Wolfskehl, Karl

Lebensdaten
1869 – 1948
Geburtsort
Darmstadt
Sterbeort
Auckland (Neuseeland)
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Germanist ; Übersetzer
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118634976 | OGND | VIAF: 59115515
Namensvarianten

  • Wolfskehl, Karl Joseph
  • Wolfskehl, Karl
  • Wolfskehl, Karl Joseph
  • Wolfskehl, Carl
  • Wolfskehl, Karl Josef

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Zitierweise

Wolfskehl, Karl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118634976.html [25.12.2025].

CC0

  • Wolfskehl, Karl Joseph

    | Dichter, Essayist, Übersetzer, * 17.9.1869 Darmstadt, † 30.6.1948 Auckland (Neuseeland), ⚰ Auckland (Neuseeland), Waikumete Friedhof. (jüdisch)

  • Genealogie

    Aus alteingesessener rheinhess. jüd. Fam.;
    V Otto (1841–1907), Bankier in D., Mitgl. (1873–75), stellv. Präs. (1876–80) u. Präs. (1880/81) d. Ghzgl. Handelskammer in D., 1879–85 Handelsrichter in D., seit 1903 ARvors. d. Hess. Landeshypothekenbank, Mitgl. (1875–97) u. Vizepräs. (1884–97) d. 2. Kammer d. Landstände d. Ghzgt. Hessen (s. BJ XII, Tl.; Stadtlex. Darmstadt; Hess. Biogr.), S d. Joseph Carl Theodor (1814–1863), Bankier, Kaufm., Inh. d. Bankhauses „Heyum Wolfskehl &
    Sohn“ in D. (s. Hess. Biogr.), u. d. Johanna (Hannchen) Kaulla (1820–1894);
    M Paula (1848–76), T d. Israel Simon (1807–1883), Bankier u. KR in Hannover, u. d. Henriette Berend;
    Stief-M seit 1878 Eleonore Elise (Lilli) (1841–1920, ev.), Konzertpianistin, T d. Carl Schulz (1786–1854), Gendarmerieoberst, u. d. Elise Pohl (1809–1886), aus Langenselbold;
    Ur-Gvv Heyum (1776–1866), Bankier, 1818 Bürger in D., Vorsteher u. Beschneider d. jüd. Gde. ebd., Ur-Gvm Nathan Wolf Kaulla (1785–1838), Stuttgarter Hoffaktor;
    Ov Paul (1856–1906), Dr. phil., Arzt, Math. in D. (s. Pogg. IV u. V.; BJ XI, Tl.; Hess. Biogr.);
    1 B Eduard (1874–1943, ev., Arb.erziehungslager Heddernheim, Wilhelmine Marie Spohr-Braunfels, 1878–1939), Reg.baumeister in D. (s. Hess. Biogr.), 1 Schw Margarethe (1871–1904, ev., Karl Frhr. v. Preuschen, 1862–1925, Gen.lt.);
    Darmstadt 1898 Johanna (Hanna) (1878–1946, s. W), T d. Willem de Haan (1849–1930), Hofkapellmeister in D., GHR (s. Hess. Biogr.), u. d. Nina Carolina Elisabeth Schleuning (1853–1904), 1934 Margot (1908–80), Philol., Übers., Mitarb. v. W., Erbin u. Verw. seines Nachlasses (s. W, L), T d. Salomon Ruben (* 1873), Kaufm. in Charlottenburg b. Berlin, u. d. Elsbeth Lewinsohn (* 1887);
    2 T Renate (1899–1976), Krankenpflegerin, Judith (1901–1983, Bernhard Köllhofer, Landwirt, Winzer);
    E Jakob Köllhofer (* 1947), Leiter d. Amerika-Hauses bzw. Dt.-Amerik. Inst. in Heidelberg;
    N Fanny (1902–74), Bildhauerin, Charlotte (1911–2010, Hans Kühner, 1912–86, aus Eisenach, Musik-, Kunst- u. Lit.wiss., Kultur- u. Kirchenhist., Übers., Journ., Schriftst., Dir. d. Bibliotheca Germanica d. Goethe-Inst. in Rom, s. MGG²; Kürschner, Lit.-Kal. 1958; BMLO), Übers., Otto (1920–87), Dipl.-Physiker, Obering., Vorstandsmitgl. d. Stadtwerke Kassel;
    Gr-N Claudia Kühner (* 1947), Journ. in Zürich.

  • Biographie

    Nach Erziehung in einer Privatschule besuchte W. das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darm|stadt (Abitur 1887). Sein anschließendes Studium der Germanistik und Geschichte in Gießen, Leipzig und Berlin beendete er 1893 in Gießen bei Otto Behaghel (1854–1936) mit einer Dissertation über „Germanische Werbungssagen“. Das väterliche Vermögen erlaubte es W., auf eine bezahlte Berufstätigkeit zu verzichten und ungebunden seinen literarischen und gelehrten Interessen nachzugehen. 1893–95 lebte W. meist in München, wo es zur lebensprägenden Begegnung mit Stefan George (1868–1933) kam; 1896 ging er für zwei Jahre nach Berlin. W. stellte sein Wirken wesentlich in den Dienst der Dichtung Georges und der Entwicklung des Kreises, der sich um den Dichter formte. Eigene Gedichte veröffentlichte er fast ausschließlich in den von George herausgegebenen „Blättern für die Kunst“. Über George entstanden Freund- und Bekanntschaften u. a. mit Albert Verwey (1865–1937), Melchior Lechter (1865–1937), Paul Gérardy (1870–1933) und Wacław Lieder (1866–1912).

    Nach seiner Heirat 1898 zog W. nach München, wo sein Haus bald zum bekannten Treffpunkt der Literatenszene wurde. Mit George edierte er die im zeitgenössischen literarischen Diskurs einflußreiche Anthologie „Deutsche Dichtung“ (3 Bde., 1900–02) und veröffentlichte 1903 seine „Gesammelten Gedichte“. Als Gruppe der „Kosmiker“ standen sich W., Ludwig Klages (1872–1956) und Alfred Schuler (1865–1923) eine Weile nahe, bevor die Verbindung 1904 an Klages’ Antisemitismus zerbrach. Zu W.s weiterem Bekanntenkreis gehörten zahlreiche Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler wie Franziska v. Reventlow (1871–1918), Emil Preetorius (1883–1973), Alfred Kubin (1877–1959), Franz Marc (1880–1916), Wassily Kandinsky (1866–1944), Paul Klee (1879–1940) und Martin Buber (1878–1965). Reisen führten W. nach Italien, Frankreich, Südosteuropa (mit Kubin) und in die Niederlande sowie 1910 nach Indien (mit Lechter).

    Infolge des 1. Weltkriegs und der anschließenden Inflation verlor W. einen Großteil seines Vermögens. Während seine Familie 1919 auf das noch während des Kriegs erworbene Gut in Kiechlinsbergen am Kaiserstuhl zog, ging W. 1922 als Privatlehrer nach Italien.

    Der Umbruch dieser Jahre führte zu einer Lockerung der Freundschaft mit George. 1925 kehrte er nach München zurück, wo er als Herausgeber für die von Fritz Helmut Ehmke (1878–1965) künstlerisch geleitete „Rupprecht-Presse“ (über 40 Bde., 1920–33) und als bald gefragter Publizist für Münchner und überregionale Zeitungen sowie als Übersetzer (u. a. Charles de Coster, „Die Geschichte von Ulenspiegel“, 1926) tätig war. W.s eigenes dichterisches Schaffen kam dagegen fast zum Erliegen; die Sammlung „Der Umkreis“ (1927) brachte Gedichte, die meist vor 1914 entstanden waren; eine Reihe Essays veröffentlichte er in „Bild und Gesetz“ (1930).

    W. ahnte früh die Bedrohung für die dt. Juden durch den Nationalsozialismus. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand im Febr. 1933 emigrierte er über die Schweiz nach Italien und, als dort erste antijüd. Gesetze erlassen wurden, 1938 nach Neuseeland. 1934 schloß sich ihm Margot Ruben, die zu seiner Lebensgefährtin wurde, als Mitarbeiterin an. Das Exil brachte W. einen dichterischen Neuanfang: 1933/34 entstand seine bekannteste Gedichtfolge „Die Stimme spricht“ (1934, hebr. 1942, engl. 1946), in der er auf die Ausgrenzung und beginnende Verfolgung der Juden reagierte, sowie erste Fassungen seines Gedichts „An die Deutschen“, eines Bekenntnisses zur dt. Kultur, das mit einer Abkehr vom Deutschland der Gegenwart schließt.

    W. finanzierte seine Flucht nach Neuseeland durch den Verkauf seiner äußerst wertvollen rund 9000 Titel umfassenden Bibliothek an den Verleger Salman Schocken (1877–1959), der ihm eine lebenslange Leibrente gewährte.

    In Auckland entstand, neben Einzelgedichten und Zyklen, u. a. „Hiob oder Die vier Spiegel“ (gedr. 1950), eine poetische Reflexion zum „Wesen des Judentums“, wie W. Leo Baeck (1873–1956) bekannte. Erst 1947 veröffentlichte W. in der Schweiz sein großes Gedicht „An die Deutschen“. Auch in Neuseeland bildete sich ein Freundeskreis um W., zu dem Mitflüchtlinge wie Paul Hoffmann (1917–1999) und Mitglieder der literarischen Avantgarde Neuseelands gehörten wie Frank Sargeson (1903–1982), A. R. D. Fairburn (1904–57), Denis Glover (1912–1980) und Ron Mason (1905–1971). Nach dem Krieg wurde der inzwischen staatenlose W. 1946 naturalisiert und erhielt die neuseeländ. Staatsbürgerschaft. Mit seinen über die ganze Welt verstreuten Freunden und Bekannten blieb er in einer umfangreichen Korrespondenz verbunden. Seine im neuseeländ. Exil geschriebenen Briefe gelten als bedeutendes epistolarisches und biographisches Dokument der dt.sprachigen Emigration.

    W.s dichterisches Werk war in der Frühzeit deutlich von Georges Dichtung und dem Ethos des Kreises um diesen beeinflußt, dabei aber mit seinen weitausgreifenden mythologischen Themen und der Vielfalt lyrischer Formen und Töne mit erkennbarer Eigenstän|digkeit. Die Universalität seiner Interessen spiegelt sich in der thematischen Vielfalt seiner Essays der 1920er und 1930er Jahre. Mit der Dichtung der Exiljahre schuf W. einen ganz eigenen und einzigartigen dichterischen Beitrag, der den geistigen Zeitenbruch (Mittelmeer oder Die Fünf Fenster, entstanden 1939–46, gedr. 1950) und das Schicksal der Juden dieser Jahre im Kontinuum der europ. Kulturgeschichte (Die Stimme spricht; Hiob oder Die vier Spiegel) poetisch reflektiert.

    Als Dichter, Essayist und Übersetzer war W. nach dem 2. Weltkrieg im dt.sprachigen Kulturraum weitgehend vergessen. Erst mit der Edition der „Gesammelten Werke“ (1960), v. a. auf Betreiben von Margot Ruben, der Erbin des literarischen Nachlasses, und der anschließenden Briefausgaben setzte eine erneute und breiter werdende Rezeption des Dichters und seines Werks ein.

  • Auszeichnungen

    |Mitgründer d. Ges. d. Münchner Bibliophilen (1907);
    Mitgl. d. Rotary Club München (1928);
    – Gedenkplakette am Wohnhaus Römerstr. 16, München-Schwabing;
    W.scher Garten, Darmstadt (seit 2014);
    K.-W.-Haus f. Studenten, Darmstadt (2014);
    K. W.-Saal d. Philosophikums I d. Univ. Gießen (seit 2007).

  • Werke

    Weitere W Ulais, 1897 (Gedichte);
    Maskenzug, 1904 (Szenen);
    Saul, 1905 (Szenen);
    Wolfdietrich u. die rauhe Els, 1907 (Szenen);
    Sanctus, Orpheus I, Zwei Mysterien, 1909;
    Älteste dt. Dichtungen, 1909 (Übers.);
    Das Buch vom Wein, Aus allen Zeiten u. Breiten, 1927 (Übers. m. C. S. Gutkind);
    Die Menschwerdung, 1929 (Prosa);
    J. Delamain, Warum d. Vögel singen, 1930 (Übers.);
    B. Russell, Wissen u. Wahn, Skept. Essays, 1930 (Übers.);
    G. Foppa u. G. Rossini, Signor Bruschino, Kom. Oper, 1931 (Übers.);
    Bücher, Bücher, Bücher, Bücher, 1931 (Prosa);
    Sang aus d. Exil, 1950 (Gedichte);
    Ges. Werke, hg. v. M. Ruben u. C. V. Bock, 1960;
    L. da Ponto u. W. A. Mozart, Die Hochzeit d. Figaro, Kom. Oper, Nachw. v. K. Schultz, 1978 (Übers.);
    Ges. Gedichte, 2 Bde., 1997;
    Gedichte, Essays, Briefe, hg. v. C. Blasberg u. P. Hoffmann 1999;
    Späte Dichtungen, hg. v. F. Voit, 2009;
    Under New Stars, Poems of the New Zealand Exile, hg. v. A. P. Wood u. F. Voit, 2012;
    Three Worlds/Drei Welten, Selected Poems, hg. v. dems., 2016;
    Briefe: Zehn J. Exil, Briefe aus Neuseeland 1938–1948, hg. v. M. Ruben, 1959;
    Briefe u. Aufss., München 1925–1933, hg. v. ders., 1966: W. u. Verwey, Die Dok. ihrer Freundschaft, hg. v. M. Nijland-Verwey, 1968;
    Briefwechsel mit Friedrich Gundolf, 1899–1931, hg. v. K. Kluncker, 2 Bde., 1976/77;
    Briefwechsel aus Neuseeland 1938–1948, hg. v. C. Blasberg, 1988;
    Briefwechsel aus Italien 1933–1938, hg. v. ders., 1993;
    Briefwechsel Stefan George, K. u. Hanna W. 1892–1933, hg. v. B. Wägenbaur u. U. Oelmann, 2015;
    Poetry and Exile, Letters from New Zealand 1938–1948, hg. v. N. Wattie, 2017;
    Hg.: Der Rotarier f. Dtld. u. Österreich, 1929–33;
    Bibliogr.: M. Schlösser, K. W., Eine Bibliogr., 1971;
    Internetpräsenz d. Stefan George Archivs, Württ. Landesbibl. Stuttgart;
    Nachlaß: ebd. (P);
    DLA Marbach (P);
    zu Margot Ruben: Aufzz. aus Italien 1934–38, hg. v. F. Voit, 2021.

  • Literatur

    |E. Landau, K. W., Stilkrit. Unterss. seiner Lyrik, 1928;
    P. Hoffmann, Das rel. Spätwerk K. W.s, Diss. Wien 1957;
    ders., Exul Poeta, in: Briefwechsel aus Neuseeland, 1988 (s. W), S. 13–44;
    ders., Das erneute Gedicht, mit e. Vorw. v. U. Kolbe, 2001;
    R. Bowert, Die Prosa K. W.s, Diss. Hamburg 1965;
    M. Schlösser, K. W. 1869–1969, Leben u. Werk in Dok., 1969 (P);
    G. Grimm, K. W., Die Hiob-Dichtung, 1972;
    P. G. Klussmann (Hg.), K. W.-Koll., Vortrr., Berr., Dok., 1983 (P);
    C. Blasberg, „Sprechen die Steine?“, K. W. u. Kiechlinsbergen, 1995;
    F. Voit u. A. Obermayer (Hg.), Exul Poeta, Leben u. Werk K. W.s im ital. u. neuseeländ. Exil 1933–1948, 1999;
    F. Voit, K. W., Leben u. Werk im Exil, 2005 (P);
    ders., in: A. Aurnhammer u. a. (Hg.), Stefan George u. sein Kreis, Ein Hdb., 2012, S. 1765–71 (P);
    ders., K. W., A. Poet in Exile, 2019 (P);
    N. Franke, „Jüd., röm., dt. zugleich“ ? Eine Unters. d. lit. Selbstkonstruktion K. W.s unter bes. Berücksichtigung seiner Exillyrik, 2006;
    E.-V. Kotowski u. G. Mattenklott (Hg.), „O dürft ich Stimme sein, das Volk zu rütteln!“, Leben u. Werk v. K. W. (1869–1948), 2007 (P);
    E. Köstler, Bücher Bücher Bücher Bücher, Aus d. Blütezeit d. Münchner Bibliophilie, in: Imprimatur, Ein Jb. f. Bücherfreunde NF 21, 2009, S. 259–86;
    U. Raulff, Kreis ohne Meister, Stefan Georges Nachleben, 2009;
    S. Neubert, K. W., Vom Bohemien z. Dichter d. Exils, 2014 (P);
    C. Jessen, Der Sammler K. W., 2018 (P);
    Metzler Autorenlex. (P);
    Metzler Lex. dt.-jüd. Lit. (P);
    LThK³;
    BHdE II;
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Stadtlex. Darmstadt;
    zur Fam.: fort von hain und haus, Die Fam. W. u. Darmstadt, hg. v. V. Huth u. J. Schoeps, 2019.

  • Autor/in

    Friedrich Voit
  • Zitierweise

    Voit, Friedrich, "Wolfskehl, Karl Joseph" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 473-475 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118634976.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA