Lebensdaten
1092 oder 1093 – 1169
Geburtsort
bei Polling (Oberbayern)
Sterbeort
Reichersberg (Oberösterreich)
Beruf/Funktion
Theologe ; Propst ; kirchenpolitischer Publizist
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118690752 | OGND | VIAF: 21134221
Namensvarianten
  • Gerhoch
  • Gerhoh von Reichersberg
  • Gerhoh
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Zitierweise

Gerhoch von Reichersberg, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118690752.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Name u. Stand d. Eltern unbekannt;
    B Marquard, Propst v. Klosterneuburg 1140–67, Rüdiger, Domherr u. Domdekan in Augsburg 1158–60, Propst v. Klosterneuburg 1167–68, Arno ( 1175), Dekan u. Propst v. Reichersberg (s. NDB I), Friedrich ( 1160), Domherr in Augsburg, Heimo (?), Kanoniker in Klosterneuburg.

  • Biographie

    Nach Studien in Freising, Moosburg und (3 Jahre) in Hildesheim wurde G. um 1118 von Bischof Hermann als Domscholaster nach Augsburg berufen; er floh von dort wegen|des Schismas in das Regularkanonikerstift Rottenbuch, wo er sich zum „apostolischen Leben“ bekehrte. Nach dem Wormser Konkordat wieder in Augsburg, legte er 1124 Profeß in Rottenbuch ab. Seither forderte er, den gesamten Klerus der als vita communis verstandenen vita apostolica zu unterwerfen. Ein Versuch, dies Ideal in der Pfarrei Cham (Oberpfalz) zu verwirklichen, scheiterte rasch (1126-27). 1128-32 lebte G. ohne Amt in Regensburg, wo er sein Erstlingswerk „de aedificio Dei“ schrieb, das die Verweltlichung des Klerus und die Feudalisierung der Kirche infolge des Wormser Konkordates scharf angreift. Sein radikaler Kampf gegen den Weltklerus, insbesondere die Leugnung der sakramentalen Gewalt aller „Schismatiker und Häretiker“, das heißt fast aller Weltkleriker, rief einen Häresieprozeß hervor, der mit einem Schweigegebot endete (1130). Die Appellation an Papst Innozenz II. („Dialogus inter clericum saecularem et regularem“) führte zur Berufung zum Propst von Reichersberg durch EB Konrad I. von Salzburg (1132). Fortan wirkte G. im Kreise der Salzburger Chorherrenreformer, baute sein Stift und dessen Besitz gegen vielen Widerstand aus, war zugleich unermüdlich publizistisch tätig, begleitete mehrmals päpstliche Legaten und reiste (bis 1152) häufig an die Kurie. Seine Lehre von den Schismatikersakramenten verteidigte er gegen Bernhard von Clairvaux (“de simoniacis“, 1135), um 1141 nahm er daneben den Kampf gegen die christologischen Lehren der französischen Scholastiker, besonders Peter Abaelards, Gilbert Porretas und später des Petrus Lombardus, sowie gegen deren deutsche Schüler (besonders Petrus von Wien und Folmar von Triefenstein) auf; G.s Christologie wurde von Bischof Eberhard II. von Bamberg bekämpft. Hauptwerke sind der große Psalmenkommentar (1145–67) und „de investigatione Antichristi“ (1160-63). Ohne grundsätzliche Positionen preiszugeben, ersetzte er den radikalen Kampf gegen die Weltkleriker langsam durch das Suchen nach gangbaren Wegen zur Reform des gesamten Klerus. Die nahe Verbindung zu den Päpsten ging im Konflikt mit Hadrian IV. 1156 verloren; G. begann, sich dem Kaiser zu nähern, blieb im Schisma 1159-63 neutral und versuchte dann, zugunsten Alexanders III. zu vermitteln. Mit dem Schisma verquickte Besitzfehden zwangen ihn 1167 zur zeitweiligen Flucht aus Reichersberg.

    G. ist nicht nur der nach Rupert von Deutz fruchtbarste, sondern – bei allem Eklektizismus – auch der neben Hildegard von Bingen originellste und gedankenreichste Theologe Deutschlands im 12. Jahrhundert. Als große Gefahr für das reine „apostolische“ Leben der Kirche erkannte und bekämpfte er das Eindringen von Lehnswesen und Geldwirtschaft in Bistümern und Pfarreien, insbesondere suchte er immer neue Wege zur Lösung des Regalienproblems, der Wurzel aller Vermischung von Kirche und Welt, und bekämpfte radikal das Pfründen- und Vikarswesen. In der exegetischen Methode und in den geschichtstheologischen Konstruktionen folgte er Rupert von Deutz, bezog aber die Gegenwart in die Geschichtsdeutung ein und beschritt in der typologischen Konkordanz von Bibel und Kirchengeschichte Wege, die auf Joachim von Fiore vorausdeuten, ohne das christozentrische Bild aufzugeben; die Quellenbenutzung zeigt bemerkenswerte Ansätze zu historisch-philologischer Kritik (Scheidung von Ambrosiaster und heiligem Ambrosius). Die heilsgeschichtlich orientierte Christologie stützt sich vor allem auf Hilarius, Johannes Damascenus, Kyrill und gerät in der Verherrlichungslehre in die Gefahr monophysitischer Konsequenzen. Die spirituale Raum-, Zeit- und Jenseitsdeutung lehnt sich an Eriugena an und polemisiert – wie die Antichristlehre – gegen jede populäre und leibliche Interpretation. Der weitläufig, assoziativ und starrsinnig geführten Polemik gelingt es jedoch nicht, die reichen Gedanken zu einem konsequenten System der Theologie zusammenzufassen. Die Zeitgenossen beachteten G. wenig, nach seinem Tod war sein Werk vergessen und blieb ohne Wirkung, bis es durch Aventinus, Chr. Gerwold und J. Gretser wiederentdeckt wurde. Seither hat es nicht nur das Interesse der Historiker erregt, sondern wurde auch oft in verschiedenem Sinn für die konfessionelle Polemik ausgebeutet.

  • Werke

    Gesamtausg. fehlt ; Verz. b. Van den Eynde u. Classen (s. L);
    Teilslg. J. P. Migne, Patrologiae cursus completus 193 u. 194;
    wichtigste Einzelausgg.: F. Scheibelberger, Gerhohi opera inedita I, Linz 1875 (einziger Bd.;
    de investigatione Antichristi);
    E. Sackur, MG, Lib. de lite III, 1897, S. 131-525 (Auszüge d. kirchenpol. Wichtigen);
    O. J. Thatcher, in: The Decennial Publications of the University of Chicago I, 4, 1903, S. 184-238 („de novitatibus“);
    D. u. O. Van den Eynde et A. Rijmersdael, Gerhohi opera inedita I/II, in: Spicilegium Pontificii Athenaei Antoniani 8-10, Rom 1955 f.; über ungedr. W vgl.
    Classen.

  • Literatur

    ADB VIII;
    D. Van den Eynde, L'oeuvre littéraire de G. de R., Rom 1957;
    E. Meuthen, Kirche u. Heilsgesch. b. G. v. R., Leiden 1959;
    P. Classen, G. v. R., e. Biogr., 1960 (L, Verz. aller gedr. u. ungedr. W, Briefe usw.).

  • Autor/in

    Peter Classen
  • Zitierweise

    Classen, Peter, "Gerhoch von Reichersberg" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 288-289 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118690752.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Gerhoh von Reichersberg, wurde 1093 zu Polling in Oberbaiern geboren, und empfing in dem dortigen Chorherrenstifte seine erste Ausbildung. Schon hier zeichnete er sich vor seinen Mitschülern aus; nachdem er dann mit 16 Jahren eine schwere Krankheit überstanden hatte, wandte er sich gänzlich den höheren Studien zu, zuerst in Freising und Mosburg, dann in Hildesheim, welches damals eine blühende und weitberühmte Schule hatte. Hier blieb G. drei Jahre; nach seiner Heimkehr berief ihn der Bischof Hermann von Augsburg zum Leiter der Domschule und gab ihm ein Canonicat. G. führte damals noch ein sehr weltliches Leben, war auch anfangs noch ein Vorkämpfer des kaiserlich gesinnten Bischofs; bald aber fühlte er sich durch den päpstlichen Bannfluch beängstigt und zog sich in das Kloster Raitenbuch zurück. Das Wormser Concordat stellte den Frieden her, G. kehrte zurück, begleitete seinen Bischof nach Rom und vermittelte dessen Aussöhnung mit Calixt II. Aber das unkirchliche Leben der Domherren, an welchem er früher ohne Bedenken theilgenommen hatte, machte ihm jetzt schwere Sorgen und 1124 faßte er den großen Entschluß, seiner reichen und angesehenen Stellung zu entsagen und sich in Raitenbuch als regulirter Chorherr einkleiden zu lassen. Unablässig ist er von nun an bemüht gewesen, die Weltgeistlichen und namentlich die Domherren zu canonischer Lebensform nach der Regel des heiligen Augustin zu bewegen; er versuchte sogar, Honorius II. zum Bannfluch gegen die weltlich lebenden Domherren zu bewegen, aber dieser lehnte es wegen der zu großen Menge ab. Eifrige Förderung fanden diese Bestrebungen bei dem Bischof Chuno von Regensburg, welcher G. zur Durchführung derselben zu sich berief, und bei dem Erzbischof Konrad von Salzburg, der G. 1132 zum Propst des Chorherrenstifts Reichersberg erhob. Hier ist er bis an seinen Tod am 27. Juni 1169 unablässig thätig gewesen; sein Stift erhob er zu blühendem und musterhaftem Zustande, mußte aber noch erleben, daß es von der ausbrechenden Verfolgung betroffen wurde und großen Schaden litt. Er stand in der Kirchenspaltung auf Seiten Alexanders III., doch nicht ohne schwere Bedenken; ihm mißfiel, daß Alexander sich nicht vor einem Concil rechtfertigen wollte, er tadelte die weltlichen Mittel des Kampfes und die dadurch bedingte finanzielle Ausbeutung der Kirche. Das Bündniß mit dem König von Sicilien und den Lombarden war ihm sehr anstößig und ebenso die Uebergriffe in das Gebiet des Staates. Mit Feuereifer verfocht er als Schriftsteller seinen reformatorischen Standpunkt, und richtete auch an Päpste und Cardinäle seine Ermahnungen, natürlich ohne Erfolg, obgleich er persönlich große Achtung und Anerkennung fand. Indem er für Reinheit und Freiheit der Kirche kämpfte, ließ er außer Acht, daß diese unauflöslich in den weltlichen Staat verflochten war. Er beklagte diese Verbindung, doch ohne bis zu der Forderung des Verzichts auf die weltlichen Rechte vorzugehen. An der Gewalt der wirklichen Thatsachen scheiterten alle seine Bestrebungen, aber sein furchtloser Freimuth ist in hohem Grade anzuerkennen. Auch auf dem Gebiete des Dogma ist er eifrig thätig gewesen, und hat zu verschiedenen Verhandlungen in Synoden und an der Curie Anlaß gegeben. Nach der Auffassung von Dilloo (De G. praepos. Reich. Diss. Gryphisw. 1867) war er der erste deutsche Theologe, welcher als Anhänger der an Augustin anknüpfenden mystischen Theologie der eben damals erstarkenden scholastischen Lehre Widerstand leistete.

    • Literatur

      Seine zahlreichen Schriften sind nach den älteren Ausgaben sehr mangelhaft gedruckt bei Migne 193. 194. Einige der geschichtlich wichtigsten sind aber erst in neuester Zeit ans Licht gezogen von J. Stülz, J. Bach, Fr. Scheibelberger, E. Mühlbacher. Genauerer Nachweis bei Wattenbach, Deutschl. Geschichtsqu. (4. Aufl.) 2. 237—240. Vgl. auch die Abhandlung von J. Stülz über ihn in den Denkschriften der Wiener Akademie I. 113—166.

  • Autor/in

    W. Wattenbach.
  • Zitierweise

    Wattenbach, Wilhelm, "Gerhoch von Reichersberg" in: Allgemeine Deutsche Biographie 8 (1878), S. 783-784 unter Gerhoh [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118690752.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA