Rüdin, Ernst
- Dates of Life
- 1874 – 1952
- Place of birth
- St. Gallen
- Place of death
- München
- Occupation
- Psychiater ; Humangenetiker ; Rassenhygieniker ; Arzt ; Psychologe
- Religious Denomination
- unbekannt
- Authority Data
- GND: 119133407 | OGND | VIAF: 40181619
- Alternate Names
-
- Rüdin, Ernst
- Rüdin, Ernst
- Rüdin, E.
Linked Services
- * Antragsstellende der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft/Deutschen Forschungsgemeinschaft (GEPRIS Historisch – Forschungsförderung von 1920 bis 1945) [2021]
- Biographisches Archiv der Psychiatrie [2012]
- * Historisches Lexikon der Schweiz (HLS) [2001-2014] Autor/in: Thomas Haenel (2010)
- * Neue Deutsche Biographie (NDB) [2005] Autor/in: Weber, Matthias M. (2005)
- Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)
- Deutsche Digitale Bibliothek
- Normdateneintrag des Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes (SWB)
- Österreichischer Bibliothekenverbund (OBV)
- Gemeinsamer Verbundkatalog (GBV)
- * Literaturnachweis in der Neuen Deutschen Biographie (NDB)
- * Werknachweis in der Neuen Deutschen Biographie (NDB)
- * Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte München - Berlin
- Sächsische Bibliographie
- * Jahresberichte für deutsche Geschichte - Online
Relations
Genealogical Section (NDB)
- NDB 20 (2001), S. 549* (Ploetz, Alfred Julius)
- NDB 23 (2007), S. 463 in Artikel Scholz, Willibald (Scholz, Willibald)
- NDB 26 (2016), S. 235 in Artikel Thurnwald, Richard (Thurnwald Richard Christian)
- NDB 26 (2016), S. 339 in Artikel Toller, Ernst (Toller, Ernst Hugo)
- NDB 27 (2020), S. 629 (Weinberg, Robert Wilhelm )
Places
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Rüdin, Ernst
Psychiater, Humangenetiker, * 19.4.1874 Sankt Gallen (Schweiz), † 22.10.1952 München. (evangelisch)
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Genealogy
V →Conrad (1830–95), aus Pfyn (Thurgau), Prokurist, Reallehrer in St. G.;
M Dorothea Schalch (1843–1911, evtl. verwandt mit →Ferdinand Schalch, 1848–1918, aus Schaffhausen, Geol., seit 1876 an d. Sächs. Geol. Landesanstalt, Leipzig, seit 1889 an d. Bad. Geol. Landesanstalt, Geh. Bergrat, s. Bad. Biogrr. I; Schaffhauser Biogrr.);
Schw →Pauline Ploetz-R. (1866-1942, ⚭ →Alfred Ploetz, 1860–1940, Dr. med., Arzt, Rassenhygieniker, s. NDB 20), Ärztin;
– ⚭ 1) München 1920 →Ida Editha (Itha) (1888–1926, kath.), aus Speyer, Dr. med., 2) 1929 Theresia Ida (Resa) (1885–1970), beide T d. →Joseph Senger, Gymnasialkonrektor;
1 T →Edith Zerbin-R. (* 1921), Psychiaterin u. Humangenetikerin. -
Biography
R. wandte sich bereits während seiner Gymnasialzeit in St. Gallen unter dem Einfluß seines Schwagers →Alfred Ploetz und des Schweizer Psychiaters →August Forel (1848–1931) der Abstinenzbewegung und der sozialdarwinistischen „Rassenhygiene“ zu. An der Gründung des „Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ (1904) und der „Gesellschaft für Rassenhygiene“ in Berlin (1905, Vors. seit 1933) war er maßgeblich beteiligt, wobei er seit 1903 für staatliche Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung unter eugenischen Gesichtspunkten plädierte. 1893-98 studierte R. Medizin in Genf, Heidelberg, Berlin und Zürich und war seit 1900 Assistent des Psychiaters →Emil Kraepelin (1856–1926) in Heidelberg, seit 1907 in München, wo er sich 1909 für das Fach Psychiatrie habilitierte (Über d. klin. Formen d. Seelenstörungen bei zu lebenslängl. Zuchthausstrafe Verurteilten). Als Oberarzt verfaßte R. mit Kraepelin und anderen Mitarbeitern der psychiatrischen Universitätsklinik mehrere Gutachten über Hauptbeteiligte der politischen Ereignisse in München von 1918/19, u. a. auch über Anton Gf. Arco-Valley. Wissenschaftlich bekannt wurde R. 1916 mit seiner richtungweisenden Studie über die Vererbung schizophrener Psychosen, wozu er zusammen mit dem Stuttgarter Arzt und Statistiker →Wilhelm Weinberg (1862–1937) die populationsgenetische Methode der „empirischen Erbprognose“ entwickelte. Seit 1917 leitete R. die „Genealogisch-Demographische Abteilung“ der Dt. Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, die er zu einem|international anerkannten Zentrum der psychiatrisch-humangenetischen Forschung ausbaute, z. B. durch Arbeiten zur Begabungs- und Zwillingsforschung. 1925-28 war er zugleich Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik in Basel. Als Vorsitzender der „Gesellschaft dt. Neurologen und Psychiater“ war R. seit 1933 im In- und Ausland einer der wichtigsten Legitimationsträger der nationalsozialistischen Gesundheits- und Wissenschaftspolitik und nahm zahlreiche offizielle Aufgaben wahr, u. a. verfaßte er im Auftrag der Reichsregierung den amtlichen Kommentar zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (1934). Seine Schweizer Staatsbürgerschaft wurde R. 1945 aufgrund seiner Funktionen im nationalsozialistischen System aberkannt. Bis zu seinem Tod distanzierte sich R. nicht von seiner rassenhygienischen Grundhaltung; sein Leben und Werk repräsentieren exemplarisch die Ambivalenz humangenetischer Konzepte in der ersten Hälfte des 20. Jh. zwischen Wissenschaftlichkeit und eugenischem Rassismus.
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Works
Weitere W Der Alkohol im Lebensprozeß d. Rasse, in: Pol.-anthropolog. Revue 2, 1903, S. 553-66;
Zur Vererbung u. Neuentstehung d. Dementia Praecox, 1916. -
Literature
M. M. Weber, E. R., Eine krit. Biogr., 1993 (P);
P. Weingart, Rasse, Blut u. Gene, Die Gesch. d. Eugenik u. Rassenhygiene in Dtld., 1996;
M. Urban, Die Hintermänner d. Mörder, in: SZ v. 24.10.2000 (P);
J. Ellwanger, Forscher im Bild, Wiss. Mitgll. d. KWG, I, 1989, S. 128;
Das dt. Führerlex., 1934 (P);
Fischer;
Wi. 1935;
Ärztelex.;
Personenlex. z. Dritten Reich. -
Author
Matthias M. Weber -
Citation
Weber, Matthias M., " Rüdin, Ernst " in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 215-216 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119133407.html#ndbcontent
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Rüdin, Ernst
1874 – 1952
Psychiater, Humangenetiker, Rassenhygieniker
Ernst Rüdin war ein zentraler und zeitweise international führender Akteur bei der Formierung der psychiatrischen Genetik. Parallel war er ein Protagonist der Rassenhygiene und seit 1933 wesentlich beteiligt an der Gesundheits- und Bevölkerungspolitik des NS-Regimes. Er war mitverantwortlich für das rassenhygienisch begründete „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Juli 1933 sowie beteiligt am Programm der systematischen Krankentötungen („Euthanasie“).
Dates of Life
Ernst Rüdin, Historisches Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (InC) = Ernst Rüdin, ca. 1936, Quelle: Historisches Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, Fotosammlung, F38a, Fotograf(in): unbekannt. -
Author
→Volker Roelcke (Gießen)
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Citation
Roelcke, Volker, „Rüdin, Ernst“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/119133407.html#dbocontent
Nach Besuch des Gymnasiums und Abitur 1893 in St. Gallen studierte Rüdin bis 1898 Medizin an mehreren europäischen Universitäten und war anschließend Assistenzarzt an den Psychiatrischen Universitätskliniken in Zürich (1899) und Heidelberg (1900). Auf die Promotion zum Dr. med. 1901 an der Universität Zürich folgten ärztliche Tätigkeiten in Berlin und Basel. 1905 gehörte Rüdin zu den Gründern der Gesellschaft für Rassenhygiene und forderte in dieser Zeit u. a. die Sterilisierung Alkoholkranker aus eugenischen Gründen. Mit seinem Lehrer Emil Kraepelin (1856–1926) wechselte Rüdin 1907 an die Psychiatrische Klinik der Universität München, wo er sich 1909 für Psychiatrie habilitierte. Motiviert durch die Programmatik der Rassenhygiene fokussierte Rüdin seit dieser Zeit seine Forschungen auf die psychiatrische Genetik. 1916 publizierte er die Ergebnisse zur Genetik der Dementia praecox/Schizophrenie als Monografie, die international zu einem Standardwerk wurde.
Mit Gründung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFA) in München 1917 wurde Rüdin zum Leiter der Genealogisch-Demographischen Abteilung (GDA), der weltweit ersten Forschungsinstitution zu Genetik und Epidemiologie in der Psychiatrie. Er stand der GDA bis 1945 vor, von 1925 bis 1928 im Nebenamt, während er als Professor für Psychiatrie an der Universität Basel tätig war. 1928 kehrte er nach München zurück, nachdem die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, in welche die DFA 1924 integriert worden war, eine Verdreifachung des Etats der GDA zugesagt hatte. 1931 zum Direktor der DFA ernannt, galt Rüdin als der international führende Repräsentant der psychiatrischen Erbforschung; die GDA wurde zu einem internationalen Anlaufpunkt für ambitionierte junge Forscher.
Seit Beginn seiner Karriere war Rüdin überzeugt, dass seine ärztliche und wissenschaftliche Arbeit nicht von politischem Engagement zu trennen sei, und daher kontinuierlich bestrebt, politische Entscheidungsträger und Institutionen für seine Forschungen zu interessieren und komplementär seine Forschungsaktivitäten am möglichen politischen Handlungsbedarf auszurichten. 1933 begrüßte er die Machtübernahme der Nationalsozialisten und wurde in den im Reichsministerium des Inneren angesiedelten Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik berufen, wo er die Arbeitsgemeinschaft II für Rassenhygiene und Rassenpolitik leitete. Ein bereits vor 1933 diskutierter Entwurf für ein Sterilisationsgesetz wurde in modifizierter Form in diesem Gremium beraten und im Juli 1933 von der Regierung als „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 1934 erschien ein offizieller Kommentar, der von Rüdin zusammen mit dem Ministerialrat Arthur Gütt (1891–1949) und dem Juristen und SS-Mitglied Falk Ruttke (1894–1955) verfasst worden war. Auf dieser Grundlage wurden bis 1945 über 300 000 Menschen sterilisiert. 1935 wurde Rüdin zum Vorsitzenden der „gleichgeschalteten“ psychiatrisch-neurologischen Fachgesellschaft ernannt. Parallel amtierte er als Vorsitzender des Deutschen Verbands für psychische Hygiene und Rassenhygiene sowie der Gesellschaft für Rassenhygiene. Seit 1937 war er Mitglied der NSDAP.
Während Matthias M. Weber (geb. 1960), Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (der Nachfolge-Institution der DFA), in einer materialreichen, aber apologetischen Biografie in den 1990er Jahren eine aktive Beteiligung Rüdins an den systematischen Krankentötungen („Euthanasie“) im Nationalsozialismus abstritt, hat die seitherige Forschung das Gegenteil detailliert belegt: Rüdin stand mit einem zentralen psychiatrischen Protagonisten der Krankentötungen, Paul Nitsche (1876–1948), sowie den zuständigen staatlichen und Parteidienststellen bereits vor Beginn der „Euthanasie“ in engem Austausch. Als Vorsitzender der Fachgesellschaft lehnte er wiederholt Versuche einzelner Anstaltsleiter ab, gemeinsam gegen die Krankentötungen zu intervenieren. In späteren Phasen der „Euthanasie“ war Rüdin an der Rechtfertigung des Tötungsprogramms sowie an der Planung und Durchführung von Forschungen beteiligt, die ein wissenschaftliches Fundament zur Selektion der Opfer liefern sollten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Rüdin aus allen Ämtern entlassen, 1945 wurde ihm das Schweizer Bürgerrecht aberkannt. 1945/46 wurde er von US-amerikanischen Besatzungsbehörden inhaftiert und 1949 im Entnazifizierungsverfahren in einem ersten Urteil als „Minderbelasteter“, nach Ablauf einer Bewährungsfrist in einem Nachverfahren als „Mitläufer“ eingestuft.
1932 | Mitglied der Leopoldina |
1932–1936 | Präsident des International Federation of Eugenic Organizations |
1939 | Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft |
1944 | Adlerschild des Deutschen Reiches |
Nachlass:
Historisches Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, München.
Weitere Archivmaterialien:
Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Personalakte.
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, Bestand PA, R 99166. (Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik)
Bundesarchiv, Koblenz, R73/14429. (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft/Deutsche Forschungsgemeinschaft)
Historisches Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, München, Bestand Genealogisch-Demographische Abteilung.
Über die klinischen Formen der Gefängnispsychosen, 1901. (Diss. med.)
Einige Wege und Ziele der Familienforschung, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 8 (1911) S. 722–748.
Zur Vererbung und Neuentstehung der Dementia praecox, 1916.
Arthur Gütt/Ernst Rüdin/Falk Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, 1934.
Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat, 1934. (Hg.)
Bedeutung der Forschung und Mitarbeit von Neurologen und Psychiatern im nationalsozialistischen Staat, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 165 (1939), S. 7–17.
Zehn Jahre nationalsozialistischer Staat. Zum 10. Januar 1943, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 36 (1942), S. 321 f.
Matthias M. Weber, Ernst Rüdin. Eine kritische Biographie, 1993.
Volker Roelcke, Psychiatrische Wissenschaft im Kontext nationalsozialistischer Politik und „Euthanasie“. Zur Rolle von Ernst Rüdin und der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie/Kaiser-Wilhelm-Institut, in: Doris Kaufmann (Hg.), Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, Bd. 1, 2000, S. 112–150.
Astrid Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns, 1934–1945, 2004.
Klaus-Dieter Thomann, Art. „Ernst Rüdin“, in: Wolfgang Eckart/Christoph Gradmann (Hg.), Ärzte Lexikon, 32006, S. 285.
Volker Roelcke, Ernst Rüdin. Renommierter Wissenschaftler, radikaler Rassenhygieniker, in: Der Nervenarzt 83 (2012), S. 303–310. (Onlineressource)
Julian Schwarz/Burkhart Brückner, Art. „Ernst Rüdin“, in: Biographisches Archiv der Psychiatrie, 2015. (Onlineressource) (P)
Hans-Walter Schmuhl, Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater im Nationalsozialismus, 2016.
Volker Roelcke, Eugenic Concerns, Scientific Practices. International Relations in the Establishment of Psychiatric Genetics in Germany, Britain, the USA and Scandinavia, c. 1910–60, in: History of Psychiatry 30 (2019) S. 19–37.