Lebensdaten
1666 – 1711
Geburtsort
Königsberg (Preußen)
Sterbeort
Oxford
Beruf/Funktion
Theologe
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 119117029 | OGND | VIAF: 29556453
Namensvarianten
  • Grabe, Johannes Ernst
  • Grabe, I. E.
  • Grabe, J. E.
  • mehr

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Zitierweise

Grabe, Johannes Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119117029.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Martin Sylvester (1627–86), Lic. theol., 1662 Prof. d. Theol., seit 1667 auch Prof. d. Gesch. in K., 1679 Gen.sup. v. Hinterpommern, Polyhistor (s. ADB IX; Altpreuß. Biogr.), S d. Liborius, Kaufm. in Weißensee/Thür., u. d. Anna Elis. v. Ottera;
    M Sophia, T d. Michael Behm. ( 1650), ev. Theol. (s. NDB II);
    Groß-Om Joh. Latermann (1620–62), ev. Theol. d. gemäßigter; calixtin. Richtung in K. (s. ADB 18; Altpreuß. Biogr.);
    Om Michael Behm, ev. Theol., Beisitzer d. Pomesan. Konsistoriums, unterrichtete G. u. begleitete ihn z. Univ.;
    B Martin Sylvester (1674–1727), Bibliothekar u. Leibmedikus in K. (s. ADB IX; Altpreuß. Biogr.);
    Vt Joh. Behm, Prof. d. Theol. u. griech. Sprache, Oberbibliothekar in K.

  • Biographie

    G. beherrschte schon seit früher Jugend Latein wie seine Muttersprache. Nach nur dreijährigem Studium der Philosophie und Geschichte promovierte er in Königsberg 1685 zum Magister. Er hielt nun Vorlesungen über Geschichte und Rhetorik. Nach dem Tod des Vaters 1686 besuchte er auf einer Rundreise, der gelehrten Sitte der Zeit entsprechend, die deutschen Universitäten. Nach seiner Rückkehr 1687 nahm er seine Vorlesungen wieder auf und las auch Kirchengeschichte. Doch lehnte er es ab, sich um eine theologische Professur zu bewerben. Er war wohl bereits damals, beeinflußt durch das Studium Bellarmins, an dem Daseinsrecht der lutherischen Kirche irre geworden. Die ökumenischen Bestrebungen von Georg Calixt hatten die Vätergeneration in die synkretistischen Streitigkeiten hineingezogen. Denen, die zwischen Orthodoxie und Rationalismus auch im Pietismus keine Befriedigung fanden, bot sich die katholische Kirche, geschickt vertreten durch die jesuitische Propaganda fidei, als Ausweg an. In den 90er Jahren erreichte der Synkretismus und damit der Kryptokatholizismus in Königsberg seinen Höhepunkt. 1694 trat der Professor der Theologie J. Ph. Pfeiffer mit einigen Gesinnungsgenossen und Schülern zur katholischen Kirche über. G. wurde katholischer Anschauungen verdächtigt und verfolgt. In einer Denkschrift bestritt er das Recht der Reformation und beschuldigte Luther und die Seinen der Häresie. Entscheidend war für ihn das Fehlen der apostolischen Weihe bei dem geistlichen Amt und des Opfercharakters des Abendmahls in der lutherischen Kirche. Die folgenden Auseinandersetzungen führten zu einer persönlichen Begegnung mit Ph. J. Spener, den mit zwei anderen der Kurfürst als Gutachter gegen G. eingesetzt hatte. Diesem gelang es mit der überlieferten protestantischen Deutung von Offenbarung 12,3 ff. auf das päpstliche Rom, G. von der Konversion zur römischen Kirche abzubringen; zugleich riet er ihm, zur Befriedigung seiner hochkirchlichen Neigungen zur anglikanischen Kirche überzutreten. Bemühungen, ihn für eine preußische Universität zu gewinnen, scheiterten.

    Mit der Übersiedlung nach England 1697 und dem Übertritt zur anglikanischen Kirche begann für G. in Oxford das stille Leben eines Gelehrten. Äußerlich war er durch die Einkünfte eines geistlichen Amtes, das er aus Bedenken gegen die anglikanische Abendmahlslehre nie ausübte, und durch eine königliche Pension gesichert. Umfangreiche patristische Studien führten zu wertvollen Veröffentlichungen. Seine Lebensleistung wurde die erstmalige Herausgabe des Codex Alexandrinus (A), jener berühmten Septuaginta-Handschrift aus dem 5. Jahrhundert, die neben Vaticanus (B) und Sinaiticus (S) zu den 3 ältesten und wichtigsten Zeugen des Textes des griechischen Alten Testaments gehört. Der Codex war 1627 durch Schenkung an König Karl I. nach England gekommen. G. machte sich, wie man ihm bezeugte, mit einmaliger, kaum vorstellbarer Sorgfalt an die Herausgabe, suchte in den ihm zugänglichen Handschriften die 3 Rezensionen der Septuaginta nachzuweisen und schuf so die Grundlagen der Septuagintaforschung, auf denen vor allem P. A. de Lagarde und die späteren Mitarbeiter des Göttinger Septuaginta-Unternehmens aufbauten. Den Text suchte er von Fehlern zu reinigen und brachte deshalb etwa 2000 Korrekturen an, die sorgfältig gekennzeichnet wurden. Über die Textgestaltung und die Septuaginta als Übersetzung geben die ausführlichen Einleitungen Rechenschaft. Die Herausgabe des großen Werkes wurde in aller Welt durch Subskriptionen unterstützt. König Friedrich I. von Preußen sandte ein Geldgeschenk. Die Verbindung G.s mit der alten Heimat war nie abgerissen; vor allem suchte er in Preußen für eine Angleichung an die bischöfliche Verfassung und die Liturgie der anglikanischen Kirche zu werben. Daß auch die Lehre der englischen Kirche seinen Glaubensüberzeugungen nicht voll entsprach, hat wohl sein mit den Jahren zunehmendes Heimweh verstärkt. Schließlich hat seine schwache Gesundheit seinem Leben ein frühes Ende bereitet. Seine lautere und aufrichtige Frömmigkeit und seine Bescheidenheit hatten ihm viele Freunde erworben. Sie nannten ihn den Seligen.|

  • Auszeichnungen

    Dr. theol. (Oxford 1706).

  • Werke

    Weitere W Animadversiones historicae in Controversias Bellarmini, 1692;
    Abgenöthigte Ehrenrettung, 1696;
    Spicilegium SS. Patrum ut et Haereticorum saec. p. Chr. I-III, 2 Bde., Oxford 1698-1700;
    Justini Martyris Apologia I pro Christianis variorum propriisque notis illustrata, ebd. 1700;
    Irenaei contra haereses libri V cum tractatum deperditorum fragmentis, ebd. 1702;
    Epistola ad Millium subnexis III novae τῶν ό (der Septuaginta) editionis speciminibus, ebd. 1705;
    Septuaginta Interpretum Tomus I continens Octateuchum…, ebd. 1707, IV, 1709;
    Dissertatio de vitiis Septuaginta interpretum versioni ante Origenis aevum illatis, ebd. 1710;
    Some instances of the defects and omissions in Mr. Whistons collection of testimonies from the Scriptures and the Fathers against the true Deity of the Son and the Holy Ghost, London 1712;
    Liturgia Graeca ad normam liturgiarum, ed. Ch. M. Pfaff, Den Haag 1715;
    Septuaginta… II, ed. F. Lee, Oxford 1719, III, ed. W. Wigan, ebd. 1720;
    De forma consecratoria Eucharistiae, London 1721. - Versch. Nachdrucke d. Septuaginta-Ausg.: J. J. Breitinger, Vetus Testamentum ex versione Septuaginta…, 4 Bde., Zürich 1730-32;
    Ch. Reineccius, Biblia Sacra quadralinguia, Leipzig 1750 f.;
    F. Field, Recensionem Grabianam ad fidem cod. A …, Oxford 1859. - Wiss. Nachlaß in Oxford, Bodleian Library.

  • Literatur

    L ADB IX;
    Ph. J. Spener, Der Ev. Kirchen Rettung, Frankfurt/M. 1695;
    S. Schelwig, De eruditionis gloria in Anglia per advenas propagata in memoriam J. E. G., 1712;
    M. S. Grabe (B), J. E. G.s Leben, Tod u. Schrr., in: Acta Borussica I, Königsberg 1730, S. 1 ff. (vollst. W-Verz.): A. P. de Lagarde, Mitt. II, 1887;
    Ersch-Gruber I, 77, S. 208 f. (vollst. W-Verz.);
    PRE;
    Internet;
    RGG.

  • Porträts

    Grabdenkmal, 1730 (London, Westminster Abbey), Abb. in: A. P. Stanley, Historical Memorials of Westminster Abbey, London 1911, S. 274.

  • Autor/in

    Georg Bertram
  • Zitierweise

    Bertram, Georg, "Grabe, Johannes Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 696-698 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119117029.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Grabe: Johann Ernst G., geboren am 10. Juli 1666 zu Königsberg, am 13. November 1711 zu London, Sohn des Folgenden, berühmter englischer Theologe. Seine gelehrte Bildung erhielt er im elterlichen Hause theils in Königsberg, theils in Pommern, wohin sein Vater versetzt war. Besonderen Einfluß auf die Richtung seiner Studien hatte sein Onkel, der jüngere Michael Behm, seiner Mutter Bruder, der ihn schon in Pommern unterrichtet hatte und|sodann auf die Universität Königsberg 1682 begleitete, um später als Erzpriester in Pr. Holland und Beisitzer des Pomesanischen Consistoriums eine einflußreiche Stelle im Kirchenregimente einzunehmen. Der junge G., von außerordentlicher Lernbegier ergriffen und mit hinreichenden Kenntnissen ausgestattet, trieb zunächst philosophische und geschichtliche Studien mit solchem Erfolge, daß er schon nach drei Jahren (1685) den Grad eines Magisters erlangen konnte, und damit das Recht, Vorlesungen zu halten, erwarb. Diese erstreckten sich anfangs nur auf Geschichte und Rhetorik. Doch verband er damit auch theologisch-exegetische Studien, so daß er sich befähigt hielt, auch theologische Vorlesungen zu halten. Durch den 1686 erfolgten Tod seines Vaters ward er veranlaßt, nach Colberg zu reisen, und dehnte diese Reise zu einer in jener Zeit üblichen Gelehrtentour durch alle Universitäten Deutschlands aus. Nach seiner Rückkehr 1687 setzte er seine akademische Lehrthätigkeit unter Ausdehnung auf die Kirchengeschichte mit großem Beifall fort, so daß ihm gerathen wurde, sich um eine außerordentliche Professur der Theologie zu bewerben. Er lehnte es aber ab, ohne Zweifel, weil ihm damals schon Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bestandes der ganzen lutherischen Kirche entstanden waren. Dieselben betrafen nicht den Inhalt der christlichen Glaubenslehre im Allgemeinen, sondern die Verfassung und den Cultus der lutherischen Kirche. In jener vermißte er ein gültiges, durch apostolische Succession gewährleistetes Priesterthum, in diesem die Opferhandlung im Abendmahle. Anlaß zu diesen Zweifeln haben ihm ohne Zweifel die Tendenzen der damals in Königsberg zur Herrschaft gelangten, durch Calixtus angeregten synkretistischen Theologen gegeben. Die theologischen Professoren, die fast alle mit ihm verwandt waren, huldigten mehr oder weniger dem Calixtinismus mit Hinneigung zur katholischen Kirche. Im J. 1694 trat dieses offen hervor durch die Conversion des theologischen Professors Pfeiffer, des Pfarrers Praetorius und des Magisters Hellwich. G. selbst sah sich dadurch veranlaßt, seine Zweifel in einer ausführlichen Schrift dem Consistorium vorzutragen. Dieses schickte dieselbe dem kurfürstlichen Hofe nach Berlin zu. Der Kurfürst befahl die Schrift an drei berühmte Theologen zu schicken, mit der Anweisung, daß Jeder besonders darauf antworten solle. Es waren Ph. Jac. Spener, Propst in Berlin, Joh. M. Baier, Professor in Jena, Bernhard v. Sanken, Professor, Oberhofprediger, später evangelischer Bischof in Königsberg. Nur auf die Schrift des Letzteren antwortete G. ("Abgenöthigte Ehrenrettung wider Sanden“, 1696). Er entzog sich den daraus für ihn entstehenden Widerwärtigkeiten durch eine Reise nach Wien. Es war seine Absicht, dort den Uebertritt zur katholischen Kirche zu vollziehen. Davon brachte ihn indeß die Schrift Spener's zurück, die ihm bewies, daß die in der Offenbarung Johannis enthaltenen Stellen vom Falle Roms nicht vom heidnischen, sondern vom christlichen Rom verstanden werden müssen, und daher nur das Papstthum damit gemeint sein könne. Er knüpfte darauf weitere Verhandlungen mit Spener an, die zu einer gegenseitigen persönlichen Aussprache in Berlin führten. Da Spener ihm den Skrupel wegen der mangelnden apostolischen Succession in der lutherischen Kirche nicht nehmen konnte, so rieth er ihm, in die anglikanische Kirche überzutreten, wo das dort vorhandene Episcopat diesen Mangel ersetze. G. befolgte diesen Rath, und mit den besten Empfehlungen versehen begab er sich 1697 nach England. Dort nahm man ihn mit offenen Armen auf, die Königin Anna gewährte ihm eine jährliche ansehnliche Pension und mehrmals außerordentliche Gnadengeschenke. Obwol er sich zum Priester weihen ließ, nahm er doch kein geistliches Amt an, weil er an einigen Punkten in der englischen Abendmahlsliturgie, als welche nicht dem alten Brauch der Kirche entsprächen, Anstoß nahm. Er lebte nun 14 Jahre lang meistens in Oxford als gelehrter Privatmann, ganz gelehrten Studien, besonders patristischen, hingegeben. Durch Benutzung der berühmten Bodlejanischen Bibliothek daselbst gelang es ihm, werthvolle Handschriften des christlichen Alterthums zum ersten Male ans Licht zu ziehen. Als Hauptfrucht dieser Studien ist das berühmte Werk anzusehen: „Spicilegium S. S. Patrum et Haereticorum, Seculorum post Christum natum,“ I-III, Oxon.1698. Nächstdem beschäftigte er sich mit einer neuen Herausgabe des „Irenaeus“. Vor allem aber benutzte er den nach England gekommenen „Codex Alexandrinus“, um auf Grund dieser ältesten Handschrift eine neue Ausgabe der griechischen Uebersetzung des alten Testaments herauszugeben. Die Oxforder Universität ehrte die gelehrten Verdienste dieses Fremdlings durch die feierliche Verleihung des theologischen Doctorgrades. Der Lord Oxford ließ ihm 1726 in der Westminsterabtei ein kostbares Monument aus Alabaster setzen, wo er in einem Doctorhabit auf einem Sarge sich auf den rechten Arm lehnend, in der linken ein Buch haltend, gesehen wird.

    • Literatur

      Vgl. Acta Borussica, 1730, I. Die daselbst abgedruckte Lebensgeschichte ist von seinem jüngeren Bruder verfaßt. — Arnold, Historie der Königsb. Universität, II. S. 449. —
      Ersch u. Gruber, Encyklopädie I. 77, S. 208. (Hier wie in dem ersten Werke ist ein vollständiges Verzeichniß seiner Schriftenenthalten.) — Herzog, Realencyklopädie, V. S. 310.

  • Autor/in

    Erbkam.
  • Zitierweise

    Erbkam, Wilhelm Heinrich, "Grabe, Johannes Ernst" in: Allgemeine Deutsche Biographie 9 (1879), S. 536-538 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119117029.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA