Lebensdaten
1878 – 1956
Geburtsort
Biel (Kanton Bern)
Sterbeort
bei Herisau (Kanton Appenzell)
Beruf/Funktion
Schriftsteller
Konfession
reformiert
Normdaten
GND: 118628860 | OGND | VIAF: 27072914
Namensvarianten
  • Walser, Robert Otto
  • Kutsch (Pseudonym)
  • Walser, Robert
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Walser, Robert, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628860.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Adolf (sen.) (1833–1914), Buchbinder, Inh. e. Detailhandelsgeschäfts in B., S d. Johann Ulrich (1798–1866), Pfarrer 1817 in Grub (Kt. Aargau) u. 1833–37 in Liestal, 1838 Druckereibes. u. Verl. ebd., in Reinach, Arlesheim u. 1843 in Birsfelden, Hg. u. Red. d.„Freien Baselbieters“ u. d. „Basellandschaftl. Volksbl.“, 1850 Baselbieter Vfg.rat, 1851 Landrat u. Gde.rat v. Muttenz, radikal-demokrat. Publ. (s. HLS), u. d. Maria Juliana Hurter;
    M Elisabeth (Elisa, Elise) Marti (1839–94), Mitarb. im Geschäft ihres Mannes;
    5 B u. a. Hermann (1870–1919), o. Prof. f. Anthropogeogr. in Bern (s. A. Zinggeler, Prof. H. W., Werkverz., 1987, HLS), Oscar Emil (1872–1959), Bankangest., Prokurist in Basel, Ernst Julius (1873–1916), Sekundarlehrer in B., seit 1898 wegen Schizophrenie in d. Heil- u. Pflegeanstalt Waldau b. Bern, Karl (1877–1943), Maler, Bühnen- u. Kostümbildner, Buchillustrator, Vorstandsmitgl. d. Berliner Sezession, 1927 Mitgl. d. Preuß.|Ak. d. Künste (s. ThB; Kosch, Theater-Lex.; Theaterlex. d. Schweiz; Dict. of Art; HLS; P), 2 Schw Elisa (Lisa) Mathilde (1875–1944), Primarlehrerin in Täuffelen/ Bielersee, B., Livorno, Bern u. Bellelay (Berner Jura), Fanny (1882–1972, Arnold Hegi), Zahntechnikerin, 1926–50 in Lettland, W.s Nachlaßverw. bis z. Einrichtung d. R. W.-Archivs 1973;
    – ledig.

  • Biographie

    W.s Kindheit war geprägt durch den Niedergang des väterlichen Geschäfts und psychische Probleme der Mutter. In Biel besuchte er die Primarschule und verließ das Progymnasium ohne Abschluß, um 1892–95 eine Lehre bei der Berner Kantonalbank zu absolvieren. Wanderjahre führten ihn danach nach Basel, Stuttgart, Thun, Solothurn, München, Würzburg, Berlin, Täuffelen, Winterthur, Wädenswil und immer wieder nach Zürich. W. wollte Schauspieler werden, wandte sich dann aber neben wechselnden beruflichen Tätigkeiten dem Schreiben zu. Vermittelt durch Josef Viktor Widmann (1842–1911) veröffentlichte er 1898 anonym erste Gedichte im „Sonntagsblatt“ des „Bund“. Franz Blei (1871 1942) empfahl ihn der Zeitschrift „Die Insel“, in der 1900 / 01 u. a. die Dramolette „Aschenbrödel“ und „Schneewittchen“ erschienen. Während seiner Aufenthalte in München 1899 verkehrte W. im Kreis um die „Insel“ (Otto Julius Bierbaum, 1865–1910, Alfred Walter Heymel, 1878–1914, Rudolf Alexander Schröder, 1878–1962) und machte die Bekanntschaft von Frank Wedekind (1864–1918), Alfred Kubin (1877–1959) und Marcus Behmer (1879–1958).

    Mit „Fritz Kocher’s Aufsätze“, den fingierten Aufzeichnungen eines Schülers, erschien 1904 im Insel Verlag W.s erstes Buch. 1905 übersiedelte W. nach Berlin, wo er eine Ausbildung als Diener absolvierte und sein als Maler und Bühnenbildner (u. a. für Max Reinhardt) erfolgreicher Bruder Karl ihn in die Künstler- und Literatenkreise einführte. In Berlin entstanden in kurzer Folge drei Romane, in denen W. seine familiäre Situation (Geschwister Tanner, 1907), seine Tätigkeit bei einem Unternehmer in Wädenswil (Der Gehülfe, 1908) sowie seine Erfahrungen an der Berliner Dienerschule (Jakob v. Gunten, 1909) literarisch verarbeitete. War W. mit seinem ersten Roman, für dessen Publikation sich Christian Morgenstern (1871–1914) eingesetzt hatte, noch ziemlich erfolgreich, so fand das dritte, inhaltlich und formal Franz Kafkas (1883–1924) Institutionenromane vorwegnehmende Werk wenig Beachtung. W.s Großstadterfahrungen und Theatererlebnisse fanden literarischen Niederschlag in seinen Feuilletons für über 20 Zeitungen und Zeitschriften.

    Anfang 1913 kehrte W. im Bewußtsein, künstlerisch gescheitert zu sein, in die Schweiz zurück und lebte bis 1920 im Hotel Blaues Kreuz in Biel. In dieser Zeit, in der er sich kriegsbedingt stärker auf den schweizer. Literaturbetrieb ausrichtete, erfolgte eine literarische Neuorientierung, von der seine „Kleinen Dichtungen“ (1915, Impressum 1914) zeugen.

    W. versammelte verstreut publizierte Texte in mehreren Büchern und reüssierte bei Publikum und Kritik v. a. mit der kunstvoll durchkomponierten längeren Erzählung „Der Spaziergang“ (1917). Für seinen „Tobold“-Roman (verfaßt 1918) fand er, ebenso wie später für seinen „Theodor“-Roman (verfaßt 1921), keinen Verleger.

    Wegen einer Anstellung als „Aushülfsangestellter“ im Staatsarchiv zog W. 1921 nach Bern, wo Mitte des Jahrzehnts seine quantitativ produktivste Zeit begann. W. entwickelte seine experimentellen und sprachspielerischen Darstellungsverfahren weiter und verfaßte eine Vielzahl von Prosastücken, Gedichten und dramatischen Szenen. Einen Teil davon veröffentlichte er in Zeitungen und Zeitschriften, während von den geplanten Buchpublikationen nur „Die Rose“ (1925) zustande kam. Mehr als die Hälfte der literarischen Produktion dieser Zeit kam erst Jahrzehnte nach W.s Tod zum Vorschein. Die 526 nachgelassenen, in winziger Bleistiftschrift beschriebenen Mikrogramme wurden entziffert und in sechs Bänden ediert (Aus d. Bleistiftgebiet, hg. v. B. Echte u. W. Morlang, 1985–2000). In diesem Konvolut fand sich auch der „Räuber“-Roman, der in radikaler Weise die Gattungskonventionen des Genres überwindet.

    Nach einer psychischen Krise kam W. 1929 in die Heil- und Pflegeanstalt Waldau bei Bern, wo er die Diagnose „Schizophrenie“ erhielt, aber nach ein paar Monaten seine schriftstellerische Tätigkeit wieder aufnahm. 1933 wurde W. in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau überführt, wo er das Schreiben aufgab. Der Schriftsteller und Publizist Carl Seelig (1894–1962) besuchte ihn dort seit 1936 und kümmerte sich um Neuauflagen und die Sammlung des Werks.

    Traditionen des Realismus, der Romantik und des Jugendstils aufgreifend, ist W.s Werk Teil der literarischen Moderne, ohne daß der Autor direkt an Gruppenbildungen und Programmatiken der verschiedenen Avantgarden partizipierte. Den politischen und ökonomischen Entwicklungen hin zum Großen und Globalen hielt W. in seinen drei Berliner Romanen das Kleine, Unscheinbare und Subalterne entgegen. Im Feuilleton als der prototypischen Gattung der Moderne entwickelte sich W. zum Meister der kleinen Form und verarbeitete in eigenem Stil die verschiedenen Zeitdiskurse. Zwischen 1898 und Anfang der 1930er Jahre veröffentlichte W. mehr als 1000 Texte in Zeitungen und Zeitschriften, u. a. in „Bund“, „Berliner Tageblatt“, „Die Schaubühne“, „Neue Zürcher Zeitung“ und „Prager Presse“. Die Modernität von W.s Werk beruht wesentlich auf dessen Selbstreflexivität, die sich auf der Ebene der Inhalte, der Darstellungsverfahren sowie des Schreibens selbst entfaltet. Ironie, Intertextualität oder Autofiktionalität machten sein Werk anschlußfähig an die postmoderne Theoriebildung.

    Trotz der Bewunderung durch zeitgenössische Autoren wie Kafka, Robert Musil (1880–1942) oder Walter Benjamin (1892–1940) und seiner Präsenz im dt.sprachigen Feuilleton litt W. als Schriftsteller nach einem fulminanten Debut zunehmend an Erfolglosigkeit und geriet durch sein literarisches Verstummen in Vergessenheit. Eine breitere W.-Rezeption setzte erst Ende der 1970er Jahre ein, als neben die Wertschätzung als „writer’s writer“ die wissenschaftliche Erforschung seines Werks und die Edition seines Nachlasses trat, seit 1973 in einem eigens eingerichteten R. W.-Archiv (in Zürich, seit Gründung d. R. W.-Zentrums 2009 in Bern). Vom literaturgeschichtlichen Außenseiter und „spätbürgerlichen“ Autor (in der DDR-Literaturgeschichtsschreibung) wurde W. zum Klassiker der Moderne. Heute wird er zu den wichtigsten dt.sprachigen Autoren des 20. Jh. gezählt, seine Texte sind in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Für die neuere Schweizer. Literatur seit den 1960er Jahren war sein Schreiben vorbildhaft und prägend. W.s Texte wurden verschiedentlich fürs Theater bearbeitet und beeinflussen zunehmend international bildende Künstler.

  • Auszeichnungen

    |Preis d. Frauenbundes z. Ehrung rheinländ. Dichter (1914);
    W.-Brunnen, Herisau (1962);
    R. W.-Preis d. R.-W.-Stiftung Biel (seit 1978 dreijährig, seit 2004 zweijährig);
    Erinnerungstafel, Gurzelngasse 16, Solothurn (1979);
    Gedenkstein, Friedhof Herisau (1984);
    R.-W.-Pfad, Herisau (1986);
    R.-W.-Str., ebd. (1986 / 87);
    Gedenktafel, Ks.-Friedrich-Str. 70, Berlin-Charlottenburg (1993);
    R. W.-Ges. (seit 1996);
    R.-W.-Str., Wädenswil (1998 / 99);
    Zug „R. W.“d. SBB (2001);
    R.-W.-Gasse, Zürich (2001);
    R.-W.-Platz, Biel (2002);
    Gedenktafel, Gerechtigkeitsgasse 29, Bern (2008);
    Gedenktafel am Sterbeort, Herisau (2015).

  • Werke

    W-Ausgg. Dichtungen in Prosa, hg. v. C. Seelig, 5 Bde., 1953–61;
    Das Gesamtwerk, hg. v. J. Greven, 12 Bde. (in 13 T.bdn.), 1966–75;
    Sämtl. Werke in Einzelausgg., hg. v. dems., 20 Bde., 1985 / 86 (P);
    Feuer, Unbek. Prosa u. Gedichte, hg. v. B. Echte, 2003;
    Krit. Ausg. Sämtl. Drucke u. Mss., hg. v. W. Groddeck u. Barbara v. Reibnitz, seit 2008;
    Werke, Berner Ausg., hg. v. L. M. Gisi, R. Sorg, P. Stocker u. P. Utz, seit 2018;
    Bibliogrr.: Bibliogr./ Kat. d. R. W.-Archivs im R. W.-Zentrum Bern(Internet);
    fortges. Bibliogr., in: Mitt. d. R. W.-Ges. 1, 1997 ff.;
    K. Kerr, Bibliogr. zu R. W. 1897–1977, in: dies., 1978 / 79 (s. L), Bd. 2, S. 381–482;
    A. Fattori, Forsch.gesch., in: Gisi, 2015 (s. L), S. 417–30;
    Forsch.berr.: Th. Horst, R. W., Ein Forsch.ber., in: Hinz u. Horst, 1991 (s. L), S. 376–452;
    K. Kerr, Zur Aufnahme v. R. W.s Werk seit 1956 [1976], in: dies., 1978 / 79 (s. L), Bd. 2, S. 360–77;
    Nachlaß: R. W.-Archiv d. R. W.-Zentrums, Bern;
    Schweizer. Lit.archiv SLA d. Schweizer. Nat.bibl. Bern.

  • Literatur

    |C. Seelig, Wanderungen mit R. W. [1957], neu hg. im Auftr. d. Carl-Seelig-Stiftung u. mit e. Nachw. versehen v. E. Fröhlich, ¹³2013 (P);
    R. Mächler, Das Leben R. W.s [1966], Eine dok. Biogr, 1992 (P);
    K. Kerr (Hg.), Über R. W., 3 Bde., 1978 / 79;
    Dossier Lit. 3, 1984 (Themenh. R. W.; P);
    P. Chiarini u. H. D. Zimmermann (Hg.), „Immer dicht vor d. Sturze …“, Zum Werk R. W.s, 1987;
    K.-M. Hinz u. Th. Horst (Hg.), R. W., 1991 (P);
    The Review of Contemporary Fiction 12, 1992, H. 1 (Themenh. R. W.; P);
    C. Sauvat, Vergessene Weiten, Biogr. zu R. W., 1993, franz. 1989;
    Runa, Revista portuguesa de estudos germanísticos 21: Simpósio R. W., 1994 (P);
    P. Utz, Tanz auf d. Rändern, R. W.s „Jetztzeitstil“, 1998;
    D. Borchmeyer (Hg.), R. W. u. d. moderne Poetik, 1999;
    Europe, Revue littéraire mensuelle 81, Nr. 889, Mai 2003 (Themenh. R. W.; P);
    J. Greven, R. W., Ein Außenseiter wird z. Klassiker, Abenteuer e. Wiederentdeckung, 2003 (P);
    H. L. Arnold (Hg.), R. W., text + kritik 12 / 12, ⁴2004 (P);
    M. Gigerl u. a., R. W. (1878–1956) in d. Heil- u. Pflegeanstalt Herisau, in: Appenzell. Jbb. 133, 2005, S. 9–69 (P);
    W. Groddeck u. a. (Hg.), R. W.s „Ferne Nähe“, Neue Btrr. z. Forsch., 2007;
    W. Morlang, R. W. in Bern, Auf d. Spuren e. Stadtnomaden, ²2009 (P);
    A. Fattori u. K. Gfn. v. Schwerin (Hg.), „Ich beendige dieses Gedicht lieber in Prosa“, R. W. als Grenzgänger d. Gattungen, 2011;
    L. M. Gisi (Hg.), R. W.-Hdb., Leben, Werk, Wirkung, 2015 (P);
    LThK³;
    Killy (P);
    Metzler Autorenlex. (P);
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Mitt. d. R. W.-Ges., seit 1997.

  • Porträts

    |Aquarell v. Karl Walser, 1894 (R. W.-Zentrum Bern);
    Zeichnung v. dems., Abb. in: Pan, Halbmschr. 2, Nr. 2 v. 15. 10. 1911, S. 53;
    Gem. v. dems., Abb. in: Kunst u. Künstler 12, H. 8 v. April 1914, S. 360;
    Zeichnung v. E. Stumpp, 1928 (Emil-Stumpp-Archiv, Gelnhausen), Abb. in: D. Brennekke (Hg.), Emil Stumpp, Ein Zeichner seiner Zeit, 1988, S. 59;
    Photogrr. u. Abb. d. gen. Werke v. K. Walser, in: B. Echte (Hg.), R. W., Sein Leben in Bildern u. Texten, 2008.

  • Autor/in

    Lucas Marco Gisi
  • Zitierweise

    Gisi, Lucas Marco, "Walser, Robert" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 344-346 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118628860.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA