Lebensdaten
1808 – 1888
Geburtsort
Hamburg
Sterbeort
Frankfurt/Main
Beruf/Funktion
Rabbiner ; Schriftsteller ; Pädagoge ; Theologe
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118774522 | OGND | VIAF: 32014787
Namensvarianten
  • Hirsch, Samson Rafael
  • Usiel, Ben (Pseudonym)
  • Hirsch, Samson Raphael
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Zitierweise

Hirsch, Samson Raphael, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118774522.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Raphael (1777–1857), Kaufm., Tora-Gelehrter in H., S d. Menachem Mendel Frankfurter (1742–1823), Rabbinatsvorsitzender in Altona, Schüler d. Rabbi Jonathan Eybeschütz, Gründer d. Talmud-Tora-Schule in H. (s. Enc. Jud.), u. d. Zippora Lea Salomon;
    M Gella (1786–1860), T d. Samson Herz ( 1799) in H. u. d. Jette N. N.;
    Delmenhorst 1831 Johanna (1806–82), T d. Kaufm. Markus (Mordechai) Juedel in Braunschweig u. d. Sarchen Itzig;
    5 S, 5 T, u. a. Mendel (s. Gen. 2), Isaak (s. Gen. 1), Naphtali (1844–1903), Dr. iur., Rechtsanwalt u. Notar in F., Mitbegr. d. „Freien Vereinigung f. d. Interessen d. orthodoxen Judentums“ 1886 (s. Enc. Jud.), Sara ( Rabbiner Dr. Joseph Guggenheimer), Schriftstellerin (Ps. Frdr. Rott), Sophie ( Rabbiner Dr. Salomon Breuer in F.);
    E Rahel (s. 2);
    Groß-N Karl Jakob (s. 1).

  • Biographie

    H. erhielt durch seinen Vater eine gründliche jüdische und allgemeine Bildung. Von seinen Eltern zum kaufmännischen Beruf bestimmt, wandte er sich aber dem Studium zu. Bei dem Hamburger Rabbiner Chacham Isaak Bernays widmete er sich dem Talmudstudium und nahm an dessen Vorträgen über jüdische Theologie teil. Sein jüdisches Wissen vertiefte er in Mannheim bei dem berühmten Gelehrten und Oberrabbiner Jakob Ettlinger (1798–1871), in dessen Talmud-Hochschule er zweieinhalb Jahre studierte. 1829 hörte er an der Universität Bonn Philosophie, Geschichte und Philologie und befreundete sich mit seinem späteren Antagonisten Abraham Geiger. 1830 wurde er als Landrabbiner nach Oldenburg berufen. Heinrich Graetz, der jüdische Historiker, lernte hier bei ihm 1837-40. 1841 wurde H. zum Distriktsrabbiner der hannoverischen Bezirke Aurich und Osnabrück mit dem Sitz in Emden gewählt. 1846 übernahm er das Rabbinat von Nikolsburg und wurde damit Oberrabbiner von Mähren und Österreich-Schlesien. Hier widmete er sich auch der Neuordnung jüdischer Gemeinden. 1849 wurde er in den mährischen Landtag gewählt und setzte sich mit großer Energie für die Emanzipation der österreichischen Juden ein. 1851 folgte er dem Ruf einer gesetzestreuen Gruppe innerhalb der Frankfurter Juden. Unter seiner Leitung wuchs diese Gruppe, bekannt unter dem Namen „Israelitische Religionsgesellschaft“, zu einer der führenden jüdischen Gemeinden heran.

    In ihr wirkte H. 37 Jahre bis zu seinem Tode. Zu den entscheidenden Leistungen aus dieser Zeit zählen die Gründung einer jüdischen Volks- und Realschule, die Schaffung einer religiösen Organisation „Freie Vereinigung für die Interessen des orthodoxen Judentums“ (1885) und die Herausgabe einer Monatschrift „Jeschurun“ zur Förderung jüdischen Geistes und Lebens (1855–70, neue Serie 1882 folgende). Bezeichnend für H.s Verantwortungsbewußtsein und Vitalität ist, daß er die von ihm geschaffenen Institutionen selbst führte. So war er der Direktor seines Schulwerks, das er mit großem pädagogischem Schwung bis 1877 leitete und dem er eine moderne erzieherische und weltanschauliche Richtung gab. Ebenso war er der Redaktor seiner Zeitschrift „Jeschurun“, in der er seine Gedanken und Vorschläge mit dichterischer Intuition und im Streben nach stilistischer Vollendung vortrug.

    H. ist der geistige Vater der modernen jüdischen Orthodoxie. Im Kampfe gegen die religiöse Reformbewegung vertrat er das Prinzip der Einheit der gesamten jüdischen Lehre, der schriftlichen wie der mündlichen. Er war ein scharfer Gegner der Bibelkritik und trat für die persönliche Verbindlichkeit und Unveränderlichkeit der Gesetze der Offenbarung und der auf ihr basierenden Halacha ein. Sein striktes Bekenntnis zum historischen Judentum und die darauf beruhende Forderung absoluter religiöser Observanz veranlaßten ihn, eine eigene jüdische Gemeindepolitik zu betreiben: die Gründung separater gesetzestreuer Gemeinden. Den Austritt aus den Reformgemeinden betrachtete er als religiöse Pflicht. Die gesetzliche Handhabe zur Durchführung einer solchen Trennung bot das von Eduard Lasker aus Gründen der Gewissensfreiheit verfochtene preußische Gesetz über den Austritt aus den jüdischen Gemeinden (1876). H.s Trennungsthese führte zu einer scharfen innerjüdischen Polemik, wobei der Würzburger Rabbiner und Talmudgelehrte S. B. Bamberger für die Einheitsgemeinde eintrat, soweit in dieser die „unantastbaren heiligen religiösen Interessen in sicherster Weise garantiert sind“ (H., Gesammelte Schriften IV, S. 561). H. beschränkte sich aber nicht auf ein Wirken im engen Kreis, er bejahte die Emanzipation und trat jeglichem Zurück in ein geistiges Ghetto bewußt entgegen. Er strebte nach einer Einheit zwischen jüdischer und weltlicher Kultur. Seine Verbundenheit mit dem deutschen Idealismus bekundete H. in einer Ansprache bei der Schillerfeier 1859. In Schiller sieht er den Genius, der das „siegreiche Erwachen des Menschlichen im Menschen und des Göttlichen im Menschen“ verkündet. H. ist eine der entscheidenden Führerpersönlichkeiten des religiösen Judentums im 19. Jahrhundert. Seine pädagogischen, theologischen und kulturpolitischen Auffassungen sind, wenn auch umstritten, immer noch aktuell. Davon zeugt die Übertragung seiner Werke ins Englische und ins moderne Hebräisch. H.s literarisches Werk ist umfangreich. Geradezu epochemachend wirkte das Erscheinen seines Erstlingswerks „Neunzehn Briefe über Judentum“ (1836), das auch bei ausgesprochenen Gegnern wie Abraham Geiger einen starken Eindruck hinterließ. Das zweite Werk, „Choreb oder Versuche über Israels Pflichten in der Zerstreuung“ (1838), stellt eine moderne Systematik der jüdischen Religionsgesetze dar. Zu den weiteren Hauptwerken gehören Übersetzung und Kommentar zum Pentateuch (1867–78), zu den Psalmen (1882) und zu dem jüdischen Gebetbuch, das erst postum veröffentlicht wurde.

  • Werke

    Weitere W u. a. Erste Mitt. aus Naphtali's Briefwechsel, 1838;
    Zweite Mitt. aus einem Briefwechsel üb. d. neueste Lit., 1844;
    Das Prinzip d. Gewissensfreiheit, 1874;
    Der Austritt a. d. Gemeinden, 1876;
    Die Beziehungen zw. Talmud u. Judentum, 1884;
    Ges. Schrr., 6 Bde., 1902-12.

  • Literatur

    ADB 50;
    A. Geiger, 19 Briefe üb. Judentum v. Ben Usiel, in: Wiss. Zs. f. jüd. Theol. 2, 1836;
    Festschr. z. Jubiläums-Feier … d. Unterrichtsanstalten d. Isr. Rel.ges. z. Frankfurt a. M., 1903 (P);
    R. Breuer, Unter seinem Banner, 1908;
    F. Thieberger, in: Der Jude 4, 1919/20, S. 556;
    J. Rosenheim, Das Bildungsideal S. R. H.s u. d. Gegenwart, 1935;
    Isaak Breuer, 100 J. 19 Briefe, in: Nachalath Z'wi, Eine Mschr. f. Judentum in Lehre u. Tat, 6, 1935/36;
    Jos. Breuer, 100 J. Chaurew, ebd. 7, 1936/37;
    Y. Wolffsberg (Aviad), Der Rabbiner S. R. H. (hebr.), in: Sinai 4, 1938/39;
    I. Heinemann, Die Beziehung H.s z. s. Lehrer I. Bernays, in: Zion, Vj.schr. z. Erforschung d. Gesch. Israels, 16, 1951 (hebr.);
    M. M. Breuer, S. R. H., 1808-88, in: Guardians of our Heritage, 1958;
    I. Grünfeld, Three Generations, the Influence of S. R. H. on Jewish Life and Thought, 1958;
    St. S. Schwarzschild, S. R. H. - the Man and his Thought, in: Conservative Judaism 13, Nr. 2, 1959;
    N. Rosenbloom, The Nineteen Letters of S. R. H., a Hegelian Exposition, in: Hist. Judaica 22, 1960;
    J. J. Weinberg, in: S. R. H., 1960;
    P. P. Grünewald, Estétique et Pédagogie dans l'Oeuvre de S. R. H., Diss. Straßburg 1962;
    ders., Les 13 Attributs Divins et leur aspect éthique selon S. R. H., in: Trait d'Union, Bull. mensuel du Judaisme traditionaliste 11, 1963;
    ders., L'école juive dans l'optique de S. R. H., in: Journal Israélite Suisse 65, 1965;
    Rabbiner H., s. Lehre u. s. Methode (hebr.), hrsg. v. J. Emanuel, 1962;
    Enc. Jud.

  • Autor/in

    Pinchas Grünewald
  • Zitierweise

    Grünewald, Pinchas, "Hirsch, Samson Raphael" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 210-211 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118774522.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Hirsch: Samson Raphael H., geboren am 20. Juni 1808 zu Hamburg, am 31. December 1888 in Frankfurt a. M., hervorragender Theologe, Pädagoge und Kanzelredner. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt, verließ er diesen ihm nicht zusagenden Beruf schon nach einigen Jahren und kam, nachdem er anfangs in seiner Vaterstadt bei den durch seine Kämpfe gegen die Reform des Judenthums bekannten Chacham Bernays theologischen Studien oblag, später nach Mannheim, woselbst er ein Schüler Jakob Ettlinger's wurde, der daselbst Klausrabbiner war. Später bezog er die Universität in Bonn und stand dort in freundschaftlicher Beziehung zu dem gleichfalls die dortige Universität besuchenden Abraham Geiger, dem späteren hervorragenden Wortführer der Reform des Judenthums. Geiger und H. gründeten in Bonn in Gemeinschaft mit anderen jungen jüdischen Theologen einen Rednerverein, in welchem letzterer die erste Predigt hielt und waren sich beide damals noch ihrer Gegensätzlichkeit in der Auffassung des Judenthums nicht recht bewußt. 1830 wurde H. als Landrabbiner nach Oldenburg berufen, woselbst der jüdische Geschichtschreiber Graetz unter seiner Leitung heranwuchs, der später zu ihm eine gegnerische Stellung einnahm. 1841 trat H. die Landrabbinerstelle in Emden an und folgte 1847 einem Rufe als Landrabbiner von Mähren und Schlesien mit dem Sitze in Nicolsburg, woselbst er bis zum Jahre 1851 verblieb, in welchem er die ihm angebotene Rabbinerstelle an der neu gegründeten „Israelitischen Religionsgesellschaft“ in Frankfurt a. M. annahm und wo er bis zu seinem Lebensende mit unermüdlichem Eifer und mit unbeugsamer Festigkeit seine hervorragenden Geisteskräfte in den Dienst des orthodoxen Judenthums stellte, dessen bedeutendster Wortführer er gewesen. Aufsehen erregten seine 1836 Pseudonym erschienenen „Neunzehn Briefe“. Er trat in denselben gegen die fortschrittlichen Bestrebungen im Judenthum auf und stellte in seinem 1837 erschienenen „Choreb“ Versuche über Tiszroels Pflichten die historische Entwicklung nicht anerkennend, in sonderbarer Weise die Uebung aller überkommenen religiösen Bräuche für alle Zeiten als Norm des Judenthums auf und versuchte durch eine oft zu weit getriebene Symbolisirung und Allegorisirung den aus der Zeit entstandenen verschiedenen äußeren Gestaltungen des Judenthums unbedingte, immerdauernde Geltung und Anerkennung zu verschaffen, was ihm aber im allgemeinen nur wenig gelang, weil seine dahingehenden Ausführungen, wenn auch geistvoll gehalten, den Stempel des Unnatürlichen an sich tragend, vor dem Forum der Wissenschaft nicht Stand halten konnten. 1855 gründete H. eine Monatsschrift zur Förderung jüdischen Geistes und Lebens „Jeschurun“ (1855—1869), in der neben seinen geistvollen, nach Form und Inhalt gleich bedeutenden Predigten, auch seine heftigen, vom Fanatismus nicht freien Ausfälle gegen die reformistischen Richtungen Platz fanden, was besonders stark hervortrat in den gegen das 1854 ins Leben gerufene erste jüdische theologische Seminar in Breslau gerichteten Angriffen und gegen den, um das Judenthum und seine Wissenschaft hochverdienten Leiter desselben, Dr. Zacharias Frankel. In Frankfurt a. M., wo H. in einer von der Hauptgemeinde getrennten orthodoxen Gemeinde wirkte, fand er ein reiches ergiebiges Feld für seine Thätigkeit und hat sich durch Gründung der israelitischen Realschule, der höheren Töchterschule und der jüdischen Volksschule um das Aufblühen seiner Gemeinde bleibende Verdienste erworben, wie er denn auch in Consequenz seiner Richtung an dem Zustandekommen des Austrittsgesetzes thätigen Antheil nahm und jede Verbindung mit einer Gemeinde, die nicht auf seinem Standpunkte stand, für religionsgesetzlich verboten erklärte. Nebstdem entfaltete H. in Frankfurt a. M. eine reiche wissenschaftliche Thätigkeit. 1867 gab er einen Commentar zum Pentateuch heraus, dem 1882 einer zu den Psalmen folgte. Wenn diese Arbeiten auch nicht den Forderungen, die man an eine streng wissenschaftliche Exegese stellt, entsprachen (vgl. Raphael Kirchheim: die neue Exegetenschule, eine kritische Dornenlese aus S. R. Hirsch, Erklärungen der Genesis, Breslau 1867), so haben sie doch durch die hervorragend geistige Begabung des Verfassers vielen Kreisen eine mächtige Anregung gegeben und große Anerkennung und weite Verbreitung gefunden. 1895 wurden aus dem Nachlasse Hirsch's Israels Gebete übersetzt und erklärt herausgegeben und wurden 1894 die „Neunzehn Briefe“ und 1899 der „Choreb“ neu aufgelegt. Von der Ausgabe von S. R. Hirsch, „Gesammelte Schriften“, sind zwei Bände, herausgegeben von seinem inzwischen verstorbenen Sohne Justizrath Naftali Hirsch, bis jetzt erschienen.

  • Autor/in

    Adolf Brüll.
  • Zitierweise

    Brüll, Adolf, "Hirsch, Samson Raphael" in: Allgemeine Deutsche Biographie 50 (1905), S. 363-364 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118774522.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA