Lebensdaten
1890 – 1991
Geburtsort
Trier
Sterbeort
Frankfurt/Main
Beruf/Funktion
Jesuit ; Moraltheologe ; Sozialethiker
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118586920 | OGND | VIAF: 109793870
Namensvarianten
  • Nell-Breuning, Oswald von
  • Breuning, Oswald von
  • Breuning, Oswald von Nell-
  • mehr

Verknüpfungen

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Nell-Breuning, Oswald von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586920.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Fam. kam angebl. aus Irland nach Koblenz, um 1760 nach T. Zu ihr gehört Franz (1795–1852, seit 1709 Frhr. v. Nellenburg-Damenacker), österr. Verw.beamter (s. ADB 23; ÖBL; Biogr. Lex. Böhmen). V Arthur v. Nell (1857–1936), auf St. Matthias. Dr. iur. utr. , preuß. Rittmstr., Ger.ass., Beigeordneter in T., Mitgl. d. rhein. ProvinzialLT (s. Rhdb.), S d. Johann Peter (1818–95), auf St. Matthias, u. d. Anna Franziska Kochs (1839–95) aus Saarlouis;
    M Bernarda v. Breuning (1862–1933) aus Koblenz;
    Ur-Gvv Georg Friedrich (* 1780, 1807 Anna Maria Emilie Marx), auf Perl, Bankier in T., S d. Christoph Philipp (1753–1825, preuß. Adel 1824), Vertr. d. Moselgebiets in d. franz NV, erwarb 1803 d. Rittergut St. Matthias b. T. (s. Rhdb., P);
    Ov Oskar v. Nell (1861–1923), auf Burg Heid, preuß. Geh. Reg.rat, Landrat in Bonn, Rr. d. Malteser-Ordens.

  • Biographie

    N. besuchte das Gymnasium in Trier, wie 70 Jahre zuvor Karl Marx, und machte dort 1908 das Abitur. Der Vorbereitung auf das Priester-(um dienten Vorlesungen in Mathematik und Naturwissenschaften, die er in Kiel, München, Straßburg und Berlin hörte, bis er, ausgelöst durch die Begegnungen mit Carl Sonnenschein (1876–1929), 1910 das Studium der Theologie in Innsbruck aufnahm. 1911 trat er in den Jesuitenorden ein, wurde 1921 zum Priester geweiht und gehörte bis 1926 einer Rednergruppe von Jesuiten für Vorträge über religiöse und soziale Fragen an. Eine Zusammenarbeit mit P. Heinrich Pesch SJ (1854–1926) in Berlin blieb eine Episode. 1928 promovierte er an der Univ. Münster über „Grundzüge der Börsenmoral“ (1928, Nachdr. 1989). Nach der Promotion wurde N. an der 1926 gegründeten Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt Professor für Moraltheologie, Kirchenrecht, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre. Von Papst Pius XI. erhielt er den Auftrag, einen Entwurf für die Sozialenzyklika „Quadragesimo Anno“ (1931) zu erarbeiten. Dazu dienten ihm die Diskussionen mit Fachkollegen im Königswinterer Kreis, zu denen auch Gustav Gundlach SJ (1892–1963) gehörte, dessen sozialphilosophische Leitbilder er übernahm. Während des 2. Weltkriegs wurde ihm die Finanzverwaltung der niederdeutschen Ordensprovinz anvertraut. In der Zeit des demokratischen Aufbaus der Bundesrepublik veröffentlichte er zusammen mit Hermann Sacher (* 1873) das „Wörterbuch der Politik“ (5 Bde., 1947–50). Seit 1948 hatte N. einen Lehrauftrag für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Univ. Frankfurt, seit 1949 lehrte er an der Akademie der Arbeit in Frankfurt. Im Wissenschaftlichen Beirat bei der Verwaltung für Wirtschaft in Frankfurt (noch vor Gründung der Bundesrepublik) bestärkte er christlich-soziale und sozialdemokratische Politiker darin, sich für eine marktwirtschaftliche Ordnung zu entscheiden. 1948-65 war er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. N. begrüßte 1949 die Gründung des DGB und verteidigte die Einheitsgewerkschaft gegen kritische Stimmen aus den Kirchen. Das angespannte Verhältnis von kath. Kirche und SPD konnte er 1959 durch seine Mitarbeit am sozialpolitischen Teil des Godesberger Programms erheblich verbessern. 1974 beauftragte ihn die gemeinsame Synode der Bistümer Deutschlands in Würzburg, eine sozialpastorale Beschlußvorlage zu verfassen. Dieses Synodendokument mit dem Titel: „Kirche und Arbeiterschaft“ fand breite Zustimmung. Nach seiner Emeritierung blieb N. als sachverständiger politischer Berater und Schriftsteller tätig. In den 80er Jahren griff er intensiv in die öffentlichen Diskussionen über den Abbau der Massenarbeitslosigkeit, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Reform der sozialen Sicherung und eine umweltverträgliche Wirtschaft ein. In dem Buch „Arbeitet der Mensch zuviel?“ (1985) skizziert er ein neues Arbeitsverständnis, das die industrielle Erwerbsarbeit aus dem Zentrum persönlicher Identität und gesellschaftlicher Integration herausrückt.

    Die große Bedeutung N.s für die Sozialgeschichte der Bundesrepublik liegt darin, daß er kritische Vermittlungsdienste über trennende politische Gräben hinweg leisten konnte. So nahm er einen gesellschaftlichen Standort zwischen der kath. Kirche und den Arbeitern sowie den Einheitsgewerkschaften ein. Das spröde Verhältnis der beiden gesellschaftlichen Gruppen empfand er als „fortwirkenden Skandal“, wie es in dem Dokument der Würzburger Synode formuliert wurde. In diesem Beschluß sah er das schwere Unrecht wieder gutgemacht, das die Bischöfe zu Beginn des Jahrhunderts den Arbeitern|zugefügt hatten, als sie ihnen verboten, sich in christlichen Gewerkschaften zusammenzuschließen. Aus Sympathie für die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften lehnte er das Sonderarbeitsrecht der Kirchen, den sog. dritten Weg einer „Dienstgemeinschaft“ ab, weil den kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Tarifvertrag und die betriebliche Mitbestimmung verwehrt blieb. In der Grundwertedebatte Anfang der 70er Jahre stand N. loyal sowohl zur kath. Kirche und ihrer hierarchischen Verfassung als auch zur weltanschaulich neutralen Demokratie, wobei er die Kirche als eine unter mehreren Weltanschauungsgemeinschaften verstand und den Staat als wertgebunden, aber weltanschaulich neutral betrachtete. Obwohl den Gewerkschaften gegenüber positiv eingestellt, wandte er sich entschieden gegen überzogene Tarifforderungen im öffentlichen Dienst, und verlangte, daß die Beschäftigten in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch ihr Einkommen mit den Arbeitslosen teilen müßten. Gemäß seiner intensiven Beschäftigung mit Karl Marx hielt er die soziale Marktwirtschaft für ein Durchgangsstadium, bis der Gegensatz von Arbeit und Kapital in einer Unternehmensverfassung aufgehoben sei, die das Unternehmen als Personenverband, die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen sowie eine breite Streuung des Produktivvermögens vorsehe, bejahte dabei aber gleichzeitig den marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Die in der Bundesrepublik praktizierte Wirtschaftsform nannte er „sozial temperierten Kapitalismus“, weil sie von einer fairen Kaufkraftverteilung, einer angemessenen sozialen Sicherung und zukunftsgerechten Kostenzurechnung noch weit entfernt sei. Den Systemfehler der dynamischen Rente beklagte er seit deren Einführung 1957; diese habe das Altersrisiko gesellschaftlich gesichert, das Risiko der Kindererziehung jedoch den Familien überlassen und somit das Ziel eines echten Drei-Generationen-Vertrags verfehlt.

    Als Philosoph und Theologe stand N. im Schatten der neuscholastischen Naturrechtslehre, als Sozialethiker jedoch ließ er sich in erster Linie von den „Sachverhalten“ und Problemlagen anstoßen, wie diese sich seinem juristischen und ökonomischen Denkstil erschlossen. Dabei kam es in der Konfrontation mit Politikern und Intellektuellen aus ursprünglich fremden sozialen und weltanschaulichen Milieus zu überraschenden Lernerfahrungen. Seine Einsicht: „Wir stehen alle auf den Schultern von Karl Marx“ war das Ergebnis jener dialogischen Vorgehensweise, die er konsequent befolgte, „alles, was in der Meinung des Gegners an Wahrheitsgehalt enthalten ist, bis aufs Letzte … anzuerkennen“. Er bedauerte es, kein umfassendes Lebenswerk geschrieben zu haben, doch das zeitgerechte, kompetente und kritische Urteil über die gesellschaftlichen Fragen, die sich aufdrängten, war die originäre Begabung des kirchlichen und „politischen Intellektuellen“ N.|

  • Auszeichnungen

    Guardini-Preis d. Kath. Ak. in Bayern (1972), Georgs-Plakette d. Bistums Limburg (1975), Goethe-Plakette d. Stadt Frankfurt (1977), Wilhelm Leuschner-Medaille d. Landes Hessen (1979), Goldene Bonifatius-Medaille d. Dt. Bischofskonferenz (1980), Hans-Böckler Preis d. DGB (1980), Ehrenbürger d. Städte Trier (1981) u. Frankfurt (1983), Maximiliansorden f. Wiss. u. Kunst (1984), Ehrenplakette d. Stadt Offenbach (1985), Großkreuz d. Verdienstordens d. Bundesrep. Dtld. (1990).

  • Werke

    Weitere W u. a. Wirtschaft u. Ges., 3 Bde., 1956-60;
    Aktuelle Fragen d. Ges.pol., 1970 (W);
    Soz. Sicherheit?, Zu Grundfragen d. Sozialordnung aus christl. Verantwortung, 1979;
    Soziallehre d. Kirche, Erll. d. lehramtl. Dokumente. ³1983;
    Arbeit vor Kapital, Kommentar z. Enzyklika Laborem exercens, 1983;
    Worauf es mir ankommt, 1983;
    Gerechtigkeit u. Freiheit, Grundzüge kath. Soziallehre, 1985;
    Kapitalismus krit. betrachtet, Zur Auseinandersetzung um d. bessere „System“, 1986;
    Unsere Verantwortung, Für e. solider. Ges., 1987 (W);
    Den Kapitalismus umbiegen, Schrr. zu Kirche, Wirtsch. u. Ges., hg. v. F. Hengsbach u. a., 1990;
    Unbequeme Grenzziehung, Streitschrr. v. O. v. N., hg. v. I. Brusis u. M. Grönefeld, 1990. – Bibliogr. d. über 1800 Publikationen: Normen d. Ges., 1966, s. L (1924–64);
    Aktuelle Fragen d. Ges.pol., 1970, s. W (1965–69);
    Unsere Verantwortung, 1987, s. W (1979–86).

  • Literatur

    H. Achinger, L. Preller u. H. J. Wallraff (Hg.). Normen d. Ges., ²1966 (W);
    W. Schwaderlapp, Eigentum u. Arbeit b. O. v. N., 1980;
    O. v. N. im Gespräch mit H. Hammerschmidt, in: K. B. Schnelting (Hg.), Zeugen d. Jh. 1, 1981, S. 119-46;
    W. Kroh, Kirche im gesellschaftl. Widerspruch, 1982;
    H. Klein (Hg.), O. v. N., Unbeugsam f. d. Menschen, 1989;
    F. Hengsbach, M. Möhring-Hesse u. W. Schroeder, Ein unbekannter Bekannter, e. Auseinandersetzung mit d. Werk v. O. v. N., 1990;
    F. Hengsbach, Entschieden zur Sache, Werk, kirchl. Umfeld u. pol. Resonanz O. v. N.s SJ, in: Theol. u. Philos. 65, 1990, S. 321-48;
    ders., Ein Leben an d. Grenze, in: St. Pauly (Hg.), Theologen unserer Zeit, 1997, S. 111-23;
    Ch. Serries, Ordnung muß sein! Zur Vermittlung v. berufsständ. Ordnung u. soz. Marktwirtschaft b. O. v. N. SJ, Diplomarb. an d. Phil.-Theol. Hochschule St. Georgen 1990 (ungedr.);
    W. Schroeder, Christl. Soz.pol. od. Sozialismus, in: VfZ 39, 1991, S. 179-220 (L);
    B. Kuppler, O. v. N. SJ (1890–1991), Ein Leben im Dienst d. kirchl. Sozialverkündigung, in: Gregorianum 73, 1992, S. 329-35;
    A. Rauscher, in: Zeitgesch. in Lb. VII, 1994 (P);
    J. Schasching, zeitgerecht – zeitbedingt, N. u. d. Sozialenzyklika Quadragesimo anno nach d. Vatikan. Geheimarchiv, 1994;
    A. Losinger, Gerechte Vermögensverteilung, 1994;
    Rhdb. (P);
    BBKL;
    Frankfurter Biogr. (P).

  • Autor/in

    Friedhelm Hengsbach SJ
  • Zitierweise

    Hengsbach SJ, Friedhelm, "Nell-Breuning, Oswald von" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 56-58 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118586920.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA