Lebensdaten
1849 – 1919
Geburtsort
Großmehlra bei Sondershausen (Thüringen)
Sterbeort
Leipzig
Beruf/Funktion
Musikwissenschaftler
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118600877 | OGND | VIAF: 8180179
Namensvarianten
  • Riemann, Hugo
  • H. Li man
  • H.-Liman
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Riemann, Hugo, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118600877.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Robert (1824–96), Rittergutsbes., Oberamtmann, kompositor. Dilettant, S d. Martin (1800–61), Rittergutsbes., Oberamtmann in G., u. d. Johanna Stollberg (1801–79);
    M Luise (1827–1910), T d. N. N. Kleemann, Amtsrat in Ebeleben (Thüringen);
    B Otto (1853–1936), Gen.lt., Kdt. d. 6. Div. Brandenburg (s. Wi. 1914; Der Deutsche v. 9.5.1936), Paul (1864–1909), Rittergutsbes., Schw Anna (* 1862, Arnold Zahn, * 1842, Oberhofprediger u. Oberkonsistorialrat in S., s. Wi. 1909);
    Gadderbaum b. Bielefeld (?) 1876 Elisabeth (1856–1930), T d. Konrad Bertelsmann (1828–1901), Dir. d. Spinnerei „Vorwärts“ in Gadderbaum, seit 1875 Präs. d. Handelskammer in Bielefeld (s. BJ VI, Tl.; NDB II, Fam.art.) u. d. Ferdinande Heuell;
    3 S Robert (1877–1957 ?), Dr. phil., Germanist, Oberstudiendir. an d. Oberrealschule in L., Stadtverordneter, schrieb Memoiren (s. Wi. 1935; W), Conrad (* 1880), Dr. med., prakt. Arzt in Oberschlesien, Hans (1882–1948 ?), Amtsger.rat in L., 2 T Elsa (1879–1922), Dr. phil., Oberlehrerin in Hamburg,|Ferdinandine (1895–1947), Dr. phil., Oberlehrerin;
    N Gertrud (* 1880, Hans Blecken v. Schmeling, 1866–1950, Gen.major).

  • Biographie

    R. besuchte seit 1858 das Gymnasium in Sondershausen, seit 1865 die Klosterschule in Roßleben, 1868 legte er am Gymnasium Arnstadt das Abitur ab. Nach ersten allgemeinen Studien in Berlin und Tübingen 1868/1869 und Teilnahme am dt.-franz. Krieg begann er 1871 an Universität und Konservatorium in Leipzig Musik zu studieren. 1873 wurde dort seine Dissertation von Oskar Paul abgelehnt, die revidierte Fassung über „Das musikalische Hören“ jedoch im selben Jahr von Hermann Lotze und Eduard Krüger in Göttingen angenommen. Seit 1874 Dirigent in Bielefeld, kehrte R. 1878 nach Leipzig zurück und habilitierte sich mit „Studien zur Geschichte der Notenschrift“ (1878). Nach vergeblichen Versuchen, eine akademische Stelle zu erhalten, und kurzer Tätigkeit 1880 als Gymnasiallehrer und Dirigent in Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen), wirkte er 1881-90 als Musikpädagoge am Konservatorium in Hamburg (Klavier, Theorie, Geschichte u. Ästhetik). 1890 war er kurzzeitig am Konservatorium in Sondershausen tätig, danach hatte er bis Herbst 1894 einen Vertrag am Konservatorium Wiesbaden.

    1895 kehrte R. endgültig nach Leipzig zurück, wo er bis zu seinem Tod an der Universität Musikwissenschaft lehrte (1901 ao., 1911 o. Hon.prof.). 1908 gründete er das Leipziger Musikwissenschaftliche Seminar („Collegium musicum“), dem er zeitlebens als Direktor vorstand. Trotz auswärtiger Ehrungen wurde er nie auf einen ordentlichen Lehrstuhl berufen. Zehn Jahre lehrte er ohne Honorar und mußte seine Familie durch Kollegiengelder und publizistische Arbeiten ernähren; erst 1905 erhielt er einen honorierten Lehrauftrag. Hier liegt der Grund für die gewaltige Zahl seiner Veröffentlichungen: Er verfaßte ein Musiklexikon (mit sieben aktualisierten Neuauflagen), rund 50 eigenständige Veröffentlichungen, mehr als 200 Fachartikel; darüber hinaus schrieb er 70 eigene Kompositionen und gab über 70 musikalische Editionen heraus.

    R. ist einer der Begründer der modernen universitären Musikwissenschaft. In dem Bestreben, diese als umfassendes System zu etablieren, versuchte er insbesondere, alle Einzeldisziplinen miteinander zu verbinden. R. unterschied zwischen Inhalt und Form der Musik. Tonhöhe, -stärke und Geschwindigkeit von Tonhöhen- und Tonstärkeveränderungen bezeichnete er als elementare Faktoren, die den musikalischen Ausdruck und damit den Inhalt konstituieren. Als formgebende Prinzipien sah er Harmonik und Rhythmik bzw. Metrik; durch sie avanciert das klangliche Geschehen erst zur musikalischen Kunst. Für R. konnte nur die Form von Musik sinnvoll Gegenstand der Lehre werden, woraus sich die Fülle von Werken zu Harmonielehre und Rhythmik bzw. Metrik erklärt. R.s Wissen hierüber mündete in seine Phrasierungslehre. Obwohl sich selbst Nietzsche der Idee einer syntaktischen Gliederung des musikalischen Geschehens nicht verschließen konnte, wurde dieses von R. mit Nachdruck betriebene Forschungsfeld heftig von Zeitgenossen attackiert. Erst um 1900 begann R. mit seinen umfassenden musikhistoriographischen Studien und Publikationen.

    Grundlage für das gesamte Œuvre R.s und für sein erkenntnisleitendes Interesse ist die Auffassung, daß Musik ein emanzipiertes, geistiges Kunstprodukt ist, das – auf der Basis tiefgehender musikalischer Bildung – nur durch aktive Tätigkeit des Geistes adäquat rezipiert und damit verstanden werden kann.

    R.s frühe Versuche als Dichter und seine Kompositionen sind kunstgeschichtlich unbedeutend, als Wissenschaftler und Pädagoge, der v. a. auch gegen verhärtete akademische Strukturen und verstaubte wissenschaftliche Vorstellungen kämpfte, stieß er bei den Zeitgenossen auf Skepsis, z. T. auf scharfe Ablehnung. Die immense Zahl seiner Veröffentlichungen hat jedoch Musikleben und -wissenschaft nachhaltig beeinflußt; spätestens seit Beginn des 20. Jh. galt das Studium seiner Schriften als ein Muß für Anhänger und Gegner. Zu den wichtigsten Schülern zählen die Musikwissenschaftler Friedrich Blume, Wilibald Gurlitt und Johannes Wolf sowie die Komponisten Max Reger und (kurzzeitig) Hans Pfitzner.|

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. Cäcilienakademie zu Rom (1887), d. Kgl. Ak. zu Florenz (1894) u. d. Musical Association London (1904);
    Dr. h. c. (Edinburgh 1899).

  • Werke

    u. a. Musikal. Logik, Hauptzüge d. physiolog. u. psycholog. Begründung unseres Musiksystems, Diss. Leipzig [1874];
    Musik-Lex., 1882, ⁸1916, ⁹1919, fertiggestellt v. A. Einstein, 121959-67, völlig neubearb. v. W. Gurlitt, dän. 1888, engl. 1896, ⁴1918, franz. 1897, ³1931, russ. 1904;
    Musikal. Syntaxis, Grundriß e. harmon. Satzbildungslehre, 1877, Neudrr. 1971, 1988;
    Musikal. Dynamik u. Agogik, Lehrbuch d. musikal. Phrasirung auf Grund e. Revision d. Lehre v. d. musikal. Metrik u. Rhythmik, 1884;
    Wie hören wir Musik? Drei Vorträge, 1888;
    Katechismus d. Phrasierung, 1890;
    Präludien u. Studien, Ges. Aufss. z. Ästhetik, Theorie u. Gesch. d. Musik, 3 Bde. [1895-1901], Nachdr. 1967;
    Gesch. d. Musiktheorie im IX.-XIX. Jh., 1898, ³1961, 3. unveränd. Nachdr. d. 2. Aufl. 1990;
    Skizze e. neuen Methode d. Harmonielehre, 1880, 3.|gänzlich umgearb. Aufl. u. d. T. Hdb. d. Harmonielehre, 101929;
    Die Elemente d. musikal. Aesthetik, [1900];
    Gesch. d. Musik seit Beethoven (1800–1900), 1901;
    Gr. Kompositionslehre, 3 Bde., 1902-13;
    System d. musikal. Rhythmik u. Metrik, 1903, Neudr. 1971;
    Hdb. d. Musikgesch., 1904–13, 2 Bde. in 6. Tln., Nachdr. 1972;
    Grundriß d. Musikwiss., 1908, ⁴1928;
    Ideen zu e. „Lehre v. d. Tonvorstellungen“, in: Jb. d. Musikbibl. Peters 21/22, 1914/15, S. 1-26;
    Neue Btrr. zu e. Lehre v. d. Tonvorstellungen, ebd. 23, 1916, S. 1-21;
    A. W. Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, IV u. V bearb. v. H. Deiters, nach dessen Tode weitergeführt v. H. R., 1907-08, II u. III, revidiert v. dems., ²1910-1911, I, revidiert v. dems., ³1917;
    – krit. W-Verz. fehlt;
    |

  • Nachlass

    Nachlaß im 2. Weltkrieg zerstört; unveröff. Memoiren d. Sohnes Robert (Fam.bes., Berlin).

  • Literatur

    Ges. Studien, H. R. z. sechzigsten Geb.tage 1909, überreicht v. Freunden u. Schülern (mit unvollst. W-Verz.);
    [C. Mennicke,] H. R., Eine biogr. Skizze nebst e. Verz. seiner Werke, in: Riemann-FS, 1909, S. VII-XXVIII;
    W. Gurlitt, Aus d. Briefen Max Regers an H. R., in: Jb. d. Musikbibl. Peters f. 1936, 43. Jg., 1937, S. 68-83;
    ders., in: Ak. d. Wiss. u. d. Lit., Abhh. d. Geistes- u. Sozial wiss. Kl., Jg. 1950, Nr. 25, 1951, S. 1865-1905;
    P. Rummenhöller, Musiktheoret. Denken im 19. Jh., 1967;
    W. Seidel, Rhythmus, Eine Begriffsbestimmung, 1976;
    C. Dahlhaus, Die Musiktheorie im 18. u. 19. Jh., 2 T., 1984/89;
    D. Schellong, „… und im Kleinsten luxurirt“, Zur Bed. v. Nietzsches Diagnose d. „décadence“ in d. Musikpraxis, in: Nietzsche-Studien 13, 1984, S. 412-36;
    R. Wiehert, Vermittlung u. Aneignung, Studien z. Konzept d. didakt. Interpretation v. Musik, 1994;
    M. Arntz, H. R. (1849-1919), Leben, Werk u. Wirkung, 1999 (Qu, Stammtafel. P);
    T. Böhme-Mehner u. K. Mehner (Hg.), H. R. (1849-1919), Musikwiss. mit Universalanspruch, 2001;
    Riemann mit Erg.bd.;
    MGG (P);
    New Grove;
    New Grove²;
    Nassau. Biogr.;
    BBKL.

  • Autor/in

    Michael Arntz
  • Zitierweise

    Arntz, Michael, "Riemann, Hugo" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 592-94 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118600877.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA