Lebensdaten
1831 – 1888
Geburtsort
Potsdam, Neues Palais
Sterbeort
Potsdam Schloß Friedrichskron
Beruf/Funktion
König von Preußen ; deutscher Kaiser
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118535668 | OGND | VIAF: 14227653
Namensvarianten
  • Friedrich Wilhelm von Preußen (Kronprinz)
  • Friedrich von Preußen
  • Friedrich III.
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Zitierweise

Friedrich III., Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118535668.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Kaiser Wilhelm I. ( 1888);
    M Augusta ( 1890, s. NDB I), T d. Ghzg. Karl Frdr. v. Sachsen-Weimar ( 1853);
    Ov Kg. Frdr. Wilh. IV. v. P. ( 1861, s. NDB V);
    Schw Luise ( Ghzg. Frdr. I. v. Baden, 1907, s. NDB V);
    Vt u. Schwager Kg. Eduard VII. v. Großbritannien u. Irland (1841–1910);
    London 1858 Victoria (1840–1901), T d. Prinzgemahls Albert ( 1861, s. NDB I) u. d. Kgn. Victoria v. Großbritannien u. Irland ( 1901);
    4 S, 4 T, u. a. Kaiser Wilhelm II. ( 1941), Heinr. (1862–1929), Großadmiral, Charlotte ( Hzg. Bernhard III. v. Sachsen-Meiningen, 1928, s. NDB II), Sofie ( Kg. Konstantin I. v. Griechenland, 1868–1923).

  • Biographie

    F. genoß eine sorgfältige Erziehung sowohl in betont bürgerlicher wie in militärischer Hinsicht. Ernst Curtius blieb er sein Leben lang dankbar verbunden, und Moltke zählte zu seinen Mentoren. Auf der Universität Bonn sprach ihn C. Th. Perthes besonders an. Politisch trieb ihn der zwiespältige Eindruck von Revolution und Reaktion in das liberale Fahrwasser, dessen Strömung mit verschiedener Stärke durch Vater und Mutter, die Schwiegereltern, am unmittelbarsten und nachhaltigsten schließlich durch die Frau bestimmt wurde. Natürlich war der Kronprinz von 1858 kein Parteimann, aber seine parteipolitischen Beziehungen sind offenkundig, zunächst zu den Altliberalen, später|zum linken Flügel der Nationalliberalen und zur Deutschen Freisinnigen Partei. Männer wie G. von Bunsen, M. Duncker, Forckenbeck, G. Freytag, F. von Roggenbach, Twesten genossen sein besonderes Vertrauen. Wenn die Worte „freisinnig“ und „wahrhaft konstitutionell“ in seinem politischen Credo immer wiederkehren, so verstand er darunter die Liberalisierung des politischen, kommunalen, wirtschaftlich-sozialen und evangelisch-kirchlichen Lebens, in Wiederaufnahme des gescheiterten Neuära-Programms der „moralischen Eroberungen“. Das persönliche Regiment in Preußen, die Exponierung der Krone, hielt er für nicht mehr „zeitgemäß“ und der dynastischen Zukunft gefährlich; andererseits war das autoritäre Erbteil des Vaters in ihm zu lebendig, als daß er – bei aller Bewunderung englischer Einrichtungen – ein Parlamentsheer und die parlamentarische Regierungsweise bejaht hätte. Seine Mittler-Natur glaubte an die Möglichkeit eines „Dualismus“ von Krone und Volksvertretung. Die harte Realität des innerpolitischen Machtkampfes ist ihm schwerlich zum Bewußtsein gekommen, er litt von vornherein am „mißverstandenen Bismarck“. Der „Konflikt im Konflikte“, den seine Danziger Ansprache (3.6.1863) wegen der Presseordonnanz entzündete, war keine „Episode“ (Gedanken und Erinnerungen), von ihm erhielt der Regierungschef niemals volle Indemnität, obwohl F. sich dem Eindruck der Größe des Gegners nicht entziehen konnte und seine Animosität keine so persönlich-verunglimpfenden Formen annahm wie bei Victoria. Wohl hat der Thronfolger den Minister des Königs unterstützt, wenn er ihm „zeitgemäß“ zu handeln schien, so in Nikolsburg und in Versailles, auch später noch bei der Option für Österreich, stets gegen den Vater, aber das blieben Zweckbündnisse, die an dem beiderseitigen Mißtrauen nichts änderten. Denn seit der berüchtigten „Briefindiskretion“, deren Ursprung, wie wir heute mit Sicherheit sagen können, auf die Kronprinzessin zurückgeht (das hieß auf F.s „besseres Ich“), war auch Bismarck auf der Hut, und neuerdings bekanntgewordene Zeugnisse der englischen Korrespondenz bestätigen seinen Argwohn. Während der Kronprinz sich von dem preußischen Ministerrat geflissentlich fernhielt, war er regelmäßiger Gast im Sitzungssaale des Norddeutschen Reichstages, als dieser ganz nach seinem Wunschbilde gemeinsam mit den Regierungen der Einzelstaaten die Verfassung des Gesamtstaates „vereinbarte“.

    Zu einer geschichtlichen Figur wurde F. in den Kriegen um die deutsche Einheit. War es ihm schon vergönnt, mit seiner Armee entscheidend zum Siege von Königgrätz beizutragen, so ist unter seinem Oberbefehl im Feuer von Weißenburg und Wörth die Waffenbrüderschaft der deutschen Stämme geschmiedet worden. Gegenüber der werbenden Kraft, die gerade im Felde von seiner Person ausging, bleibt die Frage nach der militärischen Qualität im technischen Sinne zweitrangig. Das Ingenium seines Generalstabschefs L. Graf Blumenthal hat der Kronprinz anerkannt, aber auch verstanden, in entscheidenden Momenten die Verantwortung des Feldherrn zu tragen (H. Delbrück). Unbestritten ist seine Leistung für „Kaiser und Reich“, die „Das Kriegstagebuch von 1870/71“ (herausgegeben von H. O. Meisner, 1926) am ursprünglichsten erkennen läßt, mag dabei unitarischer Enthusiasmus anfänglich die von der Staatsraison gezogenen Grenzen überschritten haben, wie er auch die liberale Forderung nach verantwortlichen Reichsministern sich zu eigen machte, ohne die verfassungspolitischen Konsequenzen zu überschauen. Als das nationale Hochziel erreicht war, sah der Anwärter auf den Kaiserthron dessen sicherste Gewähr wieder in einer nunmehr „deutsch - freisinnigen“ Politik. „Ein freier deutscher Kaiserstaat, der an der Spitze der Zivilisation schritte“, galt dem Idealisten als das beste Bollwerk gegen den „Sozialismus“. Hier wie im Kulturkampf war er gegen „Ausnahmegesetze“, so sehr der Freimaurer unduldsame Orthodoxie und militanten Klerikalismus ablehnte. Das Verlassen der in Preußen bewährten freihändlerischen Prinzipien verstieß nach seiner Ansicht gegen die Ergebnisse der Wissenschaft und Praxis politischer Ökonomie. Außenpolitisch richtete er natürlich das Augenmerk auf die Verbindung mit „dear old England“. Als der von Mörderhand verletzte Monarch regierungsunfähig wurde (1878), schien für den Sohn der Augenblick gekommen, seine Prinzipien in die Tat umzusetzen. Aber er erhielt nicht die Regentschaft, sondern nur die Stellvertretung, „unter Verzicht auf jede Selbständigkeit“, und es ist verständlich, daß er sich der Enttäuschung über das schnelle Wiedergesunden des Vaters nicht ganz erwehren konnte. Zudem hatte die bittere Ironie des Schicksals gerade von dem Stellvertreter die erste Reichstagsauflösung, die Vollziehung eines Ausnahmegesetzes und die Bestätigung eines Todesurteils gefordert. Und dann trat der 56jährige wieder in den Schatten der Exspektanz zurück – endgültig. Wohl|konnte er nach wie vor dem Vaterlande Dienste leisten bei Auslandsaufenthalten mit höfisch-diplomatischen Zielen, aber das vermochte die bedrückende Leere seines Daseins nicht auszufüllen, noch weniger die Pflichten sonstiger Repräsentation mit ihren Empfängen, Protektoraten, Paraden und Inspektionsreisen; auch die Beziehungen zu Kunst, Kunstgewerbe und Wissenschaft boten kein genügendes Gegengewicht. So liegt eine Tragik über dem Leben des Mannes, lange bevor die furchtbare Krankheit es frühzeitig beendete und die Lücke der übersprungenen Generation mit ihrem Wenn und Aber aufriß.

    Ein Mensch mit seinem Widerspruch: Für hohe Ziele begeistert und begeisternd, beobachtete man doch schon früh an ihm ein schnelles Absinken der lodernden Kraft. Der schwungvoll gesteilten „gotischen“ Schrift stand eine Unbeholfenheit im sprachlichen Ausdruck gegenüber. Empfänglich und mit geschultem Blick für Form und Farbe, für die zeremonielle Szene – ein Erbteil Augustas, der „empress even in death“ – blieb er im Grunde schlicht und einfach. Furchtlos im Augenblick der Gefahr, war er nach dem Zeugnis Victorias „despondant by nature“ und bisweilen in hohem Maße von der Gattin abhängig. Dem Recken schlug unter dem Küraß ein fast weiches Herz, das den Kontrast zwischen der Attitüde des Feldherrn und dem Grauen des Schlachtfeldes tief empfand. Trotz jenes „olympischen Hoheitsgefühls“, das Bismarck unvergeßlich blieb, fiel dem Kronprinzen das ungekünstelte Verhältnis zum „gemeinen Manne“ nicht schwer, ja er suchte es geradezu; die Popularität war echt auf beiden Seiten. Am wohlsten fühlte er sich im Familienkreise, als Gutsherr von Bornstädt. Das Niedrige hatte keine Gewalt über ihn. Sein Heiligtum aber blieb die Ehe, sie war der ständige Quell reinsten Glücks; nie hätte er sich eingestanden, daß die über alles geliebte Frau und ihr Milieu vieles von dem verschuldeten, was seine Stellung in der Öffentlichkeit erschwerte. Mit stärkeren Kräften des Gemüts als des Verstandes kein Großer dieser Erde, aber ein Held im Leid, kein Mann der Tat, aber ein edel Wollender, keine machtvolle und doch eine gewinnende Persönlichkeit, so lebt er in der Geschichte fort.

  • Werke

    Weitere W Briefe, Reden u. Erlasse, hrsg. v. G. Schuster, 1907;
    Tagebücher v. 1848–66, hrsg. v. H. O. Meisner, 1929 (mit biogr. Einl.).

  • Literatur

    ADB 49 (gehaltvoll, aber zu überschwenglich);
    Bismarck, Erinnerung u. Gedanke, 1932, 16. u. 33. Kap.;
    G. Freytag, Der Kronprinz u. d. Kaiserkrone, 1899 (wertvolle Beobachtungen aus persönl. Erlebnis);
    M. v. Poschinger, Kaiser F., 3 Bde., 1899 f. (zu ihrer Zeit verdienstl. Stoffslg.);
    M. Philippson, Das Leben Kaiser F.s, 1900, ³1913 (immer noch beste Biogr., obwohl quellenkundl. überholt u. nicht ohne parteipol. Färbung);
    H. O. Meisner, Der Kronprinz im Verfassungskampf, 1931 (bis ins einzelne dokumentierte Monogr.);
    E. Wolbe, Kaiser F., 1931 (belesen, aber hist.-belletristisch);
    E. Conte Corti, Wenn …, Sendung u. Schicksal e. Kaiserin, 1954 (P; apologet. Briefbiogr., darin: Korr. d. Kronprinzenpaares);
    H. J. Wolf, Die Krankheit F.s III. u. ihre Wirkung auf d. dt. u. engl. Öffentlichkeit, 1958.

  • Porträts

    Phot. u. Lith. in: Propyläen-Weltgesch. VIII, 1930;
    Phot. in: Priesdorff IX;
    Denkmal v. L. Tuaillon (Bremen, Rathaus);
    Gem. v. A. v. Werner.

  • Autor/in

    Heinrich Otto Meisner
  • Zitierweise

    Meisner, Heinrich Otto, "Friedrich III." in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 487-489 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118535668.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Friedrich III., Deutscher Kaiser, König von Preußen, geboren am 18. October 1831, am 15. Juni 1888.

    1831—1848.

    Die Geburt des Prinzen Friedrich Wilhelm, der am 18. October 1831 im Neuen Palais zu Potsdam das Licht der Welt erblickte, fiel in eine Zeit tiefer nationaler und politischer Depression. Die nach den Befreiungskriegen so heiß ersehnte Einigung Deutschlands war ein Traum geblieben; die Bestrebungen der deutschen Patrioten wurden von den deutschen Regierungen mit argwöhnischen Augen betrachtet, die begeistertsten Verfechter der Einheitsidee als Demagogen verdächtigt; Kerker und Verbannung waren die Früchte ihrer Vaterlandsliebe. In Preußen war es namentlich die Verzögerung der lang erhofften und heißersehnten Verfassung, die weite Kreise des Volkes mit Mißstimmung und Erbitterung gegen die Regierung erfüllte. Es erschien daher wie ein glückverheißendes Vorzeichen für die Zukunft des deutschen Vaterlandes, daß der muthmaßliche spätere Thronerbe an einem der denkwürdigsten Tage der Befreiungskriege — dem Erinnerungstage der Völkerschlacht von Leipzig — geboren war. Geburtstag und Wohnstätte — wie bedeutungsvoll für den jungen Hohenzollernsproß! Wie glück- und zukunftverheißend aber auch das fürstliche Elternpaar! Prinz Wilhelm von Preußen, nachmaliger Kaiser Wilhelm I. und seine Gemahlin Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar waren bei allen Gegensätzen des Wesens und Charakters wie geschaffen, einander zu ergänzen; ihre Erziehungsgrundsätze klangen deswegen auch harmonisch zusammen. Der Vater, Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, vereinigte in seinem klaren, durchsichtigen Charakter mit dem strengen Pflichtbewußtsein, dem gütigen, wohlwollenden Herzen, dem schlichten, einfachen Wesen einen lebhaften Sinn für die Größe des Vaterlandes. Ein Sohn Luisens, hatte er die unglückliche Zeit Preußens mit durchlebt und auf der Flucht nach der Schlacht bei Jena im Schlosse zu Schwedt das Vermächtniß der edlen Königin erhalten: „Werdet Männer und geizet nach dem Ruhm edler Feldherren und Helden.“ Durch den Vater redete der Geist einer großen Zeit zu dem Sohne. Die Mutter, Prinzessin Augusta, hatte in dem kunstsinnigen Weimar die Freude am Schönen, die Pflege der Kunst an ihrer lautersten Quelle kennen gelernt. Ihr war das Glück zu Theil geworden, aus dem Munde des größten deutschen Dichters Belehrung zu schöpfen; sie hatte noch die letzten Strahlen des Glanzes der größten deutschen Litteraturepoche gesehen;|die Augen Goethe's, Wilhelm von Humboldt's und vieler anderer Geistesheroen hatten wohlgefällig auf ihrer jugendlichen Gestalt geruht; die zarten Hände Charlotte von Schiller's hatten sich segnend auf ihre Locken gesenkt. Und von ihrer Mutter, Großfürstin Marie Pawlowna, der ersten Begründerin eines Frauen-Krankenvereins, hatte sie die erbarmende Menschenliebe gelernt. So war sie, wie selten eine Mutter, befähigt, die Keime alles Guten und Edlen in die junge Kindesseele zu pflanzen.

    Die Erziehung in den ersten Jahren leiteten Madame Godet und Frau v. Clausewitz, die Wittwe des als Strategen und Mitarbeiters Scharnhorst's berühmten Generalmajors. Im siebenten Lebensjahr des Prinzen trat in die Reihe seiner Lehrer noch eine Persönlichkeit, die auf die Entwicklung seines Geistes und Gemüthes einen nachhaltigen Einfluß geübt hat: Frédéric Godet, der Sohn seiner ersten Erzieherin, ein reformirter Theologe, aus dem damals noch preußischen Neuchâtel, aber auf deutschen Universitäten gebildet. Wie Curtius in seiner Gedächtnißrede auf Kaiser Friedrich ihm nachrühmt, hat er es trefflich verstanden, des Prinzen Gemüth in die „für sein Leben gültige Bahn harmonischer Entwicklung zu lenken“, und noch in später Zeit hat Friedrich Wilhelm von seinem Erzieher gesagt, daß keiner ihm so klar wie er schwierigere Erkenntnißfragen auseinanderzusetzen gewußt habe. Der Prinz betrachtete Godet von Anfang an mehr als einen Freund, denn als Lehrer. Die sichersten und eingehendsten Nachrichten über des Prinzen Jugend und geistige Entwicklung verdanken wir denn auch diesem Manne. Er schildert uns den Prinzen als einen schlanken Knaben mit dunkelblonden Haaren und einschmeichelnden Manieren. Alles an ihm war graziös und zeigte die Vornehmheit seines Wesens. Der gutmüthige und zugleich nachdenkliche Ausdruck seines Kinderantlitzes, die weiche, natürliche Modulation der Stimme, die knabenhafte Ungeduld und Schelmerei hatten etwas ungemein Anziehendes. Mit der Oberleitung der Erziehung war der Militärgouverneur Oberst v. Unruh, früher Adjutant des Prinzen von Preußen, betraut worden. Da Friedrich Wilhelm nur eine Schwester, Prinzessin Luise, spätere Großherzogin von Baden, besaß, so hatte er in einem Spielgenossen und Mitschüler, Rudolf von Zastrow, einen Kameraden erhalten, mit dem ihn Jahre lang, bis zu dessen frühem Tode eine innige Freundschaft verband. Die beiden Freunde waren unzertrennlich, aßen, tranken, spielten mit einander und zeigten ihre herzliche Kameradschaft auch darin, daß sie gleich gekleidet gingen. Die Anlage der beiden Knaben und ihr Antrieb zum Lernen waren verschiedener Art. Der Prinz mit einer starken Phantasie begabt, neigte anfänglich zu einer gewissen Zerstreutheit; es zeigte sich damals, wie Godet erzählt, bei ihm weniger Energie und Spannkraft als bei seinem Kameraden, was an einer gewissen physischen Schlaffheit liegen konnte, die aus seinem schnellen Wachsthum hervorging. Seine Mutter, die lebhaftes Interesse an seiner geistigen Entwicklung nahm, beunruhigte sich über diese Anlage und versäumte nichts, sie zu bekämpfen. Die Besorgnisse der Mutter sollten sich aber bald als unbegründet erweisen. Stand sein reich veranlagtes Geistes- und Gemüthsleben auch mehr ästhetischen Eindrücken offen, so zeigte der Knabe doch, wie dies namentlich seine späteren Lehrer, Professor Schellbach und Ernst Curtius, bezeugen, in der Folge auch einen sehr regen wissenschaftlichen Eifer. Mit der Berufung des letztgenannten jungen Gelehrten zum Civilerzieher des Prinzen, nach Godet's Weggange, beginnt ein neuer bedeutungsvoller Abschnitt in seiner wissenschaftlichen Ausbildung. Der Unterricht wurde unter Curtius' Leitung mit verstärktem Eifer und tiefer Gründlichkeit betrieben, und daß an die geistigen und körperlichen Kräfte des Prinzen große Anforderungen gestellt wurden, zeigt ein aus den Jahren 1844/45 und|1846 noch erhaltener Lectionsplan, den der Prinz eigenhändig Frédéric Godet, mit dem er weiter im brieflichen Verkehr blieb, mitgetheilt hatte. Der Plan läßt in Bezug auf seine Reichhaltigkeit nichts zu wünschen übrig und wäre heute geeignet, einen modernen Gegner der Jugendüberbürdung mit Entrüstung zu erfüllen. Neben der Pflege des rein Wissenschaftlichen wurde auch die ästhetische Bildung nicht vernachlässigt. Den Zeichenunterricht leitete schon seit längerer Zeit der Maler Asmus und der später als Erbauer der Berliner Siegessäule bekannt gewordene Professor Strack. Mit Lust und Eifer wurden auch unter Aghte und dem Musikdirector Taubert Musikstudien betrieben. Der Prinz erfreute sich mit Begeisterung an edlen Compositionen, wie beispielsweise an dem „Tod Jesu“ von Graun, „Paulus“ von Mendelssohn u. s. w. Ueber das erste dieser Werke schrieb er an Frédéric Godet im Juni 1845: „Wie schön ist diese Musik! Lange haben mich an jenem Abend die bewunderungswürdigen Stellen, z. B.: „Wie herrlich ist die neue Welt!“ verhindert zu schlafen, so sehr hatten sie mich erregt!“ Das Requiem von Mozart, das bei Gelegenheit des Todes seiner Großtante, der Prinzessin Wilhelm, aufgeführt wurde, hatte ihn so ergriffen, daß er selbst die Worte zu einer Art Requiem schrieb, nach dem Muster desjenigen, das er gehört hatte. In einer Zusammenfassung seines Gesammturtheils über die geistigen und moralischen Anlagen seines Zöglings sagt Frédéric Godet, „daß ein vorherrschender Zug in seinem Geistes- und Gemüthsleben der Geschmack am Schönen und Großen war. Damit hing jene bereits erwähnte Erregung zusammen, in die ihn eine schöne Musik, ein tiefempfundenes religiöses und weltliches Gedicht versetzte. Alles, was als erhaben und religiös in die Erscheinung trat, war seiner Sympathie sicher.“ Mit dieser Grundanlage verband er ein ruhiges, gesundes Urtheil und eine große Herrschaft über sich selbst. Diese letztgenannte Eigenschaft gab ihm nicht nur später im Gewühl der Schlacht so häufig jene überlegene Ruhe, die ihn zu einem wahren Helden machte, sondern drückte sich auch schon viel früher, beispielsweise bei jenem ernsten Eisenbahnunfall aus, dem der Prinz im J. 1851 beinahe zum Opfer gefallen wäre. Der ruhige Besitz seiner selbst wurde von einem schnell erfassenden und fein beobachtenden Geiste begleitet, eine Eigenschaft, die ohne Zweifel dazu beigetragen hat, ihn später zu einem so vorzüglichen Kenner socialer Verhältnisse zu machen. Diese Mischung von lebhafter Phantasie und ruhiger Vernunft charakterisirten seine Geistesrichtung. Was die moralischen Anlagen des Prinzen angeht, so waren seine Güte und die zarte Liebe seines Herzens die hervorstechendsten derselben. Seine Liebe zu den Eltern war tief. Ihnen irgend einen Schmerz zu bereiten, wäre für ihn eine Todesqual gewesen. Sein Erzieher belegt diese Charakteristik mit zahlreichen Beispielen.

    Das lebhafte Rechtsgefühl des Prinzen, das ihm später als Thronfolger so große seelische Conflicte schuf, war schon in der Jugend stark ausgeprägt. Godet zeigt an verschiedenen Fällen, wie ein von ihm wahrgenommenes Unrecht das Gefühl des sonst so ruhigen Knaben lebhaft aufwallen ließ, namentlich, wenn es dem Unterdrückten und Wehrlosen galt. Mit diesem Mitgefühl für die Schwachen und Elenden verband er die rührendste Treue gegen diejenigen, die er liebte. Sein Freundschaftsverhältniß zu Rudolf v. Zastrow und vielen anderen seiner Jugendgenossen war ideal. Ohne Unterschied von Rang und Stand blieb er ihnen unwandelbar treu. Seine Dankbarkeit für treu geleistete Dienste war unbeschränkt und entbehrte jedes selbstsüchtigen Hintergedankens; seine Anhänglichkeit an seine Lehrer und Erzieher erlosch nicht mit dem Aufhören der erzieherischen Thätigkeit. Er läßt sie nicht aus den Augen und steht in ununterbrochenem Briefwechsel mit ihnen; er besucht|sie auf seinen Reisen und nimmt an ihren intimsten Lebensschicksalen innigen Antheil. Noch von seinem Schmerzenslager aus San Remo schreibt er an Schellbach, den einstigen, so hoch geschätzten Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, und während seines Kaisermartyriums empfängt er ihn und Curtius im Charlottenburger Schlosse. — Was diesen so liebenswürdigen Anlagen vollends ihren ganzen Werth gab, war seine Bescheidenheit. „Niemals", berichtet Godet, „habe ich aus dem Munde des Prinzen ein Wort kommen hören, das von dem Wunsch eingegeben war, sich geltend zu machen. Er hatte eine so aufrichtige Liebe zur Wahrheit, daß der geringste Schein von Schmeichelei ihn zurückstieß.“ „Berg war für mich ein Freund, wie ich ihn fordere, der die Wahrheit ohne Furcht sagte“, erzählte er von seinem verstorbenen Jugendfreunde.

    So gewährte der Prinz, noch kaum im Jünglingsalter stehend, das Bild eines vielseitig gebildeten Fürsten. Was ihn damals auszeichnete, war nach dem Ausspruch seines berühmten Lehrers Curtius „eine harmonische Gesammtbildung, eine echte Humanität. Sein geistiges Auge war nach allen Seiten offen. In klassischer Bildung war er soweit gefördert, daß er durch Tacitus in die deutsche Vorzeit eingeführt werden konnte, und das, was er aus den Alten für das Leben gewonnen hatte, war eine Gewöhnung an klare Gedankenführung und ein feiner Sinn für Abrundung des sprachlichen Ausdrucks“. Und nach dem Urtheil eines anderen einwandfreien Zeugen jener Zeit, Ludwig Aegidi, stand seine schöngeistige Bildung mit seiner wissenschaftlichen im vollsten Einklange. Man rühmte an dem Prinzen denselben richtigen Tact und feinen Geschmack, der im Elternhause seiner Mutter zu Weimar heimisch war, „aber auch das scharfe, treffende, schneidende Urtheil seines größten Ahnherrn väterlicherseits“. „In großen Gemäldesammlungen und Ausstellungen findet er schnell das Gediegene heraus, immer dem Zuge seines Herzens folgend und selten von diesem Zuge irregeleitet. Die Musik ist ihm eine traute Freundin, er ist nicht Virtuos, dazu mangelt die Zeit, und sein Vater hätte Flötenstudien vielleicht kaum lieber gesehen, als weiland Friedrich Wilhelm I. die musikalischen Studien seines Fritz. Aber der Prinz hat eine helle klare Stimme und ist im Gesang geübt. Sein Geschmack entscheidet auch auf diesem Gebiete für das Gesunde, nicht für das Gesuchte. Der künstlerischen Richtung eigentlicher Prüfstein ist in dem Urtheil über Architektonisches gegeben. Des Prinzen schlichter und einfacher, doch geweckter Sinn tritt am deutlichsten hervor, wenn er architektonische Schönheiten auffaßt, oder im Leben, oder an der Zeichnung tadelt oder lobt. Die eigentliche Geistesheimath des Prinzen war und ist in den Werken der deutschen Dichter. Sein Liebling war Schiller.“

    Bange und schwere Tage kamen über den jungen Fürstensohn, als die Stürme des Revolutionsjahres 1848 auch über Berlin hinwegbrausten. Nach dem furchtbaren Straßenkampfe am 18. März und der Flucht seines Vaters fühlte sich auch seine Familie in dem Berliner Palais nicht mehr sicher und siedelte nach dem Potsdamer Stadtschlosse über, wo die Mutter mit den beiden Kindern in tiefster Zurückgezogenheit die schwere Zeit bis zur Rückkehr ihres Gatten aus England verbrachte. Prinz Friedrich Wilhelm war bereits in dem Alter, um den tiefen Ernst der Gegenwart seinem ganzen Umfange nach richtig zu erfassen. Die neue Zeit lag in den schweren Wehen ihrer Geburt, und was morsch und altersschwach war, hielt dem Sturme nicht stand. Jeder Morgen brachte neue Ueberraschungen, jeder Abend neue Ungewißheit, und der lärmende Widerhall jener aufregenden Tage drang auch bis in die Mauern des stillen Potsdamer Stadtschlosses. Aber diese Stunden der Gefahr und Trübsal waren die beste Schule für den werdenden Herrscher; sie reiften den|Jüngling in kurzer Zeit zum Manne, stählten seinen Willen, festigten seinen Charakter und lehrten ihn die Endlichkeit und Nichtigkeit der menschlichen Dinge kennen. Am 5. Juni konnten die Prinzessin und ihre Kinder den aus England zurückgekehrten Vater in Magdeburg, bis wohin sie ihm entgegengefahren waren, wieder in die Arme schließen. Am 7. Juni langte er, mit ihnen vereint, in Potsdam an, ehrenvoll und brüderlich zugleich vom Könige, mit freudiger Rührung von den Vertretern des Heeres, mit zuversichtlicher Hoffnung auf eine bessere Wendung der öffentlichen Verhältnisse von der Menge der Getreuen begrüßt. Die am 29. September 1848 in der Schloßcapelle zu Charlottenburg vom Oberhofprediger Dr. Ehrenberg vollzogene Confirmation des Prinzen hatte schon unter den Zeichen der neuen Zeit gestanden. Die alten Formen des patriarchalischen Regimentes waren unter dem Ansturm einer Bewegung zusammengestürzt, die dem Könige wie dem Vaterlande gleich harte Prüfungen gebracht hatte, aber doch von segensreichen Folgen begleitet war. Im Königshause wie im Volke begann damit eine Zeit, in der man sich bemühen mußte, in die neuen Lebensformen hineinzuwachsen.

    Das Jahr schloß für Preußens innere Lage weit ruhiger ab, als nach den Aufruhrstürmen des Frühjahrs und den leidenschaftlichen Parteikämpfen des Sommers und Herbstes zu erwarten war. Die politischen Ereignisse hatten sich so schnell entwickelt, wie dies nur immer in so stürmischen Zeiten zu geschehen pflegt. Immer allgemeiner wurde das Gefühl, die Tage der Reden, Erklärungen, Demonstrationen und Gewaltstreiche müßten einmal aufhören. Man sehnte sich wieder nach Thaten und auch nach einem kräftigen Regimente.

    1848—1858.

    Die weitere wissenschaftliche Ausbildung des Prinzen sollte erst ihren Abschluß erhalten durch den Besuch einer Universität. Das Verdienst, dies für einen Prinzen des Königshauses zuerst erwirkt zu haben, wird mit Recht der Prinzessin Augusta von Preußen zugeschrieben. Die Wahl fiel auf Bonn, wo der Prinz am 7. November 1849 eintraf. Die rheinische Friedrich Wilhelms-Universität übte eine große Anziehungskraft auf die akademische Jugend durch den Ruf berühmter Lehrer. Als der älteste an Jahren stand, schon 80jährig, doch noch in bewunderungswürdiger Rüstigkeit, Ernst Moritz Arndt da, als „gutes, altes, deutsches Gewissen“, wie er sich wenige Monde zuvor noch im Frankfurter Parlamente selber bezeichnet hatte. Daß Friedrich Wilhelm noch zu den Zuhörern des alten Freiheitssängers gehören durfte, blieb ihm stets eine erhebende Erinnerung.

    Da waren ferner: der Historiker Dahlmann, der Rechtsgelehrte Clemens Th. Perthes, schon zu jener Zeit mit dem nachmaligen General-Feldmarschall Graf Roon in innigster Freundschaft verbunden; Ferdinand Walter, noch ein persönlicher Theilnehmer an den Freiheitskriegen; der Litterarhistoriker Joh. Wilh. Löbell, die Philologen Friedr. Wilh. Ritschl und Friedr. Gottl. Welcker. Unter den Theologen ragten hervor: August Dorner, Richard Rothe, Friedrich Bleek u. a. Der Prinz hat von Anfang an den Zweck seines Aufenthaltes in Bonn sehr ernst genommen; schon am Tage nach seinem Eintreffen hörte er sein erstes Colleg. Seine persönlichen Anschauungen über die Aufgaben und Ziele, die es hier zu lösen galt, hat er selbst dargelegt in einem Aufsatz aus dem Wintersemester des Jahres 1850, der sich später in seinen hinterlassenen Papieren vorfand.

    Die Studienzeit war auf vier Semester berechnet und dauerte unter Ausschluß des Sommersemesters 1851, das für die weitere militärische Ausbildung bestimmt wurde, bis Ostern 1852. Die Studien umfaßten außer den verschiedenen Disciplinen der Jurisprudenz, Politik und Geschichte auch die neueren Sprachen, später noch Litteraturgeschichte. Im Hohenzollernmuseum zu Berlin sind ganze Stöße von Collegienheften aus seiner Universitätszeit in Bonn erhalten, von denen namentlich seine Ausarbeitungen über das von Perthes gelesene Colleg über deutsche Rechtsgeschichte beachtenswerth sind. Auch selbständige Arbeiten schlossen sich an die Vorlesungen. So behandelte er eingehend Fragen wie: „Warum und wie sollen Prinzen die Landesteile ihres Reiches besuchen?“ „Die thatsächliche Lage der deutschen Rechtsverhältnisse in der Gegenwart“ u. a. m.

    An dem gesellschaftlichen Leben Bonns betheiligte sich der Prinz gern und mit der ganzen Frische und Natürlichkeit seines Wesens. Er liebte eine fröhliche, harmlose Geselligkeit, nahm gern Einladungen an und übte ebenso gern zu Hause die Pflichten des Gastgebers. In frischer Jugendlust nahm er auch an dem fröhlich ungebundenen Carnevalstreiben der lustigen Rheinstadt theil. Zu seinem persönlichen Umgange gehörte naturgemäß ein größerer Kreis fürstlicher Studiengenossen, die gerade in jener Zeit mit Vorliebe die Universität Bonn besuchten: der jetzt regierende Fürst Karl Günther von Schwarzburg-Sondershausen; der damalige Prinz, spätere Herzog Leopold Friedrich Franz Nikolaus von Anhalt; der damalige Prinz, spätere König Georg von Sachsen; Prinz Nikolaus Wilhelm von Nassau; Erbprinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen; der Fürst Georg Victor zu Waldeck-Pyrmont; der Erbprinz Friedrich zu Schleswig-Holstein-Augustenburg und andere Söhne regierender Fürstenhäuser. Die drei erstgenannten Studiengenossen gehörten zu seinem engsten und vertrautesten Verkehr, befand er sich doch mit ihnen in größter geistiger Uebereinstimmung inbezug auf künstlerische, politische und sociale Fragen.

    Ueber das gesellschaftliche Leben in Bonn, sowie über die Personen, die seinen täglichen Umgang bildeten, gibt er seinen Jugendgenossen, vor allem seinem Herzensfreunde Rudolf von Zastrow, in längeren Briefen eingehend Aufschluß, frisch und natürlich, ungesucht und anspruchslos. Der ab und zu aufblitzende kecke und übermüthige Ton, die studentischen Kraftausdrücke, zeigen uns den echten Studenten.

    Die freie Zeit benutzte der Prinz zu Ausflügen in die Umgegend, nach dem freundlich gelegenen Haisterbach, auf den Drachenfels, in die lieblichen Thäler des Siebengebirges, oder er besichtigte den Wunderbau der Apollinariskirche, wanderte durch die winkeligen und doch so traulichen Gassen Andernachs und anderer uralter Rheinstädte. Größere Ausflüge führten den Prinzen nach Cöln, Trier, Aachen, Düsseldorf; er stärkte sich an den Erinnerungen, die große, geschichtliche Ereignisse denkwürdiger Stätten in ihm wachriefen, sah, wie in den industriereichen Gegenden der Rheinprovinz ein arbeitsames, fleißiges Volk die neuesten Errungenschaften der Technik verwerthete und ließ sich bei all diesen Besuchen immer von dem Bestreben leiten, Land und Leute kennen zu lernen. Mit dem Volk trat er, wo es immer anging, in engste Berührung, und sein liebenswürdiges, freundliches Wesen, die bürgerliche Einfachheit und Anspruchslosigkeit, womit er überall auftrat, gewannen ihm schon damals die Herzen Aller.

    Die Studienzeit des Prinzen erlitt im Frühjahr 1851 eine Unterbrechung durch die gemeinschaftlich mit den Eltern und der Schwester unternommene Reise nach England zum Besuch der Weltausstellung in London. Tiefgehend waren die Eindrücke, die die großartigen Eröffnungsfeierlichkeiten, wie überhaupt die stolze Weltstadt mit ihrem in dem gegenwärtigen Augenblicke bis ins Riesenhafte gesteigerten Verkehr auf das empfängliche Gemüth des Prinzen|hervorbrachten. Meist machte Georg v. Bunsen den Führer. In Oxford, der alten Universitätsstadt, gab ihm der nachmals so berühmt gewordene Professor Max Müller durch Einführung in die „Colleges“ einen Begriff vom englischen Studienwesen. Am Eröffnungstage der Ausstellung — 1. Mai 1851 — hatte er zum ersten Male die Prinzeß Royal Victoria, die spätere Gefährtin seines Lebens, erblickt. Briefe und Aeußerungen des Prinzen aus jener Zeit beweisen, daß die zart aufblühende Mädchenknospe schon damals einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, und daß das Bild des begabten, frühreifen Kindes seitdem dauernd von seiner Seele Besitz genommen hatte.

    Nach Absolvirung der Universität im Frühjahr 1852 begann für den Prinzen recht eigentlich die militärische Lernzeit. Aus dem freien Studentenleben ging es sofort in die strenge Form soldatischer Disciplin. Er führte zunächst die Leibcompagnie des 1. Garderegiments zu Fuß und stand mit dieser am 19. Mai 1852 bei der zu Ehren des russischen Kaiserpaares abgehaltenen Parade auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin. Die Anwesenheit des Zaren Nikolaus und seiner Gemahlin Alexandra, ältesten Schwester König Friedrich Wilhelm's IV., wurde Anlaß zu einer Einladung für den Prinzen, seine kaiserlichen Verwandten auf ihrer Rückreise nach Rußland zu begleiten. Die Reise ward für seine ganze innere Entwickelung von hoher Bedeutung. Eine neue Welt that sich hier vor ihm auf. Er hatte nicht nur Gelegenheit, das Leben des russischen Kaiserhauses näher kennen zu lernen, sondern auch einen tieferen Blick in das Wesen des russischen Absolutismus zu werfen. Das damalige Rußland war eben ausschließlich der Zar. Dazu kam, daß Kaiser Nikolaus noch auf dem Gipfel eines ungemessenen Einflusses stand, der sich auf die gesammte europäische Politik erstreckte. Die ganze Art der Ausbildung des Prinzen machte es erklärlich, daß dies Beispiel einer unbegrenzten persönlichen Machtfülle auch damals schon seinen Idealen von der Regierungsthätigkeit eines modernen Fürsten durchaus nicht entsprach, obwohl die kraftvolle Persönlichkeit des Kaisers auch auf ihn ihren Eindruck nicht verfehlte.

    Ueber seine Reise und den Aufenthalt am russischen Hofe hat Prinz Friedrich Wilhelm ein umfangreiches Tagebuch geführt, das ihn schon in jener Zeit als scharfsinnigen Beobachter fremder Sitten und Gebräuche zeigt. Von ganz besonderem Interesse sind dabei seine Bemerkungen über die militärischen Zustände des großen Zarenreiches, die er zu denjenigen seines eigenen Vaterlandes in Parallele stellt. Die über alle möglichen socialen, geschichtlichen, architektonischen und kunstgewerblichen Dinge sich verbreitenden Aufzeichnungen machen dem gereiften Verständnisse des jungen zwanzigjährigen Officiers auch hinsichtlich der Form alle Ehre.

    Seine Rückkehr ins Vaterland führte ihn sofort in das Königsmanöver der preußischen Garde, während dessen ihm die Führung der 6. Compagnie des 1. Garderegimentes zu Fuß übertragen wurde. Wir sehen ihn mit strenger Gewissenhaftigkeit seinen militärischen Pflichten bis ins kleinste genügen. Vornehmlich wirkte er durch sein Beispiel. Nicht nur im Turnen, Schwimmen, sondern auch im Bajonettfechten, ja selbst im Griffemachen that er es allen zuvor. Aber trotz der Gründlichkeit, die er den Einzelheiten des Dienstes entgegenbrachte, fand sein aufstrebender Geist doch mehr Gefallen an praktischen Felddienstübungen. Mit dem Frontdienste bei der Truppe ging in den Wintermonaten von 1852 zu 1853 die theoretische Ausbildung Hand in Hand. Der Prinz wohnte regelmäßig den militärischen Conferenzen bei, die an jedem Dienstag unter der Leitung des damaligen Chefs des Generalstabs der Armee, des Generallieutenants v. Reyher, stattfanden. Alle Waffengattungen, alle Seiten des Militärwesens, Strategie, Taktik und Militärverwaltung lernte|der Prinz im Laufe dieses wie der folgenden beiden Jahre aus eigener Erfahrung in theoretischer wie praktischer Thätigkeit kennen. Am 11. September 1853 zum Major ernannt, wurde er behufs einer gründlichen Kenntnißnahme des Artilleriewesens zur Dienstleistung beim damaligen Gardeartillerieregiment abcommandirt (12. Juni 1854); er übernahm die Führung der 1. sechspfündigen Batterie.

    Einen außerordentlich fördernden Einfluß auf seine militärwissenschaftliche Ausbildung übten die unter Leitung des Generals v. Reyher im August 1854 ausgeführten Uebungsreisen des Großen Generalstabs. Auch der damalige Oberst v. Moltke, zu dem der Prinz bald in nähere Beziehungen treten sollte, nahm daran theil. „Prinz Friedrich Wilhelm hat eine sehr hübsche Art, die versammelten Bewohner anzureden“, sagte Moltke in einem während dieser Zeit an seine Gattin gerichteten Briefe über den Prinzen. Unter dem 22. September zur Führung der 1. Schwadron des jetzigen 1. Garde-Dragonerregimentes commandirt, lernte er unter der Leitung des Obersten v. Griesheim nunmehr auch den Dienst bei der Cavallerie bis ins kleinste kennen. Aus den noch erhaltenen Instructionen und Aufzeichnungen des sehr gewissenhaften Regimentscommandeurs kann man verstehen, wie es möglich war, daß der Kronprinz später in den höchsten Stellungen seine Untergebenen durch stets zutreffende Kenntniß des Dienstes jeder Waffe vielfach zu überraschen wußte. Aber über der praktischen Schulung durfte die kriegswissenschaftliche Seite der Ausbildung keineswegs vergessen werden. Die Vorlesungen, die der in der Geschichte der Kriegskunst berühmte Oberst v. Höpfner während der Wintermonate von 1854 zu 1855 in der Allgemeinen Kriegsschule zu Berlin hielt, fanden in dem Prinzen den eifrigsten Hörer. Der König belohnte das eifrige Streben des Prinzen, indem er ihn am 31. August 1854 im Anschluß an eine Manöverkritik, die der Prinz mit großer Schärfe des Urtheils und trefflicher Begründung vortrug, vor versammeltem Officiercorps zum Obersten beförderte.

    Daß Friedrich Wilhelm bei diesen fortgesetzten militärischen Uebungen noch immer Zeit fand, wissenschaftlicher, gewerblicher, künstlerischer und humaner Bestrebungen zn gedenken, zeugte von der Vielseitigkeit seines Geistes, dessen harmonische Ausbildung reiche Früchte getragen. Ehrend für den 23jährigen Fürstensohn war nach dieser Richtung eine That, die schon damals sein reges Interesse für alle Vorgänge auf wissenschaftlichem Gebiet lebhaft bekundete. Als man sich nach dem Tode des Mathematikers Gauß in Göttingen nach einem würdigen Nachfolger umsah, fiel die Wahl auf Professor Dirichlet, der damals eine Zierde der Berliner Universität bildete und nicht nur als hervorragender Mathematiker, sondern auch als Lehrer eine große Anziehungskraft auf die akademische Jugend besaß. Den drohenden Verlust von Berlin abzuwenden, trat Professor Schellbach mit dem ehemaligen fürstlichen Zögling in Unterhandlungen, und Prinz Friedrich Wilhelm richtete an Alexander v. Humboldt einen Brief mit der Bitte, König Friedrich Wilhelm IV. zu bewegen, seinen Einfluß zu Gunsten des Verbleibens Dirichlet's an der Berliner Universität zu verwenden. Er selbst trug dem Oheim den Thatbestand vor. Hatte auch des Prinzen Verwendung durch die Ungunst der Umstände — der König machte die „Ungeschicklichkeit und geringe Antheilnahme“ des Cultusministeriums dafür verantwortlich — in diesem Falle keinen Erfolg gehabt, da Dirichlet's Entschluß nicht zu ändern war, so fanden doch seine Vermittlungsversuche in wissenschaftlichen Kreisen große Anerkennung.

    Auch jene für die Entwicklung seines Kunstverständnisses so bedeutungsvolle Reise Ende des Jahres 1853 kann hier nicht umgangen werden. Zum|ersten Male reiste der Prinz in größerer Umgebung. Zu seiner Begleitung gehörten u. a. General Freiherr Roth v. Schreckenstein, der nicht lange darauf auch auf die staatsmännische Ausbildung des Prinzen einen nicht unbedeutenden Einfluß gewinnen sollte. Als kunstverständiger Führer war dem Prinzen der Hofbaurath Professor Strack, sein früherer Zeichenlehrer, beigegeben. In Rom trat damals der Prinz auch mit Papst Pius IX. zum ersten Male in persönliche Beziehung. Er hatte mehrfach Unterredungen mit ihm. Der Papst hat sein Wohlgefallen an der herzlichen Offenheit und dem klaren Gemüthe des jungen Hohenzollern vor seiner Umgebung nicht verhehlt. Unter den damals am Hofe des Papstes lebenden hervorragenden Männern war es vor allen die charakteristische Persönlichkeit des geschmeidigen Cardinal-Staatssecretärs Antonelli, die des Prinzen Interesse auf sich zog. Als Verkörperung der päpstlichen Staatsmacht, gewandter Diplomat und energisches Mitglied des Jesuitenordens fesselte diese eigenartige Erscheinung den Prinzen im hohen Maaße. Sie machte ihm die Hartnäckigkeit des päpstlichen Stuhles in den späteren Kämpfen immer erklärlich, so lange Antonelli lebte. Rom selbst, die ewige Stadt mit ihrer großartigen geschichtlichen Vergangenheit, mit ihren Kunstschätzen und Ruinen machte einen tiefen Eindruck auf die schönheitstrunkene Seele des Prinzen. Er verkehrte viel mit den hervorragenderen Mitgliedern der deutschen Colonie in Rom, namentlich mit den zahlreich hier weilenden Gelehrten und Künstlern. Hier traf er zum ersten Male mit Peter v. Cornelius zusammen. Auch den Berliner Bildhauern Emil Wolff, W. Matthiae und Troschel trat der Prinz näher, ebenso mehreren italienischen Meistern. Sein hohes Interesse an archäologischen Forschungen gab er durch regelmäßige Theilnahme an den Sitzungen des dortigen archäologischen Instituts kund. Im Hause der Freifrau v. Bülow, der Tochter Wilhelm's v. Humboldt, war er häufiger Gast und durch seine Leutseligkeit und sein feines Verständniß für alles geistige und künstlerische Streben stets der Mittelpunkt der Gesellschaft. Am 8. März 1854 trennte sich der Prinz schweren Herzens von den Wundern der ewigen Roma, um noch die Herrlichkeiten Unter-Italiens und Siciliens zu schauen, und dann über Rom, Florenz und Venedig in die Heimath zurückzukehren.

    Bedeutsam und reich an neuen Eindrücken war auch die Reise, die der Prinz im folgenden Jahre, in Begleitung des um jene Zeit zu seinem Adjutanten ernannten Obersten v. Moltke, nach Ostpreußen unternahm. Die Fahrt führte über Marienburg, Elbing und Königsberg, jene alten Zeugen des Glanzes der ersten Culturperiode Preußens unter dem Deutschen Ritterorden, nach Lithauen über Tilsit, Gumbinnen, Trakehnen, Insterburg, und dann nach Westpreußen zurück, durch all jene Culturstätten hindurch, womit König Friedrich Wilhelm I. und sein großer Sohn sich dort unvergängliche Denkmäler ihrer landesväterlichen Fürsorge gesetzt haben. Voll von neuen Eindrücken und mit erweitertem Blicke, gestärkt durch den tiefen Rückblick, den er in die Vergangenheit seines Hauses und des preußischen Volkes hatte thun dürfen, kehrte der Prinz nach Berlin zurück. — Aber bereits Ende August rüstete er sich wieder zur Reise nach England, die zu seiner Brautfahrt werden sollte. Während gerade zu jener Zeit die Ereignisse des Krimkrieges lebhaft die europäischen Cabinette beschäftigten, tauchte plötzlich die Nachricht auf, Prinz Friedrich Wilhelm habe sich an den englischen Königshof begeben, um sich mit der Princess Royal zu verloben. Der Plan hatte ohne Zweifel gerade in diesem Augenblick einen hervorragend politischen Charakter; um so überraschender kam den politischen Kreisen diese Kunde. Dem Prinzen war das Bild der englischen Königstochter seit jenem Tage, als er sie zum ersten|Male als fröhliches Kind gesehen, nicht aus dem Herzen geschwunden. Er war am 14. September 1855 in Begleitung des Obersten Helmuth v. Moltke auf Schloß Balmoral in Schottland eingetroffen. Wenn dem Prinzen nun auch die freundlichen Beziehungen, die seit längerer Zeit zwischen beiden Fürstenhöfen herrschten, seine Werbung bedeutend erleichterten, so schienen sich der Erfüllung seiner Wünsche doch zunächst einige Hindernisse in den Weg zu stellen. Die Eltern nahmen (20. Sept.) die Werbung freundlich auf, baten den Prinzen jedoch, da die Prinzessin noch nicht ganz 15 Jahre alt sei und erst im nächsten Frühjahr confirmirt werden sollte, sich bis dahin zu gedulden und dann der jungen Prinzessin den Antrag selbst zu stellen. Aber die weise Vorsicht der Eltern, „die Sache vor der Kleinen geheim zu halten“, sollte durch das mächtig aufflammende Gefühl der beiden jungen Fürstenkinder sehr bald vereitelt werden. Als das junge Paar an einem schönen Septembertage den Craig-na-Ban in der Nähe des Schlosses Balmoral hinaufritt, da erschloß sich unter dem zauberhaften Eindruck der großartigen Naturumgebung des schottischen Hochlandes wie der Lieblichkeit des Augenblicks das Herz des Prinzen. Er pflückte einen Zweig duftender weißer Heideblumen und knüpfte an die poetische Gabe, die das zu Thränen erschütterte Mädchen in der Hand hielt, seine Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft.

    Die Kunde von der Verlobung zweier Sprossen der beiden mächtigsten protestantischen Fürstenhäuser verbreitete sich bald durch alle Lande. In der Heimath des Prinzen begrüßte man das Ereigniß mit unverhohlener Freude. Die Thatsache, daß der Prinz, dem man schon damals in den weitesten Kreisen des Volkes, auch über die Grenzen Preußens hinaus, große Sympathien entgegenbrachte, sich mit einer Tochter des freien Englands verbinden wollte, entsprach ganz dem Bilde, das man sich von dem Hohenzollernsprossen gemacht. Man fürchtete in Preußen den russischen Einfluß und erhoffte von dieser Verbindung der beiden mächtigsten Königshäuser auch eine günstige Beeinflussung der inneren Verhältnisse, eine Erstarkung des constitutionellen Lebens, das in Preußen noch immer ein recht schwaches Dasein fristete. Prinz Friedrich Wilhelm hatte sich durch diese Wahl mit den liebsten Wünschen des Volkes in Einklang gesetzt.

    Auf den genußreichen Herbst, der für ihn zum Liebesfrühling geworden war, folgte ein Winter voll Arbeit und fruchtbringender Thätigkeit. Es galt den Prinzen einzuführen in die Geschäfte des Verwaltungs- und Staatsdienstes. Mit ungewöhnlichem Eifer und hohem sittlichen Ernst faßte der Prinz selber diese Seite seiner Vorbereitung auf den Fürstenberuf ins Auge. In Gesprächen und Briefen mit den hervorragendsten Männern seiner Umgebung sucht er sich über die Hauptgesichtspunkte klar zu werden, nach denen diese Thätigkeit am fruchtbringendsten für ihn werden könne. Bereits unterm 25. Juli 1855 hatte er dem von ihm hochverehrten General v. Schreckenstein seine Gedanken und Wünsche in einem längeren Schreiben vorgetragen, worin er sich mit den Vorschlägen des Generals hinsichtlich seiner Thätigkeit beim Kriegsministerium und den übrigen Verwaltungsbehörden einverstanden erklärt, während die militärischen Pläne ihm nicht weitgehend und gründlich genug erschienen. Er lehnt es in einem weiteren Briefe mit Entschiedenheit ab, bei seiner militärischen Ausbildung irgend eine Staffel zu überspringen, wie einige der militärischen Berather ihm empfohlen hatten. „Ich hätte in dieser Eigenschaft über Dinge zu urtheilen, die ich selber nicht durch gründliche Erfassung und Handhabung erlernt haben würde.“

    Von hohem Interesse zur Beurteilung des jungen Fürsten ist ein von ihm selbst niedergeschriebener, im Hohenzollern-Museum zu Berlin aufbewahrter|Beschäftigungsplan für den Winter 1855/56. Er zeugt von scharfer Selbstbeobachtung und bietet zugleich ein hervorragendes Zeugniß von der Gewissenhaftigkeit, womit Friedrich Wilhelm die Vorbereitung auf seinen späteren hohen Beruf ins Auge faßte. Für historische Vorträge wünschte er den Geheimen Rath v. Raumer, für kriegsgeschichtliche Vorlesungen den Obersten v. Moltke bei sich zu sehen. „Außerdem könnte noch einmal wöchentlich der Legationsrath Abeken über Diplomatie mit mir sich unterreden und Professor Werder Litteraturvorlesungen mehr geselligen Charakters halten.“ Bezüglich der Kenntnißnahme der Ministerialgeschäfte hatte Prinz Friedrich Wilhelm, wie ebenfalls aus diesem Beschäftigungsplan hervorgeht, zu einem großen Theile der damaligen leitenden Persönlichkeiten in den Ministerien nicht das Zutrauen, daß sie ihm objective und vorurtheilsfreie Lehrer und Rathertheiler sein würden; auch seine Mutter theilte diese Bedenken; in einem Briefe der Prinzessin an ihren Gemahl wünscht sie, „daß jedem Einfluß, der vor allem in betreff der staatlichen Ausbildung durch die jetzigen Ministerien ausgeübt werden dürfte, vermöge einer vorsichtigen Initiative vorgebeugt werde“. In ihrer Rathertheilung erweist sich Prinzessin Augusta als eine kluge, weitblickende Frau, die auch bei der Auswahl der geeigneten Persönlichkeiten gern ihr Wort in die Wagschale wirft. Der Vater des Prinzen aber erließ am 29. October 1855 an die verschiedenen Ressortminister ein Rundschreiben, worin er diese bittet, dem Sohn zu seinem Vorhaben die Wege zu bahnen, ihm vor den Plenarsitzungen Kenntniß von den wichtigeren und umfangreicheren Gegenständen zu geben, „damit der Prinz sein eigenes Urtheil schärfe, um dann später zu hören, inwiefern dasselbe mit der getroffenen Entscheidung übereinstimmt oder nicht“. Mit Eifer vertiefte sich nun der Prinz in die Einzelheiten der Arbeit, und mit Leichtigkeit fand er sich in die ihm völlig unbekannte Materie hinein. In der Hinterlassenschaft Kaiser Friedrich's befinden sich drei während jenes arbeitsreichen Winters im Ministerium des Innern erstattete Referate, über die er am 21. Januar 1856 Vortrag gehalten hat. Zwei derselben beziehen sich auf Auswanderungsangelegenheiten, das dritte betrifft den damals im Regierungsbezirk Trier ausgebrochenen Nothstand und läßt in großen Zügen in dem Verfasser bereits den späteren warmherzigen Freund und Förderer socialer Wohlfahrtseinrichtungen erkennen.

    Einen hohen Beweis seines Vertrauens gab der König dem Neffen, als er ihm am 3. Juli 1856 die Führung des 1. Garderegimentes zu Fuß übertrug. Nur wenige Wochen hatte der Prinz das Regiment geführt, als wichtige Aufgaben der Repräsentation seines Hauses und des Staates ihn wiederum aus der Front riefen. Es galt einer abermaligen Reise nach Petersburg und Moskau. Prinz Friedrich Wilhelm war dazu ausersehen, dem verwandten Herrscherhause bei der Kaiserkrönung Alexander's II. die Glückwünsche darzubringen. Auch über diese Reise hat der Prinz Aufzeichnungen gemacht. Zwingender noch als bei seiner ersten Reise mußte sich ihm ein Vergleich mit den heimathlichen Zuständen aufdrängen und den Grundsatz in ihm befestigen, daß nicht der äußere Glanz, die äußere Macht, sondern die innere Freiheit und Culturreife eines Volkes das Ziel eines fürsorglichen, treuen Regenten sein müssen und ihm allein als wahres Glück seiner Unterthanen gelten dürfen.

    Die Vermählungsfeierlichkeiten seiner Schwester Luise mit dem Regenten von Baden (20. Sept. 1856) machten seinem Petersburger Aufenthalte frühzeitig ein Ende. 6 Wochen später rief ihn der Geburtstag seiner „Vicky“ (21. November) abermals nach London. Länger als 4 Wochen durfte das fürstliche Paar sich seiner jungen Liebe freuen. Dann aber hatte er einer wichtigen Mission zu genügen. Dem Wunsche des Königs gemäß sollte er auf|der Rückreise dem Kaiser Napoleon III. in Paris einen Besuch abstatten. Dabei war ihm die keineswegs leichte Aufgabe zugefallen, mit Rücksicht auf die damals beginnenden Verwickelungen zwischen Preußen und der Schweiz wegen des Cantons Neuenburg eine geneigte Stimmung in den Tuilerieen zu gewinnen. Wie Generalmajor v. Moltke, der sich auch damals wieder in seiner Begleitung befand, in seinen Reiseaufzeichnungen berichtet, wußte der Kronprinz „mit der einfachen und natürlichen Sicherheit und Leichtigkeit eines wirklich vornehmen Seigneurs nicht nur den Militärs, sondern auch dem Clergé, den autorités municipales und allem, was sich berufen fühlte, sich vorzustellen, etwas Angemessenes und Freundliches zu sagen“. In Paris sah der Prinz all' die französischen Berühmtheiten aus dem Krimkriege, die Marschälle Vaillant, Magnan, Pelissiers, Baraguay d'Hilliers, vor allem auch Canrobert, damals erst 40jährig und von der Krim her schon auf der Höhe seines Ruhmes. Es war für einen preußischen Prinzen und für preußische Officiere vielleicht keine leichte Aufgabe, diesen Trägern so frischer Kriegslorbeeren gegenüber sich geltend zu machen. Die eigene Würde und persönliche Liebenswürdigkeit des Prinzen mußten hier ausgleichend einwirken, obwohl naturgemäß ein herzliches Verhältniß zwischen beiden Theilen sich nicht herausbilden konnte.

    Eine bemerkenswerthe Veränderung in den militärischen wie privaten Verhältnissen des Prinzen bedeutete seine Ernennung zum Commandeur des ehemaligen 11. Infanterieregimentes in Breslau (3. October 1856). Sie entsprach einem längst gehegten Wunsche Friedrich Wilhelm's, der, nachdem er sich bisher nur mit dem Dienste beim Gardecorps vertraut gemacht, nun auch den bei der Linie aus eigener Thätigkeit eingehend kennen zu lernen wünschte.

    Der Tag, da der Prinz in seiner strahlenden Jugendschöne einzog, war für Breslau ein Ereigniß. Ein Augenzeuge seines ersten Empfanges, der damals in Breslau beim 11. Infanterieregiment dienende Dagobert v. Gerhardt (Gerhard v. Amyntor), schreibt darüber noch viele Jahre nachher: „Man muß diesen zaubergewaltigen Herzeneroberer mit eigenen Augen gesehen haben, um die Begeisterung zu begreifen, die sein bloßes Erscheinen überall erweckte ... Im blendenden Glanze seiner 26jährigen Jugendkraft trat er uns entgegen und hieß uns alle als seine Regimentskameraden herzlich willkommen; und sofort standen wir alle unter der magischen Gewalt seines einzigartigen Wesens“. — In Breslau führte er zum ersten Male einen eigenen Haushalt und wurde, nicht beengt durch höhere Rücksichten, bald der Mittelpunkt der Gesellschaft. Hier lud er Gäste zu sich und ging zu Gaste, und — wie das so seinem ganzen Charakter entsprach — sein Verkehr erstreckte sich nicht nur auf die hohen Beamten- und Officierkreise, oder den alt angesessenen Adel der Provinz, der im Winter in Breslau sich zusammenzufinden pflegte, er dehnte sich mit Vorliebe auch auf die bürgerlichen Stände aus; die Gelehrten und Künstler, die Kaufmannswelt, wie die Glieder der Gemeindebehörden Breslaus sahen den liebenswürdigen Prinzen oft in ihrer Mitte. Hier in Breslau hatte der Prinz auch zum ersten Male eine Unterredung mit Theodor v. Bernhardi, der, damals schon in Beziehungen zu dem Prinzen von Preußen stehend, diesem später in seinen Kämpfen um die Armeereorganisation ein ebenso bedeutender, wie erfolgreicher Gehilfe werden sollte. Theodor von Bernhardi berichtet in seinen Denkwürdigkeiten über das mit dem Prinzen geführte Gespräch, das einen interessanten Einblick in die damalige Denk- und Anschauungsweise Friedrich Wilhelm's gewährt: „Der Prinz hat eine entschiedene Abneigung gegen Rußland ... Er spricht mit großer Betrübniß von der geringen Achtung, in der Preußen jetzt allgemein steht. Er hat in|England vielfach Gelegenheit, das zu erfahren; man ist dort sehr gut unterrichtet über Preußens innere Zustände — und der Prinz erfährt dort vieles, was ihm hier verborgen bleibt. Mit großem Widerwillen äußert sich der Prinz dann auch über die loyalen Reden, die Ergebenheitsversicherungen der Junkerpartei, denen er nicht glauben kann.“ Friedrich Wilhelm zeigte, wie Bernhardi weiter berichtet, ein außerordentlich großes Interesse für Rußland und russische Zustände, namentlich war es die Leibeigenschaft, damals für Rußland die brennendste Frage, die ihn interessirte. Sicherlich war jene lehrreiche Stunde, da der Prinz am 8. August 1857 an eigener Tafel dem Staatsrath Theodor von Bernhardi gegenübersaß, für die Erweiterung seines staatsmännischen Blickes, die Klärung seines politischen Urtheils nicht ohne Bedeutung.

    Auch in anderer Hinsicht versäumte er keine Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln. Um Land und Leute des gewerbreichen Schlesiens kennen zu lernen, machte er Ausflüge in das Riesengebirge, besuchte die Hauptorte des schlesischen Berg- und Kohlenbaues und bekundete seinen Eifer an den Staatsgeschäften dadurch, daß er häufig an den Sitzungen der Breslauer Regierung theilnahm. Daß durch alle diese zeitraubenden und zerstreuenden Thätigkeiten die Fürsorge für sein Regiment keine Einbuße erlitt, bedarf keiner Erwähnung. In wahrhaft väterlicher Weise sorgte er für dasselbe; seine rastlose Thätigkeit wie sein nimmerruhender Pflichteifer spornten Officiere und Mannschaften zu schöner Nacheiferung an, und als er am 19. September 1857 auf der Reichenbacher Chaussee von den Soldaten des 11. Regiments, die zwischen Panthenau und Lauterbach in langer Reihe aufgestellt waren, Abschied nahm, ging ein Gefühl des aufrichtigen Bedauerns durch Aller Herzen, vom Höchstcommandirenden bis zum gemeinen Soldaten herab.

    Dem königlichen Oheim war die aufopfernde Thätigkeit seines Neffen nicht entgangen. „Zur Belohnung für den anerkennenswerthen Diensteifer und die erfreulichen Fortschritte in den militärischen Studien“, wie es in der Allerhöchsten Ordre des Königs hieß, übertrug er ihm am 3. October 1857 das Commando der 1. Garde-Infanteriebrigade. Es war der letzte Gnaden- und Zueignungserweis des Königs für den Prinzen, den er wie seinen eigenen Sohn aufs zärtlichste liebte, und dessen Entwicklung er mit so großem Interesse verfolgt hatte. Wie sein Vater, so litt auch er schwer unter dem Schlage, den das Königshaus durch die bald darauf eintretende schwere und unheilbare Erkrankung Friedrich Wilhelm's IV. traf; war doch sein gesammtes Leben so eng mit der Person des Königs und der Königin verknüpft gewesen.

    1858—1864.

    Mit der am 25. Januar 1858 erfolgten Vermählung Friedrich Wilhelm's mit der Princess Royal Viktoria beginnt ein neuer Abschnitt in seinem Leben, nicht nur inbezug auf den völlig veränderten Kreis seiner Pflichten, sondern auch bezüglich seines inneren Lebens. Zu seinem Heim hatte der Prinz das Palais „Unter den Linden“, dem Zeughaus gegenüber gewählt, das unter dem Namen „Feldmarschallhaus“ im Volksmunde bekannt, und mit der Geschichte Preußens innig verwachsen war. Hier hatte König Friedrich Wilhelm III. die glücklichsten Tage seines Lebens mit seiner Luise verlebt. Noch einmal sollte mit gleicher Innigkeit und Herzlichkeit in diesen Räumen ein so schönes Familienglück erblühen, als der Enkel des Königs und seine junge Gemahlin hier ihre einfache Häuslichkeit begründeten. Wie Beide durch die ganze Art ihrer mehr auf die Entfaltung des Geistes- und Gemüthslebens als auf die äußere Form gerichteten Erziehung nicht sehr an rauschende Hoffestlichkeiten gewöhnt waren, so fühlten sie sich in dem stillen Frieden ihres|jungen Ehelebens unendlich glücklich. Die Aehnlichkeit der geistigen Anlagen des Fürstenpaares und die Gleichartigkeit ihrer Bestrebungen, die nun im Hinblick auf die dereinst zu übernehmenden Landespflichten zu wahrhaften Herzensinteressen verschmolzen, waren geeignet, das Glück der jungen Ehe noch in einem ganz besonderen Grade anziehend zu machen. Voll inniger Sympathie für einander, und Beide begeistert für Alles, was das Menschenherz erhebt, genossen sie zusammen mit Enthusiasmus die poetischen Meisterwerke aller Zeiten und Völker. Die gemeinsame Freude an Schiller und Dante, Goethe und Shakespeare bildete die natürliche Brücke zu weiterem Austausch, namentlich auch religiöser Gefühle und Vorstellungen, die in dem Gemüthsleben Beider durch Natur und Erziehung einen breiten Raum einnahmen. Auch politische Gedanken und Träume waren nicht lange abzuweisen, und es hat gleich anfangs auf diesen wichtigen Gebieten der Verschmelzungsproceß begonnen, der zwischen diesen Beiden allmählich eine Harmonie des Denkens und Fühlens inbezug auf die wichtigsten Seiten des Lebens hervorgebracht hat, wie sie selten selbst zwischen so eng Verbundenen sich bildet. In reicher Fülle wurde dies stille, reine Familienglück noch vermehrt durch die am 27. Januar 1859 erfolgte Geburt des ersten Sohnes (späteren Kaisers Wilhelm II.), dem bereits ein Jahr später (24. Juli 1860) eine Tochter, Prinzessin Charlotte, und zwei Jahre darauf (14. August 1862) ein zweiter Sohn, Prinz Heinrich folgten.

    Die glückliche Neigung und Begabung des Prinzen, das Volk bei seiner Arbeit aufzusuchen, sein Scharfblick für die Mängel und Gebrechen des öffentlichen Lebens, seine mit der Gattin getheilte Freude an den Schöpfungen der großen Denker und Dichter aller Nationen, die Liebe zu Wissenschaft und Kunst — das alles schuf ihm und seiner gleichgesinnten Gemahlin bald auf den verschiedensten Gebieten ein weites, reiches Arbeitsfeld, das er im Laufe der folgenden Jahrzehnte segensreich anbauen, und dessen Ausgestaltung und Weiterentwicklung für immer mit seinem Namen verbunden bleiben sollte.

    Aber sein Geist und seine Thätigkeit sollten bald auch nach einer andern Richtung hin abgelenkt, sein Denken, Fühlen und Handeln mehr als bisher zu einer bestimmten Stellungnahme gedrängt werden. Am 8. October 1858 hatte sein Vater unter dem Titel: „Prinz-Regent von Preußen“ dauernd die Regentschaft des preußischen Staates übernommen. Die langerhoffte „neue Aera“ war angebrochen. Das Ministerium Manteuffel ward entlassen, und an die Spitze des neugebildeten Ministeriums trat der Fürst Karl Anton von Hohenzollern. Ein frischer, fröhlicher Geist kam in alle Zweige des Verwaltungs- und Staatslebens, und das nationale Streben des deutschen Volkes nach kraftvoller Einigung trat in unverhohlener Weise auf Turner- und Schützenfesten, auf großen Volksversammlungen zu Tage und fand einen mächtigen Wiederhall in dem deutschen Herzen Friedrich Wilhelm's, hatte doch eine kraftvolle Politik Deutschlands unter Führung Preußens bei strengster Wahrung der constitutionellen Rechte des Volkes ihm schon in seinen Studienjahren als Ideal vorgeschwebt.

    Von wesentlicher Einwirkung auf diese seine Grundanschauung war die hochsinnige Mutter, Prinzessin Augusta, gewesen. Von nicht minder tiefgehendem Einfluß auf des Prinzen politische und staatsmännische Entwicklung im Sinne einer freien, vorurtheilslosen Prüfung und Erwägung der Dinge sollte sein Schwiegervater, Prinz Albert, werden. Der schriftliche und mündliche Gedankenaustausch zwischen beiden Männern wurde für den preußischen Thronfolger eine staatsmännische Schule von hoher Bedeutung. Der Prinz wußte sich in seinen deutsch-nationalen Bestrebungen eins mit seiner jungen|Gemahlin und deren Vater, welcher am 13. September 1859 in einem Briefe an seine Tochter nach Berlin schrieb: „Ich bin für Preußens Hegemonie, doch ist mir Deutschland das Höchste und Bedeutendste, Preußen als solches das zweite. Preußen wird das Höchste, wenn es an der Spitze Deutschlands steht“. Daß Preußen, „ohne an der Spitze von Deutschland in Diplomatie und Armee zu stehen, weder die eine noch die andere führen könne“, schien ihm — wie er an seinen Bruder, Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha schrieb — „ein alter, nicht mehr des Beweises bedürftiger Satz“.

    Der im J. 1859 zwischen Oesterreich und Italien ausgebrochene Krieg, der auch in Preußen zu einer Mobilmachung geführt, hatte Friedrich Wilhelm vorübergehend mit einer hohen militärischen Stellung betraut, dem Commando der 1. Garde-Infanteriedivision. Bei der Mobilmachung hatten sich bekanntlich allerlei Uebelstände und Unzuträglichkeiten herausgestellt, die für den Fall eines plötzlich ausbrechenden Krieges verhängnißvoll werden konnten. Die Nothwendigkeit einer gründlichen Umgestaltung des Heerwesens war dadurch immer unabweisbarer zu Tage getreten. In die unter dem Vorsitz des Feldmarschalls Wrangel gewählte Commission zur Berathung der während der letzten Kriegsbereitschaft gemachten Erfahrungen wurde unterm 28. October 1859 auch Prinz Friedrich Wilhelm als Mitglied berufen. In den Commissionssitzungen hatte er Gelegenheit, seine Uebereinstimmung mit den Reorganisationsplänen seines Vaters zu zeigen, die er nach dem Zeugniß des Generals v. Gerlach mit Eifer und Wärme verfocht. Als Belohnung für seine rege Mitarbeit an den Arbeiten der Militärcommission überraschte der Prinz-Regent seinen Sohn mit einer außerordentlichen Beförderung, indem er ihn am 4. Juni 1860, dem Erinnerungstage der Schlacht bei Hohenfriedberg, bei der Parade zu Königsberg auf dem Herzogsacker zum Chef des 1. Infanterieregimentes, des ältesten in der Armee, ernannte.

    Der Tod König Friedrich Wilhelm's IV. erhob Friedrich Wilhelm zum Kronprinzen von Preußen und gab ihm als Thronfolger mehr denn je Gelegenheit, bei Ausübung seiner Repräsentationspflichten dem Volke zu zeigen, wie lebhaft er an den Ausstrahlungen des geistigen Lebens, an dem Aufblühen der Künste und Gewerbe, an der Hebung der geistigen und materiellen Interessen der Nation theilnahm. Seitdem er selber auf den Bänken der Bonner Hörsäle gesessen, war er der Wissenschaft ein treuer Hort geblieben, hatte er besonders den Universitäten seine unausgesetzte Fürsorge gewidmet. Dem jungen Hohenzollerfürsten ihren Dank dafür auszudrücken, verlieh ihm die älteste Universität Preußens, die Albertina zu Königsberg, am 19. October 1861 die höchste akademische Würde, das Amt eines Rector magnificus, das bisher der hochbegabte König Friedrich Wilhelm IV. innegehabt hatte. Kaum zwei Monate später, am 14. December 1861 raubte der Tod dem Kronprinzen in der Person seines Schwiegervaters den treuen Freund und Berather, dem er einen großen Theil dessen verdankte, was er gewollt und erreicht, und dessen politischer Scharfblick, mit weiser Mäßigung so glücklich gepaart, auf seine staatsmännische Erziehung einen so unverkennbaren Einfluß geübt hatte.

    Die innere politische Lage Preußens hatte sich während der letzten Zeit bedenklich getrübt. Das Ministerium der neuen Aera hatte nicht verstanden, die großen Fragen der Zeit in einer volksthümlichen und zugleich der Machtstellung des preußischen Staates angemessenen Weise zu lösen. Seine Politik hatte in weiten Kreisen des Volkes nicht den Anklang gefunden, der nöthig gewesen wäre, um dem Könige eine zustimmende Mehrheit für die Reorganisation des Heeres zu gewinnen. Die Bildung der neuen Regimenter war beendet; das Volk wollte eine Gegengabe seitens der Regierung sehen; aber|hartnäckig hatte das Herrenhaus bisher seine Zustimmung zu den liberalen Gesetzentwürfen verweigert, die einen gesunden, weil gemäßigten Fortschritt athmend, mit der Politik der Regierung wohl zu vereinen gewesen wären.

    Auch in der Behandlung der deutsch-nationalen Sache, welcher gerade der gebildete Theil des Volkes eine so warmherzige Sympathie entgegenbrachte, hatte das Ministerium seine Schuldigkeit nicht gethan und die schöne deutsche Begeisterung ungenutzt verpuffen lassen. Vergebens wartete man allerseits auf dringende und oft versprochene Reformen.

    Der Kronprinz hatte in dieser trüben Zeit eine überaus schwierige Stellung. Wol wußte man, daß er ein treuer Hüter der Verfassung sein würde; in weiten Volkskreisen hatte man ihn auch als einen Mann mit modernem, politischen Empfinden kennen gelernt, der, soweit er seinen Einfluß geltend machen konnte, nun und nimmer seine Zustimmung zu einer rückschrittlichen Richtung der Politik geben würde; aber man wußte auch, daß er inbezug auf die Reorganisationspläne seines Vaters auf dessen Seite stand. Wie wird er diesen Conflict bestehen, in den sein volksfreundliches Herz einerseits und die Rücksicht, die er als Thronerbe anderseits auf seinen Vater zu nehmen hatte, ihn trieb? so fragte sich damals mancher patriotische Mann.

    In dieser schweren Zeit stand dem Kronprinzen ein Mann zur Seite, der es mit feinem Tacte und mit richtigem Blicke für die großen nationalen Fragen der Zeit verstand, den Thronfolger durch die gefährlichen Klippen hindurchzuführen, welche ihm von allen Seiten drohten. Es war dies der Historiker Max Duncker. Er hatte sich dem national fühlenden Herzen des Kronprinzen bereits durch einen Brief aus dem Jahre 1859 empfohlen, worin er schon damals eine kräftige Betonung der preußischen Politik im Sinne Deutschlands wünschte, einer Politik der That, welche die Sympathieen der süddeutschen Staaten von Oesterreich abzuwenden und auf Preußen hinzulenken geeignet war. Die ebenso nationale wie freimüthige und mannhafte Anschauungsweise Duncker's hatte den lebhaften Prinzen bereits in jenen Tagen mächtig angezogen. So hatte sich schon seit den ersten Monaten des Jahres 1860 ein persönliches Verhältniß zwischen beiden Männern entwickelt, welches sich mit der Zeit immer herzlicher gestaltete und schließlich zu einem dauernden wurde. Der Kronprinz setzte es bei seinem Vater durch, daß sein bisheriger vortragender Rath, der ziemlich indifferente Regierungsrath Brunnemann, seinen Abschied erhielt und Max Duncker an seine Stelle trat (6. Juni 1861).

    Die Stellung dieses trefflichen Mannes, der mit warmem Herzen den Gedanken verfolgte, Preußen auf die Bahn der Macht, Freiheit und Größe zu führen, war keine leichte. Die Aufgabe, den Thronerben auf dem Laufenden zu erhalten, ihn würdig und gewissenhaft für seinen künftigen Beruf vorzubereiten, schloß einen großen Kreis von Pflichten und Obliegenheiten in sich. Es galt, den Prinzen über den allgemeinen Gang der öffentlichen Dinge, über den deutschen und europäischen politischen Horizont mit seinen beständig wechselnden Constellationen vom Standpunkte der preußischen Politik aus zu orientiren. Duncker's Einfluß auf den Thronfolger, dessen Vertrauen er in hohem Maße zu rechtfertigen wußte, war von Anfang an ein so bedeutender, daß Fürst Karl Anton von Hohenzollern, der damalige Ministerpräsident, bereits im März 1861, nachdem der Kronprinz an mehreren Ministerberathungen theilgenommen, zu Duncker gesagt hatte: „Der Kronprinz ist die einzige Stütze des Ministeriums; seit er Sie sieht, ist er ein ganz anderer“. Duncker vertrat dem Kronprinz gegenüber die Ansicht, daß die Fortdauer eines, wenn auch nur mäßig liberalen und dabei nationalgesinnten Regiments|für das Land am heilsamsten sei, um so der anstürmenden radicalen Opposition, zu welcher er auch die damalige Fortschrittspartei rechnete, den Boden zu entziehen und auf der anderen Seite einem drohenden bureaukratischen und feudalen System entgegenzuarbeiten. Dabei galt ihm die militärische Rüstung als die unerläßliche Vorbedingung eines Vorgehens sowol in der preußischen wie in der deutschen Politik.

    Die wachsenden Schwierigkeiten der inneren Lage wurden von dem Kronprinzen um so tiefer empfunden, als er seine von des Vaters Ansichten immer mehr abweichende Anschauung sowol vor diesem selbst als auch vor dem Publicum geheim zu halten gezwungen war. So übte er im Wirbel des heftigen Parteistreites eine Selbstverleugnung, eine Entsagung, die ihm viele Seelenkämpfe kostete. Das noch immer unter der Flagge des Liberalismus segelnde Ministerium — Fürst Anton von Hohenzollern hatte den Vorsitz an Herrn v. Auerswald abgegeben — machte Fehler über Fehler, deren größter die schwankende Haltung in der auswärtigen Politik war. Auch die constitutionelle Partei stand nicht auf der Höhe der Situation. Gereizt durch das junkerliche Gebahren der feudalen Partei und in dem schlecht verhehlten Streben, sich bei den Massen möglichst populär zu machen, „zerrte sie in unfruchtbarer Halbheit an den vorgeschlagenen Maßregeln herum, ohne sie zu verwerfen“.

    Dem unausbleiblich scheinenden Conflict gegenüber machte Duncker in einem eingehenden Bericht dem Kronprinzen eine Reihe von praktischen Vorschlägen für die innere und äußere Politik, welche nach seiner Meinung geeignet erschienen, die Mißstimmungen im Lande zu beheben. „Der Haupteinwand gegen das erhöhte Militärbudget würde verstummen, sobald man Thaten sieht, die den preußischen Ehrgeiz befriedigen, indem sie dem materiellen Wohl, der Rechtsordnung und Sicherheit Deutschlands dienen“.

    Die am 6. December 1861 vollzogenen Wahlen brachten nun der „neuen Aera“ eine völlige Niederlage und der demokratischen Fortschrittspartei einen ungeahnten Sieg. Der Kronprinz konnte in Uebereinstimmung mit Duncker diese unerwartete Wendung nicht für eine günstige Lösung der politischen Wirren halten und war der Meinung, welcher Duncker auch in der Presse wiederholten Ausdruck verlieh, daß die constitutionelle, d. h. die damalige liberale Partei, dem Ministerium der neuen Aera die Weiterführung der Geschäfte nur dadurch ermöglichen könne, wenn sie sich durch Annahme der Militärreform entschlossen als gouvernementale Partei zeige. Daß Friedrich Wilhelm auch sonst noch alles that, um den heraufziehenden Sturm zu beschwichtigen, bezeugt ihm Duncker in einem Briefe kurz vor der Abreise des Prinzen nach England zur Beisetzung seines verstorbenen Schwiegervaters. — „Eure Königliche Hoheit“, so schrieb er ihm, „können die schwere Reise über das Meer mit dem Bewußtsein antreten, das Mögliche gethan zu haben, die Krisis zu beschwören.“

    Die Tage des liberalen Ministeriums waren indeß gezählt. Auf das Mißtrauensvotum, welches ihm am 6. December durch die Wahlen ertheilt worden war, reichten seine Mitglieder ihre Entlassung ein. Dann folgte die Auflösung des Abgeordnetenhauses. Die liberale wie die conservative Partei überreichten dem Könige noch einmal ihr Programm; es war nicht schwer zu errathen, wie die Antwort des Königs ausfiel. Die ihm von dem liberalen Ministerium vorgetragenen Forderungen: Gewährleistung freier Wahlen, Ersparungen im Militärbudget, Ermächtigung zur Durchbringung der Organisationsgesetze im Herrenhause schienen dem König gleichbedeutend mit republikanischen Einrichtungen, „so daß ihm zuletzt nichts mehr übrig bliebe, als abzudanken“. Die Namen der neu ernannten Minister: v. d. Heydt, Graf Lippe und v. Mühler, Graf Itzenplitz und v. Jagow zeigten einen scharf ausgeprägten Gegensatz zu den Ausgetretenen und ließen die Richtung der neuen Politik unschwer erkennen.

    Die überaus schwierige Lage des Kronprinzen in diesem Stadium der politischen Kämpfe bestand in der Aufgabe, sich weder zu seinem königlichen Vater, den er innig und hoch verehrte, noch zu der Stimmung des Landes in einen ausgesprochenen Gegensatz zu stellen. Daß der preußische Thronfolger ein Mann war, der eines schnellen und muthvollen Entschlusses fähig war, das hat er bald darauf in zahlreichen Schlachten bewiesen; auf der anderen Seite war aber sein Gemüth, namentlich seinem Vater gegenüber, von einer Weich- und Zartheit, welche einem Conflict mit diesem möglichst aus dem Wege zu gehen geneigt war. Seine Sympathieen gehörten — ohne daß er im mindesten sich zu einer Partei bekannt hätte — dem freiheitlich gerichteten Theile der Bürgerschaft; aber sein Sohnesherz wurde entwaffnet durch die Drohung des Vaters, daß derselbe eher abdanken als nachgeben würde. Der Gedanke schien dem feinfühlenden Manne unwürdig, nach dieser Richtung hin durch sein Verhalten irgend welchen Druck auf den König geübt zu haben, der ihm im entferntesten als das selbstsüchtige Verlangen hätte ausgelegt werden können, durch Volksgunst auch nur um einen Augenblick früher auf den Thron zu gelangen, als es ihm der natürliche Lauf der Dinge gestattete. Ueberdies war es nicht mehr möglich, den Gang der Dinge aufzuhalten. Die Regierung, anfänglich zum Nachgeben bereit, indem Roon die zweijährige Dienstzeit zunächst für ein Jahr anzunehmen sich erklärte, verwarf schon am nächsten Tage auf des Königs Veranlassung alle Verständigungsmaßregeln, infolge dessen es zu der denkwürdigen Kammersitzung vom 18. September kam, in welcher die Streichung der zur Durchführung der Reform erforderlichen Millionen mit ungeheurer Majorität ausgesprochen wurde. Ein abermaliger Ministerwechsel zeigte die Höhe und Gefährlichkeit der Krisis. Fürst von Hohenlohe sowie der bisherige Handelsminister traten zurück, während die Leitung des Ministeriums von Otto v. Bismarck übernommen wurde, dem bisherigen Gesandten am Pariser Hofe.

    Es war gewiß eine der denkwürdigsten Stunden im Leben Friedrich Wilhelm's, als er am 20. September 1862 den Mann empfing, der auf Preußens und Deutschlands Geschicke bald einen so nachhaltigen Einfluß üben sollte. Auf des Kronprinzen Frage, wie Bismarck die Lage ansähe, antwortete letzterer ausweichend. „Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht so vertraut“, erzählt Bismarck später, „daß ich dem Kronprinzen ein programmmäßiges Urtheil hätte abgeben können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich gegen ihn früher zu äußern, als gegen den König“. Wie weit die Verstimmung zwischen Vater und Sohn schon damals platzgegriffen, erfahren wir aus derselben Quelle. Nach einer Mittheilung Roon's äußerte der König mit Bezug auf Bismarck's Audienz beim Kronprinzen: „Mit dem ist es auch nichts; er ist ja schon bei meinem Sohne gewesen“. Daß der König diese Worte im inneren Zusammenhang mit seinen ernsten Abdankungsplänen gesprochen, erfuhr Bismarck erst zwei Tage später, als er — am 22. September — von dem König in Babelsberg empfangen wurde, wo ihm derselbe rund und klar seinen Entschluß mittheilte, die Krone niederzulegen, da er keine Minister mehr fände, die bereit wären, seine Regierung zu führen, ohne sich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Bismarck's Zusage, als Minister für die Militärreorganisation einzutreten, auch|gegen die Majorität des Landtages und deren Beschlüsse, ließ den König sofort alle seine Abdankungspläne aufgeben.

    Durch die Ernennung Bismarck's zum Staatsminister und interimistischen Vorsitzenden des Staatsministeriums war die Lage des Kronprinzen noch schwieriger geworden. Inbezug auf sein nunmehriges Verhalten bestanden bei seinen Rathgebern und Freunden zwei entgegengesetzte Ansichten. Die Einen meinten, daß bei der neuesten Wendung der Dinge alles darauf ankäme, daß in dem Kronprinzen von Preußen eine unabgenutzte Kraft und ein vom Parteistreit unberührter Name erhalten werde; die Anderen, zu denen auch Duncker gehörte, hielten noch immer an der Ansicht fest, daß es dem Kronprinzen durch Vorstellungen bei seinem königlichen Vater und durch Einwirkung im Ministerrathe möglich sein müsse, die politische Entwicklung in einer den reactionären Strömungen entgegengesetzten Weise zu lenken.

    Aber Friedrich Wilhelm war nicht der Meinung, daß bei der gegenwärtigen politischen Lage eine Einmischung seinerseits noch auf irgend einen Erfolg zu rechnen habe. Verstimmt bis zur Verbitterung, hielt er es für das Beste, dem Schauplatz dieser unerfreulichen Kämpfe so fern als möglich zu sein. Er beurlaubte sich auf längere Zeit, um in Gemeinschaft mit seiner Gemahlin als Gast des Prinzen von Wales eine Reise nach Italien anzutreten. Dem Drängen Duncker's folgend, begab er sich vor Antritt der Reise zu seinem in Baden-Baden weilenden Vater, um diesem gelegentlich der Verabschiedung noch einmal die Regelung der ihm so nahe gehenden Verfassungsfrage in seinem Sinne ans Herz zu legen. Dann reiste er über Zürich, Bern, Lausanne und Genf nach Marseille, wo der von der Königin von England zur Verfügung gestellte Raddampfer „Osborne“ bereit lag. Auf die an interessanten Erlebnissen so reiche Reise hier näher einzugehen, liegt nicht in der Aufgabe dieser Darstellung.

    Als das kronprinzliche Paar kurz vor dem Weihnachtsfeste 1862 wieder in Berlin eintraf, hatten sich die Wogen der politischen Erregung noch keineswegs beruhigt. Die Uebernahme des Präsidiums im Staatsministerium durch Otto v. Bismarck hatte alle politischen Verhältnisse gewissermaßen auf des Messers Schneide gestellt. Mit kühner Sicherheit und der absoluten Rücksichtslosigkeit, die einen großen Theil der späteren Erfolge des genialen Staatsmannes ausgemacht haben, griff er zu, indem er rundweg erklärte, daß, wenn das Abgeordnetenhaus einem Budget seine Zustimmung gebe, das die Krone sowie das Herrenhaus verwerfe, der König ohne weiteres das Recht habe — schon um die Existenz des Staates nicht zu gefährden — die nicht bewilligten Ausgaben dennoch aus eigener Machtvollkommenheit zu verfügen. Das Herrenhaus ging, in freiwilliger Unterwerfung unter die Maßnahmen der Regierung, noch einen Schritt weiter, indem es nicht nur den Etat für 1862 in der Fassung des Abgeordnetenhauses verwarf, sondern in derjenigen der Regierungsvorlage ohne weiteres annahm. Das war der Conflict in ausgesprochener Form. Die Verfassungsverletzung schien den Gegnern der Regierung offenbar, und die Kunde davon drang mit Blitzesschnelle durch das Land, überall einen Sturm von Aufregung hervorrufend.

    Auf beiden Seiten, hüben und drüben, vergrößerte man durch entstellte Berichte und übertriebene Alarmnachrichten die Spannung. Auch der Kronprinz blieb nicht unberührt von der Aufregung. Man bestürmte ihn förmlich mit Briefen, Denkschriften; man warb um seine Gunst, um seine Hülfe, sowol im Lager des Fortschritts, wie in dem der Feudalen; sein politisches Tact- und Zartgefühl, sein Mannesmuth und seine Ueberzeugungstreue wurden auf die härteste Probe gestellt; aber er bewahrte in dieser schweren Zeit der Krisen|seine Besonnenheit und Ueberlegenheit in bewunderungswürdiger Weise und beantwortete alle diese Anschreiben mit kühlen Empfangsbestätigungen, in geeigneten Fällen mit deutlichem Abwinken.

    Des Kronprinzen vortragender Rath entwickelte in jenen aufgeregten Tagen eine fieberhafte Thätigkeit. Dringender und dringender spricht er seinem gütigen Herrn die Bitte aus, den König zu warnen, ihn von der Auflösung des Abgeordnetenhauses zurückzuhalten, welche aus naheliegenden Gründen sowol von der linken wie von der rechten Seite des Hauses lebhaft gewünscht würde. Fand auch die Mahnung in des Prinzen Seele ein lebhaftes Echo, erfüllte ihn auch die immer trüber werdende Gestaltung der Lage des Staates mit tiefer Trauer, so konnte er doch die optimistische Meinung Duncker's nicht theilen. In einem eingehenden Schreiben vom 27. Mai 1863 theilte er diesem die Gründe mit, die ihn zu einer weiteren Passivität bestimmten. „Auf bloße Vermuthung hin oder Gerüchten Glauben schenkend, den König vor Verfassungsverletzungen zu warnen, würde diesen mit Recht erbittern. Die Minister würden schon ein passendes Kleid finden, das rechtlich wenigstens unbestreitbar ist, so daß ein directer Verfassungsbruch nicht in die Augen springt. Habe ich die Katastrophe vom März 1862 nicht hindern können, bis zu der ich inclusiv thätig und rückhaltlos liberal war, so werde ich auch heuer, wo ich zurückhaltend und neutral passiv lebe, ebenfalls nichts erreichen und nichts verhindern, was in der Macht der selbsterlaubten und selbst heraufbeschworenen Dinge beruht“.

    Der Brief spiegelt auch in seinen übrigen Theilen die schweren Seelenkämpfe wieder, von denen das treue Herz des Kronprinzen in der letzten Zeit heimgesucht worden war. Seinem königlichen Vater ein ergebener und liebender Sohn, aber auch an dem Volke, das er einst regieren sollte, mit Liebe hängend, und den Wünschen und Forderungen der neuen Zeit Rechnung tragend, hatte er in seiner wahrheitsuchenden Seele einen schweren Conflict zu bestehen. Da er in seinem geraden Herzen verschmäht „eine Sprache zu führen, die doch eine kunstvolle sein müßte“, so duldet er still und verurtheilt sich selbst zu der Rolle einer thatenlosen Zurückhaltung, die ihm nur zur Ehre gereichen konnte.

    Dennoch aber waren die Verhältnisse stärker als er. Jener Brief Duncker's hatte ihn mächtig ergriffen und klang in seinem erregten Herzen nach. Am 31. Mai 1863 hatte er eine militärische Inspectionsreise nach Ostpreußen anzutreten. Er wollte nicht abreisen, ohne zuvor im Sinne Duncker's dennoch einen Versuch der Beschwichtigung der gefahrdrohenden Lage zu machen. Er that dies noch an demselben Tage in einem Briefe an seinen königlichen Vater, worin er diesen mit warmen Worten bat, im Hinblick auf die Stimmung im Lande irgendwelche Schritte zu vermeiden, die geeignet wären, die Gegensätze zu verschärfen. Dann begab er sich auf die Reise. In dem Zuge, den der Kronprinz benutzte, befand sich auch der damalige Oberbürgermeister von Danzig, Herr v. Winter. Der Prinz lud ihn unterwegs in sein Coupé, und es ist unschwer zu errathen, daß die Unterhaltung mit diesem politisch sehr temperamentvollen Manne nicht zur Beruhigung seiner Stimmung beigetragen hat. Freilich seine Befürchtungen waren auch nicht grundlos gewesen. Schon am Tage darauf veröffentlichte der „Staatsanzeiger“ jene unter dem Namen der „Preßordonnanzen“ bekannt gewordene Verordnung, die die Freiheit der Presse knebelte und einen Schrei der Entrüstung im ganzen Lande hervorrief. Der sonst so maßvolle Duncker charakterisirte diese Verordnung in einem vom 2. Juni datirten Schreiben, das er der ihrem Gemahl am Abend desselben Tages nach Graudenz nachfolgenden Kronprinzessin|mitgab, als „über das Napoleonische Preßgesetz noch weit hinausgehend". Dennoch warnt der treue Berather seinen Herrn vor Uebereilungen und Unvorsichtigkeiten und empfiehlt ihm für den Fall einer Verwahrung gegen die erlassene Verordnung die Anwendung der mildesten, loyalsten Form. In diesem Sinne hatte der Kronprinz unterm 4. Juni an seinen königlichen Vater geschrieben und aus seinem eigenen Sohnesherzen hinzugefügt, „er wisse, was er thue, und der Schmerz sei ihm bekannt, den er Sr. Majestät bereite“.

    Er empfand es in tiefster Seele als eine ihm angethane Demüthigung, daß man es unterlassen, ihn zu den betreffenden Berathungen des Staatsministeriums hinzuzuziehen. Seine heftige Gegnerschaft beim Erlaß dieser Verordnung fürchtend, hatte man es nicht für rathsam gehalten, ihn von dem geplanten Schritte zu verständigen. Die Gerüchte von beabsichtigten weiteren Verschärfungen der Unterdrückungsmaßregeln, von Erlassen gegen Beamte und Vereine, die fast unglaublich klingende Nachricht, Bismarck habe den Rath gegeben, falls eine Stellvertretung durch des Königs angegriffene Gesundheit nothwendig werden würde, diese mit Uebergehung des Kronprinzen dem Prinzen Karl zu übertragen, verschärfte die politische Aufregung noch mehr, und so konnte es nicht überraschen, daß nicht nur die Freunde einer freiheitlich gerichteten Politik, sondern selbst viel weiter rechts stehende, unbeeinflußte Männer und ehrliche Regierungsfreunde, die sich nicht den Blick hatten trüben lassen, den Kronprinzen für ein kräftiges Eintreten im Sinne der Verfassung zu gewinnen suchten. War es ein Wunder, daß des Kronprinzen fürstlicher Stolz sich aufbäumte gegen den selbstherrlichen Ministerpräsidenten, daß er noch unter dem frischen Eindruck jener gegen die Presse unternommenen Gewaltmaßregeln und in dem berechtigten Drange, dem Lande gegenüber auszusprechen, daß er den Maßnahmen der Regierung fernstehe, sich zu einem Schritte hinreißen ließ, der, weil er ihn in einen ausgesprochenen Gegensatz zu seinem königlichen Vater brachte, die Gemüther in große Aufregung versetzte? War ein solcher Schritt nicht menschlich verzeihlich, und entsprach er nicht seinem offenen ehrlichen Wesen, der Wahrhaftigkeit seines redlichen Herzens?

    Am 5. Juni war Friedrich Wilhelm in sehr erregter Stimmung in Danzig eingetroffen. Gelegentlich seiner Begrüßung durch den Oberbürgermeister v. Winter legte dieser dem Kronprinzen mit eindringlichen Worten die Bitte ans Herz, für die verletzte Verfassung einzutreten. Kein Augenblick könne günstiger dazu sein, als der gegenwärtige. Lange überlegte der Kronprinz das Für und Wider des von ihm geforderten Schrittes; aber nach heftigen Gemüthsbewegungen kam er zu der Ueberzeugung, daß die Lage der Dinge eine Gefahr nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft des Vaterlandes und seines Herrscherhauses bedeute, und daß er um seiner Stellung als Thronfolger, sowie auch um der Zukunft seiner Kinder willen nicht schweigen dürfe, sondern die Pflicht habe, offen vor dem Lande seiner Mißbilligung Ausdruck zu geben. So sprach er denn am 5. Juni auf dem Danziger Rathhause jene verhängnißvollen Worte, die noch lange in dem aufgeregten Lande nachhallen sollten: „Auch ich beklage, daß ich zu einer Zeit hergekommen bin, in der zwischen Regierung und Volk ein Zerwürfniß eingetreten ist, das zu erfahren, mich im hohen Grade überrascht hat. Ich habe von den Verordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt. Ich war abwesend. Ich habe keinen Theil an den Rathschlägen gehabt, die dazu geführt haben. Aber wir alle und ich am meisten, der ich die edlen Intentionen und die hochherzigen Gesinnungen Sr. Majestät des Königs am besten kenne,|wir alle haben die Zuversicht, daß Preußen unter dem Scepter Sr. Majestät der Größe sicher entgegengeht, die ihm die Vorsehung bestimmt hat“.

    Diese Erklärung begegnete in den der Regierung und dem Ministerium nahestehenden Kreisen heftigem Widerspruch, während sie in den weitesten Kreisen des Volkes freundliche Aufnahme fand. Der König selbst, der in den Vermittlungsschritten seines Sohnes, vor allem in der Danziger Rede eine Auflehnung gegen die Krone, insbesondere den obersten Kriegsherrn, erblickte, hatte dem Sohne in einem sehr ernst gehaltenen Schreiben vom 7. Juni auf dessen Brief vom 4. geantwortet, und mit dieser Antwort zugleich eine sehr scharf gehaltene Kritik der in Danzig gesprochenen Worte verbunden. Man hatte, bald nachdem der Telegraph die Kunde von der in Danzig eingelegten Verwahrung des Kronprinzen nach Berlin getragen, allen Ernstes Berathungen gepflogen, was gegen einen solchen Widerstand des Thronfolgers zu thun, und ob es nicht gerathen sei, vom Standpunkte militärischer Disciplin strenge Maßregeln gegen ihn zu ergreifen. Wirklich hatte der König einen Augenblick auf dem Punkte gestanden, den Sohn seiner militärischen Commandos zu entheben, und der Brief des Königs vom 7. Juni enthielt außer einer strengen Rüge auch Drohungen und Forderungen hinsichtlich des ferneren Verhaltens des Kronprinzen. Aber wenn auch leidenschaftliches Wollen ebensowenig in des Kronprinzen Natur lag wie hartnäckiges Beharren, wenn sein edles Herz auch ebenso ehrlich wie weich war, ebenso empfänglich für Recht und Ehre, wie nachgiebig gegen die Regungen sanfterer Gefühle, so dachte er doch keinen Augenblick daran, von der von ihm ausgesprochenen Verwahrung, die seiner innersten Ueberzeugung entsprach, ein Wort zurückzunehmen. Er beantwortete das Schreiben seines königlichen Vaters in würdiger Weise, bat darin demüthig um Verzeihung, daß er Seiner Majestät solchen Kummer bereitete, konnte aber im übrigen nicht umhin, dem Befehle Sr. Majestät die Entbindung von seinen sämmtlichen militärischen und staatsrechtlichen Stellungen anheimzustellen. Er habe angesichts von Maßregeln, die ihm so gefährlich erschienen seien, für sich und seiner Kinder Zukunft nicht besser zu handeln gewußt. Auch darüber, daß ihn der Ministerpräsident über den beabsichtigten Erlaß jener Preßordonnanzen in völliger Unkenntniß gelassen, gab er seiner Entrüstung noch einmal Ausdruck.

    Der König konnte und wollte es nicht auf das äußerste ankommen lassen. Von dem förmlichen Bruch hielt ihn einestheils die Liebe zu dem einzigen Sohne, andrerseits die Scheu vor dem üblen Eindruck zurück, den eine solche Nachricht in dem ohnehin aufgeregten Lande hervorgebracht hätte. Er überging in seinem königlichen Antwortschreiben das Demissionsgesuch seines Sohnes sowie die Anklage gegen Bismarck mit klugem Stillschweigen, erklärte ihm aber nach einem strengen Verweise, „daß er als Kronprinz öffentlich Opposition getrieben“, er wolle auf das von demselben gegebene Versprechen, fernere Aeußerungen zu unterlassen, eingehen und versicherte ihm endlich, daß er unter diesen Umständen „in väterlicher Liebe aber mit königlichem Ernste das Geschehene verzeihen wolle“.

    So war die Versöhnung zwischen Vater und Sohn wiederhergestellt; auch die verhaßten Preßordonnanzen, die einen solchen Entrüstungssturm im Lande hervorgerufen, sollten infolge des Widerspruchs des Landtages zurückgenommen werden. Aber dem Kronprinzen war es fürs erste verleidet worden, an der weiteren Entwicklung der öffentlichen Dinge theilzunehmen. Da er auch mit der erneuten Auflösung des Landtages vom 3. September nicht einverstanden war, bat er den königlichen Vater, wie er selbst in einem bemerkenswerthen|Schreiben vom 6. September 1863 an Herzog Ernst II. von Coburg berichtet, ihm zu gestatten, von den Ministerialsitzungen fernbleiben zu dürfen.

    Hatten die Minister, die ihn bei Seite gedrückt, ihm die Mitarbeit an der inneren Politik gründlich verleidet, so verfolgte der Kronprinz die Entwicklung der auswärtigen Politik mit um so regerem Interesse. Der von Oesterreich in Scene gesetzte Fürstentag in Frankfurt a. M. sollte sogar eine politische Mission für ihn im Gefolge haben. Oesterreich hatte, ermuthigt durch die innere Zerfahrenheit in den Zuständen Preußens und im Bewußtsein des Rückhaltes, den es der russenfreundlichen Politik Preußens wegen an Frankreich hatte, im Sommer 1863 den kecken Versuch gemacht, die Lösung der deutschen Frage und die Führung der ihm selbst ganz unsympathischen deutschen Einheitsbewegung Preußen aus der Hand zu reißen. Auf dem für den 16. August 1863 nach Frankfurt zusammenberufenen Fürstencongreß sollte durch einen großen „Reformplan“ für die deutsche Bundesverfassung Preußen endgültig überboten und damit der Versuch gemacht werden, es womöglich ganz aus dem Bunde auszuschließen, oder seinen Einfluß in demselben lahmzulegen. Kaiser Franz Josef hatte in Gastein den Versuch gemacht, den König von Preußen für seine Pläne zu gewinnen und ihn zu bestimmen, sich selbst an dem Fürstencongreß zu betheiligen. Bismarck theilte in diesem Falle die Ansicht Duncker's und rieth dem Könige, durch Fernbleiben von der Versammlung das sogenannte „Reformwerk“ Oesterreichs gänzlich zu vereiteln. Der König wollte in dieser wichtigen Frage nichts Entscheidendes thun, ohne den künftigen Thronfolger zu Rathe zu ziehen. Er berief Anfang August 1863 den Kronprinzen nach Gastein, der dem Vater den vermittelnden Rath gab, sich nach Frankfurt zu begeben, um unter offener Darlegung der preußischen Ziele die deutschen Fürsten für eine Reform des Bundes im Sinne Preußens zu gewinnen. Er wollte vor allen Dingen einen Bruch mit den deutschen Fürsten vermeiden. Nach längerem Erwägen folgte der König schließlich dem Rathe seines Ministerpräsidenten und blieb dem Fürstencongreß gänzlich fern. Das mit so vielem Geräusch von Oesterreich in Angriff genommene „Reformwerk“ verlief im Sande.

    Der Kronprinz hatte aus seiner Meinung über den Fürstentag kein Hehl gemacht. Schon das bloße Zustandekommen hatte er als einen wichtigen Schritt zur weiteren Förderung der deutschen Einheitsbestrebungen betrachtet. So im Anfange mit großen Hoffnungen erfüllt und nur dem Bedauern Ausdruck gebend, daß die Anregung nicht von Preußen ausgegangen sei, hatte ihm der Gang der Verhandlungen, die die selbstsüchtigen Absichten Oesterreichs mehr und mehr entschleiert hatten, allmählich die Augen darüber geöffnet, daß durch ein Handinhandgehen mit dem mächtigen Rivalen die deutschnationale Idee sich niemals in ersprießlicher Weise verwirklichen lasse. Für die Beurtheilung seiner Auffassung ist ein an seinen Oheim, Herzog Ernst II. von Coburg, gerichtetes Schreiben vom 6. September 1863 von hoher Bedeutung. Es zeigt die interessante Thatsache, daß der Kronprinz mit dem deutschen Ministerpräsidenten hinsichtlich der deutschen Frage schon damals durchaus nicht so entgegengesetzter Ansicht war, wie es den Anschein hatte. Wie Bismarck, so erblickte auch Friedrich Wilhelm das zukünftige Heil Deutschlands in der Führung Preußens. Der Gedanke eines „mehrköpfigen Directoriums“ ist ihm ungeheuerlich. „Man nenne es Alternat, Coordinirung oder wie man es wolle, nie wird Deutschland Segen von jenen beiden Rivalen ernten, so lange beide ihren Einfluß gleich geltend machen wollen.“ Die Ziele der beiden Männer waren dieselben; nur in der Wahl der Mittel gingen ihre Ansichten weit auseinander. Bismarck's gewaltige Kraftnatur, seine weitschauende, die Fäden der Diplomatie mit Leichtigkeit entwirrende, alle ihm entgegenstehende Hindernisse energisch bei Seite schiebende Politik drängte ihn von selbst von dem Wege einer friedlichen Lösung der deutsch-nationalen Frage ab. Daß der Kronprinz damals noch den ungleich sympathischeren Weg für möglich hielt, Preußen durch freiheitlich gerichtete, den Wünschen des Volkes Rechnung tragende Reformen die Neigung der übrigen deutschen Bundesstaaten zu erwerben und dadurch eine friedliche Entwicklung der Dinge herbeizuführen — wer wollte den edlen Mann, der das Gute redlich gewollt, darob tadeln?

    Das Jahr 1863 mit seinen Kämpfen und Krisen näherte sich seinem Ende, mit ihm ein deutlich wahrnehmbarer Abschnitt im Leben des Kronprinzen. Sein Werdegang war vollendet. Die letzten Ereignisse hatten ihn gefestigt und geklärt, seine Menschenkenntniß erweitert und ihm gezeigt, daß ein Staatsmann, ein Fürst mit einem Herzen voll Liebe und Güte allein nicht auskomme, daß er mit tausend anderen Ginflüssen zu rechnen habe. Sein unter ausgezeichneten Lehrern erworbenes, auf der Hochschule zu Bonn vertieftes Wissen, seine durch die Arbeiten in den Ministerien gewonnene Einsicht, durch weite Reisen erweiterte Welt- und Menschenerfahrung, war unter dem Einfluß der aufregenden Ereignisse der Conflictszeit und unter der sicheren Führung seines trefflichen Berathers, Max Duncker, noch durch etwas anderes ergänzt worden: durch die diplomatische Schulung. So stand er am Ende seines Werdeganges da als ein Mann, geliebt von dem Volke, das die Hoffnungen der Zukunft auf ihn setzte; in seinem Innern gefestigt und gestärkt und durch heiße Kämpfe vorbereitet auf die Dinge und Ereignisse der Zukunft, die in ihrem dunklen Schoße die Keime zu großen, gewaltigen Begebenheiten bargen.

    1864—1871.

    Der Krieg gegen Dänemark im J. 1864 brachte dem Kronprinzen durch sein freundschaftliches Verhältniß zu dem Herzog Friedrich von Augustenburg einen neuen seelischen Conflict. Als im November 1863 mit Friedrich VII. das dänische Königshaus erlosch und sein Nachfolger, Christian IX., aus der Glücksburger Linie, gedrängt durch die Wühlereien der eiderdänischen Nationalpartei, das vom dänischen Reichsrath angenommene „Grundgesetz“ vollzog, das die Einverleibung Schleswigs in den dänischen Staatenverband zur Forderung erhob, ging ein Schrei der Entrüstung durch die deutschen Lande. Die Frage der Elbherzogthümer war aber durch den Umstand noch verwickelter geworden, daß gegen die Erbfolge des neuen Dänenkönigs, die auf dem Londoner Protokoll beruhte, der Erbprinz Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg Einspruch erhob (s. den Artikel). Am 21. November hatte er — ebenso wie König Christian IX. von Dänemark — dem deutschen Bunde seinen Regierungsantritt in den Herzogthümern angezeigt. Um die Besitzergreifung auch äußerlich als solche zu kennzeichnen, hatte sich dann Prinz Friedrich von Augustenburg nach Kiel begeben. Von der Volksstimmung in den schleswigholsteinischen Landen wurde er aufs lebhafteste unterstützt, auch auf die Zustimmung der Mehrheit des deutschen Bundestages konnte er mit voller Sicherheit rechnen. Dazu kam der Einfluß der öffentlichen Meinung, auf die sich wesentlich auch die Majorität des preußischen Abgeordnetenhauses stützte, und die auch in Süddeutschland mächtig war. Ebenso erschien die Politik Frankreichs offenbar dem Erbprinzen nicht ungünstig. Dazu sicherte ihm die Verwandtschaft seiner Gemahlin mit dem englischen Königshause die — wenn auch nur persönliche — Zuneigung der Königin Victoria.

    Auch Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte von Anfang an zu den wärmsten Freunden und Vertretern der Augustenburgischen Bestrebungen gehört. Es war nicht sowol das Eintreten für den Grundsatz der Legitimität, nach dem das angestammte, von den Vorfahren wohl erworbene Recht dem Enkel nicht verkümmert werden dürfte, als das ritterliche Pflichtgefühl, das ihn hierbei leitete, einem deutschen Fürsten zur Besteigung eines deutschen Thrones zu verhelfen und dadurch dem deutschen Namen und der deutschen Sache bleibenden Gewinn einzutragen. Die durch seine Gemahlin vorliegenden verwandtschaftlichen Beziehungen standen durchaus in entfernter Richtung. Von dieser Auffassung aus hatten seine Sympathien gleich vom Tage an, da König Friedrich VII. die Augen schloß, dem Prinzen Friedrich von Augustenburg zugehört, und es stand ihm fest, daß Preußens Pflichten dahin gingen, nunmehr nicht nur die endgültige Trennung der Herzogthümer von Dänemark, sondern auch die Einsetzung des Erbprinzen als ihres Herzogs zu erzielen.

    Als Friedrich Wilhelm Mitte December 1863 mit seiner Gemahlin von einem Besuch aus England zurückkehrte, hatte er auf der Rückfahrt im Eisenbahncoupé eine längere eingehende Unterredung mit dem Erbprinzen von Augustenburg, bei welcher Gelegenheit der Kronprinz dem Freunde versprach, von ganzem Herzen das Seine zu thun, ihm und seinen Hoffnungen die Unterstützung seines königlichen Vaters und der preußischen Regierung zu gewinnen, ein Versprechen, das er mit der vollen Wärme seines großmüthigen Herzens zu erfüllen versucht hat, bis die Erkenntniß, daß die Verhältnisse in der Politik mächtiger seien als die Menschen, ihn zu der Ueberzeugung führte, auch ein preußischer Kronprinz müsse sich vielem fügen, was er gern zu anderer Entwicklung gebracht hätte. Als der Kronprinz zum Weihnachtsfeste 1863 in Berlin eintraf, fand er die Ereignisse bereits in vollem Gange; die entscheidenden Entschlüsse waren während seiner Abwesenheit gefaßt worden und wurden mit ungewöhnlicher Energie zur Ausführung gebracht. Keine Verständigung mit Dänemark war erfolgt; die zur Execution in Holstein bestimmten Bundestruppen standen an der Grenze.

    Auf den Antrag des Kronprinzen, den Feldzug im Hauptquartier des Oberstcommandirenden der österreichisch-preußischen Armee, Feldmarschalls v. Wrangel, mitzumachen, hatte der König bejahend geantwortet. Friedrich Wilhelm hatte seinen Entschluß ganz aus freiem Antriebe gefaßt; viele hatten ihm abgerathen, am entschiedensten die Königin Augusta. Seine intimen Beziehungen zum Erbprinzen von Augustenburg machten es ihm schwer genug, in den Herzogthümern aufzutreten, denn er durfte den Freund, der immer mehr Preußens Gegner wurde, nicht sehen; ja er mußte, er mochte wollen oder nicht, die Augen des Volkes von jenem ab auf sich ziehen. Auch die Gothaer Politiker, deren Anschauungen der Prinz im allgemeinen theilte, sahen es ungern, daß er sich auf den Kriegsschauplatz begeben wollte. Die Erinnerungen an die Märztage von 1848, an die Olmützer Demüthigung, an den Rückzug in der Neuchâtelschen Streitsache und an den traurigen Ausgang der sogenannten „Neuen Aera“ hatten das Selbstvertrauen geschwächt und bei Vielen den Glauben an den Muth der Regierung erschüttert; von Bismarck's Kraft und Geist ahnten damals doch nur Wenige. Daß „es wieder zu nichts kommen werde“, war eine so verbreitete Ansicht, daß manche wohlmeinende Personen den Wunsch aussprachen, der Kronprinz möchte sich nicht an einem Unternehmen betheiligen, das doch nur mit einem Fiasco endigen würde. Die Kronprinzessin dagegen begriff sofort, daß ihr Gemahl bei dem bevorstehenden kriegerischen Unternehmen nicht fehlen dürfe. Der Zweifel an einem Zusammenstoß war so verbreitet und schien so begründet, daß der Adjutant des|Kronprinzen, Major v. Schweinitz, Herrn v. Bismarck bat, er möge ihn noch bis zum letzten Augenblicke vor der Abreise Seiner Königlichen Hoheit von der Lage der Dinge an der Eider in Kenntniß erhalten; denn es wäre unerfreulich, wenn der Thronfolger zu Felde zöge, um nach ein paar Tagen zurückzukehren, ohne die Feuertaufe erhalten zu haben. Infolge dieser Besprechung theilte Herr v. Bismarck dem Major v. Schweinitz in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1864 in einem Handschreiben mit, daß die Dänen keine Anstalt machten, Schleswig zu räumen; „er stecke zwar nicht in der dänischen Seele, aber er nehme bis jetzt an, daß ihr Körper sich schlagen werde“. Der Entschluß des Kronprinzen war gefaßt. In der Frühe des folgenden Tages reiste er ab und traf bereits am Abend des 31. Januar im Hauptquartier zu Bordesholm ein.

    Schon in den ersten Tagen des Feldzuges boten die eigenthümlichen Verhältnisse im Hauptquartier des Feldmarschalls v. Wrangel dem Kronprinzen Gelegenheit, militärisch-diplomatische Eigenschaften zu zeigen, die Fernerstehende ihm nicht zugetraut hatten. Namentlich in militärischen Kreisen glaubte man weder kühne, noch schnelle Entschlüsse von dem Prinzen erwarten zu dürfen, und von seinem Urtheil über strategische und taktische Dinge hatte man keine hohe Meinung; ja, es hatte sich unter einem Theil der Gardeofficiere die völlig irrige Meinung gebildet, daß er kein Interesse an dem Kriegsdienst hege, daß er kein Soldat sei. Wenn es heut unbegreiflich erscheint, daß eine so falsche Vorstellung Boden fassen konnte, so muß daran erinnert werden, daß in jener Zeit die Blicke der militärischen Jugend bewundernd auf Prinz Friedrich Karl ruhten. Ja, es ist eine unbestreitbare Thatsache, daß dieser seinen kronprinzlichen Vetter im Anfang der 60er Jahre in den Schatten stellte, obwol Friedrich Wilhelm weder an militärischer Strammheit noch an Diensteifer irgend etwas vermissen ließ. Für die nächste Umgebung des hohen Herrn war es nun eine Freude zu beobachten, wie die höheren Officiere im Hauptquartier einer nach dem andern die Entdeckung machten, daß sie sich geirrt hatten. Mit jedem Tage wuchs das Ansehen des Kronprinzen bei Preußen und Oesterreichern, und das Vertrauen, das er einflößte, zeigte sich besonders darin, daß in den nicht seltenen Fällen kleiner Mißhelligkeiten seine Vermittlung gesucht wurde. Obwol er große Zurückhaltung beobachtete, und dem greisen Feldmarschall viel Ehrerbietung erwies, wurde der Prinz bald die maßgebende Persönlichkeit im Hauptquartier. Wenn er hierbei zunächst durch seinen Tact und seine milde Würde sich nützlich machte, ohne in den Vordergrund zu treten, so kamen doch auch Momente und Situationen, in die er, ohne den Feldmarschall zu verletzen, entscheidend eingriff. In der Folge sollten seine Ansichten einen derart wachsenden Einfluß gewinnen, daß kaum ein wichtiger Entschluß gefaßt wurde, ohne sich vorher seines Einverständnisses zu versichern. Nichts kann für die Beurtheilung der Schwierigkeiten, die der Kronprinz in seinem Verhältniß zu Wrangel oft zu überwinden hatte, so charakteristisch sein, als jene Zeit zu Mitte des Monats Februar 1864, da der Feldmarschall in der an sich durchaus richtigen Erkenntniß der militärischen Lage die Ausdehnung der Operationen auch auf Jütland gefordert, auf Einspruch Oesterreichs aber von Berlin aus den Befehl erhalten hatte, die Grenze jener dänischen Provinz vorläufig noch nicht zu überschreiten. Es bedurfte bekanntlich erst längerer persönlicher Unterredungen mit Kaiser Franz Josef in Wien, die Generallieutenant v. Manteuffel, der spätere Feldmarschall, sehr geschickt zum gewünschten Ziele zu führen wußte, um den österreichischen Diplomaten einen ganzen Haufen von Bedenken und Aengsten wegen der neutralen Mächte zu nehmen. Für die Bedeutung der|Vorsicht, mit der in dieser Sache vorgegangen werden mußte, hatte der Feldmarschall keine richtige Vorstellung. Er erinnerte sich jener lahmen Kriegsführung der Bundestruppen im August 1848 und war jetzt entschlossen, den erhaltenen Befehl nicht zu beachten, sondern den Wirrknoten der Diplomatie einfach mit dem Schwerte zu durchhauen. Dementsprechend telegraphirte er, ohne seiner Umgebung Einsicht darin zu gewähren, direct an den König nach Berlin — noch dazu ohne Benutzung von Chiffern und ganz in dem derben Stile, der ihm eigen war —, daß diese Diplomaten, die die schönsten Operationen störten, den Galgen verdient hätten, und dergleichen Liebenswürdigkeiten mehr. Anderen Tages — es war am 17. Februar — eilte er von Apenrade nach Hadersleben, um persönlich den Einmarsch zu leiten, dessen Vorbereitung er möglichst geheim zu halten versucht hatte. Als der Kronprinz dennoch durch General v. Falkenstein davon erfuhr, fing er den mit den Anweisungen Wrangel's betrauten Obersten Flies auf seinem Rückwege vom Wrangel’schen Hauptquartier in einer Seitengasse ab und ertheilte ihm den Befehl, die jütische Grenze nicht zu überschreiten. Wrangel war nun zwar zum Nachgeben gezwungen, hatte aber die Genugthuung, daß der Einmarsch dennoch, wenn auch unbefohlen, erfolgte. Eine Abtheilung Gardehusaren vom Vortrabe der Armee war mit einem Haufen der Dänen handgemein geworden, hatte bei der Verfolgung die Grenze, ohne sie zu kennen, überschritten, und die Stadt Kolding tatsächlich besetzt. Als nun infolge der erhaltenen Weisung Wrangel wieder den Gegenbefehl gab, Kolding zu räumen, hatte der Kronprinz die richtige Empfindung, daß ein Zurückziehen der Truppen einen schlechten Eindruck auf sie machen würde und militärisch nicht zu billigen sei. Auch in diesem Falle gelang es dem Kronprinzen noch im letzten Augenblick, den mit der Ueberbringung der Ordre betrauten Officier abzufangen und den Befehl zu inhibiren.

    Es war erklärlich, daß der Ernst der Lage auf die Dauer so sachwidrige und unter Umständen höchst kritische Verhältnisse in der obersten Leitung der verbündeten Heere nicht ertragen konnte. Es erging daher schließlich die Allerhöchste Cabinetsordre an den Feldmarschall, daß die Mitbetheiligung des Kronprinzen an den Geschäften des Armeecommandos jetzt einen officiellen Charakter erhalten, und dem Kronprinzen von allen erhaltenen Befehlen und eingegangenen Meldungen ausführliche Meldung gemacht werden sollte. Dem Feldmarschall war aufgegeben, von seinen Plänen und Absichten nichts verborgen zu halten; kein Schreiben oder Telegramm militärischen Inhalts sollte ohne Vorwissen und vorherige Rücksprache mit dem Kronprinzen erlassen werden. Unter so veränderten Umständen verstand es sich von selbst, daß der Kronprinz in diesem Feldzuge dem eigentlichen Kampfgewühle ferner blieb, als es seinem Thatendurste lieb war.

    Hinsichtlich der Operationen gegen die Düppeler Schanzen war der Kronprinz mit der langen Verzögerung des Sturmes nicht einverstanden. Seinem jugendlichen Thateneifer schien das lange Hinausschieben einer entscheidenden Action für das militärische und politische Ansehen Preußens nicht zuträglich. „Es gibt in der gegenwärtigen Kriegslage kein wichtigeres Kriegsobject als den Ruhm der preußischen Armee“, so hatte Manteuffel an Roon geschrieben. Im Einverständniß mit diesen beiden Männern hatte der Kronprinz seinem Vetter, dem Prinzen Friedrich Karl, der sich für den Sturm auf Düppel zu schwach fühlte, gelegentlich einer Zusammenkunft die Aufbietung seines ganzen Einflusses versprochen, den Vetter mit 3 bis 4 Regimentern zu unterstützen. Sofort hatte er den Befehl erwirkt, daß die Gardedivision, die man bisher in Jütland verwandte, nach Düppel geschickt wurde; die Truppen|hatte er direct benachrichtigt, so daß sie, als Wrangel's Befehl anlangte, schon bereit standen und sofort den Marsch — es ist der berühmte Gewaltmarsch von 12 Meilen in 2 Tagen — antreten konnten. So half er der mangelnden Energie auf.

    Daß Friedrich Wilhelm ein Freund schneller und kühner Entschlüsse war, bewies er schon in diesem Kriege noch bei einer anderen Gelegenheit. Der damalige Generalstabschef des Prinzen Friedrich Karl, Oberst v. Blumenthal, hatte, des langen Zögerns und Versteckspielens der Dänen überdrüssig, seine Aufmerksamkeit auf einen Plan gelenkt, dessen rechtzeitige Ausführung vielleicht damals schon geeignet gewesen wäre, die volle Entscheidung des Krieges herbeizuführen. Es war der schon für Ende März geplante Uebergang nach der Insel Alsen; man hoffte durch diese unerwartete Waffenthat den Feind zu überraschen und dem unzweifelhaft viele Opfer erfordernden Sturme auf die Düppeler Schanzen aus dem Wege zu gehen. Der dadurch nicht ausgeschlossene artilleristische Angriff auf die Düppelstellung sollte dann mehr dazu dienen, den Gegner festzuhalten. Der Kronprinz war sofort Feuer und Flamme für diesen Plan und von dem Erfolg von vornherein überzeugt. Nicht ohne seine Einwirkung gewann auch der anfänglich zögernde Prinz Friedrich Karl immer mehr Vertrauen zu dem Uebergang und gab dieser zuversichtlichen Auffassung in einem an den König gerichteten Schreiben vom 24. März Ausdruck. Selbst eine geringere Unterstützung seitens der preußischen Flotte vorausgesetzt, könne, wenn nur das Wetter dem Unternehmen günstig wäre, an dem Gelingen nicht gezweifelt werden. Alles schien dem Plane günstig, hatte doch Blumenthal selbst, unter dem Vorwande von Pionierübungen, die Kähne häufig ins Wasser setzen und alles für den Ernstfall vorbereiten lassen. Aber die Ungunst der Elemente vereitelte das kühne Unternehmen für dieses Mal.

    Schon in diesem Feldzuge, der dem Kronprinzen eine unmittelbare Führerrolle nicht zuwies, verstand er es, durch seine Persönlichkeit auf die Massen einzuwirken. Mit seiner Frische und schnellen Begeisterungsfähigkeit, mit der Gabe, durch ein schlagfertiges, oft humorvolles Wort den gesunkenen Muth nach großen Strapazen oder Mißerfolgen zu heben, riß er die Truppen in entscheidenden Momenten unwiderstehlich mit sich fort. Mit athemloser Spannung sehen wir ihn an dem ruhmvollen Tage der Erstürmung der Düppeler Schanzen auf dem Dünther Observatorium in der Mitte des Obercommandos den Verlauf des aufregenden Kampfes beobachten. Das Auge des herrlichen Königssohnes entflammte die vorbeiziehenden Truppen zu glühender Begeisterung. Als ihm dann nach der furchtbaren Blutarbeit eine Ordonnanz die Meldung bringt, daß sämmtliche Schanzen in den Händen der Preußen seien, da wirft er sich, alles um sich her vergessend, auf sein Roß, um über Broacker auf das Gefechtsfeld nach dem Spitzberge zum Prinzen Friedrich Karl vorzudringen. Seine Augen leuchteten voller Siegesfreude, als er auf dem Wege dahin an dem ihm wohlbekannten Maler Professor W. Camphausen vorübersprengte und ihm dabei in seiner frischen Weise zurief: „Alle Schanzen genommen; jetzt geht's nach Sonderburg!“ Auf dem Spitzberge angekommen, umarmt er neidlos den Sieger von Düppel. Dann dankte er in einer feurigen Ansprache den heldenmüthigen Truppen. „Ihr seid ja wahre Eisenfresser!“ ruft er den braven Fünfunddreißigern zu.

    Mit dem Sturme auf Düppel schloß die eigentliche Theilnahme des Kronprinzen an diesem Feldzuge ab. Feldmarschall v. Wrangel wurde nach Berlin zurückberufen, die Führung der Verbündeten ging auf Prinz Friedrich Karl über; ein längerer Waffenstillstand begann. Mit dem Personenwechsel im Obercommando endigte naturgemäß auch des Kronprinzen Aufgabe bei|diesem. Er begleitete den Feldmarschall nach Berlin. Am 12. Mai trat er die Rückreise an, auf der er am 14. Mai in Hamburg noch eine sehr denkwürdige Unterredung mit dem Erbprinzen von Augustenburg hatte, wol mit dem besten Willen, ihm zum Ziele seiner Wünsche zu verhelfen, leider aber ohne den Erfolg, daß der Prinz das volle Gewicht der Ereignisse erfaßte, die sich soeben abgespielt hatten und die noch bevorstanden. Der 17. Mai 1864 sah den Prinzen wieder im Kreise der Seinigen, dies Mal im frisch grünenden Lorbeer des heimkehrenden Kriegers. Als Zeichen der Anerkennung für die von ihm so reich bewiesene Hingabe an der Lösung der Aufgabe, die ihm der schleswig-holsteinische Krieg gebracht hatte, ernannte der König den Kronprinzen unter dem 18. Mai zum commandirenden General des II. Armeecorps, des pommerschen, sodaß ein neues Band ihn an die Provinz fesselte, deren Statthalter er schon seit dem 27. Januar 1861 war.

    Als am 22. August 1864 die beiden siegreichen Monarchen in Schönbrunn zusammentrafen, um gemeinschaftlich mit den maßgebenden Staatsmännern über die Grundlagen eines ferneren Zusammengehens zu verhandeln, schien über alle zur Sprache kommenden Punkte das beste Einvernehmen zu herrschen, nur nicht über den Siegespreis, die schleswig-holsteinschen Lande. Preußen hatte sich durchaus nicht abgeneigt erklärt, den Herzog von Augustenburg als regierendes Haupt der schleswig-holsteinschen Lande anzuerkennen, doch hatte es für seine Einwilligung die Erfüllung gewisser Bedingungen fordern zu müssen geglaubt, die in der Lage des preußischen Staatswesens tief begründet waren. Preußens Forderungen waren schon während des dänischen Krieges in einer Denkschrift des Kronprinzen vom 26. Februar 1864 in folgenden Punkten als sachlich begründet worden: Abschluß einer Militär- und Marineconvention mit Preußen, Beitritt zum Zollverein, Einräumung der Bundesfestung Rendsburg, Ueberlassung des Kieler Hafens als preußische Marinestation und die Erbauung eines Canals zwischen beiden Meeren, des späteren Nordostseecanals.

    Der Kronprinz hatte die Hoffnung gehegt, daß der Erbprinz auf diese Forderungen bereitwilligst eingehen würde, und der Ministerpräsident Otto v. Bismarck hatte am 1. Juni 1864 Abends zwischen 9 und 12 Uhr in seiner Wohnung eine Unterredung mit dem Erbprinzen, bei welcher es sich hauptsächlich um die von dem Kronprinzen in der erwähnten Denkschrift bezeichneten Punkte drehte. Die Erwartung des Kronprinzen fand sich indessen nicht bestätigt. Der Herzog von Augustenburg glaubte, nach Bismarck's Auffassung der Unterredung, seine uneingeschränkte Zustimmung zu diesen Bedingungen ablehnen zu müssen, im Hintergrunde die Hoffnung hegend, daß der Deutsche Bund und nicht zuletzt Oesterreich seine Bestrebungen mit Nachdruck unterstützen würde. Da der Ministerpräsident weitere Verhandlungen als aussichtslos betrachtete, so wurden nach dem Friedensschlusse des deutschdänischen Krieges die von den Kronprinzen empfohlenen Forderungen formulirt und unterm 22. Februar 1865 dem Wiener Hofe mitgetheilt.

    Die Zeit vom Wiener Frieden (30. October 1864) bis zum Frühjahr 1866 verfloß unter heißen diplomatischen Kämpfen. Nach der in Berlin am 28. Februar 1865 unter dem Vorsitz des Königs abgehaltenen Conferenz, zu der auch der Gouverneur von Schleswig und General v. Moltke hinzugezogen wurden, kam man zu der übereinstimmenden Ansicht, daß ein Zurückweichen in der Frage der Elbherzogthümer nicht ohne Kränkung der nationalen Ehre möglich sei, daß man daher auf dem bisher verfolgten Wege, selbst auf die Gefahr eines Krieges hin, fortschreiten müsse. Man glaubte in Wien mit|aller Entschiedenheit gegen das aufstrebende, von deutsch-nationalem Bewußtsein beseelte Preußen auftreten zu müssen, um es entweder zum Nachgeben oder zum Kriege zu zwingen. Dank der Thätigkeit des neu berufenen Ministers Mensdorff ließ Oesterreich nicht nur in den Herzogthümern jeder Agitation gegen Preußen freien Lauf, sondern forderte auch von dem nach seiner Pfeife tanzenden Bunde „bedingungslose Einsetzung des Herzogs von Augustenburg“. Da der König von Preußen diesen Bedingungen niemals zustimmen konnte, hielt Bismarck für den Fall, daß Oesterreich bei seinen Feindseligkeiten beharre, es für dringend geboten, sich in Kriegsbereitschaft zu setzen.

    So schien es schon im Laufe des Sommers 1865 zu einem feindseligen Zusammenstoß in Deutschland kommen zu sollen, als der Vertrag von Gastein „den Riß noch einmal verklebte“.

    Für den Kronprinzen und seine Familie waren jene Wochen und Monate eine trübe, unerquickliche Zeit. Seinem rechtlich denkenden Herzen, das den verschlungenen Wegen der Diplomatie immer am liebsten fern geblieben war, widerstrebte die Annexion der schleswig-holsteinschen Lande. Er war in seiner Denkschrift vom 26. Februar 1864 mit seinen Forderungen an den Erbprinzen von Augustenburg so weit gegangen, wie es sein preußisches, sein deutsches Herz von ihm erheischte. Von der Erwägung ausgehend, daß sein Vater selber im November 1863 die Rechte des Erbprinzen von Augustenburg „als nicht unbegründet" anerkannt hatte, vermochte er im Einklange mit weiten Kreisen des Volkes, unter denen sich zahlreiche Männer von bedeutendem Rufe und unzweifelhaft nationaler Gesinnung befanden, der Bismarck’schen Politik nur mit Besorgniß und Mißtrauen zu folgen. Der durch die Eigenmächtigkeit des Ministerpräsidenten früher so häufig von der Theilnahme an den Staatsgeschäften ausgeschlossene Thronfolger glaubte, in dem Vorschlage Bismarck's: „eine Reform der deutschen Bundesverfassung mit einem auf demokratischer Grundlage sich aufbauenden Parlamente“ zu schaffen, nichts anderes zu erblicken „als ein frevelhaftes Spiel mit den heiligsten Dingen“. Man hatte damals zu der genialen Staatskunst Bismarck's noch kein Zutrauen, weil man noch keine in die Augen springende Probe gesehen, und der Kronprinz selbst hatte bei dem gespannten Verhältnisse, welches lange Zeit zwischen ihm und dem selbstbewußt auftretenden Premier geherrscht, menschlich gesprochen, keine Veranlassung, mit besonderer Begeisterung dessen Maßnahmen gutzuheißen. Er erblickte in ihnen, wie Tausende anderer Männer, damals noch Eigenmächtigkeit und Wagehalsigkeit, die die günstigen Beziehungen zu einem großen Staate vernichten und nur in einem Bruderkriege endigen könnten. Selbst die conservative Partei, welcher der Ministerpräsident bisher doch so nahe gestanden, wandte sich — an ihrer Spitze Ernst Ludwig v. Gerlach — erschreckt ab vor dem ihr wie Tollkühnheit erscheinenden rücksichtslosen Vorgehen Bismarck's gegen Oesterreich und den Deutschen Bund.

    Hat der Erfolg der Bismarck’schen Politik, die mit eiserner Beharrlichkeit das von ihm Gewollte dem erstrebten Ziele zuführte, dem genialen Staatsmanne für die Zukunft auch recht gegeben, so ist es doch nothwendig, an dieser Stelle hervorzuheben, daß es nur große, allgemeine, menschlich edle und ideale Motive waren, die den damaligen Standpunkt des Kronprinzen bestimmten. Sie fußten nicht auf seiner Freundschaft für den Augustenburger, oder, wie übelwollende Beurtheiler gar behaupten, auf seiner Verwandtschaft mit dem englischen Hofe — eine solche Zumuthung muß, als des großdenkenden Mannes unwürdig, weit zurückgewiesen werden —, sondern sie hatten ihren Grund in einer unbeugsamen Anschauung des Privatrechts und der Privatmoral, die sich mit der diplomatischen Moral nun einmal nicht in Einklang bringen läßt. Von hohem Interesse für seine damalige Gesinnung ist jener an Max Duncker gerichtete Brief vom 24. Juli 1865, worin er diesem seinen abweichenden Standpunkt darlegt. Er klingt in den Worten aus: „Halten Sie das aber ja fest, daß meine Argumente nicht aus der bloßen Freundschaft für Herzog Friedrich stammen, sondern vor allen Dingen aus meiner Liebe zum Vaterlande und aus der Ueberzeugung, daß Preußens Geschicke auf den gegenwärtig betretenen Bahnen nicht heilsam und förderlich geleitet werden“.

    Aber mit rücksichtsloser Energie, nicht nach links, nicht nach rechts, nicht nach oben oder unten blickend, hatte Bismarck die Consequenzen seines bisherigen Handelns gezogen. Mit dem Kronprinzen darüber einig, daß ein Hand in Handgehen Preußens mit Oesterreich auf die Dauer unhaltbar sei, daß an eine Erfüllung der nationalen Wünsche erst dann zu denken sei, wenn Oesterreich aus dem Deutschen Bunde ausgeschieden sein würde, konnte und wollte er doch die Gefühlspolitik des preußischen Thronfolgers nicht mitmachen, der in seiner großherzigen, aber mit den Thatsachen nicht vertrauten Denkungsweise noch immer durch moralische Eroberungen, durch eine freiheitlich gerichtete Politik die Herzen der deutschen Bruderstämme und ihrer Fürsten zu gewinnen hoffte; für den preußischen Kanzler gab es nur die eine Lösung der schleswigholsteinschen und damit zugleich der deutschen Frage: den Weg durch Blut und Eisen. Und auf diesem Wege schritt er unaufhaltsam fort, auch den König, der anfangs nur zögernd folgte, starken Willens mit sich fortreißend.

    Mit dem Augenblicke, da die Thatsache des Krieges feststand, gab es für den Kronprinzen kein Zaudern, kein Schwanken mehr. Die Stunde der Gefahr des Vaterlandes fand in dem Thronfolger einen ganzen Mann. Der vollendeten Gewißheit des Krieges gegenüber konnte es für ihn keinen andern Platz geben, als an der Spitze seines Heeres. Und dies Mal sollte es ihm vergönnt sein, eine seiner Thatkraft und seinen militärischen Fähigkeiten entsprechende Stelle inmitten der Heeresleitung zu finden. Als Führer der II. (schlesischen) Armee war ihm eine wichtige und zugleich ehrenvolle Aufgabe zugefallen. Nachdem er bereits am 17. Mai 1866 zum Oberstcommandirenden dieser Armee ernannt worden war, erfolgte unterm 2. Juni seine Ernennung zum Militär-Gouverneur von Schlesien während der Dauer des mobilen Verhältnisses.

    Zum Generalstabschef der II. Armee hatte sich der Kronprinz einen der hervorragendsten Officiere der Armee, den General v. Blumenthal erwählt, jenen Mann, dem an der glücklichen Durchführung des Krieges von 1866 der vornehmste Antheil gebührt. Das Verhältniß des Kronprinzen zu seinem Generalstabschef war von Anfang an ein denkbar günstiges, ja ein herzliches zu nennen. Mit dem ihm angeborenen vornehmen Tacte ließ der Kronprinz dem erfahrenen und hochbegabten Officier in neidloser Anerkennung volle Würdigung widerfahren. Vorurtheilsfrei und fern von jedem eifersüchtigen Ehrgeiz, beratschlagte er mit ihm die Operationspläne, sich der höheren militärischen Einsicht stets gern und willig fügend, aber nach dem gemeinsam oder selbständig Beschlossenen dann auch bereit, die volle Verantwortung zu übernehmen. Bei Beurtheilung der Führereigenschaften Friedrich Wilhelm's sei schon vorweg das Bestreben jener leichtfertigen oder gar böswilligen Beurtheiler und ihrer gedankenlosen Nachbeter gebührend gekennzeichnet, die seine Feldherrnthätigkeit nicht von sachlichen Gesichtspunkten, sondern von dem voreingenommenen Standpunkte aus zu betrachten pflegen, daß General von|Blumenthal „alles gemacht“ und der Kronprinz gewissermaßen nur als „Staffage“ gedient habe, wie dies auch Gustav Freytag in geradezu frivoler Weise gethan. Kein Geringerer als der ehrwürdige Feldmarschall v. Blumenthal selber ist es gewesen, der den hohen militärischen Fähigkeiten des Kronprinzen eine glänzende Rechtfertigung zu theil werden ließ. Er zieht bei dieser Gelegenheit eine Parallele zwischen dem Prinzen Friedrich Karl und dem preußischen Kronprinzen, die nicht zu gunsten des ersteren ausfällt. Prinz Friedrich Karl, so äußerte sich Blumenthal über beide Männer, war ein Soldat im vollsten Sinne des Wortes, ein kriegswissenschaftlich hochgebildeter Officier, der auf dem Gebiete der Taktik wie der Theorie ebenso sehr zu Hause war, wie in der Führung der größten und kleinsten Truppenkörper; aber er war kein Feldherr großen Stils, weil er im gegebenen Momente, wenn es darauf ankam, die volle Verantwortung zu übernehmen, in langen Erwägungen des Für und Wider hin- und herschwankte und nur schwer zu einem endgültigen Entschlusse zu bringen war. Anders der Kronprinz, dessen große Erfolge als Feldherr gerade darin zu suchen seien, daß er im rechten Augenblicke frisch zugriff. Zwar sei dieser nicht so in die einzelnen Details der Truppenführung eingeweiht gewesen, weil man ihm nicht die Gelegenheit dazu gegeben habe. Dennoch besaß er im hohen Grade alle die Eigenschaften, die den glücklichen Feldherrn ausmachen. Er hatte ein scharfes und treffendes Urtheil, das, von „des Gedankens Blässe“ nicht angekränkelt, ihm nach allen Seiten hin ein frisches, kraftvolles Handeln gestattete. Hatte er einmal einen Entschluß gefaßt, so zauderte er keinen Augenblick, ihn auszuführen; er wankte und wich nicht, selbst wenn die Ausführung mit großen Opfern verbunden war. Die Festigkeit und Sicherheit des Auftretens, die Kaltblütigkeit und Ruhe, mit einem Worte die sittliche Größe, mit der der Kronprinz die hohe Verantwortung in gefahrvollen Lagen auf sich genommen, stempelten ihn zu einem Feldherrn von wirklicher Bedeutung, zu dem sein damaliger Generalstabschef, wie er später selbst berichtet, in kritischen Momenten der Schlacht oft staunend und seine Seelengröße bewundernd aufgeblickt habe, und von dem er gern und willig sagen müsse: „Hut ab vor einem solchen Führer!“

    Eine Eigenthümlichkeit des Kronprinzen hat nach Blumenthal's Urtheil des öfteren Veranlassung gegeben, ihn falsch zu beurtheilen. Seine Herzensgüte gestattete ihm nicht, denen, die ihm in der besten Absicht ihre Ansichten vortrugen, scharf und bestimmt entgegenzutreten; er zog es dann vor, mit seiner eigenen Meinung zurückzuhalten. Dadurch erweckte er nicht selten den Glauben, als sei er unentschlossen und schwankend. Diejenigen jedoch, die da glaubten, seine Entschlüsse beeinflussen zu können, weil er ihnen nachgebend und leicht zu überzeugen schien, sahen sich zu ihrer eigenen Beschämung oft empfindlich getäuscht. Aeußerlich immer ruhig und gelassen, ließ er sich nicht leicht zu Uebereilungen verleiten, liebte es vielmehr, wenn es die Zeit gestattete, die Situation zu besprechen und sie nach allen Seiten hin zu beleuchten. Hatte er aber einen Entschluß gefaßt und die erforderlichen Befehle gegeben, dann blieb er unerschütterlich fest, und die Versuche Unberufener, ihn zu anderer Ansicht zu bringen, waren stets vergeblich. Er hatte richtig erkannt, daß ein Schwanken in dem einmal gefaßten Entschluß für einen Feldherrn fast noch gefährlicher sei, als Uebereilung. Durch diese Eigenart wurde der Dienstbetrieb in seinem Stabe unendlich erleichtert und geregelt. Die Gewißheit, daß einmal gegebene Befehle nur durch die allerzwingendsten Gründe geändert werden würden, und daß weder Einflüsse Unberufener noch Vorliebe für Details oder Personen an denselben etwas ändern konnten, gab den Unterführern ein unbedingtes Gefühl der Sicherheit, das die Verehrung und das Vertrauen zu dem geliebten Führer nur noch erhöhte.

    Die würdevolle Ruhe des Kronprinzen, die ihn weder im Drange verhängnißvoller Entscheidungen, noch im Gewühl der Schlacht, im Feuer des Feindes verließ, war das Ergebniß seines strengen Pflichtgefühls und seines felsenfesten Gottvertrauens. „Wo er hintrat, wußte er sich in Gottes Hand“, erzählt ein Mitglied seines Stabes, der damalige Major, spätere Kriegsminister Verdy du Vernois; „und so führten ihn Pflichtgefühl und menschliche Theilnahme auch in Brünn in die Choleralazarette, als die Epidemie dort in schreckenerregender Weise wüthete“.

    Besonnenheit, Mäßigung und Umsicht, sonst nur die Eigenschaften erfahrener und bejahrter Feldherren, hatte der Kronprinz schon in den letzten Tagen des Monat Mai Gelegenheit zu zeigen, als er noch vor dem eigentlichen Ausbruch des Krieges mit Genehmigung des Königs nach Schlesien ging, um durch sein Erscheinen zur Beruhigung der durch die Kriegsgefahr aufgeregten Einwohnerschaft beizutragen und gleichzeitig einige ihm nicht mehr genügend bekannten Theile des voraussichtlichen Kriegstheaters in Oberschlesien zu besichtigen. In Breslau am 28. und in Gleiwitz und Kosel am 29. Mai fanden vielfache Besprechungen mit Provinzialbehörden und Besichtigungen einzelner Landwehrtruppen statt, und General v. Blumenthal konnte schon bei dieser Gelegenheit beobachten, wie sehr die imponirende Persönlichkeit des Kronprinzen, die Zuversicht und Bestimmtheit, womit er die Verhältnisse besprach, allenthalben Vertrauen erweckte, Differenzen ausglich und die ängstlichen Gemüther beruhigte. Als ihm in Gleiwitz mehrere Landräthe vortrugen, daß sie von ihrer vorgesetzten Behörde die Weisung erhalten hätten, bei dem Vorrücken des Feindes in ihren Kreis diesen mit den Cassen und den wichtigsten Acten zu verlassen, machte er sie aus seinen Erfahrungen in Jütland heraus darauf aufmerksam, wie traurig die Folgen da wären, wo die Localbehörden fehlen und der Feind niemand fände, an den er sich mit seinen Requisitionen wenden könne. — „Eine Localbehörde, die der Einwohnerschaft das Beispiel zur Flucht gibt, verletzt ihre heiligste Pflicht!“ Dieses treffliche Wort trug wesentlich dazu bei, die aufgeregten Gemüther zu beruhigen.

    Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Operationen der II. Armee in ihren Einzelheiten zu verfolgen; es soll hier nur gezeigt werden, in welcher Weise die oberste Leitung der Armee den zahlreich zu überwindenden Schwierigkeiten gerecht zu werden verstand, und welche Rolle hierbei insbesondere der Kronprinz spielte. Ohne Zweifel gehörte die seiner Armee zufallende Aufgabe zu den schwierigsten des ganzen Feldzuges. Gemäß dem Befehle des Königs, daß die II. Armee gleich den beiden anderen Hauptheeren die Offensive in der Richtung auf Gitschin zu ergreifen habe, setzten sich die Truppen der schlesischen Armee sofort gegen die böhmischen Grenzwälle in Bewegung. Die in einzelnen Colonnen vordringenden Preußen hatten in den schmalen Engpässen, die bald steil in die Höhe, bald durch tief eingeschnittene Schluchten führten, mit unendlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Das Vorgehen in den engen, vielfach gewundenen Pässen erforderte einerseits anstrengende Märsche von langer Dauer und war andererseits mit großen Gefahren verknüpft. In den schmalen, felsigen Wegen bildete oft ein ganzes Armeecorps nur eine lange Reihe hinter einander herkletternder Soldaten, so daß es einem umsichtigen, energischen Feinde ein Leichtes gewesen wäre, mit einem verhältnißmäßig nur geringen Aufwand von Streitkräften über die Spitzen der einzeln hervorbrechenden Colonnen herzufallen und sie nacheinander zu vernichten.

    Durch eine Scheinbewegung wußte der Kronprinz die Schwierigkeiten des Debouchirens wesentlich zu erleichtern. Nach dem ursprünglichen Operationsplane sollte der Durchbruch der kronprinzlichen Armee westlich von der Grafschaft Glatz vor sich gehen. Die Leitung der II. Armee beschloß jedoch einen scheinbaren Vorstoß gegen die östliche Grenze des Gebirgskessels, in der Absicht, die Oesterreicher zu täuschen und ihre Streitkräfte zu zersplittern. In der That gelang es durch diese List, in dem Oberbefehlshaber der österreichischen Armee den Glauben zu erwecken, der Kronprinz von Preußen beabsichtige, östlich von der Grafschaft Glatz durch Mähren auf die Festung Olmütz zu rücken. Während deswegen Benedek den größten Theil seiner Streitkräfte auf die vermeintlich am meisten gefährdete Ostseite der Grafschaft Glatz dirigirte, wurde den preußischen Truppen durch diese Täuschung die Aufgabe erleichtert, durch die westlichen Pässe in Böhmen einzurücken. Immerhin gehörte der Tag von Nachod (27. Juni), wo zum ersten Male die Truppen der II. Armee sich mit dem österreichischen Gegner zu messen hatten, zu den verhängnißvollsten des ganzen Feldzuges. Gelang es dem Feinde, die Avantgarde in das Defilé von Nachod zurückzuwerfen, wodurch das Debouchiren des Corps unmöglich geworden wäre, so war der Hauptplan der preußischen Heeresleitung, das Zusammenschließen der I. und II. Armee in der Richtung auf Gitschin, vereitelt. Der Kronprinz zeigte sich schon in diesem Gefecht des in ihn gesetzten Vertrauens würdig. Er hatte wiederholt Gelegenheit, ruhige Ueberlegung und Kaltblütigkeit in sehr kritischen Augenblicken zu zeigen. Er traf mit seinem Gefolge gerade in dem verhängnißvollen Augenblicke auf dem Schlachtfelde ein, als ein Theil des 4. Dragonerregimentes vor der Uebermacht der Kaiser Ferdinand-Cürassiere zeitweise zurückwich. Der Kronprinz selbst wurde von einem Zuge des Regimentes gefaßt, der, über eine Bergkuppe im wilden Durcheinander jagend, eiligst aus dem Bereiche des Gefechtes zu kommen suchte, wobei lose Pferde und Cavalleristen verschiedener Gattungsarten wettliefen. Er verlor nicht einen Augenblick die kühle Ruhe des die Situation klar überschauenden Feldherrn. Sogar seinen Humor ließ er zur rechten Zeit spielen. Während lose Pferde ihn an die Räder der Geschütze und Munitionswagen herandrängten, donnerte er den flüchtenden Dragonern Arreststrafen zu, und, um den üblen Eindruck der augenblicklichen Panik klug zu verwischen, rief er mit alles bezwingendem Humor der Einfahrtscolonne des 46. Regimentes die Worte zu, es gäbe vorn ein hübsches Gefecht, worauf alles mit Jubel antwortete. Er hatte diese Art Panik, wie Blumenthal diesem Tagebuchberichte des Kronprinzen ergänzend hinzufügt, nicht als ein böses Omen, sondern von der humoristischen Seite aufgefaßt, und, indem er, selbst thätig eingreifend, mit lachendem Munde eine Batterie zur Vertheidigung des Defilés von Nachod placirte, schwankte er keinen Augenblick in dem Vertrauen zu den vorgehenden Truppen, bis der Feind endgültig geworfen war. Dem deutsch empfindenden Herzen des Kronprinzen war dieser erste Sieg, den er den seinen nennen konnte, mehr als eine bloße preußische Waffenthat, und mit Begeisterung schreibt er am Abend des heißen Kampftages in sein Tagebuch die Worte: „Für Deutschlands Geschick unter Preußens Leitung muß dieser Tag schon ein bedeutungsvolles Gewicht in die Wagschale legen“.

    Das 1. Armeecorps der kronprinzlichen Armee hatte infolge der fehlerhaften Dispositionen des Generals v. Bonin bekanntlich bei Trautenau einen Fehlschlag. Seinen unzweckmäßigen Anordnungen zufolge war das Corps nicht mit einem gewaltigen Schlage, sondern vereinzelt, nach und nach gegen den Feind geführt worden; ein großer Theil der Truppen stand noch weit hinter Trautenau zurück, nachdem der Führer in mangelnder Einsicht der gefährlichen Lage die Avantgarde bereits gegen den überlegenen Feind vorgeschoben hatte. Die Befehle Bonin's hatten von Anfang an eine gewisse Ueberhastung und Ungeduld gezeigt, sich vielfach widersprochen. Dazu war noch mehrfach die Wahl ganz ungeeigneter Beobachtungsstandpunkte seitens des Commandirenden gekommen, wodurch ihm die Uebersicht über den Verlauf des Treffens erschwert wurde. Der verhängnißvollste Fehler Bonin's aber war der gewesen, daß er, in großer Selbstüberschätzung seiner eigenen Stärke, die ihm von Seiten des Kronprinzen angebotene Unterstützung durch die erste Gardedivision zurückgewiesen hatte. Die Lage des Obercommandos war dadurch unter allen Umständen schwierig geworden. Dem Kronprinzen leuchtete sofort ein, daß mit aller Anstrengung die wichtige Stellung von Trautenau wieder zurückgewonnen werden müsse; die Garde erhielt deswegen Befehl, auf Trautenau abzumarschiren, um über Eipel in Gablenz' rechtsrückwärtige Flanke zu dringen; hierdurch mußte Bonin's 1. Armeecorps eine ungeheure Erleichterung seiner Aufgabe erhalten. Da Friedrich Wilhelm als Obercommandirender der Armee, wo soviel auf dem Spiele stand, seinen Standpunkt so wählen mußte, daß er inmitten der beiden für das 5. und für das Gardecorps zu erwartenden Gefechte die Leitung des Ganzen für alle etwa eintretenden Fälle in der Hand behielt, so ritt er mit dem ganzen Stabe am 28. Juni früh nach Kosteletz, einem Gebirgsdorfe, dreiviertel Meilen von Nachod entfernt. Hier befand er sich in der Mitte seiner Armee, im Stande einzugreifen, je nachdem Nachod oder Trautenau eine besondere Bedeutung erhielt. Die Stunden, die das Obercommando auf der Höhe von Kosteletz zubrachte, waren unzweifelhaft sehr kritische. Vergegenwärtigen wir uns die Lage. Die Verbindung des 1. Corps mit dem Gardecorps ist durch die Oesterreicher unterbrochen: Steinmetz meldet, daß der Feind, anscheinend sehr bedeutend verstärkt, vor der Front des 5. Armeecorps erscheine; der General läßt infolgedessen um Verstärkung bitten. Da die 2. Gardedivision beim Eintreffen des Kronprinzen auf den Höhen von Kosteletz bereits auf Eipel abmarschirt ist, kann dieser nur den Prinzen Albrecht (Sohn) mit der schweren Garde-Cavalleriebrigade zur Unterstützung des 5. Corps nach Skalitz entsenden. Schließlich befindet sich das Obercommando — bis gegen 10 Uhr, wo Prinz Hohenlohe mit der Reserveartillerie des Gardecorps und einer kleinen Bedeckung eintrifft — nur unter dem Schutze einer einzigen Gardecompagnie. „Ich bin persönlich in einer verzweifelten Lage“, sagte der Prinz zu Hohenlohe; „der heutige Tag ist entscheidend für die Armee, und ich bin verurtheilt, hier nichts zu thun, als eine Pfeife nach der andern zu rauchen“. Gegen 11 Uhr ertönt von Skalitz her Kanonendonner; jetzt weiß man Steinmetz im Gefecht; von dem Ausgang desselben hängt das ganze Gelingen der Operationen der II. Armee und somit auch die Vereinigung derselben mit den beiden anderen Hauptarmeen ab. Die Spannung wächst mit jeder Minute. In dieser Zeit banger Erwartung hatte die Umgebung des Kronprinzen abermals Gelegenheit, seine ungewöhnliche Kaltblütigkeit und eiserne Ruhe zu bewundern. „Er versammelte“, wie Verdy erzählt, „die Officiere seines Stabes um sich; auf seinen Säbel gestützt, das klare Auge fest auf die Männer vor sich gerichtet, trug er selbst noch einmal die ganze Lage seiner Armee auf das Eingehendste vor und recapitulirte die Anordnungen, die getroffen waren, sowie die Erwägungen, die sie hervorgerufen hatten, indem er gleichzeitig auf die hohe Bedeutung des Tages hinwies. Hieran knüpfte er die Frage, ob noch irgend jemand einen Gedanken habe, der zum Gelingen des Ganzen beizutragen vermöchte. Als dies verneint wurde, schloß er mit den Worten: 'Nun, dann haben wir unsere Pflicht gethan; nach allen Richtungen hin ist nach unserem|besten Wissen erwogen und angeordnet, was nach unserem Verständniß geschehen muß und kann; das Uebrige steht in Gottes Hand'.“ Und keine Spur von Aufregung oder pessimistischer Anschauung beherrschte den hohen Führer; mit Aufmerksamkeit verfolgte er den Gang der beiden Gefechte; mit der größten Ruhe hörte er alle eingehenden Meldungen an; kaltblütig, „als handle es sich um die Anordnungen zu einem Diner“, traf er seine weiteren Befehle, bis die Siegesnachricht von Skalitz eintraf.

    Als Bonin's Corps am nächsten Tage Trautenau passirte, zeigte der Kronprinz, dessen Leutseligkeit sonst Alle entzückte, daß er, wenn es sein mußte, auch zürnen und strafen könne. Er ließ das ganze Corps an sich vorbeimarschiren. Mit warmen Worten dankte er den braven Truppen für ihre Tapferkeit. Dann wandte er sich an General v. Bonin mit den Worten: „Mit diesen Truppen konnten Sie nicht vorwärts kommen? Das begreife ich nicht!" Als der General auf die sehr heftigen Vorhaltungen des Oberstcommandirenden sagte: „Königliche Hoheit, nach diesen Vorwürfen werde ich wohl Kriegsrecht über mich beantragen müssen“, erwiderte der Kronprinz: „Danken Sie Gott, wenn ich nicht Kriegsrecht über Sie abhalten lasse“. —

    Als nach den entscheidenden Erfolgen bei Königinhof und Schweinschädel am 30. Juni bei Gradlitz die Vereinigung sämmtlicher Corps der kronprinzlichen Armee erfolgte, durfte Friedrich Wilhelm mit hoher Befriedigung auf den Erfolg seiner kurzen Feldherrnthätigkeit zurückblicken. Er hatte das Vertrauen seines Vaters, die Erwartungen der Nation auf das glänzendste gerechtfertigt. Durch die besonnene Vertheilung seiner Streitkräfte auf die verschiedenen Pässe und das energische Vordringen in diesen hatte er während weniger Tage glücklich den schwierigen Eingang in Böhmen erkämpft. In einer Reihe siegreicher Kämpfe, die mit Blitzesschnelle aufeinander folgten und den Gegner garnicht zu Athem kommen ließen, hatte er sich zum Herrn der wichtigen Elblinie zwischen Arnau und Josefstadt gemacht. Auch die Vereinigung des kronprinzlichen Heeres mit den beiden übrigen Hauptarmeen, der Herwarth’schen und derjenigen des Prinzen Friedrich Karl, war nun in Kürze zu erwarten. Das blutige Drama von Königgrätz zog herauf.

    Es ist hier der Ort hervorzuheben, daß der Kronprinz und sein Generalstabschef inbezug auf die der Riesenschlacht voraufgehenden Operationen nicht in allen Punkten mit dem Großen Hauptquartier einverstanden waren. Nach dem ursprünglichen Plane Moltke's sollte die II. Armee mit Ausnahme des 1. Corps auch am 3. Juli noch am linken Elbufer verbleiben. Friedrich Wilhelm konnte diese Anordnung nicht für richtig halten; er war der Meinung, daß das Ueberschreiten der Elbe seitens der II. Armee behufs Vereinigung mit den übrigen Armeen unter keinen Umständen einen Aufschub erleiden dürfe und zeigte sich über den vom Hauptquartier aus erhaltenen Gegenbefehl sehr unglücklich. Er werde zu einer Maßregel genöthigt, die seiner Ansicht nach absolut falsch sei; um dem Befehl nachzukommen, werde er stehen bleiben, aber nur sehr schwache Recognoscirungen vorschicken. Seinem Generalstabschef ertheilte er Befehl, sofort mit Major v. Verdy nach Gitschin zu fahren, bei dem Könige gegen diese Theilung der Streitkräfte Einspruch zu erheben und sich über die Zwecke und Absichten des Hauptquartiers zu informiren. Die Sendung hatte allerdings keinen Erfolg. Nach einer äußerst schmeichelhaften Anerkennung der bisherigen Leistungen der kronprinzlichen Armee seitens des Königs wurden Blumenthal's Bemerkungen über die Nothwendigkeit der sofortigen Vereinigung beider Armeen zwar gnädigst angehört, einen Bescheid erhielt er jedoch nicht. Nach einer unmittelbar darauf folgenden Unterredung Blumenthal's mit Moltke,|wobei letzterer zugab, daß die Gefahr, getrennt geschlagen zu werden, vermieden werden müsse, das Ueberschreiten der Elbe mit der ganzen II. Armee aber vorläufig noch nicht eher gestatten zu können glaubte, als bis sich die Situation mehr geklärt habe, begab sich Blumenthal mit Verdy du Vernois ins Hauptquartier des Kronprinzen zurück. Nicht mehr weit von Königinhof entfernt, trafen sie auf den Leutnant v. Normann, der jenes bekannte Schreiben des Prinzen Friedrich Karl an seinen Vetter bei sich hatte, worin er diesen um Unterstützung mit dem Gardecorps bat.

    Wenn eine Zeitlang mit einer gewissen Hartnäckigkeit sich die Behauptung hat aufrecht erhalten können, der Kronprinz habe in jener Nacht seinem Vetter aus Eifersucht seine Unterstützung versagt, so ist demgegenüber durch die actenmäßige Darstellung der Betheiligten erwiesen, daß diese Behauptung ins Reich der Erfindung gehört. Gerade die Vorgänge in jener Nacht haben bewiesen, wie fern der edlen und groß angelegten Natur des Kronprinzen solche kleinlichen Regungen waren. „Ich werde den Prinzen Friedrich Karl nicht mit Theilen, sondern mit meiner ganzen Armee unterstützen“, so lautete die Antwort des Kronprinzen, wie Herr v. Normann später selbst berichtet. Der in dieser Antwort kundgegebene Entschluß des Kronprinzen ist nach einer anderen Seite hin interessant, indem er einen klaren Beweis dafür liefert, welch hohe Begabung und klares Verständniß er für die Anforderungen des großen Feldkrieges besaß. Aus freiem Antriebe und dem Bewußtsein der strategischen Nothwendigkeit seiner Unterstützung faßt er den Entschluß, der I. Armee nicht mit Theilen, sondern mit allen seinen Streitkräften zur Hülfe zu eilen. Die schwere Verantwortung, die er mit dieser Zusage auf sich nahm, tritt erst in das rechte Licht, wenn man erwägt, daß er den Befehl hatte, mit seiner Armee am linken Elbeufer zu verbleiben, ja, daß ihm für den 3. Juli von der obersten Heeresleitung aufgegeben war, Recognoscirungen an der Aupa und Metau zu unternehmen, zu welchem Zweck Graf Groeben aus dem Großen Hauptquartier bereits eingetroffen war. Daß er infolge der neuerlichen Weisung des Großen Hauptquartiers, die Blumenthal aus Gitschin mitbrachte, seinen Plan nicht zur Ausführung bringen konnte, war nicht seine Schuld. Unter dem Zwange dieser Verhältnisse noch im Sinne des vom Prinzen Friedrich Karl gestellten Antrages zu handeln, wäre ein vollständiges Durchkreuzen der von der obersten Heeresleitung für gut befundenen Operationen gewesen. So mußte der Kronprinz von der aus freier Entschließung und mit freudigem Herzen seinem Vetter angebotenen Unterstützung vorläufig Abstand nehmen.

    Es ist nicht unwahrscheinlich, daß, wenn die erste Absicht des Kronprinzen, mit seiner ganzen Armee schon früher als es thatsächlich geschah, auf das rechte Elbufer zu rücken, zur Ausführung gekommen wäre, dies für den Verlauf der Schlacht, besonders aber für die I. Armee von günstigen Folgen begleitet gewesen wäre, insofern die II. Armee, bereits drüben, voraussichtlich ein bis zwei Stunden früher in den Kampf hätte eingreifen können. Die Armee des Prinzen Friedrich Karl, die gegen Mittag in eine so bedrängte Lage kam, wäre zweifellos, namentlich auf ihrem so hart mitgenommenen linken Flügel, bedeutend früher dadurch entlastet worden. Allerdings wäre der Kampf für die II. Armee alsdann noch ein schwererer geworden; sie wäre auch um einen ihrer glänzendsten Triumphe gekommen: die überraschende, fast märchenhaft erscheinende spätere Wegnahme von Chlum unmittelbar im Rücken des Feindes.

    In dem Vorrücken der II. Armee auf Chlum, diesen wichtigen strategischen Punkt, den Schlüssel der feindlichen Stellung, zeigte der Kronprinz|ganz die Eigenschaften eines Feldherrn, der seine Truppen zu begeistern versteht. Hoch zu Roß eilt er am Morgen des 3. Juli an der Garde vorbei, um die Spitze der Marschcolonne zu erreichen. Auf den beschwerlichen Gebirgswegen, die durch den Regen der letzten Tage zudem noch in einem entsetzlichen Zustande waren, kamen die Truppen nur langsam vorwärts. Aber unter einem Führer wie dem Kronprinzen gab es keine Schwierigkeiten. Ueberall, wo sich die kräftige Gestalt des Königssohnes zeigte, aufmunternd, anfeuernd, belebend, jubelte man ihm zu, sodaß Mißmuth und Ermattung bald verschwunden waren. Er glich hier dem alten Blücher, als er bei Belle-Alliance dem „Bruder Wellington“ zu Hülfe eilte. Uebrigens war die Aehnlichkeit der Situation mit der Schlacht von Belle-Alliance bei den Mitgliedern des Stabes wiederholt zur Sprache gekommen. Auch darin zeigte sich der Kronprinz als ein sicherer und verläßlicher Führer, daß er die bei dem zerschnittenen Gelände immerdar wechselnde Gefechtslage stets schnell und klar erfaßte. Auf der Höhe von Choteborek angekommen, von wo aus man zum ersten Male einen Fernblick auf die im Thal der Bistritz kämpfenden Schlachtlinien gewann, war er der erste, der jene berühmte Baumgruppe auf der Höhe von Horenowes als ein treffliches Richtungsmerkmal für den linken Flügel der Garde und den rechten des 6. Armeecorps erkannte.

    Es ist schwer und sicherlich noch verfrüht, das Verhältniß des Kronprinzen zu seinem Generalstabschef schon jetzt genauer zu bestimmen und dabei festzulegen, wie weit seine Anordnungen jedes Mal den eigenen Combinationen, beziehungsweise den Rathschlägen Blumenthal's entsprachen. Das aber vermag man schon jetzt zu erkennen, daß Friedrich Wilhelm ein Heerführer war, der — soviel auch die klärende und berathende Stimme seines Stabschefs dazu beigetragen haben mochte — stets mit vollem Bewußtsein der Consequenzen seiner Befehle das Ganze leitete, mit klarem Verständniß die wegen ihres fortwährenden Wechsels so schwierigen Terrainverhältnisse überschaute und über den Details der Schlacht niemals den Ueberblick über das Ganze verlor. Auch bezüglich dieser wichtigen Eigenschaften eines Feldherrn hat Blumenthal seinem fürstlichen Freunde selbstlos Gerechtigkeit widerfahren lassen. So zeigte Friedrich Wilhelm auf der Höhe von Choteborek, als die Spitzen der getrennt marschirenden Infanteriecolonnen seiner Armee vor den sehnsüchtigen Blicken auftauchten und die gewünschte Vorwärtsbewegung seiner Armee darthaten, daß er die Fäden der Leitung sicher in der Hand hielt. Klar und übersichtlich zeichnete er, wie Verdy erzählt, die Situation den Mitgliedern seines Stabes, am knappsten und drastischsten dem Prinzen Krafft von Hohenlohe mit den Worten: „Fritz Karl geht's nicht gut! Ich habe Meldung, er bedarf dringender Hülfe. Es gibt nur zwei Wege: entweder marschire ich zu ihm hin, der Weg ist aber zu weit, und ich komme zu spät, oder ich marschire gerade aus und greife Flanke und Rücken des Feindes an. Sehen Sie diesen großen Baum, der ist der rechte Flügel der Oesterreicher, den lassen Sie rechts. Ich will den Hund in den Schwanz kneifen“.

    Es ist hier nicht im einzelnen zu schildern, wie die Garden von Horenowes und Maslowed weiter auf Chlum vordrangen. Der Kronprinz befand sich hierbei wiederholt im dichtesten Granatfeuer, so besonders auf der letztgenannten Höhe, wo eine Granate auf den Hufschlag seines Pferdes in dem Augenblicke einschlug, als er die gefährliche Stellung auf die wiederholten Bitten Blumenthal's kaum verlassen. Seine Garde entschied das Schicksal des Tages, dessen Held, Friedrich Wilhelm, in dem Augenblicke als Retter erschien, als die Armee des Prinzen Friedrich Karl sich in der letzten höchsten Noth befand, als man da unten in den verbarrikadirten Gehölzen des Swip- und|Holawaldes mit dem letzten Rest der Kraft rang, die Reserven bereits in den Feind geworfen worden waren, und auch diese nicht mehr im Stande schienen, einen Durchbruch des Centrums zu verhindern. Mit Recht durfte der Kronprinz heute die Ehren und Lorbeeren des Tages für sich in Anspruch nehmen. „Es war ihm ein schönes Gefühl, durch sein rechtzeitiges Eintreffen mit der II. Armee auf der entscheidenden Stelle den Sieg so schnell entschieden zu haben“, berichtet sein Generalstabschef, dem er im Granatfeuer von Chlum in gehobener Stimmung die Hand mit den Worten drückt: „Jetzt können wir schon an die Verfolgung denken!“ Ohne Zweifel war er seinem Vetter, dem Prinzen Friedrich Karl gegenüber, der glücklichere Feldherr gewesen. Aus den Worten seines Tagebuches klingt es denn auch wie ein Gefühl der Genugthuung heraus, daß es ihm, den sein Vetter bisher in den Schatten gestellt hatte, vergönnt gewesen war, durch einen großen und glücklichen Wurf seinen Befähigungsnachweis als Feldherr zu erbringen. „Vor zwei Jahren umarmte ich ihn bei Düppel als Sieger, heute waren wir beide Sieger, und nach dem harten Stande seiner Truppen hatte ich die Entscheidung des heutigen Tages mit meiner Armee herbeigeführt.“ Auch der königliche Vater, den er erst spät Abends auf dem Schlachtfelde fand, sagte ihm in einem Momente von tiefergreifender Wirkung Worte der höchsten Anerkennung; er habe durch seine glücklichen Erfolge bewiesen, daß er Befähigung zum Feldherrn habe. Die eigenhändige Ueberreichung des höchsten militärischen Ordens pour le mérite in diesem denkwürdigen Augenblicke sollte darthun, daß der junge Feldherr das Vertrauen seines Vaters glänzend gerechtfertigt hatte. Indem der König auch dem Vorschlage seines Sohnes zustimmte, dem heutigen gewaltigen Ringen den Namen der „Schlacht von Königgrätz“ zu geben, erkannte er an, daß der Kronprinz der eigentliche Sieger im Kampfe gewesen, dem es daher zustehe, den Namen zu bestimmen.

    Gleichwol vermochten solche vorübergehenden Momente begeisterten Hochgefühls nicht, ihn mit der Thatsache des Krieges auszusöhnen. „Ein Schlachtfeld zu bereiten“, schreibt er, „ist grauenvoll, und es lassen sich die entsetzlichen Verstümmelungen, die sich dem Blicke darbieten, gar nicht beschreiben. Der Krieg ist doch etwas Furchtbares, und derjenige, der mit einem Federstriche am grünen Tisch denselben herbeiführt, ahnt nicht, was er heraufbeschwört.“

    Ernst und schweigend ritt er am Abend mit seinem Stabe ins Quartier zurück. Nicht an sich selbst denkend, legte er sich erst zur Ruhe, nachdem er überzeugt war, daß nichts mehr anzuordnen blieb. „Ich fühlte, daß heute für Preußen einer der bedeutungsvollsten Tage eingetreten war, und ich bat Gott, den König und seine Räthe zu erleuchten, damit auch die richtigen Früchte für Preußens und Deutschlands Heil und Zukunft daraus erwüchsen.“ So schrieb er von jenem weltgeschichtlichen Tage in sein Tagebuch. Dann, während der Schlummer sich auf seine müden Augen senkt, umgaukeln ihn freundliche Träume, wie, um die blutigen Bilder des heutigen Tages zu verscheuchen: „Lebhaft habe ich die Nacht von meiner Frau und den Kindern geträumt.“

    Nach der Schlacht bei Königgrätz war Friedrich Wilhelm's schwerste Sorge, daß es zu einem Waffenstillstande kommen könnte, der die Früchte des herrlichen Sieges vielleicht in Frage stelle. Wirklich erschien bereits am 8. Juli der österreichische General Gablenz plötzlich in seinem Hauptquartiere. „Der will Waffenstillstand schließen“, sagte der Kronprinz sofort zu Blumenthal, „das darf aber nicht sein; ich muß vorher zum Könige nach Pardubitz, um Vorstellungen dagegen zu machen; wir müssen den Gablenz aufzuhalten suchen, um vorher zum Könige zu gelangen.“ Nach einer ziemlich langen Audienz|beim Kronprinzen setzte sich Gablenz in den Wagen, um zum Könige zu fahren. Blumenthal hatte im Einverständniß mit dem Kronprinzen den Trainkutscher bei strenger Strafe verpflichtet, möglichst langsam und auf einem ihm vorgeschriebenen weiten Umwege zu fahren, während der Kronprinz mit seinem Generalstabschef auf einem kürzeren Wege nach Pardubitz fuhr, dort lange vor Gablenz eintraf und mit dem Könige eine eingehende Unterredung im Sinne einer Ablehnung des Waffenstillstandes hatte. Als Gablenz in Pardubitz eintraf, empfing ihn der König infolge dessen garnicht; er wurde vielmehr höflichst abgefertigt und ihm ein Schreiben Moltke's mitgegeben, des Inhalts: daß man bereit sei, auf directem Wege mit Oesterreich in Friedensverhandlungen einzutreten. Der Kronprinz war mit General v. Blumenthal sofort zurückgekehrt. Beide waren schon am Arbeitstisch, als Gablenz wieder eintraf. Er hatte keine Ahnung, daß der Kronprinz in Pardubitz gewesen war.

    Nach dem Scheitern der Waffenstillstandsverhandlungen faßte Feldzeugmeister Benedek bekanntlich den Entschluß, den überwiegend größeren Theil der geschlagenen Armee nach dem befestigten Olmütz zu dirigiren und durch die so gewonnene Flankenstellung den Vormarsch der preußischen Heere zu bedrohen. König Wilhelm hatte seinerseits für die weiteren Operationen bestimmt, daß die I. und die Elbarmee zur völligen Gewinnung des Siegespreises geradenwegs auf Wien losmarschiren sollten; der Armee des Kronprinzen war die weniger dankbare Aufgabe zugefallen, die Bewegungen Benedek's im Schach zu halten, ein um so schwierigeres Beginnen, als den durch die schweren Kämpfe und die darauffolgenden Märsche geschwächten preußischen Corps, die etwa 80 000 Mann betrugen, 110 000 Oesterreicher bei Olmütz entgegenstanden. Dennoch war der Kronprinz mit diesem Plane, dem er schon vor der Schlacht bei Königgrätz das Wort geredet hatte, gern einverstanden, hoffend, daß man ihm bei dieser ganz selbständigen Aufgabe von Seiten des Großen Hauptquartieres auch die nöthige Selbständigkeit lassen werde, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Durch mehrfaches Eingreifen in die von ihm und seinem Generalstabschef getroffenen Anordnungen wurde ihm gerade die nächste Zeit häufig verbittert. Während des ganzen Vormarsches auf Wien war kein rechtes Einverständiß zwischen der Oberleitung der II. Armee und dem Großen Hauptquartier zu erzielen, und es bedurfte mehrfach der Entsendung militärischer Vertrauter, wie des Hauptmanns Mischke und des Majors v. Verdy ins Große Hauptquartier, um verschiedene, die Dispositionen der II. Armee völlig verändernde Anweisungen, die überdies in ihren Details häufig unverständlich waren und hemmend auf die Operationen der II. Armee einwirkten, rückgängig zu machen. Der Kronprinz war in seinem stark ausgeprägten Unabhängigkeitsgefühl oft in hohem Maße darüber aufgebracht. Er sprach sich sehr bitter darüber gegen seinen Generalstabschef aus und deutete in einem besonderen Falle — am 15. Juli — sogar an, daß er Se. Majestät um Entbindung von seinem Commando bitten müßte, wenn es so fortginge. Die Spannung hatte einen solchen Grad erreicht, daß Friedrich Wilhelm auf General v. Blumenthal's Vorschlag sich entschloß, den Generalmajor v. Stosch ins Große Hauptquartier zu entsenden, um General v. Moltke zu ersuchen, es bei den Anordnungen der Oberleitung der II. Armee bewenden zu lassen; falls dieser darauf nicht einginge, möge v. Stosch Sr. Majestät persönlich über die Ansichten des Obercommandos inbetreff der weiteren Operationen der II. Armee Vortrag halten. Eben als General v. Stosch seine Fahrt ins Große Hauptquartier antreten wollte, traf die Meldung von dem glücklichen Gefechte bei Tobitschau (15. Juli) ein. Mit diesem erfreulichen Begleitschein|über die Erfolge der kronprinzlichen Armee versehen, fand Stosch nun im Großen Hauptquartier zu Brünn ein richtiges Verständniß der Absichten des Kronprinzen und volle Genehmigung der von ihm für die nächsten Tage getroffenen Anordnungen. —

    Es ist hier der Ort, jenes Briefes Blumenthal's an seine Gattin zu erwähnen, der damals viel von sich reden machte und noch jetzt bei Nichtunterrichteten oder gedankenlos Nachbetenden häufig zu einer falschen und ungerechten Beurtheilung der Feldherrnthätigkeit des Kronprinzen herhalten muß. In begreiflicher Aufregung über die vom Großen Hauptquartier ausgehenden, fortwährenden Eingriffe in die Maßnahmen und Anordnungen der Oberleitung der II. Armee, schrieb Blumenthal am 10. Juli 1866 einen Brief an seine Gattin, worin er über Moltke's Bedeutung als Truppenführer eine ziemlich scharfe Kritik fällte und dabei auch einige Bemerkungen über den Kronprinzen und den Prinzen Friedrich Karl mit einfließen ließ. Dieser Brief wurde bei Grulich vom Feinde abgefangen und in einem Wiener Blatte veröffentlicht, um dann die Runde durch die Zeitungen zu machen. Obwohl in dem Briefe der Führereigenschaften des Kronprinzen mit keinem Worte gedacht war, wird noch immer, selbst in weniger gut unterrichteten militärischen Kreisen, sobald die Beurtheilung der soldatischen Fähigkeiten des Kaisers Friedrich in Frage kommt, in hartnäckiger Weise auf die Existenz jenes Briefes hingewiesen, in dem Blumenthal des Kronprinzen Feldherrnthätigkeit angeblich einer vernichtenden Kritik unterzogen habe, während er sie in Wahrheit darin garnicht erwähnt hat. Um diesem Vorwurf ein für allemal die Spitze abzubrechen, seien hier die in Frage kommenden Stellen des Briefes wiedergegeben: „Bis jetzt war der Feldzug für mich wieder ein sehr glücklicher, da man wirklich thut, was ich verlange, und es ist kein Unsinn, wenn ich sage, daß ich das bewegende Prinzip der militärischen Operationen bin, sowohl hier als bei General Moltke, der eben das ist, was ich von ihm gedacht habe: ein genialer Kopf, der keine Idee vom praktischen Leben hat und von Truppenbewegungen nichts versteht. Ich trachtete, Moltke soviel als möglich zu sehen; er liebt es nicht sehr, wenn ich ihm sage, daß seine Befehle unausführbar sind, aber er ändert immer alles genau nach dem, was ich gesagt habe.“ Ueber den Führer der II. Armee heißt es: „Der Kronprinz ist wohl und munter und sehr liebenswürdig gegen mich. Welcher Unterschied gegen Friedrich Karl! Sehr schade, daß er nie pünktlich ist und man stundenlang auf ihn warten muß.“ Diese letztere, ganz harmlose und wahrlich nicht kritisch gemeinte Bemerkung, die aber doch den Kronprinzen begreiflicherweise verstimmen mußte, bezog sich lediglich darauf, daß der Abmarsch des Hauptquartiers an einzelnen Tagen dadurch eine kurze Verzögerung erfahren hatte, daß dem Kronprinzen noch im letzten Augenblicke wichtige Briefe und Depeschen überbracht wurden, deren Erledigung Eile erheischte. Von vielen Seiten wurde nun dieser Vorfall sensationell zu einem großen Ereigniß aufgebauscht. Man sprach von der Ungnade des Kronprinzen, die ein weiteres Verbleiben des Generals v. Blumenthal in seiner damaligen Stellung fraglich erscheinen ließ. Wie sehr sich diejenigen getäuscht hatten, die den Kronprinzen einer so engherzigen und kleinlichen Denkweise für fähig hielten, zeigte sich bald darauf, als Blumenthal (30. Juli) in Schloß Eisgrub unter Theilnahme des Kronprinzen seinen Geburtstag feierte. Als das Mahl seinen Höhepunkt erreicht hatte, erhob sich der Kronprinz, feierte in hochherzigen Worten das Geburtagskind, indem er zum Schluß der Rede sein Glas auf das Wohl „seines verehrten Freundes“ leerte und den neben ihm sitzenden General umarmte.

    Bei den bald darauf beginnenden Friedensverhandlungen auf Schloß|Nikolsburg war es Friedrich Wilhelm vorbehalten, eine wichtige Vermittlerrolle zu spielen. Besondere Schwierigkeiten boten die Verhandlungen betreffs des Königreichs Sachsen. Gerade dieser Staat hatte der Errichtung eines starken deutschen Staatenbundes unter Preußens Führung sich bisher am wenigsten geneigt gezeigt. Der wenn auch nur teilweisen Einverleibung eines so großen Staates, wie sie König Wilhelm I. forderte, standen aber wichtige nationale und praktische Bedenken entgegen, die sogar ein großer Theil der Umgebung des Königs — vor allen Dingen Graf Bismarck und der Kronprinz — theilten. Hierbei war es denn wieder der vermittelnden Persönlichkeit Friedrich Wilhelm's vorbehalten, einen Ausgleich zu schaffen, der die Gemüther beruhigte. Der Reichskanzler hat selbst im Jahre 1868 erzählt, „der Kronprinz sei der einzige verständige Mensch im Hauptquartier zu Nikolsburg gewesen, der ihm beigestanden habe und zumal dem Begehren von Länderabtretungen Osterreichs sich kräftig widersetzt habe“. Jetzt, da Friedrich Wilhelm das Heil des Vaterlandes auf dem Spiele sah, ging er zu Bismarck und versicherte ihn seiner Unterstützung bei den schwierigen Vermittelungsverhandlungen. „Sie wissen", sagte er ihm, „daß ich gegen den Krieg gewesen bin; Sie haben ihn für nothwendig gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie nun überzeugt sind, daß der Zweck erreicht ist und jetzt Friede geschlossen werden muß, so bin ich bereit, Ihnen beizustehen und Ihre Ansicht bei meinem Vater zu vertreten." Er erlangte des Königs Umstimmung jedoch erst nach einer heftigen Auseinandersetzung, an deren Schluß sich der Monarch an den Sohn mit den Worten wandte: „Sprich Du im Namen der Zukunft!“ Die dem Könige so mühsam abgezwungene Zustimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit Bleistift an den Rand der Bismarck’schen Eingabe geschriebenen Marginale, ungefähr des Inhalts: „Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde im Stiche läßt, und ich hier außer Stande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert, und da er sich der Auffassung des Ministerpräsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und einen so schmachvollen Frieden einzugehen.“ Indem durch den besonderen Friedensvertrag mit Sachsen (21. October) der König von Sachsen für sich und seine Nachfolger dem unter Führung Preußens neuzubildenden norddeutschen Staatenbunde beitrat, waren Sachsens politische Wege fortan eng an diejenigen Preußens geknüpft. Und da die Neubildung des sächsischen Heeres erst auf Grundlage der Heereseinrichtungen des Norddeutschen Bundes erfolgen sollte, so war Sachsen, um recht schnell wieder in den Besitz einer selbständigen Armee zu kommen, auf das möglichst schnelle Zustandekommen dieses Bundes angewiesen. Aus einem erbitterten Gegner des Norddeutschen Staatenbundes war auf diese Weise — wesentlich unter Beihilfe des Kronprinzen — ein mächtiger, natürlicher Bundesgenosse geworden.

    Als König Wilhelm I. am 4. August 1866 mit seinen Paladinen in Berlin eintraf, war die markige Gestalt des Kronprinzen, des gefeierten Helden von Königgrätz, überall der Gegenstand begeisterter Huldigungen. Nachdem er in der Frühe des nächsten Tages in der Friedenskirche zu Potsdam an der Ruhestätte des während des Feldzuges verstorbenen Prinzen Sigismund eine weihevolle Stunde der Erinnerung gehalten, begab er sich nach Berlin, um der feierlichen Eröffnung des Landtages durch den König beizuwohnen. Eine wichtige Angelegenheit sollte hierbei geregelt werden. Es handelte sich darum, den Streit der Krone mit dem Abgeordnetenhause, der während der unseligen Conflictzeit Fürst und Volk entfremdet hatte, aus der Welt zu schaffen. Der|König sollte in seiner Thronrede die Landesvertretung um nachträgliche Ertheilung der Indemnität angehen. Auch in dieser Frage war der Kronprinz auf Bismarck's Seite. Schon auf der viele Stunden langen Heimfahrt von Prag nach Berlin, am 4. August, war die Frage der Indemnität im Eisenbahncoupé im engsten Kreise zwischen dem Könige, dem Kanzler und dem Kronprinzen verhandelt worden. Die Unterredung war um so schwieriger, als sie von Seiten Bismarck's und des Kronprinzen in sehr vorsichtigen Formen geführt werden mußte. Der Kronprinz, der seines königlichen Vaters Empfindlichkeit gegen seine Opposition kannte, hielt sich sehr reservirt, unterstützte aber den Kanzler dadurch, daß er, wie Bismarck selbst erzählt, „in dem leicht beweglichen Ausdruck seines Mienenspiels ihn wenigstens durch Kundgebung seines vollen Einverständnisses seinem Herrn Vater gegenüber stärkte". Der König blieb anfänglich bei seiner Abneigung gegen Indemnität und genehmigte den bereits vorliegenden Entwurf zur Thronrede zunächst nur mit Ausnahme des darauf bezüglichen Satzes. Endlich gab er mit Widerstreben auch dazu seine Einwilligung, so daß die am 5. August beim Zusammentritt des Landtages verlesene Thronrede die Ankündigung enthielt, „daß die Landesvertretung in Bezug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung um nachträgliche Bewilligung angegangen werden solle“.

    Die Erfolge der preußischen Waffen hatte der Kronprinz miterrungen in heißen Schlachten; nun wollte er auch die Früchte der Siege nicht preisgegeben sehen. Die Annexion derjenigen Länder, die die Politik Preußens zusehends zu durchkreuzen bestrebt gewesen waren, zeigte sich ihm jetzt doch in anderem Lichte als zuvor, und als im August desselben Jahres die Vertreter der süddeutschen Staaten sich in Berlin zu Unterhandlungen mit der preußischen Regierung eingefunden hatten und zahlreiche mächtige und weniger mächtige Einflüsse zu Gunsten der abgesetzten Fürsten sich geltend machen wollten, erwies sich sowohl der König als auch der Kronprinz standhaft, so daß ein aufmerksamer Beobachter der Dinge, der stets in der Nähe des Königs weilende Geheime Legationsrath Abeken, über des Kronprinzen Verhalten in dieser Frage unterm 10. August 1866 in einem an seine Gemahlin gerichteten Briefe folgendes Urtheil fällen konnte: „Auch der Kronprinz ist in diesem Stück sehr gut; wie ihm überhaupt der Feldzug und die große Zeit sehr wohl gethan haben, und nicht der geringste von den Erfolgen dieser Tage ist der, daß er Bismarck näher gekommen und wenigstens in der äußeren und der deutschen Politik sehr einig mit ihm geworden ist.“

    Zu denjenigen Persönlichkeiten, die durch den Siegeslauf der preußischen Armee am unmittelbarsten berührt worden waren, gehörte auch der Erbprinz Friedrich von Augustenburg. Das Verhältniß zwischen diesem und dem Kronprinzen hatte etwas Tragisches. Aber wenn der preußische Königssohn als siegreicher Feldherr auch selber dazu beigetragen, die Hoffnungen des Jugendfreundes auf den Herzogsstuhl zu vernichten, so blieb dennoch die Freundschaft zwischen beiden Männern unverändert bestehen, und als der Erbprinz in einem Briefe vom 14. September 1866 an den Kronprinzen der Hoffnung Ausdruck gab, „daß ihr Verhältniß, da es auf persönlichen Gefühlen und auf politischer Uebereinstimmung über die allgemeinen Ziele deutscher Entwicklung beruhe, in seiner Grundlage durch den neuesten Verlauf der Dinge nicht angetastet würde“, legte der Kronprinz in seiner offenen, ehrlichen Weise seinen gegenwärtigen Standpunkt zu der angeregten Frage in einem bemerkenswerthen Schreiben vom 8. October 1866 dar. Der Urtheilsspruch, den die geschichtlichen Ereignisse über die Ziele des Freundes gefällt haben, müsse für ihn nunmehr maßgebend sein. Durch diese Ereignisse sei das Geschick der Herzogthümer in seinen Augen|unabänderlich entschieden, obwohl das, was er vor dem Kriege für Recht hielt, nicht dadurch für ihn hinterher zum Unrecht geworden sei, daß es sich undurchführbar gezeigt habe. Die warme Freundschaft, deren ihn Friedrich Wilhelm in diesem Briefe versichert, hat er ihm treu gehalten bis an sein Ende, und es hat ihn später nichts so gefreut als die Thatsache, daß der Herzog es noch erleben durfte, die zärtlich geliebte Tochter — ein Act ausgleichender Gerechtigkeit in der Geschichte — zur künftigen Gattin des einstigen preußischen Thronerben bestimmt zu sehen.

    Das politische Leben war in jenen Tagen, da durch Oesterreichs Niederlage die deutsche Frage von neuem in den Vordergrund getreten war, ein äußerst erregtes. Nach langen diplomatischen Kämpfen war am 24. Februar 1867 der erste Reichstag des Norddeutschen Bundes im Weißen Saale zu Berlin zusammengetreten, bei dessen Eröffnung auch der Kronprinz zugegen war. Im Zusammenhang mit diesem Ereignisse war Friedrich Wilhelm unausgesetzt bemüht, sein Urtheil über die innere und äußere Gestaltung der Dinge, insbesondere über den Fortgang der deutschen Frage, die er scharf im Auge behielt, zu einem möglichst umfassenden zu machen. Gerade in jener Zeit verkehrte er deswegen vielfach mit hervorragenden Politikern, studirte eingehend die politischen Zeitungen, wobei die Parteischattirung ihm durchaus keinen Unterschied machte, und hörte gern das Urtheil hervorragender, mitten im parlamentarischen Leben stehender Männer, von denen er Gutachten und Denkschriften einforderte.

    Dem Reichstag des neugegründeten Norddeutschen Bundes lag eine Fülle von Arbeitsmaterial vor. Die Form des Wahlrechts, die Länge der Legislaturperioden, die Diätenfrage der Abgeordneten, die Verantwortlichkeit der Minister, die Abgrenzung der rechtlichen Stellung für die Organe der Bundesgewalt — das alles waren Fragen von einschneidender Wichtigkeit, über deren Erörterung es in den parlamentarischen Verhandlungen oft zu aufregenden Kämpfen kam. Es lag in der Natur der Sache, daß der Kronprinz als künftiger Erbe des Reichs an der Gestaltung dieser Dinge hohes Interesse haben mußte. Dem von den Bundesregierungen eingebrachten Entwurf stand man in großen Kreisen des Volkes nicht zustimmend gegenüber. Der Kronprinz entwickelte in jenen aufregenden Tagen geistiger Kämpfe eine ungemein rührige Thätigkeit. Seine Einwirkung war auch hier eine vermittelnde. Stets von dem großen Gesichtspunkte der deutschen Frage ausgehend, war er bemüht, das bisher Errungene als Grundlage zum weiteren Ausbau festzuhalten. In langen Verhandlungen und Erörterungen mit den hervorragendsten Vertretern der Parteien setzte er deswegen alles, was in seinen Kräften stand, daran, ein Scheitern der Verfassungsvorlage zu verhindern. So hatte er am 27. März 1867 die Abgeordneten v. Bennigsen, Braun, v. Forckenbeck und Twesten in sein Palais zu einer Besprechung geladen, bei der er, wie Forckenbeck in einem Briefe an seine Gattin schrieb, mit seltener Offenheit und Liebenswürdigkeit das Gespräch führte und der Meinung Ausdruck gab, daß durchaus etwas Positives zu Stande kommen müßte. Auf die Einwürfe Forckenbeck's, daß der Sprung aus wohlgeordneten Verfassungs-verhältnissen ins ungewisse Blaue ihm schwer würde, antwortete der Kronprinz: „Unbekannt sind die Verhältnisse, die Folgen allerdings. Ich ehre, fühle Ihr Bedenken. Aber wenn etwas aus Deutschland werden soll, wird Preußen nicht aufgehen müssen? Wird es nicht — im allgemeinen und mit aller Reservation — die erste große Provinz von Deutschland werden müssen?“ Die Ungewißheit über das Schicksal der Regierungsvorlage beunruhigte ihn dermaßen, daß er in der zehnten Abendstunde des 9. April Forckenbeck im Reichstage aufsuchte, um zu erfragen, ob es noch am nächsten Tage zur Abstimmung darüber kommen würde.

    Die Frage der Diäten für die Abgeordneten, die Vorlagen der Regierung über das Bundesheer ließen den parlamentarischen Kampf von neuem mit ganzer Heftigkeit entbrennen. Bismarck war ein Gegner von verfassungsmäßigen Diäten und wollte überdies von den Bestimmungen des Regierungsentwurfes sich nicht ein Jota durch die Volksvertretung abmarkten lassen. Wiederholt hatte Friedrich Wilhelm deswegen lange Conferenzen mit den Führern der damaligen liberalen Partei; so am 11. April 1867 mit den Abgeordneten v. Bennigsen, v. Forckenbeck, Twesten und v. Unruh. Am 14. April, nachdem die Verstimmung zwischen Reichstag und Regierung abermals einen Höhepunkt erreicht, so daß ein neuer Conflict drohte, beschied der Kronprinz schon in früher Morgenstunde Forckenbeck in sein Palais und beschwor ihn, bei aller Billigung seiner Verfassungsbedenken, die deutsche Sache nicht fallen zu lassen. „Sollen wir in einem inneren Conflict sein, während wir gegen die Franzosen kämpfen?“ ruft er angesichts der wegen der Luxemburger Frage mit Frankreich drohenden Kriegsgefahr aus. Und seiner rührigen Thätigkeit, seinem bald ermunternden, bald abwehrenden Eingreifen gelingt es dennoch, alle Hindernisse der Verständigung soweit aus dem Wege zu räumen, daß Bismarck am 17. April 1867 die Annahme des vom Reichstag des Norddeutschen Bundes beschlossenen Entwurfs seitens der Bundesregierung proclamiren konnte. Am 1. Juli 1867 trat die heißumstrittene Verfassung in Kraft. Es sei hier noch einmal besonders betont, daß der Kronprinz an dem großen nationalen Werke hervorragenden Antheil hatte. Wenn ihm später wegen seines damaligen Verkehrs mit liberalen Abgeordneten der Vorwurf nicht erspart blieb, er habe einseitiger Parteipolitik gehuldigt, so hat gerade sein vermittelndes Eingreifen während jener aufregenden Tage bewiesen, daß er über den Parteien stand.

    Obwohl diese rege politische Antheilnahme, sowie seine vielfachen militärischen Obliegenheiten und zahlreichen Repräsentationspflichten seine ganze Kraft und den größten Theil seiner Zeit in Anspruch nahmen, so versäumte der Kronprinz keine Gelegenheit, den Künsten und Wissenschaften, vor allem aber dem Gewerbe seine unausgesetzte Fürsorge angedeihen zu lassen. So durfte er auch auf der im Mai 1867 in Paris eröffneten Weltausstellung nicht fehlen, um so weniger, als er durch das Vertrauen der gewerbetreibenden Kreise zum Vorsitzenden der Ausstellungscommission gewählt worden war.

    Eine fernere Reise ins Ausland, die nicht ohne politische Bedeutung war, führte Friedrich Wilhelm gelegentlich der am 22. April 1868 in Turin stattfindenden Vermählung des Kronprinzen Humbert an den italienischen Königshof. Der preußische Thronfolger war mit genauen politischen Verhaltungsmaßregeln versehen, unter denen ein unterm 13. April 1868 von Graf Bismarck an ihn gerichteter Brief als die bedeutungsvollste erscheint. Es galt, dem General La Marmora, der Seele der „französisch-piemontesischen“ Partei, der in Reden und Broschüren die preußische Politik bekämpft und eine Anlehnung an Frankreich als das einzige Heil für Italien empfohlen hatte, eine kühle und reservirte Haltung zu zeigen, „um die Aussicht desselben in der öffentlichen Meinung nicht zu vermehren und die Sympathie Italiens dem preußischen Staate zu erhalten“. Daß niemand geeigneter zu dieser Mission war als die sympathische Erscheinung des Kronprinzen, hatten gleich die ersten Tage seines Empfanges in Italien gezeigt. „Man erblickte“, wie die „Riforma“ unterm 23. April 1868 schrieb, „in dem festlichen Empfange des Thronfolgers nicht nur einen Act der Dankbarkeit gegen den Feldherrn des Krieges, der den Italienern Venetien gab, sondern auch einen Beweis, daß das Gewissen des|italienischen Volkes sich ewig weigern werde, seine Zustimmung einem neuen Allianzvorschlage zum Nachtheil der Herstellung der deutschen Einheit zu geben.“ Auch Graf Bismarck war von der tactvollen und klugen Ausführung der Mission des Kronprinzen vollauf befriedigt. Dies erhellt aus einem Gespräch des preußischen Ministerpräsidenten mit Professor Dr. J. C. Bluntschli (30. April 1868), worin er die Macht des Ministeriums La Marmora in Folge der Reise des preußischen Thronfolgers als beseitigt erklärte.

    Am 13. Mai 1868 von seiner italienischen Reise zurückgekehrt, war es dem Kronprinzen eine hohe und freudige Genugthuung, als er unmittelbar darauf die Mitglieder des in Berlin tagenden Zollparlamentes in seinem eigenen Heim empfangen konnte. Das Tagen des Parlamentes in Berlin — zum ersten Male seit dem Jahre 1849 — war die erste praktische Anbahnung einer Verbrüderung zwischen Nord und Süd. Die Mainlinie war hier thatsächlich schon überbrückt. Während sich das Einigungswerk der deutschen Stämme in langen diplomatischen Fehden und blutigen Kriegen vorbereitete, war in einem fernen Erdtheil ein gewaltiges Werk des Friedens nach langer, mühseliger Arbeit der Vollendung zugeführt worden, — der Bau der Suezcanals. Dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm war die ehrenvolle Aufgabe zu Theil geworden, bei der für den 17. November 1869 festgesetzten feierlichen Einweihung des Canals den Norddeutschen Bund zu vertreten. Bot die officielle Theilnahme des preußischen Thronfolgers an diesem Völkerverbrüderungsfeste den Hauptanlaß für seine Orientreise, so kamen dabei doch noch zwei andere Momente politischer Art in Betracht. Oesterreich war im Interesse der preußischen Vorherrschaft aus dem deutschen Bunde „hinausgezwungen"; aber man war am preußischen Hofe weit davon entfernt, das deutsche Brudervolk als einen dauernden Feind zu betrachten. Dem Kronprinzen lag nun die schwierige Aufgabe ob, den nach den blutigen Ereignissen des Jahres 1866 abgerissenen Faden mit dem Wiener Hofe wieder festzuknüpfen und dem Kaiser Franz Joseph die Versöhnungshand darzubieten. Einen Act der internationalen Höflichkeit sollte alsdann der Prinz in Constantinopel erfüllen; es galt, den Besuch, den der Großsultan Abdul Asis dem König von Preußen 1867 in Coblenz gemacht, zu erwidern. Erst von Constantinopel aus sollte die Fahrt zur Canalfeier angetreten werden.

    Friedrich Wilhelm verband mit solchen politischen Reisezwecken den eigenen Wunsch, außer dem Pharaonenland auch Griechenland und Palästina zu sehen. Er hat die Eindrücke und Erinnerungen seiner Orientreise in einer Reihe farbenprächtiger Schilderungen niedergelegt und zu einem Reisetagebuche vereinigt, das, nicht durch den Druck, sondern auf autographischem Wege vervielfältigt — ähnlich wie bei dem Kriegstagebuch von 1866 —, von dem fürstlichen Verfasser nur einer bestimmten Anzahl hervorragender oder ihm nahestehender Personen zum Geschenk gemacht wurde. Auch in diesem Tagebuch zeigt sich der Kronprinz als ein feinsinniger und scharfer Beobachter fremder Verhältnisse, Sitten und Gebräuche. Fast mehr noch als in dem Kriegstagebuche von 1866 gibt der fürstliche Verfasser in diesen Schilderungen sein ganzes, volles, warmes Menschenherz. Seine Darstellungen historischer, cultur- und kunstgeschichtlicher Stätten, seine Schilderung landschaftlicher Schönheiten und ethnographischer Eigenthümlichkeiten fremder Völker schwingen sich an verschiedenen Stellen zu einer poetischen Schönheit und Kraft empor, die ihn den besten Cultur- und Reiseschilderern ebenbürtig an die Seite stellen.

    Es ist natürlich unmöglich, im Rahmen der vorliegenden Arbeit dem Kronprinzen auf dieser wechselvollen, an Eindrücken und interessanten Erlebnissen so reichen Reise zu folgen. Ihren Höhepunkt erreichte diese an jenem|3. November, als der preußische Königssohn auf einem herrlichen Rosse, selbst angethan mit den malerischen Gewändern des Morgenlandes, von all dem sinnverwirrenden Pompe des Orients umgeben, ehrfurchtsvoll, fast unterwürfig von den Vertretern des osmanischen Reichs begrüßt, durch das alte Thor von Damaskus in Jerusalem einzog. Voll Andacht weilte er dann an all den heiligen Stätten, wo der Erlöser gewandelt und gelehrt, gelebt und gelitten: auf dem Oelberge, in Gethsemane und an den Ufern des Kidron. Tief ergriff ihn der Anblick eines Sonnenunterganges vom Ölberg aus. Am 7. November ergriff er dann im Namen seines Vaters feierlich Besitz von den alten, ehrwürdigen Gebäuden des ehemaligen Johanniterhospizes und der dazu gehörigen Kirche, die der Sultan in zuvorkommender Bereitwilligkeit dem Könige von Preußen überlassen hatte, und die nunmehr wieder christlichen Zwecken dienen sollten. Nachdem der Kronprinz am 17. November der feierlichen Eröffnung des Suezcanals beigewohnt, begab er sich von Suez aus nach Kairo, unternahm von hier aus eine längere Fahrt auf dem Nil, erkletterte nach mannichfachen Wanderungen und vielfach beschwerlichen Wegen durch die Wüste die größte Pyramide bei Gizeh und trat hierauf die Rückreise an über Alexandrien, Neapel und Paris. Der freundliche Empfang, der dem Prinzen durch den Kaiser der Franzosen und seine Gemahlin in Paris zu Theil wurde, und die trügerische Ruhe, die über der leichtlebigen Millionenstadt ausgebreitet schien, ließen nicht im entferntesten die Ereignisse ahnen, die einige Monate später das ganze tief in Frieden liegende Europa wie ein Blitz aus unbewölktem Himmel überraschen sollten.

    In der bald darauf auftauchenden spanischen Candidaturfrage des Erbprinzen von Hohenzollern, die den äußeren Anlaß zum deutsch-französischen Kriege geben sollte, war der Kronprinz, getreu seinen Ansichten über die Verderblichkeit des Krieges, anfänglich der Anwalt des Friedens gewesen. Er machte gleich seinem greisen Vater alle die inneren Kämpfe und Nöthe durch, die die Verantwortung an so hoher Stelle mit sich bringt. Die unerhörten Anmaßungen Frankreichs aber, wie sie in den bekannten Vorgängen zu Ems seinem königlichen Vater gegenüber zum Ausdruck kamen, empfand er wie jeder Deutsche als eine ihm persönlich angethane Schmach. Er gestand sich bald, „daß ein Nachgeben um des Friedens willen unmöglich war“. In Begleitung Bismarck's, Moltke's und Roon's fährt er dem von Ems unter dem Jubel der Bevölkerung zurückkehrenden Vater bis Brandenburg entgegen. Das Erscheinen der vier Männer benimmt dem Könige auch die letzte Friedenshoffnung. Auf dem Potsdamer Bahnhof angekommen, erfahren sie, daß soeben die Haß und Rache sprühende Rede Ollivier's aus Paris eingetroffen ist, und nun entwickelte sich, wie der jüngere Roon berichtet, in dem Wartezimmer des provisorischen Potsdamer Bahnhofes unter dem historisch gewordenen Kronleuchter eine Scene von weltgeschichtlicher Bedeutung. „Der Kronprinz, halb seitwärts neben dem Könige, stand da wie ein flammender Kriegsgott, das Urbild des teutonischen Zornes, mit zurückgeworfenem Haupt und drohend erhobener Rechten." In der ihm eigenen Weise, energisch für eine Sache einzutreten, sobald er sie als richtig erkannt, fordert er nun die sofortige Mobilmachung der gesamten Armee, „weil keine Zeit zu verlieren sei“. Seine Ansicht dringt durch, und mit den kurzen Worten: „Krieg und mobil!“ verkündet der Kronprinz den folgenschweren Entschluß des Königs den Officieren und dem in lautloser Spannung draußen harrenden Publicum, das die Nachricht mit brausendem Jubel aufnimmt. Und als er in den Tagen darauf die uneindämmbare Fluth der Begeisterung im deutschen Volke wahrnimmt, da läßt sein schnell entflammbares Gemüth ihn, der von seiner Jugend an den Traum|eines großen und freien Deutschlands liebevoll im Herzen getragen, schon jetzt die schönsten Hoffnungen fassen, und voll inniger Freude schreibt er am 18. Juli in sein Tagebuch: „Allgemeine Begeisterung, Deutschland erhebt sich wie ein Mann und wird seine Einheit herstellen“.

    Führer in einem Kampfe mit so herrlicher Bestimmung zu sein, das bereitete ihm innige Herzensfreude. Eine ehrenvolle und bedeutsame Aufgabe hatte ihm sein königlicher Vater zugewiesen, als er ihm die Führung der III. Armee anvertraute. Als linker Flügel der deutschen Armee war dieser die wichtigste, zugleich aber auch schwierigste Bestimmung zugefallen, die unter dem Oberbefehl Mac Mahon's stehende französische Südarmee anzugreifen und dadurch zu verhindern, daß der Feind, durch die Pässe der Vogesen dringend, den Kriegsschauplatz nach Deutschland verlegte. Die Schwierigkeit in der Führung dieser Armee bestand vor allem in ihrer Zusammensetzung: Badener, Baiern, Württemberger, Westfalen, Kurhessen, Thüringer, Nassauer, Frankfurter, Waldecker, Schlesier, Posener u. s. w. — es waren mehr als ein Dutzend Dialekte, die in seinem Heer erklangen. Ein fernerer Umstand machte seine Stellung schwierig und war geeignet, seine Aufmerksamkeit von seiner verantwortungsvollen Aufgabe abzulenken, sie mindestens zu zersplittern: seinem Stabe waren alle die Fürstlichkeiten beigegeben, die nicht selbstthätig als Führer, sondern nur als Zuschauer an dem Feldzuge theilnahmen. Gleich zu Beginn desselben schreibt der Kronprinz in sein Tagebuch: „Mein Hauptquartier schwillt so an, daß ich es in Staffeln theilen muß, deren erste alle wirklich Beschäftigten umfaßt“. — Bevor sich der Kronprinz zum Obercommando begab, trat er auf Wunsch seines Vaters eine Rundreise an die süddeutschen Höfe an. Es galt, den süddeutschen Fürsten den Dank des Königs für ihr schnelles und entschlossenes Handeln zu übermitteln, sie und ihr Volk noch fester für den Einigungsgedanken zu gewinnen, etwaige Mißstimmungen zu beseitigen, die Lauen mit fortzureißen und die Flammen der Begeisterung immer heller und heller zu schüren. Wer hätte das besser verstanden als der Kronprinz! In Ingolstadt hielt er den Officieren eine flammende Rede. In München, wo ihm ein geradezu begeisterter Empfang zu Theil wurde, saß er Abends an König Ludwig's Seite im Theater, wo die Aufführung von „Wallenstein's Lager“ mit dem kriegerischen Treiben auf der Bühne die Begeisterung hohe Wogen schlagen ließ; dann eilte er nach Stuttgart. Wenn der Empfang des Königs, der die Meldung des Kronprinzen „in steifer, dienstlicher Haltung" annimmt, ihn hier etwas kühl berührte, so war doch die Aufnahme seitens der Vertreter der verschiedenen Stände des Volkes um so herzlicher. „Die Begeisterung bei der Abreise machte mich fast verlegen“, schreibt er nieder; „man überreichte mir ein Bouquet in norddeutschen Farben; welche Verpflichtung legt uns diese Haltung des deutschen Volkes auf! Es wäre klug, kleine Eigenthümlichkeiten dieser Staaten zu respectiren.“

    Zum Generalstabschef für die III. Armee hatte Friedrich Wilhelm, wie im J. 1866, seinen bewährten Freund, Generallieutenant v. Blumenthal, erwählt. Zum großen Bedauern der beiden Männer waren vom Großen Hauptquartier keine besonderen Directiven für die demnächstigen Operationen der III. Armee gegeben worden, und so blieb es zweifelhaft, ob sich der Oberbefehlshaber in gewisser Beziehung als selbständig betrachten dürfe, oder ob sein Heer als Theil oder linker Flügel der großen Armee specielle Befehle vom Großen Hauptquartier zu erwarten hatte. Ueber die anfängliche Verzögerung des Vormarsches der III. Armee, deren Truppentheile noch nicht heran waren, entspann sich gleich im Anfange zwischen den beiden Hauptquartieren infolge grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten ein Schriftwechsel, der geeignet war, das gute Einvernehmen zwischen beiden Stäben in ähnlicher Weise zu stören, wie dies im J. 1866 mehrmals der Fall gewesen war. Major Verdy du Vernois, schon im Kriege 1866 zum Stabe des Kronprinzen gehörig, erwarb sich daher ein entschiedenes Verdienst, als er, vom Großen Hauptquartier mit der Beförderung einer den Vormarsch betreffenden und zur Eile antreibenden Depesche an das Obercommando der III. Armee betraut, in energischer Weise auf die Unmöglichkeit hinwies, ein solches Telegramm abzusenden; es könne dies nur geeignet sein, ein Obercommando zu schaffen, das für die ganze Campagne eine schroffe Stellung gegen die Oberleitung einnehme; irgend welche gewichtigen Gründe werde man bei der Leitung der III. Armee schon haben, den Zeitpunkt des Aufbruchs vorläufig noch zu verzögern. Als Verdy sich dann in Uebereinstimmung mit Moltke zur Aufhellung der Differenzen ins Hauptquartier des Kronprinzen begab, konnte er auch nur constatiren, daß die Befehle zum Sammeln aller Theile der III. Armee bereits in der Frühe desselben Tages ausgefertigt waren, und daß überall nur das eine Gefühl vorherrschte, so schnell wie möglich an den Feind zu kommen. Die mit Blitzesschnelle aufeinander folgenden wuchtigen Schläge der kronprinzlichen Armee bei Weißenburg und Wörth machten dem Streit zwischen beiden Hauptarmeen ein Ende und bewiesen insbesondere, wie richtig damals der Kronprinz die Situation beurtheilte, und wie es ihm nur zu hohem Verdienst angerechnet werden konnte, daß er nicht, wie man ihm zugemuthet, sich zu einer voreiligen Operation auf Straßburg hatte verleiten lassen, die ihn und vielleicht auch den linken Flügel der II. Armee in eine höchst ungünstige und gefährliche Lage gebracht haben würde.

    Die Thatsache, daß der Kronprinz die ersten Siegeskränze im Feldzuge errungen, hatten den Muth und das Zutrauen der süddeutschen Truppen zu ihrem Führer mächtig gehoben. Wieder war es die Macht seiner Persönlichkeit, die herzliche Antheilnahme an den Geschicken seiner Soldaten, das Außerachtlassen jeder Schonung und Gefahr für sich selbst, wodurch er die Herzen im Sturme gewann. Wie 1866 nach den schweren Kämpfen, erscheint der Königssohn bei Weißenburg als einer der ersten unter den Schwerverwundeten; mit feuchtem Auge erfaßt er die Rechte der sterbenden Krieger, ihnen durch sein Erscheinen den Tod erleichternd. Für die lebenden Verwundeten ist er in nimmer ruhender Fürsorge bemüht. Den wackeren Mannschaften des Königsregimentes läßt er das höchste Lob zu Theil werden; die von ihnen so ruhmvoll vertheidigte Fahne drückt er bewegt an die Lippen. Den gefallenen Feind ehrt er in edler menschlicher Theilnahme. Tief erschüttert weilt er einige Augenblicke an der Leiche des französischen Generals Abel Douay, und als nach der Schlacht die verwundeten Feinde in langer Reihe an ihm vorbeiziehen, entblößt er ehrfurchtsvoll sein Haupt vor den Opfern des Krieges.

    Noch mehr als bei Weißenburg war das persönliche Einwirken des Kronprinzen auf seine Truppen bei Wörth zu Tage getreten. Bekanntlich hatten das V. und II. (bairische) Armeecorps bereits am Morgen des 6. August den Feind angegriffen, gegen den Willen des Oberbefehlshabers, der erst das Eintreffen aller Armeetheile abwarten wollte. Durch Kanonendonner aus der Gegend der Sauer aufmerksam gemacht, setzte sich der Kronprinz gegen 11 Uhr mit seinem ganzen Stabe zu Pferde, und fand die Schlacht bereits im vollsten Gange. Er erkannte sehr bald, daß die Stellung des Feindes bei Elsaßhausen und Fröschweiler eine sehr starke, kaum zu bewältigende war, und daß sie nur durch energischen Druck auf seine Flanken und Bedrohung seines Rückzuges genommen werden könnte. Er sprach es ruhig und gelassen aus, daß „der letzte Mann eingesetzt werden müsse“, um die Höhen zu gewinnen und sandte dann seine Befehle nach allen Richtungen mit einer Ruhe, ja mit einem gewissen heiteren Gleichmuth, der die Kampfesstimmung und die Siegesaussichten wesentlich erhöhte. Als gegen ½3 Uhr das Vorgehen der sämmtlichen Flügel so weit gediehen war, daß das Obercommando an einen concentrischen Angriff denken konnte, da entfaltete sich dieser mit voller Wucht; die ganze III. Armee nimmt daran theil; im Feuer von Wörth wird die deutsche Einheit zusammengeschmiedet, und in dem Augenblicke, da die gewaltigen Heeresmassen der Württemberger, Baiern und Badenser in wuchtiger Breite vorrücken, da schwingt sich der Kronprinz, der vom Pferde gestiegen war, in den Sattel und sprengt quer über das Feld vorwärts, durch Wörth, auf die Brücke, über den Sauerbach. Jeder Zoll ein Held! Sein Erscheinen reißt überall die Truppen mit sich fort. Selbst die Verwundeten raffen sich noch einmal auf und stürmen mit, ihrer Schmerzen vergessend. „Was ihn hauptsächlich auszeichnete, das war seine Kaltblütigkeit in den Augenblicken der Gefahr“, so lautet der Bericht des englischen Generals Sir Beauchamp Walker, der als Militärattaché die Feldzüge von 1866, 1870/71 mitgemacht und stets in der Umgebung des Kronprinzen war. „Mochte kommen, was da wollte, er und Blumenthal behielten klaren Kopf. In der Schlacht war seine Ruhe unerschütterlich; im Glücke blieb er stets menschlich. Was kann ich mehr von dem edelsten Manne sagen, den meine Augen je gesehen?“

    Mit berechtigtem Selbstgefühl konnte der Kronprinz am Abend des unvergeßlichen Sieges von Wörth in sein Tagebuch schreiben: „Ich konnte das Ganze leiten! Blumenthal und Gottberg standen mir trefflich zur Seite". Aber auch dem Feinde läßt er Gerechtigkeit widerfahren: „Mac Mahon's zäher Widerstand, allmählich kämpfend abzuziehen, war bewundernswürdig“. Und doch wieder, als die Begeisterung des Sieges vorüber und nur der trostlose Eindruck zurückgeblieben war, daß nahezu 20 000 Todte und Verwundete das Schlachtfeld bedeckten, sagte er zu Gustav Freytag: „Ich verabscheue dieses Gemetzel. Ich habe nie nach Kriegsehrungen gestrebt; ohne Neid hätte ich solchen Ruhm jedem Anderen überlassen, und es wird gerade mein Schicksal, aus einem Krieg in den anderen, von einem Schlachtfeld auf das andere geführt zu werden und in Menschenblut zu waten, bevor ich den Thron meiner Vorfahren besteige. Das ist hart“.

    Wie die deutschen Heere nun fächerförmig gegen die Mosel vorrückten, wie sich die gesammte deutsche Wehrkraft nunmehr im Feindeslande entfaltete, dessen Thore durch die ersten Siege des Kronprinzen aufgestoßen waren; welche Operationen nunmehr der kronprinzlichen Armee zufielen, das ist hier nicht näher zu schildern. In Nancy erreicht ihn am 17. August die Nachricht von den siegreichen Schlachten von Vionville und Mars-la-Tour. Den 18. und die Nacht zum 19. verbringt das kronprinzliche Hauptquartier in großer Aufregung, bis endlich am 19. Morgens Major v. Hahnke mit der Siegesnachricht von Gravelotte eintrifft. Einzeln läßt sich der Kronprinz die Tapferen, die ihren Tod gefunden, herzählen; manch ehrendes Wort wurde dem Charakter, den militärischen Tugenden der Gebliebenen gewidmet. Bisweilen zuckt er zusammen bei der Ziffer der gefallenen Mannschaften. Sichtlich erschüttert entschloß er sich dann nach Pont à Mousson zu eilen, um den trotz des Sieges über die starken Verluste tiefbewegten König zu trösten. Tief ergreifend gestaltet sich das Wiedersehen zwischen Vater und Sohn. Der König übergibt dem Sohne, der die ersten Siege auf Frankreichs Boden errungen, das Eiserne Kreuz erster Classe; der Kronprinz will dasselbe nur|annehmen, wenn sein Generalstabschef dieselbe Auszeichnung empfange. Eine halbe Stunde später findet diese Ehrung statt, wobei der greise König betont, „wie glücklich er über die ersten Siege seines Sohnes sei, für dessen ganze Zukunft sie von der weittragendsten Bedeutung sein würden“.

    Und nun bereitete sich mit schnellen Schritten das Drama von Sedan vor. Hinsichtlich der berühmten Rechtsschwenkung der deutschen Heere nach dem Bekanntwerden der Thatsache, daß Mac Mahon seinen Marsch nach Paris aufgegeben, um auf dem schmalen Streifen zwischen der belgischen Grenze und den auf diese marschirenden deutschen Truppen sich zum Entsatze Bazaine's durchzuschlagen, sei hier ausdrücklich betont, daß Kronprinz Friedrich Wilhelm seinen Entschluß, dem Marschall mit der III. Armee zu folgen, anstatt auf Paris zu marschiren, selbständig und ganz unabhängig von den Beschlüssen des Großen Hauptquartiers gefaßt hatte. Bald nach Bekanntwerden des Mac Mahon’schen Planes hatte sein Entschluß unwiderruflich festgestanden, und schon vor dem Eintreffen der dahingehenden Weisung des Großen Hauptquartiers hatte er seine Dispositionen in diesem Sinne getroffen. Am 26. August hatte er noch in Bar-le-Duc eine eingehende Besprechung über diese schicksalsschwere Frage mit seinem königlichen Vater, der ähnlich wie 1866 in Nikolsburg — die Entscheidung in die Hände des Sohnes gelegt hatte. Die Folgen dieses Entschlusses waren von weittragender Bedeutung. Wäre die III. Armee auch nur einen Tagemarsch in der Richtung auf Paris weiter gegangen, so hätte sie nicht mehr rechtzeitig zur Schlacht von Sedan herangezogen werden können; die Maas-Armee hätte einem weit überlegenen Gegner allein gegenüber gestanden, und die neu gewonnenen Brüder, die Baiern, Württemberger, Badenser, hätten nicht theilnehmen können an den Ehren des nunmehr heraufziehenden Ruhmestages der ganzen deutschen Nation, an den Lorbeeren des Sieges von Sedan, der zur Kräftigung des deutschen Einheitsgedankens in so hervorragender Weise beigetragen.

    Die der III. Armee zufallende Aufgabe für den großen Schlachttag war eine dankbare und entscheidende und wurde auch ganz in diesem Sinne ausgeführt. In der Nacht mußten Brücken über die Maas geschlagen und noch vor Tagesanbruch mit dem V. und XI. Corps und den Württembergern gegen Norden aufgebrochen werden. In lautloser Stille schieben sich die Colonnen in der dunklen Nacht vorwärts; der Brückenschlag vollzieht sich mit der Präcision wie im Manöver, und die sechste Morgenstunde ist noch nicht angebrochen, als die Spitzen des V. und XI. Armeecorps und der württembergischen Division das jenseitige Maasufer erreichen. Von einer gegen das Thal der Maas vorspringenden Höhe beobachtet Friedrich Wilhelm in der Mitte seines Stabes vom frühen Morgen an das Vorrücken seiner Armee, die, in einem weiten nach Osten geöffneten Bogen bis Fleigneux reichend, den westlichen Theil des gewaltigen Umfassungsringes bildete. Mit den Herren seines Stabes die fortwährende Bewegung seiner Corps verfolgend, erkennt er mit scharfem Blicke und schneller Uebersicht bald die Stellen des Umfassungsringes, durch die der Feind noch entweichen kann. Um den Ring auch nach der nordwestlichen Seite von Sedan zu schließen, erhalten das V. und XI. Corps den Befehl, den nach Norden bis fast auf St. Menges vorspringenden Maasbogen zu umgehen, dem Kanonendonner zu folgen und den Feind im Rücken anzugreifen. Als aber nach 10 Uhr der Kampf bei dem V. und XI. Armeecorps an Heftigkeit zunimmt, wendet sich der Kronprinz ungeduldig zu Blumenthal: „Ich halte es nicht länger aus; ich muß zu meinen braven Truppen, ich kann nicht länger hier in Sicherheit den Zuschauer spielen“. Aber die wichtigen Meldungen, mit denen Major v. Hahnke eben jetzt vom|V. Armeecorps eintrifft, halten den Kronprinzen zurück, und durch die Fernrohre erkennt man bald im Stabe, daß nicht nur die Maasarmee, sondern auch das V. und XI. Armeecorps im steten Vorschreiten sind, und daß der Ring sich immer enger um die französische Armee zusammenschließt. — Endlich hatte er sich ganz geschlossen, und als Friedrich Wilhelm am Abend, nachdem das Schreiben des Gestürzten von Sedan eingetroffen war, an der Seite seines Generalstabschefs „still und in sich gekehrt von den auf ihn einstürmenden Gedanken und Gefühlen“ in sein Hauptquartier zurückkehrte, da konnte dieser aus einzelnen kurzen Bemerkungen entnehmen, welche Genugthuung der Kronprinz darin fand, durch seinen in Bar-le-Duc gefaßten Entschluß zu einem so glänzenden Erfolge der deutschen Armeen beigetragen zu haben.

    Neben den Aufgaben, die ihm die schwierige Leitung einer großen Armee stellte, beschäftigte den Kronprinzen unablässig die Sorge, „daß das Resultat des Krieges den gerechten Erwartungen des deutschen Volkes nicht entsprechen möchte“. Bereits am 3. September hatte er eine eingehende Unterredung mit dem Reichskanzler, von der Abeken berichtet, daß Bismarck nach derselben ihm zum ersten Male mit Anerkennung und Vertrauen vom Kronprinzen gesprochen habe: „Es stecke doch sehr viel in dem Herrn drin!“ Bei der Unterhaltung drehte es sich vorzugsweise um die Abtretung Elsaß-Lothringens. Der Kronprinz war schon damals mit dem Kanzler der Ansicht, Elsaß in deutsche Verwaltung für Bund oder Reich zu behalten, wenn er sich auch nicht verhehlt, „daß Frankreich dadurch für alle Zeit unser natürlicher Gegner, daher seine Schwächung unsere Aufgabe sei“. Eine wesentliche Unterstützung dieser Aufgabe erblickte er in dem militärischen Vortheile, daß der Besitz des Elsaß „den bisher so schmal bemessenen strategischen Aufmarsch erleichtere". Für die moralische Wiedereroberung des einst dem deutschen Reiche geraubten und so lang entfremdeten Landes empfiehlt er schon jetzt einen aus Eingeborenen gebildeten Verwaltungsrath; „es kommt darauf an, sie vom großen französischen Staatskörper energisch loszulösen, sie aber fühlen zu lassen, daß sie Mitglieder eines großen Staates und nicht verurtheilt sind, die Kleinstaaterei mitzumachen“.

    Bei der Belagerung von Paris war der III. Armee, mithin also dem Kronprinzen und seinem Generalstabschef, eine ehrenvolle und einflußreiche Aufgabe zugewiesen: die Einschließung der Südfront. Da er als Höchstcommandirender auf dieser Seite des Umfassungsringes selbständig handeln konnte, so gehörten die ersten 14 Tage in Versailles für ihn und seinen Stab zu den angenehmsten der ganzen Belagerungszeit. Mit dem Eintreffen des Großen Hauptquartiers wurde seine Stellung um ein Wesentliches verändert. Die nun mitunter eintretende und nicht zu vermeidende Unsicherheit in den Ressort- und Commandoverhältnissen wirkte oft recht unbehaglich und störend auf den Dienst ein und drohte, dem Kronprinzen die Freudigkeit und Frische zu nehmen, die sonst untrennbar von seiner Person waren. Auch das Verhältniß zwischen den drei ersten Rathgebern des Königs, Bismarck, Moltke und Roon, war nicht mehr ein so ungetrübtes, wie in jener denkwürdigen Stunde kurz vor Beginn des Krieges. Der Grund hierfür lag wohl in erster Linie in dem Umstande, daß der Leiter der auswärtigen Politik gar nicht oder doch nur in seltenen Fällen zu den gemeinsamen militärischen Berathungen hinzugezogen wurde, wie das ausnahmslos 1866 der Fall war, und diese Erscheinung entsprang wiederum der Thatsache, daß die politischen Verhältnisse von 1870 ungleich einfacher waren als die von 1866; die schnellen und entscheidenden Waffenerfolge der deutschen Heere hatten die militärischen Vorgänge weit in den Vordergrund gedrängt. Die Mißhelligkeiten und Verstimmungen|nahmen zu in dem Maße, als die Belagerung der französischen Hauptstadt sich in die Länge zog; sie standen, wie wir weiter unten sehen werden, zu der wichtigen Frage in engster Beziehung, wie man die französische Hauptstadt am schnellsten und sichersten zu Fall bringen könnte, eine Frage, über welche die Ansichten der maßgebenden Persönlichkeiten weit auseinandergingen. Der Kronprinz gehörte zu denjenigen Feldherren im Kriegslager vor Paris, die aus militärischen wie humanen Gründen einer Aushungerung das Wort redeten. Er befand sich hierbei in engster Uebereinstimmung mit Blumenthal, sowie mit Moltke selber. Auch Roon hatte anfänglich die Ansichten der beiden genannten Männer in Bezug auf das gegen die Hauptstadt einzuschlagende Verfahren völlig getheilt; aber bereits gegen Ende October begann er, offenbar unter Einwirkung Bismarck's, zur Beschleunigung des artilleristischen Angriffes zu mahnen, anfangs bei gelegentlichen Begegnungen, von Ende November an mit Nachdruck, unter Uebergriffen in Moltke's Wirkungskreis, bei den militärischen Vorträgen, die täglich beim Könige stattfanden. In gleichem Sinne suchte der Bundeskanzler zu wirken, sehr dringend gegen Ende November in einer schriftlichen Eingabe an den König, in der er hervorhob, wie nachtheilig die Verzögerung der Entscheidung vor Paris auf die Stimmung in der Heimath und im Auslande wirke. Da die eigentlichen Ursachen der Verzögerung bei der großen Anzahl von Personen, die den Krieg ohne Verantwortlichkeit und Sachkenntniß mitmachten, nicht allgemein bekannt waren, so konnte es nicht fehlen, daß man sich in Versailles zu den seltsamsten Behauptungen und Vermuthungen verstieg und zuletzt den falschen Schluß zog, daß die Schuld bei dem Obercommando der III. Armee läge. Man wußte, daß der Kronprinz und Blumenthal gegen einen förmlichen Angriff waren und schloß daraus, daß der Stab die Arbeiten als eigentlich überflüssig verzögere oder nicht mit der nothwendigen Energie betreibe. Den vereinigten Gegenströmungen, die der Leitung der III. Armee auf der Südfront von Paris die Arbeiten so ungemein erschwerten, ja zeitweilig verleideten, suchte General v. Blumenthal im Einverständniß mit dem Kronprinzen durch ein unterm 21. November an Moltke gerichtetes, ruhig und sachlich gehaltenes Schreiben entgegenzuwirken, das vom rein militärischen Standpunkte aus die Gründe auseinandersetzte, die das Obercommando der III. Armee von einer förmlichen Beschießung der französischen Hauptstadt abhielten. Obwohl Graf Moltke dieses Schreiben mit der Randbemerkung versehen hatte: „Mündlich Einverständniß erklärt“, hatte es doch nur theilweise den erwarteten Erfolg. Bei dem Könige führte der fortwährende Zwiespalt der Ansichten, die sich auch in den Vorträgen geltend zu machen suchten, zu einer Art Verstimmung, die durch Unwohlsein genährt, alles bei ihm in ungünstigem Lichte erscheinen ließ und zeitweise von Einfluß auf die energische Fortführung des Feldkrieges war.

    Nicht allein, daß die Presse sich der Sache bemächtigte und förmlich blutdürstige Artikel in die Welt schickte, sondern auch im Berliner Reichstage wurden dahinzielende Interpellationen vorbereitet, um auf den Entschluß des Königs einzuwirken. Ja noch mehr. In der Ungeduld und Unruhe über die vermeintliche Verzögerung entstand das Gerücht, daß die Unthätigkeit vor Paris nicht auf sachlichen Gründen beruhe, sondern auf fremdländische Einflüsse zurückzuführen sei. Durch die Vermittlung hochstehender Frauen sollte die deutsche Heeresleitung für die sentimentale Auffassung gewonnen sein, daß das „Mekka der Civilisation“ nicht nach Kriegsgebrauch behandelt werden dürfe, sondern geschont werden müsse. Man sprach mehr oder weniger davon, daß die Königin und die Kronprinzessin von Preußen in diesem Sinne auf ihre hohen Gemahle einwirkten und wies darauf hin, daß auch die Gemahlinnen|des Generalstabschefs und des Oberquartiermeisters der III. Armee, v. Blumenthal und v. Gottberg, geborene Engländerinnen seien; ja selbst der Umstand, daß Moltke's zwei Jahre zuvor verstorbene Gemahlin von einem Engländer abstammte, mußte, obgleich sie wie ihre Stiefmutter, Moltke's Schwester, in Deutschland geboren und aufgewachsen war und niemals Beziehungen nach England gehabt hatte, zur Begründung von Verdächtigungen herhalten. Man scheute sich nicht, wie Blumenthal berichtet, ihn in Privatbriefen, namentlich in anonymen, förmlich zu bestürmen, „endlich seinen Widerstand aufzugeben, da man sonst glauben könnte, daß er in seinem Eigensinn von englischen Damen bestärkt worden wäre“. Aehnliche Briefe erhielt der Kronprinz, der sich aber im ruhigen Bewußtsein, das Rechte redlich zu wollen, dadurch nicht verleiten ließ, gegen seine bessere militärische Einsicht zu handeln. Wenn es auch begreiflich erscheint, daß die von solchen Vorwürfen Betroffenen eine Rechtfertigung verschmähten und sich über derartige Erzeugnisse einer erhitzten Phantasie erhaben fühlten, so blieb dennoch die Thatsache immer betrübend genug, daß man gegen Männer wie König Wilhelm, den Kronprinzen, Moltke und Blumenthal, die doch in drei Kriegen oft genug dem Tode ins Auge geschaut hatten, heimlich oder offen die Beschuldigung erhob, sie hätten vor Paris, nicht etwa in irrthümlicher Beurtheilung der Verhältnisse, sondern in unmännlicher Nachgiebigkeit gegen weibliche Sentimentalität und fremdländische Einflüsterungen so zu handeln unterlassen, wie es der Kriegszweck erheischte, also die Pflicht gegen das Vaterland gebot! Daß ein solcher Vorwurf nicht weit von dem des Landesverraths entfernt war, ist den Urhebern jener Gerüchte wohl nicht zum Bewußtsein gekommen.

    Obwohl Blumenthal in einer Conferenz der maßgebenden höheren Militärs seine Ansicht noch einmal nachdrücklich im Sinne seines an Moltke gerichteten Schreibens vom 21. November entwickelte und General v. Moltke, aufgefordert, seine Meinung auszusprechen, sein volles Einverständniß mit den Blumenthal’schen Ausführungen erklärte, erreichten die Politiker dennoch ihren Zweck. Am 5. Januar 1871 Morgens begann die Beschießung und wurde fortgesetzt, so weit das nebelige Wetter es gestattete. Aber von irgend einem wichtigen Erfolge war nichts zu merken. Die Forts wurden zwar zeitweise zum Schweigen gebracht, aber die zahlreichen schweren Geschütze der Hauptenceinte feuerten fleißig auf die deutschen Batterien und brachten der Festungsartillerie erhebliche Verluste bei. Schon am 11. Januar wurden ein Dutzend Officiere und 150 Mann als todt und verwundet gemeldet, und als am 26. Januar in Folge der immer drohender auftretenden Hungersnoth die Capitulation der stolzen Festung erfolgte, zeigte es sich, daß sie noch armirt und widerstandsfähig war, obgleich die deutschen Geschosse sie an einigen Stellen arg zugerichtet hatten. Es unterlag daher wohl keinem Zweifel, daß die Capitulation von Paris weder durch den förmlichen Angriff noch durch das Bombardement beschleunigt worden, sondern einzig durch die enge Einschließung und die damit verbundene Aushungerung eingetreten war, eine Thatsache, die den Kronprinzen und seinen Generalstabschef mit Genugthuung erfüllen mußte.

    Einen erfreulichen Gegensatz zu diesen oft recht unerquicklichen Zwiespältigkeiten bildete der unentwegte Fortgang der Kaiserfrage. Der gute Genius der Einheitsbestrebungen war in guten und bösen Tagen, im Kampfe mit Lauheit und Widerstreben, immerdar der Kronprinz von Preußen gewesen. Schon nach dem Siege bei Wörth hatte er in der Mitwirkung der Süddeutschen „den Kitt für die deutsche Einheit“ gesehen und ernstlich davor gewarnt, einen solchen Augenblick unbenutzt vorübergehen zu lassen. Die „bloße Anbahnung neuer Bestrebungen im deutschen Sinne“ genügte ihm nicht; er|wollte dem deutschen Volke „etwas Greifbares, etwas Ganzes bieten", und er räth dringend, „das Eisen der Kabinette zu schmieden, so lange es warm ist". Er befand sich bei dieser energischen Inangriffnahme der deutschen Kaiserfrage im völligen Einverständniß mit dem Empfinden des Volkes, das sich die nationale Einigung nicht anders denken konnte, als unter dem machtvollen Zeichen der Kaiserkrone. Dem Volke waren die Begriffe eines „deutschen Herzogs“ oder eines „Kriegsherrn des neuen Bundes“, wie es Gustav Freytag in völliger Unkenntniß der wahren Volksmeinung dem Kronprinzen in einer Unterredung zu Petersbach am 11. August 1870 empfohlen hatte, fremd und unsympathisch. Es mußte dem Volksgeiste eine packende Vorstellung von dem Oberhaupt eines neuen Reiches gegeben werden; nur der Titel eines Kaisers war im Stande, die Begeisterung für die Macht und Herrlichkeit des neuen Reiches zu entflammen. Daß für diese Würde nur die Persönlichkeit seines Vaters unter den Fürsten in Betracht kommen konnte, war für den Kronprinzen nicht einen Augenblick zweifelhaft. Selber im tiefsten Innern überzeugt von der Größe und Macht des Hohenzollern’schen Fürstengeschlechts und von der hohen weltgeschichtlichen Aufgabe, die diesem in Gegenwart und Zukunft zu lösen bestimmt war, konnte auch er sich wie Hunderttausende anderer Deutsche die nationale Einheit nicht anders denken, als unter dem machtvollen Scepter eines Kaisers aus dem Hause der Hohenzollern. Es ist menschlich zu verstehen; das dynastische und persönliche Interesse berührten sich hier eng mit dem nationalen. In allererster Linie aber war die Triebfeder seines Handelns ein auf dem Grunde seines stets mehr deutsch als preußisch fühlenden Herzens entsprungener Idealismus für deutsche Macht und Größe; er hatte den Jammer der deutschen Kleinstaaterei noch mit eigenen Augen gesehen und wollte ihm ein Ende bereiten. Weit muß die Behauptung zurückgewiesen werden, daß die Bestrebungen des Kronprinzen ausschließlich mit einer stark ausgeprägten Vorliebe für seine persönliche Würde, ja noch mehr: für äußeres Gepränge und fürstlichen Glanz zusammenhingen, wie dies Gustav Freytag in der höchst einseitigen Beurtheilung seines hohen Gönners gethan hat.

    Schon im J. 1867 hatte Friedrich Wilhelm, wie H. v. Sybel berichtet, den Einwürfen seines Vaters gegenüber die auf geschichtlichem Bewußtsein und gesundem politischen Denken gegründete Ansicht ausgesprochen, daß dem Volke der Titel eines Bundespräsidenten keine anschauliche und packende Vorstellung von dem Kaisertum gebe; „die Erneuerung der Kaiserwürde aber werde ihm die erlangte Einheit anschaulich verkörpert zeigen und die Erinnerung an des Reiches alte Macht und Größe alle Herzen entflammen“. War der Gedanke auch damals verfrüht, so hat doch die Folgezeit seine Richtigkeit glänzend bestätigt. Wilhelm I. stand dem Kaiserthum, wie es sich sein mit feuriger Gluth die Sache ergreifender Sohn vorstellte, damals nicht sympathisch gegenüber. In den altpreußischen Traditionen erzogen, mit der ruhmvollen Geschichte derselben durch dreiviertel Jahrhunderte und durch eigene Thaten verknüpft, war er im Grunde ein Preuße und fand den Gedanken, daß das unter seiner Hand erstarkte Preußen in Deutschland aufgehen solle, höchst unbehaglich. Während er selbst an der Grenze des Lebens stand, war sein Sohn ein 40jähriger Mann in der Fülle männlicher Kraft und Frische. Die Gedanken und Gefühle seiner Altersgenossen lebten in ihm. Die aus dem Sturmjahre 1848 herüber geretteten Einheits- und Freiheitsideen, verbunden mit den von seiner Gemahlin aus England herübergebrachten und von seinem Schwiegervater gepflegten liberalen Ideen gewannen in ihm Fleisch und Blut. So ergriff er denn, nachdem es im J. 1866 vor Gründung des Norddeutschen Bundes nicht schon gelungen war, an Stelle des Bundespräsidiums ein Königoder Kaiserthum zu setzen, nach den ersten gemeinsamen Siegeserfolgen die im Heere und Volke lohende Begeisterung als bequeme Handhabe für die Verwirklichung der so lange thatenlos in ihm schlummernden Ideen und schob alle Gegner energisch beiseite. Hatten ihn doch bairische und württembergische Officiere schon auf seiner Hinreise zum Kriegsschauplatz in begeisterten Kundgebungen gefeiert. Sein Erscheinen wirkte schon damals wie die fleischgewordene Verwirklichung der Kaiseridee. Lag es doch auch in der Natur der Sache, daß der Name eines deutschen Kaisers den Süddeutschen sympathischer war als der des Königs von Preußen, der in ihnen allerlei particularistische Empfindungen erwecken mußte. Mit seiner Begeisterung riß Friedrich Wilhelm alle Langsamen und Schwerfälligen mit sich fort. Für ihn gab es schon damals kein Hinderniß mehr; in seinem idealen Geiste stand die deutsche Einheit schon fertig da. So fand ihn schon in den ersten Augusttagen des Jahres 1870 Freytag in Speyer: „In seiner Auffassung der deutschen Verhältnisse war er wie ein geflügelter Engel, der hoch über der Erde schwebt. Der deutsche Nordbund erschien ihm als gänzlich überwunden und abgethan; das Ganze, die Einheit sei ja jetzt vorhanden“.

    Wenn von kalterwägender Seite dieser Begeisterungsrausch als das Product eines mit den realen Verhältnissen nicht vertrauten Schwärmers hingestellt wurde, wie es auch Freytag that, so ist darauf zu erwidern, daß noch bei jeder großen Sache das Feuer idealer Begeisterung der äußere Antrieb war, die Lauen und Halben mit sich fortzureißen, und es war eine politisch-kluge That des Kronprinzen, die durchaus etwas „Reales“ hatte, dafür zu sorgen, daß die Flamme der Begeisterung nicht erlosch. Es war klar, daß auch die widerstrebenden Fürsten der Begeisterung ihres Volkes gegenüber in eine gewisse Zwangslage geriethen, der nachzugeben schließlich in ihrem eigenen Interesse lag. Diese Zwangslage auszunützen, war von dem Kronprinzen durchaus nicht so unpolitisch. Unermüdlich in diesem Sinne thätig, arbeitete er gleich nach der Schlacht bei Wörth eine Denkschrift über die Kaiserfrage für den Bundeskanzler aus, die er auch Gustav Freytag zu lesen gab.

    Charakterisirt man den Einheitsgedanken von seinem ersten Entstehen bis zu seiner Verwirklichung, so kann man sagen: die ursprüngliche Idee wurde aus dem Volksempfinden, aus der Sehnsucht des Volkes heraus geboren; Friedrich Wilhelm hat sie mit Zähigkeit sein ganzes Leben hindurch gewissermaßen im Schwunge erhalten, auch zu einer Zeit, wo Bismarck noch specifischer Preuße war. Der Mann aber, der alle Eigenschaften dazu besaß, mit mächtiger Hand diesen Gedanken zur Verwirklichung zu bringen, war der Bundeskanzler. Er stand gewissermaßen in der Mitte zwischen dem abwehrenden, in der deutschen Frage anfangs nur widerwillig folgenden Könige und dem feurigen, die Hindernisse unterschätzenden Kronprinzen, der in seinem Eifer, überhaupt etwas zu Stande zu bringen, wohl manchmal über das Ziel hinausschoß. Beide Männer, der Kanzler und der Thronfolger, waren in der deutschen Frage im großen und ganzen einig; nur in den Einzelheiten gingen ihre Ansichten weit auseinander. Dem Kronprinzen schwebte noch in den letzten Monaten des Jahres 1870 das Ideal eines deutschen Reiches in einem Einheitsstaate auf constitutioneller Grundlage nach englisch-parlamentarischem Muster vor, wobei der Kaiser durch verantwortliche Reichsminister regieren, die Fürsten mit dem Hochadel ein erbliches Oberhaus bilden sollten, neben dem er sich die Volksvertretung, aus allgemeiner Wahl hervorgegangen, dachte. Und so sehr hatte die deutsche Idee damals des Kronprinzen ganzes Denken, Fühlen und Wollen eingenommen, daß er, um überhaupt etwas zu Stande zu bringen, die süddeutschen Staaten, falls sie nicht freiwillig kämen, „ohne|hindernde Vorbehalte und Sonderrechte“, wenn es sein müßte, zum Eintritt zwingen wollte. Graf Bismarck wollte jedoch, der Persönlichkeit Kaiser Wilhelm's Rechnung tragend, und im Sinne Friedrich Wilhelm's IV., der seinerzeit die Krone aus gleichem Grunde abgelehnt hatte, die Entscheidung von dem freien Entschluß der Fürsten abhängig machen. Ohne Zweifel stand hierbei Bismarck auf dem Boden einer festen Politik; der Kronprinz rechnete mit der Stimmung des Volkes, der Kanzler mit den realen Kräften des Königreiches; er verschmähte dabei aber jeden unmittelbaren Zwang.

    Das anfänglich ablehnende Verhalten der bairischen und württembergischen Regierungen, die eine Fülle von Bedingungen und Privatreservationen an die Einheitsfrage knüpften, versetzte den lebhaft zum Abschluß drängenden Kronprinzen in helle Ungeduld. Er stimmte mit dem bedächtig prüfenden und wägenden Kanzler nicht überein, „der Zeit anheimzustellen, die deutsche Frage sich entwickeln zu sehen“. Am 16. November hatte er mit Bismarck eine längere, ziemlich erregte Unterredung, die den damaligen Standpunkt beider zur deutschen Frage klar darlegt. Friedrich Wilhelm vertrat dabei mit Nachdruck die Ansicht, daß der Widerstand Baierns früher gebrochen worden wäre, wenn der König durch Bismarck einen entscheidenden Druck auf die leitenden Kreise in Baiern ausgeübt hätte, sei es auch nur dadurch, daß er die in den großen bairischen Städten herrschende ungeheure Begeisterung für die deutsche Sache der Regierung nachdrücklich vor Augen geführt hätte. Immerhin hatte die Unterredung den Erfolg, daß Bismarck den Widersachern des Einheitsgedankens seit jener Zeit mit größerer Schärfe entgegentrat. Der Kanzler gestand selbst dem Kronprinzen gegenüber einige Tage später zu, daß das Gespräch vom 16. ihn angetrieben habe, Ernst zu machen und nach Delbrück's Abreise die Verhandlung in die Hand zu nehmen; beide Königreiche wollten nun eintreten; er müßte aber auch noch seine Trümpfe ausspielen. Dagegen machte Roon, der in der deutschen Frage mehr den preußischen Standpunkt König Wilhelm's theilte, Schwierigkeiten. Glücklicher Weise hatte sich die Lage inzwischen schneller geklärt, als man gehofft hatte. Gerade durch das ablehnende Verhalten Baierns gereizt, ging Bismarck von jener Zeit ab mit größerer Wärme und Entschiedenheit auf die Kaiseridee ein, von der er behauptete, „daß er früher deren Volksthümlichkeit unterschätzt habe“. „Wollte Baiern nicht mitthun, so müßte man daran denken, auch ohne die Regierung in München mit den anderen Staaten zu unterhandeln.“ Das stellte sich nun um so leichter, als die entschlossene Haltung der württembergischen Minister, wesentlich unterstützt von der gesammten Volksmeinung im Lande, auch die noch Zweifelnden und Abwartenden mit sich fortriß. Am 23. November kam der Vertrag mit Baiern, am 25. der mit Württemberg zu Stande. Niemand konnte wohl eine größere Befriedigung darüber empfinden als Kronprinz Friedrich Wilhelm. Vergessen waren alle Streitigkeiten, aller Hader in seinem Herzen. Voll innerer Befriedigung drückte er dem eisernen Kanzler die Hand, und in schöner Bescheidenheit, seine eigene unausgesetzte Thätigkeit nicht in Anschlag bringend, schreibt er noch an demselben Tage in sein Tagebuch: „Wir verdanken dies wesentlich dem Großherzog von Baden, der unausgesetzt thätig gewesen“. Sein Gemüth war in jenen erhebenden Tagen frei und hochgestimmt, und scherzend begrüßte er am 15. Januar den wegen der Festpredigt zum Könige befohlenen Hofprediger Rogge als „Consecrator Imperii“, und als am 18. Januar 1871 im Spiegelsaale zu Versailles die deutschen Fürsten den ehrwürdigen König von Preußen zum Kaiser krönten, da war Friedrich Wilhelm der erste, der sich in freudiger Bewegung hinzudrängte und seinem greisen Vater, dem nunmehrigen deutschen Kaiser, huldigend die Hand küßte,|und einige Tage später, am 23. Januar, als er die Cabinetsordre über den nunmehr zu führenden Fürstentitel erhielt, schreibt er die schönen, klugen Worte in sein Tagebuch, „daß er sich nur noch als Deutscher fühle, keinen Unterschied mehr kenne zwischen Baier, Badenser und wie sich sonst die Bewohner der 33 Vaterländer nennen, sich auch keineswegs in die inneren Angelegenheiten derselben mischen oder sie ihrer Eigenthümlichkeiten berauben wolle“.

    1871—1878.

    Es war der Höhepunkt im Leben Friedrich Wilhelm's gewesen, als er an jenem sonnenbeschienenen 16. Juni 1871, ruhmbedeckt und lorbeerumkränzt an der Spitze seiner aus dem Felde heimkehrenden Truppen in die neue Reichshauptstadt einzog, in seinem Herzen das Bewußtsein, daß sein Arm, sein Schwert, sein Rath entscheidend mitgewirkt hatten. Weitherzige, großangelegte Pläne schwellten damals sein Herz; aber auch bange Zweifel, daß den äußeren gewaltigen Erfolgen der innere Ausbau des Reiches nicht entsprechen würde, beschlichen ihn damals, bestärkten ihn aber um so fester in dem Entschlusse, seinem Volk später ein aufgeklärter Fürst zu sein, der den modernen socialen und politischen Errungenschaften der Zeit in ernster Weise Rechnung zu tragen gedenkt. „Der nächste Beruf im Frieden ist die Lösung der socialen Fragen, die ich gründlich erforschen werde“, schreibt er schon unterm 23. Februar in sein Tagebuch.

    Sehen wir zu, welchen Antheil der Kronprinz zunächst am Ausbau des Reiches hatte. Von großer Wichtigkeit für die Erstarkung des gemeinsamen Sinnes unter den deutschen Brüderstämmen war der Umstand, daß der Kronprinz in seiner Eigenschaft als Generalinspecteur der IV. Armeeinspection häufig Gelegenheit hatte, die alten herzlichen Beziehungen zu den süddeutschen Truppen zu pflegen. Es war politisch klug von ihm, daß er in all den zahlreichen Ansprachen, die er bei diesen Gelegenheiten zu halten hatte, die berechtigten Stammeseigenthümlichkeiten derjenigen Volksgemeinschaften schonte, zu denen er redete, daß er auf der anderen Seite gerade die Thaten, durch die sich diese in der Geschichte, insbesondere auf den Schlachtfeldern der letzten Kriege, ruhmreich hervorgethan, in das hellste Licht hob. Dies trug namentlich in den 1866 annectirten Ländern dazu bei, Zweifel und Befürchtungen zu zerstreuen, manchen noch bestehenden Groll zu verscheuchen und den Reichsgedanken stärker Wurzel fassen zu lassen. Auch auf einer langen Reihe von vaterländischen Festen und Gedenktagen, die mit den Ereignissen des letzten Krieges und mit dem Wachsen und Werden des geeinten deutschen Reiches in innigem Zusammenhange standen, war Friedrich Wilhelm der beredte Anwalt der deutschen Volksstimmung.

    Zu diesen wirklich erhebenden nationalen Festtagen gesellte sich allerdings eine Unzahl anderer, wesentlich inhaltsloserer Gelegenheiten, bei denen der Kronprinz in Anbetracht des hohen Alters seines Vaters die Repräsentationspflichten zu üben hatte. Sie führten ihn, ohne Selbstbestimmung und eigene Wahl, in einem Monat, oft in einer Woche, von einem Ende der Monarchie zum andern. Diese endlosen Repräsentationen mit ihren unvermeidlichen Zugeständnissen an fremde Genußsucht, Schaulust und Eitelkeit, die inhaltleerste und unbefriedigendste aller Staatsthätigkeiten, die man ihm belassen hatte, sie konnten dem ernsten Manne, der sich so hohe Aufgaben für die Zukunft gestellt, keinen Ersatz schaffen für die Unthätigkeit, zu der man ihn in der Folge verurtheilte. Welch öde, trostlose Gleichförmigkeit in diesen endlosen Jubiläumsfestlichkeiten, Denkmalseinweihungen und fürstlichen Empfängen mit ihren|officiellen Reden und Gegenreden, Dankerklärungen und Toasten. Hat er auch manch treffliches Wort bei diesen Gelegenheiten gesprochen, hat seine gewinnende Persönlichkeit auch manchen Zwiespalt wie von selbst geheilt, mancher Verstimmung die Spitze abgebrochen, so war ihm doch diese Art der Thätigkeit in der Seele zuwider, und nichts zeugt von geringerer Kenntniß seines Wesens, als die auch von Freytag leichtfertig aufgestellte Behauptung, daß er an äußeren Ceremonien Gefallen gefunden. Wie eine schmerzvolle Ahnung dessen, daß er zwei Jahrzehnte lang diese ihn so wenig befriedigenden Functionen auszuüben verurtheilt sein sollte, klingt es, wenn ihm unterm 17. November 1870 der Seufzer entschlüpft: „Möchte ich bei den Armeeinspectionen mit Paraden, Diners u. s. w. verschont bleiben“. Und wie gern und mit voller Seele hätte sich Friedrich Wilhelm in anderer Weise bethätigt! Wie gern hätte er selbstthätig theilgenommen an den auf allen Gebieten des neuen Reichs sich regenden Arbeiten und Geisteskämpfen, wenn ihm eine, seinen Wünschen und Neigungen, seinem fürstlichen Range entsprechende Lebensstellung eingeräumt worden wäre, die ihm einen großen Einfluß, ein weites Wirkungsfeld gestattete. War es nicht möglich, daß er — wie einst in Nikolsburg und später auf den Schlachtfeldern Frankreichs — dem königlichen und kaiserlichen Vater gegenüber auch jetzt noch in wichtigen Fragen ein Freund und Berather sein konnte? Aber um so tiefer schmerzte es ihn, daß ihn sein Vater immer seltener ins Vertrauen zog, daß er sich zu einer Abhängigkeit, zu einer Bedeutungslosigkeit verurtheilt sah, die ihn den geringsten Bürger um seine Selbständigkeit beneiden ließ. Dazu kam die Beschränktheit der finanziellen Mittel, die ihn in seinen Handlungen unfrei und unselbständig machte. Wie gern zeigte er neben einem offenen Herzen auch eine offene Hand, wenn es galt, fremdes Leid zu lindern, Talenten den Weg zu bahnen, Kunst und Gewerbe zu unterstützen! Wie oft klagte er bei solcher Gelegenheit: „Der Kaiser braucht nur zu befehlen, aber der Kronprinz kann nur wünschen“. Besaß er doch außer seinem Palais in Berlin und seinen Schatullgütern Bornstedt, Eiche und Paretz nichts, was er sein eigen nennen konnte; war es ihm doch nach dem königlichen Hausgesetz unmöglich, ohne Genehmigung des Oberhofmarschallamtes über irgend ein Zimmer oder Möbel zu verfügen. Welches war der Grund, daß man ihn in der Folge in einem seiner so wenig würdigen Abhängigkeitsverhältnisse erhielt, das so lähmend auf seine Thatkraft wirkte und die Spannkraft seines Geistes schließlich erschlaffen mußte? Es lag zunächst in der altpreußischen Tradition, die dem regierenden Fürsten als Staats- und Familienoberhaupt eine ungewöhnliche Machtbefugniß gegenüber den übrigen Mitgliedern des königlichen Hauses einräumte. Dazu hatte die Vorsehung seinem königlichen Vater, den er über alles verehrte, eine über das gewöhnliche Maß hinaus lange und gesegnete Regierung gewährt, deren ungewöhnliche Erfolge erst in einem Lebensalter eintraten, da andere bereits müde dem Grabe zuwanken. Diese Erfolge hatten eine Volksthümlichkeit, einen Nimbus um die ehrwürdige Person Kaiser Wilhelm's I. verbreitet, daß niemand, selbst diejenigen nicht, die sich die Entwicklung der inneren Verhältnisse in Deutschland anders gedacht, sich die Verkörperung des Reichs anders vorzustellen vermochten, als in der Persönlichkeit des Heldenkaisers. Dazu kamen die in so hohem Grade verehrungswürdigen Eigenschaften des greisen Herrschers. Er war nach den beispiellosen Erfolgen der bescheidene, schlichte und anspruchslose Mann geblieben, der in seiner demüthig-frommen Weise alle Verdienste von sich abzuweisen und seine Errungenschaften einzig und allein dem wunderbaren Walten Gottes zuzuschreiben pflegte, als dessen Werkzeug er sich bei all den unvergleichlichen Ruhmesthaten betrachtete, und dem er allein verantwortlich zu sein|vermeinte. Daß die Vorsehung den Anschauungen und Grundsätzen seiner äußeren und inneren Politik mit so beispiellosem Erfolge zum Siege verholfen, bestärkte ihn in der Annahme, daß sie richtig gewesen. Er wollte deshalb von niemandem daran rühren lassen, auch nicht von dem eigenen Sohne, dessen Unabhängigkeitssinn, dessen Verlangen nach eigenen neuen Wegen ihm ebenso bekannt wie unsympathisch war. Er hielt den Staat für gefährdet, wenn diesen neuen Gedanken Raum verschafft würde. So lange es dem Lenker der Geschicke gefiel, ihm die Führung des Staatsschiffes zu belassen, wollte er am Ruder bleiben. Mit dem Errungenen, Bestehenden von dreiviertel Jahrhunderten aufs innigste verwachsen, auch nach den großen Kriegen noch Jahrzehnte lang von jenen ehrwürdigen Paladinen umgeben, die seine Helfer gewesen, war seinem Gefühl der Gedanke unerträglich, daß dies je anders werden könnte, daß sein Sohn, der die neue Zeit repräsentirte, je der Mittelpunkt werden könnte, um den sich alles drehte. Mit einer Eifersucht, die in seinem stark entwickelten monarchischen Gefühl und in seiner Abneigung gegen alle Neuerungen bedingt lag, suchte er im Einverständniß mit seinem Kanzler, dem er in allen Dingen rückhaltlos vertraute, und der einen großen Einfluß auf ihn besaß, seinen Nachfolger von allen Gebieten der Staatsverwaltung, ja selbst von dem militärischen, auf dem dieser so große Erfolge errungen, möglichst fernzuhalten. Den Kronprinzen schmerzte dies tief; die Fernhaltung von der Armee namentlich deshalb, weil seine Grundempfindung in erster Reihe die des preußischen Officiers war. Mitglied und später einmal Kriegsherr des preußisch-deutschen Officiercorps zu sein, war bei ihm, ganz wie bei seinem Vater, der ausgeprägteste aller Begriffe. Freilich wollte er sich, ungeachtet dieses Grundsatzes, in keiner Weise das Recht rauben lassen, mit jedem Stande und jedem ehrenwerthen Manne, auch wenn dieser anderen Grundsätzen und Gesinnungen huldigte, im freien und ungezwungenen Verkehr zu bleiben. Das war ein Theil seines Wesens, das er schon als Student in Bonn in seinem Verkehr zum Ausdruck gebracht, und das er sich auch in seinen Prinzenjahren nicht hatte nehmen lassen wollen, das ihn aber auch schon zu jener Zeit in einen bestimmten Gegensatz zu der damals durch Gerlach vertretenen alt-preußisch-reactionären Partei gebracht hatte. Während jene mehr particularistisch als national gesinnte Partei den König ausschließlich mit Persönlichkeiten ihrer engbegrenzten Gesinnung umgeben wollte, hatte sich der Prinz schon frühzeitig eine möglichst freie Entschließung in der Wahl seiner Umgebung gewahrt. Bereits Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre, ganz besonders aber während der scharfen parlamentarischen Kämpfe zur Zeit der Gründung des Norddeutschen Bundes sehen wir ihn mit charaktervollen, unabhängigen und nationalgesinnten Männern wie Georg v. Bunsen, Usedom, den beiden v. Vincke, später mit Twesten, v. Hoverbeck und v. Forckenbeck im regen persönlichen Umgang.

    Diente dieser Verkehr, wie wir schon an anderer Stelle nachgewiesen haben, in erster Reihe dem Zwecke, den arg bekämpften Vorlagen der Regierung bei möglichster Berücksichtigung der Volksinteressen zum Siege zu verhelfen, so hatte sich nichtsdestoweniger bei einem großen Theil des Volkes, insbesondere bei den persönlichen Gegnern des Kronprinzen, die falsche Meinung gebildet, er befolge einseitige Parteipolitik. Ja, man zählte ihn zuletzt offen zur Fortschrittspartei. Nichts war so falsch wie dies. Allerdings, Friedrich Wilhelm war ein aufgeklärter Fürst. Mit offenen Augen und Sinnen begabt, konnte er sich den geistigen Strömungen des jungen Deutschland nicht entziehen. Er huldigte liberalen Anschauungen, ohne daß sich diese streng mit dem Programm der liberalen Partei zu decken brauchten. Kaiser Friedrich hat — wir wiederholen es — in keiner Phase seines Lebens in bestimmten, festen Beziehungen zu irgend einer Partei gestanden. Sein Hauptgrundsatz war — und das machte ihn bei Freund und Feind zu einer so sympathischen Persönlichkeit — die Toleranz gegen alle Parteien und die Freiheit seines Verkehrs ohne Rücksicht auf Confession oder Parteistellung. Aber gerade in diesem Punkte ist er so oft mißverstanden worden, und das hat in jener Zeit zur Verbreitung der ganz irrthümlichen Anschauung beigetragen, als habe er kein Verständniß für die wichtige Bedeutung und Entwicklung des Heeres, ja noch mehr: als würde er es dereinst, wenn er zum Herrscher berufen war, dem Parteiwesen unterordnen. Daß diese Anschauung grundfalsch war, das hat er des öfteren zu Personen seiner nächsten Umgebung ausgesprochen, am unzweideutigsten Delbrück gegenüber. „Von der deutsch-freisinnigen Partei als solcher“, berichtet dieser, „trennte den Kaiser ein Grundsatz, den ich nicht einmal, sondern öfter, auch noch in den letzten Jahren, aus seinem Munde vernommen habe mit den Worten: „Die Armee darf niemals ein Parlamentsheer werden, sie ist königlich und soll es bleiben"; ein andermal in der Form: „Die Armee zu einem Parlamentsheer zu machen, das könnte ihnen wohl passen!“.

    So hatte der Kronprinz, von den edelsten Absichten für sein Volk erfüllt, jahrein, jahraus zu kämpfen gegen Mißdeutung und Verkennung, gegen heimliche, versteckte Angriffe niedriger Feinde, wie gegen den allmächtigen Einfluß des erfolgreichen Berathers seines Vaters, der — es muß gesagt werden — an der geflissentlichen Fernhaltung des Kronprinzen von allen Staatsgeschäften den größten Antheil hatte. So schwanden dem im thatkräftigsten Mannesalter stehenden Kronprinzen die schönsten, fruchtbarsten Jahre seines Lebens in verhältnißmäßiger Unthätigkeit dahin; so mußte er, den sein volles, warmes Herz und sein reicher Geist zur Gestaltung seiner Ideen trieben, eine Entsagung üben, die schon jetzt etwas Tragisches hatte. Unerträglicher noch wäre ihm dies ewige Hoffen, dies ewige Enttäuschtwerden gewesen, wenn er nicht in den Freuden eines überaus glücklichen Familienlebens immer wieder Muth und Anregung zu neuem Wirken geschöpft, wenn er nicht in seiner Gattin die treue Gefährtin gehabt hätte, die allein ihn verstand bis auf den Grund seiner Seele, der er sein ganzes Innere ausschütten konnte, die seine Ideen zu würdigen wußte. Und diese Ideen, auf große, unvergängliche Güter gerichtet, waren es, die die Lichtpunkte bildeten in dem entsagungsvollen Dasein des Kronprinzen. Planmäßig ausgeschlossen von irgend einer ausgiebigen Bethätigung seines reichen Wissens im Staatsleben, außer den inhaltsleeren und bedeutungslosen Repräsentationen, sehen wir ihn und seine Gemahlin in den nächsten Jahrzehnten auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft, der Volkswohlfahrt und Volksbildung in einer Weise thätig, die seinen Namen auf immer mit deren Errungenschaften verband.

    Kaiser Friedrich hatte eine hohe, abgeklärte Meinung von der Kunst und von ihrer Aufgabe für die Veredelung der Menschheit; sie war ihm in erster Linie ein heiliges Mittel zu dem heiligen Zwecke, den Schönheitssinn des Volkes zu wecken und dessen Neigungen auf würdige und edle Ziele zu richten. Deswegen galten ihm auch die Künstler als Priester der Schönheit, denen er, wie der Kunst selbst, von der Höhe des Fürstenthrones herab seine Huldigung entgegenbrachte. Durch seine lange und eingehende Beschäftigung mit der Kunst unter der geistigen Führung seiner hochbegabten Mutter und hervorragender Lehrer (Ernst Curtius, Strack) hatte er den Schein von dem Sein, das Wesentliche von dem Unwesentlichen unterscheiden, das Bleibende in den künstlerischen Leistungen aller Zeiten und Völker schätzen gelernt.

    Wie groß er von der zu stiller Sammlung und zur Veredelung aller geistigen Kräfte anregenden Kunst dachte, durch deren Werk das Schönste und Reinste aller Zeiten und Völker zu uns redet, das hat er am 50jährigen Gedenktage der Gründung der Museen in unvergleichlicher Weise ausgesprochen, indem er darauf hinwies, „wie in den Tagen unseres größten nationalen Unglücks, als alles zu wanken schien, der Gedanke an die idealen Ziele des Menschen sich schöpferisch, stark und lebendig erwies“. Die Kunst möglichst weiten Kreisen des Volkes zugänglich zu machen, war ein Gedanke, der ihn immerdar lebhaft beschäftigte. Er sah, daß nichts einem leeren und unfruchtbaren Wohlleben wirksamer entgegenarbeitet als der Genuß, den die verständnißvolle Beschäftigung mit wahrer Kunst und mit ihren Denkmälern bereitet. Aber er sah auch, welche Schwierigkeiten sich diesem Genuß entgegenstellen, wie die Kunst selbst ohne Anlehnung an systematisch angelegte und stetig vervollständigte Sammlungen sich nicht entfalten konnte, und wie unentbehrlich ein gewisses Maß von Vorbildung und bescheidenem guten Willen ist, um sich jenen Genuß zuzueignen. Darum war es vor allem die Nutzbarkeit der Sammlungen, deren Förderung ihm am Herzen lag; mochte es sich nun um Erleichterungen für den Besuch, oder um die Beschaffung und Verbreitung von Hilfsmitteln des Verständnisses handeln, oder um eine Art der Aufstellung, die die Wirkung eines Kunstwerkes zu erhöhen oder es so dem Verständniß zugänglicher zu machen versprach, so war ihm jeder dahinzielende Schritt eine Freude und seiner Unterstützung gewiß.

    War Kaiser Friedrich durch Erziehung, Bildung und Reisen von früher Jugend an innig mit der Antike vertraut, hing er auch mit inniger Liebe an Italien und seiner Cultur, so galt doch seine Liebe vor allen Dingen der deutschen Kunst, ganz besonders der heimischen Kunstindustrie, mit deren Entwicklungsgeschichte er sich eingehend beschäftigt hatte. Zur Verbreitung der Ueberzeugung, wie wichtig gerade das Kunstgewerbe für den nationalen Wohlstand ist, indem es, das Rohproduct veredelnd, unter Beihilfe eines künstlerisch gebildeten Geschmacks und unter nur geringem Aufwand von Material und finanzieller Unterstützung wirthschaftlich die höchsten Werte erzeugt, hat Friedrich Wilhelm im Verein mit seiner gleichgesinnten Gemahlin hervorragend beigetragen. Wie er alle dahingehende Bestrebungen, die zunächst in der Gründung eines Kunstgewerbemuseums gipfelten, mit inniger Liebe unterstützte, wie er selbst dafür sorgte, daß das junge Institut durch Erwerbung der Rechte einer juristischen Person, durch Schenkungen und Zuwendungen erst lebensfähig wurde, wie er zur Förderung all dieser Zwecke im Verein mit seiner Gemahlin eine Ausstellung älterer kunstgewerblicher Gegenstände im Königlichen Zeughause ins Leben rief, wie er durch Gewinnung des Ausstellungslocals, durch Auswahl und Unterbringung der Ausstellungsobjecte, vor allem aber durch die Beschaffung der Geldmittel das Unternehmen in uneigennützigster Weise unterstützte, wie er in den Berathungen selbst den Vorsitz führte, das Protectorat der Anstalt übernahm und im Verein mit seiner Gemahlin persönlich die Auswahl der durch den Kaiser bewilligten Kunstwerke aus sämmtlichen königlichen Schlössern leitete und auch bereitwilligst die eigenen Sammlungen zur Verfügung stellte, — das steht mit goldenen Lettern in der Geschichte des Berliner Kunstgewerbemuseums geschrieben, das man als die ureigenste Schöpfung des Kronprinzen bezeichnen kann.

    Schon 1871 hatte Kaiser Wilhelm I. den Kronprinzen in gerechter Anerkennung seiner eifrigen Bestrebungen für die deutsche Kunst zum Protector der Königlichen Museen ernannt. Seine erste Sorge bei Uebernahme dieses Amtes galt den Bemühungen, die Museen aus ihrer damals untergeordneten|Stellung als rein höfische Sammlungen zu der Höhe wirklicher Staatsinstitute mit wissenschaftlichen Plänen und Zielen zu erheben. Unter der Fürsorge eines solchen Schutzherrn und unter der Mitwirkung ausgezeichneter Männer, die der Kronprinz mit kundigem Blicke aus der Menge herauszufinden wußte, nahmen denn auch bald die Sammlungen an Reichhaltigkeit und innerem Werthe in erfreulichster Weise zu. Trotz der ungeheuren Summen, die zur Erhaltung und ferneren Ausgestaltung des deutschen Reichsheeres aufgebracht wurden, wußte der Kronprinz den ihm anvertrauten Kunstinstituten immer neue Mittel zur Verfügung zu stellen. So konnten denn unter der Leitung ausgezeichneter Gelehrten, des Professors Curtius, des Professors und Bauraths Adler u. a. m. in den Ausgrabungen zu Olympia jene unbezahlbaren Schätze aus dem Nachlasse einer großen Zeit und eines kunstsinnigen Volkes zu Tage gefördert werden, um die uns alle übrigen Nationen zu beneiden gerechte Ursache haben. Von dem ersten Spatenstich im October 1875 bis zu dem erhebenden Augenblicke, da die Ausgrabungen in Olympia den Hermes des Praxiteles in ewiger Jugendschöne zu Tage förderten — welch eine lange Reihe künstlerischer Erfolge! Wieder hatte Deutschland auf einem anderen Gebiete einen großen Sieg gewonnen, den man in erster Reihe den unermüdlichen Bestrebungen des Kronprinzen verdankte. So war es denn auch eine der erhebendsten Stunden in seinem Leben, als Ernst Curtius ihm die erste Photographie des Götterbildes mit einem Gedicht überreichte, das der Dichter dem Praxiteles mit folgenden Worten in den Mund legte:

    „So wirkt, was lang im Grab verborgen, Neu glänzt des Lebens Sonne mir, Und diesen Auferstehungsmorgen, Dies neue Leben dank' ich Dir!“

    So eigenartig und anregend wie seine Theilnahme an den Kunstbestrebungen der Gegenwart, war auch sein Verhältniß zu den Künstlern selbst. Da war nichts von „Herablassung“ und „Leutseligkeit“, da war alles Herz und persönliche Antheilnahme. Ja, zu einigen der besonders bevorzugten Künstler hat das kronprinzliche Paar in dem nahen Verhältniß einer persönlichen Freundschaft gestanden. Der Verkehr mit den Künstlern beschränkte sich nicht auf äußere formelle Einladungen zu Hof- und Costumefesten, wo man etwa ihres künstlerischen Beirathes bedurfte, er erstreckte sich sogar auf das Familienleben. Mit großer Vorliebe besuchte das kronprinzliche Paar die Werkstätten der Schaffenden, nahm an der Entwicklung und Entstehung ihrer Arbeiten regen Antheil, verfolgte mit Interesse die Vollendung des Bildes oder der Statue und erfreute sich an der geschmackvollen und künstlerischen Einrichtung ihrer Häuslichkeit. In einem besonders herzlichen Verhältniß standen die kronprinzlichen Herrschaften zu A. v. Werner, Menzel, R. Begas, dem Wiener Porträtmaler Heinrich v. Angeli, dem Landschaftsmaler Lutteroth in Hamburg, dann zu den Gelehrten Helmholtz, dem Chemiker Hofmann u. a.

    Wenn Kaiser Friedrich auf diese Weise schon durch die Auszeichnung der Künstler seine hohe Verehrung für die Kunst zu erkennen gab, so versäumte er keine Gelegenheit, für letztere auch öffentlichen Ausdruck zu geben. Seine Theilnahme an der Jubiläumsfeier der öffentlichen Museen am 3. August 1880, an der großartigen Domfeier zu Köln, an der Eröffnung des märkischen Provinzialmuseums in den neuen Räumen des Kölnischen Rathhauses, seine Besuche in all den Hunderten von geweihten Stätten der Kunst sind sprechende Beweise dafür. Die Worte, die er bei solchen Gelegenheiten über die Kunst und ihre Ziele sprach, zeugten von seinem hohen idealen Sinn und von seinem geläuterten Kunstverständniß. Trefflicher hat nie ein Künstler die Ziele der|Kunst bezeichnet, wie Friedrich Wilhelm in seiner Rede zur Eröffnung der Jubiläumskunstausstellung am 24. Juni 1886, da er den Ausgangs- und Endpunkt der Kunst in deren Bestimmung erblickte: „Der Menschheit, hoch und niedrig, arm und reich, ein Quell jener Erhebung und Beseligung zu werden, die zur Gottheit emporreicht. Dann erst vermag sie den anderen Beruf zu erfüllen, der ihr gesetzt ist: trotz aller Mannichfaltigkeit ihrer Aeußerungen die Völker und Menschen zu einigen im Dienste des Idealen“. In gerechter Würdigung aller dieser Bestrebungen, die für die Verfeinerung des Geschmacks, für die Ausbildung des Schönheitssinnes im Volke und für den Aufschwung in Kunst und Gewerbe von höchster Wichtigkeit waren, hatte schon im Juni 1874 die Akademie der Künste in Berlin den Kronprinzen zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt. Und er hat in nimmer rastender Thätigkeit die seiner Protectorschaft unterstellten Kunstinstitute zu fördern und weiter zu entwickeln gewußt. Als zwei Jahre später, am 21. März 1876, die feierliche Einweihung der Nationalgalerie stattfand und an diesem Tage mit ganz besonderem Stolze der Thatsache gedacht wurde, daß Deutschland nun auch einer nationalen deutschen Kunst ein gemeinsames Heim bereiten konnte, da durfte er mit inniger Freude und gerechtem Stolze sein eigenes Werk darin erblicken. Und als Paolo Mantegazza im J. 1884 gelegentlich der Kongoconferenz in Berlin weilte und dem Kronprinzen seine Bewunderung über die reichen Schätze des Berliner Kunstgewerbes in den Worten aussprach, es schiene ihm, als wolle Deutschland Frankreich auch auf den Gebieten der Kunst besiegen, da sprach Friedrich Wilhelm das schöne Wort: „Das ist der einzige Krieg, den ich gegen Frankreich führen möchte.

    Unter den Kunstbestrebungen Kaiser Friedrich's nimmt sein reges Interesse für den Kirchenbau eine hervorragende Stelle ein. Auf seinen zahlreichen Reisen unterließ er es nie, den ehrwürdigen Zeugen mittelalterlicher Kirchenbaukunst seinen Besuch zu machen; selbst den Kirchen kleiner Dorfgemeinden schenkte er große Aufmerksamkeit. Es war ein Lieblingsgedanke von ihm, daß jedes Dorf sein eigenes, stilvolles Kirchlein habe. Unter seiner Führung entstanden bald in den Dörfern der Umgegend von Potsdam hübsche, gefällige Gotteshäuser, die, meist nach seinen persönlichen Angaben und Entwürfen unter der Leitung seiner Baumeister errichtet, so mit Fug und Recht als seine ureigensten Schöpfungen gelten können.

    Ein Kirchenbauproject großen Stils hat den Kaiser während seiner letzten Jahre in hervorragendem Maße beschäftigt und ihm wie ein hohes Ideal selbst während der kurzen Zeit seiner Regierung immer lebhaft vorgeschwebt: das war die Frage der Herstellung eines der Hauptstadt und des Hohenzollerngeschlechtes würdigen Domes. Schon bald nach dem Kriege ergriff er die bereits von Friedrich Wilhelm IV. lebhaft erörterte Idee von neuem mit dem ganzen Feuer seiner idealen Begeisterung. Unausgesetzt war er an ihrer Verwirklichung thätig. Bis zum Frühjahr 1887 wurde fortwährend an dem Entwurf für den neuen Dom gearbeitet, indem alle Skizzen gemeinsam mit der Gemahlin und seinem künstlerischen Beirath besprochen wurden. Selbst in den schweren Tagen, da die Schatten des Todes des schwerkranken Kaisers Lebenspfad schon verdunkelten, beschäftigte der alte Lieblingsplan seine Seele; von keinem seiner Pläne hat er so schweren Herzens Abstand genommen, wie von dem Dombauproject.

    Auch auf den Gebieten des wissenschaftlichen Lebens gingen zahlreiche Anregungen von dem zweiten deutschen Kaiser aus. Sie entsprangen, wie seine Kunstbestrebungen, einem tiefen Zuge seines Wesens: dem Streben nach eigener Vervollkommnung und der seines Volkes. Von dem veredelnden Einfluß|der Wissenschaft und Kunst erwartete er ein besseres und glücklicheres Menschengeschlecht. In diesem Geiste hatte er, wie wir gesehen, schon als junger Prinz seinen ganzen Einfluß aufgeboten, wenn es galt, der Universität tüchtige Lehrer zu erhalten; in diesem Sinne unterstützte er durch Einwirkung auf das Cultusministerium die Bestrebungen seines früheren Lehrers Professor Schellbach, dem Unterricht in Physik und Mathematik künftig mehr Gewicht beizulegen; aus demselben Geiste heraus brachte er der großartigen Entdeckung der Spectralanalyse durch Kirchhoff und Bunsen im J. 1861 sein eifrigstes Interesse entgegen. Unter Mitwirkung hervorragender Gelehrter wie Schellbach und Spörer, sowie des Finanzministers Camphausen, wußte er alle entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen, so daß — allerdings erst im Jahre 1874 — auf dem Telegraphenberge bei Potsdam mit dem Bau der Sonnenwarte begonnen werden konnte. Ein nicht geringes Interesse brachte der Kronprinz auch den von Schellbach angeregten, von einer Reihe der hervorragendsten Gelehrten unterstützten Bestrebungen zur Errichtung eines physikalischtechnischen Reichsinstituts entgegen, die später zur Errichtung der gleichnamigen Anstalt in Charlottenburg führten.

    Eine hervorragende Neigung und Begabung besaß Kaiser Friedrich für die Geschichtswissenschaft. Schon im J. 1861, da er eben als Rector der Universität Königsberg mit der Wissenschaft in directe Verbindung getreten war, wies er auf die Nothwendigkeit hin, der preußischen Geschichte eine ernstere Theilnahme zuzuwenden. Er beklagte sich darüber, daß für eine urkundliche Erforschung der preußischen Staatsgeschichte, namentlich für die Zeit des Großen Kurfürsten, noch nichts gethan sei, was dem heutigen Standpunkte historischer Forschung entspreche. Mit der ihm in diesen Dingen eigenen Energie wußte er die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, beschaffte er die nöthigen Mittel und hatte die Freude, daß die mit der Ausführung des Unternehmens betraute Commission — Droysen, Duncker, Mörner — ihm schon 1864 den 1. Band der Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Großen Kurfürsten überreichen konnte, in deren Studium er sich dann eingehend vertiefte.

    Friedrich Wilhelm's historisches Urtheil über seine Vorfahren war übrigens vorurtheilsfrei und unbefangen. Als Feind jeder Schönfärberei und Vertuschung war ihm nichts unsympathischer als eine falsche Idealisirung der Vergangenheit. Das strenge Ziel seiner eigenen geschichtlichen Forschungen war die reine historische Wahrheit, „wenn er auch wußte, daß es Zeiten und Gelegenheiten gibt, wo man alles ausspricht, und andere, wo man es nicht thut". Von den Historikern begeisterte ihn am meisten Ranke, „der doch immer den treffendsten Ausdruck habe“. Unter seinen Vorfahren stellte er den Großen Kurfürsten sehr hoch. Von König Friedrich I. erzählte er, man habe ihm diesen in seiner Jugend als einen Mann dargestellt, „dessen Namen man anständigerweise kaum in den Munde nehmen könne“, und freute sich aufrichtig, daß die neuere Geschichtsforschung mancherlei Günstiges über ihn zu Tage gefördert habe. Dagegen konnte er sich niemals mit Friedrich Wilhelm III. befreunden, auf dessen unentschlossene und schwachherzige Politik er in Uebereinstimmung mit namhaften Historikern einen großen Theil des 1806 über Preußen so jähe hereingebrochenen Unglücks zurückführte. Als die archivalischen Forschungen Duncker's vorübergehend einen großen Umschwung der historischen Ansichten zu Gunsten Friedrich Wilhelm's III. hervorbrachten, machte der Kronprinz diese Wandlung keineswegs mit, sondern blieb bei seiner aus eigenem Studium gewonnenen Ansicht bestehen, die denn auch bald darauf|durch Max Lehmann's Scharnhorstforschungen, wobei eine Anzahl die Dunckerschen Forschungen wieder aufhebender Documente zu Tage gefördert wurden, eine Rechtfertigung fanden.

    Den Universitäten und der damit zusammenhängenden freien Forschung hat Kaiser Friedrich während seiner langen Kronprinzenzeit mächtige Förderung und thätige Unterstützung angedeihen lassen, wie kaum ein anderer Fürst vor ihm. Er saß in der Mitte der akademischen Lehrer und Studenten der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, als Bruns zum Andenken an Savigny, als Scherer zu dem von Jakob Grimm redete. Er war stolz auf das Scepter der Albertina in Königsberg und schickte seinem alten Lehrer Ernst Curtius, als dieser zum Rector der Universität zu Berlin gewählt worden war, glückwünschend sein Bildniß mit der Unterschrift: „rector rectori salutem“. Daß er sich aber nicht mit einer äußeren Theilnahme an dem Schicksal der deutschen Hochschulen begnügte, das bewies jenes glänzende Jubelfest der Heidelberger Universität am 3. August 1886, bei dem er im Namen seines Vaters zu den Vertretern deutscher Wissenschaft eine glänzende und begeisterte Rede hielt, die damals weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Aufsehen erregte und noch heute eine tiefgehende Wirkung auf den Leser übt. Damals rief er Lehrern und Schülern die edle Mahnung zu: „Eingedenk der Aufgaben, die uns gerade im Hochgefühl des Erfolges am eindringlichsten die Seele erfüllen sollen, in Wissenschaft und Leben festzuhalten an der Wahrhaftigkeit und Strenge geistiger Zucht und der Förderung des Brudersinns unter den Genossen, so daß aus dem Geiste des Freimuthes und der Friedfertigkeit die Kraft zu der heilsamen Arbeit erwachsen möge, die Lebensformen unseres Volksthums gedeihlich auszubilden“.

    So stellte sich Friedrich Wilhelm mannhaft in das Ringen seiner Zeit und seines Volkes. So wurde dieser Mann, dessen Gemüth so weich war wie das eines Kindes, zu einer Kampfesnatur, wenn es die geistigen Güter der Nation galt. So stand er da, die beiden Hände fest auf das Schwert gestützt, das stolze Haupt erhoben, in jener denkwürdigen Stunde, da man zum Gedenken des großen Streiters der Reformation, Dr. Martin Luther's, am 13. September 1883 die Lutherhalle in Wittenberg eröffnete, so sprach er an jenem unvergeßlichen Tage das stolze, mannhafte, schöne Wort, das noch lange die Gemüther aufregte — in zustimmendem wie abwehrendem Sinne — das Wort von der Gewissensfreiheit und Duldung, das in die Mahnung ausklang: „Und mögen wir stets dessen eingedenk bleiben, daß die Kraft und das Wesen des Protestantismus nicht im Buchstaben beruht und nicht in starrer Form, sondern in dem zugleich lebendigen und demüthigen Streben nach der Erkenntniß christlicher Wahrheit!“

    Diese Worte sind bezeichnend für die Stellung Kaiser Friedrich's zur christlichen Religion im allgemeinen und zum Protestantismus im besonderen. Selber von kindlich reiner Frömmigkeit, konnte dies feinsinnige Gemüth gewaltig zürnen, wenn priesterlicher Hochmuth und zelotische Unduldsamkeit die reinen Lehren des Christenthums in Fesseln schlagen wollten. Nicht nur aus angeerbten Gefühlen, sondern weil die evangelische Lehre der Bethätigung der Gewissensfreiheit den weitesten Spielraum läßt, war er ein eifriger Protestant. Seine Beziehungen zum Protestantenverein, namentlich auch ein vielgenannter Brief an Professor Bluntschli, worin er diesem warme Anerkennung seiner auf Hebung des praktischen Christenthums gerichteten Bestrebungen ausspricht, erwarben ihm auch wol die Gegnerschaft manches priesterlichen Heißsporns; immer wußte er aber sich innerhalb der Grenzen zu halten, die ihm neben|der begeisterten Verehrung der eigenen Glaubensgenossen auch die Zuneigung der überwiegenden Mehrheit der Gegner erhielt.

    Gerade deshalb, weil das innerste Wesen des Kaisers auf herzlicher und aufrichtiger Duldsamkeit beruhte, weil er jede ehrliche und freie Ueberzeugung achtete, war er ein Gegner der Herrschergelüste Roms, dem er nun und nimmer das Recht zugestehen wollte, auf die Gestaltung der staatlichen und culturellen Verhältnisse Deutschlands einen Einfluß zu gewinnen. Als die römische Kirche im J. 1864 bei den für Köln und Trier bevorstehenden Bischofswahlen den Versuch machte, früheren Abmachungen entgegen durch ein System von Vorschlaglisten in jene einflußreichen Stellen solche Männer zu bringen, von denen der preußische Staat kirchliche Uebergriffe zu befürchten hatte, wandte er sich mit großer Energie zur Bekämpfung des Listensystems an seinen königlichen Vater, sogar an Bismarck, stellte die von seiten des Jesuitismus drohenden Gefahren beweglich vor und klagte über die Schwächlichkeit des Herrn v. Mühler, sowie die geringe Geneigtheit Bismarck's, „die Sache principiell zu behandeln“. In seinem Auftrage mußte Max Duncker, damals noch sein vortragender Rath, mit dem Cultusminister verhandeln; Informationen über die in Vorschlag gebrachten Persönlichkeiten wurden zwischen Beiden ausgetauscht, die wenigstens den Erfolg hatten, die Candidatur des Herrn v. Ketteler zu beseitigen. In demselben Bestreben, das große staatliche Gemeinwesen vor den Uebergriffen einer einzelnen Religionsgemeinschaft zu schützen, richtete er im November 1865 eine eigenhändige Denkschrift an den König, worin er sich energisch für die Aufhebung der katholischen Abtheilung im Cultusministerium aussprach, die den clericalen Wünschen bisher nur immer zu bereitwillig ihre Unterstützung geliehen hatte. Wenn auch erst im J. 1871 diesem Verlangen entsprochen wurde, so hatte doch der Kronprinz die Genugthuung, der Vorkämpfer dafür gewesen zu sein. Das namentlich nach dem deutsch-französischen Kriege stark auftretende agitatorische Treiben des Ultramontanismus erfüllte ihn mit dem stärksten Unwillen, den er einem Vertrauten gegenüber in den Worten zum Ausdruck brachte: „Ein Parlament, worin 100 Mitglieder sitzen, die nicht als Deutsche, sondern als Fremde zu betrachten sind, das ist das größte Unglück und das Unleidlichste von allen“. In diesem Sinne hatte auch Bismarck's spätere energische Bekämpfung der römischen Hierarchie während der Culturkampfperiode seine völlige Billigung, wovon eine längere, eingehende Unterredung mit diesem im Frühjahr 1875 offenes Zeugniß ablegte. Wie Roon unterm 12. März 1875 an Blanckenburg schrieb, war es damals des Kronprinzen feste Ueberzeugung, „daß Rom bald nachgeben würde, wenn der Staat nur fest bleibe“. Von denselben Grundsätzen ausgehend, richtete er während seiner Stellvertretung im J. 1878 die energischen Worte an Papst Leo XIII: „Die Verfassung und die Gesetze Preußens nach den Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzuändern, wird kein preußischer Monarch entsprechen können". Gern erbötig aber, die Wege der Verständigung zu gehen, fügte er hinzu: „Ich bin gern bereit, die Schwierigkeiten, die sich aus einem von den Vorfahren überkommenen Conflicte ergeben, in dem Geiste der Liebe zum Frieden und der Versöhnlichkeit zu behandeln, der das Ergebniß meiner christlichen Ueberzeugung ist“. Voll Friedensliebe und Versöhnlichkeit kommt er bei aller energischen Zurückweisung kirchlicher Machtgelüste dem päpstlichen Stuhle entgegen.

    Und in diesem Sinne christlicher Duldsamkeit, bei völliger Gewissensfreiheit des Einzelnen, richtete er nach Uebernahme der Regierung an den Reichskanzler unterm 12. März 1888 die denkwürdigen Worte: „Ich will, daß der seit Jahrhunderten in meinem Hause heilig gehaltene Grundsatz|religiöser Duldung allen meinen Unterthanen, welcher Religionsgemeinschaft und welchem Bekenntniß sie angehören, zum Schutze gereiche.“

    In dem Lichte dieses Erlasses will Kaiser Friedrich's Stellung zur Judenfrage aufgefaßt werden. Es ist bekannt, daß er sich über die judenfeindliche Bewegung in Deutschland scharf verurtheilend ausgesprochen. Es dünkte ihm ein Zeichen niederer Gesinnung, die Juden um ihrer Abstammung und Eigenthümlichkeiten oder gar um ihres Glaubens willen zu verachten, und deswegen bedauerte er, daß auch Geistliche hierbei der Leidenschaft „einer oft mehr scheelsüchtigen als kirchlichen Menge dienten“. Er verurtheilte unlauteres Geschäftsgebahren, Geldprotzenthum und Aufdringlichkeit, niedere Genußsucht und Ueberhebung, Nachäffung übertriebener Putzsucht, Mangel an Treue und Glauben an Juden so scharf wie an Christen, allerdings — ganz wieder im Sinne seiner Gerechtigkeitsliebe — an Juden nicht strenger als an Christen. Sehr zuwider war ihm allerdings jene seit Ludwig Börne und Heinrich Heine namentlich in Deutschland weitverbreitete Spottsucht, die, nur um geistreich zu sein, auch vor den heiligsten Dingen nicht Halt machte.

    Mit Kaiser Friedrich's Stellung zur Wissenschaft und Kunst, zur Glaubens- und Gewissensfreiheit hängt auch sein inniges Verhältniß zur Freimaurerei zusammen. Von seinem Vater schon als junger Prinz in die Loge eingeführt, hat er sein Lebtag an dem Fortschreiten und Gedeihen der Freimaurerei, an ihrer freien Ausgestaltung einen hervorragenden Antheil dadurch gehabt, daß er auf die Nothwendigkeit der geschichtlichen Forschung hinwies, wodurch er die Lehre und die Gebräuche von allen denjenigen Zuthaten zu reinigen gedachte, die nach und nach sich eingeschlichen hatten, ohne der Institution einen besonderen Nutzen zu gewähren. „Ehrlichkeit ist nie eine Schmach“, sagte er in einer sehr bedeutungsvollen Rede zur 100jährigen Jubelfeier der Berliner Landesloge am 24. Juni 1870, „darum vorwärts in diesen Forschungen! — Geschichtliche Wahrheiten können nur durch geschichtliche Forschungen sichergestellt werden. Gebe ein Jeder die Eitelkeit auf, die da glaubt, allein die ganze echte Wahrheit zu besitzen und allein für die Wahrheit die richtige Form anzuwenden! Möge darin das neue Jahrhundert wirklich eine neue Zeit werden, daß hinfort jede brüderliche Achtung und Anerkennung auch dem Andersdenkenden, in anderen Formen Arbeitenden begegnen, daß jeder den Schild des Friedens vor seinem Herzen hertrage!“ Wahrlich, goldene Worte! In Kürze ein ganzes, ein erhabenes Regierungsprogramm!

    So sehen wir den edlen Fürsten noch bis in die letzten schweren Lebenstage hinein allem Großen, Schönen und Erhabenen in der rein geistigen und künstlerischen Sphäre von ganzem Herzen zugethan. So zeigten sich in diesem Geiste alle wesentlichen Elemente moderner Bildung im schönen Gleichgewicht. Vor den Schöpfungen der Antike steht er in aufrichtiger Bewunderung; die Herrlichkeiten Athens erfüllen ihn mit tiefempfundenem Entzücken; Jerusalem die Stätte, von der das Christenthum ausging, ergreift ihn im Innersten der Seele. Und dennoch ging seine eigentliche Thätigkeit, wie wir noch bei seinem socialen Wirken sehen werden, nur auf die Zustände und Verhältnisse der wirklichen, der modernen Welt. Er weiß nichts von der krankhaften und Fürsten besonders gefährlichen Romantik, die vor lauter Alterthümern die lebendige Gegenwart vergessen oder verkennen. So sehr die alte Welt mit ihrer harmonischen Schönheit ihn entzückte, so lebhaft beschäftigte ihn — wie seine Tagebücher lehren — das Schicksal der Völker, die unter den Ruinen einer großen Vergangenheit leben, und immer ist ihm der gegenwärtige Mensch noch merkwürdiger als die Schöpfungen seiner Vorzeit. Das sei auch denen gesagt, die ihn, wie Gustav Freytag, einer traumhaften Romantik geziehen,|ohne selbst die sittliche Größe gehabt zu haben, diese edle und geistig schöne Natur ihrem ganzen Werthe nach erfassen zu können. Und so hat Kaiser Friedrich, obwohl ihm das Schicksal nur eine kurze Zeit der Regierung bestimmte, während seiner langen Kronprinzenzeit durch seine thätige Förderung aller geistigen, künstlerischen und wahrhaft menschlichen Bestrebungen eine Saat gesät, die schon herrliche Früchte gezeitigt hat, und einen bedeutsamen Schritt gethan auf dem Wege zur Vollendung der Menschheit, getreu dem von ihm selber ausgesprochenen hohen Ziele: „Die Völker und Menschen zu einigen im Dienste des Idealen“.

    Auch auf dem Gebiete der Volksbildung, insbesondere der Jugenderziehung, hat Kaiser Friedrich's Wirken deutliche Spuren zurückgelassen. Seine Thätigkeit auf diesem Gebiete hängt mit seiner innigen Zuneigung zur Kinderwelt zusammen. Der deutschen Jugend hat sein Herz immer warm entgegengeschlagen; die Kinderwelt mit ihrer reinen Unschuld und harmlosen Fröhlichkeit hat ihn immer entzückt. Selten hat ein Fürst der Jugend so nahe gestanden wie er. Wer ihn gesehen hat im Verkehr mit den Kindern — sei es auf den Gartenfesten, die er auf seinen Gütern Eiche, Bornstedt und Paretz den Waisenkindern und Zöglingen der Potsdamer und Berliner Erziehungsanstalten gab, sei es in den Schulen dieser Güter, sei es in den lustigen Stunden, die er unter den Schwimmschülern der Potsdamer Badeanstalt zubrachte, sei es bei irgend einer anderen Gelegenheit —, der hat das Bild dieser Siegfriedsgestalt mit den blonden Haaren und den gewinnenden blauen Augen nicht aus dem Gedächtniß verloren; er erschien der Jugend als die verkörperte Heldengestalt im Märchen; wo er sich zeigte, flogen ihm die Kinderherzen entgegen. Dieser Verkehr mit der Jugend erhielt ihn selber jung. Alles, was er sprach und schrieb, was er that und handelte, war durchglüht von dem Zauber eines nie alternden Jugendidealismus: er war als Soldat, als Held, als Fürst und Mensch die Verkörperung des Ideals der deutschen Jugend. Gerade diese frische Jugendlichkeit an ihm selber war es, die alle mit sich fortriß. Deshalb folgten ihm auch die süddeutschen Truppen mit solcher Begeisterung in den Kampf. Und wie er heimkehrte aus dem Kriege, wie er daran dachte, nun das große, herrliche Reich, durch Blut und Eisen zusammengeschweißt, ausbauen zu helfen, damit es auch im Innern erstarke, da war es wieder die deutsche Jugend, auf die er sein Augenmerk richtete, wohl wissend, daß ihr die Zukunft gehöre. War es in der Schule, war es in der Werkstatt, war es auf dem militärischen Uebungsplatze oder in den stillen Stätten der Wissenschaft und der Lehrerbildung, — überall wußte er durch zündende Worte die Jugend anzufeuern, festzuhalten an dem Errungenen und durch Bildung von Körper und Geist die Kräfte zu stählen, um sie dereinst im Interesse des geistigen Fortschritts und der ewigen Menschlichkeit zum Segen des Vaterlandes brauchen zu können. In seinen Ansprachen an die akademische Jugend hat Friedrich Wilhelm oft und gern den Wünschen und Hoffnungen Ausdruck gegeben, die für die innere Erstarkung des deutschen Vaterlandes in seiner Brust lebten. Er wußte ihren Patriotismus aufs glühendste zu entflammen, sie aber auch vor Ueberhebung und kleinlichem Chauvinismus zu warnen. „Beide seien undeutsch und für ihre Bethätigung in dem Tone und Sinne, den wir bei anderen Nationen oft bitter getadelt, fehle uns sogar der Ausdruck, den wir erst einer fremden Sprache entlehnen.“ Aber Kaiser Friedrich begnügte sich nicht damit, als ein Freund der Jugend ihr herzliche Zuneigung und schöne Worte entgegenzubringen; als ein Mann der That hat er auf dem großen Acker der Volksbildung selber die edelsten|Keime ausgestreut. Zunächst zeigte er bei der Erziehung seiner eigenen Kinder, daß er auch in Bildungsfragen ein moderner Mann war, indem er seinen beiden ältesten Söhnen ihre wissenschaftliche Ausbildung bekanntlich in einer öffentlichen höheren Lehranstalt Kassels angedeihen ließ. Die Volksbildung dachte er sich als unerläßliche Vorbedingung des Volkswohlstandes und der sittlichen und geistigen Volkswohlfahrt. „Nur auf einer gesunden Volkserziehung kann eine gesunde Volkswohlfahrt gedeihen“, das war sein leitender Grundsatz. Die Jugend durch körperliche und geistige Ausbildung fähig zu machen, an dem Wettkampfe der Künste und Gewerbe mit Erfolg theilnehmen zu können, das war das Ziel, dem er, unterstützt von seiner gleichgesinnten Gemahlin, mit rastlosem Eifer zustrebte. Und so innig waren die fürstlichen Ehegatten in ihrem Streben auf diesem wie auf den übrigen Geistesgebieten miteinander verbunden, daß es schwer ist, die alleinige Wirksamkeit des einen wie des anderen Theils getrennt von einander zu kennzeichnen. Sie ergänzten sich, wie in vielen geistigen Beziehungen, so auch hier in glücklicher Weise und konnten so einander erfolgreich in die Hände arbeiten. Das Victorialyceum, das den Namen der Kronprinzessin trägt, die Victoriaschule, das Heimathhaus für Töchter höherer Stände, der Letteverein, das Feierabendhaus für dienstunfähige Lehrerinnen, die Victoriafortbildungsschule für junge Mädchen und zahlreiche andere Institute, deren wir bei der Würdigung der volkswohlfahrtlichen Bestrebungen des Fürstenpaares eingehend gedenken werden, sind fortgesetzte Beweise für diese Thätigkeit. Kaiser Friedrich's Fürsorge für die Volksbildung und sein liebevolles Eingehen auf die innersten Fragen des Unterrichts treten aber erst in das rechte Licht, wenn man sie an dem Interesse mißt, das er als Kronprinz jahrelang einer im Süden Berlins gelegenen großen städtischen Fortbildungsschule entgegengebracht hat. War es doch das erste Mal, daß ein mächtiger Fürst, der Erbe eines der gewaltigsten Reiche Europas, es als eine besondere Ehre betrachtete, das Amt eines Prüfungscommissars an einer Unterrichtsanstalt anzunehmen. Kaiser Friedrich hat dadurch den Fürsten ein für allemal ein Beispiel gegeben, wie die Volksbildung am besten gedeiht, wenn sie es nicht verschmähen, in eigener Person in ihre Bildungswerkstätten hinabzusteigen. Er hat vor aller Welt und vor allen Fürsten Zeugniß abgelegt, welche hohe Wichtigkeit er gerade dem grundlegenden Unterrichte der Jugend beimaß, auf dem die ganze Volksbildung sich aufbaut.

    Sein Interesse für diese Anstalt beschränkte sich nicht auf einen äußeren Einblick; er setzte sich in directe Verbindung mit allen Classen, in welchen nach der mannichfaltigsten Abstufung Schüler jeden Standes und Alters ihre Bildung zu vervollständigen suchten. Mit den älteren Schülern, den Handwerksmeistern und Gesellen knüpfte er eingehende Gespräche an, ging auf ihre gewerblichen Verhältnisse genau ein, fragte nach ihrer Werkstatt, nach der Production und dem Absatz ihrer Waaren und erkundigte sich vor allen Dingen sehr eingehend nach ihren Creditverhältnissen. Mit den jüngeren Schülern verkehrte er in dem Tone eines wohlmeinenden Lehrers und väterlichen Freundes. Bei den öffentlichen Examen gab es keinen strengeren Prüfungscommissar als ihn; er griff das Material beliebig aus den Pensenbüchern heraus. Aber er begnügte sich nicht damit. Um ein ganz genaues und der Wahrheit entsprechendes Bild von den Leistungen der Anstalt zu gewinnen, bat er sich zu wiederholten Malen die schriftlichen Arbeiten der Schüler behufs persönlicher Durchsicht aus und sagte dabei einmal, die Hefte seinem Adjutanten überreichend: „Da haben wir auch einmal ein tüchtiges Stück Lehrerarbeit vor uns“. Die Correcturen besorgte er selbst, und zwar mit peinlichster Sauberkeit, und schickte dann die durchgesehenen Arbeiten an|den Leiter der Anstalt, den Rector Paulick, mit anerkennenden Bemerkungen zurück. So wußte Kaiser Friedrich auch treue Lehrerarbeit zu würdigen.

    Aber Kaiser Friedrich's Fürsorge für die Volksbildung war nur ein Theil seines Wirkens für die Volkswohlfahrt im allgemeinen. „Nichts durchgeistigte sein Wesen in höherem Grade, und zwar seit seiner frühesten Jugend, als die Freude an der Wohlfahrt aller Volksschichten.“ So urtheilte über den zweiten deutschen Kaiser ein Mann, der Schulter an Schulter mit ihm gestanden hat auf der Wahlstatt der socialen Kämpfe und seine geistigen und humanitären Bestrebungen zu würdigen wußte: Georg v. Bunsen. Schon dem Knaben war, wie wir aus dem Bericht seines Erziehers Frédéric Godet wissen, ein lebhaftes Gefühl für die Schwachen und Elenden eigenthümlich. Des Volkes Wohlfahrt blieb auch später das erhabene Ziel, dem sein Herz in warmer Liebe entgegenschlug, zu dessen Erreichung er sich mit den Edelsten der Nation aus allen Ständen und Gebieten des öffentlichen Lebens zu schönem Zusammenwirken vereinigte. Was auch immer in den letzten Jahrzehnten auf pädagogischem oder volkswirthschaftlichem Gebiete Großes geschah, in Kaiser Friedrich und seiner geistesverwandten Gemahlin fand es die aufmerksamsten Beobachter, die thätigsten Förderer.

    Für Kaiser Friedrich war die sociale Frage in der Hauptsache eine Erziehungs- und Herzensfrage, eine Frage der Beziehungen und Gesinnungen der Menschen untereinander. Um die oft so fühlbaren Härten des Erwerbslebens auszugleichen, suchte er die schroffen Classengegensätze abzumildern, ein persönliches Nähertreten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anzubahnen und ein friedliches Zusammenwirken aller Volkstheile herbeizuführen. Die innere Befreiung und Emporhebung des Menschen mußte nach seiner Meinung nothwendiger Weise auch eine Befreiung aus äußerer Noth nach sich ziehen. So stand denn auch in seinem socialen Programm der Grundsatz obenan, daß die eigene Noth nicht durch Bekämpfung einer anderen Classe oder Rasse oder eines anderen Landes zu heben sei; einer solchen socialen Politik wollte er niemals seine Unterstützung leihen. Als die Grundlage allen socialen Wirkens galt ihm die Achtung vor dem reinen Menschenthum, in welchem Range und Gewande, in welcher Confession oder Nationalität dasselbe auch auftrat. Ueberall bekannte er diese Grundsätze und brachte sie zuerst in dem kleinen Kreise seiner Gutsangehörigen zu Bornstedt zur praktischen Verwerthung, während er sie weiteren Kreisen in seinen zahlreichen Ansprachen, namentlich an die Professoren und Studenten der Hochschulen, als die Grundlage seines socialen Wirkens kennzeichnete. Danach galten ihm Friedfertigkeit, strenge, gewissenhafte Arbeit, volle Erkenntniß unserer Mängel und Schwächen, Wahrhaftigkeit, Freimuth, Vermeidung aller Ueberhebung, Sparsamkeit, Häuslichkeit und Leidensfreudigkeit als die höchsten socialen Tugenden. Als ein erfahrungsreicher Kenner des menschlichen Herzens und der socialen Verhältnisse wußte er, daß es unmöglich war, alle Menschen nach Rang und Stand gleich zu machen; aber dahin zu streben, die Classenunterschiede nicht unnöthig zu verschärfen, sie abzuschwächen, wo es nur immer anging, die ärmeren Classen nicht durch hochmüthiges Gebahren oder das Anschauen unsinniger Verschwendung bei den Reichen zu reizen und zu verbittern: das erschien ihm als das erstrebenswertheste Ideal socialen Wirkens. Er achtete in jedem Individuum nur das rein Menschliche; alles andere war ihm Beiwerk. Steifes Hofceremoniell, Etiquette, conventionelle Formen waren für ihn ein Zwang, dem er sich nur fügte, wenn das allmächtige Gesetz der Hofsitte es so verlangte. War es aber irgend möglich, in die eherne Form conventioneller Gesetze Bresche zu legen, so that er es. Er ist es gewesen, der die Allmacht des Frackes gebrochen und|durch sein Beispiel den Gehrock auch in vornehmen Gesellschaften hoffähig gemacht hat. Das Gefühl für das Einfache und Schlichte ließ ihn häufig selbst vor fürstlichen Gästen seine eigene fürstliche Stellung vergessen. Es kam ihm dann gerade darauf an, ihnen zu zeigen, daß sich auch ein Fürst nichts vergiebt, wenn er seinen Gästen Dienstleistungen erweist, die sonst nur den Bediensteten zukommen. Kaiser Friedrich's ganzem Empfinden war — wie alle diejenigen Männer bezeugen, denen ein tieferer Blick in sein Inneres gestattet war — nichts mehr verhaßt als äußerer Schein und „zurechtgelegte Miene“.

    Zu Friedrich's socialen Tugenden gehörte vor allen Dingen sein starkes Pflichtgefühl. Was er für seine Pflicht hielt, das that er ohne Besinnen, ganz unabhängig davon, ob ihm dies Vergnügen machte oder Ueberwindung kostete. „Ein Schlachtfeld zu bereiten, ist grauenvoll“, schreibt er in sein Tagebuch; doch hat er, wie kein anderer Feldherr, stundenlang die blutigen Gefilde abgeritten, tröstend, ermuthigend, lobend. Nach beendeter Schlacht legte er sich, wie General v. Sommerfeld dem Verfasser berichtete, die harte Nervenprobe auf, auf die Verbandplätze und in die Lazarethe zu gehen, wo das Messer und die Säge des Arztes arbeiteten, um den Amputationen beizuwohnen. Obwohl ihn diese sehr erregten, hielt er es als oberster Feldherr für seine Pflicht, auch dieser traurigen Thätigkeit seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, Trost und Muth zu spenden.

    Kaiser Friedrich, den unverständige und übelwollende Beurtheiler gern als einen unpraktischen Ideologen hinstellen, war mit einem seltenen Scharfblick für alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens begabt. Sein Verkehr mit dem Volke, namentlich mit den Gewerbetreibenden, machte ihn zu einem vorzüglichen Kenner der socialen und gewerblichen Verhältnisse. Er besuchte alle, auch die kleinsten Industrie- und Fachausstellungen, kannte die Handwerksmeister fast alle bei Namen, sogar vielfach ihre privaten und persönlichen Verhältnisse, knüpfte lange Gespräche mit ihnen an und war deswegen von dem Stande des betreffenden Gewerbes aufs genauste unterrichtet. Den großartigen Aufschwung des Buchdruckgewerbes, des Tischlerhandwerkes, das sich — nicht zum geringsten unter seiner thätigen Fürsorge — durch Ausstellungen, Fortbildungsschulen und anderweitige Belebungen des Interesses zum Kunsthandwerk ausgebildet hatte, verfolgte er mit der Antheilnahme eines Fachmannes. Niemand betrauerte denn auch seiner Zeit den Tod des geliebten Monarchen tiefer als die Handwerksmeister.

    Tiefgehend war das Wirken Kaiser Friedrich's und seiner Gemahlin auf den Gebieten der socialen Wohlfahrtspflege. Mit erfahrenem Auge erkannten beide, daß der Schwerpunkt aller Volkserziehung in der Familie liege. Um den bedauernswerthen Kindern, deren Eltern der harte Kampf ums Dasein den ganzen Tag über vom Hause fern hält, einen Zufluchtsort während des Tages zu bieten, gaben sie den Anstoß zur Gründung von Kinderheimen und errichteten selber auf ihrem Gute Bornstedt eine Musteranstalt, das „Kaiser Friedrich-Heim“. Damit für diese und ähnliche Anstalten stets die hinreichenden Kräfte in Bereitschaft wären, gründete der „Verein für Volkserziehung“ im J. 1873 unter Mitwirkung des Kronprinzen und seiner Gemahlin das Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin. Eine Summe von wohlthätigen und wahrhaft segensreich wirkenden volkspädagogischen Einrichtungen hing damit zusammen: das Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen und Erzieherinnen, die Kochschule, das Mädchenhaus, der Volkskindergarten, die Knabenarbeitsschule, die Mädchenstrick- und Haushaltungsclasse und ein unentgeltlicher Mittagstisch für arme Kinder.

    In gerechter Würdigung des uralten Grundsatzes, daß nur in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohnen könne, ließ der Kronprinz allen Bestrebungen, die auf eine bessere Gesundheitspflege gerichtet waren, seine wärmste Fürsorge angedeihen. Das bewies jene denkwürdige Stadtverordnetensitzung am 4. März 1872, in welcher der damalige Kronprinz zu dem Zwecke erschien, den auf der Tagesordnung stehenden Erörterungen über die Frage der Canalisation beizuwohnen, jener hochbedeutsamen Maßregel, die damals das ganze öffentliche Leben im hohen Grade beschäftigte, und deren Verwirklichung die Stadt Berlin zu einer der gesündesten Großstädte der Welt gemacht hat.

    Auch die Feriencolonien fanden in ihm und seiner gleichgesinnten Gemahlin die wärmste Förderung. Von geradezu epochemachender Bedeutung aber für alle auf eine Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse gerichteten Bestrebungen war der in Gemeinschaft mit einer Anzahl hervorragender Männer im J. 1875 gegründete „Verein für häusliche Gesundheitspflege". Der Kronprinz eröffnete die Reihe der Spenden für den jungen Verein mit einem namhaften Beitrage, und als am 25. Januar 1883 zur Feier der silbernen Hochzeit des kronprinzlichen Paares demselben die „Kronprinzenspende" dargebracht wurde, zu der alle Schichten des Volkes in gleich opferwilliger Weise beigetragen hatten, wurde dem „Verein für häusliche Gesundheitspflege“ aus dieser Stiftung, die den Namen „Friedrich-Wilhelm-Victoria-Fonds“ angenommen hatte, die bedeutende Summe von 170 000 Mk. überwiesen; die an demselben Tage dem kronprinzlichen Paare von der Stadt Berlin zur Gründung eines Krankenpflegerinnenvereins zur Verfügung gestellten 120 000 Mk. erhielten dieselbe Verwendung. Durch Veranstaltung von Bazaren, für welche die kronprinzlichen Herrschaften durch ihren täglichen Besuch das Interesse weiter Kreise anzufachen wußten, wurden die Mittel dieser Wohlfahrtsanstalten wesentlich erhöht. Seine wärmste Förderung hat Kaiser Friedrich auch den Bestrebungen angedeihen lassen, die die deutsche Gesundheitspflege der letzten Jahrzehnte, dem Beispiel Englands folgend, den „Heimstätten für Genesende" widmete. Und bei all diesen Bestrebungen kam ihm sein ungemein klarer und praktischer Sinn zu statten, der sich immer auf das zunächst erreichbare Ziel richtete und sich niemals in nebellose Fernen verlor. Bei den Berathungen über eine zu gründende Altersrenten- und Capitalversicherung für Arbeiter, vor allem aber über die Verwendung der „Kronprinzenspende“ in der Sitzung vom 19. April 1883, in der er mit seiner Gattin erschienen war, machte er den Vorschlag, nicht erst den langwierigen Weg der Nachsuchung von Corporationsrechten für die Stiftung einzuschlagen, sondern mit der Vertheilung der Gelder an die verschiedenen Wohlthätigkeitsanstalten, die der Hülfe am meisten bedürfen, unverzüglich zu beginnen. Er brachte schon einen selbstausgearbeiteten Vertheilungsplan mit in die Versammlung, nach welchem außer dem „Verein für häusliche Gesundheitspflege“ noch die Arbeiter- und Ackerbaucolonie nach dem System Wilmersdorf bei Bielefeld, das Victoriahospital zu Kreuznach, die Feriencolonien, der „Verein für die Beschäftigung entlassener Strafgefangener", der allgemeine deutsche „Verein gegen Trunksucht“, der „Verein zur Gründung von Kinderheimstätten an der See“ und zahlreiche andere wohlthätige Stiftungen namhafte Zuwendungen bezw. feste Jahresbeiträge erhielten. Die Namen der Vereine zeigen, daß sich die Thätigkeit des Kronprinzen auf die verschiedensten Richtungen socialer Wohlfahrtspflege erstreckte.

    Wie Friedrich der Große denjenigen für einen Wohlthäter der Menschen erklärte, der das Volk ein Mittel lehren würde, aus jeder Aehre des Ackers|ein einziges Korn mehr erwachsen zu lassen, so nahm Kaiser Friedrich als Kronprinz mit ganz besonders großer Freude an solchen Veranstaltungen theil, die den Wohlstand des Volkes zu vermehren geeignet waren. Die im Vergleich zu seiner Bevölkerungszunahme verhältnißmäßig geringe Vermehrung des Viehstandes hatte für ihn etwas Bedrohliches. Den Fisch für die Minderreichen in ergiebigerer Weise als bisher dem Volke als Nahrungsmittel zugänglich zu machen, dieser Gedanke regte seine ganze Thatkraft an. Mit Freuden begrüßte er daher die im J. 1868 erfolgte Begründung eines deutschen Fischereivereins. Er fehlte bei keiner der begründenden Sitzungen, munterte jeden Theilnehmer auf, übernahm mit Freuden das Protectorat und eröffnete in eigener Person die große internationale Fischereiausstellung, eine der glänzendsten und fruchtbringendsten, die Berlin je gesehen hat. Auch der so wichtigen Bewegung zu Gunsten einer Hebung der Fluß- und Canalschifffahrt stand der Kronprinz fördernd zur Seite und wohnte mit Interesse einer Sitzung des zu diesem Zwecke gegründeten Centralvereins bei.

    Zwei andere Schöpfungen Kaiser Friedrich's verdanken ihr Entstehen seiner werkthätigen Menschenliebe und steten Hülfsbereitschaft: der Hülfsverein für Ostpreußen im J. 1868 und ein für die von der Sturmfluth an den Ostseeküsten geschädigte Bevölkerung wenige Jahre später begründeter Verein. Seinem machtvollen persönlichen Eintreten bei mancher Verwicklung, durch die es galt, namentlich den ersten dieser Vereine hindurchzusteuern, ist der schließliche sehr große Erfolg wesentlich zu verdanken.

    Und bei dieser mannichfachen Bethätigung der Menschenliebe, wie sie namentlich auch beim Errichten der beiden großen Heeresstiftungen für die Invaliden der Feldzüge 1866, 1870/1871, der nationalen Invalidenstiftung und der Kaiser Wilhelms-Stiftung zum Ausdruck kam, leitete den Kronprinzen, wie Georg v. Bunsen berichtet, neben seinem Mitgefühl für die Schwachen und Leidenden ein bestimmtes sociales Ziel: der allmähliche Aufbau eines freiwilligen Beamtenstandes in Preußen und Deutschland, der einen möglichst großen Theil der höchstgebildeten, aber nicht im Staatsamte befindlichen Blüthe der Nation in freien Vereinen zur strengsten, fast berufsmäßigen Arbeit auf denjenigen Gebieten des öffentlichen Wohles heranziehen sollte, die überhaupt nicht oder weniger heilsam durch amtliche Organe versorgt werden können. Der Gedanke war geboren aus seiner freien Verehrung für die Stein’sche Gesetzgebung, für die Selbsthülfe in allen den Fällen, wo die Hülfe des Staates nicht hinreicht, wie er auch in seinem an den Reichskanzler gerichteten Erlaß vom 12. März 1888 sagt, „daß es nicht möglich sei, allen Uebeln der Gesellschaft ein Ende zu bereiten“.

    So durfte es denn auch nicht Wunder nehmen, daß Kaiser Friedrich auf der Grundlage solcher Anschauungen ein warmer Förderer des Genossenschaftswesens war. Freie Vereine zur Arbeit auf den Gebieten des öffenlichen Wohles und eine freudige Privatthätigkeit zu dem gleichen Zwecke entsprachen durchaus seinen Wünschen; den Genossenschaftsvereinen stand er deshalb mit Wohlwollen gegenüber. Zwischen dem Schöpfer dieser Anstalten, Dr. Schulze-Delitzsch, und dem Kronprinzen hat deswegen jahrelang ein reger persönlicher und schriftlicher Verkehr bis zu des ersteren Tode stattgefunden.

    Einen hervorragenden Antheil nahm Kaiser Friedrich auch an der Wohnungsfrage. Seit dem 17. October 1854, da er, 23 Jahre alt, zum stellvertretenden Protector der gemeinnützigen Baugesellschaften gewählt worden war, hat er sich die Förderung dieser und verwandter Bestrebungen mit warmem Eifer angelegen sein lassen, und in lebhafter Verbindung mit dem Vorstande und verschiedenen Mitarbeitern gestanden. Er hat die Vorstandssitzungen vielfach besucht, hat auch in den ersten Jahren in den Generalversammlungen der Gesellschaften (1855, 58, 59, 60, 66) den Vorsitz geführt, vielfach mit den Vorstandsmitgliedern conferirt, stets eingehend von dem Fortgang des Unternehmens Kenntniß genommen und in vielen schwierigen Lagen bereitwillig nachgeholfen. Großes Interesse brachte er der Berliner Baugenossenschaft entgegen. Noch bis in die letzte Zeit seiner schweren Erkrankung hat er die Bestrebungen zur Verbesserung der kleinen Wohnungen mit warmem Eifer unterstützt. Nicht ohne Wehmuth liest man, daß er auf einen ausführlichen Bericht des Vorsitzenden vom „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Classen“, der ihm die hohe Bedeutung der persönlichen Uebernahme des Protectorates nahelegte, noch am 18. November 1887 mit seiner schönen, kräftigen Handschrift sein: „Einverstanden, Friedrich Wilhelm“ verfügt — am Abend vor der entscheidungsschweren Consultation der Aerzte in San Remo.

    Aus seinem vollen, warmen Herzen heraus unterstützte er auch die gleich gerichteten Bestrebungen seines Jugendfreundes, des Pastors v. Bodelschwingh in Bielefeld, die darauf ausgingen, durch Beschaffung billiger Arbeiterwohnungen „die Quellen des Elendes abzugraben, indem der Arbeiter durch die Hoffnung, sich ein eigenes Heim auf eigener Scholle zu erwerben, bei Zeiten zu Sparsamkeit und Fleiß gewöhnt und vor dem Versinken in Armuth und Elend bewahrt würde“. Am allermeisten gehörte sein Mitgefühl aber den armen Nothleidenden und denjenigen Elenden, die durch traurige Lebensschicksale und widrige gewerbliche Verhältnisse an der Grenze ihres materiellen und gewerblichen Haltes angelangt sind, und des starken Armes, der sich ihnen rettend entgegenstreckt, am meisten bedürfen. Hierzu gehörte in erster Reihe die große Zahl der arbeitslosen und gewerbsmäßigen Wanderburschen und Landstreicher, die sich bis jetzt nur noch mit knapper Noth auf der geraden Straße der Ehrlichkeit gehalten haben. Die zur Rettung dieser Unglücklichen von zwei hochherzigen Männern, den Pastoren v. Bodelschwingh und Cronemeyer, gegründeten Anstalten sollten lange Zeit mit Vorurtheil, mangelndem Interesse und Mittellosigkeit kämpfen; erst durch Friedrich's thätiges und opferbereites Eintreten sind sie zu dem geworden, was sie jetzt sind. Kaum hatte er von der Arbeitercolonie in Wilmersdorf gehört, als er diese Idee mit Energie und der ganzen Wärme seines edlen Herzens erfaßte. Ohne daß er von der Colonie um eine Unterstützung angegangen worden wäre, schrieb er an den Pastor v. Bodelschwingh, lud ihn nach dem Neuen Palais ein und hatte dort mit dem genannten Geistlichen in dem stillen Parke eine lange, eingehende Unterredung, worin er diesem sofort die Uebernahme des Protectorats zusagte. Wie er immer schnell bereit war, seine Ideen in die That umzusetzen, so ließ er schon am 19. April 1883 zur Begründung von Arbeitercolonien nach dem Muster derjenigen von Wilmersdorf bei Bielefeld 170 000 Mk. aus dem Friedrich-Wilhelm-Victoria-Fonds überweisen. Fortgesetzt blieb er nun ein Freund der Anstalt, ließ sich oft eingehenden Bericht erstatten, fragte an, wieviel Colonien zur Abhülfe der dringendsten Noth etwa erforderlich wären und gab zu erwägen, ob es nicht wünschenswerth sei, daß bald eine jede Provinz mindestens eine größere Arbeitercolonie habe. Und bei all dieser Segensarbeit war ihm — wie dem barmherzigen Samariter im Evangelium — jede Mithülfe recht, weß' Standes, Glaubens und Parteistandpunktes der Helfer auch war. Als am 23. Februar 1886 die beiden vorgenannten Geistlichen in Sachen der Heimathscolonien im kronprinzlichen Palais empfangen wurden, da ergriff der Kronprinz, welcher wußte, daß Pastor v. Bodelschwingh der orthodoxen, Pastor Cronemeyer der liberalen Partei angehörte, bei dieser Gelegenheit beider Hände und sagte: „So ist's recht, Orthodoxe und Liberale,|Evangelische und Katholische, Ihr müßt zusammenhalten, wenn es Werke der Liebe gilt!“

    Nur zu einem kleinen Theile konnten die Wohlfahrtsbestrebungen Kaiser Friedrich's in Vorstehendem gekennzeichnet werden. Wer aber noch daran zweifeln sollte, wie sein großes Herz den Armen und Elenden bis zum letzten Athemzuge geschlagen, der mag mit stiller Wehmuth hören, woran der edle Mann gedacht hat, als er in jenem glänzenden Zuge der Jubiläumsfeier der Königin Victoria, ein Jahr vor seinem Tode, als der Herrlichsten und Gefeiertsten einer dahinritt. In dem Taschenbuche, das er an jenem Tage bei sich getragen, fand man nach seinem Tode folgende Eintragung von seiner Hand: „Die fliegenden Lazarethe am Jubiläumstage, die Tränktröge für Pferde und Hunde und die Schutzhütten für Droschkenkutscher in den Londoner Straßen“. Es ist eine schlichte Prosa, die in diesen wenigen Worten zu uns spricht; aber sie redet eine ergreifende Sprache.

    1878—1888.

    Das Jahr 1878 mit seinen beiden fluchwürdigen Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. stellte den Kronprinzen ganz unerwartet und unvorbereitet vor eine schwierige Aufgabe. Eine Reihe wichtiger Staatsangelegenheiten harrte gerade in jenen Tagen der Erledigung, und da der Zustand des verwundeten Monarchen ihn verhinderte, sie selbst auszuführen, so übertrug er am 4. Juni 1878 dem Kronprinzen die Oberleitung der Staatsgeschäfte während der Dauer seiner Krankheit. Friedrich Wilhelm übernahm die Leitung der Regierungsgeschäfte in einem Augenblicke, da das deutsche Reich und der preußische Staat sich in dem Zustand gefährlicher Krisen befanden. Die ungewöhnlichen Fortschritte der Socialdemokratie — bei der Erneuerung der Wahlen hatte sich ein Elftel aller Wähler als deren Anhänger erklärt —, die noch immer hochgehenden Wogen des Culturkampfes regten das geistige und politische Leben bis ins innerste Mark auf. Dazu kamen die schwierigen Verwicklungen der äußeren Politik. Die Spannung zwischen Rußland und den christlichen Balkanvölkern auf der einen, der Türkei und Rußland auf der anderen Seite hatte einen ungewöhnlichen Grad erreicht. Es galt, in einer Weise Stellung zu nehmen, die ebenso der Machtstellung Deutschlands entsprach, als sie zur Lösung der orientalischen Wirren beitrug. Während der Kronprinz auf den Gebieten der auswärtigen Angelegenheiten sich voll Vertrauen auf die staatsmännische Klugheit und Festigkeit des Reichskanzlers verlassen konnte, mit dem er in diesen Dingen vollständig übereinstimmte, war seine Stellung zu den Fragen der inneren Politik eine ungleich schwierigere; wußte man doch, daß in sehr vielen ausschlaggebenden Dingen seine politischen Anschauungen mit denen seines Vaters keineswegs übereinstimmten. Gegenüber dem bedrohlichen Anwachsen der Socialdemokratie während der letzten Jahre hatte auch der Kronprinz nicht die Augen verschlossen; ebenso hatte ihm aber auch das Vordringen des Ultramontanismus — bei aller Duldsamkeit seines Wesens — schwere Bedenken eingeflößt. Er hatte durchaus keinen Grund eingesehen, warum in dem Kampfe gegen die katholische Orthodoxie nicht auch die kräftige Hülfe des gemäßigten Liberalismus als Bundesgenossenschaft verwendet werden könnte. Selbst dem alten Kaiser war dies eine Zeit lang unbedenklich erschienen. Aber gedrängt durch die protestantische Orthodoxie, die befürchtete, daß der gegen die Herrschergelüste Roms geführte Kampf schließlich auch ihre Machtsphäre einengen könnte, hatte Kaiser Wilhelm mehr und mehr einer Aenderung des Regierungscurses seine Zustimmung gegeben in der Besorgniß, der Liberalismus könne eine Auflösung aller moralischen|und politischen Zucht im Gefolge haben. Da auch der Reichskanzler Grund zu haben glaubte, mit der bisherigen Regierungspartei, den Nationalliberalen, zu brechen, so erfolgte schon zu Anfang des Jahres 1878 eine auffallende Schwenkung zu Gunsten einer rein conservativen Regierung, die sowohl die evangelische wie die katholische Orthodoxie ihr Haupt wieder kühner erheben ließ und schließlich zu Ausgleichsverhandlungen mit dem Papst Leo XIII. führte, welche ein Entlassungsgesuch des Cultusministers Falk zur Folge hatten.

    In dieser Zeit politischer und socialer Wirrnisse wäre die Lage selbst dann schwierig gewesen, wenn der Souverän selber in Person die Regierung zu vertreten gehabt hätte; um so kritischer war sie in dem vorliegenden Falle, wo die feste Grundlage fehlte, die einer monarchischen Regierung in dem eigenen Willen und den Anschauungen des Machthabers Halt und Festigkeit verleiht.

    So unvermuthet vor diese schwierige Aufgabe gestellt, konnte es nicht verwundern, daß der Kronprinz dringend eine größere Freiheit der Bewegung wünschte, als sie ihm eine bloße Stellvertretung, als etwas durchaus Provisorisches, gewähren konnte. Was Friedrich Wilhelm daher damals dringend wünschte, war eine Regentschaft, die ihm während der Dauer der Regierungsunfähigkeit seines kaiserlichen Vaters den uneingeschränktesten Besitz der höchsten Macht gewährte. Eine eigenthümliche Tragik im Leben Kaiser Friedrich's versagte ihm auch diesen Wunsch. Bei dem engen Verhältniß des Kaisers zum Fürsten Bismarck ist es begreiflich, daß aus einer solchen Regentschaft nichts wurde. Der Kronprinz mußte sich mit der bedeutungslosen Stellvertretung begnügen, die ihm ohne weiteren feierlichen Act in den schlichtesten Formen nur in Gegenwart dreier Personen: des Fürsten Bismarck, sowie der beiden Chefs des Militär- und Civilcabinets, der Herren v. Albedyll und v. Wilmowski, übertragen wurde. Die Grenze seiner Selbständigkeit wurde außerdem dadurch noch enger gezogen, daß er dem kranken Vater täglich einen Vortrag zu halten gezwungen war; und so schnell erlangte zur Freude seines Volkes der anfänglich so schwer verletzte Kaiser seine Lebenskraft wieder, daß er auch während der Stellvertretung seines Sohnes es nicht entbehren wollte, selbstthätig oder durch die Mitwirkung des Fürsten Bismarck wieder nachhaltig auf die Regierung einen Einfluß auszuüben.

    Aber der Kronprinz gab auch hier wieder — ein neues Martyrium in seinem Leben — ein hohes Beispiel von Pflichterfüllung. Am 5. Juli 1878 richtete er an den Reichskanzler und das Staatsministerium einen Erlaß, worin er den festen Willen kundgab, die ihm von des Kaisers und Königs Majestät übertragene und übernommene Stellvertretung unter gewissenhafter Beobachtung der Verfassung und der Gesetze „nach den mir bekannten Grundsätzen Sr. Majestät, meines kaiserlichen und königlichen Herrn, zu führen“.

    Noch an demselben Abend hielt der Kronprinz in seinem Palais einen Ministerrath ab, in dem die durch die außergewöhnliche Lage erforderlichen Maßregeln berathen wurden. Schon nach dem ersten Attentat war dem Reichstage eine Vorlage wegen Abwendung der Gefahren, die aus der socialdemokratischen Agitation erwüchsen, das sogenannte Socialistengesetz, zugegangen. Die Mehrheit des damaligen Reichstages hatte nicht der Ansicht zugeneigt, daß der Ausbreitung der socialdemokratischen Lehren mit Ausnahmegesetzen erfolgreich beizukommen sei; die Vorlage war deswegen verworfen worden. Wenn auch der Kronprinz mit einem großen Theile des Volkes der Meinung war, daß eine wirksame Einschränkung der socialistischen Propaganda mit gesetzlich zulässigen Mitteln dringend geboten sei, so wollte er diese doch nicht erkaufen durch Aufopferung wichtiger bürgerlicher Freiheiten. Während er|auf Grund dieser Anschauung Verhandlungen mit dem bestehenden Reichstage forderte, ein Standpunkt, den auch andere Souveräne mit ihm theilten (z. B. König Karl von Rumänien u. A.), beantragte Fürst Bismarck, um sich eine gefügige Majorität zu verschaffen, am 6. Juli 1878 im Ministerrathe die Auflösung des bisherigen Reichstages und die Anberaumung neuer Wahlen auf den 30. Juli. Da das gesammte preußische Ministerium für den Vorschlag des Reichskanzlers eintrat, zog Friedrich Wilhelm seinen ferneren Widerspruch als nutzlos zurück, bis zum letzten Augenblicke aber bestrebt, noch weiteren Beschränkungen bürgerlicher Freiheiten mit seinem ganzen Einfluß entgegenzutreten. Am 11. Juli lag dem Kronprinzen die Pflicht ob, in Stellvertretung seines Vaters den Beschluß des Bundesrathes zu vollziehen und den Reichstag für aufgelöst zu erklären. Die lebhaften Erörterungen über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit dieser Maßregel, die damals in allen Schichten des Volkes und in der Presse stattfanden, wurden bald durch ein anderes hochwichtiges politisches Ereigniß in den Hintergrund gedrängt: den Beginn der Verhandlungen des Berliner Friedenscongresses. (13. Juni 1878.) War des Kronprinzen Thätigkeit hierbei auch nicht viel mehr als eine repräsentative, war es ihm infolge der Gebundenheit und Beschränktheit seiner Stellung kaum möglich gewesen, einen Einfluß auf den Gang der Verhandlungen zu üben, so deuten verschiedene mündliche und schriftliche Aeußerungen (u. a. auch ein bedeutsamer Brief an den ihm eng befreundeten König Karl von Rumänien) doch darauf hin, mit welch innerer Antheilnahme er der Entwicklung der Dinge gefolgt war. Der Augenblick, in dem der Kronprinz nach Schluß der Verhandlungen vor den Vertretern der europäischen Reiche im Namen seines kaiserlichen Vaters den Trinkspruch auf die Souveräne und deren Vertreter ausbrachte (13. Juli), bezeichnete ohne Zweifel den Höhepunkt seiner stellvertretenden Regierungsthätigkeit. Durfte er doch, durfte auch Deutschland mit Befriedigung auf die Schiedsrichterrolle zurückblicken, die unter der meisterhaften Leitung des Fürsten Bismarck die Aufgabe des Berliner Congresses gebildet hatte.

    Der neugewählte Reichstag ertheilte der Regierung auf ihr Verlangen durch ein Gesetz außerordentliche Befugnisse, um die von den gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie bedrohten Grundlagen der Staats- und gesellschaftlichen Ordnung kräftiger als bisher vor Umsturz zu bewahren. Bei der damaligen Gruppirung des Reichstages kam alles auf die Anschauung der nationalliberalen Partei an. Diese wollte jedoch — bei aller Anerkennung der Nothwendigkeit einer gesetzmäßigen starken Abwehr gegen die immer kühner auftretende socialdemokratische Agitation — ihre Stimme nicht zur Einschränkung wichtiger bürgerlicher Rechte geben, wie sie im Socialistengesetz vorgesehen war, und so kam es zu neuen heftigen Auseinandersetzungen. Hervorragende Persönlichkeiten in Preußen, sowie die Führer der conservativen Partei forderten ganz offen eine nochmalige Auflösung des Reichstages. Da dies jedoch eine neue Conflictsperiode heraufzubeschwören drohte, der Kronprinz es aber auf eine solche nicht ankommen lassen, sondern auf alle Fälle eine Verständigung mit dem Reichstage erzielen wollte, dessen Mehrheit er für eine durchaus loyale hielt, so trat Friedrich Wilhelm hier zum ersten Male während seiner Stellvertretung aus der ihm auferlegten Reserve heraus und handelte nach seiner eigenen Ueberzeugung. Er verwendete seinen ganzen Einfluß zu einer Verständigung im Sinne der Nationalliberalen, deren Anträge dann auch bei dem neuen Socialistengesetz Berücksichtigung fanden.

    In einen neuen Conflict mit seinen eigenen Anschauungen und Gesinnungen kam Friedrich Wilhelm, als es sich darum handelte, den Klempnergesellen Hödel wegen des versuchten Mordes an dem Landesherrn, dem Walten der irdischen Gerechtigkeit zu überliefern. Friedrich Wilhelm war ein Gegner der Todesstrafe; aber auch sein Vater hatte bisher, weniger einem Princip als seinem gütigen Herzen folgend, alle todeswürdigen Verbrecher zu Freiheitsstrafen begnadigt. In diesem Falle verlangte jedoch die allgemeine Entrüstung über die feigen Mordversuche eine Sühne durch die Hinrichtung des Mörders. Ein großer Theil der öffentlichen Meinung, das gesammte Ministerium sprach sich in diesem Sinne aus, und so blieb dem Fürsten das tragische Schicksal nicht erspart, auch in diesem Punkte gegen seine eigene innere Zustimmung seinen Namen unter das Todesurtheil zu setzen. Wie man ihm die Feder zur Unterschrift fast in die Hand zwingen mußte, davon wissen diejenigen zu erzählen, die er seiner persönlichen Freundschaft würdigte. Es war in Homburg, wo der Kronprinz zum Sommeraufenthalt weilte.

    Erfreulicher, weil mehr seinen eigenen Anschauungen und Gesinnungen entsprechend, waren die wichtigen Verhandlungen mit dem römischen Stuhle während seiner Stellvertretungsperiode. Bei aller Bewegungsfreiheit, die er den geistigen und religiösen Kämpfen gestatten wollte, war ihm die Schärfe und Erbitterung, womit der Culturkampf zeitweise aufgetreten war, dennoch bedenklich erschienen, und er ergriff daher mit Freuden die Hand zum kirchlichen Frieden, die ihm der seit dem 17. April auf dem Stuhle Petri sitzende Papst Leo XIII. bot, als er nach den Attentaten dem Kronprinzen seinen Glückwunsch zur Erhaltung seines Vaters darbrachte. Das vom 10. Juni 1878 datirte Antwortschreiben des preußischen Thronfolgers zeigt einerseits das aufrichtige Verlangen, als stellvertretender Beherrscher einer gemischten Bevölkerung mit allen kirchlichen Gemeinschaften, insbesondere mit dem römischen Stuhle, in Frieden zu leben, weist aber auf der anderen Seite, wenn auch in freundlichen Worten, jede Einmischung des römischen Stuhles auf die inneren Angelegenheiten Preußens in bestimmter Weise zurück. Die sich an diesen Brief knüpfenden Unterhandlungen führten zunächst zu einer am 24. Juni in Kissingen stattfindenden Unterredung des päpstlichen Nuntius Masella mit dem Fürsten Bismarck, der dem Vertreter der römischen Curie — ganz im Sinne des Kronprinzen — keine weiteren Zugeständnisse machte, als daß er eine mildere Anwendung der Maigesetze den katholischen Unterthanen gegenüber in Aussicht stellte, falls der Papst seinerseits seinen Einfluß dahin geltend machen würde, daß die Opposition des Centrums sowol in den Parlamenten, wie in der ultramontanen Presse erheblich von ihrer Schärfe abließ.

    Der 19. October brachte endlich dem Deutschen Reich den Abschluß der langwierigen Verhandlungen über das Socialistengesetz. In allen den Kreisen, die weder nach links noch nach rechts einer extremen Richtung angehörten, rechnete man dem Kronprinzen das Zustandekommen des Gesetzes unter den von ihm befürworteten Einschränkungen zum ganz besonderen Verdienste an. War es ihm dennoch nicht in allen Fällen gelungen, so manche Härte, welche die staatserhaltenden Parteien mitbetraf, zu mildern, so wußte doch der bei weitem größte Theil des Volkes, daß dies wahrlich nicht seine Schuld war. Man dankte es in weiten Kreisen gerade ihm, daß er trotz der furchtbaren Verirrungen einzelner Wahnwitziger in seinem Vertrauen zu dem Volk, das er einst zu beherrschen berufen war, nicht wankend geworden war, und nur um so inniger schlang sich in diesen Tagen das Band zwischen dem Volke und seinem „Fritz“.

    Als Friedrich Wilhelm am 5. December 1878 die Regierung wieder in die Hände eines Vaters zurücklegte, herrschte im ganzen deutschen Reich wie|im Auslande nur das eine Gefühl, daß der Kronprinz der ihm gewordenen schwierigen Aufgabe im vollsten Umfange gerecht geworden sei. Darüber waren Freunde und Gegner des künftigen Thronfolgers einig, daß während dieser Zeit der Stellvertretung die Zügel der Regierung von einer sicheren und starken Hand und dennoch im Geiste der Versöhnung geführt worden waren.

    Die Schwierigkeit seiner zeitweise unter so ungewöhnlichen Umständen erfolgenden Regierungsthätigkeit war übrigens allen vourtheilsfreien Personen keinen Augenblick zweifelhaft gewesen. Das anerkannte vor Allen sein kaiserlicher Vater selbst in jenem vom 5. December 1878 datirten Erlaß, worin er ihm „für die mit voller Hingebung und mit sorgsamer Beachtung meiner Grundsätze erfolgreich durchgeführte Stellvertretung“ seinen innigsten Dank und gleichzeitig seine Anerkennung dafür ausspricht, „daß es ihm vergönnt war, mit wachsender Befriedigung den Gang der Regierungsgeschäfte während dieser Zeit zu beobachten“.

    Das verhängnißvolle Jahr 1878 und der Anfang des folgenden brachten dem kronprinzlichen Paar zwei schmerzliche Verluste: den Tod der Großherzogin Alice von Hessen, Schwester der Kronprinzessin (14. December 1878) und am 27. März 1879 das plötzliche Hinscheiden des eigenen Lieblings, des 11jähr. Prinzen Waldemar. Zwei Familienereignisse froher Natur: die Geburt des ersten Enkelkindes, Tochter der Erbprinzessin Charlotte von Meiningen, sowie die Verlobung des ältesten Sohnes, nachmaligen Kaisers Wilhelm II., waren Balsam auf die Wunden der Elternherzen. Die bevorstehende Verbindung seines ältesten Sohnes bereitete dem Kronprinzen noch im besonderen Sinne eine hohe Freude. Die Braut war die Tochter des Herzogs Friedrich von Augustenburg. Seinem starkausgeprägten Rechtlichkeitsgefühl erschien jetzt die Verbindung des Hohenzollernhauses mit der Augustenburgischen Familie als ein Act der ausgleichenden Gerechtigkeit. Daß diese Verbindung in der That auf der innigsten Herzensgemeinschaft des jungen Fürstenpaares beruhte, hat Friedrich Wilhelm in Briefen an ihm Nahestehende mehrfach gern hervorgehoben.

    Die Feier der silbernen Hochzeit des kronprinzlichen Paares am 25. Januar 1883 gab ein schönes Zeugniß von der großen Liebe und Verehrung, deren sich das fürstliche Paar in allen Volksschichten erfreute. Unter den Geschenken, die dem Jubelpaare entgegengebracht wurden, ragte ganz besonders wegen der Eigenartigkeit des ihm zu Grunde liegenden Gedankens das große Geldgeschenk von 800 000 Mark hervor, über dessen humane Verwendung zu Wohlthätigkeitszwecken schon an anderer Stelle berichtet worden ist.

    Einen politischen Hintergrund hatte die Reise, die den Kronprinzen Friedrich Wilhelm Ende des Jahres 1883 im Auftrage seines kaiserlichen Vaters an den spanischen und italienischen Hof führte. Die Beziehungen zu den Fürstenhöfen des südlichen Europas, die sich schon seit einer Reihe von Jahren ziemlich günstig gestaltet hatten, waren durch einen dem Kaiser Wilhelm I. seitens des Königs Alfons von Spanien in Homburg abgestatteten Besuch im September 1883 noch innigere geworden. Kaiser Wilhelm I. hatte in anbetracht seines vorgerückten Alters diese Ehre nicht persönlich erwidern können und deswegen dem Könige von Spanien schon in einem Briefe vom 7. November 1883 den Besuch seines Sohnes am spanischen Hofe in Aussicht gestellt. Dem Kunstfreunde Friedrich Wilhelm bot diese Reise eine unendlich reiche Ausbeute. In einem eingehenden Tagebuche hat er darüber in anziehender Weise berichtet. In der berühmten Gemäldegalerie des „Museo“ zu Madrid stand er fast betäubt von all den Herrlichkeiten. Ganz besonders ziehen den fürstlichen Kunstfreund auch die kunstgewerblichen Leistungen an.|Mit Bewunderung spricht er von der hohen Vervollkommnung der Majolika-Industrie. Dann wieder weilte er stundenlang in den alten Antiquarläden Sevillas, wo sein kunstgeübtes Auge manchen kostbaren Schatz entdeckte, den er der Vergessenheit entrückt.

    Der Kronprinz wollte Spanien nicht verlassen, ohne auch das Märchenland Andalusien mit seinen paradiesischen Gärten, seinen an alten maurischen Erinnerungen so reichen Städten gesehen zu haben. Sevilla, Granada, Cordova und Barcelona! In seinen kunstgeschichtlichen und ethnographischen Betrachtungen legt er einen wahren Schatz feinsinniger und treffender Beobachtungen nieder.

    Die Rückreise nach Deutschland sollte der Kronprinz dem Willen seines Vaters gemäß über Rom antreten. Es galt, die vorhandenen freundlichen Beziehungen zu dem italienischen Hofe zu kräftigen. Aber noch einem anderen politischen Zwecke, der mit den Anschauungen Friedrich Wilhelm's allerdings wenig übereinstimmte, diente die Reise. Die Mißhelligkeiten und Differenzen, die schon seit längerer Zeit zwischen gewissen staatlichen Organen und den Bekennern der katholischen Kirche den Gegenstand erbitterten Streites bildeten, sollten aus der Welt geschafft werden. Die Zugeständnisse, die nach dem neuesten Regierungscurse dem römischen Stuhle gemacht worden waren, um die clerikale Partei in Deutschland zu einem mächtigen Bunde gegen die socialdemokratischen Umtriebe zu gewinnen, hatten die römische Curie aus ihrer diplomatischen Reservirtheit nicht herauszulocken vermocht. Ueber die Köpfe der ultramontanen Partei hinweg versuchte nun der Reichskanzler eine Verständigung mit dem Papst Leo XIII. So wenig die dem Kronprinzen hier aufgenöthigte Rolle seinen Anschauungen entsprach, so war er doch auch hier wieder genöthigt, seine eigene Gesinnung der allmächtigen Staatsraison unterzuordnen. Seine Mission war um so schwieriger, als der Besuch beim Papste das italienische Nationalgefühl peinlich berühren mußte. Aber mit klugem Tacte wußte Friedrich Wilhelm das Unangenehme seines doppelten Auftrages zu beseitigen. Bevor er sich zur Audienz beim Papste begab, lenkte er seine Schritte zu dem Pantheon. An der Gruft Victor Emanuel's legte er einen mit den deutschen Farben geschmückten Riesenkranz nieder. Die Zusammenkunft mit dem Oberhaupte der katholischen Kirche fand am 14. December statt. In der fast eine Stunde währenden Unterredung gab der Papst dem lebhaften Wunsche Ausdruck, während seines nur noch kurz bemessenen Lebens die Freude zu erleben, die Streitigkeiten zwischen der katholischen Kirche und ihren Widersachern beigelegt zu sehen. Der Kronprinz versprach, soviel in seiner Macht stehe, einem solchen Friedenswerke mit ganzer Seele seine Kraft zu weihen, vermied es aber mit großer Geschicklichkeit, auf die verwickelten Einzelheiten der kirchenpolitischen Fragen einzugehen.

    Die Reise nach Spanien mit ihren interessanten Eindrücken und Erlebnissen war ein Lichtpunkt in dem damaligen Leben des Prinzen, der ihm vorübergehend einen neuen Impuls zu geben vermochte, aber eben nur vorübergehend. Seit dem Tage, da der Kronprinz nach Beendigung seiner Stellvertretung die Zügel der Regierung wieder in die Hände seines greisen Vaters zurückgelegt hatte, war das Loos seines Lebens wieder Resigniren gewesen. Es hatten sich im Staatsleben Preußens bald Erscheinungen gezeigt, die ihn nicht mit Freude erfüllten. Der Cultusminister Dr. Falk hatte seinen Abschied von neuem gefordert, dies Mal mit Erfolg. Sein Nachfolger war im Juli 1879 der strengconservative Herr v. Puttkamer geworden, ein ausgezeichneter Verwaltungsbeamter, aber ein Mann von so geringer Duldsamkeit, daß|die Handhabung seines Ressorts, das er später mit der Uebernahme des Staatsministeriums des Innern vertauschte, bald in weiten, selbst mehr nach rechts liegenden Kreisen Verstimmung hervorrief. Während seines Regimes entfernte sich der Regierungscurs mehr und mehr von den Mittelparteien, auf die sich die Politik Bismarck's seither mit so großem Erfolge gestützt hatte; die einzelnen conservativen Parteischattirungen schlossen sich zu engen Bündnissen zusammen. Um auch die große und mächtige ultramontane Partei für diese Coalition zu gewinnen, begann eine neue Aera der Zugeständnisse an die römische Hierarchie zu dem Zwecke, nunmehr mit vereinten Kräften der bürgerlichen Demokratie sowie der socialdemokratischen Agitation einen wirksamen Damm entgegenzusetzen. War auch der Kronprinz mit den Maßnahmen gegen die letztgenannte, einen immer gefährlicheren Umfang annehmende Propaganda, völlig einverstanden, so wollte er doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Noch viel schmerzlicher berührte es ihn, daß zur Bekämpfung der Oppositionsparteien wichtige während der Culturkampfperiode errungene Vortheile gegenüber dem herrschsüchtigen Ultramontanismus preisgegeben und der römischen Kirche, nur zu dem Zwecke ihrer Gefolgschaft in dem Kampfe gegen den gefürchteten Umsturz, Zugeständnisse gemacht wurden, die mit der bisherigen Haltung der Regierung im offenen Widerspruch standen. Am allermeisten zuwider aber waren ihm, dem treuen Hüter der Verfassungsrechte, die unter der Aera Puttkamer immer offener auftretenden Beeinflussungen der öffentlichen Wahlen durch die Beamten. Friedrich Wilhelm sah in dem eher ermunternden als abwehrenden Verhalten der Regierung gegenüber den gekennzeichneten, übrigens auch vom Reichskanzler gebilligten Maßnahmen einen Mißgriff, der sich nach seiner Meinung schwer rächen und einen großen Theil des beunruhigten Volkes erst recht in das Fahrwasser der Opposition treiben würde. Ein neues schmerzliches Opfer mußte Friedrich Wilhelm seiner Gesinnung bringen, als er in seiner Eigenschaft als Präsident des Staatsrathes am 25. October 1884 diese längst zu Grabe getragene, vom Fürsten Bismarck am 30. April 1884 wieder zu neuem Leben erweckte Institution einer früheren Zeitepoche eröffnen mußte. Daß diese in die gegenwärtigen Zeitverhältnisse nicht mehr hineinpassende Institution bald zu ihren Vätern versammelt wurde, wie der Kronprinz es vorhergesagt, hat dieser kaum bedauert, obwohl sie ihn vorübergehend mit einem Schimmer politischer Bedeutung bekleidete, die leider den thatsächlichen Verhältnissen nicht entsprach.

    Freilich die Zeit, wo er gegen ein vermeintliches Unrecht dem leitenden Staatsmanne einen persönlichen Widerstand entgegensetzte, wie er es in der Conflictzeit in Danzig und bei verschiedenen anderen Anlässen gethan, war für ihn vorüber. Er hatte sich bescheiden, er hatte schweigen und entsagen gelernt. Auf der anderen Seite würdigte er aber die Verdienste Bismarck's um sein eigenes Fürstengeschlecht, um Preußens und Deutschlands Machtstellung so hoch, daß sich sein Verhältniß zu dem Reichskanzler, wenn auch nicht zu einem herzlichen, so doch freundlichen und höflichen gestaltete. Ja, Friedrich Wilhelm ließ in seiner großherzigen und neidlosen Weise keine Gelegenheit vorübergehen, die unvergleichlichen Thaten des großen Kanzlers öffentlich anzuerkennen und zu rühmen, wie große Schuld auch der „eiserne Mann“ an dem Abhängigkeitsverhältnisse trug, das für den Thronfolger so drückend war. Aber dieser fortwährende innere Kampf, dieser ewige Wechsel von Hoffnung, Enttäuschung und Entsagung rieb seine Kräfte vorzeitig auf, und als das tragische Geschick jener furchtbaren Krankheit ihn ereilte, war er, wie seine vertrauten Freunde sich mit Besorgniß eingestehen mußten, schon lange nicht mehr der Mann der strotzenden Kraftfülle, der überschäumenden|Lebensfreude. Ihm, dem thatenheischenden, jedem Zwange so abholden Manne war das harte Loos zugefallen, seine Meinung ängstlich zurückzuhalten, war es versagt, seinen reichen politischen und staatsmännischen Erfahrungen in wirksamer Weise Geltung zu verschaffen. Diese Abhängigkeit bekümmerte ihn so sehr, daß er, dessen Wesen in früheren Jahren Heiterkeit und Lebenslust gewesen, sich häufig trüben Gedanken und schwarzseherischen Stimmungen hingab. In solchen Augenblicken gewann wol die pessimistische Auffassung, wenn auch nur vorübergehend, in ihm Raum, daß, wenn er dermaleinst den Thron seiner Väter zu besteigen berufen war, er als ein abgebrauchter Mann der Spannkraft des Geistes und der Frische des Willens entbehren würde. In solcher Stimmung hat er vertrauten Freunden gegenüber wohl auch einige Male dem Gedanken Ausdruck gegeben, im Falle eines Thronwechsels zu Gunsten seines Sohnes der Regierung zu entsagen. Allerdings waren dies nur vorübergehende Eingebungen. Dazu kam eine gesteigerte Empfindlichkeit; er empfand in seiner Gereiztheit manches als eine persönlich gegen ihn gerichtete Spitze, die es vielleicht nicht war; der alternde Fürst, dessen ganzes Wesen bisher Liebe und Güte gewesen, wurde dann ab und zu bitter und schroff in seinen Bemerkungen, namentlich denen gegenüber, gegen die er Grund zu Mißtrauen haben zu müssen glaubte, wiewohl sonst Mißtrauen dieser großen Seele bisher fremd gewesen war.

    Als eine wirkliche Kränkung empfand er es, als man ihm in der Person des seit 20 Jahren in seinen Diensten stehenden Secretärs und Adjutanten, des Kammerherrn v. Normann, einen nach Bildung und Charakter gleich ausgezeichneten Vertrauten nahm, der ihm in der wichtigsten Zeit seines Lebens ein treuer und uneigennütziger Freund und Berather gewesen war. Seit dem Jahre 1884, da Herr v. Normann genötigt wurde, in den auswärtigen Dienst zu treten, fühlte sich der Kronprinz mehr und mehr vereinsamt. Mit Ausnahme seines Jugendgenossen, Generals v. Mischke, mit dem ihn seit seinen Knabenjahren eine herzliche, bis zum Tode dauernde Freundschaft verband, bestand seine häufig wechselnde Umgebung zumeist aus Militärs, zu denen er eine dauernde Sympathie nicht zu fassen vermochte. Zudem konnte er sich die Anschauungen der jüngeren Generation nicht zu eigen machen, welche nur den Erfolg und die äußere Macht bewunderte, die ihr durch die Kämpfe und Arbeiten der Aelteren mühelos in den Schoß gefallen waren, die aber für die idealen Bestrebungen, wie sie sonst das Erbtheil der Jugend waren, keinen Sinn hatte. Er schien sich alt und überflüssig, forderte wohl noch äußerlich über den Gang der Staatsgeschäfte durch Vorträge und Denkschriften unterrichtet zu werden, wurde aber von dem Kanzler nur in so weit damit versorgt, als dieser es für gut hielt, was für ihn wiederum ein neuer Grund zur Gereiztheit wurde. Das öde Einerlei seines Lebens widerte ihn an, und unter diesen fortgesetzten Einwirkungen begann eine zunehmende Ermattung sich seines Wesens zu bemächtigen, die seine näheren Freunde mit großer Betrübniß als einen langsamen Verfall seiner bisher so übersprudelnden Lebenskraft deuten mußten.

    Selbst die treue Gattin, die Vertrauteste seiner Seele, war durch ihr Zureden nicht mehr im Stande, ihn dauernd seiner seelischen Verstimmung zu entreißen. Allein in der Bethätigung für Kunst und Wissenschaft, in seiner warmen Fürsorge für die Noth der Elenden in den von uns schon näher gekennzeichneten Wohlfahrtsbestrebungen, fand er noch Befriedigung. Nur zuweilen, wenn sein Eintreten für eine erhabene Sache seine alte Begeisterungsfähigkeit weckte, oder die Abwehr einer von ihm für schädlich gehaltenen Maßregel seine Entrüstung herausforderte, erhob er sich zu dem alten Schwunge,|wie bei der unvergeßlichen Lutherfeier des Jahres 1883 oder — als eine seiner letzten öffentlichen Aeußerungen — bei der 500jährigen Jubelfeier der Universität Heidelberg; bei solchen außerordentlichen Veranlassungen schien er wieder der Alte; seine Augen leuchteten in edler Begeisterung; seine mächtige Persönlichkeit schien sich zu dehnen und zu recken und Thaten zu fordern, so daß die Fernstehenden, die große Menge des Volkes, sich voller Freude der Hoffnung hingab, ihrem „Fritz“ würde mindestens eine ebenso lange Regierung beschieden sein, wie dem greisen Vater. Ja, bei der mehrfach erwähnten Jubelfeier in Heidelberg fiel allen Theilnehmern der helle und starke Klang seiner Stimme auf. Niemand ahnte, daß dies nur ein letztes Aufbäumen der Lebenskraft war.

    Im Januar 1887 wurde Kronprinz Friedrich von einer Heiserkeit befallen, die einen dauernden Charakter anzunehmen drohte. Da es auffiel, daß die sonst bei Halsbeschwerden angewendeten Mittel keinen Erfolg hatten, so untersuchte am 6. März 1887 Professor Dr. Gerhardt den Hals des Kronprinzen mittelst des Kehlkopfspiegels. Die Diagnose lautete auf polypöse Verdickung des linken Stimmbandrandes. Eine von seinem Leibarzt Dr. Wegener verordnete Cur in Ems hatte leider nicht den erwünschten Erfolg. Die mehrfachen Untersuchungen des Kranken durch die deutschen Aerzte: Gerhardt, v. Bergmann und Tobold, bestätigten leider die lang gehegten Befürchtungen, daß die Wucherung im Halse des Kronprinzen eine krebsartige sei, die nur durch Spaltung des Kehlkopfes entfernt werden könne. Der zur Mitbehandlung hinzugezogene englische Specialarzt Dr. Mackenzie wollte die Gefährlichkeit des Leidens anfänglich nicht zugeben; er berief sich dabei auf zwei Gutachten Virchow's, der in zwei von Mackenzie zu verschiedenen Zeiten herausgenommenen Kehlkopfstückchen keine krebsartigen Spuren zu entdecken vermocht hatte. Auf den Rat Mackenzie's begab sich der Kronprinz Anfang Juni nach der Insel Wight, deren Klima das Leiden vortheilhaft beeinflussen sollte. Die günstigen Berichte, die anfänglich über den Gesundheitszustand des Kronprinzen nach Deutschland drangen, beruhigten das deutsche Volk, und die bange Sorge desselben legte sich noch mehr, als man hörte, daß der Kronprinz sich an der Feier des 50jährigen Regierungsjubiläums seiner Schwiegermutter, der Königin von England, betheiligte, die am 21. Juli unter dem Jubel der Bevölkerung vor sich ging. In dem glänzenden Zuge, vor dem Wagen der Königin Victoria ritt unter all den Prinzen und fürstlichen Persönlichkeiten, alle um eines Hauptes Länge überragend, auch der deutsche Kronprinz, in geradezu begeisterter Weise von der Londoner Bevölkerung begrüßt. Was von trübsinnigen Gedanken hin und wieder während der letzten Jahre der Enttäuschungen vorübergehend durch seine Seele gezogen war, davon schien nichts zurückgeblieben in seinem weichempfindenden Gemüte. Er schien wieder frei und leicht, und jener Augenblick, da Hunderttausende ihm in herzlicher Begeisterung zujubelten, mochte wohl noch einmal ein vorübergehendes Bewußtsein irdischer Macht und Größe in seiner leicht entflammbaren Seele zurückgerufen haben.

    Den Winter verbrachte der Kronprinz mit den Seinen in dem milden Klima des Südens, zuletzt in dem schönen, am Mittelmeer gelegenen San Remo, wo er, abgeschlossen von der großen geräuschvollen Welt, Genesung suchen sollte. Aber schon in den ersten Novembertagen lauteten die nach Deutschland gelangenden Nachrichten so trübe, daß das Schlimmste befürchtet werden mußte. Der schnell herbeigerufene Sir Morell Mackenzie vermochte dieser so ernstlich auftretenden Verschlimmerung gegenüber seine ursprüngliche optimistische Auffassung von dem Wesen der Krankheit nicht mehr aufrecht zu erhalten; er konnte in einer Unterredung mit dem fürstlichen Kranken diesem|die ungünstige Wendung seines Zustandes nicht verhehlen. Zur Gewinnung eines endgültigen Urtheils wurde der bedeutendste österreichische Kehlkopfarzt, Professor v. Schrötter, aus Wien nach San Remo berufen. Bei den gemeinschaftlich von diesem wie von den übrigen hinzugezogenen Aerzten vorgenommenen Untersuchungen stellte sich die betrübende Thatsache heraus, daß die Krankheit unzweifelhaft Kehlkopfkrebs sei, und daß nur noch Hoffnung sei, den hohen Kranken auf einige Zeit zu erhalten, wenn der ganze Kehlkopf herausgenommen würde. Professor Schrötter war dazu ausersehen, dem Kronprinzen die schmerzliche Mittheilung von dem hoffnungslosen Zustande der Krankheit zu machen. Der Kronprinz nahm die Nachricht mit wahrer Heldengröße entgegen. Er zuckte mit keiner Wimper, und keinem Zuge seines liebenswürdigen Gesichtes war es anzumerken, welche furchtbare Nachricht er soeben empfangen. „Ein solcher Held, ein so großer Charakter wie der deutsche Kronprinz ist selten!“ sagte Professor Schrötter begeistert von dieser Seelenstärke. Die Operation aber, Herausnahme des ganzen Kehlkopfes, lehnte Friedrich Wilhelm ab; nur einer in näherer oder fernerer Zeit nothwendigen Luftröhrenöffnung wollte er seine Zustimmung geben. Dieser von den Aerzten gefürchtete Augenblick sollte bald genug eintreten. Anfang Februar 1888 wurde die Athemnoth des fürstlichen Kranken plötzlich so unerträglich, daß der zu jener Zeit in San Remo befindliche Dr. Bramann nicht mehr auf die Ankunft des Professors v. Bergmann warten zu sollen glaubte, sondern — am 9. Februar — den Luftröhrenschnitt mit großem Geschick und bewundernswerther Sicherheit ausführte.

    Immer mehr schwand die Hoffnung der deutschen Nation, ihren Liebling gesund wieder in der Heimath zu sehen. Und dem kaiserlichen Vater daheim zehrte an dem letzten Rest seiner Tage der Kummer um das Schicksal des geliebten Sohnes. In erschütternder Weise hatte er am 27. November folgende Worte an den Vorstand des Reichstages gerichtet: „Sie können sich denken, wie tief es mich in meinem Alter erschüttert, daß ein Mann, der körperlich und geistig die besten Bürgschaften für die Zukunft des Reiches zu bieten schien, von einem Leiden ergriffen ist, das ihn zwischen Leben und Tod schweben läßt, so daß seine völlige Wiederherstellung fast wie ein Wunder erscheinen muß“. Der Gedanke an den todwunden Sohn hat dem greisen Vater den letzten Seufzer aus dem bangen Herzen gepreßt, dem er einige Stunden vor seinem Tode in den rührenden Worten Ausdruck gab: „Ach, mein armer Fritz!“ Am 9. März 1888 hatte er sein müdes Haupt zur letzten Ruhe gelegt, fern von dem geliebten Sohn, den sein sterbendes Auge nicht mehr sehen sollte.

    Unter den traurigsten Umständen, den Tod im Herzen tragend, trat Friedrich Wilhelm — nunmehr Kaiser Friedrich III. — die Heimfahrt an, um dem verwaisten Lande einen neuen Vater zu geben. Die Frage, wie sich die politischen Dinge der nächsten Zukunft entwickeln würden, hatte das Volk in höchster Spannung erhalten. Welche Richtung würde der neue Regierungscurs nehmen? Würde der neue Kaiser seine eigenen, von den Anschauungen seines heimgegangenen Vaters so vielfach abweichenden Wege gehen? Würde er den bewährten bisherigen Leiter des Staatsschiffes, den Fürsten Bismarck, auch zu seinem Kanzler wählen?

    Ueber all diese Fragen sollten schon die ersten Erlasse Kaiser Friedrich's Aufschluß geben. Unter diesen Kundgebungen von höchstem Interesse ist der Erlaß an den Reichskanzler; bildet er doch gewissermaßen das politische Vermächtniß des zweiten deutschen Kaisers. Daß Friedrich den langjährigen vielbewährten Leiter des Staates, den er als den „treuen und muthvollen Berather seines Vaters“ rühmt, auch zu seinem Kanzler behielt, fand — mit|geringen Ausnahmen — freudige Zustimmung im deutschen Volke. In seinem Regierungsprogramm zeigte er ein wohldurchdachtes System, das allseitig mit um so größerer Freude aufgenommen wurde, als es sich in den Hauptzielen eins wußte mit der Politik Kaiser Wilhelm's I., ohne sich dabei überall mit den Wegen und Mitteln zu decken, die zur Erreichung dieses Ziels bisher von den verantwortlichen Rathgebern des Thrones befolgt worden waren. In den Verfassungs- und Rechtsordnungen des Reichs und Preußens wünschte der Erlaß eine größere Stetigkeit, „damit erstere sich in der Ehrfurcht und den Sitten der Nation befestigen könnten". Mit Recht betonte er, daß ein allzu häufiger Wechsel der Staatseinrichtungen nachtheilige Erschütterungen im Staatswesen hervorzurufen geeignet wäre. Die verfassungsmäßigen Rechte der einzelnen Bundesregierungen wie die des Reichstages stellt er als gleichberechtigte Factoren hin, denen also auch die gleiche Achtung gebühre; im berechtigten Gefühle seiner monarchischen Kraft fordert er aber auch von beiden Elementen die gleiche Achtung vor den Rechten des Kaisers, was er um so eher beanspruchen zu können glaubt, als „die gegenseitigen Rechte nur zur Hebung der öffentlichen Wohlfahrt dienen sollen, die das oberste Gesetz bleibt". Diejenigen, die die Mär verbreitet und nachgebetet hatten, der Kronprinz würde, sobald er zur Regierung komme, eine Schwächung des Heeres zu Gunsten des Parlamentarismus herbeiführen, sahen sich in ihren kannegießerischen Voraussetzungen empfindlich getäuscht. Der Erlaß betonte die Nothwendigkeit einer ungeschwächten Erhaltung der Wehrkraft des Landheeres sowohl wie der Marine, welch letzterer „durch Gewinnung überseeischer Besitzungen ernste Pflichten erwachsen seien“. Daß Kaiser Friedrich mit männlichem Freimuth dem Entschluß Ausdruck gibt, die Regierung „unter gewissenhafter Beobachtung der Bestimmung von Reichs- und Landesverfassung zu führen“, überraschte diejenigen nicht, die das Leben des Kronprinzen kannten. Im Kampfe für die Verfassung hatte er stets in vorderster Reihe gestanden. Wahrhaft friedericianischen Geist athmeten die Worte des Erlasses, die sich auf die religiöse Duldung beziehen; war dieser Grundsatz auch ein Erbtheil seiner Ahnen, hatte man von Kaiser Friedrich auch nichts anderes erwartet, so war doch das öffentliche Aussprechen eines solchen Kaiserwortes eine Nothwendigkeit in einer Zeit, wo der Confessions- und Rassenkampf so hohe Wogen geschlagen hatte.

    Wie Friedrich's Herz in warmer Fürsorge immerdar für die Armen und Elenden geschlagen, so billigt er deshalb die Ziele einer socialen Gesetzgebung, wie sie in der Botschaft Kaiser Wilhelm's I. vom 17. November 1881 verzeichnet waren. Aber er weiß sich frei von den utopistischen Auffassungen jener Schwärmer, die da meinen, „daß es möglich sei, durch Eingreifen des Staates allen Uebeln der Gesellschaft ein Ende zu machen“. Allerdings ist Kaiser Friedrich dem Staatssocialismus und dessen wissenschaftlichen Vertretern nie ganz gerecht geworden; seine Stellung zu diesem war von einer gewissen Einseitigkeit nicht frei und hing mit seiner vorn gekennzeichneten Anschauungsweise von der Selbsthülfe des Einzelnen zusammen. War es damals doch auch noch sehr schwierig, bei den Aeußerungen dieser in Deutschland erst beginnenden Bewegung die Spreu von dem Weizen, die Schlacke von dem echten Golde zu unterscheiden.

    Daß in dem Regierungsprogramm eines Kaisers, der der Jugend, der Schule und ihren Lehrern so nahe getreten, der als Prüfungscommissar selbst die Hefte der Schüler corrigirt und die schwere und treue Lehrerarbeit hunderte von Malen mit eigenen Augen gesehen, mit eigenem Munde anerkannt hatte, die Erziehungsfrage eine große Rolle spielen würde, war ebenfalls vorauszusehen. Neu in dieser Form und daher überraschend für gewisse Kreise war die Verurtheilung einer „hochgesteigerten Lebensführung", sowie eines „unverhältnißmäßigen Aufwandes“ im öffentlichen Dienste. Das Saus- und Brausleben gewisser studentischer Corps, die gesteigerten Ansprüche weiter Kreise des Bürgerthums, die Hervorkehrung eines gewissen öffentlichen Scheines unter völliger Ueberschätzung der eigenen wirthschaftlichen Kräfte wollte er damit treffen. Auch dies entsprach dem Beispiel, das er in seiner langen Kronprinzenzeit gegeben. Er hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß ihm, der selbst ein schlichtes bürgerliches Leben führte, der unverhältnißmäßige Aufwand im Leben der Einzelnen wie in dem ganzer Corporationen verhaßt sei. Im Gegensatz zu solchen und ähnlichen Bestrebungen stellte er zur Förderung der Volkswohlfahrt und zur Vermeidung der übermäßigen Steuerbelastung des Volkes die altbewährte preußische Sparsamkeit in der Finanzverwaltung als unerläßlich hin und gibt zu erwägen, „ob nicht in der Gliederung der Behörden eine vereinfachende Aenderung zulässig erscheine, in der durch die Verminderung der Zahl der Angestellten eine Erhöhung ihrer Bezüge ermöglicht würde“.

    Kaiser Friedrich bewies in seinem Regierungsprogramm von neuem, wie eingehend er sich mit den Staatsgeschäften schon vor Antritt der Regierung allezeit beschäftigt hatte, wie tief seine Kenntniß der vaterländischen Zustände war, und wie er sich von jeder Jagd nach unerreichbaren Zielen fernhielt. Alle seine Gedanken bewegen sich auf dem Boden praktischer Politik und unmittelbarer Gegenwart. Selbst auf dem Felde, dem Kaiser Friedrich seine besondere Neigung widmete, spricht er mit gehaltener Vorsicht: er will deutsche Kunst und Wissenschaft zu voller Entfaltung bringen, wenn es ihm gelingt, die Grundlagen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens kräftig zu erhalten.

    Die Erlasse Kaiser Friedrich's fanden denn auch in der ganzen gebildeten Welt, besonders auch im Auslande, sehr sympathische Aufnahme; sie wurden selbst in Frankreich, auf dessen Urtheil man am meisten gespannt sein durfte, von allen Blättern mit warmer, von manchen mit begeisterter Anerkennung besprochen. Man fand darin „einen weiten Blick, einen hohen Geist und ein großes Herz“.

    Von dem Augenblicke an, da Kaiser Friedrich aus dem fernen Süden in die nordische Heimath zurückgekehrt war, um sich zu kurzer Herrschaft zu schmücken, war der Rest seines Lebens nur ein einziger Kampf mit dem furchtbaren Leiden. Gewaltig waren die Pflichten, die seiner harrten, und der edle Fürst, im Bewußtsein des sicheren Todes, hat sich ihrer entledigt mit einer Selbstverleugnung, mit einer Ueberwindung, mit einer Treue, die beispiellos sind in der Geschichte. Stundenlang arbeitete er am Schreibtisch, nahm Vorträge von Militär- und Civilpersonen entgegen und empfing zahlreiche Deputationen von nah und fern. Selbst an seinem Tagebuch fand er noch Zeit zu schreiben.

    Ein Amnestieerlaß für bestimmte Vergehungen des Civilstandes wie für die Angehörigen des Heeres und der Flotte zeigte den milden und versöhnenden Sinn des neuen Herrschers, während die Entsendung seiner Gemahlin in die durch die Ueberschwemmungen des Frühjahrs 1888 stark heimgesuchten Nothstandsgebiete bekundete, daß er, wie schwer er auch die treue Pflegerin in seinem Leiden entbehren mußte, die Pflichten gegen seine Unterthanen den eigenen überzuordnen wußte. Auch in der Heirathsangelegenheit des Prinzen Alexander von Battenberg bewies er, daß er das Staatsinteresse über das seiner nächsten Familienangehörigen zu stellen wußte. Seine zweite Tochter, Prinzessin Victoria, hatte ein lebhaftes Interesse für den schönen und tapferen|Prinzen gefaßt. Der Verwirklichung des Heirathsprojectes stellten sich von Anfang an sehr gewichtige politische Gründe entgegen. Fürst Bismarck fürchtete, daß bei der alsdann eintretenden nahen Verwandtschaft des Prinzen Alexander zum deutschen Kaiserhause Deutschlands Stellung zu Rußland, das den Prinzen aufs tiefste haßte, eine schwierige — ja im Hinblick auf die damals durch Boulanger's Hetzreden gesteigerte Kriegsneigung Frankreichs — geradezu gefahrdrohende werden könne. Kaiser Friedrich konnte den staatspolitischen Bedenken des Reichskanzlers nicht unrecht geben. Nicht aus dem „olympischen Hoheitsgefühl“, wie der dem Kaiser gegenüber nie vorurtheilslose Kanzler behauptet — der Prinz von Battenberg sei dem ersteren als Gemahl seiner Tochter angeblich nicht ebenbürtig erschienen —, sondern aus seinem hohen Pflichtgefühl seinem Volke, seinem Lande gegenüber ließ er das Heirathsproject fallen.

    Während die Hoffnungen für die Erhaltung des Kaisers bald stiegen, bald sanken, ertrug der Kranke sein schweres Leiden mit unendlicher Geduld. Mehrere Erstickungsanfälle, herbeigeführt durch plötzlich auftretende Athemnot, Schwierigkeiten bei der Einführung der Canülen, die oft gewechselt werden mußten, brachten das Leben des Fürsten wiederholt schon in jenen Tagen in ernste Gefahr. Dazu kam noch ein böses, zehrendes Fieber. Aber kein Wort der Klage kam über seine Lippen; für seine Umgebung, seine Familie, seine Aerzte, seine Diener hatte er nur Zeichen und Blicke des Dankes. Selbst sein Humor drang manchmal wieder siegreich durch, so in jenem Augenblick, da er der immerfort zärtlich um ihn beschäftigten Gemahlin scherzend die Worte: „Mädchen für alles!“ auf den Zettel schrieb. Diese Geduld im Ertragen so schwerer Leiden war denn nur geeignet, die Liebe des Volkes zu seinem kranken Kaiser zu erhöhen und sein Krankenlager mit dem Strahlenkranze des edelsten Martyriums zu umgeben. Das Volk wetteiferte, ihm Zeichen der Liebe und Verehrung zu bringen, und täglich spielten sich vor dem Schlosse in Charlottenburg, wo die Menge des Augenblicks harrte, in dem der geliebte Monarch sich am Fenster zeigen würde, rührende Scenen ab. Tausende von Blumenspenden wurden im Schlosse abgegeben. Leute aus dem Volke hatten sie gespendet, Kinder, Provinzialen, die nach Charlottenburg gekommen waren, um den Kaiser noch einmal zu sehen.

    Zu den wohlthuenden Empfindungen, die der kranke Kaiser angesichts solcher Beweise der Liebe seines Volkes empfing, kam Ende April noch eine andere Freude hinzu: der Besuch seiner Schwiegermutter, der Königin von England, und vier Wochen später die Vermählung seines zweiten Sohnes, des Prinzen Heinrich, mit Prinzessin Irene von Hessen-Darmstadt. Wehmüthig froher Art waren die Gefühle des leidenden Fürsten, als es ihm — am 29. Mai — das erste und letzte Mal während seiner kurzen Regierung vergönnt war, als oberster Kriegsherr eine Parade abzunehmen. Am genannten Tage führte ihm sein Sohn, Kronprinz Wilhelm, seine Brigade, die sogenannte „Kaiser-Brigade“ vor, die eben von einer Felddienstübung heimkehrte. Welche Gedanken mögen den todwunden Kaiser beschlichen haben, als sich das glänzende kriegerische Schauspiel, an dem er so unzählige Male in seinem Leben theilgenommen, vor seinen Augen abspielte! Auf seinem von Leiden durchfurchten Antlitz zeigte sich eine heftige Erregung. „Ich fürchte, Majestät", sagte ihm Mackenzie gleich nach Beendigung der Truppenschau, „die Besichtigung war für Sie allzu ermüdend“. — „Nein, nein“, antwortete Friedrich, „habe ich doch zum ersten Male meine Soldaten gesehen“.

    Am 23. Mai — seit fünf Wochen wieder das erste Mal — erschien der Kaiser zur Freude seiner Berliner wieder in der Reichshauptstadt, von seinen|Getreuen mit stürmischem Jubel begrüßt. Acht Tage später siedelte er nach dem sonnigen und stillen Neuen Palais über, dem er den Namen Schloß Friedrichskron beigelegt hatte.

    Trotz der auffallenden Abnahme seiner Kräfte widmete sich der todkranke Kaiser in seinem neuen Heim mehr als je den Regierungsgeschäften. Eine Frage von hoher Bedeutung hatte ihn in den letzten Tagen des Monats Mai beschäftigt. Das Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperioden, das durch die vereinigte conservative und nationalliberale Partei angenommen worden war, harrte der Bestätigung des Landesherrn. Kaiser Friedrich, der unnöthigen Verfassungserschütterungen immer abgeneigt gewesen war, vollzog nur mit großem Zögern die Unterschrift des Gesetzes und knüpfte an die Bestätigung desselben die ernste Forderung an den Minister des Innern, v. Puttkamer, nun um so sorgfältiger und gewissenhafter auf eine freie, unbeeinflußte Wahl sein Augenmerk zu richten. Die Wogen der politischen Erörterungen gingen damals sehr hoch. Am 26. Mai hatte im Abgeordnetenhaus jene stürmische Sitzung stattgefunden, in der die freisinnige Partei eine große Anzahl von amtlichen Wahlbeeinflussungen zur Sprache brachte. Noch im letzten Augenblicke, kurz vor Schluß der Session, setzte sie es mittelst eines Appells an das Rechtsgefühl aller Parteien durch, daß die Wahlen der beiden Landräthe v. Puttkamer-Plauth und Döring für ungültig erklärt wurden, nachdem die Wahlprüfungscommission drei Jahre zur Prüfung dieser Angelegenheit gebraucht und die beiden Abgeordneten fast drei Jahre zu Unrecht im Hause gesessen hatten. Die heftigen Beschuldigungen, die an jenem Tage gegen das System des Ministers des Innern geschleudert wurden, veranlaßten Kaiser Friedrich, an amtlicher Stelle eingehende Erkundigungen über diese Angelegenheit einzuziehen. Das Ergebniß derselben war die thatsächliche Feststellung vielfach vorgekommener Ungehörigkeiten bei den Wahlen, und da Kaiser Friedrich in nicht mißzuverstehender Weise seinem Unwillen darüber Ausdruck gab, sah sich Minister v. Puttkamer wohl oder übel dazu genöthigt, um seine Entlassung zu bitten, die ihm denn auch sofort gewährt wurde. Das Ereigniß fand in weiten Kreisen des Volkes lebhafte Zustimmung.

    In den ersten Tagen nach der Uebersiedelung lauteten die Nachrichten über das Befinden Kaiser Friedrich's ziemlich befriedigend. Bald aber trat ein merkwürdiger Kräfteverfall ein. Die immer schwieriger werdende Ernährung konnte schließlich nur noch auf künstliche Weise, vermittelst Einpumpen in die Speiseröhre, geschehen. Das Fieber nahm in erschreckender Weise zu, die Athemzüge mehrten sich in beängstigender Aufeinanderfolge, und die Aerzte mußten sich gestehen, daß der Kranke diesen furchtbaren Anfall nicht überleben würde. Die ganze Heldenhaftigkeit seiner Persönlichkeit zeigte der Kaiser noch, als er am 13. Juni, zwei Tage vor seinem Tode, den König Oskar von Schweden empfing. Stehend, schon den Tod im Herzen, begrüßte er lächelnd den befreundeten Monarchen.

    Am Nachmittag desselben Tages war der Kaiser noch bei vollem Bewußtsein; er nahm mit sichtbarer Freude Blumenspenden entgegen und hatte Kraft genug, wenn das böse Fieber ihn nicht quälte, einige Zettel, die für Familienmitglieder bestimmt waren, mit kurzen Worten zu beschreiben: theure, unvergeßliche Andenken seiner Hand. Tiefergreifend gestaltete sich auch der Abschied Kaiser Friedrich's von seiner Leibdienerschaft, der er ein so gütiger Herr gewesen. Auch der Reichskanzler erschien im Laufe des Nachmittags noch einmal am Sterbelager. Es war ergreifend, als Kaiser Friedrich die Hand seiner Gemahlin ergriff und sie in die Rechte des Fürsten Bismarck legte. Während des ganzen Donnerstags und der darauffolgenden Nacht zum Freitag weilten|die nächsten Familienmitglieder fast ununterbrochen auf Schloß Friedrichskron. Um 11 Uhr 12 Minuten am 15. Juni 1888 hatte der große Dulder sein schweres Werk vollbracht, ein Werk so voller Entsagung, so voll bitterer Kämpfe, daß alle seine Ruhmesthaten auf den Schlachtfeldern dagegen erblassen. Ein Wehruf ging durch das ganze deutsche Vaterland und hallte wieder in allen Ländern Europas, ja selbst jenseits des Oceans. Ueberall beklagte man den herrlichen Mann, den gefeierten Kriegshelden, den Friedensfürsten und vor allen Dingen den Menschen Friedrich.

    Am 18. Juni wurden die sterblichen Ueberreste Kaiser Friedrich's vom Neuen Palais unter Betheiligung von Tausenden und Abertausenden nach dem Mausoleum der stillen Friedenskirche zur letzten Ruhe geleitet. Nur eine kurze Frist war es, die ihm ein unerklärliches Geschick zur Regierung vergönnt — 99 Tage! Zu kurz für einen Monarchen, doppelt kurz für ihn, der sich Jahrzehnte lang gewissenhaft auf den Thron vorbereitet, der sich mit so hohen, weitreichenden Plänen für das Wohl seines Volkes getragen hatte. Eine dreimonatige Regierung kann allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte zu einer gerechten Würdigung darüber geben, was Kaiser Friedrich als Herrscher dem deutschen Volke geworden wäre, wie weit seine Willenskraft, seine Begabung ihn zu einem erfolgreichen Regenten befähigt hätten. Und dennoch, als er dahingegangen war, der „große Dulder“, wie ihn die Todesbotschaft des Staatsministeriums mit Recht nannte, da fühlten alle klar, was Unersetzliches mit ihm geschieden war: die wahre echte Menschlichkeit auf dem Throne.

    Unbekümmert um den Glanz ruhmbringender Großthaten, wollte Kaiser Friedrich zufrieden sein, wenn dereinst von seiner Regierung gesagt werden konnte, „sie sei seinem Volke wohlthätig, seinem Lande nützlich und dem Reiche ein Segen gewesen“. In diesen Schlußworten seines Erlasses an den Reichskanzler wird sein Wollen in der Geschichte fortleben, dieses reine und menschliche Wollen, dem ein unsäglich trauriges Geschick das Vollbringen versagte.

    • Literatur

      I. Biographien, Bearbeitungen und Memoirenwerke.

      Hermann Hengst, Kronprinz Friedrich Wilhelm (reicht nur bis 1882; von da bis zum Tode Kaiser Friedr. nur sehr summarisch ergänzt). — Ludwig Ziemssen, Kaiser Friedrich III., 1888 (nicht benutzt). — Hermann Müller-Bohn, Unser Fritz, deutscher Kaiser und König von Preußen. 1. bis 6. Auflage (1888—1893). —
      Rennel Rodd, Frederic, Crownprince and Emperor. Deutsch von S. Hensel (1888). (Sehr allgemein gehalten, wenig eingehend.) — Ed. Simon, L'empereur Frédéric (1888). Paris. Deutsch von Eufemia Gräfin Ballestrem. (Nicht benutzt.) —
      Margarethe v. Poschinger, Kaiser Friedrich. Band I und II. (Lediglich Zusammenstellung des vorhandenen Materials.) — Martin Philippson, Friedr. III. als Kronpr. und Kaiser. 1. u. 2. Auflage. (1893 u. 1900.) — H. Müller-Bohn, Kaiser Friedrich der Gütige. 1. u. 2. Aufl. 1900 u. 1904. (Das sehr reichhaltige Material ist dem Verfasser in Briefen, mündl. und schriftlichen Mittheil. von ehemaligen Freunden Kais. Friedr. und ihm nahestehenden Personen [Generalfeldmarschall v. Blumenthal, General v. Sommerfeld, General v. Mischke, Anton v. Werner, Gräfin v. Blumenthal, Elisabeth zu Putlitz, Cultusminister a. D. Goßler u. a. m.] zugegangen und von General v. Mischke, dem Jugendfreunde des Kais., durchgesehen. Eingehende Würdigung der Feldherrnthätigkeit Kais. Friedr., seiner künstlerischen und Wohlfahrtsbestrebungen, Stellungnahme zu Gustav Freytag's Pamphlet: Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone.)

      II. Handschriftl. Aufzeichnungen, Originalbriefe, Acten u. persönliche Mittheil., Biographien, Charakteristiken, nach Zeiträumen geordnet.

      1831—1848: Geburt, Jugend, Erziehung, Unterricht: Schriftl. Mittheil. des Generals v. Werder. — Mündl. und schriftl. Mittheil. der Frau Elisabeth zu Putlitz, geb. Gräfin Königsmarck. —
      Briefe des Prinzen an seine früheren Lehrer Ernst Curtius u. Schellbach. —
      Mündl. u. schriftl. Mitth. von Jugendfreunden: Originalbriefe des Prinzen an Rob. v. Dobeneck, Friedrich v. Salpius, Rudolf v. Zastrow, Elisa v. Zastrow. —
      Hauptquellen für Erziehung und Unterricht: die handschriftl. Mittheil. des ehemaligen Erziehers, Professor Frédéric Godet in Neuchâtel. —
      Ferner: Prof. Dr. O. Schrader, Augusta, Herzogin in Sachsen, die erste deutsche Kaiserin. — Gabriele v. Bülow, Ein Lebensbild aus den Familienpapieren Wilh. v. Humboldt's und seiner Kinder. —
      Leben des Generals Carl v. Clausewitz und der Frau Marie v. Clausewitz (Erzieherin des Prinzen) von Carl Schwartz. —
      Wissenschaftlicher Unterricht: Karl Schellbach, Erinnerungen an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen. — Ernst Curtius, Gedächtnißrede auf Kaiser Friedrich.

      1848—1852: Studienzeit in Bonn: Originalbriefe an seine Jugendfreunde Rud. v. Zastrow, Rob. v. Dobeneck, sowie ferner: Die in Besitz der Frau Geheimen Kriegsräthin Justine Köllner, geb. Fischer befindl. Briefe des Prinzen an seinen militärischen Begleiter, den Obersten Fischer. — Für die Ausarbeitungen des Prinzen: Die im Hohenzollernmuseum zu Berlin befindlichen Hefte aus der Hinterlassenschaft Kais. Friedr. — Dann: Paul Lindenberg's Schrift: Kais. Friedr. als Student in Bonn.

      1853—1858: Militärische und staatswissenschaftl. Ausbildung: Die im Hohenzollernmuseum zu Berlin befindlichen Acten. Eigenhändiger Beschäftigungsplan d. Prinz., ebendas. Tagebuch des Kronpr. über seine russische Reise, ebendas. — Moltke, Briefe aus Rußland. —
      Dann: Leopold v. Gerlach, Denkwürdigkeiten. —
      Gerhard v. Amyntor, Das Skizzenbuch meines Lebens. —
      Moltke, Wanderbuch. —
      Aus dem Leben Theod. v. Bernhardi, II. — Verlobung und Vermählung, junges Eheleben: Martin, Life of the Prince Consort, IV.

      1858—1863: Martin, Life of the Prince Consort, IV.Dr. Hinzpeter, Zum 25. Januar 1883. —
      Schellbach, Erinnerungen an den Kronpr. Friedr. Wilh. von Preußen. —
      Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit, II. —
      Prof. Dr. O. Schrader, Augusta, Herzogin in Sachsen, die erste deutsche Kaiserin. —
      Leopold v. Gerlach, Denkwürdigkeiten. —
      Für die Conflictszeit: R. Haym, Das Leben Max Duncker's. —
      Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, I. — Herzog Ernst II. von Coburg, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. — Schriftl. Mittheil. des Generals v. Schweinitz, seiner Zeit Adjutant des Kronprinzen.

      1864: Schriftl. Mittheil. des Generals v. Schweinitz. — Der deutschdänische Krieg 1864. Herausgegeben vom Großen Generalstabe. — Hans Delbrück, Persönl. Erinnerungen an Kais. Friedr und sein Haus. —
      Heinr. v. Sybel, Begründung des deutschen Reiches unter Wilhelm I., III. —
      Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Kriegsministers v. Roon, II. — Dann: Denkschrift sowie mündl. Mittheil. des Generalfeldmarschalls v. Blumenthal.

      1866: Gedanken und Erinnerungen von Otto Fürst v. Bismarck. — R. Haym, Das Leben Max Duncker's. —
      Kriegstagebuch des Kronprinzen von 1866. —
      J. von Verdy du Vernois, Im Hauptquartier der II. (schlesischen) Armee. —
      Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen: Artik. in den Preußischen Jahrbüchern. Band 64, S. 720. —
      Für den kriegsgeschichtl. Theil: Denkschrift des Generalfeldmarschalls v. Blumenthal, sowie schriftl. und mündl. Mittheil. des Generals v. Mischke und: v. Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866, II. —
      Persönl. Mittheil. des Generalfeldmarschalls v. Moltke. —
      Erinnerungen des Generals der Cavallerie Graf Wartensleben-Carow. — Wolf v. Tümpling, Hermann v. Boyen.

      1866—1870: H. v. Sybel, Die Begründung des deutschen Reiches, V. — Denkwürdigkeiten von Roon, II. — Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, II. —
      Martin Philippson, Friedrich III. als Kronprinz und Kaiser. — Hans Delbrück, Persönl. Erinnerungen u. s. w. —
      Briefe von Max v. Forckenbeck an seine Gemahlin, veröffentlicht von Professor Dr. Martin Philippson in der „Deutschen Rundschau“. 1898. Octoberheft. —
      Denkwürdigkeiten aus meinem Leben von J. C. Bluntschli, III. —
      Acten des Hohenzollernmuseums. — „Tagebuch meiner Reise nach dem Morgenlande.“

      1870: Für den kriegsgeschichtlichen Theil: Denkschrift sowie persönliche Mittheil. des Generalfeldmarschalls v. Blumenthal. Schriftl. und mündl. Mittheil. der Generale v. Mischke und v. Sommerfeld. — Moltke, Militärische Werke, Bd. I. — W. v. Hahnke, Die Operationen der III. Armee, nach den Acten der Arme dargestellt. —
      Paul Hassel, Von der III. Armee. Kriegsgeschichtliche Skizzen aus dem Feldzug 1870/71. —
      Tagebuch des Kronprinzen 1870/71, veröffentlicht in der „Deutschen Rundschau“. October 1888. —
      Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, II. —
      Roon, Denkwürdigkeiten, II. —
      Dr. Carl Pietschker, Auf dem Siegeszuge von Berlin nach Paris. —
      Verdy du Vernois, Im Großen Hauptquartier 1870/71. —
      Gustav Freytag, Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone. Zur Kritik dieses Pamphlets: Schriftl. und mündl. Mittheil. des Generals v. Mischke, sowie Aufzeichnungen Karl Bleibtreu's aus den Erinnerungen seines Vaters, des Malers Georg Bleibtreu. —
      General v. Blume, die Beschießung von Paris 1870/71 und die Ursachen ihrer Verzögerung. —
      Heinrich v. Sybel, Die Begründung des deutschen Reichs unter Wilhelm I. —
      Rogge, Die evangelischen Feldgeistlichen im Feldzuge 1870/71. — Dr. Toeche-Mittler, Die Kaiserproclamation von Versailles.

      Kaiser Friedrich's Wirken auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft, des Schulwesens und der Volkswohlfahrt: Schriftl. Mittheil. von Anton v. Werner. — Gedächtnißrede des Geheimrathes R. Schöne bei der Trauerfeier der Königlichen Museen, 1. Juli 1888. —
      Schriftl. Mittheil. von Karl Bleibtreu, dem Sohne von Georg Bleibtreu. —
      Peter Wallé, Die Hohenzollern und der Dom zu Berlin, Deutsche Revue, Jahrgang XVII. — Hans Delbrück, Persönl. Erinnerungen u. s. w. —
      Karl Schellbach, Erinnerungen an den Kronprinzen Friedr. Wilh. Originalbriefe des letzteren an Schellbach. — Ernst Curtius, Gedächtnißrede auf Kaiser Friedrich. —
      Roon, Denkwürdigkeiten, II. —
      Friedr. Crönert, Kaiser Friedr. und Marc Aurel. Eine Vergleichung. (Sehr anziehend.) —
      Nippold, Katholisch oder jesuitisch. — F. H. Geidel, Kaiser Friedrich als Freimaurer. —
      Mündl. Mittheil. des Rectors Paulick, Leiters der X. Fortbildungsschule zu Berlin. —
      Bertha v. d. Lage, Kaiserin Friedr. und ihr Wirken für Vaterland und Volk. —
      Victor Böhmert, Kaiser Friedr. als Freund des Volkes, mit Beiträgen von Georg v. Bunsen, Prof. v. Gneist, Abgeordn. v. Schenck, Landgerichtsrath Krokisius u. a. —
      Persönl. Mittheil. der Generale v. Mischke, v. Sommerfeld u. des Generalfeldmarschalls v. Blumenthal; ferner: Mittheil. des Buchdruckereibesitzers Grunert und zahlreicher anderer Gewerbetreibender, auch des Kammerdieners Wetterling. —
      Schriftl. Mittheil. des Pastors v. Bodelschwingh. — Martin|Philippson, Friedr. III. als Kronprinz und Kaiser. —
      Roon, Denkwürdigkeiten. —
      Aus dem Leben König Karls von Rumänien; Aufzeichnungen eines Augenzeugen. — Hans Delbrück, Persönl. Erinnerungen u. s. w.

      1878—1888: Des Kronprinzen „Tagebuch meiner Reise nach Spanien 1883“. — Martin Philippson, Friedr. als Kronprinz und Kaiser. — Dr. Hinzpeter, Zum 25. Januar 1883. —
      Die Krankheit Kaiser Friedrichs III., dargestellt nach amtlichen Quellen u. s. w. —
      Weiter: M. Mackenzie, The Fatal Illness of Frederic the Noble. London. —
      Hans Blum, Persönl. Erinnerungen an den Fürsten Bismarck. — Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. —
      Prof. Heinr. v. Treitschke in dem Nachrufe, den er in den Preußischen Jahrbüchern Wilhelm I. und Friedrich III. widmete. — Persönliche Mittheil. des Generals v. Mischke, sowie des Generalfeldmarschalls v. Blumenthal.

  • Autor/in

    Hermann Müller-Bohn.
  • Zitierweise

    Müller-Bohn, Hermann, "Friedrich III." in: Allgemeine Deutsche Biographie 49 (1904), S. 1-93 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118535668.html#adbcontent

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