Lebensdaten
1865 – 1939
Geburtsort
Kassel
Sterbeort
Kopenhagen
Beruf/Funktion
SPD-Politiker ; Oberbürgermeister von Kassel ; Politiker ; Sozialdemokrat ; Abgeordneter ; Regierungschef ; Schriftsteller ; Journalist ; Buchdrucker
Konfession
reformiert
Normdaten
GND: 118754351 | OGND | VIAF: 30332391
Namensvarianten
  • Scheidemann, Philipp Heinrich
  • Scheidemann, Philipp
  • Scheidemann, Philipp Heinrich
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Zitierweise

Scheidemann, Philipp, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118754351.html [07.10.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Friedrich (1842–79), Tapezier- u. Polsterermeister in Kassel, S d. Philipp (1812–91), aus Heimarshausen, Fabrikschreiner in Kassel, u. d. Elisabeth Mergenthal (1813–51);
    M Wilhelmine Pape|(1842-1907), außerehel. T d. Ludwig Seligmann, Wollsortierer in Kassel, u. d. Martha Elisabeth Pape;
    2 Schw;
    - Kassel 1889 Johanna (Hanne) Dibbern (1864–1926);
    3 T Lina (1889–1933), Liese (1891–1955), Hedwig (1893–1935).

  • Biographie

    Nach dem Besuch der höheren Bürgerschule in Kassel erlernte S. den Beruf des Buchdruckers (1883 Geselle). Noch in der Zeit der Sozialistengesetze begann der 18jährige, dessen Familie nach dem Tod des Vaters verarmt war, mit dem Eintritt in den Buchdruckerverband und die sozialdemokratische Geheimorganisation eine Musterkarriere in der Partei. Nach mehrjährigem ehrenamtlichen Engagement für die Arbeiterbewegung gab der bildungshungrige Autodidakt 1895 seinen erlernten Beruf auf, um sich – zunächst als Redakteur der „Mitteldt. Sonntagszeitung“ in Gießen, später einer Reihe anderer Parteiblätter in Nürnberg, Offenbach und Kassel – ganz der Politik zu widmen. Der Wahl in den Reichstag 1903 (für Solingen) folgte 1911 der Aufstieg in den sozialdemokratischen Parteivorstand. Nach dem Tod August Bebels wurde S. 1913 einer der drei Vorsitzenden der Reichstagsfraktion, 1917 neben Friedrich Ebert auch Vorsitzender im zentralen Parteivorstand. Rhetorisches Talent und pragmatischer Politikstil, bürgerliche Umgangsformen und Sinn für Humor verschafften ihm über die Grenzen seiner Partei hinaus Anerkennung. 1912 wurde mit S. erstmals ein SPD-Politiker 1. Vizepräsident des Reichstags. Im Verlauf des Weltkriegs suchte er zwischen rechtem und linkem Flügel seiner Partei zu vermitteln. Sein Engagement für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen und Kontributionen („Scheidemann-Frieden“) konnte die Spaltung der Sozialdemokratie nicht verhindern.

    Obwohl Ebert als besserer Taktiker und Sachpolitiker galt, wurde S. aufgrund seiner höheren Popularität im Okt. 1918 unter Max von Baden Staatssekretär ohne Portefeuille in der ersten parlamentarisch verantwortlichen Regierung des Kaiserreichs. Am 9.11.1918 trat S. an die Spitze der Revolution und rief, dem Kommunisten Karl Liebknecht zuvorkommend, vom Balkon des Reichstags die Dt. Republik aus. Der Revolutionsregierung gehörte er ebenso an wie der Weimarer Nationalversammlung, die ihm im Febr. 1919 die Führung der Regierung anvertraute. Die Annahme des Versailler Friedensvertrags lehnte S. ab („Welche Hand müßte nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legte!“). Als die Unterzeichnung infolge des Drucks der Obersten Heeresleitung unabweisbar geworden war, trat Reichsministerpräsident S. am 20.6.1919 zurück. Er blieb bis 1933 Mitglied des Reichstags für den Wahlkreis Hessen-Nassau, trat allerdings nur noch gelegentlich durch Reden hervor, so im Okt. 1919, als er Gustav Noskes Politik mit den Worten attackierte, der Feind stehe rechts, oder im Dez. 1926, als er angesichts der Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und extrem rechten Wehrverbänden vor reaktionären Tendenzen warnte.

    S. war in den Augen der radikalen Rechten, die auf ihn das Schmähwort von den „Scheidemännern“ münzten, eine Verkörperung des verhaßten Weimarer „Systems“. Am 4.6.1922 überlebte er ein Blausäureattentat nur leicht verletzt. Das Amt des Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt Kassel, in das S. Ende 1919 gewählt worden war, mußte er wegen eines Magenleidens 1925 wieder aufgeben. Seitdem widmete er sich neben seinem Mandat in Berlin v. a. dem Verfassen politischer Schriften, die weite Verbreitung fanden. Nach dem 30. Jan. 1933 nationalsozialistischen Drohungen ausgesetzt, floh S. Anfang März über Salzburg nach Prag und im folgenden Jahr schließlich nach Kopenhagen. Trotz seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes verfolgte er die politische Entwicklung Deutschlands und gelangte – u. a. in pseudonym veröffentlichten Beiträgen für die dän. Arbeiterpresse – zu weitsichtigen Einschätzungen der Politik Hitlers.

  • Werke

    Es lebe d. Frieden, 1916;
    Der Zusammenbruch, 1921;
    Der Fürsten Habgier, Die Forderungen der Fürsten an d. Notleidende Volk, 1926;
    Memoiren e. Sozialdemokraten, 2 Bde., 1928;
    Das hist. Versagen d. SPD, Schrr. aus d. Exil, hg. v. F. R. Reitzier, mit e. Einl. v. C.-D. Krohn, 2002.

  • Literatur

    H. Schulze, Das Kabinett Scheidemann (1919), 1971;
    S. Miller;
    Die Bürde d. Macht, Die dt. Sozialdemokratie 1918 bis 1920, 1978;
    Ch. Gellinek, Ph. S., Eine biogr. Skizze, 1994 (P);
    H. Schmersal, Ph. S. 1865-1939, Ein vergessener Sozialdemokrat, 1999 (P);
    Rhdb. (P);
    BHdE I;
    Biogr. Lex. Weimarer Rep.;
    G. Fesser, in: Die Weimarer Rep., hg. v. M. Fröhlich, 2002, S. 62-72;
    zur Fam.:
    J. F. Jacobs, in: Geneal. 25, Bd. 13, 1976, S. 129-33.

  • Autor/in

    Manfred Kittel
  • Zitierweise

    Kittel, Manfred, "Scheidemann, Philipp" in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 630-631 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118754351.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA