Lebensdaten
1900 – 1950
Geburtsort
Dessau
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Komponist
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118630202 | OGND | VIAF: 76501825
Namensvarianten
  • Weill, Kurt Julian
  • Weill, Kurt
  • Weill, Kurt Julian
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Weill, Kurt, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630202.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus seit d. 14. Jh. zuerst in Weil b. Stuttgart nachweisbarer Gelehrten- u. Rabbinerfam.;
    V Albert (Abraham) (1867–1950), aus Kaufmannsfam. in Kippenheim (Ortenau), 1898 Kantor in D., 1920–31 Dir. e. Kinderheims d. jüd. Loge B’nai B’rith in Leipzig, Komp., emigrierte Anfang Mai 1936 mit seiner Frau n. Palästina (s. LexM), S d. Nathan (1828–94), Kaufm., u. d. Jeanette Hochstetter (1831 / 37–81);
    M Emma (1871–1955), aus Wiesloch, T d. Daniel Ackermann (1840–1921) u. d. Babette Messinger (1834–1918);
    Ur-Gvv Löw (1789–1853), Gründer e. Eisenwarenhandlung in Kippenheim;
    Ov Leopold (1865–1940), Eisenwarenhändler, Inh. d. Leopold Weill Röhrengroßhandlung in Mannheim, Lippmann (1869–1928, Ida [Isa] Sonder, 1870–1940), Om A(a)ron Ackermann (Ps. Arnold Mann) (1867–1912), Dr. phil., Rabbiner in Brandenburg/ Havel, Vf. v. Publl. z. liturg. jüd. Musik, z. hebr. Sprache u. z. Gesch. d. Judentums in Brandenburg (s. Biogr. Hdb. Rabbiner II), Tante-v Charlotte (1857–1927, Saul Eichenbaum, 1849–1916, Kantor in Kippenheim), Hanna (Hannchen) (1860–1928, Wolf Isaak Horwitz, 1860 / 62–1905, aus Rußland, zuletzt in Cannstatt), Babette (1862–1939, Samuel Sonder);
    2 B Nathan (1898–1957, Helene [Leni] Frankenberg, 1897–1972, aus Leipzig), Dr. med., Arzt in Leipzig, emigrierte mit seiner Fam. Ende Aug. 1938 n. Palästina, Han(n)s Jakob (1899–1947, Rita Kisch, 1902–83, aus Groningen), Prokurist d. Leopold Weill Röhrengroßhandlung, emigrierte mit seiner Fam. Ende 1938 in d. USA, zuletzt in New York, 1 Schw Ruth (1901–72, Leo Sohn, 1893–1969), 1919 Lehrerin in Bad Segeberg, 1920 Mitarb. in Kinderheims d. jüd. Loge B’nai B’rith in Leipzig, emigrierte mit ihrer Fam. im Sommer 1933 n. Palästina, später in d. USA;
    Berlin 1926 1933 erneut 1937 Lotte Lenya (eigtl. Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer) (1898–1981), Sängerin, Schausp. (s. NDB 14);
    kinderlos.

  • Biographie

    In einem jüd. Kantorenhaushalt aufgewachsen, besuchte W. 1909–18 die Friedrichs-Oberrealschule in Dessau. Nach Unterricht bei Albert Bing (1884–1935) begann er im Mai 1918 bei Engelbert Humperdinck (1854–1921) an der Hochschule für Musik in Berlin zu studieren. 1919–20 war W. als 2. Kapellmeister am Städt. Theater in Lüdenscheid tätig. Ästhetisch und stilistisch prägend wurde für ihn der Unterricht bei Ferruccio Busoni (1866–1924), in dessen Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste Berlin W. 1921 eintrat und der er bis zum Tod des Lehrers angehörte. In dieser Phase entstanden Lieder, Kammermusik sowie eine (später verworfene) einsätzige Sinfonie. Gemeinsam mit anderen Studierenden der Busoni-Klasse engagierte sich W. ab 1923 in der „Novembergruppe“, einer für einen egalitären Kunstbegriff und die Integration zeitgenössischer Kunst in die kulturpolitische Realität der Weimarer Republik eintretende Berliner Künstlergruppierung.

    Gestützt durch einen 1924 geschlossenen, dauerhaften Veröffentlichungsvertrag mit der Universal Edition AG, einem der führenden Musikverlage auf dem Sektor der zeitgenössischen Musik, konnte W. sich als Musiktheaterkomponist etablieren. Der Achtungserfolg seines 1926 von Fritz Busch (1890–1951) an der Sächs. Staatsoper Dresden dirigierten Operneinakters „Der Protagonist“ markierte den (bis zum Lebensende währenden) Schaffensschwerpunkt im Bereich des musikalischen Theaters und begründete die bedeutende Zusammenarbeit mit dem Dramatiker Georg Kaiser (1878–1945), mit dem 1927 ein weiterer Einakter, die Opera Buffa „Der Zar läßt sich photographieren“, entstand. In diesem Werk, in dem nur wenig später – zusammen mit Bertolt Brecht (1898–1956) – konzipierten Werkkomplex „Mahagonny“ (als „Songspiel“ UA 1927 in Baden-Baden, als|Oper 1930 in Leipzig, als kommerzielle abendfüllende Produktion von W. überarbeitet 1931 in Berlin) sowie in der Oper „Die Bürgschaft“ (gemeinsam mit Caspar Neher, 1897–1962, UA Städt. Oper Berlin 1932) etablierte W. Prinzipien der epischen Oper: u. a. eine dramaturgische Funktionalisierung musikalischen Stils und musikalischer Formgebung, ausgehend von einer originellen Umformung musikalischer Vorlagen unterschiedlichster Herkunft – wie barocker, klassischer oder veristischer Opernsprache, Operette oder der amerikanisierten Unterhaltungsmusik. So verknüpfte W. Charaktere und Handlungselemente auf allgemeinverständliche Weise mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen. In späteren Arbeiten kam es zu einer psychologischen Durchdringung der Figuren und einer Verdichtung der musikdramaturgischen und sozialkritischen Textur („Street Scene“, 1947; „Lost in the Stars“, 1949). Hierin sowie in W.s dezidiert antifaschistischem Engagement (insbesondere während des 2. Weltkriegs) zeigt sich auch die politische Dimension seines Schaffens.

    Ähnliche dramaturgische Strategien entwickelte W. im Bereich des gewerblich produzierten populären Musiktheaters, u. a. mit der „Dreigroschenoper“ (1928) in Berlin, mit „Marie Galante“ (1934) in Paris, dem „Kuhhandel“ (1935, u. d. T. „A Kingdom for a Cow“) in London und am New Yorker Broadway (ab 1935).

    Die Musik zur „Dreigroschenoper“, entstanden in Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht nach der „Beggars Opera“ (1728) von John Gay (Übers. v. Elisabeth Hauptmann), besteht zum überwiegenden Teil aus Songs, die aus der Handlung herausweisen. Hier wird durch den Einsatz nicht-dramatischer Musikformen, etwa Songs oder verfremdeter Unterhaltungstänze, die dramatische Entwicklung bewußt durchbrochen und konterkariert. So sollte die Kunsthaftigkeit der opernhaften Gestaltung ausgestellt und das Publikum zur Reflexion über das vorgeführte Geschehen gebracht werden (später etwa auch in „Der Silbersee“, 1933, und „Love Life“, 1948). Für die von W. geprägte Stilistik der verfremdeten Schlager- und Popularmusiknummern wurde der Begriff „Songstil“ geprägt.

    Sowohl als Bühnenwerk wie auch über einzeln vermarktete Songs erweist sich die Musik der „Dreigroschenoper“ bis heute als Massenerfolg. Das Werk bildet somit den Scheitelpunkt in der Entwicklung eines Œuvres hin zu einem egalitären, massenrezeptiven Kunstbegriff, wie er damals mit dem Terminus der musikalischen Neuen Sachlichkeit bezeichnet wurde. Diese Entwicklung geht einher mit W.s konstruktiver Auseinandersetzung mit Funktion und Wirkung von Musik in den Massenmedien – insbesondere im Rundfunk, für den er als Rezensent seit 1924 und als Rundfunkkomponist („Das Berliner Requiem“, 1928; „Der Lindberghflug“, 1929; „Down in the Valley“, 1945) tätig war.

    Als jüd. Vertreter der musikalischen Moderne in Nazi-Deutschland verfolgt, floh W. Ende März 1933 von Berlin zunächst nach Paris, im Okt. 1934 nach Louveciennes in der Île-de-France, Anfang 1935 nach London, schließlich im Sept. 1935 nach New York.

    Dorthin führte ihn das bereits weitgehend in Europa entstandene Bühnenwerk „The Eternal Road“ (dt. u. d. T. „Der Weg der Verheißung“, gemeinsam mit dem Dramatiker Franz Werfel, und dem Regisseur Max Reinhardt), in dem über alttestamentarische Stoffe der Leidensweg des jüd. Volkes dramatisiert und mit der gegenwärtigen politischen Situation in Beziehung gesetzt wird. Die Broadway-Produktion (UA 1937) des durch den US-amerik. Zionisten Meyer Weisgal initiierten und als „pageant“ (jüd. Propagandaspektakel) für Aufführungen in den USA konzipierten Werkes erwies sich für W. als erster Schritt zum Neuanfang in den USA. Er beantragte 1937 die US-amerik. Staatsbürgerschaft, die er 1943 erhielt.

    Weitere wichtige Schritte bei dem Versuch, sich am Broadway eine Existenz als Theaterkomponist aufzubauen, waren die Kooperation mit dem Group Theatre 1936–37 und der Vertrag mit dem New Yorker Musikverlagshaus Chappell 1936; 1946 wurde W. in die Playwrights’ Company aufgenommen.

    Zeitlebens setzte sich W. künstlerisch, religiös und politisch mit Zionismus und Judentum auseinander („Me addir“, 1913; „Ofrah’s Lieder“, 1916; „Recordare“, 1923). Er distanzierte sich von der institutionalisierten jüd. Religion, zeigte sich aber zugleich in einer ganzen Reihe von Werken („The Eternal Road“, 1937; „We Will Never Die“, 1943; „Kiddush“, 1946) solidarisch mit dem jüd. Volk und engagierte sich gegen den Antisemitismus.

    Als einer der erfolgreichsten Komponisten des Musiktheaters ist W. heute zum Gegenstand heftiger Diskussionen innerhalb der Debatte um Moderne und Postmoderne geworden. Dabei blieb lange Zeit unberücksichtigt, daß die beiden Hälften seines Schaffens, die europ. und die US-amerik., nur zum Schein die Gegensätze zweier Kulturen in | sich tragen, und daß der Versuch, sie gegeneinander auszuspielen, die beide Teile umfassende Qualität der W.schen Ästhetik übersehen läßt: die egalitäre und massenrezeptiven Prozessen gegenüber unvoreingenommene Haltung als Komponist, die ihm gerade in jenen kulturellen Sphären Entfaltung ermöglichte, die beide Kontinente miteinander verbinden. Verkörpert W. doch wie kaum ein anderer jenen Geist einer anderen musikalischen Moderne des 20. Jh., deren Herausforderungen nicht primär in der radikalen Weiterentwicklung des musikalischen Materials, sondern in der Auseinandersetzung mit sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie in der Umstrukturierung der Öffentlichkeit lagen. Der mächtige und seit der Ausbreitung der technischen Medien gesellschaftsprägende kommerzielle Kulturbetrieb wurde W. zur künstlerischen Herausforderung, ja zum entscheidenden Betätigungsfeld, und die kommunikative Kraft eines Werkes zum Maßstab von Kunst. Den Unterschied zwischen ernster und leichter Musik leugnend, zugleich jeden überheblichen Ästhetizismus attackierend, hatte sich W., als er Deutschland verließ, schon längst für das kommerzielle Musiktheater als wichtigstes künstlerisches Betätigungsfeld und für die breite Mehrheit der Bevölkerung als Publikum entschieden. – Das Weill-Lenya Research Center der 1962 von Lotte Lenya gegründeten Kurt Weill Foundation sammelt Dokumente zu W., vergibt Fördermittel und den Kurt Weill Book Prize, richtet den Lotte Lenya Wettbewerb aus und gibt die Kurt Weill Edition heraus (1996 ff.). Seit 1993 findet jährlich das „Kurt Weill Fest“ in Dessau statt.

  • Werke

    Weitere Werke u. a. Opern: Royal Palace, 1927 (Libretto Y. Goll);
    Der Jasager, 1930 (Libretto B. Brecht);
    Die Bürgschaft, 1932 (Libretto C. Neher);
    Musicals: Knickerbocker Holiday (Buch u. Songtexte: M. Anderson, 1938);
    – Sinfonie [Nr. 2], 1934;
    – Die sieben Todsünden, 1933 (B. Brecht, Ballet chanté);
    Schrr.: Musik u. musikal. Theater, Ges. Schrr., Mit e. Ausw. v. Gesprächen u. Interviews, hg. v. St. Hinton, J. Schebera u. E. Juchem, erw. u. rev. Neuausg., 2000 (mit CD);
    Korr.: Sprich leise, wenn Du Liebe sagst: Der Briefwechsel K. W./ Lotte Lenya, hg. v. L. Symonette u. K. H. Kowalke, 1998 (P);
    K. W., Briefe an d. Fam. (1914–1950), hg. v. L. Symonette u. E. Juchem, 2000 (P);
    K. W., Briefwechsel mit d. Universal Ed., hg. v. N. Grosch, 2002 (P).

  • Literatur

    |D. Drew (Hg.), K. W., A Handbook, 1987 (erstes ausführl. W-Verz., P);
    K. H. Kowalke, K. W., Moderne u. populäre Kultur: „Öffentlichkeit als Stil“, in: Komponisten in d. Medienlandschaft d. Exils 1933–1945, hg. v. N. Grosch u. a., 1997, S. 171–220;
    D. Farneth, E. Juchem u. D. Stein, K. W., Ein Leben in Bildern u. Dokumenten (zur Ausst. „Musical Stages: K. W. u. sein Jh.“), 2000 (P);
    M. R. Mercado u. C. Weber, K. W., A Guide to his Works, ³2002 (P);
    N. Grosch, K. W. u. d. kommerzielle Musiktheater 1928–1933, in: Jb. d. staatl. Inst. f. Musikforsch. 2003, S. 265–95;
    ders., K. W., in: LexM (L, P);
    P. Mücke, Musikal. Film – Musikal. Theater, Medienwechsel u. szen. Collage b. K. W., 2011;
    St. Hinton, W.s Musical Theater, Stages of Reform, 2012;
    K. W. u. Frankr., hg. v. A. Eichhorn, 2014;
    Zeitgenossenschaft! Ernst Krenek u. K. W. im Netzwerk d. Moderne, hg. v. M. Henke (in Vorbereitung);
    Kurt Weill Foundation for Music (W- u. L-Verz., Discogr., P);
    ANB;
    Enc. Jud. 1971 (P);
    BHdE II;
    Enz. NS;
    Hist. Lex. Wien;
    Kosch, Theater-Lex.;
    CineGraph;
    MGG² (P);
    zur Fam.: U. Schellinger, Familienbande, Ein Brief v. Müllheim n. Kippenheim als Indikator f. d. Geneal. u. Verwandtschaft v. K. W. u. Selma Stern, in: Das Markgräflerland, 2004, S. 93–113;
    L.-M. Dedert, Durch Zeit u. Raum, Die Fam. W.-Sonder zw. Emanzipation u. Restitution, 2014.

  • Porträts

    |zahlr. Photogrr., Abb. in: D. Farneth, E. Juchem u. D. Stein, K. W. (s. L);
    Briefmarke d. Dt. Bundespost (2000);
    Gedenktafel, Altonaer Str. 22, Berlin (2013).

  • Autor/in

    Nils Grosch
  • Zitierweise

    Grosch, Nils, "Weill, Kurt" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 620-622 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630202.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA