Lebensdaten
1790 – 1868
Geburtsort
Schulpforta
Sterbeort
Leipzig
Beruf/Funktion
Mathematiker ; Astronom ; Professor der Astronomie
Konfession
evangelisch?
Normdaten
GND: 119147114 | OGND | VIAF: 27139308
Namensvarianten
  • Möbius, August Ferdinand
  • Möbius, August Ferdinand
  • Moebius, August Ferdinand
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Möbius, August Ferdinand, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119147114.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann Heinrich (um 1750–92), Tanzmeister in Sch., S d. Johann Georg, Bedienter in Weimar;
    M Johanne Katharine Christiane (1756–1820), T d. Friedrich Sigismund Keil (1717–65), Pfarrer in Kretzschau (s. Jöcher-Adelung);
    1820 Dorothea (1790–1859), T d. Wundarztes N. N. Rothe in Gera;
    2 S, 1 T, Theodor (s. 2), Paul (1825–89), Pädagoge u. Schriftst. (s. ADB 52), Emilie (1823–97, Heinrich Ludwig (Louis) d'Arrest, 1822–75, Dr. phil., Assistent M.s, Prof. d. Astronomie in L. u. Kopenhagen, s. L);
    E Paul Julius (1853–1907), Nervenarzt u. Priv.-Doz. in L. (s. L;), Martin (s. Gen. 3);
    Ur-E Hans (s. 3).

  • Biographie

    M. wuchs in Pforta auf, wo er zunächst Hausunterricht erhielt und dann die Fürstenschule besuchte. Zu seinen Hauslehrern gehörte der junge Friedrich Wilhelm Thiersch, damals Alumnus in Schulpforta; dieser versuchte, M. eine ausgewogene Bildung zuteil werden zu lassen und eine Ausprägung einseitiger mathematischer Interessen zu verhindern. In der Fürstenschule erhielt M. durch Johann Gottlieb Schmidt einen zwar anregenden, aber doch inhaltlich recht begrenzten Mathematikunterricht. Daß nach einer Überlieferung bei einer Lehrplanänderung 1808 der Rat des Primaners M. eingeholt wurde, zeigt die Anerkennung seiner außerordentlichen Fähigkeiten durch seine Lehrer. Seit 1809 studierte M. an der Univ. Leipzig, zunächst ein Semester Jurisprudenz, dann aber Mathematik bei Moritz v. Prasse, Physik bei Ludwig Wilhelm Gilbert und Astronomie bei Karl Brandan Mollweide, der ihn bald als Famulus beschäftigte. Ein Stipendium ermöglichte ihm 1813/14 ein zweisemestriges Studium bei Carl Friedrich Gauß in Göttingen, dem er mannigfache, äußerst fruchtbare Anregungen verdankte. Anschließend mußte er sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, wozu er am Pädagogium in Halle eine Stelle als Mathematik- und Physiklehrer annahm. Dies bot ihm Gelegenheit, seine mathematische Ausbildung bei Johann Friedrich Pfaff zu vervollkommnen, der damals gerade seine berühmte und heute noch fundamentale Arbeit über Differentialgleichungen (Pfaffsche Formen) fertiggestellt hatte. M. wurde 1814 ohne Dissertation in Leipzig promoviert und habilitierte sich dort 1815 mit einer Arbeit zur analytischen Behandlung von trigonometrischen Gleichungen. 1816 wurde er zum Observator der Sternwarte auf der Pleißenburg und zum ao. Professor der Astronomie an der Univ. Leipzig ernannt. Eine Dienstantrittsreise zu anderen Sternwarten führte ihn u. a. nach Gotha, wo er den damaligen Direktor der Sternwarte auf dem Seeberg, Bernhard v. Lindenau, kennenlernte, der es später bis zum sächs. Innenminister und Vorsitzenden des Gesamtministeriums brachte und als M.s „Freund und Gönner“ (Reinhardt) gilt. Für einen 26jährigen hatte M. zu diesem Zeitpunkt in seiner Karriere viel erreicht. Persönliche Bescheidenheit, wissenschaftliche Lauterkeit, die ihn nur völlig ausgereifte Arbeiten veröffentlichen ließ, und vor allem die Verwurzelung in seiner sächs. Heimat hinderten einen weiteren raschen Aufstieg. Ehrenvolle Rufe nach Greifswald (1816) und Dorpat (1819) lehnte er ab, nur belohnt mit der Ernennung zum Direktor der Sternwarte (1820); als durch Mollweides Tod (1825) die mathematische Professur in Leipzig frei wurde, war sich die Fakultät seines Bleibens so sicher, daß sie ihn bei der Nachfolge überging und stattdessen den heute weitgehend vergessenen Moritz Drobisch berief. Erst der Ruf nach Jena als Nachfolger des angesehenen Jakob Friedrich Fries brachte ihm 1844 die Ernennung zum Ordinarius, später spezifiziert als o. Professor der Höheren Mechanik und Astronomie; in diesem Amt verblieb er bis zu seinem Tod.

    Obwohl M. seiner Dienststellung nach vornehmlich Astronom war, ist sein umfangreiches wissenschaftliches Werk doch in erster Linie der Mathematik zuzurechnen und innerhalb der Mathematik der Geometrie. Als Hauptwerk darf wohl das nach fast zehnjähriger Bearbeitungszeit erschienene Buch „Der barycentrische Calcul – ein neues Hilfsmittel zur analytischen Behandlung der Geometrie“ angesehen werden, das Lindenau gewidmet ist und von der mathematischen Öffentlichkeit interessiert aufgenommen wurde, in Frankreich sogar mehr als in Deutschland. Trotzdem wird die unmittelbare Wirkung von M. auf die Entwicklung der Mathematik in seiner Zeit nicht allzu hoch eingeschätzt; aber es sind doch eine ganze Reihe wichtiger mathematischer Begriffe und Entwicklungen mit seinem Namen dauernd verbunden. Der „barycentrische Calcul“ eröffnete den heute zum Allgemeingut gewordenen Umgang mit homogenen Koordinaten in der projektiven Geometrie. Felix Klein sah in M. einen Vorläufer seines „Erlanger Programms“, der 1872 gehaltenen Antrittsvorlesung von Klein, die für die Entwicklung der Geometrie des 20. Jh. bahnbrechend wurde.

    M.s zweites wichtiges Buch, das 1837 veröffentlichte zweibändige „Lehrbuch der Statik“, begründete aus heutiger Sicht die „geometrische Mechanik“, zu der später William Kingdon Clifford. Felix Klein und Ferdinand Lindemann unter Einbeziehung von Ideen aus der nicht-euklidischen Geometrie wesentliche Beiträge lieferten; das ganze Gebiet ist allerdings um 1910 dem strukturellen Wandel von Mathematik und Physik zum Opfer gefallen. Als drittes ist schließlich noch ein astronomisches Werk zu nennen: „Die Elemente der Mechanik des Himmels auf neuem Wege ohne Hülfe höherer Rechnungsarten dargestellt“ (1843), das weit verbreitet war und auch von Laien gelesen wurde.

    Mit anderen Publikationen hat M. Anteil an der Entwicklung der Vektoranalysis, die zu einem festen Bestandteil des heutigen Fundaments der Mathematik geworden ist. Dabei ist zu erwähnen, daß M. dem eigentlichen Begründer dieses Gebietes, Hermann Graßmann, als einer von wenigen Mathematikern freundschaftlich verbunden war. Zentral innerhalb der Elementargeometrie sind M.s Behandlung des mit Vorzeichen behafteten Teilverhältnisses (innere Teilung positiv, äußere negativ), die die bis dahin undurchsichtigen Beziehungen der klassischen Sätze von Menelaos und Ceva zueinander endgültig klärte, und seine Theorie der Kreisverwandtschaft, die heute unter dem Namen „Inversion“ ein unverzichtbares Hilfsmittel für Beweise und Konstruktionen darstellt.

    Seit etwa 1970 sind über 1000 wissenschaftliche Abhandlungen erschienen, in denen ein mit M.s Arbeiten verbundener Sachverhalt von grundlegender Bedeutung ist. Dabei sind die verschiedensten mathematischen Gebiete betroffen. Einiges davon sei hier genannt. In der Zahlentheorie benutzt man die „Möbiusfunktion“, die ein bestimmtes Verhalten der Primzahlzerlegungen der natürlichen Zahlen beschreibt; in der dazugehörigen Theorie findet man die „Möbiussche Umkehrformel“, die auch in der Statistik eine Rolle spielt, und die „Möbiussche Reihe“, wobei der Begriff der Reihe eigentlich analytischer Natur ist. Am Beginn der Theorie der komplexen Funktionen einer Veränderlichen, der sog. Funktionentheorie, untersucht man die gebrochen linearen Transformationen; Spezialfälle davon sind die „Möbiusinvolutionen“. Zu den Grundlagen der Geometrie gehören die „Möbiusebenen“, bei denen man nicht von Geraden, sondern von Kreisen ausgeht. Ein Grenzgebiet zwischen analytischer Geometrie und Differentialgeometrie bildet die „Möbiusgeometrie“ mit den im Sinne des Erlanger Programms dazu gehörenden Möbiustransformationen; grob gesprochen geht es dabei um die geometrischen Verhältnisse von Kreisen auf der Kugel. In der Differentialgeometrie werden daneben noch die „Möbiusnetze“ verwendet, die auch eine praktische Anwendung in der Photogrammetrie haben. Einen Grundbegriff der sphärischen Trigonometrie bildet das „Möbiussche Dreieck“, die allgemeinste Form eines Dreiecks auf der Kugel. Der kombinatorischen Topologie zuzurechnen sind das „Möbiussche Kantengesetz“ und die „Möbiusschen Polyederpaare“. Als ein mathematisches Objekt von ganz besonderer Bedeutung hat sich das „Möbiusband“ erwiesen. Man erhält es, indem man die zwei Enden eines rechteckigen Papierstreifens nach einmaliger Verdrillung miteinander verheftet, d. h. so zusammenklebt, daß jede Ecke mit der ihr diagonal gegenüber liegenden Ecke zusammenfällt. Das Möbiusband ist zunächst das Standardbeispiel für eine „einseitige Fläche“ in der algebraischen Topologie; es spielt aber auch eine wichtige Rolle in den Überlegungen zur philosophischen Grundlegung der Physik von Wolfgang Pauli und steht Pate für die „Möbius-Moleküle“ („Möbius-Ringe“ und „Möbius-Konfigurationen“, verwandt damit auch die „Möbius-Aromatizität“) in der Chemie, das sind Moleküle, die in der Form eines Möbiusbandes angeordnet sind, wie z. B. bestimmte doppelsträngige DNS. Hierbei ist anzumerken, daß das Möbiusband unabhängig von M. auch von Johann Benedikt Listing in Göttingen entdeckt wurde. Wenn die in der Literatur angegebenen Datierungen zutreffen, so war Listing sogar M. einige Monate voraus: Listing fand diese Fläche im Juli 1858 und publizierte seine Entdeckung im Jahr 1861, M. notierte die erste Beschreibung ungefähr im September 1858 in seinem Tagebuch und veröffentlichte sie 1865.

    Weitverbreitet, aber trotzdem ein Märchen, das wohl von Felix Klein in die Welt gesetzt wurde (Baltzer), ist die Behauptung, daß M. schon um 1840 in seinen Vorlesungen etwas Ähnliches wie den Vierfarbensatz behandelt habe. Der Vierfarbensatz, 1852 von Francis Guthrie formuliert und 1976 von Kenneth Appel, Wolfgang Haken und John Koch mit einem ungeheuren Aufwand an Rechenzeit eines Großcomputers bewiesen, besagt: Die Länder einer (rechteckigen) Landkarte, deren Länder alle zusammenhängend sind, können so mit vier Farben gefärbt werden, daß zwei Lander mit einer gemeinsamen Grenzlinie immer verschieden gefärbt sind. Aus dem Vierfarbensatz folgt, daß es keine Landkarte mit fünf zusammenhängenden Ländern geben kann, von denen jedes mit jedem der vier anderen eine gemeinsame Grenzlinie hat. Diese Tatsache läßt sich aber auch völlig unabhängig vom Vierfarbensatz formulieren und einfach beweisen, worauf M. von seinem Freund Benjamin Gotthold Weiske aufmerksam gemacht wurde; allein darüber hat M. in seinen Vorlesungen gesprochen.

    Zur Bewahrung des wissenschaftlichen Nachlasses von M. hatte die Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig ein Möbius-Archiv eingerichtet, das den reichhaltigen Briefwechsel M.s mit anderen Mathematikern und Astronomen enthielt. Dieses Archiv ist jedoch infolge von Kriegseinwirkung 1943 verbrannt.|

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. fürstl. Jablonowskischen Ges. d. Wiss. (1844), Gründungsmitgl. d. Sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig (1846), korr. Mitgl. d. Ak. d. Wiss. zu Berlin (1829), d. Göttinger Societät d. Wiss. (1846, seit 1864 als auswärtiges Mitgl. d. kgl. Ges. zu Göttingen geführt) u. d. Bayer. Ak. d. Wiss (1859);
    Komtur d. sächs. Albrechts-Ordens.

  • Werke

    Ges. Werke, 4 Bde., 1885-87, mit e. Vorrede v. R. Baltzer u. e. Btr. „Üb. d. Entstehungszeit u. d. Zusammenhang d. wichtigsten Schrr. u. Abhh. v. M.v. C. Reinhardt (P).

  • Literatur

    ADB 22;
    H. Gretschel, A. F. M., in: (Grunerts) Archiv d. Math. u. Physik 49, 1869, Lit. Ber. 195, S. 1-9;
    C. C. Bruhns, Die Astronomen auf d. Pleißenburg, 1877/78, S. 24-84;
    R. Baltzer, Eine Erinnerung an M. u. seinen Freund Weiske, in: Ber. üb. d. Verhh. d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig, math.-physikal. Cl. 37, 1885, S. 1-6;
    Paul Julius Möbius, Über d. Anlage z. Math., 1900 (P);
    E. R. Kötter, Die Entwicklung d. synthet. Geometrie, in: J.ber. d. Dt. Math.-Vereinigung 5, 1902, H. 2, S. 1-486;
    F. Klein, Vorlesungen üb. d. Entwicklung d. Math. im 19. Jh., T. 1, 1926, Nachdr. 1986;
    L. Schmidt (Bearb.), Das neue Luther-Nachkommenbuch 1525-1960, 1960;
    H. Wußing, A. F. M., in: Bedeutende Gelehrte in Leipzig II. hrsg. v. G. Harig, 1965, S. 1-12;
    M. J. Crowe, A History of Vector Analysis, 1967, bes. Abschnitt 3/2, S. 48-52;
    J.-C. Pont, La Topologie Algébrique des origines à Poincaré, bes. Kap. III/1, M., ou la remarquable originalité d'un septuagénaire, 1974, S. 88-111;
    K.-R. Biermann, Zu d. Beziehungen v. C. F. Gauss u. A. v. Humboldt zu M., in: NTM, Schriftenreihe z. Gesch. d. Naturwiss., Technik u. Med. 12, Nr. 1, 1975, S. 12-15;
    R. Fritsch, Zum Feuerbachschen Kreis, 1975, S. 236;
    H. Wußing u. W. Arnold, Biogrr. bedeutender Mathematiker, 1975/78, S. 344-53 (P);
    W. Purkert, Die Math, an d. Univ. Leipzig v. ihrer Gründung bis z. 2. Drittel d. 19. Jh., in: 100 J. Math. Seminar d. Karl-Marx-Univ. Leipzig, hrsg. v. H. Beckert, 1981 (P);
    R. Ziegler, Die Gesch. d. geometr. Mechanik im 19. Jh., Eine hist.-systemat. Unters. v. M. u. Pluecker bis zu Klein u. Lindemann, 1985;
    W. Eccarius, Urteile v. Zeitgenossen üb. M. im Zusammenhang mit seiner geplanten Berufung an d. Univ. Jena, in: Wiss. Zs. d. Paed. Hochschule Dr. Th. Neubauer (Erfurt, Mühlhausen), Math.-Naturwiss. R. 22, Nr. 1.1986, S. 37-48;
    K. V. Laurikainen, Beyond the Atom, the Philosophical Thought of Wolfgang Pauli, 1988;
    A. Loh, A. F. M. – Lehen u. Werk, 1993;
    H. Meschkowski, Mathematiker-Lex., 1964;
    Lex. bedeutender Mathematiker, hrsg. v. S. Gottwald, H.-J. Ilgauds, K.-H. Schlote, 1990 (H. Wußing);
    Pogg. II. III;
    DSB IX. – Zu Paul Julius: A. R. Bodenheimer, P. J. M., in: Gr. Nervenärzte, hrsg. v. K. Kolle, III, 1963, S. 108-20 (W, L, P);
    E. Kraepelin, in: Dt. Irrenärzte, hrsg. v. Th. Kirchhoff, II, 1924, S. 274-79. – Zu H. L. d'Arrest: Bruhns, Die Astronomen …, 1877/78 (s. o);
    Pogg. III.

  • Autor/in

    Rudolf Fritsch
  • Zitierweise

    Fritsch, Rudolf, "Möbius, August Ferdinand" in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 600-603 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119147114.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Möbius: August Ferdinand M., Mathematiker und Astronom, geb. 17. November 1790 in Schulpforta, 26. Sept. 1868 in Leipzig. Der Vater von M. war während 25 Jahren (1768—1793) Tanzlehrer in Schulpforta, ein Beruf in welchem ihm ein unverheiratheter Bruder noch weitere 11 Jahre nachfolgte, sich dabei als Stütze der Wittwe und ihres Knaben erweisend, die er beide in sein Haus aufgenommen hatte, und die seine Erben wurden. Ganz mittellos war so freilich die Familie nicht, aber Möbius' Erbtheil bestand doch nur aus einem Hause, für welches nicht volle 1000 Thaler gelöst wurden, von deren Zinsen und einer kleinen Pension Mutter und Sohn bei aller Bedürfnißlosigkeit nicht ohne anderweitige Beihülfe existiren konnten. So zog die Mutter, als 1804 ihr Schwager starb, nach Naumburg zu einem unverheiratheten Kaufmann Geier, dem sie das Hauswesen besorgte. M. war inzwischen herangewachsen. Eine Schwester seiner Mutter war an den Amtmann Nobbe in Pforta verheirathet. Mit dem Sohn Karl ( 1881 als Professor in Leipzig) theilte M. den ersten Hausunterricht, mit ihm besuchte er seit 1803 die Fürstenschule, mit ihm verband ihn ungetrübte Freundschaft bis an sein Lebensende. In der Fürstenschule war der mathematische Unterricht, wenn auch von Joh. Gottl. Schmidt, einem anregenden Lehrer, der seinen Schülern Liebe zum Gegenstande einzuflößen wußte, ertheilt, in sehr engen Grenzen gehalten. M. ging in Privatstudien, welche ihn an selbständiges Denken und Schaffen gewöhnten, weit über das Schulpensum hinaus, wie es auch von seinen Lehrern erkannt und anerkannt wurde. Geht doch die Ueberlieferung, bei der Neuordnung des Lehrplanes der Fürstenschule 1808 sei der Rath des damaligen Primaners M. eingeholt und befolgt worden. Von der Fürstenschule begab sich M. 1809 auf die Universität nach Leipzig. Auf Zureden seines Vormundes, des Amtmanns Nobbe, hatte er als Jurist sich einschreiben lassen, aber bereits im zweiten Semester folgte er seinem Hange zur Mathematik und Astronomie. M. von|Prasse (s. d.) als Mathematiker, Mollweide (s. d.) als Astronom, Gilbert (Bd. IX, S. 168) als Physiker, wurden seine Lehrer und Gönner. Mollweide nahm ihn bald zum Famulus bei den Vorlesungen, außerdem erhielt er das Convict, d. h. freien Mittagstisch und Abendbrod und 1811 das Kregel-Sternbach’sche Stipendium, welches gerade damals durch die philosophische Facultät in Leipzig zu vergeben war. Es betrug 2 Jahre hindurch 30 Thlr., im 3. Jahre einige hundert Thlr. Reisegeld mit der Auflage außer Landes seine Kenntnisse zu erweitern und durch ein „Specimen“ den Nachweis zu führen, daß man in diesem Sinne das Stipendium verwandt habe. Der Antritt dieser Reise fällt in den Monat Mai 1813, in jene kriegsbewegte Zeit, welche gerade zwischen Leipzig und Naumburg die Wege mit plünderungssüchtigen Nachzüglern füllte. Auch ein Fuhrmann, welchem M. seinen Koffer anvertraut hatte, fiel solchem Gesinde in die Hände, und M. verlor seine Bücher, Kleidungsstücke und etwa 50 Thlr., die er unvorsichtigerweise in den Koffer gepackt hatte. Das war eine unangenehme Einbuße für den jungen Reisenden, die er aber in seiner frischen Stimmung verhältnißmäßig rasch verschmerzte; wenigstens athmen die Briefe über die zu Fuß zurückgelegte Reise von Naumburg nach Göttingen die heiterste Laune und frohe Zuversicht auf die Zukunft, namentlich seitdem er von Gauß, der ihn nach Göttingen gezogen hatte, freundlich empfangen worden war. Er verweilte zwei Semester in Göttingen, wo er vornehmlich theoretische Astronomie trieb und sich mit Berechnungen beschäftigte, welche auf den kleinen Planeten Juno sich bezogen. Unter seinen damaligen Studiengenossen ist nur Ludwig August Seeber (s. d.) zu nennen. Zu Anfang des Jahres 1814 starb Prof. von Prasse in Leipzig. Mollweide wünschte an dessen Stelle zu treten, und erfüllte sich dieser Wunsch, so wurde die Leitung der Sternwarte frei. Das hatte Nobbe, der damals in Leipzig zum Examen sich vorbereitete, ausgeklügelt, und auf seine mittelbare Veranlassung wandte M. sich vertrauensvoll an Mollweide. So lange die Verhandlungen dauerten, war er übrigens nicht unthätig, sondern Verwandte in Halle fast ein Jahr theils auf mathematische Studien unter Pfaff, der gerade damals seine berühmte Arbeit über Differentialgleichungen vollendet hatte, theils auf Unterricht, welchen er selbst als außerordentlicher Lehrer am Pädagogium gab. Zu Ostern 1815 habilitirte sich M. an der Universität Leipzig auf Grundlage einer Schrift, welche ihn als gewandten Analytiker in der Behandlung von Kreisfunctionen zeigt. Im Sommer veröffentlichte er eine weitere Abhandlung über die Bedeckung von Fixsternen durch Planeten. Am 26. Januar 1816 erhielt er die Ernennung zum Observator an der Sternwarte und zum außerordentlichen Professor der Astronomie unter der Verpflichtung, vorher noch anderweitige Sternwarten kennen zu lernen, wozu ein Reisestipendium von 150 Thlr. beigefügt war. Der Seeberg bei Gotha, Tübingen, München, Wien, Ofen sahen M. zu kürzerem oder längerem Aufenthalte. Ueberall wurde der gut empfohlene junge Astronom in wärmster Weise aufgenommen, und von seiner Reise aufs Höchste befriedigt, langte er im October 1816 wieder in Leipzig an, wo er das Vergnügen hatte, mit dem eben dort angestellten Jugendfreunde Nobbe zusammenzutreffen und einen anderen Plan verwirklicht zu sehen, seine Hoffnung seit dem Beginne seiner Studien: die Mutter zog nach Leipzig zu dem Sohne und führte sein Hauswesen. Ueppig ging es gerade nicht darin zu. Gehalt, Vorlesungshonorare, litterarische Erträgnisse und Zinsen des kleinen Vermögens, soweit es nicht aufgezehrt war, beliefen sich nur auf wenige hundert Thaler, aber es genügte doch den bescheidenen Ansprüchen und erlaubte ihm eine im Mai 1816 an ihn ergehende Anfrage, ob er einer Berufung nach Greifswalde folgen wolle, abschlägig zu beantworten. Grund dieser Ablehnung war wohl in erster Linie eine natürliche Dankbarkeit gegen die heimathliche Regierung, welche ihn so|rasch befördert hatte, doch dürfte auch sein sächsischer Localpatriotismus mit in die Wagschale gefallen sein. M. war sein Leben lang, ähnlich wie Gauß, eine durch und durch conservative Natur, dem Bestehenden auch darin zugethan, daß er den werdenden Großstaat Preußen nicht als Theil des allgemeinen deutschen Vaterlandes, sondern als Ausland betrachtete. Zu derselben Zeit, in welcher Encke (Bd. VI, S. 99) dem Aufrufe an mein Volk freiwillig Folge geleistet hatte, schrieb M. seiner Mutter halb humoristisch halb im Ernst: „Ich halte es geradezu für unmöglich, daß man mich, einen habilitirten Magister der Leipziger Universität zum Rekruten sollte machen können. Es ist der abscheulichste Gedanke, den ich kenne, und wer es wagen, sich unterstehen, erkühnen, erdreisten, erfrechen sollte, der soll vor Erdolchung nicht sicher sein. Ich gehöre ja nicht zu den Preußen, ich bin in sächsischen Diensten.“ Sachse war er, Sachse blieb er. Auch eine Berufung nach Dorpat, die Weihnachten 1819 an ihn erging, und ihm verhältnißmäßig glänzende Bedingungen in Aussicht stellte (1450 Silberrubel Gehalt, während in Leipzig seine festen Einnahmen sich noch nicht auf 500 Thlr. beliefen), lehnte er einfach ab, ohne auch nur den Versuch zu machen, dadurch seine heimathlichen Einkünfte zu steigern. Erst 25 Jahre später benutzte er in diesem Sinne eine Berufung nach Jena, wo er der Nachfolger von Jac. Friedr. Fries werden sollte. Jetzt wurde er zu Ostern 1844 in Leipzig zum ordentlichen Professor mit kleiner Gehaltsaufbesserung ernannt, während 1825 bei Mollweide's Tod die Facultät M. umging und den damaligen Privatdocenten Drobisch zur mathematischen Professur, zuerst als Extraordinarius, 1827 als Ordinarius vorschlug. Zwei Umstände trugen die Schuld an dieser so langsamen Beförderung von M., die nach seiner frühzeitigen Anstellung als außerordentlicher Professor doppelt überraschen könnte, seine von Schüchternheit begleitete Anspruchslosigkeit an das Leben, welche ihn verhinderte als Bittsteller um Verbesserung seiner Lage so häufig und so dringend aufzutreten, als es von Anderen wohl verlangt wurde, und die hohen Ansprüche an wissenschaftliche Leistungen, welche ihn verhinderten, frühzeitig als Schriftsteller sich bekannt zu machen. Auf diese seine litterarische Thätigkeit kommen wir später zurück, jetzt haben wir es noch mit Möbius' Privatleben zu thun. Im Spätjahr 1816 war die Mutter zu ihm nach Leipzig gezogen. Sie führte sein Hauswesen, drängte aber zu einer Verheirathung. M. hatte als Student da und dort an jungen Mädchen Gefallen gefunden. In seinen Briefen an die Mutter ist bald von einem Mienchen, welches den künftigen großen Mann ihm weissagt, bald von einer hübschen Schneiderstochter, bei deren Vater er sich einmiethet, bald von einer Ungetreuen, von der er schlafend und wachend träumt, die Rede. Auch der junge Professor faßte bald eine Neigung zu einem munteren, aber vielleicht etwas vergnügungssüchtigen Mädchen, mit welchem er sich im Sommer 1818 Verlobte. Die Ehe wäre wohl kaum eine glückliche geworden, wie die sorgsame Mutter erkannte, und ein zu Anfang leichtes Mißverständniß führte im Winter 1819 zur Auflösung des Verhältnisses. Nun leinte M. im Hause seines bereits verheiratheten Freundes Karl Nobbe, Dorothea Christiane Johanna Rothe kennen, Tochter eines Wundarztes in Gera, Schwester eines Leipziger Kaufmannes, die am 26. Juli 1790 geboren, vier Monate älter als M. war, auch gleich ihm trübe Herzenserfahrungen durch eine rückgängig gewordene Verlobung gemacht hatte. Die beiden Naturen paßten aufs Vortrefflichste zu einander, und im Einverständnisse mit Möbius' Mutter wurde die Vermählung auf den 6. April 1820 festgesetzt und an diesem Tage in aller Stille vollzogen. Die Mutter selbst konnte an dem Freudenfeste nicht theilnehmen. Sie war ganz unerwartet am 4. März 1820 erst 64 Jahre alt gestorben. Das Familienleben des neuverheiratheten Paares war ein stillzufriedenes, beglückt|durch drei zur Freude der Eltern sich entwickelnde Kinder, belebt durch, einen Kreis geistig hervorragender Freunde, aber auch getrübt durch mannigfaches körperliches Leiden insbesondere der Frau, welche seit 1821 an den Augen litt, 1825 ganz erblindete, dabei aber doch vermochte der heitere Mittelpunkt ihres Hauswesens zu bleiben, bis sie am 9. Septbr. 1859 den Ihrigen durch den Tod entrissen wurde. M. selbst war bei kleiner etwas hagerer Gestalt abgesehen von einem Augenübel, das in den letzten Jahrzehnten seines Lebens auch seine Sehkraft beeinträchtigte, eine gesunde Natur. Zahnschmerzen waren fast allein die von ihm zu ertragenden kleinen Unpäßlichkeiten des Lebens, diese aber in einem Grade, der ihn zu dem scherzhaften Wunsche veranlaßte, man solle ihm dereinst die Grabschrift setzen: „Dem thut kein Zahn mehr weh.“ Er war ein Freund des Gehens, sei es in Gesellschaft, sei es auch allein. Um bei seinen Spaziergängen sicher zu sein, Nichts vergessen zu haben, was er unterwegs brauchen könne, versäumte er nie von einer mnemonischen Regel Gebrauch zu machen, an die „3 S und Gut“ zu denken: Schlüssel, Schirm, Sacktuch, Geld, Uhr, Taschenbuch vorstellend.

    Was die Bedeutung Moebius' als Gelehrter betrifft, so liegt sie vornehmlich auf dem Gebiete der Mechanik und der Geometrie, welche er in einer ihm eigenthümlichen Weise in Verbindung zu setzen wußte. Der Gedanke war so neu, daß als 1827 „der barycentrische Calcül, ein neues Hülfsmittel zur analytischen Behandlung der Geometrie“, erschien, die Aufmerksamkeit der Gelehrtenwelt früher als in Deutschland selbst in Frankreich rege wurde, wo die Arbeiten eines Dupin, eines Gergonne, eines Poncelet und Anderer zwar auf ganz anderem Wege doch in mancher Beziehung zu ähnlichen Ergebnissen geführt hatten, wie M. sie jetzt bekannt machte. Den Grundgedanken spricht M. in der Vorrede dahin aus, die Bemerkung daß irgend 3 Punkten einer Ebene immer solche Gewichte beigelegt werden können, daß ein gegebener 4. Punkt der Ebene als deren Schwerpunkt erschiene, und daß die 3 Gewichte alsdann in eindeutig bestimmten Verhältnissen zu der gegenseitigen Lage der 4 Punkte stehen, habe ihn dazu geführt, von Anfang an ein Fundamentaldreieck mit 3 gegebenen Eckpunkten in der Ebene anzunehmen. Jeder Punkt der Ebene war nun als Schwerpunkt dieser Eck- oder Fundamentalpunkte gegeben, wenn demselben bestimmte Gewichte oder Coefficienten beigelegt wurden. Die Verhältnisse zwischen diesen Coefficienten endlich waren neue und zwar barycentrische Coordinaten des Punktes in der Ebene. Damit hatte M. den Anstoß zur trimetrischen Coordinatengeometrie gegeben. Im Raume mußten in entsprechender Weise 4 Fundamentalpunkte, die Ecken einer Fundamentalpyramide, angenommen werden, denen Coefficienten gegeben wurden, genügend der Bedingung einen vorgeschriebenen Punkt zum Schwerpunkte der Fundamentalpunkte zu machen. Wechsel des bestimmten Punktes hängt selbstverständlich mit Veränderung der Coefficienten zusammen, die in dieser Beziehung Functionen einer oder zweier Veränderlichen sein können. Im ersteren Falle ist der geometrische Ort des bestimmten Punktes eine Curve, im zweiten eine Oberfläche. Zwischen diesen barycentrischen Ausdrücken und den Gleichungen der gewöhnlichen analytischen Geometrie der Parallelcoordinaten ist ein Uebergang möglich, welchen M. kennen lehrte, damit den ersten Abschnitt seines Buches beschließend. Der zweite Abschnitt ist der Verwandtschaft der Figuren gewidmet, einem von Euler erfundenen, von M. bedeutend erweiterten Begriffe. Eine der von M. hinzugefügten Erweiterungen bezieht sich auf die Collineation, wie er mit einem von seinem Freunde Professor Weiske angerathenen sehr bezeichnenden Namen die Art von Verwandtschaft zweier Räume ausspricht, bei welcher jedem Punkte des einen Raumes ein Punkt in dem anderen Raume dergestalt entspricht, daß die Lage der Punkte eines Raumes in|gerader Linie auch die Geradlinigkeit der Verbindung der entsprechenden Punkte im anderen Raume bedingt. Bei der Untersuchung dieser Verwandtschaft bediente sich M. des Doppelverhältnisses, welches hier zuerst auftrat und von ihm den Namen erhielt. Es liegt nahe von solchen Verwandtschaften zu anderen zu gelangen, in denen einem Punkte eine Gerade und umgekehrt entspricht. Solche Zusammengehörigkeiten lassen sich in vielen Eigenschaften der Kegelschnitte erkennen, und ihnen ist der dritte Abschnitt des barycentrischen Calcüls gewidmet. In dem ganzen Werke ist überdies das, wie M. wieder in der Vorrede sich ausdrückt, schon von Mehreren gebrauchte Verfahren, nach welchem der positive oder negative Werth einer Linie durch die verschiedene Nebeneinanderstellung der die Endpunkte bezeichnenden Buchstaben ausgedrückt wird, durchgehends in Anwendung. M. hat auch diese in Deutschland wohl zuerst durch Kästner benutzte Bezeichnungsweise auf Figureninhalte erweitert. Das zweite bedeutende Werk Möbius' war sein „Lehrbuch der Statik“, 1837, der Ausbau eines in einer Abhandlung von 1881 (Crelle's Journal, Bd. VII) entworfenen Risses. Die Poinsot’sche Theorie der Kräftepaare ist ganz an die Spitze gestellt, und nach ihr folgt erst die Lehre von der Zusammensetzung solcher Kräfte, welche nicht Paare bilden. Endlich erschienen 1843 „Die Elemente der Mechanik des Himmels auf neuem Wege ohne Hülfe höherer Rechnungsarten dargestellt“, ein Werk, in welchem nach dem fachkundigen Urtheile des verstorbenen Mitarbeiters an dieser Encyklopädie Prof. Karl Bruhns, nicht blos für Laien das im Titel Versprochene vollauf geleistet wird, sondern auch für den Astronomen von Fach Vieles zu lernen ist, insbesondere die Bestimmung der durch störende Kräfte bewirkten Ungleichheiten in den Planetenbewegungen mittels Epicykeln. Neben und zwischen diesen Büchern veröffentlichte M. auch noch eine ganze Reihe von meist umfangreichen Abhandlungen, vornehmlich in Crelle's Journal für reine und angewandte Mathematik, aber auch in den Veröffentlichungen der königl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, welcher er seit ihrer Gründung angehörte und Weniges in astronomischen Zeitschriften, ein äußeres Zeichen dafür, daß M. nur der äußeren Berufsstellung nach Astronom, vorwiegend Mathematiker war. Der Inhalt der mathematischen Abhandlungen in Crelle's Journal ist dem der drei größeren Werke nahe verwandt. Geometrische Sätze, barycentrisch und auch in landläufiger Weise begründet, Mechanisches, auf astronomischem Gebiete eine Ableitung des Newton’schen Attractionsgesetzes als Folge der Kepler’schen Gesetze (Crelle's Journal Bd. XXXI) wurden der Reihe nach dem Drucke übergeben. Etwas abweichenden Charakters sind Aufsätze über dioptrische Dinge, gestützt auf die Lehre von den Kettenbrüchen (Crelle's Journ. Bd. V und VI), eine combinatorisch gehaltene Untersuchung über Reihenumkehrung (Crelle's Journal Bd. IX) und eine höchst eigenartige zahlentheoretisch-geometrische Betrachtung (Crelle's Journal Bd. XXII) über Factorentafeln. Es handelt sich um eine Anordnung, nach welcher unter jeder Zahl ihre sämmtlichen Factoren erscheinen, je ein quadratisches Feld füllend; diese Felder werden nach bestimmten Gesetzen durch einen Buchstaben mit Index bezeichnet, zugleich Repräsentanten eines geometrischen Punktes, dessen Coordinaten der Hauptbuchstabe und der Index sind; endlich werden solche Punkte grad- oder krummlinig verbunden. Eine Notiz im XII. Bande des mehrgenannten Journals erwähnen wir nur als geschichtliche Merkwürdigkeit, daß im J. 1834 Mathematiker von dem Range eines M. irrigen Anschauungen über unbestimmte analytische Formen huldigen konnten. Unter den Veröffentlichungen, welche durch die sächs. Gesellschaft der Wissensch. vermittelt wurden, ragen an Umfang die Abhandlungen von 1846 über analytische Sphärik, von 1852 über Linien dritter Ordnung, von 1853 über die Kreisverwandtschaft hervor, wie er jene Beziehung|zweier Räume nannte, bei welcher je 4 einer Kreislinie angehörenden Punkten des einen Raumes 4 gleichfalls auf einer Kreislinie befindliche Punkte des anderen Raumes entsprechen. Kürzer gefaßt, aber dem Inhalte nach keineswegs unbedeutender sind die Aufsätze in den sogen. Berichten der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften 1846—65. In der Unmöglichkeit sie sämmtlich aufzuzählen, nennen wir nur den Aufsatz über eine Methode, um von Relationen, welche der Longimetrie angehören, zu entsprechenden Sätzen der Planimetrie zu gelangen (1852), welchen M. zugleich auch in Crelle's Journal Bd. LII abdrucken ließ, und in welchem er vorzugsweise mit sogenannten imaginären Raumgebilden, beziehungsweise mit sogenannten Grenzfällen sich beschäftigt hat. In allen diesen geometrischen Veröffentlichungen größeren wie kleineren Umfanges hat M. sich stets als Geist ersten Ranges bewährt, erfindungsreich und fruchtbar, Urheber nicht blos einzelner Sätze sondern ganzer Theorien, an deren Ausbildung die tüchtigsten Geometer unter seinen Zeitgenossen und Nachkommen bald nach dieser, bald nach jener Methode arbeiteten. Seine eigene barycentrische Methode hat, auffallend genug, bei keinem Nachfolger sich einzubürgern vermocht; es sei denn, man wolle den Grundgedanken des barycentrischen Calcüls in jenen neuesten Arbeiten durchschimmern sehen, welche die Functionenlehre darauf gründen, den einzelnen Punkten einer Oberfläche eine eigenthümliche Belegung zu geben. Die Statik zählt zu den Ausgangspunkten der insbesondere durch Culmann in Aufnahme gebrachten graphischen Statik, konnte aber doch dem Schicksale nicht entgehen, in fast vollständiger Auflage eingestampft zu werden. So wenig wurde M. 10 Jahre nach Erscheinen des barycentrischen Calcüls gewürdigt! Neuerdings veranstaltet die sächsische Gesellschaft der Wissenschaften eine Gesammtausgabe von Möbius' Werken.

    • Literatur

      K. Bruhns, Die Astronomen der Sternwarte auf der Pleißenburg in Leipzig, 1868.

  • Autor/in

    Cantor.
  • Zitierweise

    Cantor, Moritz, "Möbius, August Ferdinand" in: Allgemeine Deutsche Biographie 22 (1885), S. 38-43 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119147114.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA