Lebensdaten
1854 – 1910
Geburtsort
Posen
Sterbeort
Charlottenburg
Beruf/Funktion
Theaterdirektor ; Slawist ; Publizist ; Übersetzer ; Redakteur ; Literaturhistoriker ; Journalist ; Hochschullehrer ; Übersetzer ; Literarhistoriker
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 117168912 | OGND | VIAF: 57385449
Namensvarianten
  • Loewenfeld, Raphael
  • Löwenfeld, Raphael
  • Loewenfeld, Raphael
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Zitierweise

Löwenfeld, Raphael, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117168912.html [03.10.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Victor, Pensionsvorsteher in P.;
    M N. N. ( vor 1877);
    B Samuel (1854–91), Privatdozent f. Gesch. an d. Univ. Berlin (s. W; Kürschner, Lit.-Kal. 1892).

  • Biographie

    L. studierte seit 1872 Philologie in Berlin, Warschau und Breslau. Hier wurde er 1877 mit der Dissertation „Johann Kochanowski und seine lat. Dichtungen“ zum Dr. phil. promoviert. Er war anschließend Lektor für russ. Sprache und Literatur und ging für kurze Zeit als Korrespondent des „Berliner Tageblatts“ nach St. Petersburg. Nachdem er den Plan, die akademische Laufbahn einzuschlagen, aufgegeben hatte, wandte er sich in Berlin dem Theater zu. Seit 1888 war er Redakteur der „Dramaturgischen Blätter“, der „Bühnenrundschau“ und der Monatsschrift „Nord und Süd“; 1898-1906 gab er die Zeitschrift „Volksunterhaltung“ heraus. In seinem Haus war die jüd. Lesehalle untergebracht, die später mit der Bibliothek der jüd. Gemeinde vereinigt wurde. 1894 gründete L. die gemeinnützige „Schiller-Theater-Gesellschaft“, die sich „die Begründung und Unterhaltung volkstümlicher Schauspiele“ zur Aufgabe machte und das Wallnertheater (mit 1200 Plätzen) als „Schiller-Theater“ (Ost) übernahm. 1896 gliederte L. ihm das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater in der Chausseestraße an (mit 1500 Plätzen, als Schiller-Theater-Nord). 1907 eröffnete er in Charlottenburg an der Bismarckstraße einen von Max Littmann im amphitheatrischen Stil errichteten Neubau (mit 1194 Plätzen, Schiller-Theater-West). Es war L.s Bestreben, dem breiten Publikum – vor allem Schülern und Menschen aus ärmeren Schichten – die klassischen Werke der dramatischen Dichtung zu erschwinglichen Preisen (in der Regel über Abonnements) „in sauberer, abgerundeter Darstellung vorzuführen“. Die vereinigten Schiller-Theater, die jeden Monat mit zwei Premieren aufwarteten, verstanden sich als Volksbühne von hohem Niveau; sozialpolitische Tendenzen oder gar Frivolität waren verpönt. Hat das Schiller-Theater den konventionellen, solid-handwerklichen Rahmen auch nicht gesprengt, so kommt ihm doch für Berlin bildungsgeschichtlich eine hohe Bedeutung zu. Nach L.s Tod übernahm Max Pategg die Leitung des Charlottenburger Schiller-Theaters, das 1923 in den Verband der Preuß. Staatstheater (unter Leopold Jessner) aufgenommen wurde und während des Dritten Reichs (unter Heinr. George) zu zweifelhaftem Ruhm gelangte. Der 1937/38 veränderte Bau wurde 1943 durch Bomben zerstört und 1948-51 im Stil jener Jahre wieder aufgebaut.

    Neben seiner Arbeit für das Theater und die Volksbildung fand L. immer noch Zeit für seine Forschungen zur russ. und poln. Literatur, vor allem für seine Übersetzungstätigkeit. Er hat sich große Verdienste um die Verbreitung des Werks von Tolstoi im deutschsprachigen Raum erworben: Er widmete dem Dichter eine Monographie (1892) und veröffentlichte „Gespräche über und mit Tolstoi“ (1891); in kongenialer Weise hat er die Werke Tolstois ins Deutsche übertragen (8 Bde., 1891–93; 33 Bde., 1901–11). Immer wieder wurden einzelne Werke Tolstois in L.s Übersetzung neu aufgelegt (im Eugen Diederichs Verlag, zuletzt „Meine Beichte“, 1978).

    Auf einem dritten Gebiet, dem Zusammenschluß der Juden im „Centralverein deutscher Staatsbürger jüd. Glaubens“, ist L. hervorgetreten. Seine 1893 anonym erschienene Schrift „Schutzjuden oder Staatsbürger?“ (111911), die vom Standpunkt des liberalen Judentums als Reaktion auf den anwachsenden Antisemitismus verfaßt worden war, gab die Anregung zur Gründung des Centralvereins am 26.3.1893. L. forderte, durch einen organisatorischen Zusammenschluß das Selbstbewußtsein der deutschen Juden zu stärken, Wissen vom Judentum zu verbreiten und judenfeindliche Angriffe durch Selbstverteidigung, durch „Selbsthilfe im Lichte der Öffentlichkeit“ abzuwehren. Seine Thesen basierten auf dem Grundgedanken, daß die deutschen Juden Angehörige des deutschen Volkes seien, mit dem sie Land, Sprache, Recht, Kultur und die letzten Jahrhunderte ihrer Geschichte teilen. Jüdischen Nationalismus jedweder Art lehnte er ab, ebenso die Abgrenzungsbemühungen der orthodoxen Juden. L.s Grundgedanken wurden in die Vereinssatzung des Centralvereins aufgenommen. Am Tag nach der „Kristallnacht“ 1938 wurde der Centralverein, in dem die überwiegende Mehrheit der deutschen Juden zusammengefaßt war, verboten und der „Reichsvertretung (seit 1939: Reichsvereinigung) der Juden in Deutschland“ eingegliedert.

  • Werke

    Weitere W L. Gornicki, 1884;
    Unser heutiges Judentum, Eine Selbstkritik, 1890;
    zahlr. Artikel z. russ. u. poln. Sprache u. Literatur sowie zu theatergesch. Themen. -
    Weitere Überss.: Turgenjew, Tagebuch e. überflüssigen Menschen, 1882;
    ders., Gedichte in Prosa, ³1884;
    Kantecki, Die neapolitan. Summen, 1882;
    Kraszewsky, Auf Irrwegen, 1884;
    Sienkiewicz, Mit Feuer u. Schwert, 1887;
    ders., Der kl. Ritter, 1887. -
    Zu B Samuel Leo v. Vercelli, 1877;
    Wahrheit üb. d. Juden-Anteil am Verbrechen, 1880;
    Epistolae pontificum Romanorum ineditae, 1885;
    Gesch. d. päpstl. Archivs, 1886 f.;
    Regesta Pontificum Romanorum, 1888 (Neubearbeitung v. Ph. Jaffés Werk, 1851, mit F. Kaltenbrunner).

  • Literatur

    M. Littmann, Das Charlottenburger Schiller-Theater, 1907 (Einl. v. R. L.);
    Eugen Fuchs, Um Deutschtum u. Judentum, Gesammelte Reden u. Aufsätze (1894–1919), hrsg. v. Leo Hirschfeld, 1919;
    P. Zucker, Theaterbauten u. Feierstätten, 1939;
    H. Ritter, Theater in Berlin, 1962, G. Zivier, Schiller-Theater, Schloßpark-Theater Berlin, 1963 (P);
    Nachrufe in: Bühne u. Welt v. 15.1.1911, Allg. Ztg. d. Judentums 1911, Nr. 7, S. 77-79, Nr. 15, S. 176;
    Enc. Jud. X;
    BJ 15 (Tl.).

  • Autor/in

    Franz Menges
  • Zitierweise

    Menges, Franz, "Löwenfeld, Raphael" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 90-91 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117168912.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA