Lebensdaten
1810 – 1883
Geburtsort
Breslau
Sterbeort
Bern
Beruf/Funktion
Arzt ; Anatom ; Physiologe
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 10404103X | OGND | VIAF: 49652755
Namensvarianten
  • Valentin, Gustav
  • Valentin, Gabriel Gustav
  • Valentin, Gustav
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Valentin, Gabriel Gustav, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd10404103X.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Abraham (1778–1830), aus Poln.-Lyssa (Hzgt. Warschau), Goldschmied u. Silberhändler, seit 1790 in Breslau, Nebenrabbiner, seit 1812 preuß. „Schutzgenosse“;
    M Caroline Bloch ( 1839);
    Frankfurt/M. 1841 Henriette Samosch ( 1863), Cousine v. V.;
    1 S Adolf (1845–1911), Prof. d. Otolaryngol. in Bern (s. Fischer; BJ 16, Tl.), 2 T Anna Caroline (* 1843, N. N. Maillard, in Genf), Ida (* 1849, Constant Bodenheimer, 1836–93, Pol., Journ., Red., 1870–78 Reg.rat in Bern, 1874–78 Ständerat, 1878–80 Großrat, Chefredaktor d. „Journ. d’Alsace, Courier du Bas-Rhin“ in Straßburg, s. NDBA; HLS).

  • Biographie

    Nach dem Besuch des Maria-Magdalenen Gymnasiums studierte V. seit 1828 Medizin an der Univ. Breslau. Im Anschluß an seine Promotion über die Entwicklung der Muskelfasern 1832 absolvierte V. 1832/33 das Staatsexamen. Vor seiner Berufung 1836 auf ein Ordinariat für Physiologie und Zootomie an der Univ. Bern (1853–63 Leiter d. Berner Anatom. Instituts) praktizierte er als Arzt in Breslau und widmete sich parallel dazu in Johann Evangelista Purkyněs (1787–1869) physiologischem Laboratorium intensiv der Forschung. Berufungen nach Dorpat und Königsberg kamen nicht zustande wegen der Bedingung, vom jüd. zum christl. Glauben zu konvertieren.

    V.s frühe mikroskopische Untersuchungen waren von naturphilosophischen Ideen angeregt. Heusingers Histologie gemäß beschrieb V. in seinem „Handbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen“ (1835, engl. 1836)|die mikroskopisch ermittelte Bildung der Muskelfasern und der Blutgefäße aus der linearen Fusion von Granula, welche wiederum in einer homogenen Bildungsflüssigkeit entstehen sollten. 1836 deutete er die vereinheitlichenden morphologischen Befunde am peripheren und zentralen Nervensystem (mit jeweils drei Elementen: Ehrenbergs Ganglienkugeln, den Primitivfasern und der Zellgewebsscheide) dahingehend, daß sich beide Systeme einzig durch dissipative bzw. zentrierende Funktionen unterscheiden lassen. Dieser Schluß erschwerte es V., der Differenzierung motorischer, sensibler und sympathischer Nerven des peripheren Nervensystems (1842) durch Heinrich Friedrich Bidder (1810–94) und Alfred Wilhelm Volkmann (1801–77) beizupflichten. Auch an seinem Befund von Endumbiegungsschlingen der faserigen Komponenten hielt V. bis 1864 fest, obwohl bereits unter Karl Friedrich Burdach (1776–1847) deren terminale Morphologie zunehmend mit der Form von Reisern verglichen wurde. 1834/35 entdeckten V. und Purkyně, daß die durch Zilien hervorgebrachten mikroskopischen Flimmerbewegungen nicht als vereinzelte Besonderheit, sondern als allgemeines Phänomen verschiedenster Grenzflächen unterschiedlicher Organsysteme und Tierklassen aufzufassen sind. Zudem wurde eine systematische physiologische Charakterisierung etabliert, beispielsweise durch die Differenzierung dreier Typen von Zilienbewegungen. Ende 1835 wurde V. der „Grand Prix des sciences physiques“ der Pariser Academie des sciences für seine „Histiogenia comparata“ verliehen; das 1 100 Seiten starke Manuskript blieb auch nach V.s eigenhändiger Kürzung von 1838 unveröffentlicht, bot aber die Grundlage sowohl für seine entwicklungsgeschichtliche Lehre als auch für innovative Beiträge zu Burdachs Physiologie (1835–38). In diese Zeit fiel auch V.s Mitteilung in Müllers Archiv (1836), in welcher der von Rudolf Wagner (1805–64) entdeckte Keimfleck als eine reguläre Erscheinung der initialen Keimentwicklung in der Domäne der Tierwelt ausgewiesen wurde.

    V.s Ergebnisse zur Histogenese und Analogie tierischer und pflanzlicher Gewebe wurden 1838 in Wagners „Lehrbuch der speziellen Physiologie“ den Befunden Theodor Schwanns zur Zellentwicklung gegenübergestellt. Ansprüche auf partielle Priorität nahm V. im Repertorium (1839) zurück. Purkyně hob in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik (1840) und Theodor Ludwig Wilhelm Bischoff (1807–82) in Schmidts Jahrbüchern (1841) sowohl den allgemeineren Standpunkt als auch die Besonderheit der mikroskopischen Befunde auf Seiten der Schwannschen Lehre hervor. Immerhin fanden V.s histologische Einsichten ihren nachhaltigen Niederschlag in Wagners „Handwörterbuch für Physiologie“ (1841/42).

    Breite Anerkennung fand 1839 die an historischen Kenntnissen reiche Arbeit „De functionibus nervorum cerebralium“, in der beispielsweise der N. Glossopharyngicus als Geschmacksnerv bestimmt wurde. Diese kam dem neu edierten Lehrwerk Sömmerings zugute, in dessen Band zur „Hirn- und Nervenlehre“ (1841, frz. 1843; ital. 1844) V. das Ziel verfolgte, einen vollständigen Index der menschlichen Neurologie bereitzustellen. Im 7. Band desselben Werks bezog Bischoff seine „Entwicklungsgeschichte der Säugethiere und des Menschen“ (1842) zu großen Teilen auf V.s Monographie von 1835. Diesen Rang eines maßgebenden Naturforschers sicherte V. sich über einige Jahrzehnte hinweg als ein beachteter, aber auch umstrittener Kritiker der europ. physiologischen Literatur, 1836–43 in seinem „Repertorium für Anatomie und Physiologie“ und 1845–65 als Autor der „Fortschritte der Physiologie“ in Cannstatts Jahresberichten.

    V.s „Lehrbuch der Physiologie des Menschen“ (2 Bde., 1844, ²1847–50 [1851], engl. 1853) und sein „Grundriss der Physiologie des Menschen“ (1846, ²1847, ³1850, ⁴1855, dän. 1857) waren geprägt von einer vorbildhaften didaktischen Aufbereitung, sachlicher Darstellung, vielfältigen empirischen Belegen und dem Bemühen, einer spekulativen Methode eine Mathematisierung der Physiologie entgegenzustellen. Unter den vielfältigen, eingestreuten Anregungen, beispielsweise zur chem. Steuerung der Atmung, befanden sich seine wegbereitenden Versuche zur Bedeutung des Pankreassekrets für die Stärkeverdauung und eine Methode, Messungen auf einem Scheibenkymographion zu registrieren. Einfachstes frühes Beispiel für V.s Streben nach einem biophysikalischen, mathematisierbaren Fundament der Physiologie war seine Dilutionsmethode (1838), um das intravasale Blutvolumen zu bestimmen. Bei späteren komplexeren Problemen, welche die Anwendung höherer Mathematik voraussetzten (1867), profitierte er von der Kooperation mit dem befreundeten Mathematiker Moritz Abraham Stern (1807–83). Aus dem hervorragenden Entwicklungsphysiologen wurde ein Mitstreiter einer neuen biophysikalischen Bewegung.

  • Auszeichnungen

    A u. a. Mitgl. d. Leopoldina (1835);
    korr. Mitgl. d. Ac. Royale de Médecine de Belgique (1842, Ehrenmitgl. 1862), d. Ac. Royale de Médecine, Paris (1846) u. d. Soc. de Biol., Paris (1848);
    ausw. Ehrenmitgl. d. American Ac. of Arts and Sciences (1859);
    Dr. h. c. (Bern 1876).

  • Werke

    W De phaenomeno generali et fundamentali motus vibratorii continui in membranis cum externis tum internis animalium plurimorum et superiorum et inferiorum ordinum obvii, commentatio physiologica, 1835 (mit J. E. Purkyně);
    Über d. Verlauf u. d. letzten Enden d. Nerven, in: Nova acta Leopoldina 18, 1836, H. 1, S. 51–240;
    Die Einflüsse d. Vaguslähmung auf d. Lungen- u. d. Hautausdünstung, 1857;
    Die Untersuchung d. Pflanzen- u. d. Thiergewebe in polarisirtem Lichte, 1861;
    Die Zuckungsgesetze d. lebenden Nerven u. Muskels, 1863;
    Der Gebrauch d. Spektroskops z. physiol. u. ärztl. Zwecken, 1863;
    Versuch e. physiol. Pathol. d. Nerven, 1864;
    Versuch e. physiol. Pathol. d. Herzens u. d. Blutgefäße, 1866;
    Die physikal. Unters. d. Gewebe, 1867.

  • Literatur

    L ADB 39;
    J. Graetzer, Lb. hervorragender schles. Ärzte, 1889;
    E. Hintzsche, G. G. V. (1810–83), Versuch e. Bio- u. Bibliogr., 1953 (W-Verz., P);
    ders., Zellen u. Gewebe in G. V.s „Histiogenia comparata“ v. 1835 u. 1838, 1963;
    B. Kisch, in: Forgotten Leaders in Modern Med., V., Gruby, Remak, Auerbach, in: Transactions of the American Philosophical Soc. N. S. 44, 1954, H. 2, S. 139–317, bes. S. 142–92 (P);
    G. Müller-Strahl, Die log. Struktur d. Zellenlehre v. 1839 u. ihre erkenntnistheoret. Prinzipien, in: ders. (Hg.), Theodor Schwann, Mikroskop. Unterss. über d. Uebereinstimmung in d. Struktur u. d. Wachsthum d. Thiere u. Pflanzen (1839), 2006, S. III–XCI;
    ders., Matter, Metaphor, and Mechanisms, Rethinking Cell Theories, 2014;
    Complete DSB;
    BLÄ; Qu Burger Bibl. Bern.

  • Porträts

    P Photogr. v. J. Lacroix, zwischen 1878–83 (Burger Bibl. Bern); Lithogr. v. F. Koska, Abb. in: Jb. des Nützl. u. Unterhaltenden f. Israeliten 4, 1844/45, S. 87

  • Autor/in

    Gerhard Müller-Strahl
  • Zitierweise

    Müller-Strahl, Gerhard, "Valentin, Gabriel Gustav" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 695-697 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd10404103X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Valentin: Gabriel Gustav V., berühmter Physiolog, wurde am 8. Juli 1810 von jüdischen Eltern (als Sohn eines Goldschmieds) zu Breslau geboren. Er besuchte das Maria-Magdalenen-Gymnasium seiner Vaterstadt, wo er schon als 17jähriger Jüngling einen in griechischen Distichen geschriebenen Glückwunsch zum Geburtstage des Rectors Kluge im Druck erscheinen ließ. 1828 begann er gleichfalls in seiner Vaterstadt das Studium der Medicin und Naturwissenschaften und widmete sich mit besonderer Vorliebe physiologischen und mikroscopischen Studien unter Purkinje. 1832 erlangte er mit der Dissertation: „Historiae evolutionis systematis muscularis prolusio“ die Doctorwürde. Ein Jahr später ließ er sich als Arzt in Breslau nieder, setzte zugleich seine unter Purkinje begonnenen wissenschaftlichen Arbeiten fort und machte erst 24 Jahre alt gemeinsam mit diesem die berühmte Entdeckung der Flimmerbewegung. Eine bald darauf vollendete Abhandlung „Histiogenia comparata“ über die Entwicklung der Pflanzen und Thiere, ein Manuscript von 1050 Seiten mit 40 Tafeln eigener Zeichnung und 50 Seiten Erklärung, erwarb ihm neben schmeichelhaftester Anerkennung Alexander v. Humboldt's den großen Preis von 3000 Francs für Experimentalphysiologie seitens des „Institut de France“, sodaß V. dadurch in die Lage kam, die Kosten für ausgedehnte wissenschaftliche Reisen zu bestreiten. Fortab widmete er sich ausschließlich wissenschaftlichen, besonders physiologischen Studien, als deren Ergebniß er eine Reihe geradezu bahnbrechender Arbeiten,|theils in Gestalt von kleineren Abhandlungen theils als umfangreiche Werke veröffentlichte. Wir heben daraus u. a. hervor: „Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugethiere und Vögel“ (Berlin und Paris 1835); „Ueber den Verlauf und die letzten Enden der Nerven“ (Bonn 1836); „Ueber Mechanik des Blutumlaufs“ (Leipzig 1836). Diese Schriften verschafften ihrem Autor einen solchen Ruf, daß er fast gleichzeitig an drei Universitäten, Lüttich, Dorpat und Bern, Berufungen als ordentlicher Professor der Physiologie erhielt. Die beiden ersteren schlug er aus, weil er in die daran geknüpfte Bedingung des Confessionswechsels nicht willigte und entschied sich für Bern, wo er von 1836 ab in ununterbrochener Folge 45 Jahre lang in segensreicher Weise als Lehrer und Forscher wirkte. Hier bekleidete er einige Jahre lang noch das Lehramt der Anatomie, feierte 1876 sein 40jähriges Amts- und 1882 sein 50jähriges Doctorjubiläum, mußte aber, an einem Schlaganfall erkrankt, im Herbst 1881 seine Aemter niederlegen und starb am 24. Mai 1883. — V. gehört zu den bedeutendsten Physiologen des 19. Jahrhunderts. Seine glänzenden Leistungen, die fast alle Gebiete dieser Specialdisciplin betreffen, stempeln ihn zu einem Gelehrten und Forscher ersten Ranges. Die Lehre vom Blut und der Blutbewegung, von der Athmung, die Muskel- und Nervenphysiologie verdanken ihm wichtige Neuerungen und Bereicherungen; er entdeckte 1844 die diastatische Rolle des Bauchspeichels bei der Verdauung der Kohlehydrate, verwendete das polarisirte Licht bei der Mikroscopie, wodurch er zur Verfeinerung der Technik derselben nicht wenig beitrug, lieferte eine große Reihe von Arbeiten zur Physiologie der Sinnesorgane, namentlich des Gesichts, des Geschmacks, des Geruchs und der Tastempfindung, ferner zahlreiche Aufsätze toxicologischen Inhalts u. v. a. Die Titel einiger der bezüglichen Schriften sind: „De functionibus nervorum cerebralium et nervi sympathici libri IV“ (Bern und St. Gallen 1839); „Beiträge zur Anatomie des Zitteraales (gymnotus electricus)“ (Neufchâtel 1841); „Anatomie du genre Echinus“ (ebd.); „Die Untersuchung der Pflanzen- und Thiergewebe im polarisirten Licht“ (Leipzig 1861); „Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Nerven- und Muskelsystems" (ebd. 1863); „Versuch einer physiologischen Pathologie der Nerven" (ebd. 1864); „Versuch einer physiologischen Pathologie des Blutes und der übrigen Körpersäfte" (ebd. 1866); „Die physicalische Untersuchung der Gewebe“ (ebd. 1867). Am bekanntesten ist Valentin's werthvolles „Lehrbuch der Physiologie des Menschen“ (Braunschweig 1844, 2 Bände; 2. Aufl. ebd. 1847—50), sowie ein Auszug daraus unter dem Titel: „Grundriß der Physiologie des Menschen“ (ebd. 1846; 4. Aufl. 1854). — Von 1836—43 gab V. ein „Repertorium für Anatomie und Physiologie“ heraus. Außerdem rühren von ihm zahlreiche kleinere Journalartikel, Abhandlungen und Aufsätze in größeren Sammelwerken her, z. B. im Berliner encyklopädischen Wörterbuch der med. Wissenschaften, in Schmidt's Jahrbüchern, Joh. Müller's Archiv f. Physiologie, Wagner's Handwörterbuch der Physiologie, Hecker's Annalen der Heilkunde u. a.

    • Literatur

      Vgl. noch Biogr. Lexikon hervorr. Aerzte VI, 56 und die daselbst genannten Quellen.

  • Autor/in

    Pagel.
  • Zitierweise

    Pagel, Julius Leopold, "Valentin, Gabriel Gustav" in: Allgemeine Deutsche Biographie 39 (1895), S. 463-464 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd10404103X.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA