnis“ zu gelangen, aus dem deutschen „Rasseerbgut“ und der Überlieferung altgermanischer Religiosität. Mit dieser eklektischen und aus ihren persönlichen Obsessionen entwickelten und in zahlreichen Schriften jahrzehntelang unbeirrt vorgetragenen Ideologie gehörte L. in den Zusammenhang der sogenannten „Deutschgläubigen Bewegungen“, die den Rassenantisemitismus des 19. Jh. (Gobineau, Lagarde, Dühring, Chamberlain) mit antichristlicher Polemik verschärften und zum Fundament einer germanisch-deutschen Religiosität erklärten, von L. an Radikalität aber noch übertroffen wurden.

    Vermittelt durch Gottfried Feder, den antisemitischen und rechtsradikalen Wirtschaftstheoretiker, traf L. 1923 Erich Ludendorff, der seit August 1920 in München zu einer Galionsfigur der radikalen Rechten geworden war und mit Hitler in Verbindung stand. Er fand in den Ideen der „Philosophien“, wie er sie stets nannte, die Begründung der von ihm behaupteten dämonischen Verschwörung gegen Deutschland. Im Kreis der militanten rechtsradikalen Republikgegner um Ludendorff hoffte L., die Rolle einer philosophischreligiösen Vordenkerin spielen zu können. 1926 heiratete die „Philosophin“ den „Feldherrn“, der 1927 aus der Kirche austrat und im Anschluß an die erst jetzt publizierte Satzung des „Tannenbergbundes“ in diesem Jahr auch seine „Kampfziele“ formulierte, in denen eine Art Aktionsprogramm des „Hauses Ludendorff“ zu sehen ist. Wie der General entdeckte L. zu dieser Zeit in der Freimaurerei einen weiteren Gegner und erklärte einige große Gestalten der deutschen Geistesgeschichte als Opfer jüdisch-freimaurerischer Mordintrigen (Der ungesühnte Frevel an Luther, Lessing, Mozart und Schiller, 1928). Beide entfalteten darüber hinaus eine rege Vortragstätigkeit. 1928/29 wurde „Ludendorffs Volkswarte-Verlag“ gegründet, der die gleichnamige Wochenzeitschrift (seit Mai 1929) herausbrachte. Mit ihr erschien seit August die von L. redigierte und mit meist selbstverfaßten Aufsätzen gefüllte Beilage „Am Heiligen Quell“. Schließlich konstituierte sich im März 1930 der Verein „Deutschvolk“, die Religionsgemeinschaft der „sich zum Deutschen Gotterkennen bekennenden Deutschen“. Der weiter bestehende „Tannenbergbund“ zählte damals etwa 50 000 Anhänger. 1932 wurde „Am Heiligen Quell“ das selbständige Organ des Vereins „Deutschvolk“.

    Die weitgehende ideologische Übereinstimmung der Ludendorff-Bewegung mit dem Nationalsozialismus hinderte den Feldherrn nicht daran, mit Hitler zu brechen, als dieser nach seiner Entlassung aus der Festungshaft auf legalem Weg den politischen Erfolg suchte und eine den christlichen Konfessionen gegenüber indifferente Haltung an den Tag legte. Ludendorff sah darin „Romhörigkeit“ und Verrat an den völkischen Idealen (Hitlers Verrat der Deutschen an den röm. Papst, 1931). Die religionspolitische Neutralität, die das Regime nach der Machtergreifung aus taktischen Gründen für geboten hielt, führte dann am 22.9.1933 zum Verbot des „Tannenbergbundes“ wie des Vereins „Deutschvolk“. Die Durchsetzung des Verbots wurde allerdings mit Billigung höchster Instanzen nicht sonderlich scharf überwacht, so daß die Erzeugnisse des nach wie vor bestehenden Verlags ungehindert vertrieben werden konnten. Schon zum 70. Geburtstag des Generals im April 1935 gab es den Versuch Hitlers, der an einer guten Beziehung von Partei und Heer interessiert war, die „Religionsstifterin“ aber mit Abneigung und spöttischer Herablassung betrachtete, eine Versöhnung herbeizuführen, aber erst im März 1937 kam es im Gebäude des Wehrkreiskommandos VII in München zu einer Begegnung. Dabei gelang es Ludendorff, von Hitler die Zusage für die Wiederzulassung seiner religiösen Vereinigung zu erreichen. Im Juni 1937 konnte daraufhin der „Bund für Deutsche Gotterkenntnis (L)“ als Nachfolgeorganisation des Vereins „Deutschvolk“ gegründet werden. Er galt als konfessionelle Gruppierung, seine Anhänger konnten daher als Konfessionsbezeichnung „Gotterkenntnis (L)“ angeben. Bei Kriegsbeginn entzog man dem Verlag das entsprechende Papierkontingent, so daß die Zeitschrift „Am heiligen Quell deutscher Kraft“ (Aufl. 64 000) eingestellt werden mußte.

    Antisemitische Überzeugungen äußerte L. auch noch nach dem Krieg, als sie in einem Spruchkammerverfahren (23.11-16.12.1949) am 5.1.1950 als „Hauptschuldige“ eingestuft wurde (nach Revisionsverfahren am 8.1.1951 Abmilderung zu „Belastete“). Der „Bund für Gotterkenntnis (L)“ existierte schon seit 1945 wieder, die Zeitschrift „Der Quell“ erschien seit 1948. In den 50er Jahren erlebte die Sekte L.s eine gewisse Renaissance; man veranstaltete jährlich Ferienlager und „Lebenskunde“-Tagungen. 1955 wurde eine „Hochschule für Gotterkenntnis“ eingerichtet. Erst nachdem im Januar 1959 in der Zeitschrift „Der Quell“ unter dem Pseudonym Felix Wietholdt ein antisemitischer Artikel aus der Feder des früheren Parteipropagandisten der NSDAP Johannes v. Leers (der damals in Kairo lebte) erschienen war, kam es zu juristischen Maßnahmen. 1961 wurde der „Bund für Gotterkenntnis“ wegen verfassungsfeindlicher Betätigung aufgelöst, der Verlag „Hohe Warte“ geschlossen, die Zeitschrift „Der Quell“ verboten. Dieses in den 60er Jahren in mehreren Instanzen bestätigte Urteil wurde erst in einem Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht aufgehoben (23.3.1971).

  • Werke

    Weitere W u. a. Des Weibes Kulturtat, 1920;
    Dt. Gotterkenntnis, 1927;
    Der Seele Wirken u. Gestalten, T. 1: Des Kindes Seele u. d. Eltern Amt - e. Philos. d. Erziehung, 1930, T. 2: Die Volksseele u. ihre Machtgestalter - e. Philos. d. Gesch., 1933, T. 3: Das Gottlied d. Völker - e. Philos. d. Kultur, 1935;
    Statt Heiligenschein od. Hexenzeichen mein Leben, 6 Bde., 1932-68 (Autobiogr.; P).

  • Literatur

    M. L., ihr Werk u. Wirken, hrsg. v. Erich Ludendorff, 1937 (W, P);
    K. Witte, Dt. Gotterkenntnis (Haus Ludendorff), in: Die Nation vor Gott, Zur Botschaft d. Kirche im Dritten Reich, hrsg. v. W. Künneth u. H. Schreiner, 1937;
    W. Martini, Die Legende v. Hause L., 1949;
    H. Buchheim, Die organisator. Entwicklung d. L.-Bewegung u. ihr Verhältnis z. Nat.sozialismus, in: Gutachten d.|Inst. f. Zeitgesch. I, 1958;
    G. Borst, Die L.-Bewegung 1919–61, Eine Analyse monologer Kommunikationsformen in d. soz. Zeitkommunikation, Diss. München 1969;
    A. Mohler, Die Konservative Rev. in Dtld. 1918–32, Ein Hdb., ²1972 (vollst. Bibliogr. d. L.-Bewegung);
    H. Kopp, Gesch. d. L.-Bewegung, 1975 (Selbstdarst.);
    K. Scholder, Die Kirchen u. d. Dritte Reich, 1977;
    B. Thoss, Der L.-Kreis 1919–23, München als Zentrum d. mitteleurop. Gegenrev. zw. Rev. u. Hitler-Putsch, 1978;
    H.-J. Sonne, Die polit. Theologie d. Dt. Christen, 1982;
    RGG³ (Deutschgläub. Bewegungen);
    LThK² (Bund f. Gotterkenntnis);
    Theol. Realenz. VIII, 1981 (Deutschgläub. Bewegungen);
    Kosch, Lit.-Lex.³.

  • Autor/in

    Rudolf Radler
  • Zitierweise

    Radler, Rudolf, "Ludendorff, Mathilde" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 290-292 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11857485X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA