Lebensdaten
1851 – 1914
Geburtsort
Wallhalben Kreis Pirmasens
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Philosoph ; Psychologe
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 117057436 | OGND | VIAF: 19725350
Namensvarianten
  • Lipps, Theodor
  • Lipps, Th.
  • Lipps, Theodore

Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Lipps, Theodor, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117057436.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Theodor (1818–91), Pfarrer, S d. Pfarrers Joh. Philipp u. d. Rosina Magdalene Eberlin;
    M Elise Caroline (1825–53), T d. Pfarrers Georg Hoos u. d. Caroline Philippine Claser;
    Halb-B Gottlob Friedrich Lipps (1865–1931), Prof. d. Philos. in Leipzig, seit 1911 in Zürich (s. W, L);
    - Berlin 1888 Eva (1863–1947), T d. Malers Georg Reimer (1828–66) in Berlin (s. ThB) u. d. Agnes Mosson;
    1 S, 3 T;
    N Friedrich Karl Feigel (1865–1956), Dir. d. Landerziehungsheims Schloß Bieberstein.

  • Biographie

    Nach Absolvierung des Gymnasiums in Zweibrücken studierte L. Theologie 1867/68 in Erlangen, 1869-71 in Tübingen und 1871/72 in Utrecht und legte 1872 in Speyer sein theologisches Examen ah, brach aber seine weitere Ausbildung zum Pfarrer zugunsten des Studiums der Philosophie und der Naturwissenschaften in Utrecht ab. 1874 promovierte er als Hospitant in Bonn mit einer Studie „Zur Herbartschen Ontologie“. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer und Gymnasiallehrer in Bonn, wo er sich bei J. Bona Meyer 1877 für Philosophie habilitierte. 1883 veröffentlichte er seinen von Rud. Herm. Lotze, Herm. v. Helmholtz und Wilh. Wundt beeinflußten Grundriß der Psychologie „Grundtatsachen des Seelenlebens“, der die Grundlage für seine weiteren Forschungen wurde. 1884 wurde L. zum ao. Professor, 1889 zum Extraordinarius ernannt. 1890 folgte er einem Ruf an die Univ. Breslau, wo er seine „Grundzüge der Logik“ (1893, ³1923; russ. 1902) fertigstellte. 1894 wurde er als Nachfolger von Carl Stumpf an die Univ. München berufen, wo er noch im selben Jahre das Psychologische Institut gründete.

    In einer Vielzahl von Schriften – u. a. zu ästhetischen Probleme – versuchte L., die Verselbständigung der experimentellen Psychologie dadurch rückgängig zu machen, daß|er ihre materialen Voraussetzungen als Tatsachen des Bewußtseins auswies und somit die Psychologie als erkenntnistheoretische Grunddisziplin überhaupt darstellte: Als Lehre von den Bewußtseinserlebnissen ersetzt die Psychologie die Philosophie; auch die normativen Disziplinen Logik, Ethik und Ästhetik werden, da sie sich mit Bewußtseinsphänomenen beschäftigen, als psychologische Disziplinen aufgefaßt. Dies trug ihm durch Neukantianer wie P. Natorp, vor allem durch den Phänomenologen E. Husserl den Vorwurf des Psychologismus ein. In Beiträgen zu den Sitzungen der Bayer. Akademie der Wissenschaften, deren ao. (1896) und o. Mitglied (1899) L. geworden war, hatte er sich bereits der Philosophie Kants angenähert. Der „Leitfaden der Psychologie“ (1903) ersetzte als zusammenfassende Darstellung der Psychologie das Lehrbuch von 1883: Die „deskriptive“ Psychologie hat die Aufgabe, die Bewußtseinserscheinungen vollständig zu beschreiben und zu analysieren; ihre Methode ist die Selbstbeobachtung, die jedoch nur als Retrospektion den unablässigen Strom des Bewußtseinslebens erfassen kann. Die „erklärende“ Psychologie sucht die sich in Motivationszusammenhängen darbietenden Bewußtseinsphänomene in einen lückenlosen Kausalzusammenhang zu bringen. Von dem Bewußtseins-Ich, das in allen Bewußtseinserlebnissen (Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühlen, Wollen, Denken) als Identisches zur Erscheinung kommt, unterscheidet L. das transzendente, überempirische und überindividuelle Vernunft-Ich, auf dem die absoluten Forderungen der Sittlichkeit beruhen. Auch die gegenständlichen Forderungen, denen sich das Denken im Urteil und das Fühlen im Genießen der Schönheit unterstellt findet, beruhen auf Gesetzmäßigkeiten des Denkens und Fühlens, die nicht im empirischen psychischen Leben begründet sind, sondern in ihm nur in unterschiedlichen Graden zur Erscheinung kommen. Durch diese Unterscheidung entzog sich L. zwar dem Psychologismus-Vorwurf, er war aber mit der Bestimmung seiner Position unzufrieden, so daß er rastlos an ihr weiterarbeitete, wovon die zweite (1906) und die dritte Auflage (1909) des „Leitfadens“ Zeugnis ablegen. Auch in der Umarbeitung der Schrift „Vom Fühlen, Wollen und Denken“ (1902), die 1907 erschien, kommen die allgemeinen Tendenzen der Philosophie seiner letzten Jahre zum Ausdruck: Der Bewußtseinsstrom wird als unablässiges Tätigsein des Ich, als ein Streben und Wollen interpretiert, das Erscheinung eines überindividuellen Wollens ist. So tendiert seine Philosophie schließlich zu einem metaphysischen Voluntarismus und Panentheismus. Diese Tendenzen machten seine Schüler nicht mehr mit, die bedeutendsten unter ihnen, geschult in der subtilen Unterscheidungskunst der deskriptiven Psychologie, gingen unter dem Einfluß von Husserls „Logischen Untersuchungen“ (1900 f.) zur Phänomenologie über und bildeten den „München-Göttinger Phänomenologen-Kreis“ (A. Pfänder, M. Geiger, A. Reinach, J. Daubert, A. Fischer).

    Eine nachhaltige Wirkung übte L. in der Ästhetik aus. Gegen Ende der neunziger Jahre übernahm er aus der Tradition der spekulativen Ästhetik den Begriff der Einfühlung, durch den er das Schaffen (Ermöglichung bzw. Erleichterung der Einfühlung) und das Genießen der Kunst erklärte. „Einfühlung“ ist das unmittelbare, auf einen Instinkt des Bewußtseins zurückgehende Erfassen von psychischen Erscheinungen, vor allem von Gefühlen, in einem sinnlich wahrnehmbaren Objekt, mit dem sich der Betrachtende vollkommen vereinigt fühlt. Die Einfühlung ist für L. eine Erkenntnisquelle, die über den Bereich des Ästhetischen hinausgeht. In der „apperzeptiven Einfühlung“ erkennt der Mensch die inneren Zusammenhänge in den wahrnehmbaren Dingen überhaupt, die „Stimmungseinfühlung“ erfaßt an den Gegenständen bestimmte Gefühlstönungen, die „altruistische“ oder „praktische Einfühlung“ ist die Voraussetzung für die Erkenntnis fremder Iche; sie stellt die Grundkategorie der Sozialphilosophie dar. Durch die Vieldeutigkeit des Einfühlungsbegriffs lieferten sich die Untersuchungen von L. einer wachsenden Kritik aus, gegen die er sich mit seiner letzten großen Schrift vergeblich zu wehren versucht hat (Zur Einfühlung, in: Psycholog. Unterss. II, H. ⅔, 1913). Seine rastlose Tätigkeit hatte seinen schwachen Gesundheitszustand schon 1909 so stark belastet, daß er von seinen Lehrverpflichtungen entbunden und 1912 vorzeitig emeritiert werden mußte.

  • Werke

    Weitere W u. a. Psycholog. Stud., 1885, ²1905 (engl. 1926);
    Raumästhetik u. geometr.-opt. Täuschungen, 1897;
    Suggestion u. Hypnose, in: SB d. Bayer. Ak. d. Wiss., phil.-philol. Kl., 1898;
    Psychol., Wiss. u. Leben, ebd., 1901;
    Inhalt u. Gegenstand, Psychol. u. Logik, ebd., 1906;
    Komik u. Humor, 1898;
    Die eth. Grundfragen, 1899, ⁴1922;
    Einheiten u. Relationen, 1902;
    Ästhetik, Psychol. d. Schönen u. d. Kunst, 2 Bde., 1903/06;
    Bewußtsein u. Gegenstände, in: Psycholog. Unterss. I, H. 1, 1905;
    Naturphilos., in: W. Windelband (Hrsg.), Die Philos. im Beginn d. 20. Jh.,| ²1907. -
    Zu Halb-B Gottlob Friedrich: Grundriß d. Psychophysik, 1899;
    Mythenbildung u. Erkenntnis, 1907.

  • Literatur

    Th. A. Meyer, Kritik d. Einfühlungstheorie, in: Zs. f. Ästhetik u. allg. Kunstwiss. 7, 1912, S. 529-67;
    G. Anschütz, Th. L.s neuere Urteilslehre, 1913;
    ders., in: Archiv f. d. ges. Psychol. 34, 1915, S. 1-13 (W-Verz.);
    A. Fischer, in: Alois Fischer, Leben u. Werk, hrsg. v. K. Kreitmair, 1950, S. 73-80;
    O. Külpe, in: Jb. d. Kgl. Bayer. Ak. d. Wiss. 1915, S. 69-80;
    P. Natorp, Allg. Psychol. n. krit. Methode, 1912, S. 270-79;
    P. Moos, Die dt. Ästhetik d. Gegenwart I, o. J. (1920), S. 166-267;
    M. Kesselring, in: Psycholog. Btrr. 7, 1962, S. 73-100 (P);
    E. Marbach, Das Problem d. Ich in d. Phänomenol. E. Husserls, 1974, S. 218-34;
    DBJ I (Tl.);
    MGG VIII. - Zu Halb-B Gottlob Friedrich: Archiv f. d. ges. Psychol. 84, 1932 (W);
    Pogg. IV-VI.

  • Porträts

    Phot. in: E. Avé-Lallemant, Die Nachlässe d. Münchener Phänomenologen in d. Bayer. Staatsbibl. München, 1975, S. XI.

  • Autor/in

    Wolfhart Henckmann
  • Zitierweise

    Henckmann, Wolfhart, "Lipps, Theodor" in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 670-672 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117057436.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA