Lebensdaten
1896 – 1970
Geburtsort
Prag
Sterbeort
Rom
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Kulturhistoriker ; Journalist
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118763938 | OGND | VIAF: 76329990
Namensvarianten
  • Urzidil, Jan
  • Urzidil, John
  • Uržidil, Jan
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Urzidil, Johannes, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118763938.html [25.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus dt.böhm. Fam.;
    V Josef (Joseph) (1854–1922), aus Schippin (Šipín), Ing., Erfinder, Oberinsp. d. Staatsbahnen in Westböhmen u. P., S d. Johann Nepomuk (1813–94), aus Hol[l]eischen (Holýšov), Lehrer in Westböhmen, Vf. v. Lehrbüchern (s. L), u. d. Barbara Hainl (1814–1900) aus Weseritz (Bezdružice);
    M Elisabeth (Elise, Elsa) (1854–1900, jüd., etwa seit 1895 kath., 1] Bernhard Steinitz, 1850–92, Kaufm. in P., Halb-B d. Wilhelm Steinitz, 1836–1900, Schachmeister, s. NDB 25), Mitarb. e. Teppichhandlung, Inh. e. Schnittwarenladens in P., T d. Michael Metzeles (1820–92), Fleischer u. Selcher in P., u. d. Margarethe Buth (Butt) (1823/25–1900); seit 1904 Stief-M Marie Anna Mostbeck (1863/64–1936), aus Nimburg (Nymburk);
    12 HalbGeschw (4 früh †) u. a. Halb-B Alois Ziederer (1878–1951), Gärtner, Gartenbauinsp. in West- u. Nordböhmen, n. 1945 in Schlicht (Oberpfalz), Paul Steinitz (1885–1958), Elektro- u. Holzhändler in Wien, 1938 im KZ Dachau interniert, emigrierte 1939 n. London, Karl (Karel) Steinitz (1886–1947), Zuckerbäcker in P.-Smichow, Friedrich (Fritz) Steinitz (1887–1914 ⚔), Bäcker, Schausp. in Wien, Franz Steinitz (1889–1958), Friseur, Bahnangest. in Sachsen, Halb-Schw Hedwig (Edwige) Steinitz (1878–1968, Hugo Neumann, 1877–1966, aus Groß-Morschin, Photogr.), 1893–96 Privatsekr. ihres Adoptiv-V Wilhelm Steinitz in d. USA, später in Wien, emigrierte 1938 n. Frankr., n. 1945 in Chambéry, Elsa Steinitz (1884–1917, N. N. Hrdina), Trafikantin in Wien;
    Prag 1922 Gertrud(e) (1898–1977), aus Goltsch-Jenikau (Golču ˚ v Jeníkov), Lyrikerin, Prosaschriftst. in P., England u. New York, Mitgl. d. Österr. P.E.N.-Club (1976) (s. L), T d. Karl Thieberger (1858–1918), aus Kańczuga (Galizien), Dr. phil., Rabbiner in Goltsch-Jenikau u. P., Gymn.prof. in P. (s. Heuer), u. d. Sofie (Sophie) Charlotte Wachtl (1861–1942), aus Nepomuk; kinderlos; Schwager Friedrich (Bedřich, Frederic) Thieberger (1888–1958, Bertha Goldstein, 1900–83, aus Triest), aus Goltsch-Jenikau, Dr. phil., Judaist, Rel.philos., Übers., Gymn.prof. in P., 1914–17 Hebr.lehrer F. Kafkas, 1932 Präs. d. B’nai B’rith-Loge Bohemia in P., 1926–38 Hg. d. „B’nai B’rith, Mbl. d. Großloge f. d. čsl. Staat“, emigrierte 1939 n. Jerusalem, Bibl. (s. L), Ernst Thieberger (1908–44 Auschwitz), Jur., Schwägerin Nelly Thieberger (1894–1977, Fritz Engel, 1894–1965, aus Wien, Porzellanfabr. in Böhmen, emigrierte 1938 n. London, Schulterpolsterfabr. ebd.), aus Goltsch-Jenikau, Schriftst., Journ., 1916 Leiterin d. Prager Büros d. American Jewish Joint Distribution Committee, 1917–19 Hg. d. zionist. Zs. „Selbstwehr“, ab 1918 Arbeit f. d. Jüd. Nat.-rat in d. Tschechoslowakei, emigrierte 1938 n. London, dort Engagement f. d. tschechoslowak. Exilreg., Ehrenvizepräs. d. Women’s Internat. Zionist Organisation (s. L);
    N Elisabeth (Li[e]sl) Steinitz (1912–91, Hans [Hanuš] Hofer [eigtl. Schulhof], 1907–73, Kabarettist, Schausp., Regisseur, emigrierte 1938 n. P., 1942–45 in Theresienstadt, Auschwitz u. Dachau, später Schausp. in P., ab 1960 in Rostock, s. L, S d. Sigi Hofer [eigtl. Siegfried Schulhof], 1878–1933, Schausp., Komiker v. a. in Budapest, P. u. Wien, s. ÖBL), Schneiderin, Sängerin, Schausp., emigrierte 1938 n. P., 1942–45 in Theresienstadt, Auschwitz, Flossenbürg u. Mauthausen, später Bühnenbeleuchterin in P., ab 1966 in Rostock (s. L).

  • Biographie

    U. wuchs in der Prager Neustadt und in den überwiegend tschech. geprägten Prager Vororten Karolinenthal, Kgl. Weinberge und Žižkov auf. Nach dem frühen Tod von U.s vom Judentum zum Katholizismus konvertierter Mutter heiratete sein dt.-nationaler Vater eine kath. Nationaltschechin: eine Konstellation der Religionen und Nationalitäten, die für U.s Leben und Werk prägend wurde. Bereits als Schüler des Graben-Gymnasiums lernte U. die Dichter des „Prager Kreises“ kennen und veröffentlichte pseudonym erste Gedichte im „Prager Tagblatt“. Nach der Matura 1914 begann er ein Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Slawistik an der Prager Karl-Ferdinands-Univ. – nach 1916 kurzzeitig unterbrochen vom Kriegsdienst in der österr. Armee –, das er 1918 nach dem Absolutorium beendete. Der zweisprachige U. knüpfte in der Studienzeit und danach freundschaftliche Kontakte zu tschech. Schriftstellern und Künstlern.

    Seit 1919 arbeitete U. für die dt. Gesandtschaft in Prag, von 1922 an als Pressebeirat. Sein erster, expressionistisch geprägter Gedichtband „Sturz der Verdammten“ erschien 1919, weitere literarische und kulturhistorische Texte veröffentlichte U. in Anthologien und Zeitschriften. Daneben publizierte er eine große Zahl politischer Artikel in dt. und tschechoslowak. Zeitungen, in denen er sich für einen friedlichen Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen in einem gemeinsamen Staat einsetzte. Der gläubige Katholik U. empfand stets eine Nähe zum Judentum wie auch zur Freimaurerei, der er in Prag 1923–38 als Logenmitglied der „Harmonie“ auch formal anhing. Bei einer Gedenkfeier für Franz Kafka war U. 1924 neben Max Brod (1884–1968) und Hans Demetz (1894–1981) einer der Redner. U.s literarhistorisches opus magnum „Goethe in Böhmen“ (1932, stark überarb. u. erw. 1962, nochmals überarb. 1965) verdankt sich der Anregung seines akademischen Lehrers August Sauer.

    Nach seiner aus „rassischen“ und politischen Gründen zwangsweise erfolgten Entlassung aus dem Dienst der Gesandtschaft im Jan. 1934 schrieb U. außer für tschechoslowak. vermehrt für schweizer. Zeitungen und veröffentlichte Bücher zur tschech. Kunst. Als dt. Truppen Prag besetzten, flohen er und seine Frau 1939 über Österreich und Italien nach Großbritannien, von der engl. Schriftstellerin Bryher fortan großzügig unterstützt. Nach kurzem Aufenthalt in London zogen sie nach Viney Hill (Gloucestershire); hier stand U. in engem Kontakt zur tschechoslowak. Exilregierung in London und schrieb für deren Zeitungen. Edvard Beneš’ Pläne zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei führten jedoch seit 1943 zu U.s Abkehr von diesem. 1941 übersiedelte U. mit seiner Frau nach New York, wo er zunächst als Journalist, Verlagslektor und Lederhandwerker tätig war (US-Staatsbürger 1946). Als fester (1951–53), später (bis 1968) freier Mitarbeiter des Radiosenders „Voice of America“ versuchte er in zahlreichen Rundfunksendungen sowie in Artikeln und Essays, Brücken zwischen Europa und Amerika zu schlagen. U., der vielfältige persönliche Kontakte zu Verwandten, Freunden und Kollegen in Europa, Amerika und Israel pflegte, konnte Mitte der 1950er Jahre mit erzählenden oder essayistischen Werken wieder Fuß auf dem dt.sprachigen Buchmarkt fassen. Am bekanntesten wurden die im Zeichen einer mehrfach gebrochen reflektierten Erinnerung stehenden Erzählzyklen „Die verlorene Geliebte“ (1956) und „Prager Triptychon“ (1960) sowie der von vielstimmiger Montagetechnik geprägte Amerikaroman „Das Große Halleluja“ (1959). Mehrwöchige Lesereisen, v. a. im dt.sprachigen Raum, trugen zum Erfolg bei.

    Wurde U. seit den 1980er Jahren v. a. in Frankreich und Italien, später auch in Tschechien rezipiert und übersetzt, geriet er im dt.sprachigen Raum weitgehend in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren bahnt sich eine Wiederentdeckung U.s als dezidiert moderner Schriftsteller und, wie er selbst es nannte, „hinternationaler“ Mittler zwischen Deutschen und Tschechen, Christen und Juden, Europa und Amerika an.

  • Auszeichnungen

    A Mitbegr. u. Geschäftsführer d. Schutzverbandes dt. Schriftst. in d. Tschechoslowakei (1920–33);
    Mitgl. im tschech. P.E.N-Club (1925), d. European P.E.N in America (1941), d. Philalethes Ges. (1946), d. Goethe House, New York (1955), d. Tukan-Kreises, München (1957), d. Grillparzer-Ges., Wien, u. d. Österr. Schriftst.verbands, Wien (1966);
    korr. Mitgl. d. Adalbert-Stifter-Inst., Linz (1958), d. Dt. Ak. f. Sprache u. Dichtung, Darmstadt (1962), u. d. Österr. Kunstsenats (1969);
    Ehrenmitgl. d. American Catholic Federation of Austrian, German, Swiss University Professors, New York (1963), d. Österr. P.E.N.-Zentrums, Wien (1965), d. exiltschechoslowak. Společnost pro vědy a umění/Czechoslovak Soc. of Arts and Sciences, Washington/New York (1967), u. d. Künstlergilde Esslingen (1968);
    Charles-Veillon-Preis f. „Die verlorene Geliebte“ (1957);
    österr. Prof.titel (1961);
    Lit.preis d. Stadt Köln f. d. Gesamtwerk (1964);
    Gr. Österr. Staatspreis f. Lit. (1964);
    Andreas-Gryphius-Preis (1966);
    Leo Baeck Memorial Lecture am LBI, New York (1967).

  • Werke

    Weitere W Die Stimme, 1930;
    Wenceslaus Hollar, 1936;
    Zeitgen. Maler d. Tschechen, 1936;
    Reiseführer durch Prag, 1939 (anonym);
    Der Trauermantel, 1945;
    Über d. Handwerk, 1954;
    Die Memnonssäule, 1957;
    Denkwürdigkeiten v. Gibacht, 1958;
    Das Glück d. Gegenwart, 1958;
    Die Tschechen u. Slowaken, 1960;
    Das Elefantenbl., 1962;
    Geschenke d. Lebens, 1962;
    Amerika u. d. Antike, 1964;
    Entführung, 1964;
    Da geht Kafka, 1965, erw. 1966;
    Lit. als schöpfer. Verantwortung, 1965;
    Prag als geist. Ausgangspunkt, 1965;
    Die erbeuteten Frauen, 1966;
    Prag, 1966;
    Bist du es, Ronald?, 1968;
    The Living Contribution of Jewish Prague to Modern German Literature, 1968;
    Väterliches aus Prag u. Handwerkliches aus New York, 1969;
    Die letzte Tombola, 1971;
    Bekenntnisse e. Pedanten, 1972 (L);
    Život s českými malíři, 2003 (P);
    O české a německé kultuře, 2008 (Gespräch mit F. Peroutka); – Hg.:
    K. Brand, Das Verm. e. Jünglings, 1921; – Überss.:
    E. Beneš, Masaryks Weg u. Verm., 1937;
    J. Papoušek, Dr. E. Beneš, 1937;
    H. Doolittle, Avon, 1955; – Bibliogr.:
    V. Machačková-Riegerová, in: J. U., Bekenntnisse e. Pedanten, 1972, S. 213–62;
    G. Trapp, Bibliogr. d. Veröff. v. J. U., in: A. Schiffkorn (Hg.), Böhmen ist überall, 1999, S. 189–254;
    J. Křesálková, Zur publizist. Tätigkeit J. U.s, in: Germanoslavica 7 bzw. 12/2, 2000, S. 309–33;
    J. Křesálková, Zur Bibl. v. J. U., ebd., S. 335–43;
    G. Trapp, Ergg. v. Bibliogr. zu J. U., ebd. 15/1, 2004, S. 31–34;
    K. Johann, Bibliogr. d. Sekundärlit. zu J. U., in: brücken N. F. 13, 2005, S. 383–428; – Nachlaß: LBI, New York (P); DLA, Marbach (P); Freies Dt. Hochstift, Frankfurt/M. (P); Oberösterr. Lit.archiv im Stifter-Haus, Linz (P).

  • Literatur

    L G. Trapp, Die Prosa J. U.s,, 1967;
    S. P. Rosenfeld, J. U.’s Prague and Bohemian Stories, 1976;
    H. Pistorius, J. U. u. d. Exil, 1978;
    C. Helling, J. U. u. Prag, 1981;
    P. Herren, Beharren u. Verwandeln, 1981;
    J. Lachinger u. a. (Hg.), J. U. u. d. Prager Kreis, 1986 (P);
    I. Ruiz, J. U., 1997;
    A. Schiffkorn (Hg.), Böhmen ist überall, 1999 (L, P);
    V. Sardelli, A colloquio con il proprio passato, 2010; K. Johann u. V. Schneider (Hg.), Hinter-National, J. U., Ein Lesebuch, 2010 (Biogr., W
    , L, P u. CD mit Tondok.);
    A. Bischof, Funktion u. Bedeutung v. Erinnerung im erzähler. Werk J. U.s, 2012;
    St. Höhne u. a. (Hg.), J. U. (1896–1970), 2013 (L, P);
    V. Zankl, Christine Busta u. J. U., 2013;
    P. Raabe u. I. Hannich-Bode, Die Autoren u. Bücher d. lit. Expressionismus, 1985, ²1992 (L);
    J. Serke, Böhm. Dörfer, 1987 (P);
    BHdE II;
    Spalek II/2;
    DLB 85 (P);
    Killy1+2;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Munzinger;
    zu Johann Nepomuk: F. Klement, Der pol. Bez. Tepl, ²1882, S. 270;
    zu Gertrud(e): Lex. österr. Exillit.;
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
    Wedel, Autobiogrr. Frauen;
    Spalek III/Suppl. 1;
    Spalek IV/3;
    Nachlaß: LBI, New York (P);
    DLA, Marbach;
    – zu Friedrich Thieberger: J. Urzidil, Der Hebr.lehrer, in: ders., Da geht Kafka, 1966, S. 53–64;
    Enc. Jud. 1971;
    Enc. Jud.²;
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
    Heuer;
    The YIVO Enc. of Jews in Eastern Europe, 2008;
    zu Nelly Engel, geb. Thieberger: Lex. d. österr. Exillit., 2000;
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
    Wedel, Autobiogrr. Frauen;
    – zu Elisabeth Hofer, geb. Steinitz, u. Hans Hofer: H. Rabe, Die Hofers, 2013;
    L. Peschel (Hg.), Performing Captivity, Performing Escape, 2014, S. 370–97;
    Hdb. d. deutschspr. Exiltheaters, 1999;
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
    K. Weniger, Zw. Bühne u. Baracke, 2008; Dok.film V. Kühn (Buch u. Regie), Totentanz, Kabarett hinter Stacheldraht, 1990.

  • Porträts

    P Totenmaske v. A. Muzi (Stifter-Haus, Linz), Abb. u. a. in: K. Johann u. V. Schneider (Hg.), Hinter-National, 2010 (s. L), S. 65; Holzschnitt v. Ernst Weber (Lenzburg), Abb. u. a. in: St. Höhne u. a. (Hg.), J. U. (1896–1970), 2013 (s. L), S. 10

  • Autor/in

    Klaus Johann
  • Zitierweise

    Johann, Klaus, "Urzidil, Johannes" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 675-677 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118763938.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA